Per Daniel Amadeus Atterbom
Menschen und Städte
Per Daniel Amadeus Atterbom

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Berlin

Endlich bin ich wieder in Berlin und damit sicherlich auch ein bedeutendes Stück näher an Uppsala. Am 10. Mai 1819 brach ich von Breslau auf, und am 14. nachmittags traf ich hier ein, woselbst ich unsere Amalia in Wohlbefinden vorfand und gegenwärtig im Gasthofe Hôtel de Brandenbourg am großen Gendarmenmarkt wohne. Am Tage nach meiner Ankunft, als ich unseren Minister besuchte, der mich jedoch wegen Krankheit nicht empfangen konnte, mich aber heute zum Diner eingeladen hat, erhielt ich vom Legationssekretär, einem freundlichen und artigen Manne, zu meiner Freude Dein Briefchen vom 15. März mit den beigefügten etwas ausgewachseneren Briefen von Gumaelius, Schröder, meinen Geschwistern, Sondén dessen Schreiben, komisch genug, schon einmal in Berlin war und durch Protest des Schicksals wieder heimgeschickt wurde) und der Skaldin Euphrosyne. Gott segne und belohne Euch für alle die unwandelbare Herzlichkeit, die unverdiente Liebe, womit Ihr nicht aufhört, mich zu umfassen! Mein tägliches Gebet zu Gott ist, daß er nicht Schwermut und Kränklichkeit mich meiner ganzen Kraft berauben läßt, damit ich doch wenigstens den hundertsten Teil Eurer Erwartungen erfüllen kann. Ich habe in meinem Innern noch, einen schweren Streit durchzukämpfen: Erde und Himmel versuchen und locken mich gleichzeitig, einem von beiden zu folgen. Doch ist wohl dem letzteren, dem ewigen Reiche der göttlichen Barmherzigkeit, im Worthalten mehr zu trauen. So kommt es mir wenigstens vor, so oft es mir glückt, in Tränen auszubrechen, wonach mir immer auf einige Stunden leichter um Herz und Gehirn wird. Aber ich will Dich nicht mit meinen Grillen plagen, um so weniger, als ich hoffe, daß Du mich bei meiner Rückkehr zum Vaterlande in der äußeren Erscheinung männlicher als früher finden wirst.

Ich sehne mich nun recht innig nach dieser Rückkehr, obwohl ich nicht leugnen kann, daß der Blick auf die irdische Seite meiner Zukunft mich bisweilen in eine grausame Verwirrung setzt. Daß ich mich hier draußen durch keinerlei Vorschläge und Anerbietungen festhalten lassen will, wirst Du nicht bloß begreiflich, sondern auch richtig finden. Auch Steffens billigt meine Anschauung und sagt, daß, wie angenehm es ihm auch persönlich wäre, wenn ich in Deutschland bliebe, er dennoch, wenn er jetzt in derselben Lage wäre wie ich, gleichfalls jede Art bürgerlich fixierter freiwilliger Verbannung verwerfen würde. Trotz des hohen Platzes, den er nun als deutscher Professor einnimmt, versicherte er mir, daß er noch sehr häufig von bitteren Gewissensbissen darüber gequält wird, daß er sein Vaterland aufgegeben hat. Auch daß mein erstes entschiedenes Auftreten als deutscher Literat, durch die Natur der Sache und die Beschaffenheit meiner Person, solche Folgen nach sich ziehen müßte, daß ich niemals anders wieder nach Schweden zurückkehren würde, denn als Gast auf kurze Zeit, das hältst Du vermutlich für ebenso wahrscheinlich wie ich, obwohl ich unsere gute Freundin Amalia davon nicht überzeugen kann. Sie behauptet, daß ich hier draußen warten könnte, bis noch einige alte Perücken daheim Zeit zum Sterben gefunden hätten und gewisse Unglückszeichen an unserem politischen Himmel, die für Schweden das Herannahen einer schrecklichen Krisis verkünden, vielleicht vorübergezogen wären. Aber ist denn mein Leib unsterblicher als der der Perücken? Und im Falle Schwedens Untergang oder (was schlimmer wäre) seine Erniedrigung wirklich einträte, wäre es da nicht meine deutliche Pflicht, auch meinen Anteil des bitteren Trankes niederzuschlucken, den man meinen Landsleuten einschenkt, statt bequem als Ausländer südlich von der Ostsee zu sitzen und zuzusehen, wie diese, meine nächsten Freunde sich quälen mit Essig und Galle? Frau Helvig fürchtet, daß ich mich wieder durch Wallmark usw. ärgern und in polemisches Gezänk ziehen lassen werde; doch ich weiß jetzt, daß diese Art Reizbarkeit nunmehr mein Nervensystem verlassen hat, welches indessen leider in gewissen anderen Punkten um so reizbarer geworden ist. Uebrigens mache ich mir ebensowenig wie sie, ja vielleicht noch weniger, irgendwelche Illusionen über meine persönlichen Aussichten für die Zukunft; ich weiß so ziemlich, welchem Schicksal ich entgegengehe. Doch die Zeit geht ihren unveränderlichen Gang weiter; man schleppt sich aus einem einförmigen Tag in den andern, und zuletzt heißt es: Er hat gelebt! Die Bürde ist dann von den Schultern gefallen, und auf dem dunklen Ruhebette, ja vielleicht sogar in der kommenden Welt, fragt man wohl wenig danach, in welcher Weise man hier bei Lebzeiten vertrocknet und verzehrt wurde. Dies ist mein Trost. Im übrigen habe ich manche Gründe, mich in Berlin nicht zu lange aufzuhalten; hätte ich meiner inneren Mahnung folgen dürfen, so würde ich wahrscheinlich schon in acht Tagen nach Stralsund unterwegs sein. Aber ich habe Frau Helvig versprechen müssen, hier bis Mitte Juni zu verweilen – und ich denke, sie hat sich wahrlich so um mich verdient gemacht, daß ich mich ihretwegen wohl in einem Ort vier Wochen aufhalten kann, da ich mich in so vielen anderen Orten dreidoppelt länger aufgehalten habe. Ich merke zwar, daß sie im Stillen glaubt, mich hier noch einen Monat mehr oder noch länger festzuhalten, doch dies soll ihr nicht gelingen, obwohl sie ihre Zuflucht zu den Blumenketten des brillanten Berliner Gesellschaftslebens nimmt, mit denen sie mich von allen Seiten umwindet und dabei hofft, daß ich nach und nach den richtigen Geschmack an allen diesen Herrlichkeiten bekommen werde und dann aufhöre, von meiner Abreise zu reden. Von Groben und Steffens habe ich auch einige Rekommandationsbriefe mitgebracht, in denen ich wahrscheinlich mit der ganzen Uebertreibung der Freundschaft abgemalt bin, so daß es jetzt wirklich in meinem Belieben steht, mich in den glänzendsten Zirkeln der Berliner Welt soviel, wie ich Lust habe, zu tummeln. Aber meine Laune ist, wie Du schon von altersher weißt, gar nicht so recht auf das Sozietäts- und Konversationsleben gerichtet, weshalb ich mich davon zurückhalte, soviel ich nur vermag; selbstverständlich bestrebe ich mich aber doch, so oft ich nicht zurückbleiben kann, so aimable wie möglich zu sein. Amalia ist außer sich vor Vergnügen, weil sie zu merken glaubt, daß man ihren Günstling mit Artigkeit und Distinktion behandelt. Die gute Amalia! ein Herz so voll, so treu, so unveränderlich in Freundschaft lodernd, findet sich nicht in vielen Beispielen auf Erden. – Ihr eigener Umgangskreis ist jetzt viel ungezwungener als vor zwei Jahren. Worüber sie sich ganz besonders freute, war der Umstand, daß ich schon in der ersten Minute Gnade vor den Augen des Generals Gneisenau fand, dem ich am Abend nach meiner Ankunft in einer großen Gesellschaft bei Savignys vorgestellt wurde. Seine Zuvorkommenheit gegen mich ging gleich so weit, daß er nicht bloß den größeren Teil des Abends sich mit mir allein unterhielt, sondern auch, als sich die Gesellschaft zum Souper in mehreren Zimmern um verschiedene kleine Tische verteilte, wobei er selber an einem solchen mit der Wirtin vom Hause und einigen anderen Damen saß (unter denen Frau Helvig) und, von den letzteren aufgefordert, für einen noch ledigen Platz an diesem Tische irgendeinen Herrn aus der Gesellschaft zu wählen, sogleich meinen Namen nannte, worauf ich an der rechten Seite der Frau v. Savigny (an ihrer linken saß Gneisenau) mich billigerweise anstrengte, im Verhältnis zu meiner Ehrenstelle zu interessieren. Amalia war diesen ganzen Abend höchst glückselig darüber, daß das Urteil des preußischen Helden über ihren Freund so offenbar ihr eigenes sanktionierte. Am anderen Tage wurde ich von ihm zu Mittag geladen, wieder höchst freundschaftlich empfangen und lernte dort unter vielen Offizieren einen vortrefflichen Jugendfreund und Kriegskameraden von Gröben und Fouqué, den Oberst von Kanitz, kennen, dem ich ebenfalls von Gröben und Steffens speciatim empfohlen war. Gneisenau, dessen Liebling Gröben ist, stellte uns einander vor und setzte uns bei Tische zusammen, damit wir nach Herzenslust von diesem liebenswürdigen Rittersmanne sprechen könnten. Nachmittags will ich diesen Kanitz besuchen; er ist bloß zwei Jahre älter als ich, hat aber sein Leben klüger eingerichtet, denn er besitzt eine ausgezeichnet schöne und gute Frau nebst sieben munteren Kindern, auch sagt er, daß es ihn noch nie einen Augenblick gereut hat, im Alter von 21 Jahren ins Brautbett gestiegen zu sein.

