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Einleitung.

»Daß ich die Natur von Bergmännern und Inselbewohnern habe, die sich immer sehnen müssen, wissen Sie wohl.« So schreibt Ernst Moritz Arndt 1814 an seine Freundin Charlotte Pistorius in Garz auf Rügen und klingt damit, bewußt oder unbewußt, an eine berühmte Stelle aus seinem »Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann« an: »Und seien es kahle Felsen und öde Inseln, und wohne Arbeit und Mühe dort mit dir, du mußt das Land ewig lieb haben ...«

Diese Heimatliebe, dieses Heimweh sind es auch gewesen, die den Freiheitssänger nach der Unrast der Kriegsjahre in die »Märchen« seiner Knabenzeit zurückführten, so daß er sie für den Druck niederschrieb. Gleichzeitig kam Arndt hierdurch dem romantischen Geiste der Zeit entgegen, der damals Volkslieder und Volksmärchen zu sammeln begann; für »Des Knaben Wunderhorn« hat Arndt 1810 selber Beiträge eingeschickt, zu den »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (1812) steuerte sein Landsmann Philipp Otto Runge aus Wolgast zwei vorpommersche plattdeutsche Märchen bei.

Schon die Mutter hatte die Phantasie ihres Sohnes Moritz durch Erzählungen und Märchen lebendig gemacht, »die sie mit großer Anmut vorzutragen verstand«. Eine junge, hübsche Dirne von fünfzehn Jahren auf der Kuhweide, besonders aber die Knechte des väterlichen Gutshofes erzählten ihm gar manches heimatliche Sagengut. Er nennt selber von Rügen den Knecht Balzer Tievs aus Preseke bei Garz, den Statthalter Hinrich Vierk aus Giesendorf bei Rambin, den Knecht Papier und den Schäfer Studier; die Krone unter ihnen war der lebenstüchtige und doch in ehrlichem Geister- und Spukglauben lebende Hinrich Vierk, dem er eine liebevolle ausführlichere Schilderung widmet (S. 49 dieses Buches). Es lockte, diese Namen auch einmal in den Kirchenbüchern von Rambin zu suchen, und tatsächlich finden sie sich dort wieder. Am 18. August 1811, 5 Uhr morgens, starb an Entkräftung Hinrich Christian Viercke, Prövner im Hospital St. Jürgen; Geburtsort: Giesendorf; Alter: nicht angegeben; dagegen ist ausdrücklich eine Leichenpredigt vermerkt, was mir Herr Pastor Riedel, dessen Güte ich diese Angaben verdanke, als selten bezeichnete. Am 16. Oktober 1778 wurde Friedrich Poppier mit Anna Katharina Wilden getraut. Der Schäfer Studier war nicht nachzuweisen, dagegen natürlich der frühere Gutspächter Johann von Schlagenteuffel, den Arndt in seinen Lebenserinnerungen und Hinrich Vierk in seinen Spukgeschichten erwähnt. Die beiden Hauptpersonen aus Hinrich Vierks Erzählung von den Neun Bergen bei Rambin sind allerdings nicht geschichtlich: es hat niemals einen Pastor Friedrich Krabbe in Rambin gegeben, und auch der Familienname Dietrich kommt in Rambin damals nicht vor.

Als Arndt die »Märchen und Jugenderinnerungen« im Herbst 1817 und Winter 1820/21 niederschrieb, mischte er auch manche eigene Dichtung darunter, wie er sie oft den Kindern seiner Freunde erzählt hatte. Jedoch scheinen die rügenschen »Märchen« im großen ganzen wirkliches altes Sagengut der Insel ziemlich unverfälscht zu bewahren; denn Sagen und nicht Märchen sind diejenigen Teile von Arndts Werk, die auf Rügen unter Nennung rügenscher Oertlichkeiten spielen; nur wenige märchenhafte Züge finden sich dazwischen. Arndt nannte aber »Märchen« alle Geschichten mit übernatürlichem Einschlag und war im übrigen durch den Titel »Märchen und Jugenderinnerungen« gegen etwaige Einwände gedeckt.

Der erste Teil des Buches erschien 1818 bei dem Freunde G. A. Reimer in Berlin (jetzt W. de Gruyter & Co.), ging aber schlecht. Erst nach dem Tode des Verlegers brachte der Sohn Georg Reimer 1842 eine zweite Auflage heraus und schloß daran den zweiten Teil im Jahre 1843. Von beiden Teilen waren noch 1910 Reststücke auf Lager, wie der Auslieferungskatalog des Verlags Georg Reimer ausweist. Seitdem sind gar manche Neuauflagen und Neuauswahlen erschienen. 1844 schrieb Arndt dann noch »Erinnerungen, Gesichte, Geschichten«, die er 1845 bei einem anderen Sohne Reimers, Karl, Inhaber der Weidmannschen Buchhandlung, im 3. Teil der »Schriften für und an seine lieben Deutschen« herausgab. Einiges daraus gehört zu den rügenschen »Märchen« und ist daher im vorliegenden Bande erstmals damit vereinigt worden; auch die lebendige Schilderung des Märchenerzählers Hinrich Vierk durfte dabei nicht fehlen.

