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6.

Das Wiesenthal bei Karlsbad ist eine überaus nette, kleine Meierei, und zugleich ein sehr beliebter Vergnügungsort der Kurgäste. Es liegt ungefähr ???1/8 Meile von der Stadt entfernt, dicht unter dem Kreuzberge, in einer entzückenden Umgebung. Ein sehr schöner, großer Garten mit den reichsten Blumenpartieen und dichtverwachsenen Laubgängen, durch den sich die Eger gleich einem Silberbande schlängelt, umgiebt das freundliche Wohngebäude. Alles war hier so friedlich und still, und bildete einen schneidenden Contrast mit all' den Leidenschaften der Menschen, die das bewegte Karlsbad umschloß. Madame Oburn mit ihrer Dienerschaft bewohnte in diesem Sommer die für Badegäste eingerichteten Zimmer der Meierei. Mit den Fremden, die Nachmittags dort herauskamen, um ihre Tasse Kaffee mit Schmellen und Hörnchen zu trinken, kam sie in keine weitere Berührung. Nur an Concerttagen öffnete sie wohl die Flügelthüren ihres Gartensaales oder setzte sich in die Geisblattlaube, die eigends zu ihrem Logis gehörte. Doch sah man sie gewöhnlich allein. Nur dann und wann ließ sie einen Musiker, bei dem sie ein bedeutendes Talent entdeckte, zu sich einladen. Weil sie Musik leidenschaftlich liebte, zeigte sie sich, solchen Künstlern gegenüber, stets artig und generös, und wurde in manchen Kreisen die Beschützerin der Kunst genannt. Auch kam sie in den Ruf eines beispiellosen Reichthums. Die Besitzerin der Meierei, eine gewisse Frau Meier, war ein originelles Weib, das eine nähere Charakteristik verdient. Von ihrem wahren Namen und ihrer Herkunft wußte man nichts. Der Sage nach war sie vor vielen Sommern mit einem polnischen Grafen, der sie seine Frau nannte, nach Carlsbad gekommen. Obgleich ziemlich roh, hatte sie doch während der Saison die Aufmerksamkeit vieler stattlichen Cavaliere auf sich gezogen, und da sie glänzend lebte, war sie sogar eine von den Damen geworden, welche den Ton in der Gesellschaft angaben. Eines Morgens war der Graf plötzlich verschwunden, und die trauernde Gattinn blieb allein zurück, ohne Geldmittel dem allgemeinen Hohn preisgegeben. Doch die Pseudo-Gräfinn faßte sich kurz, verkaufte ihre Juwelen und kostbaren Gewänder, und erstand für das daraus erlöste Geld die Meierei Wiesenthal, die gerade zum Verkauf ausgeboten wurde. Hier lebte sie nun schon seit 10 Jahren still und zurückgezogen von der übrigen Welt – eine echte Philosophinn, ruhig weiter, bis sie, durch die vielen Fremden, die dort eifrig die Gegend durchstreifen, vielfältig dazu aufgefordert, ihr kleines Eldorado zu einem öffentlichen Lustort umschuf. Zu den schwächsten Seiten dieser Frau gehörte eine große Schwatzhaftigkeit, die besonders mit vielem Behagen bei den Thaten ihrer Jugend, und all' den Eroberungen, die sie gemacht, verweilte. Die jungen Herren, die namentlich in diesem Sommer sehr häufig zu ihr herauskamen, hatten diese Schwäche bald bemerkt, hörten mit übergroßer Geduld Stundenlang den Erzählungen ihrer Erlebnisse zu, bis es ihnen gelang, ganz unvermerkt die Rede auf die jetzige Einwohnerin der Meierei, der Madame Oburn, zu bringen. So hatten sie glücklich entdeckt, daß die junge Frau sehr unglücklich sein müsse, daß sie viel, viel weine, und ihr Mann in einigen Tagen erwartet werde, um seine Gemahlinn zurück zu holen. Diese Notizen genügten den neugierigen Forschern, um selbstgefällige Hoffnungen und Folgerungen daran zu knüpfen, wie es junge Männer immer thun, wenn sie von einer unglücklichen Ehe hören.

