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Drittes Capitel.


Als am nächsten Morgen Frau Artefeld ihre Geschäfte in der Stadt besorgt und sich eben anschicken wollte, wieder nach der Villa hinauszufahren, bat Herr König sie um die Gunst einer Unterredung. Sie wurde ihm augenblicklich gewährt, und da Frau Artefeld das verlegene Gesicht des alten Mannes bemerkte und daraus schloß, daß er irgend eine Bitte an sie zu richten habe, versuchte sie ihm durch allerlei freundliche Erkundigungen nach seinen Privatverhältnissen den Weg zu bahnen.

Der alte Mann hatte ein Enkelsöhnchen, das einzige Kind seiner längst verstorbenen Tochter. Noch vor der Mutter hatte der Knabe den Vater verloren, und elternlos war er der Pflege und Aufsicht Dorotheens überwiesen worden. Der Großvater, durch seine Stellung im Artefeld'schen Hause, in dem er dem Willen seiner Prinzipalin gemäß auch wohnen mußte, gefesselt, konnte zu seinem großen Kummer die Schwester in dieser Pflicht nur wenig unterstützen, eine Beschränkung, die seine Liebe zu dem Knaben nur noch steigerte. Er hielt denselben für ein wahres Wunder, was die Vorzüge seines Geistes wie die Schönheit seiner kleinen Person betraf, hielt ihn insbesondere für ein musikalisches Genie. Als einjähriges Kind hatte Victor schon mit Armen und Beinen gezappelt, wenn er nur einen Ton Musik hörte, und wenn das auch für Andere als die Eltern selten ein vollgültiger Beweis eines aufkeimenden musikalischen Talentes zu sein pflegt, so wäre doch die zweite Versicherung des Großvaters, daß er im dritten Lebensjahre einmal beim Anhören eines falschen Tones geweint, eine gewichtigere Bürgschaft des in ihm wohnenden Genius gewesen, wenn nicht böswillige Zweifler behauptet hätten, daß die Thränen nicht dem falschen Ton, sondern dem Notenblatt gegolten, welches der Knabe durchaus hätte zerreißen wollen. Freilich konnte man auch hierbei noch annehmen, daß der Kleine aus Unwillen über die schlechte Musik das Blatt zerrissen, aber die Sache bleibt unbewiesen, da Victor sich damals noch nicht verständlich genug ausdrücken konnte, um genaue Rechenschaft darüber zu geben, ob seine Verfahrungsweise Unart oder Genie war.

Darum blieb es eben für Großvater und Großtante unumstößlich Genie. Uebrigens war die Annahme nicht völlig grundlos. Der Knabe liebte nicht nur die Musik leidenschaftlich, er fing auch an sie auszuüben, sowie seine kleinen Finger nur ein paar Tasten umspannen konnten, und jede nur einmal gehörte Melodie, deren Einfachheit seinem kindlichen Verständniß entsprach, sang und spielte er richtig nach.

Jetzt im sechsten Jahre stehend, wurde sein Talent sogar schon von der Welt anerkannt, die beste Art, im Keim verdorben zu werden, und der kleine Blondkopf mit dem frischen, apfelrunden Gesichtchen und kecken Wesen wurde allgemeiner Liebling. Selbst vor den Augen der strengen Prinzipalin seines Großvaters hatte er Gnade gefunden, und sie sich bereit erklärt, dereinst das Nöthige zu der vielleicht kostspieligen Ausbildung des künftigen Künstlers beizutragen, wenn er es nicht etwa vorziehen würde, Kaufmann zu werden, oder doch denselben Beruf zu ergreifen, den sein Großvater so würdig ausfüllte.

Eine Frage nach Victor war denn auch die natürlichste Aushülfe, wenn Frau Artefeld ihrem treuen Diener eine Freundlichkeit erweisen, ihn, wie es jetzt der Fall war, zu irgend etwas ermuthigen wollte. Der einsilbige Mann wurde beredt, wenn sein kleiner Liebling Gegenstand des Gesprächs wurde. Er erging sich in Lobeserhebungen desselben, erzählte die neuesten drolligen Einfälle des Kindes; sie hörte ihn geduldig an.

»War es der Junge, über den Sie mit mir sprechen wollten? Soll ich irgend etwas für ihn thun? Sagen Sie es mir dreist, Sie wissen ja, ich bin Ihrem Victor gewogen,« unterbrach sie endlich doch des Alten Herzensergießungen.

Er schüttelte den Kopf; das Gewicht dessen, was er wollte, fiel ihm schwer auf die Seele, aber: »Geradeaus, geradeaus,« wiederholte er sich in Gedanken den gestern empfangenen, wenn auch nicht für ihn gegebenen Rath und fragte dann mit einem schnellen Entschluß:

»Der Herr Richard hat geschrieben, nicht?«

»Woher wissen Sie das?« unterbrach sie ihn streng.

