Per Daniel Amadeus Atterbom
Menschen und Städte
Per Daniel Amadeus Atterbom

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Dresden

Die Art zu reisen, welche ich diesmal wählte, nämlich mit einem sogenannten Lohnkutscher, ist zweifelsohne die geratenste, die man wählen kann, wenn man nicht reich genug ist, um für alleinige Rechnung mit Extrapost fahren zu können, und nicht arm genug, um sich mit der unleidlichen ordinären Post quälen zu brauchen. Solch ein deutscher Vetturin ist ein Mann, der es mit eigenem Wagen und eigenen Pferden übernimmt, den Reisenden von einem gewissen Hauptorte zu einem anderen zu schaffen für eine angemessene, im voraus bedungene Summe, in welche aber nicht, wie in Italien, das mitbegriffen ist, was man unterwegs für Speisung und Nachtquartier der eigenen Person zu verbrauchen hat. Natürlicherweise soll der Preis in den westlichen und südlichen Teilen Deutschlands geringer sein, weil dort die Kommunikation weit lebhafter ist und die großen Städte näher beieinander liegen; dennoch fand ich mein erstes Lehrgeld billig genug. Der viersitzige Wagen war nett und geräumig, wozu sich der Vorzug gesellte, daß sich nur ein einziger Reisekamerad angemeldet hatte, nämlich ein munterer und gesprächiger Graveur namens Jachtmann, dessen Freundlichkeit und Gefälligkeit mir mehrfach nützlich ward. Auch der junge Kutscher war lustig und artig, kräftig und sonnenverbrannt, trug eine hellgrüne Manchesterjacke und einen schwarzen Wachstuchhut, erzählte Geschichten, fuhr in der Sonnenhitze und im Sande schärfer, als wir billigerweise verlangen konnten, und benutzte trotz aller Warnungstafeln der Obrigkeiten und Gutsherren frischweg jeden Richtweg über Aecker, Parks und Wiesen, wobei er nur ein einziges Mal in Gefahr geriet, abgeschnitten und gepfändet zu werden, aber mit seinem Fuhrwerk glücklich durchschlüpfte.

Das schöne Sachsen, von dem sich die Preußen die Hälfte erobert haben und dafür sowohl in dem unterworfenen wie in dem noch freien Teile mit Raserei gehaßt werden, ist eins der herrlichsten Länder Deutschlands.

Es nützt zu nichts, Dir geschriebene Landschaftsbilder von Dresden und dessen Umgebung, von der Elbe, der Brücke, den Weinbergen und den freundlichen Dörfern, von der sogenannten Sächsischen Schweiz usw. zu schicken; denn wenn man nicht selbst zur Stelle war, weiß man doch nicht, wie es hier aussieht. Auch fehlt es mir an Zeit, um Dir die schöne Gemäldegalerie zu beschreiben, bei deren erstem Betreten einem fast schwindlig wird vor der gleich Meereswogen überwallenden Herrlichkeit.

Das Volk in Dresden ist recht liebenswürdig, obgleich ihm noch das galante Sachsen (von Augusts Zeit her) zu sehr in der Haut steckt. Im übrigen grassiert hier, ich weiß nicht weshalb, die Englische Krankheit gräßlich, so daß man eine unglaubliche Menge von Krüppeln und Verwachsenen aller Art sieht, obwohl die Leute im allgemeinen ziemlich hübsch sind.

In der Person des jungen dänischen Literaten Hjort habe ich einen neuen Bundesgenossen und Freund gefunden. Er ist der Verfasser der vortrefflichen 12 Paragraphen (in Mollbechs Athene) über Jens Baggesen und ein Mann, in dessen Wesen sich die naivste, herzlichste Natur liebenswürdig mit einem ebenso festen Charakter wie ausgezeichneten Verstande und Geistesbildung vereinigt. Er kam vor ungefähr fünf Wochen von Berlin hierher mit einem jungen und reichen, aber kränklichen dänischen Baron, der wegen seiner Gesundheit kurz zuvor unter Oehlenschlägers leitender Fürsorge Deutschland und Frankreich durchzog und nun beschlossen hat, in Hjorts Gesellschaft seine Reise ins Ausland weiter auszudehnen. Bald nach seiner Ankunft suchte er mich auf, und unser erstes Zusammentreffen war hinreichend, ein Band für die Ewigkeit zu knüpfen, und meine Beschützerin (Frau v. Helvig) hatte bloß zehn Minuten mit ihm gesprochen, als sie mir mit der ganzen Heftigkeit, die ihr so wohl steht, erklärte: dieser Mensch reist nach Rom und Sie folgen ihm im Augenblick, denn kein Sterblicher eignet sich besser zu Ihrem Reisekameraden! – Und wahrhaftig, außer seinen übrigen vortrefflichen Eigenschaften ist er auch im Besitze der für mich durchaus unentbehrlichen, in allem, was das gewöhnliche praktische Leben und die mannigfaltigen Vorkehrungen zu einer langen Reise betrifft, bedeutend anstelliger und erfahrener zu sein als ich. –

Seit einiger Zeit habe ich angefangen, Sprachstunden zu nehmen nel dolce parlar Italiano, und rate nur bei wem? Bei einem jungen, liebenswürdigen Fräulein, Fanny von Unruh, die mit ihrer Mutter, der Generalin von Unruh, neun Jahre in Florenz und zwei in Rom gelebt hat.

