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4.

Die Saison des Jahres 18** war glänzender, als alle früheren des an Pracht gewöhnten Karlsbad. Drei gekrönte Häupter waren hier versammelt, nicht, um Genesung zu suchen für irgend ein Leiden, sondern um über das Wohl ganzer Nationen zu entscheiden. Von Karlsbad aus wurde schon einmal das Schicksal der Welt bestimmt, als die mürrische Diplomatie über die jugendlichen Freiheitsbestrebungen der Völker den Stab brach, und alle, der neuen Entwicklung günstigen Paragraphen, mit seinen Wendungen aus der Bundesakte hinaus interpretirte. Damals strömten in Karlsbad alle gewandten Vertheidiger und Anhänger des status quo zusammen, welche aus den nationalen Bewegungen der Jugend das revolutionaire Element herauswitterten, das den bestehenden Mächten und ihrem wohlgeordneten System Gefahr drohte. Die ganze Camarilla des Absolutismus, die Diplomaten mit der eleganten Beweisführung, die aus juristischen, historischen und theologischen Fetzen dem gottesgnädigen Königthum den Mantel zusammenschneiderte, die heilige Legitimität proklamirte, das unwandelbare Gesetz der politischen Welt; die Aristokraten jeder Art, welche ihre alten Rechte zu wahren hatten, gegenüber den Anforderungen einer neuen Zeit – alle schienen hier ein Schutz- und Trutzbündniß zu schließen, eine heilige Ligue des neunzehnten Jahrhunderts. Doch auch in dem Jahre, in dem unser sociales Drama spielt, hatte die Zusammenkunft des Kaisers von Rußland, des Königs von Preußen und des Königs von Hannover alle treuen Vasallen dieser Potentaten in Karlsbad versammelt. Der ganze Ort wimmelte von Fürsten und Grafen. Wem daher nicht ein sehr großer Reichthum zu Gebote stand, der konnte in diesem Sommer nicht daran denken, in Karlsbad ein Unterkommen zu finden. – An einem drückendheißen Juli-Morgen, an dem die Natur in Glutgedanken zu träumen schien, war die höchste Aristokratie auf der weltbekannten Wiese versammelt. Unter den schönen, blühenden Lindenbäumen hatten sich Coterieen gebildet, die Chocolade schlürften, Blätter lasen, oder durch leichtes Plaudern die Stunden verkürzten, die sich vom Brunnentrinken bis zum Diner träg und langweilig dahinschleppten, Schönheiten aller Art, bleich und blühend, im ersten und letzten Stadium, junge, reiche Wittwen, interessante, geschiedene Frauen, Mütter mit mannbaren Töchtern – alles war wie noch heute, auf diesem Markt der Schönheit anzutreffen. – Auf der Promenade von der Wiese zum Freundschaftssaal lustwandelten zwei junge Männer von höherem Rang, in lautem Gespräch, das für sie ein besonderes Interesse zu haben schien. Plötzlich unterbrach der Eine seine Rede, mit dem Ausruf: »ach, da kommt sie!« Diese begeisterten Worte galten keiner berühmten Persönlichkeit, keiner Prinzessin oder Schauspielerin, sondern einer jungen Frau in einfacher eleganter Kleidung, die rasch an den Herren vorüberging, als wollte sie ihre frechen Blicke fliehen. »Ich möchte nur wissen, wer sie eigentlich ist,« sprach Graf Reitzenstein zu seinem Gefährten, dem Baron Stein, »sie läßt sich Madame Oburn nennen: aber ich glaube nicht an das Mährchen. Dies Gesicht, diese Tournüre, diese Toilette, Baron – ma foi, das