Er war auf die Frage vorbereitet, er konnte sie der Wahrheit gemäß beantworten. Es kam häufig vor, daß Frau Artefeld's Privatbriefe unter die geschäftlichen geriethen, die in seine Hände kamen. Es war mit diesem der Fall gewesen, er hatte in der Aufschrift Richard's Hand erkannt, und als Flora ihn in's Vertrauen zog, war es eben nur der Inhalt des Briefes, den er von ihr erfuhr.

»Ich habe den Brief gesehen,« war seine kurze Antwort.

»Ah, also daher Flora's Einmischung und Traum,« dachte Frau Artefeld.

»Darf ich nicht erfahren, was der junge Herr schreibt, wie es ihm geht, ob und wann er wiederkommt?« fuhr Herr König fort.

Der Buchhalter, auf das innigste in die Interessen des Hauses verflochten und immer bereit, seiner Prinzipalin aus gutem, willfährigem Herzen all' die Ehrerbietung und Unterwürfigkeit zu zeigen, dies sie in Anspruch nahm, durfte sich schon eher wie jeder Andere auch einmal eine Frage erlauben, die in das Gebiet häuslicher Angelegenheiten eindrang. So wies sie ihn auch jetzt nicht zurück, sondern antwortete in ihrer gewohnten ruhigen, kalten Weise:

»Der Brief enthielt eine Bitte um Verzeihung, und ich habe ihm diese in Aussicht gestellt, wenn er seine Reue durch die That beweist und sich meinem Willen, den er kennt, fügt.«

»Und darauf ist er nicht gekommen?« sagte der alte Mann traurig.

»Wie Sie sehen, nein,« sagte sie kurz; »aber er wird schon kommen,« fuhr sie fort, »mir ist nicht bange, er wird sich fügen müssen, denn er wird es in seiner jetzigen erbärmlichen Lage natürlich nicht aushalten; aber besinnt er sich nicht bald, so könnte es zu spät sein und ich seiner so wenig bedürfen, wie er mich entbehren zu können glaubt.«

»Dein armen jungen Herrn geht's also schlecht,« sagte der Buchhalter mitleidig, »so beklagt er sich wohl sehr?«

»O nein, er beklagt sich gar nicht,« erwiderte Frau Artefeld mit halbem Hohn, »im Gegentheil, er will mir vorreden, daß er sich sehr zufrieden fühlt, daß die plebejischen Verhältnisse, in die er sich begeben, ihm zusagen, daß er ein Hausgenosse der Familie ist, die ihm Lohn und Kost giebt, und nicht ein Tagelöhner oder Diener!«

»Ich diene Zeit meines Lebens,« wandte Herr König mit schüchterner Stimme ein, »es ist mir keine Schande, es ist mir eine Ehre gewesen.«

»Ja, hier!« sagte Frau Artefeld mit einem unwillkürlichen Ausbruch des Hochmuths, dessen Ungebühr ihr vielleicht selbst auffiel, denn sie fuhr rasch fort: »Sie können seinen Brief lesen, hier ist er, ich wollte ihn nicht in den Papierkorb und vergaß ihn in's Feuer zu werfen.«

Sie nahm ihn aus ihrer Brieftasche und reichte ihn dem Alten hin. Man sah es dem vielfach zerknitterten Blatt an, daß es mehr als einmal gelesen, daß es nicht in gleichmüthiger Stimmung zusammengefaltet war.

»Er giebt sich viel Mühe, mich zu überzeugen, daß er einer gesicherten Zukunft entgegengeht,« sagte Frau Artefeld gleichgültig, während der alte Mann mit sichtlicher Bewegung die Zeilen las, »aber das ist Unsinn. Schon seine Bitte um Verzeihung beweist das Gegentheil. Er würde mir nicht gute Worte geben, sehnte er sich nicht zurück nach den Fleischtöpfen Aegyptens!«

»O nein, nein!« unterbrach sie der Buchhalter lebhaft, »was er schreibt, ist die lautere Wahrheit, und seine Sehnsucht gilt dem Mutterherzen. O schicken Sie mich zu ihm, liebe, verehrte Frau Commerzienräthin, lassen Sie mich ihm die Verzeihung bringen –«

»Nein,« sagte sie bestimmt, »er ist der Schuldige, ich werde mir nicht so viel vergeben, ihm einen Schritt entgegen zu gehen. Ihm einen solchen Sieg gönnen, hieße bekennen, daß ich mich zu schwach fühlte zu fernerem Regiment.«

»Nein, nein, diese Güte würde ihn auf die Kniee werfen!« betheuerte Herr König, »würde seine Liebe zur Mutter in Verehrung wandeln.«

»Seine Liebe zu mir!« wiederholte Frau Artefeld höhnisch. »Ich kenne den Starrkopf besser. Seinen Vater, der ihn verzog, ihm allen Willen that, den hatte er lieb, aber so weit reichte seine Pietät für Familienbande nicht, daß er seinen widerspenstigen Sinn den Wünschen seiner Mutter beugte, Wünschen, die doch nur auf sein eigenes Wohl hinausliefen, seinem unreifen Urtheil mit Fug und Recht die Fähigkeit absprachen, im unverständigen Kindesalter über seine Zukunft zu entscheiden.«

»Er ist jetzt achtzehn Jahre alt!« bemerkte der Buchhalter.