Caspar David Friedrich

Caspar David Friedrich

Du fragst, ob die Sprache Schwedens in Deutschland bekannter ist als die Kamtschatkas? Nicht viel mehr. Du fragst weiter, welchen Begriff man sich von der schwedischen Literatur macht? Ungefähr denselben wie wir von der russischen. Wohl trifft man hie und da einen deutschen Gelehrten, der Schwedisch versteht und schwedische Schriften liest, aber das letztere geschieht dann einzig und allein aus wissenschaftlichen Gründen, z. B. philologischen oder historischen. Hier in Dresden leben zwei nordische Sprachkenner, nämlich Friedrich Kuhn, der verdienstvolle Uebersetzer Camoens, und der Geh. Legationsrat von Beigel, der Oberaufsichtsbeamte der Königlichen Bibliothek. Der letztere zeigte mir heute, daß die Bibliothek eine ziemliche Menge schwedischer Bücher enthält, besonders solche von historischem Inhalt, und wünschte, die neueren Erzeugnisse unserer Literatur zu erhalten; der erstere äußerte sich lobend über die unserer Sprache inneliegende poetische Kraft und deren Wohlklang. Soviel steht fest, daß die Zahl dieser Kenner im gesamten Deutschland nicht zu groß ist, um sie nicht bei Namen aufzählen zu können, wobei noch die ex professo skandinavischen Forscher wie Rühs in Berlin, die Gebrüder Grimm in Kassel, von der Hagen und Büsching in Breslau die größte Summe ausmachen würden. – Arndts Reiseschilderungen über Schweden sind, Gott weiß weswegen, nur wenig in Umlauf gekommen; vielleicht hat man sie zu vielwortig und zu sehr bei Kleinigkeiten verweilend gefunden. Deshalb ist sogar Bellman, der in dem erwähnten Werke so genau und vortrefflich gezeichnet ist, den Deutschen nicht minder unbekannt geblieben wie unser vortrefflicher Landschaftsmaler Fahlcrantz, von dem hier niemand etwas weiß, obwohl er unter den deutschen Künstlern schwerlich seinesgleichen hat. Dahingegen verstehen es die Dänen vortrefflich, sich und ihre Leistungen in Deutschland überall bekanntzumachen, indem sie in allen möglichen deutschen Zeitungen und Schriften ihr eigenes Lob fleißig ausposaunen. Bei solcher Gelegenheit erwähnen sie im Vorbeigehen auch mitunter Schwedens, und dadurch sind wir den Deutschen ein wenig bekannter geworden. Es hat aber für uns etwas Demütigendes, die Aufmerksamkeit zu sehen, welche sie den Dänen, hauptsächlich wegen Oehlenschläger, erweisen. Daß Fahlcrantz hier draußen nicht bekannt ist, ärgert mich; vielleicht hat man hier nicht einmal einen solchen Landschaftsmaler wie ihn. Friedrich, mit dem ich gern zusammenkomme, da er als Mensch wie als Maler gleich gemütvoll ist, hat einige Gemälde des nordischen Claude Lorrain gesehen, ich glaube bei Arndt (Friedrich ist Pommer wie dieser und hält sich für einen halben Schweden), und rühmte deren Geist und Tendenz, aber sagte doch, daß er mit ihrer Ausführung nicht völlig zufrieden wäre. Es ist möglich, daß diese Stücke zu den älteren oder weniger bedeutenden von Fahlcrantz gehörten oder daß Friedrich, der ein Metaphysikus mit dem Pinsel ist, in ihnen zuwenig symbolische Bedeutung fand. Er hat neulich ein Altarbild gemalt, welches göttlich schön ist: eine majestätische Waldlandschaft, auf der inmitten der höchsten Bergesspitzen', hoch über gewaltigen Fichten und dunklen niederen Partien, ein kolossales Schwert mit der Spitze in den Felsenboden gestoßen ist und so als leuchtendes Kreuz im goldigen Sonnenschimmer den Beschauer begrüßt. Mehr darüber und weniger konfus, wenn wir zusammen sind. Auch Hartmann hat ein wundervolles Gemälde geschaffen, welches den im Buche der Offenbarung besprochenen Tod auf seinem schwarzen Pferde, an der Spitze sei? ner gräßlichen Scharen, mit Allusion auf Napoleon darstellt. Reich in der Komposition, wie das Gemälde ist, erfordert es eine weitläufige Beschreibung, welche hier noch am Platze ist. Hjort bemerkte, vielleicht nicht mit Unrecht, daß die gegenwärtigen deutschen Maler mehr Poeten als eigentliche Maler sind; doch ist wohl dieser Weg der einzige, auf dem die Kunst sich aus ihrer Phönix-Asche regenerieren kann, und dem (in Kleinigkeiten wohl zu weit getriebenen) Enthusiasmus, welcher jetzt die Aufmerksamkeit der deutschen Malerschule ausschließlich auf ihre alten Meister Dürer, Holbein u. a. lenkt, liegt sicherlich eine tief erkannte Notwendigkeit zugrunde. Die Messe in der katholischen Kirche höre ich jeden Sonntag. Eine herrliche Musik! Wenn man von dem Widerlichen abstrahiert, welches in der Reminiszenz des Geschlechtsverhältnisses liegt, dann gibt es wirklich in rerum natura kein passenderes Organ für geistliche Musik als den Gesang der Kastraten. Der hiesige königliche Hof, der selber katholisch ist, unterhält