Ludwig Tieck

Ludwig Tieck

Schleiermacher besuchte ich gestern und werde wohl noch öfter einen Abend bei ihm zubringen, da er in demselben Hause wohnt, welches Tieck mit seinen beiden Töchtern, vom Lande kommend, vor einigen Tagen bezogen hat. Ich frühstückte bei Tieck in Ziebingen am 13. d. Mts. bei meiner Herreise und hätte gewiß länger bei ihm verweilt, wenn nicht seine Mitteilung, in einigen Tagen in Berlin zu sein, mich an die aus vielen Gründen gebotene Notwendigkeit, schnell dorthin zu kommen, erinnert hätte. Mit den besten Empfehlungsschreiben von Steffens und seiner charmanten Frau versehen, welch letztere eine Nichte seiner (Tiecks) Frau ist, konnte mich der äußerst zuvorkommende Empfang bei Tieck nicht wundern, doch machte es einen wunderlichen Eindruck auf mich, in einer Sandwüste – wie es die Mark Brandenburg an dieser Seite ist – den leibhaftigen Frühling, den von allen lebenden Dichtern mit der üppigsten Blumenphantasie begabten Tieck aufsuchen zu müssen. Grauer Nebel lag über der Gegend, und ein feiner Regen fiel an dem Morgen, als ich von dem eine halbe Meile von Ziebingen entfernten elenden Krug abfuhr, in welchem ich auf einer Streu am Boden zwischen einer alten Gouvernante, einem Unteroffizier und einem Judenjungen, in meinen Mantel gehüllt, übernachtet hatte. Endlich sah ich das prächtig gebaute Schloß, in dem Tieck wohnt; rund um dasselbe ist es etwas grüner, auch ein großer Baumgarten ist dabei usw. Ich langte vormittags ½ 9 Uhr an und schickte sofort meinen Kutscher mit Steffens Brief hinauf; dann, als ich hörte, Tieck sei aufgestanden und einigermaßen wohl, ging ich selbst hin; er empfing mich vor der Tür, und ich erkannte ihn sofort aus der Beschreibung, die mir von ihm gemacht worden. Auf einem von langjähriger Gicht gebeugten und zusammengezogenen, im übrigen etwas wohlbeleibten Körper sitzt ein schönes, noch ganz jugendliches Haupt, mit Augen, aus denen Phantasie, Witz, Schmerz und eine bisweilen an Mephistophelismus grenzende Schalkhaftigkeit leuchtet. Er spricht lebhaft, sinnreich, angenehm und mit einer gewissen ungezwungenen Würde, die ihn sehr gut kleidet. Vergangenen Winter war er wieder sehr krank, doch hat er trotzdem seiner ältesten Tochter fleißig aus seinem großen Werke über Shakespeare, das nun bald fertig sein soll, in die Feder diktiert; auch teilte er mir mit, daß der vierte Teil des Phantasus nun bald unter die Presse kommen werde. Sehr angelegentlich erkundigte er sich nach dem Zustande der schwedischen Wissenschaft und besonders nach Bellman, den er durch Rühs kennengelernt hat, der einige Bellmansche Stücke ziemlich gut übersetzt hat. (Der arme Rühs ist jetzt schlimm von der Schwindsucht befallen und auf Anraten der Aerzte unterwegs nach Italien, nachdem er zu seiner größten Verwunderung und ganz gegen seine Ueberzeugung von der augenscheinlichsten Todesgefahr errettet wurde durch – den Magnetismus, an den er nie glauben wollte). Wir sprachen auch viel über die literarischen und politischen Zustände Deutschlands, wobei er mich mit belegten Butterbroten und edlem Rheinwein erfreute; während dieser Unterhaltung hatte seine Frau, die ich nur flüchtig einen Augenblick gesehen, ein Zimmer des Schlosses für mich einrichten lassen, aber ich hatte mir fest vorgenommen zu reisen, und beim Abschied machte er mir den Vorschlag, zu Pfingsten wieder mit ihm von Berlin hierher zu kommen und einige Zeit bei ihm zu verweilen. Ich werde sehen, ob sich das machen läßt. Ich bin sehr neugierig, seine älteste Tochter kennenzulernen, die sehr schön und von ihrem Vater ausgezeichnet intellektuell gebildet sein soll; glücklicherweise hat er die Töchter mit nach Berlin genommen; sie sind, ebenso wie ihre Mutter, eifrige Katholikinnen, und das oft genannte (zwanzigjährige) älteste Mädchen eine so eifrige, daß sie sich nicht bloß über ihres Vaters Unglauben grämt, sondern auch auf eigene Hand beschlossen hat, sobald wie möglich Nonne zu werden, wogegen sich natürlich der Vater, obwohl er sonst sehr entzückt über sie ist, mit Hand und Fuß sträubt. Auch Frau Steffens und ihre schöne Kousine (Reichardts Frau und Töchter waren alle oder sind zum Teil noch als Schönheiten berühmt) wünschen, daß bald ein Ritter kommen möge, um die stolze Schöne vom Klosterleben zu befreien. – Mir