»Und ich achtunddreißig, ihm also doch wohl voraus an Einsicht und Erkenntniß,« erwiderte sie. »Zudem,« fuhr sie fort, »angenommen, daß sein Widerwille gegen den Kaufmannsstand kein künstlicher, kein eingebildeter wäre, habe ich, haben die Verhältnisse nicht ein Recht, ein Opfer zu verlangen? Man wirft den Reichthum nicht so fort, als sei er ein wesenloses Nichts. Reichthum bedingt unsere Lebensstellung, bedingt zum größten Theil unser Glück; ließe ich ihn jetzt gewähren, er könnte mir als Mann einst bittere Vorwürfe machen, daß ich ihn mit achtzehn Jahren nicht wie ein unmündiges Kind behandelt. Ich will ihn zwingen zum Glück, deshalb gebe ich nicht nach, wie ich vor zwei Jahren nicht nachgegeben habe. Diesmal wird er nicht so lange Zeit brauchen, zur Besinnung zu kommen, denn er hat das Leben schon kennen gelernt. Ich bin aber bereit, ihm zu vergeben. Mag er kommen, mag er das Versäumte nachholen. Wenn er will, kann er es, und so, mein alter Freund,« fuhr sie in weicherem Tone und mit einem freundlichen Blick auf den alten Mann fort, »werden wir Beide hoffentlich einmal getrost zur Ruhe gehen können. Das Haus, dem wir vorgestanden haben, stürzt nicht hinter uns in Trümmer oder kommt in Hände solcher, die nur ein halbes Interesse an seinem Bestehen haben. Mit Richard's Rückkehr ist wieder ein Artefeld da, an die Spitze zu treten, seinen Glanz und Reichthum zu wahren und auf seine Erben zu übertragen!«

Sie sprach diese Worte so stolz, so siegesgewiß wie eine Königin, die außer dem Kronprinzen noch eine Reserve von mindestens sechs Söhnen hat, die Erbfolge dem Regentenhause zu sichern; aber ihre triumphirende Miene überzeugte den alten Mann nicht. Er konnte ihren Glauben an eine unbedingte Unterwerfung des Sohnes nicht theilen, er sah, es wurde hier nur ein alter Kampf erneut, aber nimmermehr ein Friede geschlossen, zeigte sich nicht auch die Mutter zu Concessionen bereit.

Herr König hatte sich die ganze Nacht hindurch auf diese Unterredung vorbereitet, sich im Geiste überlegt, was er sagen wollte, jetzt wußte er von alledem nichts mehr, aber es fehlte ihm doch nicht an Worten, und so karg er sonst mit ihnen umging, so reich strömten sie ihm in der Erregung des Augenblicks zu und veranlaßten auch sie, an die sie gerichtet waren, zu einer lebhafteren und eingänglicheren Gegenrede, als sonst in ihrer Gewohnheit lag.

»Sie haben mich eben Ihren alten Freund genannt,« hub er mit schüchterner Stimme an, »ach, ich verdiente die Ehre, die Auszeichnung dieses Namens nicht, scheute ich mich, hier mit meiner Meinung hervorzutreten. Sie sind des jungen Herrn Mutter, Sie haben gewiß ein Recht, Gehorsam von ihm zu verlangen und ihn zu strafen, wenn er ihn verweigert, aber lassen Sie hier Ihr Recht bei Seite und die Güte walten, Sie werden sehen, wie sein Starrsinn bricht. Verzeihen Sie ihm, stellen Sie ihm keine Bedingungen, zeigen Sie ihm Ihre volle Liebe und sehen Sie dann erst, ob er nicht auch aus Liebe Ihre Wünsche erfüllt. Solch' junges Blut fühlt sich gern im Voraus als Mann und wird hartnäckig aus vorzeitiger Willenskraft. Lassen Sie nur einmal ab vom Befehl, und ich wette, der junge Herr entschließt sich zu dem Opfer, wenn er nur sieht, daß er nicht gezwungen werden soll.«

»Ich finde es unwürdig, mit seinen Kindern zu capituliren,« war die Entgegnung, »aber wenn ich nun Ihrer Bitte nachgäbe, und er bliebe dabei, um jedes andere Amt und Gewerbe dem vorzuziehen, zu dem er geboren ist –«