eine magnifike Kapelle unter Webers Leitung und echte Kastratvirtuosen. Wenn man Sassarolli singen hört, dann ist dies wirklich, als ob man buchstäblich die Stimme eines Engels hörte. Könnte nur solche Stimme hervorgebracht werden, ohne daß man die menschliche Natur mißhandelte! In den Gesang eines Weibes mischt sich doch immer, bewußt oder unbewußt, ein wenig Geschlechtskoketterie und sinnlicher Reiz; wahrscheinlich gilt diese Beurteilung auch hinsichtlich des anderen Geschlechts in bezug auf den männlichen Gesang; dahingegen hat die Stimme des Kastraten, die in wunderbarer Weise das höchste Entzücken der männlichen und weiblichen Schönheit der Stimme in eins verschmilzt, einen reinen, fast engelartigen, überirdischen, neutralen und ätherischen Charakter. – Um dies vollkommen genießen zu können, muß man selbstverständlich sich ganz unbefangen dem Strome von Wohlklang überlassen, der auf die Versammlung wie aus dem geöffneten Himmelsgewölbe herniederbraust, und sich nicht daran erinnern, daß es Kastraten sind, die so singen. – Den angenehmsten Genuß, welchen eine Reise durch Germanien verschafft, hat man, indem man Augenzeuge der heiteren, lebhaften, allumfassenden, immer beweglichen Phantasie dieses Volkes ist, welches unablässig danach strebt, sich aller Schöpfungen des unerschöpflichen Universums zu bemächtigen, und in erstaunlichem Grade geeignet ist, das einfach Wesentliche, das eigentümlich Charakteristische eines jeden Dinges zu erfassen, sowohl für sich als im Zusammenhange mit dem Ganzen und sich selber betrachtet. Ja, es ist unter unserem kalten Himmel kaum möglich, sich den Enthusiasmus vorzustellen, womit hier alles aufgenommen wird, was eine neue Aussicht, eine neue Eroberung im Reiche des Geistes, der Kunst und der Wissenschaft verspricht. Diese spähende Liebe ist nunmehr bei den hauptsächlichsten jüngeren deutschen Verfassern und ihren zahlreichen Lesern auf das ferne Thule gerichtet und auf das Erz, welches aus dessen geheimnisvollen Gruben gefördert wird. – Doch ich vergesse, daß Du ja Bemerkungen über die deutsche Literatur selbst und über ihren volkstümlichen Zusammenhang und Einfluß haben willst. – Das Sublimste in der Literatur der Deutschen ist vielleicht die Idee der Literatur, wie sie sich dieselbe als Muster und Ziel aufgestellt haben, und dieser Gedanke eines unendlichen organisch-geistigen Ganzen, in welchem, gleichsam als in einer alle Kräfte zusammenfassenden und widerspiegelnde Einheit, eine große Nation für alle Zeiten das Bild ihres höchsten Lebens bewahrt und erkennt, ist so schön, daß man deswegen wohl verzeihen darf, wenn die ganze Nation im ersten Freudenrausche dieser klaren Auffassung ihres Bewußtseins sich versucht fühlt, sozusagen in Masse sich zur Verfasserschaft zu erheben. Die Vielschreiberei, von jeher ein Fehler der Deutschen, wird jetzt freilich schlimmer denn je betrieben. Im übrigen erfährst Du wohl nichts Neues, wenn ich Dir die Versicherung gebe, daß ihre eigenen Literaturzeitungen die unzuverlässigsten Wegweiser von allen sonstigen sind, die zu einer klaren Ansicht dessen führen wollen, was in ihrer Literatur die herrschende Seele und der wirkliche Wert oder der gerade Gegensatz von beiden ist. Okens berühmte Zeitschrift »Isis«, welche jetzt mit wahrem Heißhunger gelesen wird, könnte mehr Nutzen schaffen, als sie tut: aber die weise Naturgöttin äußert sich allzuoft in einem Ton, der mehr studentenhaft als göttlich ist; der Herausgeber ist ein geistreicher Jakobiner in dem spekulativen Teil der Naturphilosophie; da ist es kein Wunder, daß er in seiner Politik über alle Maßen demokratisiert. Die älteren der noch erscheinenden kritischen Zeitschriften haben allen Nimbus der Unfehlbarkeit verloren, und unter den jüngeren, welche zahllos und stündlich ein Dasein beginnen, das sie gewöhnlich mit der tunlichsten Eile wieder beschließen, hat sich meines Wissens noch keine zu dem Ansehen emporgeschwungen, welches z. B. die Jenaische Literatur-Zeitung vor ungefähr siebzehn Jahren oder die Heidelbergischen Jahrbücher noch vor halb so langer Zeit umgab. Im allgemeinen behandelt man diese Art gelehrte und schönwissenschaftliche Zusammenrottungsgeburten, die so oft halbgelehrt und unschönwissenschaftlich sind, ganz richtig und schlechthin wie literarische Avise, in denen man Neuigkeiten sucht, ohne im übrigen mehr Vertrauen in sie zu setzen als in alle anderen (z. B. politischen) Angaben von Neuigkeitskrämern, besonders soweit es sich um das eigene Urteil über ihre Neuigkeiten handelt. Die ausgezeichnetsten Schriftsteller haben sich von allem Befassen mit diesen Instituten zurückgezogen, und