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1.

Eine alterthümliche Pfarrerwohnung gilt von jeher für das heimathliche Reich der Idylle. Hier quartiert, seit Vossens Louise, die gemüthliche Phantasie der Dichter ihre behaglichen Gestalten ein, welche in dem Comfort eines stillen, in sich befriedigten Lebens das letzte Ziel und den ganzen Werth der Existenz zu erschöpfen wähnen. Etwas Lindenschatten und Abendroth, Mittagessen und Gebet, eine Promenade durch die Kornfelder, die Bereitung des Kaffees und wenn es hoch kommt, eines Hochzeitbettes – das genügt dieser friedlichen Poesie, welche die breite Prosa des Lebens in ihre langathmigen Verse übersetzt. Doch der idyllische Kuhreigen hat in unserer Litteratur ausgetönt, da die Beschränktheit solcher Existenzen auch nicht auf Natur und Wahrheit Anspruch machen kann; sondern mit Recht als ein affectirtes Ignoriren des Lebens in der Welt und ihrer Geschichte angesehen wird, das Utopien einer spießbürgerlichen Phantasie. Diese Genrebilder ohne Perspective und Hintergrund finden kein Publikum mehr; denn sie sind poetische Grillen, welche der Wirklichkeit fern liegen. Selbst in das abgeschlossenste Pfarrhaus hinein dringt das Leben mit seinen Beziehungen und Gegensätzen, mit seiner Noth und Bedeutsamkeit; dringt der Zeitgeist mit seinen Kämpfen und seinen Zielen. In eine solche Pfarrwohnung, die nur äußerlich den idyllischen Frieden zur Schau trägt, während in ihrem Innern das moderne Leben seine socialen Schlachten schlägt, versetzen wir jetzt die Phantasie unserer Leser.

Die ersten Strahlen der Maiensonne drangen verstohlen durch zwei kleine, runde Schiebfenster, über welche dichtbelaubte Kastanienbäume die ehrwürdigen Schatten warfen, in ein traulich enges Gemach, und beleuchteten hier eine eigenthümliche Scene. Auf einem altmodischen mit großblumigen Kattun überzogenen Sopha saß ein Greis mit finstern, unheimlichen Zügen. Die kleinen, grauen Augen, der stechende Blick kontrastirten unangenehm mit dem silberweißen Haar, und störten den Eindruck des ehrwürdigen Alters. Vor diesem Greise knieete ein liebliches Mädchen von siebenzehn Jahren. Lichtbraune Locken fielen noch ungeregelt auf den weißen Hals und Nacken nieder, und gaben dem zarten Oval des Angesichts eine süße, träumerische Färbung. Die großen blauen Augen sahen in tiefem Schmerz zu dem Greis empor, während ihre Hände krampfhaft gefaltet auf dem Busen ruhten, als wollten sie den heftigen Schlag des Herzens hemmen. Die ganze Erscheinung des Mädchens hatte etwas Rührendes; denn ihre Züge waren von jener eigenthümlichen Schönheit, deren Reiz durch den Ausdruck des Schmerzes erhöht wird, denen der Menschenkenner schon im Voraus prophezeiht, daß sie einst den Stempel tiefen Leidens tragen werden. – Die Einrichtung des Gemachs entsprach dem Sinn der Bewohnerinn. Sie war einfach und klar, und entbehrte aller unnützen Zierrathen, mit denen sich sonst die Eitelkeit der Damen zu umgeben pflegt. Ein blankgebohnter Nußbaumtisch, drei geflochtene kleine Rohrsessel, ein Spiegel in Duodezform bildeten mit dem Sopha das ganze Meublement. In einer Ecke lehnte eine Harfe, mit einem halbverwelkten Immortellenkranz geschmückt, während auf dem niedrigen Fenstergesimse wie zum Hohn für das abgestorbene Bild der Unsterblichkeit üppig blühende Geranien und Rosen prangten. Die Wände des Zimmers waren blendend weiß, nur hin und wieder mit schwarzen Kreidezeichnungen dekorirt, denen Nußbaumholz zum rohen Rahmen diente, wahrscheinlich Reminiscenzen aus der frühesten Jugend des Mädchens. Mitten in dieser Einfachheit that es dem Auge fast weh, auf dem Roccoco-Tisch Gegenstände des feinsten Luxus zu finden. In chaotischer Unordnung lagen die kostbarsten Preciosen umher. Ein elegantes, rothes Saffian-Etui ließ einen prachtvollen Rubinschmuck hervorschimmern; Blonden und Kanten blickten neugierig aus ihren halbgeöffneten Kartons zu einem Atlas-Kleid hinüber, das über der Sophalehne hing, gleich als ob sie sich sehnten, an dem schweren, weißen Gewand als blendender Schmuck zu prangen.