paßt nicht zu einer spießbürgerlichen Madame! Und lebt sie nicht fürstlich? Sie hat vor ihrem Wagen die schönsten Pferde, die ich je gesehen, Pferde, in die der Fürst Metternich gänzlich vernarrt ist, die er als diplomatische Flügelrösse gern vor seinen Triumphwagen spannen möchte. Er bot ihr tausend Dukaten; doch Madame antwortete mit Stolz: »Durchlaucht, ich will so gut wie Sie, edle Pferde vor meinem Wagen haben. Ma foi, hier werden nicht alle Trümpfe ausgespielt! Ich möchte wohl in die Karten sehen können! Hier muß irgend ein Coeur-König Trumpf sein, Baron! wer weiß, was hinter dem unscheinbaren Namen steckt!« Stein erwiederte nichts auf diese Vermuthungen, sah nur der schönen Frau mit glühenden Blicken nach, bis er den Entschluß faßte, ihr mit dem Grafen zu folgen. Die junge Dame hatte von alle dem, was um sie vorging, nichts gemerkt; theilnahmlos und der Außenwelt unzugänglich, schwebte sie auf kleinen Füßchen mit großer Schnelligkeit weiter. Nur in der Nähe des Freundschaftssaals sah sie sich ängstlich um, ob Niemand ihren Schritten folge, verließ dann plötzlich den gewöhnlichen, breiten Weg, und schlug einen Seitenweg ein, der durch eine Nebenpforte zu dem großen, parkähnlichen Garten führt, welcher zu diesem beliebten Etablissement gehört. Hier saß in einer blühenden Fliederlaube, die fast undurchdringlich von dem grünen Gezweig umschlungen war, ein schöner, ernster Mann von 30 Jahren, in dessen regelmäßigen, römischen Zügen sich deutlich die Ungeduld der Erwartung und ihre ängstliche Spannung malte. Als er die Pforte leise öffnen hörte, sprang er auf, stürzte mit ausgebreiteten Armen aus der Laube, umschloß mit unbeschreiblicher Leidenschaft das junge Weib, das eben eingetreten, und sagte mit dem Ton der glühendsten Liebe: »meine Johanna, Du kommst! O ich danke Dir!« Dann zog er sie zärtlich in die Laube, nahm ihr den seinen Strohhut ab, strich die vollen Locken, die sich zu üppig vorgedrängt, von der Stirn, kniete dann zu ihren Füßen nieder, preßte die kleinen Hände fest in die seinen, und drückte lange, brennende Küsse auf ihre Lippen. So saßen sie stumm eine geraume Zeit – alles war still und heimlich; kein fallendes Blatt unterbrach die Ruhe ringsum. Es war jene Mittagsstille in der Natur – das orientalische Brüten, die Ruhe, die sich selbst genießt, welche die Fühlhörner des Lebens zurückzieht und ihre großen Wünsche, die in fernen Blitzen aufzucken am Horizont, in schwülen Schlummer wiegt. Doch des Menschen Herz hat den rastlosen Pulsschlag des Lebens; und mächtiger wird sein heißes Begehren, wenn alles ringsum wünschelos und regungslos schlummert. Die Blicke des jungen Weibes zogen den Zauberkreis immer enger um den Geliebten. Er flüsterte: »Sieh' mich nicht so an, – das ertrag' ich nicht! Du willst mir nicht gehören; du willst nicht mein werden – o so laß' Deinen Blick sanft sein wie den Blick der Taube, ein stilles, argloses Glück spiegeln, die Idylle der Unschuld, den süßen Wahn der Kindheit! Laß' ihn ohne Verlangen sein, wie die stille, abendliche Flut, die keinen Sturm und keine Brandung kennt! Doch selber glühend, weckst Du meine Glut, die mich verzehrt, die mich ringen macht nach Deinem Besitz!«