es geschieht äußerst selten, daß sie mit einer Rezension hervortreten. Deshalb wirken rezensierende Zeitungen, wie überhaupt alle dazugehörigen Flugschriften in Tag-, Wochen- oder Monatformat, wenig oder gar nicht auf das Gedankensystem des Lesers ein, wenn man nämlich die Menschen ausnimmt, die hier wie in allen Ländern alles ohne Unterschied verehren, was sie schwarz auf weiß vor sich sehen. In Schweden ist das Verhältnis noch ein entgegengesetztes, und so lange könnte man deshalb behaupten, daß ein Bedürfnis nach kritischen Zeitschriften noch wirklich vorhanden ist. Graf von Loeben (Isidorus Orientalis) hat neulich zwei Bücher herausgegeben, von welchen das eine »Lotosblätter«, das andere »Rosengarten« heißt; sie verdienen, gelesen zu werden; seine älteren Arbeiten kommen mir aber allzu nebulistisch vor. Er selbst ist eine planta sensitiva, sehr (ja allzusehr!) ätherisch, sehr schmächtig, zart und kränklich und verduftet wohl mal eines Tages, denn sein Leibchen ist wirklich zu winzig, um auf andere Weise sterben zu können. In der Nähe eines seiner Schlösser in der Lausitz (ich glaube sogar auf seinen Territorien; ich werde ihn danach fragen) liegt Jakob Böhmes Geburtsort Alt-Seidenberg und der Berg Landskrone, wo er seine erste Vision hatte. Ich habe Lust, im nächsten Herbste mit ihm (Loeben), der ein eifriger Freund dieses christlichen Plato ist, einen Ausflug nach jenen Strichen zu machen, wo der Prophet als Hirtenknabe umherwandelte. Wäre aus meiner schlesischen Reise etwas geworden, dann wäre ich durch Görlitz gekommen, woselbst man noch sein Grab zeigt und auch noch sein Haus steht, das jetzt von einem (vermutlich nicht theosophischen) Bäcker bewohnt wird, der gemalte Scheiben aufbewahrt, die in Böhmes Fenster saßen. Von Steffens, mit dem ich am Anfang des September hier einige herrliche Tage verlebte, habe ich Empfehlungsschreiben an Schelling, seinen Busenfreund, erhalten. Schelling hat sich neulich zum zweiten Male mit einem jungen Mädchen, der Tochter des Poeten Gotter, verheiratet, und Steffens, der soeben mit Schütz (Verfasser von Lacrimas) hier aus Süddeutschland ankam, kann seine charmante Frau und das Schöne seines häuslichen Lebens nicht genug rühmen. – Steffens ist ein göttlicher Mann; eine unauslöschliche Begeisterung glüht in seiner Brust und leuchtet aus seinen Blicken; unter Locken, die zu erbleichen beginnen (infolge von Mühen und Kümmernissen!), besitzt er die ganze Rührigkeit und das Lebhafte eines Jünglings. Er hat ein sehr edles Aussehen und mehr den Charakter eines Offiziers als den eines Professors; er trägt das Eiserne Kreuz auf der Brust und erinnert sich gern der verflossenen Kriegszeit. Wenn er über etwas spricht, das sein Innerstes berührt, z. B. seine hingestorbenen Kinder, Deutschlands intellektuelle und poetische Bestimmung, Skandinaviens, besonders Norwegens Wohlfahrt, seine Freunde Schelling und Gneisenau usw., dann füllen sich seine strahlenden Augen mit Tränen, und mit einer Begeisterung, die unwiderstehlich alle seine Zuhörer ergreift, entströmen seinen Lippen die schönsten Gedanken über die Unsterblichkeit der Seele, über die höchsten Interessen der Nationen und Staaten, über Philosophie und Religion in den erhabensten und dennoch stets ungekünstelten und natürlichen Ausdrücken. Mich kannte er schon glücklicherweise durch die Beschreibung meiner Schutzheiligen, der Amalia v. Helvig, von der vorteilhaftesten Seite und begrüßte mich mit einer Herzlichkeit und nahm Abschied von mir mit einer Zärtlichkeit, die ich niemals vergessen kann. Uebrigens begann unsere Bekanntschaft schnurrig genug bei dem Professor Hartmann, einem berühmten Historienmaler und guten Freunde von mir, mit einem heftigen Zanke über die Vereinigung Schwedens und Norwegens. Zur größten Verwunderung meines Wirtes, der ein sanfter und nachgiebiger Mann ist, begrüßte ich Steffens, als er kaum mit seinem Begleiter v. Schütz eingetreten war und mir ganz freundschaftlich gesagt hatte, daß er mich schon durch Frau v. Helvig kenne, mit diesen Worten: »Ich lese gerade jetzt Ihr schönes Buch über die gegenwärtige Zeit, und mit herzlicher Freude; nur muß ich Ihnen gestehen, daß mir Ihre Ansicht von Schwedens und Norwegens Verhältnis ganz verkehrt und einseitig erscheint!« – worauf natürlich der Streit losging, und das mit ziemlichem Eifer, da Steffens sehr heißblütig ist und ich sehr starrköpfig bin. Schließlich wurde der Streit mit einem gegenseitigen und allgemeinen Gelächter geschlossen, und Steffens sprach sich seitdem zu allen, denen wir diese Geschichte erzählten, mit großem Lobe über die schwedische Ehrlichkeit aus. –