scheint dies eine verdiente Strafe für Tieck, der während seiner ganzen Jugendzeit oder eigentlich während seiner ganzen Schriftstellerlaufbahn mit dem Katholizismus so gespielt hat wie mit einer Tonart der Poesie, einer schönen symbolischen Form und nichts weiter, daß nun der Dämon der römischen Kirche schließlich allen Ernstes in sein eigenes Haus dringt und sich seiner Kinder bemächtigt. Uebrigens ist dies immer noch ein besseres Los als das, welches kürzlich Franz Baader in Schwabingen betroffen hat, dessen Tochter, nach seiner eigenen Aussage, vom Teufel besessen ist, der sie, die sonst arglose und unschuldige Jungfrau, unaufhörlich mit unzüchtigen Vorstellungen und Reden plagt. Für jeden, der sich ernstlich mit der Naturphilosophie beschäftigt, gibt es nur zwei Auswege: das Christentum oder die Magie. Schelling und Steffens haben angefangen, das erstere zu wählen; Baader, obwohl er von sich dasselbe in sensu eminentissimo glaubt, hat sich doch offenbar in die zweite verirrt; der tierische Magnetismus steht im Begriff, ihn in seinen dämonischen Abgrund zu ziehen. Du darfst Dich deshalb nicht über den Ton verwundern, in dem Schelling über die erwähnte Angelegenheit schreibt: »Unsern Freund Fr. Baader sehe ich seit einiger Zeit sehr wenig und bin damit ganz wohl zufrieden. Das letzte, was ich von ihm hören mußte, war, daß der Teufel nun endlich Zeichen gebe und ihn (B.) in seinem Hause aufsuche und verfolge. Unter andern sei seine Tochter (die ich als ein reines liebliches Kind kannte) jetzt in Ekstase verfallen, in welcher der böse Geist ihr gottlose und unzüchtige Reden abdringe. Er sprach davon wie von einem erfreulichen Phänomen (so groß ist die Liebhaberei) und schien sich nicht wenig darauf zugute zu tun, daß der Teufel nun endlich Notiz von seinen Angriffen genommen.« – Uebrigens hat mir Baader kürzlich einen freundschaftlichen und interessanten Brief geschickt (nebst einem Exemplar seiner neuesten kleinen Schrift: Sur la Notion du temps), den ich Dir zeigen werde, wenn wir wieder zusammenkommen. Man mag über den Mann sagen, was man will; er ist doch reich an wunderbaren Blicken in das Allerinnerste der Natur. – Gestern besuchte ich Tieck, doch war er schon ausgegangen und hatte nach mir bei Schleiermacher angefragt, und heute früh wünschte Frau Bardeleben, daß ich sie um ½ 10 Uhr nach der Dreifaltigkeitskirche begleitete, um ihren vorgenannten Abgott predigen zu hören; doch schlug ich dieses höflich ab, erstens, um einige Stunden ungestört nach Schweden schreiben zu können, und zweitens, weil Schleiermachers Predigten, von denen ich bei meinem ersten Besuche in Berlin einige hörte, einen weder kalt noch warm ums Herz machen. Nachdem ich die Kammerjungfer mit der Absage entlassen, geriet ich in große Verzweiflung, weil mir einfiel, daß Tieck und seine Töchter, mit denen Frau Bardeleben ebenfalls bekannt ist, möglichenfalls auch von der Partie sein konnten, und daß diese Frau, welche eine große Freundin von Ueberraschungen und romantischen Verhältnissen ist und aus meinem eigenen Munde meine gespannte Sehnsucht nach dem Anblick von Dorothea Tieck erfahren hatte, mir vielleicht romantischer Weise in ihrem eigenen oder im Gotteshause den unvermuteten Anblick verschaffen wollte – bis ich mich endlich besann, daß sie als gute und eifrige Katholikin wohl schwerlich eine andere als die hiesige katholische Kirche besuchen würde. Lächele Du nur über meine ungeduldige Sehnsucht nach der heiligen Dorothea; es ist dies nun einmal meine neueste Narrheit, und wahrscheinlich werde ich sie nur zu sehen brauchen, und ich bin geheilt, wie schon oftmals. – An die Philosophen Hegel und Solger sowie an einen jungen theologischen Professor Neander, der ein paar prächtige Bücher über Kaiser Julian und den heiligen Bernhard geschrieben hat (die Du Dir um jeden Preis anschaffen mußt), habe ich von Breslau Briefe, die ich jedoch noch nicht abgegeben habe. Vielleicht höre ich beim Erstgenannten als hospes ein Kollegium in der Philosophie, vorausgesetzt, daß er zu einer Zeit liest, da die Hitze erträglich ist, denn jetzt brennt die Sonne, daß ich mich nach den Gassen Roms versetzt glaube. – Brentano will nun Mönch werden und ist nach Münster in Westfalen gereist, um dort eine wundertätige Nonne zu besuchen. –