»Und Du siehst es nicht, daß ich Dich besitzen will, besitzen muß!« – Er sprang auf, wie von bachantischer Wuth erfaßt, von dem Taumel des Gottes ergriffen, drückte krampfhaft die Frau an sich – küßte Busen und Schultern in flammender Leidenschaft. »Franz, vernichte mich nicht! Du weißt es ja, wie ich Dich liebe! Jede Fiber sehnt sich nach Dir, jeder Nerv zuckt nach Vereinigung. Ach, ich möchte Dir ja alles geben, was Dich glücklich macht; und doch flehe ich zu Dir: schütze mich vor mir selbst, schütze uns Beide. Du bist der Stärkere! Deinem Schutz muß ich vertrauen! O warum bist Du so heftig? Nun ist's das letzte Mal, daß ich Dich hier gesehn! Unterbrich mich nicht – laß' mich ganz ausreden! Ich muß Dir jetzt Alles sagen, was mich schon lange gequält. Seit ich Dich gesehen, liebe ich Dich, mein Leben – bis dahin ohne Gehalt und Bedeutung, hat in Dir seine wahre Erfüllung gefunden. Ich habe mich diesem berauschenden Glück überlassen, ohne zu fragen: wie kann, wie soll das enden? Jetzt aber sehe ich klar – wie unrecht ich daran gethan, wie gefährlich uns Beiden dieser Dämmerzustand des Herzens geworden. Als ich vor vier fahren gezwungen wurde, meinen Gatten zu heirathen, wider meine Neigung – da glaubte ich zu lieben, ein süßer Irrthum, in dem jedes junge Mädchen befangen ist. Schon damals unterdrückte ich dies Gefühl; nicht aus moralischen Grundsätzen; nicht aus Pflichtbewußtsein; sondern aus Stolz. Ich war die Frau eines Andern; ich wollte, den Menschen gegenüber, vorwurfsfrei dastehen. Seit ich Dich kenne – weiß ich wohl, daß ich früher nie geliebt. Und die Seligkeit zu lieben, so mit aller Kraft lieben zu können, hat mir nie Zeit gelassen zur Reue. Und ich werde es nie bereuen, Dir die ganze Stärke meiner Leidenschaft offen gezeigt zu haben. Ich bin keine von den christlichen Hausfrauen, welche die heißen Wünsche ihres Herzens, aus Furcht vor moralischer Abkanzelung oder ewiger Strafe, unterdrücken, und in ihrem Tugendbewußtsein reichlichen Ersatz für alles geopferte Glück finden. Ich bin nichts weiter – als stolz – ich will keine Seligkeit, die ich mir stehlen, über die ich vor der Welt erröthen müßte. Darum und darum allein – gehöre ich Dir nicht ganz in Liebe an. Erschwere mir nun durch kein Wort, keine Bitte, mein Opfer! Beklage mich auch nicht – ich bin durch die Liebe zu Dir so selig gewesen, als eine Sterbliche sein kann. Was sie auch für Schmerzen in ihrem Gefolge haben mag – ich scheue sie nicht; ich werde Dir ewig für das höchste Glück meines Lebens dankbar sein.« Eine Pause folgte diesen Worten. Den Kopf fest in die Falten des Kleides gedrückt, saß der Mann unbeweglich da Als er das Gesicht erhob, war es bleich zum Erschrecken, doch ruhig. Seine Hand zitterte sichtbar, als er die andere, ihm so theure Hand erfaßte. Doch fest stand er auf, und erwiederte: »Ich verstehe Dich, Johanna, wir müssen uns trennen! Ich habe in Dir gefunden, was mir von Jugend an vorgeschwebt, als das Ideal des Weibes! Und wenn der Traum eines ganzen Lebens zur Wirklichkeit geworden – so verrauscht er nicht mit den andern flüchtigen Wellen der Zeit; sondern er prägt sich tief ein in das innerste Wesen mit ewig bleibender Bedeutsamkeit. So standest Du vor mir – so wirst Du immer vor mir stehen, in dem schalen Marionettenspiel aufgeputzter Puppen mit dem Hauch des Lebens und seiner Würde! Doch daß auch die Weiblichkeit, die sich selbst behauptet, die nimmer herabsteigt zu unedlem Thun und Treiben, und dem Pariathum trotzt, zu dem das Gesetz dieser Gesellschaft die Frau verurtheilt – daß auch diese Weiblichkeit der rohen Gewalt verfällt, und schmachvoller Mißhandlung, daß ein roher Wüstling Macht hat über eine Seele, deren Heiligthum ihm verschlossen ist, deren unendlichen Reichthum er nicht ahnt – das empört mein Innerstes gegen dies unverständige Gesetz der Welt, das solche Frevel zu heiligen Rechten, und solche Tempelschänderei zu einem gottgefälligen Wandel stempelt!«