Es war schon spät am Morgen, als Madame Oburn nach jener Ballnacht erwachte. Ihr fieberhaft geröthetes Antlitz, ihr wogender Busen, zeugten von keiner süß durchträumten Nacht. Im Zimmer war es unerträglich schwül; rasch zog sie die grün seidenen Vorhänge zurück, öffnete das Fenster, und sah, ungeniert, noch im weißen Nachtkleide und Schlafhäubchen, in den blühenden Garten hinaus. Der frische, von Blumenduft durchwehte Morgen that ihr unendlich wohl, die Brust athmete geregelter, die unnatürliche Röthe wich ihrer gewöhnlichen, gesunden Farbe. Heiter, wie ein Kind, schlug sie die tiefsinnigen Augen bald zum Himmelsgewölk auf; bald ließ sie den Blick auf einer durch die Nacht erschlossenen Blume haften. Da plötzlich schrack sie sichtbar zusammen: sie erblickte den Prinzen C**, der höchst leutselig im eifrigen Gespräch mit Frau Meier, im Hauptgang des Gartens auf und ab promenirte. Wie ein gescheuchtes Reh sprang sie vom Fenster, und zog sich in die entfernteste Ecke des Zimmers zurück. Der gestrige, bewegte Abend, den sie noch vor wenigen Minuten, wie einen bangen Traum ansah, stand lebendig vor ihr, verworrene Ahnungen eines nahen und großen Unheils ergriffen sie; und als wollte sie dem eigenen, dunklen Verhängniß entfliehen, vertiefte sie sich in die Lektüre der »Indiana.« Während sie andächtig alle Empfindungen und Leidenschaften nachfühlte, die in diesem Buche so hinreißend geschildert sind; während sie in dem Geschick der »Indiana« das Walten derselben Mächte erkannte, die ihre Gegenwart beherrschten und mehr noch ihrer Zukunft verhängnißvoll zu werden drohten: wurden in dem Nebenzimmer, mit geschäftiger Hast, die Waffen geschmiedet zu ihrem Verderben. Das dicke, morchelartige Gesicht der Frau Meier strahlte vor Wonne und Glück. Geschäftig lief sie hin und her, blieb dann vor ihrem Schenkmädchen, einer verschmitzten Wienerin, stehen, und sprach mit Mund und Händen: »Therese! Schnell! Spute Dich! Prinz C** wollen höchsteigen heute Mittag hier speisen. Schlachte die Hühner, pflücke Schoten, oder rühr' lieber erst die Mehlspeise ein! Nur rasch, rasch, Mädchen! Wir haben wenig Zeit, und der Prinz wird viele Gerichte essen wollen. Gott,« fuhr sie mit komischem Pathos fort, »ist das ein liebenswürdiger Prinz! Therese, denke nur! Se. Durchlaucht haben lange mit mir gesprochen, und finden alles so schön bei mir, daß Sie hier häufig diniren wollen! Das ist noch ein Prinz, so familiair, so leutselig; an dem sollten alle Kavaliere sich ein Muster nehmen! ES ist recht schade, meinen der Prinz, daß mein Logis schon vermiethet ist, sonst würden Sie es gern bewohnen; doch vertreiben wollen Sie die Oburn nicht, um keinen Preis! Nun, das ist wahr, sie zahlt auch gute Miethe – doch, nicht wahr, Therese, schöner würde es klingen, Prinz C** nebst Gefolge logiren im Wiesenthal, als Madame Oburn nebst Dienerschaft. Doch es ist nun einmal so; und weil es dem Prinzen hier gar so sehr gefällt, und er doch inkognito leben will, so habe ich ihm mein eigenes Wohnzimmer abgetreten. Therese! Ich verbiete Dir, darüber zu sprechen, am wenigsten mit der zimperlichen Jungfer Lisette; denn wenn die Oburn das erführe, wäre sie im Stande, gleich abzureisen. Bei Tage wollen Se. Durchlaucht auch gar nicht hier sein; nur des Nachts, um hier ruhiger zu schlafen, als in der geräuschvollen Stadt. So kann es auch Niemand erfahren. Wenn Du klug bist und schweigst, haben Dir der Prinz 3 Friedrichsd'or Trinkgeld versprochen; – danach richte Dich, Mädchen!« Mit einer sehr bezeichnenden Pantomime gelobte die würdige Gehülfinn der Frau Meier Verschwiegenheit; und beide fuhren eifrig in ihrem Gespräche fort. Ganz vertieft in dasselbe, hatten sie die leisen Fußtritte eines Mannes nicht gehört, und erschrocken gewaltig, als der Baron Stein mit lauter Stimme um eine Tasse Chokolade bat. In lebhaftestem Selbstgespräch schritt er hierauf dem Garten zu: »Ist's Dir und allen Deines Gelichters nicht genug, euch zu nähren von dem Schweiß und Blut der geknechteten Völker; müßt ihr auch noch tief hineingreifen in das Allerheiligste der Herzen, und Seelen vergiften, Seelen, deren innerstes Leben ein Gottesdienst ist aller großen und edeln Gedanken? Und jetzt, da Rang, Schönheit und Geld machtlos sind, gegenüber dieser innern, stillschaffenden Gewalt der Seele, die an sich selber ein unwandelbares Gesetz hat – jetzt verbindest Du Dich, Nichtswürdiger, mit einer Kupplerinn, um das Weib, das Dich stolz verschmäht hat, durch List und Gewalt zu besiegen. Doch solchem frechen Beginnen will ich entgegentreten; und beglücken soll es mich, wenn Du Schiffbruch leidest mit Deinen nackten Hoffnungen und Wünschen, und die Qual unbefriedigter Liebe Dich aufzehrt! – Die Oburn soll nichts erfahren von dem Gewölk, das sich an ihrem Himmel zusammenzieht! Sie schlafe in Frieden; ich selbst will ihren Schlummer bewahren!« Zum erstenmale besuchte Baron Stein heute das Wiesenthal; und es gefiel ihm, in seinen Phantasien diesen bedeutungsvollen Zufall einem dunkeln Beruf zuzuschreiben, der ihn zum Schutzgeist der Oburn bestimme. Der Zug der Sympathie führte ihn in die Geisblattlaube; hier saß er träumerisch, und schrieb Hieroglyphen in den gelben Sand, der die Erde bedeckte. Nachdem Madame Oburn sicher war, daß ihr Schreckbild, der Prinz C**, den Garten verlassen, nahm sie Buch und Handschuhe und ging ihrer Laube zu. Verwundert und zögernd blieb sie einen Augenblick stehen, als sie den fremden, jungen Mann, dessen Anblick die Erinnerung an den letzten, verhängnißvollen Abend in ihr erweckte, darin sitzen sah. Dann trat sie jedoch rasch ein, und sprach, als sie bemerkte, daß er sich entfernen wolle, freundlich zu ihm: »O bleiben Sie doch, wenn Ihnen der Platz gefällt. Ich verdränge Niemanden von da, wo es ihm wohl ist!« Dann setzte sie sich dem jungen Manne gegenüber, und las, ohne die geringste Notiz von seiner Gegenwart zu nehmen, ruhig in ihrem Buche weiter. Regungslos saß Stein da; in seinen Zügen wechselten Farbe und Ausdruck; er wollte gehen; aber es hielt ihn mit unsichtbaren Händen zurück. Was ihn so magisch hinzog zu dieser Frau: war es Liebe, war es Mitleid? Er wünschte, sie möchte zu ihm sprechen, denn die Lieblichkeit ihres Wesens gewann durch den geistigen Ausdruck, der bei'm Sprechen ihre Züge verklärte; und ihre Worte klangen so einfach und innig, ein Evangelium des Herzens.