Henrik Steffens

Henrik Steffens

Was meinst Du zu dem Studentenaufzug auf der Wartburg? Alles, mit Ausnahme der fürstlich-aristokratischen Partei, ist mit ihm vortrefflich zufrieden. Der Großherzog von Weimar besitzt viel Popularität, weil er seinem Lande eine Repräsentativ-Verfassung geschenkt hat, eine uneingeschränkte Pressfreiheit beschützt usw. Wegen der Zusammenkunft der Studenten auf der Wartburg erhielt er von vielen Höfen Remonstrationen, die er jedoch sehr gleichgültig beantwortete; ja, man sagt, daß er selber heimlich den Studenten das Holz geschenkt habe, welches diese zu dem Scheiterhaufen brauchten, auf dem sie das preussische Schnürleib, den hessischen Zopf, die russische Knute, den nassauischen Korporalstock, die Schriften eines Schmalz, Kotzebue usw. verbrannten. Ich habe hier einen Bekannten, der selbst bei dem Schauspiel zugegen war; es soll wirklich groß und erregend gewesen sein, da neben der höchsten Entzückung die größte Ordnung und Einigkeit herrschte. Ungefähr 800 – 900 Studenten sowie mehrere hervorragende Männer wie Oken u. a. waren zugegen. – Von den übrigen Potentaten wird der Großherzog von Weimar ungefähr wie eine verdächtige Person angesehen, und der Teil des deutschen Adels, der die Partei des Schlafsystems nimmt, schilt ihn laut für einen Jakobiner, da sein Alter nicht länger zuläßt, ihn einen jungen und fanatischen Studentenburschen zu nennen. – Bei der genannten Zusammenkunft sind die Deputierten der deutschen Universitäten auch unter sich übereingekommen, alle Landsmannschaften abzuschaffen, eine Einrichtung, die in Schweden vielleicht nützlich ist, hier aber unendlichen Schaden tut und jährlich mehrere Hundert Duelle herbeiführt. Man hat den Schwur getan, in einander nur Deutsche zu sehen und durch diesen fixierenden Gesichtspunkt die Zeit vorzubereiten, da Deutschland realiter zum Auftreten als Nation, und zwar als eine, kommen wird (wenn auch nicht eins in der Form, so doch unerschütterlich eins im Geiste). – Der deutsche Bundestag scheint nicht mehr Vertrauen zu erwecken als der Wiener Kongreß; tüchtige Leute mögen wohl zu einem Teile mit in den Bundestagsaffären sein, aber sie scheinen noch nicht das Uebergewicht bekommen zu haben. – Noch habe ich so gut wie nichts vom eigentlichen deutschen Universitätsleben aus eigener Erfahrung kennengelernt, denn meine Verhältnisse haben mich bisher auf den ästhetischen Teil der sogenannten vornehmeren Gesellschaftskreise beschränkt. Es versteht sich, daß Professoren, Studenten usw. hierin mitbegriffen sind, wie ja im allgemeinen unter diesem Teile des deutschen Adels alles Sehen auf sogenannten Rang verschwunden scheint. Man hat Fouqué und seine Freunde beschuldigt, die Rangeitelkeit wieder erweckt zu haben, aber sie betrachten doch nur ihren Adel als eine poetische Idee, als eine ritterliche Tradition aus chevaleresker Zeit und führen sich im übrigen in bürgerlichen Verhältnissen ebenso bürgerlich auf wie z. B. Du, dem es wohl in unseren gegenseitigen Relationen niemals eingefallen ist, daß Du Edelmann bist und ich nicht.