»Es ist fest und unwiderruflich, Johanna,« sprach der Greis mit heiserer Stimme; »heute wirst Du die Gattin des Herrn Oburn. Ich habe mein Wort gegeben; ich halte mein Wort. Der Mann ist reich, sehr reich; Du wirst ein glänzendes, vielfach beneidetes Leben führen, da vergißt sich rasch die sentimentale Jugendliebe, das Spiel einer müssigen Phantasie, das vor dem Ernst des Lebens verschwinden muß. Du wirst es mir später Dank wissen, daß ich Dein Geschick gewählt.«

»Mir schaudert, Vater,« entgegnete das Mädchen, »wenn ich an den Mann nur denke, von dem man so viel Unheimliches sagt, dessen ganzes Wesen mir widerwärtig ist. Aus seinen Zügen spricht ein Geist, der mir ewig fremd bleiben wird, den ich nicht verstehe, nicht verstehen will, der mir wie eine feindliche Macht gegenübertritt und mein Gefühl empört. Nie, nie könnte ich diesem Manne angehören! D'rum, laß mir mein Glück, meinen Frieden, Vater! Sieh', ich bin noch so jung! Du hast mich so oft Deine holde Blume genannt! O laß' mich hier fortblühen ungestört bei Dir, und wachsen und werden, was der innere Trieb gebietet. Dort muß ich verwelken, verdorren – ich fühl's – dort ist meine Heimath nicht. Und dann,« fuhr sie fort mit lieblicher Schüchternheit, »Du weißt es ja mein Vater, ich liebe, heiß und innig, habe dem Geliebten das Wort gegeben, ihm allein auf immer anzugehören. Und Du willst mich zwingen, meineidig zu werden, Du, ein Diener des Herrn? Du mußt es ja wissen, wie fluchwürdig eine Untreue vor Gott ist.«

