Per Daniel Amadeus Atterbom
Menschen und Städte
Per Daniel Amadeus Atterbom

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Rom

Aus Deutschland nach Rom finden jährlich zahlreiche Auswanderungen von Künstlern, Gelehrten, Dichtern und Frauen statt; die Anzahl der Männer ist so groß, daß sie hier förmlich ein in sich geschlossenes, nach eigenen Gesetzen, Sitten und Gewohnheiten frei regiertes Volk bilden. An gewissen Erfrischungsplätzen, besonders im Locanda Borghese und Caffè Greco, welches jetzt auch allgemein Caffè Tedesco heißt, trifft man besonders des Abends Mitbürger dieses Staates oder dieser artistischen Burschenschaft in brüderlicher Vereinigung. Im Caffè Greco traf ich gestern abend den genialen Friedrich Rückert, der sich seit einigen Monaten hier aufhält. Von seinen poetischen Arbeiten kennst Du vermutlich wenigstens die weit berühmten Geharnischten Sonette, die er unter dem Namen Freimund Reimar herausgab: sie sind, vielleicht mit Ausnahme der besten Körnerschen Gesänge, unter den vielen poetischen Aufforderungen zu Sieg und Tod, welche der Befreiungskampf gegen Frankreich hervorrief, die schönsten. Er ist nicht immer gleich in Kern und Stärke, auch mitunter in seinem Stil allzu grammatisch und linguistisch spitzfindig, ein Fehler, dessen Ursache wohl zum Teil in den tiefen Sprachforschungen liegen mag, mit denen er unaufhörlich beschäftigt ist. Aber mit Recht genießt er ein großes Ansehen in seinem Vaterlande, und unter den Sängern der jüngeren Generation desselben könnte wohl nur Uhland mit seinen wunderschönen Romanzen ihm den ersten Platz streitig machen. Es ist möglich, daß Rückert nicht alle die Hoffnungen erfüllen wird, welche sein Jugendauftreten verspricht, doch welcher Sterbliche hätte diese strenge Forderung je erfüllt? Aber möge es ihm glücken oder nicht, nach und nach das Harte, das Bizarre und Langgestreckte abzustreifen, welches ihm jetzt nicht selten vorgeworfen wird – er bleibt stets ein Heldendichter, ein scharfsinniger Denker und, was höher steht als alles Genie, ein Mann von Herz und Ehre. Er ist neulich von Neapel zurückgekehrt und hatte mit unserem Lidman eine Reise nach der romantischen Insel Capri unternommen. Gern möchte er auch einmal unsere nordische Halbinsel besehen, und begegnet Dir zufällig einmal das lebende Bild Volkers, des Spielmannes aus den Nibelungen, dann wisse, es ist Rückert, der vor Dir steht, denn dem gleicht er wie ein Ei dem andern: eine vollkommene Riesengestalt, altdeutsche Tracht, langer Schnurrbart, dunkles Haar, das in langen, dichten Locken auf die breiten Achseln fällt, die Augenbrauen finster zusammengezogen, die Augen gedankenvoll, bieder, bald kindlich milde, bald kriegerisch blitzend, kurzum, es fehlt zum Bilde nur der eiserne Fiedelbogen.