Heute habe ich Hegel besucht, der sehr dürr und dialektisch aussieht und mich anfangs mit Blicken musterte, die sehr deutlich verrieten, daß er mich für einen petit maître oder wenigstens Phantasten hielt; als er schließlich dahinterkam, daß ich ein Freund von Schelling und Steffens wäre, taute er etwas auf und sprach recht vernünftig Unterschiedliches über den gegenwärtigen Stand der Philosophie. Er ist etwas lang, aber noch viel bleicher und ungemein gravitätisch in Haltung, Mienen und Aussprache. – Ich wollte einen Besuch bei Solger auf demselben Gange abmachen, mußte aber wegen des schrecklichen Staubes, der mir völlig die Augen zustopfte, umkehren. Ich glaube nicht, daß ich noch länger in Berlin verweile; das ist ein Ort, der durchaus nicht gut für mich ist. Ich leide an Kopfweh, Magenschmerz und allerhand Nervenübeln, die mich untauglich zu aller Arbeit machen. Wegen des unaufhörlich umherwirbelnden Sandes, auf den brennende Sonnenstrahlen fallen, kann ich nirgends hingehen ohne größte Schmerzen für meine Augen, und sitze ich dann den ganzen Tag bis abends 6 Uhr zu Hause, um welche Zeit ich erst mit Bequemlichkeit umherspazieren kann, dann leidet mein übriger Körper desto mehr unter diesem Mangel an Bewegung. Da hierzu noch das Konversationsleben kommt, welches das A und O der Berliner und Berlinerinnen ist, mich aber wenig erbaut und mir einen schlechten Ersatz für mangelnde Gesundheit und Seelenruhe bietet, so kannst Du leicht einsehen, daß ich mich hier nur gezwungen auf einige Zeit aufhalte und diese für mich eigentlich als verlorene ansehe. Fürchtete ich nicht, Frau Helvig durch ein Betragen, das ihr allzu unfreundlich vorkommen könnte, zu verletzen, dann bräche ich schon in der nächsten Woche auf, nachdem ich meine Gelder und einige Kleider, die ich mir bestellt habe, erhalten hätte. –

Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Ich kann Dich nun, redlicher Freund, mit der Nachricht erfreuen, daß es mir heute geglückt ist, Gelder zu erheben, und belaufen sich diese in preußisch Kurant auf 447 (oder 441, ich entsinne mich nicht genau, da der Bettel bei Frau Helvig liegt) preußische Taler, welche ich teils in dieser Münze, teils in Louisdors erhielt und zum größten Teile Amalien in Verwahrung gab. Gleichwohl mußte ich sofort 100 Scudi an Hjort übersenden – ein bedeutender Abbruch; Byström muß notwendigerweise noch warten, wie leid mir dies auch tut. Hjort versteht sich zu schwenken! er bleibt wenigstens noch bis Oktober in Italien. Den letzten Winter hat er in Rom zugebracht, diesen Sommer will er in Florenz passieren und endlich den Herbst in Venedig. Wenn ich an solches Glück denke, dann kann ich nicht leugnen, daß mir der Mund wässert. – Wie zufrieden hingegen Du damit bist, daß ich nunmehr wahrscheinlich erst im August oder September nach Schweden kommen werde – und Gott gebe wenigstens, daß es dann geschehe! – weiß ich nicht. Ich selbst bin nicht damit zufrieden. Aber setze Dich einmal in die Lage, welche ich Dir sogleich schildern werde, und urteile, ob ich wohl etwas anderes kann, als ad interim nachzugeben! General Gneisenau hat nämlich vor einigen Tagen Helvig und seiner Frau den Vorschlag gemacht, welchen er, wie er sagt, lange vor meiner Ankunft in petto gehabt hat (ich muß hierzu bemerken, daß er mich schon durch meine Briefe an Frau Helvig, durch ihre, Gröbens und Steffens Beschreibungen usw. kannte), mir Haus- und Tischgenossenschaft für die ganze Zeit anzubieten, die ich in Berlin zubringen würde, und hat die Vorgenannten gebeten, ihren ganzen Einfluß anzuwenden, um mich zur Annahme dieses Erbietens zu überreden, indem er aus mancherlei Gründen glaubt, es wäre nützlich für mich, nicht so bald wieder nach Schweden zurückzukommen. Daß Frau Helvig und ihr Mann, die sich alle beide gleich warm für alles ereifern, was sie für mein Bestes halten, und mich gern noch recht lange hier draußen behalten möchten, mit aller möglichen Beredsamkeit diesen Vorschlag unterstützten, begreifst Du gewiß, und ich kann wohl sagen, daß sie mich während zwei oder drei Tagen unaufhörlich bestürmten, noch dazu mit Gründen, die mein Verstand gezwungen ist, vernünftig zu finden, obwohl mein Herz jetzt mehr denn je am anderen Ufer der Ostsee weilt. Gestern abend habe ich endlich nachgegeben, als Frau Helvig fast im Zorn mir vorwarf, daß ich wegen einiger »Schäfer-Ideen« eine ebenso solide wie glänzende Wirklichkeit opfern und ein Glück von mir stoßen wollte, welches, wenn man den gewöhnlichen Gang meines Lebens betrachte, mir wieder so unvermutet auf die Nase falle, daß man es nicht anders als für einen bestimmten Befehl und göttlichen Fingerzeig ansehen könne. Heute hat sie an Gneisenau geschrieben – der sich aus Delikatesse nicht gleich unmittelbar an mich wenden wollte –, daß ich seine Proposition angenommen hätte, und morgen schon wird er mich wahrscheinlich in seinen Palast abholen. Ist dies nicht wieder ein kurioses Abenteuer?