Vor einigen Monaten hat zwischen Okens und Fries' Anhängern in den studierenden Burschenschaften eine ordentliche Säbelschlacht bei Jena auf einer großen Ebene stattgefunden. Ein Däne, welcher an der Schlacht teilnahm und zu Okens Partei gehörte, hat Hjort davon erzählt. Jetzt müssen sich die Parteien doch einigermaßen versöhnt haben, da Fries auch auf der Wartburg war und sogar eine Rede gehalten hat. Im nächsten Sommer gedenke ich einige Zeit in Jena zu verweilen, um das Burschenleben richtig kennenzulernen.

Die deutschen Regierungen sowie überhaupt die europäischen Kabinette tun alles, um die Dinge pian piano wieder dahin zu bringen, wo sie 1785 waren, doch haben sie die Stimme des Volkes wider sich, und das Gute wird zuletzt doch siegen. Erschrecklich viel Abderiten sowohl in Literatur wie Politik gibt es hier, freilich auch an anderen Orten. Vielleicht hat Schweden, was die Zukunft betrifft (wenn uns nur Rußland nicht verschluckt!!!), von allen europäischen Staaten die wenigste Ursache, sich zu beklagen. Noch ist bei uns die Wurzel frisch, wenn auch der Stamm etwas wurmstichig ist.– –