Es war eine liebenswürdige Eigenthümlichkeit der Oburn, mit den fremdesten Menschen, sobald sie mit sicherem Blick einen geistig verwandte Zug in ihnen entdeckt, so vertraut umzugehen, als sei sie längst mit ihnen befreundet, ohne die Furcht, dies offne Entgegenkommen könne mißverstanden werden. So sah sie auch hier den ihr gegenübersitzenden Mann traulich an, und sprach, während sie das Buch fortlegte und einige Geisblattblüthen zerpflückte: »Ich las eben in der Indiana, und bin von der lebenswahren Schilderung der Leidenschaft und des Schmerzes so ergriffen, daß ich heute nicht weiter lesen kann.«

»Im Glücke, gnädige Frau,« entgegnete Stein, »muß man ein solches Buch nicht lesen, so schön es auch sein mag. Sie begehen damit ein Unrecht an sich selbst! Eine edle Natur muß ein reines, ungetrübtes Glück genießen; und wie ein gerechtes Geschick den Schmerz und die Trauer von ihr fern halten würde, so muß sie selbst jede Berührung mit diesen unheimlichen Gewalten vermeiden, gleich als würde sie dadurch entweiht und herabgezogen.«

»Das sind ideale Träume! Und wissen Sie denn so sicher, ob ich glücklich bin; ob nicht ich gerade ein Recht habe, alle Schmerzen der Indiana mitzufühlen?«

Stein sah ihr mit prüfendem Blick, den sie nicht vermied, in das thränenfeuchte Auge:

»Wohl, ich will glauben, daß Sie leiden; und bin gewiß, daß Sie werth sind, solche Schmerzen zu ertragen!«

»Nun, das klingt sonderbar,« entgegnete sie mit erzwungener Heiterkeit; »Sie wünschen mir Kummer und Elend, so ernsthaft, so von Herzen, wie die gewöhnliche Welt Freude und Glück zu wünschen pflegt.«