»O dann,« fiel ihr der Buchhalter, in dem warmen Eifer, der ihn beseelte, die Höflichkeit vergessend, in's Wort, »dann ist es gewiß eine so machtvolle Stimme, die ihn treibt, daß sie Gehör verdient. Es hat Mancher so einen Zug in sich, dem er nicht widerstehen kann, und führt der zu nichts Verwerflichem, so hat ihn uns der liebe Gott in's Herz gelegt, und wir sollen ihn nicht hemmen, sondern zum Nutzen und Frommen dessen leiten und ausbilden, den er mit unwiderstehlicher Gewalt auf einem bestimmten Wege fortreißt. Wollte ich meinen Victor Schulmeister werden lassen oder Tischler oder sonst etwas anstatt Musikus, ich versündigte mich an der göttlichen Gabe, die der Himmel ihm sichtlich verliehen. Der junge Herr aber, dem nirgends wohler war, als wenn ihn die freie Gottesnatur umgab, der jedes Buch fortwarf für ein grünes Blatt, das ihm draußen winkte, der lieber ein Beet umgrub, als ein Rechenexempel löste, der jede Pflanze kannte, jeden Vogel und Käfer und jedes vierfüßige Thier in Feld und Wald, der könnte vielleicht ein vortrefflicher Landwirth, ein tüchtiger Jägersmann, ein Naturforscher –«

»Oder ein Vagabond werden!« unterbrach Frau Artefeld den Anwalt ihres Sohnes, »und zwar das letzte am sichersten. Nein, mein guter Freund, glauben Sie mir, die innere Stimme ist nichts als der innere Eigenwille, der, wo er erkannt wird, gebrochen werden muß, je früher, desto besser, und dazu sind die Eltern berufen. Eine Frau hat es doppelt schwer, sich in Respect zu setzen. Man hat sich einmal gewöhnt, uns für willenlos zu halten, uns die Fähigkeit abzusprechen, das, was wir für Recht erkannt haben, auch consequent zu thun. Man sagt mit Recht, wer nicht gehorchen gelernt hat, kann auch nicht befehlen. Nun, ich habe meinem Vater gehorcht, blindlings gehorcht, jetzt aber ist das Befehlen an mir, und meine Kinder müssen das Gehorchen lernen, um dereinst ihr Recht des Befehlens ausüben zu können. Es ist ein schweres Amt, die Leitung eines Hauses wie das meinige, und ich habe nie eine Unterstützung darin gehabt. Wo eine Frau das Regiment hat, muß sie aber die Zügel straff anziehen, denn Jeder, selbst der erbärmlichste Wicht des andern Geschlechts, fühlt sich berufen, sie ihr zu entreißen. Ich werde sie aber festhalten und mich als Herr meines Hauses und meiner Familie behaupten gegen Jeden. Ist der Trotz des Knaben nicht zu brechen, so mag er die Folgen desselben tragen. Ich ziehe meine Hand von ihm ab, er ist dann mein Sohn nicht mehr!«

»Ein Band, das Gott geknüpft, läßt sich nicht mit einem Wort zerreißen,« rief der alte Mann aus, erschrocken über eine so rücksichtslose, den Himmel herausfordernde Willkür. »Mutter und Sohn gehören zu einander, und wenn sie sich auch in verblendetem, erbittertem, sündigem Zorn eine Weile fliehen – das unsichtbare Band, das sie umschlungen, hält fest. Gott hat es in seinen Händen, läßt es nicht los und kann es nicht loslassen, ohne des selbsterschaffenen Werkes zu spotten. Eine Mutter, die ihr eigenes Kind, ihr eigenes Fleisch und Blut hinausstößt in die Welt – sie – ja sie begeht eine Sünde wider die Natur. So bestraft man den Ungehorsam nicht!«

»Es ist keine Strafe zu hart, die den Ungehorsam in Gehorsam verwandelt,« erwiderte Frau Artefeld, der wachsenden Leidenschaft, der unbedachten Rücksichtslosigkeit des Alten noch immer dieselbe Ruhe und Geduld entgegensetzend, die auf von Natur ruhige Menschen noch viel aufregender wirkt, als heftige Gegenrede. Was sie bewog, gegen den alten Mann, der doch nur in dienender Stellung zu ihr stand, Gründe zu erschöpfen, während ein kurzes, befehlendes Wort jede Debatte über das ihr widerwärtige Thema enden konnte, möchte schwer zu erklären sein. Hatte sein Vorwurf eine verwundbare Stelle getroffen? Bedurfte sie der Rechtfertigung vor sich selbst, und führte sie ihre Sache vor dem Gerichtshofe des eigenen, leise mahnenden Herzens? Stand der Ankläger zu tief unter ihrem Zorn, oder hielt sie denselben nur zurück, bis sie ihre Sache vor sich selbst ausgefochten und sich ihr Recht sonnenklar bewiesen hatte?

»Richard zum Gehorsam zurückzuführen ist der einzige Zweck meines Verfahrens, und ich werde ihn erreichen!« fuhr sie fort. »Richard wird schon wiederkommen, wenn auch noch Jahre bis dahin vergehen sollten. Zu Grunde gehen wird er nicht. Daß er sich bis jetzt fortgeholfen, beweist Energie des Willens, praktischen Sinn und gesunden Verstand, Eigenschaften, die ihn gerade zu dem Berufe befähigen, den sein Vater ihm verleidet hat. Lassen wir ihn getrost noch eine Weile tagelöhnern, mit der Armuth kämpfen, jeden Lebensgenuß entbehren und sich an Thätigkeit gewöhnen. Daß es besser ist, um hohen Lohn zu arbeiten als um geringen, wird ihm endlich doch wohl einleuchten, und dann wird er und Alle, die mich eine harte, grausame Mutter gescholten, einsehen, daß ich nur eine vernünftige war. Ich hart! Wahrlich, er hat nur nöthig die Hand auszustrecken, und Verzeihung, Ansehen, Reichthum, alles das fliegt ihm entgegen!«