Jetzt wirst Du wohl leicht einsehen, daß ich, wenn ich etwas mehr innere Ruhe als gegenwärtig wiedergefunden haben werde, diesen Zustand aller nur denkbaren äußeren Bequemlichkeit zu meinen literarischen Arbeiten vortrefflich benutzen kann, und dies ist gerade Gneisenaus Absicht, während ich gleichzeitig in seiner Gesellschaft die ausgezeichnetsten Menschen von beiden Geschlechtern Berlins kennenlerne, wobei mir als einem Schützling, ja sogar Freund dieses gefeierten Helden alle mit Freundlichkeit und Achtung begegnen werden, nicht zu gedenken dessen, was ich im Umgange mit ihm selbst – dieser im Charakter fürstlichen Natur in des Wortes edelster Bedeutung und so praktisch eingeweiht in die Geheimnisse der Zeitereignisse – lernen werde. Es ist ferner leicht einzusehen, daß sich die Mächtigen Stockholms etwas darüber wundern werden, wenn sie sehen, wie die hochgeachtetsten Magnaten anderer Länder jemand, den sie für einen Narren halten, behandeln; sowie ferner, daß es nun völlig von mir selbst abhängt, wenn ich Lust habe, von Berlin aus in aller Gemächlichkeit hinreichende Packen zur Fortsetzung der Exzentrisierung der schwedischen schönen Wissenschaften hinüberzusenden, indem ich hier draußen hinsichtlich meines Lebensunterhaltes keine andere Pflicht zu erfüllen habe, als nicht zu schlemmen in Speise und Trank usw. Freilich ist es sehr leicht zu begreifen, daß man hinter diesem Plan bloß einen anderen verbirgt, den nämlich, mich überhaupt in Deutschland längere Zeit zurückzuhalten; deshalb spricht man mir von Reisen nach dem Rheinstrome, nach Weimar usw., ja, daß man bei einer hier in Angriff zu nehmenden Reform der Universitäten Norddeutschlands mich um Rat fragen wolle hinsichtlich einiger Punkte, z.B. unserer Landsmannschaften, von denen man hier draußen eine höchst dunkle, aber verkehrte Vorstellung hat. Helvig und Amalia jubeln; mir ist jedoch nicht recht wohl zu Mut, obgleich ich natürlicherweise äußerlich gute Miene zum bösen Spiel machen und mich stellen muß, als ob ich auf dem besten Wege sei, ein nationalisierter Berliner zu werden. Ich werde alles Mögliche tun, um wenigstens zum Herbste heimzukehren; ich sehne mich herzlich weg von all dieser Herrlichkeit und wünsche zu Gott, daß ich bald die Zeit erlebe, da man in einem weniger glänzenden, aber herzlicheren Umgangskreise von mir nicht fordert, immer verdammt verständig zu sein. Es brennt mir auf der Seele, daß ich in einigen trockenen Zeilen meinen Schwestern, von denen ich neulich die zärtlichsten und entzückendsten Briefe erhielt, die in der Hoffnung geschrieben waren, mich binnen kurzem zu sehen – und dies ist wirklich die einzige positive Seligkeit, welche meine jüngste Schwester genießt – daß ich meinem alten Großvater, dessen einundneunzigster Geburtstag am Johannistage von meinen versammelten Verwandten gefeiert wird, und der täglich Gott bittet, nur noch einmal seinen geliebtesten Enkel auf Erden umarmen zu können – daß ich allen diesen angebeteten Menschen sagen muß, wie es aus gewissen hochweisen und hochwichtigen, im Grunde genommen aber ziemlich egoistischen Ursachen nötig ist, das Vergnügen der Schwestern noch um weitere drei Monate zu verzögern und die Erfüllung des Gebetes des Großvaters vielleicht unmöglich zu machen. Doch alles dieses nennt Amalia »Schäfer-Ideen«! ebenso wie meine Sehnsucht, Schweden gerade in der Jahreszeit wiederzusehen, da es am schönsten ist. – Möge Gott alles zum Besten lenken! Ich füge mich in die Notwendigkeit, welche äußerst wohlwollende Menschen – und vielleicht dennoch zu meinem Glücke! – mir aufgedrungen haben.

Morgen ziehe ich zu General Gneisenau. Ich werde nun, da ich hierdurch auf einige Zeit wieder sozusagen auf festen Fuß komme, »Svea« usw. so fleißig in Gedanken haben, wie es die starke Sommerhitze und allerlei Uebel gestatten wollen. In vier Wochen hoffe ich einen ziemlichen Packen mit Versen und Prosa zum Hinübersenden fertig zu haben für das dritte Heft der »Svea« (das zweite Heft wird doch wohl schon herausgekommen sein) sowie ein paar Dutzend Gedichte für den Kalender des nächsten Jahres. »Sveas« Fortgang freut mich unendlich und überhaupt die außerordentliche literarische Tätigkeit, welche jetzt meine Uppsaliensischen Freunde auszeichnet. Daß ich nicht ebenso arbeitsam sein kann, solange ich noch mein Reiseleben fortsetze und täglich von tausendfältigen Zerstreuungen umgeben bin, ist wohl verzeihlich; inzwischen habe ich aber doch meine Zeit nicht ganz und gar vergeudet, und sitze ich erst wieder fest in Uppsala, so habe ich reiche Materialien zur Bearbeitung. – Hier will man mich nolentem volentem zu einer Art deutschen Poeten machen und mich überreden, in Kompanie mit Achim von Arnim an Herausgabe einer Berliner Zeitschrift, »Der Gesellschafter«, teilzunehmen. Gott weiß, was man von mir nicht alles will! –

August Graf Neithardt von Gneisenau

August Graf Neithardt von Gneisenau

Uebermorgen reise ich mit Herrn von Schütz (Verfasser von Lacrimas usw.), der Tieck nach Berlin begleitete, aufs Land zu Fouqué und komme Freitagabend zurück. – Morgen abend werde ich bei Solger Gelegenheit haben, mit Tieck und der Nonne zusammenzusein. –