Am 23. November 1817 abends, nachdem ich verschiedene minder schmerzhafte Abschiede genommen – zu denen ich natürlich nicht den von der interessanten Frau v. Unruh und ihrer liebenswürdigen Tochter rechne, welcher mir sehr schwer wurde, und ich glaube, auch ihnen –, hatte ich zum Schluß ein kleines Abschiedsfest bei Baron von der Malsburg aufgespart, der verschiedene meiner Dresdener Freunde und Freundinnen eingeladen hatte. Unter anderen war Graf von Loeben (Isidorus) da mit seiner Frau, einer körperlich und geistig prosaischen, aber verständigen und gutmütigen Dame, Helmina von Chézy usw. An der letztgenannten bemerkten wir, daß sie sich noch nie in einem so propren und eleganten, ja prunkenden Kostüm hatte sehen lassen (obwohl sie sich im allgemeinen auf Loebens und Malsburgs Rat mehr und mehr um die Beschaffenheit ihrer äußeren Erscheinung bemüht); vermutlich wünschte sie in ihrem Innern, daß Hjort und ich bloß dies Bild von ihr im Gedächtnis behalten sollten. Nachdem die Gesellschaft recht herzlich und poetisch den Abend zugebracht hatte und der Augenblick des Abschieds herannahte, las Malsburg einige an mich gerichtete Verse vor, die mich durch ihre einfache Herzlichkeit recht sehr rührten, und Loeben spielte auf dem Pianoforte die bekannte deutsche Weise: »Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus! Adel – Ade! Ade! Ach, Scheiden und Meiden tut weh!« – Du kennst sie doch? Und so schieden wir – in einer Weise, über die ich nichts weiter sagen kann, als daß »das Scheiden und Meiden« tat sehr weh! Alle diese Menschen haben mich mit einer Freundschaft behandelt, mit einer Liebe, die ich weder in dieser noch in jener Welt vergessen werde. Gegen Loebens Poesie läßt sich freilich teilweise viel sagen; aber als Mensch betrachtet ist er unleugbar eine der unschuldigsten, frommsten und reinsten Seelen, die in unserer verderbten Zeit auf Erden atmet. Wegen dieser Eigenschaften kann man gern ein wenig Krankhaftigkeit und bisweilen unmännliche Weichheit verzeihen. Und auf Malsburg halte ich, als ob er mein Bruder wäre. – Unter denen, welche Malsburg einlud, die aber verhindert waren zu kommen, vermißte ich mit einigem Verdruß Fräulein von Winkel, nicht so sehr um ihretwillen, als wegen eines jungen Mädchens, das ihr Eleve ist. Ich hatte zwar am Vormittage einen Abschiedsbesuch gemacht, der genügen konnte für das, was ich dem Fräulein zu sagen hatte, der aber nicht ganz hinreichend war hinsichtlich ihrer Schülerin. Ich mußte von dieser äußerst kalt und lakonisch Abschied nehmen, da ich in einem tête-à-tête mit Fräulein Winkel, d. h. wenn kein dritter Gesprächspartner vorhanden ist, um mir beizuspringen, mich immer sehr verstimmt fühle – und da kamen noch obenein ein paar verhaßte Franzosen, deren Anblick mich gleich aus der Tür jagte. Diese Therese von Winkel agiert nämlich als Dresdens Corinna und ist es wirklich in dem Grade, als man Corinna sein kann ohne Jugend, Schönheit und Genie. Denn alles, was man Talent und Virtuosität nennt, besitzt sie in allerhöchster Vollkommenheit; und wenn sie auch nicht, wie ihre alte Mutter einst erzählte, 27 große Eigenschaften und Kunstfertigkeiten besitzt, so ist es dennoch wahr, daß sie mit ungewöhnlicher Meisterschaft malt, die Harfe spielt, fast alle europäischen Sprachen kennt und spricht und alle ihre Studien und Künste mit einem Fleiße, einem Eifer treibt, der höchst bewundernswert ist. Außerdem ist sie sehr gutmütig und hat mir in ihrem Hause viele unendlich angenehme Stunden verschafft. Trotz alledem ist man aber in ihrer Gesellschaft niemals recht à son aise, weil ihr Wesen dressiert ist wie ein ordentlich aufgezogenes Uhrwerk, welches wohl auf Punkt und Strich die Einteilung der Zeit angibt, aber auch mechanisch und ruhelos von einer Stunde zur anderen weitereilt. So hat sie auch ihren Tag auf Minute und Sekunde eingeteilt, und wenn man zu ihr kommt, ohne eingeladen zu sein, weiß man immer, daß man sie stört; gleichwohl nimmt sie es sehr übel, wenn man ausbleibt. In ihrem Hause ist ein Gewimmel von Deutschen aus allen Himmelsrichtungen, Engländern, Italienern, Franzosen, Ungarn, Russen, Polen usw., daß man vor Geschwirre und Gewirre oft kaum weiß, ob man auf den Füßen oder auf dem Kopfe steht. Mir erwies sie die Ehre der Aufnahme in den Kreis ihrer eigentlichen amis de la maison, und ein Gleiches tat sie mit Hjort; demnach fanden wir uns nur ein, wenn dieser engere und vertraulichere Gesellschaftskreis versammelt war. Gleichwohl kam es mir immer so vor, als ob sie die Kunst weniger con amore denn con furore betrieb, und ich rettete mich, so oft es sich tun ließ und ich selber keine Rolle bei den Vorlesungen, Deklamationen usw. des Abends hatte, in irgendeinen Winkel zu der vierzehnjährigen Luise, die mit gespanntester und naiver Aufmerksamkeit meinem Erzählen schwedischer Sagen und anderer Wunder des Nordens zuhörte. Dieses körperlich und geistig höchst liebenswürdige Mädchen ist für sein Alter ungemein entwickelt und vereinigt mit dem Verstände eines fünfundzwanzigjährigen Weibes die ganze Frische und Unschuld eines kindlichen Gemütes; darum hoffe ich auch, weil in ihrem Innern ein unerschöpflicher Born von Natürlichkeit liegt, daß es ihrer Lehrmeisterin nicht glücken wird, sie unnatürlich zu machen; doch fürchte ich, daß sie mindestens ihre physische Gesundheit verderben wird, denn sie zwingt das arme Kind, das freilich jetzt noch kräftig und blühend ist, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht unablässig und ohne Ruhepause Lektionen zu nehmen und sich von Maîtres in allen möglichen Sprachen und Wissenschaften bearbeiten zu lassen, so daß ich schlechterdings nicht begreifen kann, wie das arme Dingchen dies aushalten und sich dabei noch froh und lebendig zeigen kann. Hierin zwingt Fräulein Winkel sie, ihren eigenen Fleiß zu imitieren, der wirklich kolossal ist; kein Student, der zum tentamina candidandi liest, kann sich schlimmer anstrengen als sie aus eigener freier Wahl. Jeden Morgen steht sie um 5 Uhr auf, arbeitet nach regelrecht abgeteilten Stunden all ihre 27 Talente durch bis nachts 2 Uhr, zu welcher Zeit sie gewöhnlich endlich zu Bett geht, nachdem sie noch zuvor ihren Tag mit Abfassung einer Theaterkritik für die Dresdener Abendzeitung beschlossen hat. So hat sie es ungefähr fünfzehn oder zwanzig Jahre lang ausgehalten (sie sieht mir so aus, als ob sie etwa 36 Jahre alt wäre). Was meinst Du? Sie muß doch eine Gesundheit haben wie ein Pferd. Wenn sie eines Abends Besuche macht, bricht sie daher immer zu einer bestimmten Stunde auf und geht. Auch auf Malsburgs Einladung am letzten Abend konnte sie nicht kommen, weil sie notwendigerweise von 7–1/2 9 Uhr die Harfe spielen mußte. Ich bin sicher, daß wenn sie sich verheiratete, es nicht selten geschehen würde, daß sie in den Armen ihres Mannes inmitten der seligsten Augenblicke ehelicher Berauschung ausriefe: »Um Gottes willen, Geliebter, spute Dich, es ist schon 7 Minuten und 2/3 Sekunden über 5 Uhr, und ich muß noch die mittelste Klaue am rechten Fuße von Jupiters Adler fertig machen, was würde sonst Prinz Rusczradschbradzcssinsky zu meinem Ganymedes sagen?« – Am anderen Tage pfropfte mich meine Wirtin, Frau v. Ernst, beinahe bis zur Trunkenheit mit Glühwein, sagte mir, daß Schubert (der Philosoph) und ich die besten Menschen wären, welche sie kenne, seit Novalis tot sei – und bat mich, wie auch ihr Mann, daß ich bei meiner Wiederkehr nach Dresden auf keiner anderen Stelle wohnen möge als bei ihnen. Es sind wirklich herzensgute Leute, und wir trennten uns nicht ohne Rührung. Endlich gegen Mittag waren wir Reisenden fertig, und als ich schon im Wagen saß, erhielt ich ein Abschiedsgedicht von H. von Chézy, bei der Hjort in der Morgenstunde noch einen Besuch abgestattet hatte, um von ihr einen Rekommandationsbrief für uns beide an Jean Paul in Bayreuth und an verschiedene andere Personen in München zu bekommen. Noch sind sowohl Malsburgs als ihre freundlichen Verse unbeantwortet; aber in diesen Tagen beabsichtige ich, meine Lyra zum Gegenlaut zu rühren. –

