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19. Der Bauerndom

Die Märchen von den drei Domen, dem Bauerndom, dem Edelmannsdom und dem Prinzendom, die viele gefährliche Proben bestehen und große Taten vollbringen müssen, bevor sie das ihnen bestimmte Glück gewinnen und die Braut heimführen können, sind wohl eine Erfindung Arndts Die Geschichte vom Edelmannsdom erzählt er Märchen II, S. 106: die vom Prinzendom ist er uns schuldig geblieben.

Es war einmal ein kleines Mädchen, ein Kind guter und frommer Eltern, die hieß Mariechen. Sie war ein sehr hübsches und freundliches Kind und hatte ein sehr liebendes und zärtliches Herzchen und überhaupt ein sehr lebendiges Gemüt, was sich in tausend kleinen Zeichen und Spuren offenbarte. Ihre Eltern entdeckten das sehr bald und hatten insgeheim manche Sorge darüber und sprachen wohl oft bei sich: »Wie wird es unserm Mariechen einmal gehen? Das Kind ist zu zart und dünn für diese grobe Erde gestaltet, und sein leicht bewegliches und zärtliches Seelchen wird hier von rauhen Winden viel umher gewehrt werden und doch schwerlich finden, was es sucht.« Denn sie sahen, wie das Kind alles mit leidenschaftlicher Heftigkeit ergriff, und wie es über den Tod eines Würmchens außer sich sein und über ein abgebrochenes Blümchen meinen konnte. Sie suchten diese zu zarte Empfindsamkeit des kleinen Mädchens nun freilich zu zügeln und hielten Mariechen mehr als ihre andern Kinder zu strenger Ordnung und gemessener Arbeit an, damit sie nicht Zeit hätte zum Träumen; aber das half nicht viel. Das Kind verrichtete seine Arbeit mit Gehorsam und Fleiß, war aber dabei immer mit den wundersamsten Gesichten und Träumen und mit einer Märchenwelt beschäftigt, die sie sich selbst schuf, und worin ihre luftige und blühende Phantasie herumflatterte wie ein Frühlingsvögelein in den ersten grünen Zweigen. Mariechen hatte ein ganz besonderes Wohlgefallen an Geschichten und Märchen, und wer ihr Geschichten erzählen oder ein Märchenbuch bringen konnte, der war ihr liebster Freund. Sie wußte eine Menge Geschichten, und sie behielt alle, die man ihr erzählte oder die sie las, und vergaß sie nie wieder. Aber von allen ihren Märchen und Geschichten war ihr keine so lieb als die Geschichte von den drei Domen. Diese Dome waren gleichsam Drillinge und hießen der Prinzendom, der Edelmannsdom und der Bauerndom. Diese drei Dome erscheinen wie der Vogel Phönix je alle tausend Jahre mal wieder und kommen nach vielen Verwandlungen und Proben treuer Liebe endlich in die Arme ihrer Herzallerliebsten. Mariechens Vorliebe für das Märchen von den drei Domen kam wohl daher, weil es ihr am allerersten und öftesten erzählt worden. Genug, sie hatte sich so darin vertieft und ihr ganzes kleines Seelchen hineingelegt, daß sie sich einbildete, einer der Dome müsse wiederkommen und ihr Bräutigam werden. Das saß so fest in ihrem Herzchen, daß sie wohl häufig bitterlich weinte und schluchzete, wenn jemand ihr das ausreden oder bestreiten wollte. Sie hatte sich aber von den drei Domen den kleinen Junkerdom auserkoren, der ihr als ein zierlicher, fröhlicher und flinker Gesell beschrieben war. Der Prinzendom deuchte ihr zu vornehm und zu schön, und sie hatte ihn ihrer jüngern Schwester zugedacht, welche Heidichen hieß und ein sehr schönes Kind war, und von welcher Mariechen selbst glaubte, sie sei viel schöner als sie. Der Bauerndom aber deuchte ihr wieder zu schlecht und gering zu sein.

Es kam nun oft ein Freund ihres Vaters in ihr Haus, ein unverdrossener Märchenerzähler, um den die kleinen Kinder sich daher bald versammelten. Dieser hatte das Fliegende und Sehnsüchtige in Mariechen bald entdeckt, und er suchte Wasser in das gefährliche Feuer zu gießen, nicht eben aus Absicht, oder daß er meinte, es hülfe etwas, sondern weil die Menschen überhaupt so tun, daß sie gern das anrühren, was in andern Menschen am lebendigsten klingt, um sich ein gewisses Leben in ihnen selbst klar zu machen. Darum kam er immer wieder auf die Geschichte von den drei Domen, die er zuerst ins Haus getragen hatte, und wies Mariechen immer auf den Bauerndom hin als den Tüchtigsten von allen dreien und schilderte ihn als einen starken, tapfern, schlichten und frommen Mann, der sein Werk redlich tue, Gott und alle Menschen liebe, Häuser, Gärten und Wälder, Obst und Wein, Pferde und Rinder, Schweine und Schafe, Gänse und Puter, Hühner und Enten und Tauben und anderes Geflügel in Überfluß habe und mit Weib und Kindern und Freunden ein sehr vergnügliches und fröhliches Leben führe. Alle diese Herrlichkeiten schilderte und malte er auf das lustigste und prächtigste aus und gab dem kleinen Junkerdom dabei immer Seitenhiebe, als welcher bei aller seiner Leichtigkeit und Zierlichkeit doch nicht aushalte gegen den Bauerndom, in Leichtfertigkeit und Flatterhaftigkeit verderbe, seiner Liebsten nicht einmal treu sei und endlich von dem tapfern Bauerndom niedergemacht werde. Dies alles hörten Mariechen und die andern Kinder mit immer neuer Begierde an, obgleich die letzten Aufzüge der Geschichte immer ein vollständiges Trauerspiel wurden, wo es bei dem armen Mariechen an Seufzern und Tränen und zuletzt an Seufzern und Verwünschungen, ja sogar an Verwünschungen des Erzählers einen Überfluß hatte.