»O wie viel wirst Du noch leiden müssen unter den Menschen, die Deines Wesens Bedeutung nicht verstehn! Und ich, der ich sie verstehe, der ich werth bin sie zu verstehn, der ich, beseligt von jeder neuen Offenbarung, auch aus dem kleinsten Zug seine ganze Tiefe herausfühle; der ich Dich, wenn die verständnißlose Kälte der Welt Dich eisig anhaucht, mit meinem Odem erwärmen, mit meinen Pulsen beleben möchte – ich – kann nichts thun – als Dich fliehn!«

Der Schmerz des Mannes mußte groß sein: denn eine Flut schwerer Thränen entstürzte seinen Augen: doch er schämte sich dieser Zeichen seiner Qual, drückte noch einen innigen Kuß auf die Augenlieder seiner Geliebten, und verschwand rasch.

Sie selbst saß starr und unbeweglich, so lange sie noch die verhallenden Tritte hören konnte. Dann bedeckte sie noch einige Minuten mit beiden Händen die Augen – und erhob sich plötzlich mit entschiedener Willenskraft. Nur den verstörten Zügen war es anzusehn, daß sie erst nach schwerem Kampf diesen Sieg über ihr Gefühl errungen. Mit fester Haltung, das Haupt kühn und frei erhebend, ging sie dann nach ihrer Wohnung, dem lieblichen Wiesenthale.

»Wieder einmal ein Schäferspiel gratis, ohne Entrèe, eine rührende Scene,« ließ sich die kreischende Stimme des Grafen Reitzenstein vernehmen; »was sagen Sie dazu, Baron? Irgend eine wohlmeinende Fee führt uns a tempo herbei, wenn von dem Gott der Liebe eine Episode in Scene gesetzt wird. Doch zum Teufel, wer war denn der Glückliche, der diesen Schäfer spielen und im Schatten dieses Paradieses flott d'rauflos lieben konnte? Ein beneidenswerthes Loos! Im Salon dürfen wir armen Weltkinder die Liebe nur mit Glacéhandschuhen anfassen; hier in Gottes freier Natur wird die Aktion lebhafter; es arrangirt sich alles ungenirter, wie weiland im seligen Olympos. Doch wer mag der Kavalier gewesen sein, der in diesem romantischen Irrgarten herumtaumelte, bis er seiner Dulcinea an's Herz sank? Ich muß ihn schon irgendwo gesehen haben – es ist eins von jenen Kupferstich-Gesichtern, die an den Läden zu hängen pflegen – etwas Apartes, was den Weibern gefällt; etwas in seinem Wesen, was sich nicht nach dem gewöhnlichen Versmaaß unserer Salons skandiren läßt! Ach, nun fällt mir ein! Es ist ja der Leibarzt des Prinzen C., ein sehr liebenswürdiger Doktor, der schon manche recht glückliche Kuren, besonders bei den Frauen gemacht haben soll! – Aber wahrhaftig, Stein, die Oburn ist süperb! Wie trefflich sie die kleine Tugendhafte spielte! Man hätte fast glauben können, es wäre ihr damit Ernst! Doch ich möchte wohl sehen, wie weit ihr gerühmter Stolz ausreichen würde, wenn unser Prinz selbst einmal mit dem Leibarzt die Rollen vertauschte!« –

»Glauben Sie an die Tugend dieser Frau? Heuchelei, nichts als Heuchelei! Die Tugend einer Frau, das perpetuum mobile, die Unsterblichkeit der Seele – das sind so verschiedene Variationen zu dem unerschöpflichen Thema der Chimären; lauter Erfindungen müßiger Köpfe, patentirter Unsinn! Wie wär' es, lieber Stein, wenn wir selbst unser Glück versuchten? Sollte es uns so schwer werden, ihr Trost zu spenden und ihrem Stolz ein wenig unter die Arme zu greifen?« Kühn und siegsgewiß strich der Graf nach dieser Philippika seinen Schnurrbart, trällerte eine beliebte Opernmelodie und spielte mit der Reitgerte. Doch Stein entgegnete empfindlich: »Ich muß Sie bitten, ein für allemal über diese Dame in einem andern Ton mit mir zu sprechen. Nach dem Auftritt, dessen Zeugen wir eben waren, achte ich sie sehr hoch, wer sie auch sein mag; und wenn Sie es wagen sollten, über diese Scene, die wir unritterlich genug waren, zu belauschen, frivole Klatschereien zu verbreiten, so werde ich die Ehre der Dame zu vertreten wissen.« »Aha, steht es so mein Freund? Nun ich gratulire, und wünsche besseren Erfolg, als Daphins der Erste erlangt,« entgegnete hämisch Graf Reizenstein.


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