Der Greis hörte in höchster Aufregung die Worte der Tochter an; doch er bekämpfte die Aufwallung seines Innern, die aus seinen feurigen Blicken und seinen Zügen sprach, und erwiederte ruhig: »Höre aufmerksam zu, Johanna! Was ich Dir jetzt sage, wird Dir jede weitere Einrede ersparen. Ich tadle Dich nicht; denn auch mir war die Liebe, als ich noch jung war, das Höchste, das einzig Begehrenswerthe, dem man jedes Opfer willig bringen muß. Ich war sehr arm, hatte früh die Eltern verloren, und stand unter der Aufsicht eines Vormundes, eines redlichen, aber strengen Mannes, der mich für den Handwerkerstand bestimmte, weil mir die Mittel zu einer höheren Ausbildung fehlten. Doch ich traute mir Kraft und Talente zu, eine andere Laufbahn zu wählen: und brachte es durch eifriges Studium dahin, daß ich die Universität zu H. beziehen konnte. Ohne Geld, ohne Connexionen, mit dem bittersten Mangel kämpfend, verlebte ich meine Studienjahre. Die Freuden der Jugend, das Glück eines frischen Lebens, die ungehemmte Freiheit der Existenz – mir war das alles unbekannt. Ich suchte diesen Verlust zu verschmerzen, in eifrigem Studium, in begeistertem wissenschaftlichen Streben Ersatz zu finden für ein sonst freudloses Dasein. Aber auch die Schätze der Wissenschaft sind der Armuth verschlossen; und nur das Gold ist die Zaubersalbe des Abdallah, welche den Zutritt zu ihnen öffnet, und dem Auge erlaubt, in ihre Tiefen zu schauen. Mit großer Mühe mußte ich mich durchkämpfen zu den Quellen des Wissens, welche den begüterten Studenten mühlos und leicht zuflossen. Da schien mir dieses Metall eine Zaubermacht, gegen die anzukämpfen, nutzlos ist, mit der man sich verbünden muß, um das Leben zu besiegen. Seit jener Zeit ist mir der Reichthum ein hohes Gut, das ich gehaßt und doch mit Gier erstrebt; dem ich nachjagte, während es mich floh, wie mein eigener Schatten. Du, mein Kind, kennst die Noth und den Hunger nicht! Das waren die Gefährten meiner Jugend, die mich von Tag zu Tag hetzten durch ein Leben, das keinen andern Zweck kannte, als den, sich selbst zu behaupten, sich selbst fortzufristen. Wie oft schlich ich mich des Nachts auf die Aecker der begüterten Bürger, um mit den Früchten des Feldes, dem fremden Eigenthum, mich vor dem Hungertod zu erretten. – Doch auch diese qualvolle Zeit ging vorüber. Ein glänzendes Examen, das ich nach dreijähriger Studienzeit zurücklegte, verschaffte mir die Gunst und Empfehlung eines Professors und durch dieselbe eine Hauslehrerstelle in einer gräflichen Familie. Ein achtjähriger Knabe wurde meiner Sorgfalt anvertraut, während ich der fünfzehnjährigen Tochter nur Musikunterricht ertheilen sollte. Hier in diesem Hause war ich täglich den empfindlichsten Demütigungen ausgesetzt. Die ungebildete, hochmüthige Familie behandelte mich, den Erzieher ihres Kindes, gleich einem Domestiken. Wenn ich oft nahe daran war, das Haus zu verlassen – da tödtete der Gedanke an meine Armuth, an eine Zukunft ohne Mittel und Aussicht, den freien Entschluß. Allmählig fand ich in meinen Zöglingen Ersatz für die bittern Kränkungen, welche die Eltern mir zufügten. Elise, die Tochter des Hauses, machte mir das Leben zum erstenmale wünschenswerth. Unsere gegenseitige Neigung wurde bald zur Liebe; die Liebe zur heftigsten Leidenschaft, die nicht nur über mich, sondern auch über die Schülerinn maßlosen Jammer brachte. Die Mutter, eine herzlose Kokette, eifersüchtig auf die Reize der Tochter, entdeckte bald mein Verhältniß zu Elisa. Ich wurde in einer entehrenden Weise, die meinen Namen an den Pranger stellte, aus dem Hause gejagt. Ohne eine andere Stellung zu finden, irrte ich lange Zeit in der Welt umher, im Herzen verzehrende Liebe, von Noth und Sorge treu begleitet. Die bewegtesten Schicksale waren an mir vorübergegangen; – Jahre voll Arbeit und Mühe lagen hinter mir; – ich hatte tüchtig mit dem Leben gerungen, bis ich diese Pfarrstelle erhielt, ein bescheidenes Loos, das meine Existenz sicherte; ohne mein Streben nach höheren Lebensgenüssen jener Welt, die der Reichthum zu schaffen vermag, zu befriedigen. Meine Liebe war nicht erloschen – unter allen Kämpfen des Lebens dachte ich mit Sehnsucht an den kurzen Traum meines Glücks. Sechs Jahre lang hatte ich nichts von der Gräfinn gehört; ich glaubte sie längst vermählt, und hätte ihr keinen Vorwurf daraus gemacht, wenn sie mir ihr gegebenes Wort gebrochen. Da hörte ich von einem Freund, daß, jeden Zwang, allen Mißhandlungen zum Trotz, mir die Geliebte treu geblieben und mein in unveränderter Liebe gedenke. Diese Nachricht machte mich unaussprechlich glücklich. So geliebt, um seines Selbst wegen so geliebt zu sein, ist für den Mann ein berauschendes Glück, das mir alle Ruhe und Ueberlegung raubte. Ich fand Mittel, mich der Gräfinn zu nahen. Sie wollte Mein Weib werden, mir der Eltern Liebe, Rang und Reichthum zum Opfer bringen; und ich war nicht edel genug, dies Opfer abzulehnen. Ohne den Segen der Eltern wurde Elise meine Gattinn – Deine Mutter.« – Erschöpft hielt hier der Greis einige Augenblicke inne; dann fuhr er bewegter fort: »Aus großer, alles bezwingender Liebe war diese Ehe geschlossen worden; dennoch war sie nicht glücklich. Glaube mir, Mädchen, Liebe beglückt nur auf kurze Zeit! Deine Mutter ist edel und liebenswürdig; – dennoch waren wir Beide elend; deine Mutter, weil sie alle gewohnten Annehmlichkeiten des Lebens entbehren mußte; ich, weil ich nicht im Stande war, sie ihr zu verschaffen. So sind uns freudlose Jahre vorübergegangen, welche mir die traurige Lehre gaben, daß unter bedrückten äußern Verhältnissen jede Hoffnung auf Glück getäuscht wird. Das Glück kehrt nur bei den Glücklichen ein! Du bist mein einziges Kind – die Erfahrung meines Lebens soll Dir zum Heile werden! Du sollst einer jugendlichen Täuschung nicht den wahren Genuß des Daseins opfern! Ich muß Dich schützen vor all' dem Jammer, den Deine Mutter erlebt.«