Die ausdrücklich auf Rügen spielenden Sagen sind – bisweilen mit geringfügigen Umstellungen – aus den beiden Bänden »Märchen und Jugenderinnerungen« herausgelöst und in der Aufeinanderfolge angeordnet worden, wie Arndt sie wohl selber gehört hat, also nach den Oertlichkeiten, wo seine Eltern auf Rügen gewohnt haben. 1769, im Geburtsjahre Arndts, wurde sein Vater Ludwig Inspektor zu Schoritz, im Süden der Insel am Wasser gelegen, das als Schoritzer Wiek bis dicht an den Gutshof spült. 1776 übernahm er eine eigene Pachtung, ein Stückchen nördlich landeinwärts zu Dumsevitz, mußte das Gut aber vorzeitig aufgeben, da er die Pacht nicht mehr aufbringen konnte. Beide Güter gehörten seit 1767 dem Grafen Putbus. Er zog dann 1780 gen Westen nach dem Gute Grabitz, zu dem auch Breesen und die Bauerndörfer Giesendorf und Gurvitz gehörten, die Hofdienst zu leisten hatten. Grabitz war seit 1764, Breesen seit 1735 Besitz des Klosters St. Jürgen vor Rambin, einer Stiftung des Stralsunder Bürgers Gödeke von Wikkede. Hier wohnte man wieder nahe am Wasser, am Kubitzer Bodden, südlich der Inseln Hiddensee und Ummanz. Im Jahre 1787, als Arndt schon das Gymnasium in Stralsund besuchte, siedelte die Familie dann endgültig auf das pommersche Festland über, zunächst nach Löbnitz bei Barth, seit 1781 ebenfalls dem Grafen Putbus gehörig. Auch aus dieser Gegend hat Arndt noch zahlreiche Sagen aufgezeichnet, meistens in plattdeutscher Sprache. Von einem dortigen Gewährsmann stammt angeblich auch eine Geschichte, die in Poseritz und Ueselitz spielt, und die deshalb unserer Sammlung von rügenschen Sagen als letzte angefügt ist.

Unser Abdruck folgt überall genau den Eigentümlichkeiten der Arndtschen Ausdrucksweise nach den Ausgaben der Märchen von 1818, 1842 und 1843; nur in der Zeichensetzung waren einige Abweichungen erwünscht, und die Rechtschreibung ist natürlich die heutige. Auch die Ortsnamen sind alle in moderner amtlicher Schreibung gegeben, also Puddemin statt Pudmin, Gurvitz statt Gurrevitz, Unrow statt Unruh usw. Eine besondere Anmerkung verdienen noch die Neun Berge bei Rambin, neun Hünengräber, die allerdings nicht auf Rambiner, sondern auf Natzevitzer Gebiet liegen. Der von Rügen gebürtige Heimatforscher Prof. Dr. A. Haas berichtet, daß man vor etwa vierzig Jahren begann, die mit Bäumen und Buschwerk bestandenen Hügel abzuholzen und teilweise wegzugraben und wegzupflügen. Ein Freund des Heimatschutzes hat dann die Grabhügel, die wohl aus der mittleren oder älteren Bronzezeit stammen und also vielleicht dreitausend Jahre alt sind, von völliger Vernichtung gerettet. Ihre Stätte ist wohl noch zu finden; doch nur zwei Gräber sind im alten Umfange erhalten und von der Eisenbahn und der Chaussee Rambin–Samtens aus gut zu erkennen. Möchten sie, die durch E. M. Arndts schönes Märchen geweiht sind, vor weiterer Zerstörung stets bewahrt bleiben!

Wer noch Näheres über die Entstehung von Arndts »Märchen und Jugenderinnerungen«, über die Drucklegung, den Stil, die Beurteilung, die Ausgaben usw. wissen will, lese nach, was ich im »Handwörterbuch des deutschen Märchens«, herausgegeben von Lutz Mackensen (bei W. de Gruyter & Co., Berlin, 1931), auf S. 115-120 des ersten Bandes zusammengestellt habe. Zum Vergleich für manche Sagen sind die »Rügenschen Sagen« von Alfred Haas (7. Auflage, Stettin 1926) sehr lesenswert.

Möchten die wundervollen Rügen-Märchen unseres Ernst Moritz Arndt, aus innigster Liebe zu Heimat und Volkstum niedergeschrieben, auch in diesem neuen Gewande ihre alte, oft erprobte Wirkung wieder üben und die Liebe zu dem schönen Eiland Rügen, zu Heimat und Vaterland beleben und festigen!

Erich Gülzow.


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