Mariechen aber hielt ihren kleinen Junkerdom mit redlichem Gemüte fest und wollte nicht von ihm lassen und Pflegte in ihrer Verzweiflung mit lautem Schluchzen auszurufen: »Es ist nicht wahr! Es ist aber doch nicht wahr! Ihr Abscheulichen belügt ihn; er ist nicht so eitel, er ist nicht untreu, der Bauerndom kann ihn nicht bezwingen, der Junkerdom ist doch der Beste!« Das Niedliche bei dieser Geschichte aber war, daß Mariechen ihren kleinen Junkerdom schon gefunden hatte, ohne daß ihre Eltern und der Märchenerzähler davon etwas wußten. In ihr Haus kam oft ein kleiner Junker Fritz, ein hübscher, schmeichlischer und gewandter Knabe, und spielte mit ihr und ihren Geschwistern. Diesen kleinen Junker gewann sie sehr lieb und bildete sich fest ein (ließ es sich aber gegen keine Seele merken), mit ihm werden die Domschen Verwandlungen vorgehen, und sie werden beide die Liebesproben bestehen, die den kleinen Junkerdom Fritz einst zu ihrem Gemahl machen werden. In diesem süßen Wahne lebte das süße Kind einige Jahre, weil es den Fritz so liebhatte, ließ sich auch manche Neckerei gefallen, die sie von ihren Geschwistern und von andern wegen des kleinen Junkers ausstehen mußte, und sagte dann wohl mit vielen Tränen bei sich selbst: »Er ist es doch! Er ist doch mein Junkerdom!« Aber ach, die Sachen änderten sich sehr. Der kleine Fritz, der von Natur wild und leicht war, ward immer wilder und leichtsinniger, wie er an Jahren wuchs, und machte manche tolle und übermütige Streiche, riß und zerrte und mißhandelte auch sein Mariechen zuweilen, worauf aber immer eine Versöhnung folgte. Endlich aber blieb er ganz weg aus dem Hause und kam gar nicht wieder, und Mariechen sah ihn nun mit andern Kindern zuweilen nur auf den Gassen und auf Spaziergängen, und der wilde Knabe sah sie nicht mehr an; sie aber weinte bitterlich und sagte: »Es ist doch wahr, was sie mir gesagt haben, der Junkerdom taugt nichts und ist leichtfertig und untreu, und der Fritz ist auch untreu!«

Mit dem Verschwinden und der Untreue des kleinen Junkers Fritz verschwand aber der Domsche Traum noch nicht aus Mariechens Herzen. Aus dem kleinen, treuen, lieben Herzen verschwand so leicht nicht, was einmal darin gewurzelt hatte. Sie trug den schönen Traum immer warm mit sich herum und hegte ihn als ihr Schoßkind, und das Sonderbarste war, daß sie sich nun, da die erste Probe mit Junker Fritzchen so schlecht abgelaufen, den Bauerndom auserwählt hatte, denn der Prinzendom war schon lange an ihre Schwester Heidichen vergeben. Mariechen war elf Jahre alt, als ihre Liebe zu Junker Fritzchen zerbrochen ward, und die drei folgenden Jahre hat sie nichts anderes geträumt als die Geschichte von den drei Domen. Nun begab sich, als sie vierzehn Jahre alt geworden, etwas, das aus dem Märchen ein Märchen machte, und das muß ich nun erzählen.