Mit sichtlicher Spannung hatte Johanna den Worten des Vaters gelauscht, und schien in einer kurzen Pause über ihren Inhalt nachzudenken. Aus ihren Zügen sah man, daß dies Denken ein Erleben war, das ihr Wesen in seinen innersten Tiefen faßte; daß sich in diesem Augenblick die ganze Zukunft bedeutsam in ihr zusammen drängte. Plötzlich begann sie mit jener Entschiedenheit, welche, wie mit einem gewaltsamen Ruck, alle Zweifel abschüttelt:

»Deine Geschichte, Vater, paßt nicht auf mich! Ich bin keine Gräfinn, bin an Entbehrungen gewöhnt. Mir wird ein einfaches Leben genügen. Und dann –« fuhr sie fast feierlich fort, – »meine Mutter war Dir treu; auch ich werde meiner Liebe treu sein, als ihre echte Tochter. Ich lasse mich nicht verhandeln gegen schnödes Gold; ich kenne etwas Edleres, als dies Metall – meine Liebe! Ich schwöre Dir's – nie werd' ich Oburns Gattin!« Alle Heftigkeit, die der Greis bisher bezwungen, kam nun bei ihm zum Ausbruch. »So wagst Du, mit mir zu sprechen, thörichtes Kind? Bist Du nicht mein Geschöpf? Ist nicht mein Wille Dir Gesetz? Du mußt ihm gehorchen; denn ich bin Herr über Dich! Es bleibt dabei: heute Abend wirst Du dem Herrn Oburn ehlich angetraut! Ich will es und befehle es! Bei diesen Worten blitzte es im Auge der Tochter dämonisch auf; das blühende Antlitz wurde marmorbleich; doch fest und ruhig erhob sie sich; sah den Vater durchdringend scharf an, und sprach mit Bestimmtheit: »Aber ich – ich will es nicht! So weit gehen die Rechte eines Vaters nicht, einer flüchtigen Laune die Jugend, ja das ganze Leben eines Kindes zu opfern. Hier hört der Gehorsam auf, und mir allein gebührt die Entscheidung. O sieh' mich nicht so zornig an, als zöge ich mit diesen Worten auf ewig eine Scheidewand zwischen unsere Herzen! Ich bin jung – noch sehr jung – kenne die Welt und ihre Freuden nicht; dennoch ahnt es mir, daß es ein Glück geben muß, ein Glück der Liebe und des Genusses, in das sich zu versenken höchste Befriedigung ist! Und ich will glücklich sein, mein Herz hat die Kraft dazu, die Kraft, in der Seligkeit aufzugehn. Das fühl' ich jetzt, denn Du verurtheilst mich, des Lebens unschätzbarste Güter einem ungeliebten Manne hinzuopfern, dessen verlebte Züge nur das Todesurtheil aussprechen über meine Jugend. Mich reizt nicht all' diese Pracht der äußern Existenz, die seelenlos auch der Seele nichts zu bieten vermag, sie nur fesseln kann in blendender Sklaverei. Nie werde ich diese Fesseln ertragen!« Bei diesen Worten nahm sie mit zitternder Hand eine schwere goldene Kette vom Tisch; und ihre zarten Finger rüttelten und spielten gedankenlos mit den Ringen und Gliedern des prächtigen Geschmeides. Doch über den Greis kam der Sturm des Unwillens, und unterbrach gewaltig die kurze Pause sprachlosen Erstarrens, in das ihn die Rede der Tochter versetzt. Die unbeherrschte Leidenschaft triumphirte! An dem braunlockigen Haar riß er die Tochter wild hin und her, und stieß sie dann mit den Füßen von sich, in maßlosem Zorn ausrufend: Ungerathene! Ich fluche Dir! Erschöpft, todesmatt, mit blauen Lippen und festgeschlossenen Augen sank der Greis, nach diesem Ausbruch der Wuth, ohnmächtig auf das Sopha zurück. Der gellende Schrei: »Mein Vater ist todt,« tönte in dem sonst so stillen Pfarrhaus wider.


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