Hjort und ich sollen morgen abend als Mitbrüder der Künstlerkolonie förmlich aufgenommen werden, und somit hätten wir die schönste Aussicht, unter all den Malern, Bildhauern, Baukünstlern und Dichtern noch einmal ein verjüngtes und veredeltes Studentenleben zu genießen. Uebrigens schert man hier in Rom Schweden, Dänen und Norweger alle über einen Kamm zu i Tedeschi, und von diesen selbst werden wir geradeso behandelt, als gehörten wir zu ihnen: südlich von den Alpen fühlen wir Germanen alle das gemeinsame Verwandtschaftsband! – Das Fest, welches gestern abend (29. April 1818) von den deutschen Künstlern außerhalb der Porta del Popolo in einer hochgelegenen Villa gefeiert wurde, war äußerst glänzend. Da der Kronprinz von Bayern, dessen Hauptleidenschaft schöne Künste und – schöne Damen sind, der Abgott aller deutschen Künstler ist, war es selbstverständlich, daß die ganze Festlichkeit in der poetischsten und künstlerischsten Weise eingerichtet wurde. Nicht bloß Illumination, Kanonenschüsse, Comus und Terpsichore, welche auch unsere schwedischen Feste verherrlichen, ohne sie, minder prosaisch zu machen, gaben hier der Liebe der deutschen Jugend für den ritterlichen Kronprinzen Ausdruck, sondern die schönen Künste taten dies buchstäblich in eigener Person. Vortreffliche Transparente von Cornelius, Veit und Overbeck nahmen den Hintergrund des großen Saales ein; das mittelste Bild, von Cornelius gemalt, stellte die Poesie dar, lorbeergekrönt, göttlich von Gestalt, mit Schwingen, auf einem Throne unter dem kolossalen Baume der Weisheit und des Lebens sitzend, in der einen Hand die Lyra, in der anderen einen flatternden Kodex haltend; um sie herum saßen im Halbkreise auf niederen Sitzen ihre Töchter, die übrigen Künste, jede sinnig mit einem bezeichnenden Attribute versehen – alles ebenso schön erdacht wie geschmackvoll ausgeführt. Die Malerei zur Rechten stellte die größten Kunstpfleger aller Zeiten dar, und das Bild zur Linken zeigte die vornehmsten Dichter und Künstler; Homer, König David und Dante eröffneten den Zug: Raffael, jugendlich schön, ging Hand in Hand mit dem alten ehrwürdigen Dürer; Pietro Perugino, Michelangelo, Erwin von Steinbach, Wolfram von Eschenbach u. a. waren ebenso schön wie charakteristisch und porträtähnlich in Lebensgröße dargestellt. An den Wänden des Saales erblickte man gris en gris die hohen Gestalten eines Solon, Numa Pompilius, Moses und Karls des Großen; über dem Haupteingange, da, wo der Kronprinz, in altdeutsche Tracht gekleidet, unter den Klängen der Musik und dem Donner der Kanonen eintrat, saß der Evangelist Lukas als Schutzpatron der bildenden Künste, und unter ihm stand eine entsprechende Bewillkommnung in anmutigen Reimen im Dürerschen Stil. Unter den großen Transparenten, nahe am Boden, sah man kleinere in Basreliefmanier von satirischem Inhalte und prophetischen Anspielungen, z. B. wie Simson mit seinem Eselskinnbacken die Philister erschlug, deren Leichen in Menge das Blachfeld deckten und in ihren Händen noch Schriftrollen hielten, auf denen man die Titel las: »Ueber den Umgang mit Menschen«, »Selbständigkeit des Menschen«, »Feine Blicke ins Leben« usw. Bei ihrem Anblicke rief der Kronprinz: »Recht brav! Der Kerl hat jetzt viel zu schlagen!« – Ein anderes Bild stellte Jerichos Fall dar; man blies und schrie aus allen Kräften, daß die Mauern stürzten; das Stadttor trug die Inschrift: »Bonne ville de Jericho«, über einem Hause stand »Lyceum« usw. Dann wieder sah man Herkules mit der Reinigung des Augiasstalles beschäftigt, wobei ganze Haufen philistermäßige Nasen und Brillen hinausgekehrt wurden. – Der Kronprinz war äußerst guter Laune und behandelte alle Künstler, besonders die ausgezeichneteren, wie seinesgleichen. Auch ich wurde ihm vorgestellt, und ich will nachher berichten, was er mit mir sprach. Die Gesellschaft war sehr zahlreich, da außer den eigentlichen Künstlern alle in Rom befindlichen Deutschen (mit Ausnahme der Gesandten, bis auf den preußischen Legationssekretär), die deutschen Damen sowie Dänen und Schweden (Byström, Mörner und ich) anwesend waren. Bei Tische wurden verschiedene Toaste vorgeschlagen und ausgebracht, die ziemlich bedenklich für die Fraktion der Philister klangen, wie z. B. »Es lebe hoch die deutsche Einheit!« Rückert las dann ein hübsches Gedicht an den Kronprinzen vor, in dem die schönen Künste sprachen; es war gewissermaßen ein Kommentar zu des Cornelius Malereien. Nach der Tafel eröffnete der Kronprinz den Ball und tanzte mit allen anwesenden jungen deutschen Damen sowie mit den Künstlerfrauen, welche sämtlich Italienerinnen und größtenteils jung und schön sind. Hier sah ich zum ersten Male die schönen und naiven Volkstänze Saltarello und Lavandarina, die auch von den deutschen Damen (Fräulein v. Humboldt u. a.) mit viel Anmut und Geschicklichkeit getanzt wurden, aber weit gegen die Ausführung der Römerinnen zurückstanden, wie dies ja mit der Nachahmung gegenüber dem Ursprünglichen nicht anders sein kann. Besonders sah eine kleine modellschöne Signora, die mit einem Berliner Landschaftsmaler verheiratet ist, gleichzeitig so unschuldig und verführerisch bei ihrem Tanze aus, daß manchem der Zuschauer der Kopf verdreht wurde und auch mein Nacken in bedenklicher Weise knackte. Am deutlichsten gewahrte man in den Augen des Kronprinzen, die beständig auf die kleine schöne Frau geheftet waren, mit der er augenscheinlich am liebsten tanzte, ein allergnädigstes Feuer, vor dem ihrem Manne hätte bange werden können, im Falle er nicht (wie ich hoffe) starken Glauben in die Tugend seiner Frau setzte. Der Kronprinz nahm auch an den italienischen Tänzen teil; dann setzte er sich zu den älteren Damen, den Frauen von Humboldt, Herz usw., worauf die anderen Damen um ihn einen glänzenden Halbkreis bildeten, und nun bat er um das Absingen einiger deutscher Nationallieder. Ein vortrefflicher Chor, geleitet vom Dr. Ringeis, dem Leibarzt des Kronprinzen und intimen Freunde Baaders, stimmte nun vor diesem Halbkreise das bekannte »Am Rhein, am Rhein« an, darauf Goethes »Was hör ich draußen vor dem Tor«, dann das alte »Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus, Ade!« und zuletzt einige Tiroler Weisen. Diese Szene kam mir wirklich wie ein schöner Traum aus dem Mittelalter vor: dort der Königssohn und werdende König in altdeutscher Tracht, um ihn der Kreis altdeutsch gekleideter Damen, und alle einem Chore von Sängern lauschend, die auch fast sämtlich das geschmackvolle Kleid jener Zeit trugen.

