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9.

Aus einem kurzen und unruhigen Schlummer wurde Madame Oburn nach jener Nacht durch die Ankunft ihres Gatten geweckt. Lärmend und pfeifend, wie es seine gewöhnliche Art war, polterte er in's Zimmer und rief: »Gott verdamme mich! Da finde ich Dich noch Mittags in den Federn! Habe ich Dich nicht nach Carlsbad geschickt, damit Du mit den Hühnern aufstehn lernst, Brunnen trinkst und tüchtig spazieren läufst? Na, Kleine, mach' nur nicht ein gar zu betrübtes, weinerliches Gesicht! Es ist ja nicht böse gemeint; aber mach' nur rasch, laß' Dich ankleiden und komme zum Frühstück in den Garten; denn ich trinke gern ein Gläschen Wein mit Dir! Donnerwetter,« unterbrach er sich plötzlich selbst;« was ist denn das? Da liegen ja meine Pistolen auf der Erde; die Fensterscheiben sind eingeschlagen; Du siehst bleich und angegriffen aus; was ist hier geschehen? Verschweige mir nichts! Denn ich bin strenge und wüthend, wenn Du mich hintergehst!«

Am ganzen Körper zitternd und sichtbar mit sich selbst kämpfend, schlug die Frau das Auge scheu zu Boden. Sie war immer wahr gewesen. Ohne daß sie ihren Mann liebte, hielt sie die Ehe doch für so heilig, daß sie aus ihren Erlebnissen ihm nie ein Geheimniß machte. So wollte sie auch jetzt treu die Vorfälle der letzten Nacht schildern; doch als sie erschreckt von dem zornigen Blick ihres Gatten, sich umwandte, sah sie das leere Schmuck-Etui. Wie ein Blitz durchzuckte sie der Gedanke, daß Stein, um ihre Ehre zu retten, mindestens allen Klatschereien, die das Abenteuer nach sich ziehen könnte, vorzubeugen, ihren Schmuck zu sich gesteckt. Sobald ihr diese Absicht klar geworden, stand auch ihr Entschluß fest. Die Farbe vom zartesten Weiß bis zur Purpurglut wechselnd, erwiederte sie erschöpft und zitternd:

»In vergangener Nacht müssen hier Diebe eingebrochen sein und meinen Rubinschmuck entwandt haben. Als ich durch das Klirren der Fensterscheiben aus meinem festen Schlaf geweckt wurde, sah ich zwei männliche Gestalten durch das offne Fenster dringen. Trotz meines großen Schrecks hatte ich noch die Besonnenheit, rasch aufzuspringen und meine Leute durch das heftige Ziehen der Klingel zu wecken. Dann schwand mir das Bewußtsein, und ich sank ohnmächtig zu Boden. Was weiter geschehen, weiß ich nicht. Als ich nach langer Zeit wieder zu mir kam, fand ich mich im Bett, und neben mir die gute Lisette, die mir unter dem heftigsten Weinen meinen Verlust mittheilte.«

Eine Flut von Thränen verhinderte sie, weiter zu reden. Herr Oburn, der diese Thränen dem verlornen Schmuck zuschrieb, dem überhaupt nichts in der Welt verhaßter war, als das Weinen, sprach liebkosend: »Nun, gräme Dich nicht zu sehr um das bischen Gold, mein Herzchen! Ich kaufe Dir wieder einen andern Schmuck, aber nun sei auch heiter; zeige mir ein freundliches Gesicht; das ist mir lieber, als alle Deine Preciosen.« Durch diese unerwartete Milde ihres Gatten weich gestimmt, lehnte sie ihr Haupt an seine breite Brust, und flüsterte: »Du hattest mich nicht so lange allein hier lassen sollen, lieber Oburn! Ich sehnte mich fort von hier; nun laß' uns aber auch schnell abreisen – heute noch; oder lieber gleich in dieser Stunde.« Herr Oburn, geschmeichelt, durch diese Sehnsucht seiner Frau, nach Hause zurückzukehren, strahlte vor Glückseligkeit, nahm sie jubelnd in seine Arme, tanzte mit ihr im Zimmer umher, und erdrückte sie fast vor lauter Zärtlichkeit.

All' die vielen unangenehmen Vorbereitungen, die eine Abreise immer mit sich bringt, waren beseitigt, Rechnungen und Trinkgelder bezahlt, die Reisekoffer gepackt. Madame Oburn ging noch einmal in den Garten, nahm wehmüthig von jeder Lieblingsstelle Abschied, pflückte hier und da eine Blüthe und band sie zum Strauß, den sie vor den wallenden Busen befestigte. Als sie eben den Reisewagen besteigen wollte, kam ihr Brunnenarzt, um für das reichlich übersandte Honorar seinen pflichtschuldigen Dank abzustatten. Die unermüdliche Zunge dieses jungen Aeskulaps erging sich noch nebenbei in mancherlei Mittheilungen aus der Badewelt. Er schloß die Carlsbader Tageschronik mit einer interessanten, aber traurigen Neuigkeit. »Wissen Sie schon, daß heute Morgen im Schloßgarten zu Schlackenwerth ein Duell zwischen dem Prinzen C** und dem Baron Stein stattgefunden hat, und daß der Letztere dabei gefallen ist? Man beklagt allgemein den liebenswürdigen, jungen Mann, und die Neugier müht sich ab, die verborgene Veranlassung zu diesem unglücklichen Duell zu entdecken. Prinz C** soll, wie mir eben sein Leibarzt erzählt, durch diesen Fall tief erschüttert sein, und ist, wie Sie, meine Gnädige, eben im Begriff, Carlsbad zu verlassen.«

Madame Oburn preßte, ohne ein Wort zu entgegnen, krampfhaft ihre beiden Hände auf das Herz. Ihrem Gatten sowohl, wie dem Arzt, entging es, welch' unheilbaren Riß diese Worte in ihr Leben gemacht. Fast gefühllos, ließ sie sich in den Wagen heben, und lehnte das Haupt in die weichen Kissen. Bei der ersten Barrière traf ihr Wagen mit dem Reisezug des Prinzen zusammen – dann fuhr sie gen Osten, er nach Westen!


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