»Er bittet ja nur um die erste, gewähren Sie sie ihm doch ohne Bedingungen!« flehte der Alte. »Sie wissen es ja, er will den Reichthum nicht um den Preis, den er dafür zahlen soll. O, meine liebe, verehrte Gönnerin!« bat der Alte, in der Erregung seiner Empfindung abermals jede Rücksicht der Klugheit vergessend und die bisher genossene Gunst ohne Bedenken in die Wagschale werfend, weiter: »O hören Sie auf mich! Ich bin ein alter Mann, die Wahrheit aus meinem Munde kann nicht beleidigen. Ich bin nur ein Diener dieses Hauses, aber von Jugend auf mit den Interessen desselben verwachsen. Ich bin so stolz auf sein Ansehen, als hätte ich seine Macht geschaffen, sein Untergang würde mir an's Leben gehen, aber lieber, viel lieber würde ich selber das Schild von der Thür reißen, als es mit ansehen, wie man um seiner Aufrechterhaltung willen ein Kind von der väterlichen Schwelle in das Elend der Welt hinaustreibt. Es ist doch nur ein irdischer Besitz, der unverändert fortbestehen soll, irdische Pflichten, die sich an denselben knüpfen, und wie Sie auch in sich den Beruf fühlen mögen, Ihre Kräfte an diese selbstgewählte Aufgabe zu setzen, bis über das Leben hinaus sind Sie nicht verantwortlich für die Erfüllung derselben. Kann denn der junge Herr sein Leben und seine Kräfte nicht auch in jedem andern Berufe würdig verwenden, hängt denn Leben und Seligkeit, – hängt denn nicht blos irdischer Stolz und irdische Befriedigung an der Aufrechterhaltung der Firma und gerade durch ihn? Der liebe Gott will, daß wir jede seiner Gaben ehren und würdig anwenden sollen, aber das will er nicht, daß unser Herz bis zur sündhaften Uebertreibung an ihnen hängt. Was er gegeben hat, kann er auch nehmen!«

Frau Artefeld lächelte hochmüthig zu den Worten des Alten. »Jetzt ist's genug, meine Nachsicht ist zu Ende,« sagte sie.

»Nein,« nein, es ist noch lange nicht genug!« rief der Alte, außer sich gebracht durch ihre kaltblütige Hartnäckigkeit, »ich kann mich nicht so abweisen lassen. Ich spreche im Namen des armen jungen Herrn, der Niemanden hat, eine Fürbitte für ihn einzulegen Es war unrecht von ihm, daß er fortging, unkindlich vielleicht, daß er nicht seine Herzenswünsche zum Opfer brachte, aber – verzeihen Sie mir die herbe Wahrheit: – den Gehorsam der Liebe, der das thut, den hatte man ihm nicht gelehrt, der war mit seinem Vater zu Grabe getragen worden. Der andere Gehorsam, der erzwungen wird, der findet gar leicht seine Grenze, sowie das Bewußtsein eigener Willenskraft erwacht und der Furcht spottet, mit der man die Kinder scheucht. Es war ein zu harter Wechsel für den armen Knaben, so plötzlich die verziehende Liebe des Vaters mit der strengen Zucht der Mutter vertauschen zu müssen, und hatte jener wirklich etwas verdorben, die Strenge machte es nicht gut. Sie haben geirrt, Sie sind ja auch nur ein Mensch und können irren, Sie thaten es, als Sie, aus bester Absicht gewiß, sich so streng zeigten. Ach, wären Sie doch nur freundlicher gegen ihn gewesen, hätte mütterliche Nachsicht Ihre mütterlichen Rechte vertreten, es wäre nicht so, gewiß nicht so gekommen!«

»Halt, mein Freund, Sie vergessen jetzt völlig Ihre Stellung,« unterbrach ihn Frau Artefeld, und wieder schnitt ihre kalte, harte Stimme wie ein Messer in seine Seele, die immer mehr in Zorn aufloderte, je weniger er sich im Stande fühlte, ihre Selbstbeherrschung nachzuahmen. »Ich bin immer bereit gewesen,« fuhr sie fort, »Ihnen in Anbetracht Ihrer langjährigen treuen Dienste manches Vorrecht einzuräumen, ich habe Ihnen das heute mehr denn je bewiesen, indem ich Ihnen erlaubte, über Verhältnisse zu sprechen, die vollständig außerhalb Ihrer Befugnisse liegen, mir Ihren Rath aufzudringen in Angelegenheiten, für die Ihr Verständniß nicht ausreicht. Ich habe Sie wie einen Freund behandeln wollen, doch es taugt nichts, wenn man die Menschen über ihre Sphäre erhebt; ich muß Sie jetzt daran erinnern, daß Sie nur Diener sind. Ich bedarf aber keiner Diener, die es sich herausnehmen, meine Handlungen zu kritisiren, ich bedarf überhaupt keines Menschen, bedarf Ihrer am allerwenigsten. Sie scheinen wenig Werth auf das Amt zu legen, das man Ihnen anvertraut hat, und vergessen, daß es jeden Augenblick durch einen Andern ausgefüllt werden kann.«