Schellings Weltalter sind noch nicht ans Licht gekommen. Zwar hat mir der Verfasser erst neulich versichert, daß die Arbeit ihrer Vollendung ganz nahe ist; aber dies hat er seinen Freunden seit mehreren Jahren versichert. Er sagt, daß er mit diesem Werk wenigstens sich selber befriedigen will und daß dies die Hauptursache seines langen Zögerns bildet. Das kann ich leicht begreifen! aber in einem Werk tantae molis ist es schwer, ja vielleicht unmöglich, ein vollständiges Selbstzufriedenstellen zu erreichen. Er mahnt mich indessen, mein in München gegebenes Versprechen, nämlich sein Werk ins Schwedische zu übersetzen, nicht zu vergessen, und sagt mir die schönsten Dinge über die Hoffnungen, welche er auf diese Uebersetzung baut. Gott! ich will ja tun, was ich kann, wenn ich nur das Buch erst in meine Hände bekäme. Grüßt Bruder Grubbe und sagt ihm, daß er am besten täte, nicht länger darauf zu warten, sondern auf alle Fälle hin seine Abhandlung für die »Svea« fertig zu machen. Wenn dann die Weltalter erscheinen, kann er ihr ja, gleichsam als Beilage, eine Übersicht des Standes der Philosophie beigeben, in welchem sie in jenen dargestellt wird. Inzwischen kann er seine Abhandlung damit schließen, daß er Hegel und Fries charakterisiert, die gegenwärtig während des Schweigens von Seiten Schellings die Hauptrolle in der deutschen Philosophie zu spielen scheinen. Daß der erstere durch seine vornehme und (was man nicht leugnen kann) solide Dialektik, seine strenge Methode usw. scharfsinnigen und ernsten Köpfen imponiert, ist nicht mehr wie billig; wunderbarer ist jedoch, daß der letztere, ungeachtet seiner breiten, wässerigen Nullität, in neuerer Zeit einige lärmende Schildknappen gefunden hat, die sein Lob überall ausposaunen – wie z. B. den hier in Berlin hausierenden Socian De Wette – und daß er gleichzeitig bei der Wartburg-Turner-Partei der deutschen Jugend durch sein Auftreten beim Wartburgfest und den revolutionären Geruch, mit dem er sich seitdem umgibt, eine Art Popularität gewonnen hat –

Meine Gesundheit leidet so sehr von der Hitze, dem Staube und der stickigen Luft, daß ich mich doch noch ein paar Tage besinnen will, ehe ich Gneisenaus Anerbieten annehme. Tieck will, daß ich ihm zu Pfingsten aufs Land folge und dort einige Tage zubringe; aber ich fühle doch, daß ich diesen Herrlichkeiten bald Ade sagen und heimkehren muß. Ich kann ja später einmal nach Deutschland zurückkehren und dann länger bleiben.

Recht schwer wird es mir, so schnell von Frau Helvig zu scheiden, der ich so innig gut bin und die mich so gern längere Zeit hier behielte, um so mehr, als wir bis jetzt noch nicht die Zeit hatten, einander ungestört etwas Ordentliches über unsere beiderseitigen Projekte, Manuskripte usw. mitteilen zu können. Nachgerade kommt sie aber selbst zu dem Glauben, daß eine baldige Heimreise für mich eine physische Notwendigkeit ist – Gestern abend sah ich in einer Gesellschaft aus allerlei Herren und Damen, die beim Professor Solger vor dem Potsdamer Tor in einem schönen Baumgarten versammelt war, zum ersten Male Tiecks älteste Tochter, die dort draußen bei Solgers wohnt, während ihr Vater in der Stadt lebt. Sie ist körperlich und geistig ein schönes Mädchen, schade, daß sie keine Schwedin ist!

Es ist mir schwer geworden, Gröbens und Steffens Familien in Breslau zu verlassen. Bei Steffens brachte ich die letzte Nacht zu, nachdem ich abends zuvor mit tiefem Schmerz von Groben und seiner engelgleichen Frau in dem von weißblühenden Bäumen idyllisch umgebenen Pöppelwitz Abschied genommen hatte. Steffens hatte den redlichen v. d. Hagen und andere eingeladen, und so plauderten wir noch am anderen Morgen von 4 bis 6 Uhr zusammen, bis mein Wagen ankam. Es ist eine schlimme Sache mit dem Trennen und Abschiednehmen, die beide unfehlbar mit dem Reiseleben verbunden sind, wenigstens bei Reisenden, die sich für Menschen interessieren und diesen wiederum interessant sind. Am nächsten Orte knüpft man wieder neue Fäden an, die dann auch bald gewaltsam zerrissen werden müssen, und die vielen in beständiger Abwechslung anstürmenden Rührungen von Freude und Schmerz lassen als Residuum das bittere Gefühl zurück, als huschte man wie ein Schatten, wie ein Traum an den holdesten menschlichen Banden vorüber, durch welche so viele andere Wesen, wiewohl inmitten der größten Tätigkeit, in einen gewissen ruhenden und erfrischenden Zustand versetzt werden. Meine Freunde können sich kaum vorstellen, wie müde ich mich oft in meinem Innern fühle, während meine Pflicht und äußere Stellung mich zwingt, wenigstens einigermaßen die Spannkraft der Seele aufrecht zu erhalten. – Ueber meine Reise von Breslau nach Berlin könnte ich Verschiedenes zu Eurem Ergötzen mitteilen, obwohl der Weg im ganzen prosaisch war, aber ich will dies für unsere mündliche Unterhaltung aufsparen. –