Friedrich Rückert

Friedrich Rückert

Der geniale und liebenswürdige Maler Cornelius, in dem die Deutschen einen neuen Dürer erwarten, saß beständig an der Seite des Kronprinzen und wurde unaufhörlich von ihm karessiert. Bei den Worten: »Gegrüßt, Ihr schönen Damen! Welch reicher Himmel, Stern bei Stern, Wer nennet ihre Namen?« schwang der Kronprinz ein blitzendes Weinglas und verneigte sich vor den Schönen. Kurzum, alles war froh und lustig. Militärische Symphonien, ausgeführt von wohlbesetzten Orchestern, die so aufgestellt waren, daß man sie nicht sah, schmetterten dann und wann hinein in den allgemeinen Jubel, während Kanonensalven in wohlberechneten Pausen aus dem Garten heraufdröhnten. Die Artillerie leitete der berühmte Landschaftsmaler Reinhart. Bei der warmen, milden Luft der italienischen Nacht standen Türen und Fenster beständig offen, und durch sie sah man immer den blauen Himmel des Südens mit seinen goldenen Sternen hereinblicken, besonders vom Balkon hatte man einen herrlichen Blick auf die italienische Landschaft im Hintergrunde sowie auf das alte Rom dicht vor uns und in tiefe Schatten gehüllt.

Gerade als ich dort im besten Gespräch mit einem jungen deutschen Gelehrten namens Bunsen stand, der mit einer englischen Dame verheiratet ist und hier als reicher Privatmann lebt, trat der Kronprinz hinzu und fragte leise, wer ich wäre. Hierauf stellte mich ihm Bunsen vor, und sofort begann er mich eifrig zu fragen, wie es mit den Erfolgen des Strebens der jüngeren schwedischen Literaten stände, die französische Barbarei abzuschütteln und im Norden ein nationales und poetisches Leben wieder zu erwecken, und ob dieses edle Bemühen nicht Gefahr liefe, dadurch erdrückt zu werden, daß wir einen französischen König hätten?