Der alte Mann war wie vom Blitz getroffen. Die harte Drohung, die ihm mit ihrem Urtheilsspruch den Zweck seiner Existenz nahm, riß zugleich durch die verächtliche Herabsetzung seiner bisherigen Dienste seine ganze Vergangenheit in den Staub. Er mußte alle seine Kraft aufbieten, um nicht zusammen zu sinken vor dem Schlage, um mit würdevollem Selbstbewußtsein dem Hochmuth seiner Herrin zu begegnen.

»Ich werde noch heute gehen,« sagte er, Schmerz wie Zorn bekämpfend, »ich bin siebzig Jahre alt, bin bald fünfzig Jahre in diesem Hause, dem ich treu und redlich nach besten Kräften gedient habe. Noch vor wenigen Minuten nannten Sie mich Ihren alten Freund, ein Name, zu dem mich mein Alter, meine Erfahrung, meine Beziehungen zu Ihrer Familie, wie Gesinnung und Zuneigung gleich berechtigen. Und dennoch, die erste mißliebige Wahrheit, die ich auszusprechen wage, die ich aussprechen mußte, weil ich ein Schweigen hier nicht hätte vor Gott verantworten können, diese Wahrheit stößt mich in die Klasse der Diener zurück, die man annimmt und ablohnt nach Belieben, denen man das Recht, eine Meinung zu haben, abkaufen zu können glaubt und die ihren Herren auch treuer und williger dienen würden, wenn diese es nicht verschmähten, sie sich zu Freunden zu machen, statt sie wie willenlose Werkzeuge zu behandeln. Ich alter Narr habe Sie geliebt mein Leben lang, weil Sie die Tochter Ihres Vaters sind, weil Sie zu dem Hause gehören, mit dem mein ganzes Herz verwachsen ist. Für ein gütiges Wort heute, für das Wort, das einem armen verbannten Knaben Verzeihung gebracht, hätte ich Sie verehrt bis an mein Ende, aber Sie sind eine stolze, harte und strenge Frau, die rücksichtslos ihren Weg gehen, auf keine Bitte, kein gerechtes Verlangen, keine Ermahnung hören will, bis Gott einmal Stillstand gebieten wird mit feinem unwiderruflichen: ›Bis hierher und nicht weiter!‹«

Er hielt erschöpft inne. Er hatte mit feierlichem, fast beschwörendem Tone gesprochen; mit einer Gleichgültigkeit, die an Verachtung grenzte, hatte Frau Artefeld ihn aussprechen lassen. Eben so gleichgültig sagte sie jetzt:

»Wenn ich morgen in die Stadt komme, wünsche ich Sie nicht mehr auf dem Comptoir zu finden. Ihre Zimmer im Hause mögen Sie behalten, bis Sie ein anderes Unterkommen gefunden haben. Ich werde meinen Schwager ersuchen, sich nach einem andern bewährten Manne für Ihre Stelle umzusehen, bis dahin mag Sie einer der jüngeren Herren vertreten.«

»Sie wird mich vermissen, wahrhaftig, sie wird es!« sagte der alte Mann, ihr mit schmerzlichen Blicken nachsehend, als sie das Zimmer verlassen; »sie bedarf treuer Diener mehr, wie sie es ahnt. Es ist Keiner allmächtig und allwissend, als der Herr dort oben! Wer sich anmaßt, das Schicksal zu beherrschen, den wird es seiner Ohnmacht überführen, und je hochmüthiger wir uns über unsere Stellung erheben, um so tiefer ist der Fall!«

Es war ein schmerzlicher, wenn auch stummer Abschied, den der alte Mann von seiner Berufsthätigkeit nahm, als er jetzt an der geschlossenen Thür des Comptoirs vorüberging und das Haus verließ. Die frische Gottesluft draußen that ihm wohl. Er ging erst langsam ein paarmal die Straße auf und ab, ehe er den Weg nach der Behausung seiner Schwester einschlug. Vor der Thür derselben angekommen, stand er einige Secunden horchend still. Die Töne eines alten Claviers klangen ihm entgegen. Er wußte, es war sein kleiner Enkel, der seine kindischen Kräfte darauf versuchte. Es war nichts, gar nichts an der Musik, aber sie löschte auf einmal die harten Worte aus, die ihn vor Kurzem zu Boden geschlagen.

»Ich werde das Kind nun von früh bis spät sehen,« sagte er leise und trat ein.