Ich weiß nicht, ob ich Dir schon mitgeteilt habe, daß ich von allen Kellnern und Kellnerinnen in Dresden für einen Baron gehalten wurde, der Himmel mag wissen, warum; ich erklärte einmal im Hotel de Weimar, daß ich nicht Baron wäre, man fuhr aber nichtsdestoweniger fort, mich so zu nennen; ja ein sächsischer Minister von Nostitz, dem ich einmal bei Fräulein von Winkel vorgestellt wurde, nannte mich beständig Baron, obwohl sie mich nur unter dem Namen Herr von Atterbom präsentiert hatte. Hinsichtlich des letzteren ist zu bemerken, daß man mich im allgemeinen mindestens für einen Edelmann hielt, und da ich einstmals Malsburg um den Grund befragte, antwortete er, daß mein Name für das deutsche Ohr einen so stolzen Klang hätte, daß man unwillkürlich auf den Gedanken käme, ich wäre adelig. Ich entsinne mich auch, daß A. W. Schlegel mich in Stockholm immer Herr von A. nannte. Siehst Du, welcher Glanz hier diesen Namen umstrahlt, der für schwedische Ohren und für meine eigenen so höchst prosaisch klingt! Oft fiel mir dabei ein, was in Goethes Faust Gretchen von diesem sagt: »Er sieht so stolz und unzufrieden aus, er ist gewiß aus einem edlen Haus!« Ich weiß nicht, ob es eine solche Schlußfolgerung war oder der Klang meines Namens oder der Umstand, daß ich zufälligerweise dazu kam, fast nur mit dem Adel umzugehen, wodurch alle Domestiken in den Häusern, in denen ich verkehrte, in dieser Meinung befestigt wurden. Genug, ich passierte dort bon gré mal gré für eine vornehme Person.


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