»Wenn ich einer Frau Schmerzen wünsche, wie sie Georges Sand die Indiana fühlen läßt, heilige Schmerzen über die Entwürdigung des Weibes und ihre modernste Knechtschaft – dann muß ich diese Frau sehr hoch stellen, und ihr große Kraft und eine alles bezwingende Liebe zutrauen.«

Wiederum trat eine längere Pause ein, die beiden gleich peinlich war. Sie fühlte nur zu gut, daß die innerste Quelle ihrer Leiden entdeckt sei, und er erkannte, daß es nicht in seiner Macht stehe, diese Schmerzen zu heilen. Sie reichte ihm stumm und ohne Ziererei die Hand; es war ein geistiges Verständniß, das diese edeln Naturen einander näher führte.

»Es thut mir wirklich leid,« brach die Oburn das Schweigen, »daß uns das Schicksal erst jetzt, kurz vor meiner Abreise zusammengeführt; wir hätten doch manche gemüthliche Stunde verplaudern können! Wie habe ich mich während der ganzen Zeit meines hiesigen Aufenthalts nach einem echten, wahren Menschen gesehnt! Diese Puppen und Zerrbilder, dies ganze Marionettspiel einer innerlich hohlen Gesellschaft, diese platten, indifferenten Gesichter, denen eine Spur zurückzulassen der Gedanke und das Gefühl, der Schmerz und die Freude, wie aus gerechtem Stolz verschmähn: das alles mattet mich innerlichst ab, und läßt mich an der menschlichen Natur verzweifeln!«

»Sie wollen Carlsbad wirklich so bald verlassen?« fragte Stein gepreßt.

»In einigen Tagen wird mich mein Gatte von hier abholen,« erwiederte sie leise.

»Und gehen Sie gern von hier? O verzeihen Sie diese unbescheidene Frage, gnädige Frau! Nicht wahr, Sie sehnen sich nach der Heimath, nach dem Familienleben! Wohl kann ich mir denken, wie Sie dort vermißt werden, welchen Segen Sie über Ihre Umgebungen verbreiten!«

»Ich habe keine Heimath, ich kenne kein Familienleben,« entgegnete sie tonlos; »überall stehe ich allein! deßhalb ist es mir gleichgültig, wo ich lebe! Vielleicht würde ich mich, wenn mir die Wahl freistünde, gerade für Carlsbad entscheiden; denn hier hatte meine Seele auf kurze Zeit eine Heimath gesunden.«

Stein fühlte zu zart, um hierauf etwas zu erwiedern; er bemühte sich nur, den Trübsinn der Frau durch eine leichte Unterhaltung zu verscheuchen. Als er bemerkte, daß sie sich entfernen wolle, bat er sie innig um die Erlaubniß, sie in diesen Tagen noch öfter sehen zu dürfen, er wolle eine theure Erinnerung mit fortnehmen: dies zu gewähren, sei ihr so wenig, ihm so unendlich viel!

»Gern gewähre ich das,« entgegnete sie lächelnd; »und damit Sie sehen, wie ernst es mir damit ist, bitte ich Sie, mit mir heute Nachmittag nach meinem Lieblingsplatz Schlackenwerth zu reiten!« Bei diesen Worten erhob sie sich, und ging auf ihren Salon zu. Hier wandte sie sich noch einmal um, und rief freundlich: »Bitte, Sie Unbekannter, Ihr Name?« – »Eduard von Stein!« – »Das klingt ja ritterlich genug; und erinnert an die ganze, reichsunmittelbare Romantik! Also auf Wiedersehen, mein lieber Ritter!« Der junge Mann sah ihr in stillem Entzücken nach. Diese Erscheinung übte eine Macht über ihn aus, der er sich nicht entziehen konnte. Gerade die liebenswürdige Kindlichkeit, vereinigt mit einem tiefsinnigen Zug, der Zauber einer seltenen Harmonie, der, alle Gegensätze versöhnend, über ihr ganzes Wesen ausgebreitet war, mußten einen Mann fesseln, den Denken und Leben in allen Widersprüchen herumgeworfen; der gerade nach einer Harmonie suchte, in der die schreienden Mißklänge aufgelöst würden. Doch daß sie selbst nicht glücklich war, sie, die zum Glücke berufen schien, die den Mann ihrer Liebe zum Gott beseligen mußte: das war ein neuer, schmerzlicher Riß in der harmonisch vollendeten Schöpfung, die er im flüchtigen Traume dieser seligen Minuten sich zusammenphantasirt!


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