Er wurde jubelnd von Victor, mit einiger Ueberraschung von Dorothee begrüßt, da seine Besuche, durch die Regelmäßigkeit seines Geschäftslebens bedingt, genau an eine bestimmte Stunde gebunden waren, der sein heutiges Erscheinen zuvorkam. Während Victor Hut und Stock des Großpapas in die Nebenstube trug, flüsterte dieser seiner Schwester zu: »Kannst Du Viktor mit einem Auftrag fortschicken? Aber thu' es so, daß er's nicht merkt.«

Sie nickte bejahend, zögerte auch nicht lange, durch die eigene Neugier getrieben, dem Wunsch ihres Bruders zu genügen, und obgleich es dem Kleinen gar nicht recht war, mit einer weitläufigen Bestellung fortgeschickt zu werden, während der gute Großpapa da war, fügte er sich doch gutwillig und versicherte nur, er würde wieder da sein, bis sie bis Drei gezählt hätten.

»Liebe Dorothee,« sagte Herr König, als er allein mit der Schwester war, kannst Du's mit Deiner kleinen Wohnung einrichten, mich mit darin aufzunehmen? Sonst müssen wir uns zusammen eine andere nehmen. Ich bin nicht mehr Buchhalter und denke nun meine letzten Tage in Ruhe und Frieden mit Dir und meinem kleinen Liebling zu verleben. Das wird hübsch sein, nicht wahr?«

Dorothee wußte im ersten Augenblick nichts zu sagen. Sie kannte ihren Bruder zu gut, um nicht die tiefe Wehmuth in seinem Tone zu gewahren.

»Was ist denn geschehen?« fragte sie endlich.

Er erzählte es ihr mit kurzen Worten, sie war starr vor Staunen, außer sich vor Aerger und Empörung.

»Was denkt sie sich nur?« rief sie aus. »Soll der Knabe ganz von seinem Erbe vertrieben werden? Wer soll all' das Geld haben, und was soll aus der Handlung werden, wenn sie Dich gehen läßt? Ich weiß aber, was ich denke. Da ist ein gewisser glattzüngiger, geschniegelter Herr, der sein Verwandtenrecht geltend macht, um tagtäglich um die reiche Wittwe herum zu scharwenzeln. Wir erleben noch etwas, das kannst Du glauben, und wenn nicht der Jemand da wäre, der im Trüben fischte und, während er der gestrengen Frau nach dem Munde redete, sein Plänchen für sich verfolgte, würde sie vielleicht nicht so hartköpfig sein. Er leidet's nicht, daß der Richard zurückkommt, der erwachsene Sohn könnte es ihr klar machen, daß es nicht passend für sie ist, wieder zu heirathen; das Kind, die Elisabeth, kommt nicht in Betracht. Die ist ja überhaupt so eingeschüchtert, die wagt kaum den Mund aufzumachen.«

Herr König ließ seine Schwester ausreden. Er wußte, zu unterbrechen war sie nicht, aber hatte sie ihr Herz erst durch Worte erleichtert, nahm sie Vernunft an. Er kannte auch ihren tiefen Widerwillen gegen Philipp Artefeld und die Verdächtigungen, mit denen sie ihn überschüttete. Mit Frauen, die ihr Urtheil von Sympathien und Antipathien abhängig machen, läßt sich nicht streiten, denn dagegen beweisen ihnen selbst Thatsachen nichts. Herr König hätte auch für Philipp Artefeld nicht einmal mit Thatsachen in's Feld rücken können, denn er wußte eben so wenig etwas hervorstechend Gutes von ihm zu sagen, als Dorothee ihm etwas Schlechtes beweisen konnte. Deshalb traute er ihm aber nichts Schlechtes zu und konnte es unmöglich zugeben, daß Dorothee im Verlauf ihrer Herzensergießungen ihm sogar die Schuld von ihres Bruders Verabschiedung geben wollte.

»Davon weiß er nichts. Ich habe sie mir allein durch Zorn und Heftigkeit zugezogen,« versicherte er aufs bestimmteste und nahm seiner Schwester das Versprechen ab, über die ganze Angelegenheit zu schweigen. »Die Leute reden so genug, ich, der ich so lange zum Hause gehört und dem Herzen nach noch dazu gehöre, darf ihnen keinen Stoff dazu geben.«

»Aber was sollen sie von Deinem Fortgehen denken?« fragte Dorothee.

»Daß ich siebzig Jahre alt bin, das ist Grund genug,« antwortete er bestimmt, und um sie von dem Gegenstand abzulenken, fragte er noch einmal, ob sie ihn aufnehmen könne und was sie mit der Wohnung zu thun gedenke.

Damit hatte er sie auf ein Gebiet geführt, auf dem sie alle liebenswürdigen und vortrefflichen Seiten ihres Gemüths entfaltete, auf das Gebiet der Häuslichkeit und häuslicher Einrichtungen. Sie verstand es eben so schnell als mit einem geringen Aufwand von Mitteln ihre Anordnungen zu treffen, und immer bezweckten und begründeten sie die Behaglichkeit Aller. Sie war im Augenblick mit ihrem Plan fertig. Es war nicht nöthig, die Wohnung, an die sie durch langjährige Gewohnheit gefesselt war, zu wechseln; eine kleine Aenderung in der Eintheilung der Zimmer genügte; sie machte sich anheischig, in wenigen Stunden Alles hinlänglich vorbereitet zu haben, ihn und seine Sachen aufzunehmen. Ein Händedruck des Bruders dankte ihr für ihre Bereitwilligkeit, ihren warmen Eifer, der keineswegs mehr versprochen hatte, als zu halten im Reich der Möglichkeit lag.