Ich erwiderte, daß unser König echt schwedisch und republikanisch gesinnt wäre und unsere Gesetze, Sitten sowie Pressfreiheit achtete und, da er deswegen von jedem Schweden geliebt würde, sich nicht um literarische Streitfragen kümmerte. Hierauf fragte er mich nach dem Zustande unserer Pressfreiheit. Ich sagte ihm, daß wir eine Pressfreiheit besäßen, um die uns das übrige Europa beneiden würde, wenn es dieselbe nur richtig kennte; daß wir allerdings in Zeitungen und politischen Broschüren mit einer gewissen Vorsicht auftreten müßten, weil unsere Stellung zu mächtigen Nachbarn uns hinderte, über diese alles zu sagen, was wir dächten. Als ich dieses Umstandes erwähnte, klopfte er mir auf den Arm und rief: »Ja leider, Ihr tapferen Schweden, Ihr habt jetzt gar verdrießliche Nachbarn!« – Im übrigen, fuhr ich fort, könnten wir über alle nur denkbaren Dinge schreiben und räsonieren, soviel wir Lust hätten, denn die Pressfreiheit wäre einer der Grundpfeiler unserer uralten und durch die letzte Revolution verbesserten Staatsverfassung. Hierüber bezeugte er seine Freude und stellte dann allerhand Fragen über unsere Sprache und deren Zusammenhang mit dem Isländischen und Deutschen; dann begann er vom Ulfilas, schlug sich vor die Brust und sagte, daß er ein Motto aus Ulfilas gleich einer Ordensregel im Herzen trüge, aber ehe er sich darüber erklären konnte, drohte eine brennende Girlande, die plötzlich an einer der vielen Lampen Feuer gefangen hatte, auf uns herabzufallen; er ergriff mich beim Arm und zog mich schnell nach einem anderen Winkel des Zimmers, um seinen Diskurs wieder zu beginnen, doch nun begann die ganze Kette der Festons an der einen Wand zu brennen, und die Flamme setzte sich sogar in einer der Fugen des Daches fest – allgemeine Konfusion, Tumult und schließlicher Sieg der vereinten Anstrengungen, des Feuers Herr zu werden, worauf das Fest fortgesetzt wurde. Leider trennte mich jetzt ein ganzer Strom der Anwesenden von dem Kronprinzen, und erst kurz vor seinem Weggehen trat er noch einmal an mich heran, um mir zu sagen, daß er in München ein ausgezeichnetes Bild Karls XII. besäße, welches schön gemalt und mit seinen Attributen, den Elenshandschuhen, dem Raufdegen an der Seite usw., versehen sei. »Er war wohl ein bißchen übertrieben«, bemerkte er, »allein das Zuwenig in dieser Hinsicht schadet weit mehr als das Zuviel!« Hierauf sagte er mir noch die Schmeichelei, daß mein Name einen poetischen Klang hätte, (was ich gerade nicht finde!), worauf wir uns trennten.

Ich glaube, daß dieser Fürst gewiß viel für die Wissenschaft, besonders aber für die Künste tun wird; ob er im übrigen, ungeachtet seines Wohlwollens und der Hoffnung vieler Deutschen, Charakter, Energie und Talent genug besitzen wird, um ein großer König und Deutschlands Befreier zu werden – das ist, bis auf weiteres, Zweifeln unterworfen. Er sieht mir überdies, um mich grob schwedisch auszudrücken, etwas zu ver– aus. Sonst ist er sehr tapfer und hat bei mehreren Gelegenheiten militärisches Genie an den Tag gelegt. – Mit seinem Vater lebt er nicht auf dem besten Fuß, nichtsdestoweniger hat er es durchgesetzt, den vornehmsten Minister, Günstling und Ratgeber seines Herrn Vaters, den beim bayrischen Volke äußerst verhaßten Montgelas, zu stürzen. Lustig ist es auch, daß, während in München, zufolge königlichen Verbots, kein Mensch altdeutsche oder sogenannte deutsche Kleider anzulegen wagt, des Königs leibhaftiger Sohn sich hier in Rom beständig öffentlich in dieser von den deutschen Regierungen für schwärmerisch und revolutionär angesehenen Tracht sehen läßt.

Cornelius ist jetzt mit einem großen Zyklus von Malereien aus Dante beschäftigt, nächstdem gedenkt er das Lied der Nibelungen vorzunehmen, von dem er schon eine Reihenfolge vortrefflicher Zeichnungen ausgegeben hat. Wenn wir einen solchen Maler in Schweden hätten! Wenn dieser Geist, dieses poetische Leben und diese gründlichen Kenntnisse, welche die besseren der hier befindlichen Deutschen auszeichnen, auf unsere jungen schwedischen Künstler übertragen werden könnten? Wollen sehen, was noch in Zukunft geschehen kann. Wenn nur ein Breda, Sandberg und Fogelberg, die unleugbar von Gott und der Natur reichlich begabt sind, auf einige Zeit nach dem südlichen Europa kommen wollten, um wirkliche Kunstwerke zu sehen! Doch was kann es helfen, dann nach Stockholm zu gehen, Porträts zu malen und Kupferstiche zu studieren?

Was Bayerns Thronfolger betrifft, so kann ich doch den Wunsch nicht unterdrücken, daß unser Prinz Oskar ihm – mit Ausnahme der Fehler – gleichkommen möchte in dem wahrhaft Ritterlichen und Edlen, das ihn auszeichnet, und vor allen Dingen als Universitätskanzler sich ebenso lebhaft für alle Anti-Philisterei sowie für den nach Großem und Schönem strebenden Jugendgeist interessieren wollte.


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