Anfangs lebte ich hier in ununterbrochenem Saus und Braus, hineingezogen in eine Menge Familien und Gesellschaften, so daß fast meine ganze Zeit mit Dinieren, Soupieren, Teetrinken unter gebildeten (holte doch der Teufel die ganze Bildung hier! so ausmergelnd wirkt diese auf Herz und Charakter der Berliner, daß sie alles gelesen haben und über alles Denkbare in der zierlichsten Weise plappern können!) Herren und Damen, Vormittagsbesuchen usw. verlorenging. Nun habe ich mich wieder in eine ziemliche Stille zurückgezogen und werde deswegen hier von manchem geradeso wie in Schweden für einen misanthropischen Phantasten angesehen. Selbstverständlich stehe ich immer noch in einem gewissen Zusammenhange mit der großen Welt, da ich in dem glänzenden Hause Gneisenaus, des Gouverneurs der Hauptstadt, wohne (woselbst meine einzige Sorge ist, mir nicht an den unzähligen Leckereien und kostbaren Weinen den Magen zu verderben) und mit Frau Helvig in Verbindung bleibe, die auch dann und wann gern einen Kreis geputzter, sprechender und Tee trinkender Gestalten um sich sieht. Die angenehmsten Mittagsmahlzeiten sind diejenigen, welche Gneisenau mitunter im Tiergarten unter freiem Himmel und unter hohen, grünen Bäumen gibt; bei diesen hatte ich auch mehrere Male an der Seite des höchst liebenswürdigen Tieck, der noch in Berlin ist, recht angenehme Augenblicke. Dort traf ich auch vor einigen Tagen den bekannten Arzt Weigel aus Stockholm, den ich zuvor nicht gekannt hatte, und wir wurden von Gneisenau einander vorgestellt. Er schien sich etwas darüber zu wundern, mich in solchen Beziehungen zu finden. – Ich habe Tieck einige Male vorlesen hören, an einem Abend bei der Frau v. Helvig aus Shakespeares Heinrich IV., an einem anderen beim Major v. Kanitz aus seinem Phantasus: »Die verkehrte Welt.« Es ist dies ein unbeschreiblicher Genuß; man hört jede Rolle vor dem Ohr in der bestimmtesten Individualität spielen, und zwar weit vollkommener, als dies auf dem Theater geschehen kann. Zu dem tiefen poetischen Gefühl, das sein Lesen durchweht, kommt noch seine so biegsame, vielsaitige Stimme, so daß, wenn man ihn nicht anblickt und nicht daran denkt, daß alle diese Stimmen aus seinem Munde hervorgehen, man versucht wird zu glauben, es befände sich im Zimmer eine ganze Gesellschaft von Schauspielern. Er wohnt in Reimers großem Palast am Wilhelmsplatz, hat einen großen Saal mit ungeheuren Wandspiegeln sowie stattlichen Fußteppichen und Glastüren, die nach einem grünen Platz und dem kühlen und behaglichen Baumgang eines Parkes führen, in dem er oftmals auf- und abwandelt. Da er jedoch von der Gicht bedauernswert gekrümmt und nicht leicht auf den Füßen ist, sitzt er am liebsten auf der breiten Treppe vor den Glastüren, wohin man einen Tisch von elegantester Form gestellt und darüber einen grünseidenen Vorhang gespannt hat, so daß Tieck mit seinem Buch oder seiner Feder dort wie unter einem Thronhimmel und geschützt gegen die oft allzu väterlich glühenden Sonnenstrahlen sitzt. Ich besuchte ihn dort bisweilen und brachte am vergangenen Montag den ganzen Vormittag bei ihm zu. Seine schöne Tochter Dorothea durfte leider nicht lange in Berlin weilen, denn sie mußte mit Schütz nach dem Schlosse Ziebingen zurück, um dort die goldene Hochzeit der alten Herrschaft (des Herrn v. Burgsdorf und Frau) feiern zu helfen. Sie beschrieb dies bald darauf sehr poetisch in einem Briefe an ihren Vater, der sich wohl über den Brief freute, doch mehr noch über das Glück, nicht dabeigewesen zu sein, und als ihm einige Damen diese »finstere Sinnesart« vorwarfen, antwortete er lachend: »Die Schmerzen des Lebens kann ich so ziemlich ertragen, aber die Lustbarkeiten desselben, die gehen über mein Vermögen!« – Tiecks steinerner Bruder (so wird er von seiner Nichte genannt), nämlich der Bildhauer Fr. Tieck, ist nun auch in Berlin; er ist ein talentvoller und angenehmer Mann. Mit ihm ist hier der Bildhauer Rauch, der ausgezeichnetste Bildhauer Preußens der Jetztzeit, mit dem ich schon in Rom beim Feste des Kronprinzen von Bayern zusammentraf. Er ist ein einfacher, lebhafter und artiger Mann, von großem Verdienst in seiner Kunst und einer gewissen eigentümlichen, ungesuchten und außerordentlichen Weichheit und Feinheit (doch ohne alle Schlaffheit) in seinem Stil. Er war zuerst Kammerdiener bei der verstorbenen Königin Luise, die sein Talent entdeckte und ihm die Mittel gewährte, seiner Neigung zu folgen. Er hatte darauf auch die (obschon traurige) Befriedigung, daß seine erste große Komposition ein unvergleichliches Denkmal für seine Wohltäterin ward.

Ehe ich es wieder vergesse, will ich Dir kundtun, im Falle Du es nicht schon weißt und das Buch besitzest, daß ich von Gneisenau ein höchst vorzügliches Buch von ungefähr derselben Idee und demselben Plan geliehen erhielt wie Dein berühmtes großes Werk; es heißt: »Die Erdkunde im Verhältnis zur Natur und zur Geschichte des Menschen, oder allgemeine, vergleichende Geographie, als sichere Grundlage des Studiums und Unterrichts in physikalischen und historischen Wissenschaften, von Carl Ritter, Berlin 1817, bei Reimer.« Zwei Teile liegen bei mir, aber ich weiß nicht genau, wie viele herausgekommen sind; ich glaube vier, das Werk wird sehr groß.