Noch an demselben Abend war Herr König in die Häuslichkeit seiner Schwester übergesiedelt, und nichts konnte geeigneter sein, ihn mit der plötzlichen Wendung seines Schicksals auszusöhnen, als die rührende Freude, mit der Dorothee alle damit zusammenhängende Last auf sich nahm, an nichts deutend als an das Glück, nun von früh bis spät für die Wohlfahrt des Bruders Sorge tragen zu dürfen. Seine Miene wurde heller und heller, als er am einfachen Theetisch der Schwester saß, sie ein Bild der kommenden Tage entwarf und Victor immer aufs Neue wieder über die Mittheilung jubelte, daß der gute alte Großpapa nun immer bei ihnen bleiben wollte.

»Unsere alten Tage werden nun die glücklichsten sein!« versicherte sie einmal über's andere.

Ihm war beinahe das Herz gebrochen bei dem Gedanken, nun in dem alten steinernen Hause, das so lange seine Heimath gewesen, nicht auch sterben zu sollen, Dorotheens und des Enkels Freude scheuchten die Todesgedanken für den Augenblick weit, weit hinweg; er rüstete seinen Geist für eine neue Zukunft – was ist denn aber die Zukunft für einen siebzigjährigen Mann? Was ihm in der Ferne winkt, sind immer nur die Schwingen des ernsten Engels, der untergegangene Träume in eine verklärte Wirklichkeit verwandelt. Ob sie nun dunkel und drohend über den von Furcht gebannten Blicken schweben, ob sie, in das Gewand des Lichts gehüllt, einen Strahl hoffender Freude in dem sehnsüchtig aufschauenden Auge entzünden, immer ist die Furcht und die Freude nicht mehr an diese Welt gekettet.

Es thut weh, in gefurchten Zügen die Geschichte einer Vergangenheit zu lesen, die des Todes Lichterscheinung in dunkle Schatten hüllt; aber auch die Freude, die auf einer von weißem Haar bekränzten Stirn aufleuchtet, thut, trotz ihrer erhebenden Schönheit, weh – denn, wenn auch noch an diese Welt geheftet, zieht sie doch schon einer andern nach, regt Andacht, Bewunderung, Staunen, aber auch Abschiedsempfindungen in der Seele an.

Victor's großes Auge war mit dem Ausdruck kindlichen, verwunderten Forschens auf das Antlitz des Großpapas geheftet, über Dorotheens Wangen flossen langsam ein paar Thränen, als Herr König an dem Abend den Abendsegen sprach.

Empfanden sie Beide vielleicht, Jedes in seiner Weise, die Wirkung des Freudenstrahls, der des alten Mannes Stirn verklärte, als er sagte: »Du hast für mich gewählt, Dir folge ich, Dir danke ich, Herr, Deiner Entscheidung freut sich meine Seele.«

 

An demselben Abend fielen auch die Schicksalswürfel, die der Zukunft der Frau von Artefeld eine neue Wendung geben sollten. Unter den vielen Briefen, die sie auf ihrer Villa empfangen, war einer von der Hand Richard's. Sie erbrach ihn hastig, überflog rasch die wenigen Zeilen, zerriß ihn dann langsam in kleine Stücke, und nachdem sie ein paarmal im Zimmer auf und ab gegangen war, setzte sie sich hin, um zu schreiben. Aber nicht an Richard war ihr Brief gerichtet.

»Mein Sohn beharrt auf seinem Willen, meine Geduld hat ein Ende,« schrieb sie an Philipp Artefeld. »Ich habe alle Rücksicht auf ihn genommen, die eine Mutter zu nehmen nur im Stande ist, es wird Zeit, an die Erfüllung höherer Lebenspflichten zu denken. Komm augenblicklich zu mir, ich habe über meine, über Deine Zukunft entschieden!«

»Vortrefflich,« sagte Philipp Artefeld, als er das Schreiben gelesen, »zum Henker aber mit der hochfahrenden Note, wenn sie nicht gleich eine Anweisung auf so und so viel Millionen wäre! Du brauchst zudem nicht zu glauben, daß ich allein bei dem Handel gewinne, meine schöne, stolze Herrin,« fuhr er, vor dem Spiegel sein Haar und seine Cravatte ordnend, fort, »es ist auch etwas werth, einen Gemahl zu bekommen, der keine Launen hat, immer guten Humors ist und den besten Willen hat, in Dein langweiliges Philisterleben Amusement zu bringen, einen Mann, der überall eine gute Figur spielt und immer Lust hat liebenswürdig zu sein. Das können Viele für Millionen nicht.«


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