In Deinem Briefe, datiert Stockholm, Mitsommerabend 1818, sagst Du, daß der letzte Brief, den Du von mir an Geijer gesehen hast, mit meiner Reise durch die Apenninen schloß. Du wirst nachträglich wohl noch eine Abteilung desselben Briefes, der meinen Einzug in Rom und allerhand römische Stoffe behandelte, gesehen haben. Ihr sollt bald wieder eine neue lange italienische Epistel von mir erhalten, geeignet, wenn Ihr es für gut befindet, in die »Svea« aufgenommen zu werden. Im Falle in meinen älteren Briefen unterschiedliche Dinge vorkommen, die für die Frauenzimmer in Uppsala nicht ziemlich sind, was sehr leicht möglich ist, so geschah dies deswegen, weil diese Briefe eigentlich an Männer gerichtet waren. Im übrigen kann es wohl vorkommen, daß ich durch den langen Umgang mit deutschen Damen vergessen habe, wie außerordentlich dezent die schwedischen sind. Ich werde auch wohl gezwungen werden, mich wieder in der alten schwedischen Ehrbarkeit zu üben. Wie sich wohl unsere nordischen Damen entsetzen würden, wenn sie zu hören bekämen, was sich eine Italienerin zu sagen erlauben kann, ohne deswegen für unanständig gehalten zu werden! Im Munde einer schwedischen Frau oder Jungfrau würde eine solche Sprache allerdings eine unerhörte Frechheit verraten; in Italien faßt man dies ganz unschuldig auf, antwortet im selbigen Tone und denkt bloß: jedes Land hat seine eigenen Sitten. – Eine ziemlich junge und gebildete Römerin, die für eine der tugendhaftesten ihres Geschlechts gehalten wurde und obendrein wußte, daß ich kein Arzt war, fragte mich eines Tages mit der unschuldigsten Miene von der Welt, ob die kurzen Röcke der nordischen Alpenbewohnerinnen nicht sehr schädlichen Einfluß auf einen gewissen naturgemäßen Vorgang des Geschlechts hätten, den sie ganz deutlich nannte. Fast außer Fassung geraten, antwortete ich doch mit größtem Ernste, daß die Betreffenden von Jugend auf derart gegen Kälte und Feuchtigkeit abgehärtet wären, daß ihnen die kurze Kleidung nichts schadete, mit welcher Erklärung sich die Dame zufrieden gab. Hinsichtlich dieser Naivität kenne ich kaum ein spaßhafteres Beispiel als das, welches einem deutschen Landschaftsmaler meiner Bekanntschaft widerfuhr, der eben in Rom angekommen, in die Abendgesellschaft einer jungen und schönen römischen Fürstin eingeführt wurde. Die Dame des Hauses erwies ihm viele Aufmerksamkeit, hatte sich aber bei seiner Vorstellung in Bezug auf seinen Künstlerstand verhört, indem sie ihn für einen Musikkomponisten hielt, weshalb sie ihn schließlich ersuchte, die Gesellschaft mit einem Geschenk seines großen musikalischen Talents zu erfreuen. Wenn man dies nicht besitzt, pflegt man in Deutschland gewöhnlich zu antworten: »Ich bin nicht musikalisch!« Demgemäß erwiderte er also sehr höflich und völlig ernst auf Italienisch (der Mann ist schon bei Jahren): »Non sono Musico!« Zu seinem größten Erstaunen sprang nun die Wirtin mehrere Male im Zimmer umher, schlug lachend die Hände zusammen und rief einmal über das andere: »Felice lei!« (wohl ihm!). Späterhin erfuhr er von Freunden, die sich länger in Rom aufgehalten hatten, daß Musico dort die anständigere Benennung für Kastrat ist. – Aehnliche charakteristische Züge, welche einen klareren Begriff über das geschlechtliche Verhältnis der Italiener geben als lange räsonierende Beschreibungen, kann man doch wohl, wenn auch nicht gerade in Briefen an Frauenzimmer, so doch zum mindesten in gedruckten oder für den Druck bestimmten Schriften mitteilen; oder sollte man etwa, bloß weil man von einigen Leserinnen für indezent erklärt werden könnte, in einer Reisebeschreibung einen so charakteristischen Zug verschweigen wie den, daß der gewöhnliche Schwur, die gewöhnliche Formel des Ausdrucks der Ungeduld, des Zornes, der Verwunderung und der Versicherung in der ganzen italienischen Nation nichts weiter ist als das Aussprechen des Wortes »cazzo!« (Phallus), also im Grunde genommen ein Nachklang aus der antiken Priapus-Religion? Hierbei erfordert der weibliche Anstand nur, daß man bloß die erste Silbe des Wortes (ca!) hören läßt, wenn Männer, besonders Ausländer, zugegen sind; aber merken die Damen nicht, daß man in ihrer Nähe ist, dann kann man aus dem Munde der feinsten Frauenzimmer einmal über das andere cazzo rufen hören.

Heute war ich im Tiergarten an Gneisenaus Tafel zusammen mit Böckh (dem gelehrten Kommentator Platos und des musikalischen Systems der Alten), der mir mitteilte, daß er einen Brief voller Bewunderung von Grönland in Kopenhagen erhalten habe, der ihm außerdem ich weiß nicht mehr welche Arbeit dediziert hat; in dem Briefe sagt Grönland, der für Böckh sonst eine völlig unbekannte Persönlichkeit war, daß er in seinem eigenen undankbaren Vaterlande nicht viel gelte, aber desto mehr Beifall in Schweden erhalte, woselbst das gründliche Betreiben der Musik im besten Gange zu sein schiene; nur ein alter Kapellmeister in Uppsala, der nicht ohne Verdienst, aber einseitig und mürrisch sei und von einem dortigen intriganten Professor namens Geijer unterstützt würde, suchte immer noch, wiewohl vergeblich, seiner guten Sache und seiner Ehre entgegenzuarbeiten. Böckh fragte mich, wie es damit zusammenhänge; ich erwiderte ihm, daß diese in Schweden so weit verbreitete Grönländische Ehre mir völlig unbekannt wäre. – Seitdem der General Gneisenau vor einigen Tagen nach Schlesien gereist ist, lebe ich ganz vereinsamt in seinem Hause mit seiner fünfzehnjährigen Tochter – muß aber hierbei bemerken, daß die junge Komtesse eine Gouvernante als Wächterin und Beschützerin bei sich hat. Glücklicherweise ist diese nicht bloß sehr gesprächig wie alle Gouvernanten, sondern auch wirklich recht verständig und gebildet. Die Abende – wenn ich nicht, wie häufig geschieht, zu anderen Gesellschaften geladen bin – verbringe ich gewöhnlich bei Helvigs, und zwar größtenteils in peripatetischer Konversation mit der Generalin in ihrem Park. – Nach einiger Zeit mache ich vielleicht einen Ausflug aufs Land zu Tieck, der Berlin vor fünf Tagen verlassen hat, aber im Herbst zurückkommt und sich vielleicht für immer hier niederläßt, da die Regierung beschlossen hat, ihm eine Ehrenpension zu geben. – Weiß man schon in Schweden, daß A. W. Schlegels junge Frau diesen öffentlich wegen ehelichen Unvermögens verklagt hat und von ihm geschieden sein will? Um diesen Skandal noch skandalöser zu machen, hat sie erklärt, daß sie »aus zarter Schonung« ihn bloß dieses kleinen Mangels bezichtigen wolle, weil derselbe allein schon hinreichend wäre, ihre Ehe ungültig zu erklären, sonst würde sie genötigt gewesen sein, noch dunklere Seiten eines Mannes zu entblößen, dessen große Berühmtheit darunter sehr leiden würde usw. – Nach einigen Wochen schicke ich einen Packen für die »Svea«; in den ersten Tagen des September komme ich selbst an, vielleicht auch noch früher. Ich sehne mich sehr nach Schweden.


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