Mariechens Vater war in seinen Geschäften nach der großen Stadt Leipzig auf die Messe gereiset und hatte Mariechen und noch zwei seiner Kinder mitgenommen. Auf der Rückreise fuhren sie einmal durch eine sehr anmutige Gegend an der Elbe hin. Die Sonne ging eben auf; sie sahen ein freundliches Dörfchen mit bunten Häusern und lustigen Gärten vor sich liegen, und auf einer grünen Wiese, die von hohen Eichen umwachsen war, trieben muntere kleine Knaben in schneeweißen Hemdärmeln und gestreiften Jäckchen singend und tralleiend ihre Herden hin. Kaum hatte Mariechen dies alles einige Augenblicke mit ihren lebendigen, blauen Äuglein beschaut, so sprach sie bei sich: »Hier ist es! Hier ist es! Hier muß er sein und verwandelt werden! Grade so sahen das Dörfchen und die Wiese mit dem grünen Walde und die Herden aus, wo der kleine Bauerndom in dem Märchen lebte, als er für seine Liebe so oft verwandelt worden ist!« Sie fuhren weiter; aber Mariechen mußte die ganze Reise daran denken, und auch, als sie zu Hause gekommen waren, ließ ihr der Gedanke daran bei Tag und Nacht keine Ruhe. Was tat sie also? Als sie es länger nicht mehr aushalten konnte, Packte sie, als es Nacht war und alles im tiefsten Schlafe lag, ihr kleines Bündelchen zusammen und nahm es unter den Arm und ging aus der Türe, das Abenteuer mit dem Bauerndom zu erleben. Sie war sehr fröhlich im Herzen, aber mußte doch weinen, wenn sie an den Kummer dachte, den sie ihren lieben Eltern durch ihre Flucht machte. Sie ließ für sie in dem Kämmerchen, worin sie schlief, ein bewegliches Brieflein zurück, worin sie schrieb: »Lebt wohl, liebe Eltern, bis auf das Wiedersehen mit meinem Bräutigam, dem Bauerndom! Ich muß in die weite Welt gehen und ihn aufsuchen; eher finde ich keine Ruh', und Ihr müßt mir's wohl erlauben, wenn Ihr nicht wollt, daß ich sterben soll. Ich weiß wohl, wohin ich gehe; aber Ihr wisset wohl, daß darum kein Mensch wissen darf, denn sonst könnte das Märchen ja nicht fertig werden. Eure liebe Tochter Mariechen.«

So war Mariechen um Mitternacht fortgegangen. Den andern Morgen ist großer Jammer und große Klage um das Kind geworden, wie es dem armen Mariechen mit seinen bunten Träumen in der bösen, fremden Welt gehen würde, und ihre Eltern haben Boten ausgeschickt zu Fuß und zu Pferde auf allen Straßen, und sie selbst sind auch umhergefahren, sie zu suchen und zu erfragen; aber keiner hat sie finden können, und traurig sind sie alle heimgekommen. Mariechen aber ist richtig hingekommen, wohin sie wollte, wiewohl das Dorf, wo der Bauerndom verwandelt werden sollte, an fünfzehn Meilen von ihres Vaters Hause war. Und als sie in dem Dörfchen ankam, das Weiseritz hieß, klopfte sie an die Türe eines Hauses, wo sie eine freundliche Frau durch das Fenster gucken sah, und ihr ward aufgetan. Und sie hat sich bei der Frau, die eine Bäuerin war, als kleine Magd verdungen; aber das ist so leicht nicht gegangen. Die Bäuerin sah das hübsche Kind, als es in seinen netten Kleidern hereintrat und fragte, ob sie eine kleine Magd im Dienst brauchen könne, ganz verwundert an und sprach: »Mein Kind, eine kleine Magd gebrauche ich wohl; aber eine kleine Magd, wie du mir aussiehst, kann ich nicht gebrauchen. Sage mir nur, wie kommst du hierher? Haben deine Eltern dich verloren? Hast du dich etwa von der Straße verirrt? Oder bist du heimlich aus deiner Eltern Hause gegangen? Sage es mir und fürchte dich nicht; wir wollen dich gern wieder hinbringen.« Das Kind antwortete ganz beherzt: »Das kann ich Euch alles nicht sagen, Mutter. Genug, ich bin ein christliches, ehrliches Kind und will als kleine Magd bei einer Bäuerin dienen; warum ich das aber will, darf ich keiner Seele sagen. Ich kann spinnen und nähen und den Garten bestellen, und Gänse, Hühner, Enten und Tauben füttern, das kann ich so gut als eine andere, auch wohl eine Herde Kühe hüten – und behaltet Ihr mich nicht, so geh' ich zu jemand anders.« Die Bäuerin redete Mariechen auf diese Worte noch weiter zu; da sie aber weder etwas aus ihr herauslocken noch sie von ihrem Vorsatze abbringen konnte, und da ihr das niedliche Kind über alle Maßen gefiel, so sprach sie: »Nun, wenn du es durchaus willst, so behalte ich dich; bei mir bist du gut aufgehoben und sollst auch keine zu schwere Arbeit tun.« Sie behielt Mariechen und gab ihr sogleich kleine Sachen zu nähen in die Hände, woraus sie sah, daß das Kind geschickt war. Weil es aber Sommer war, hatte das Kind am meisten im Garten zu tun, mußte aber auch oft das Vieh im Walde und auf der grünen Wiese hüten, wo sie jenen schönen Morgen, als sie mit ihrem Vater von Leipzig kam, bei Sonnenaufgang die Herden hatte treiben sehen.

Warum aber wollte Mariechen durchaus als Magd bei einer Bäuerin dienen? Darum, weil diejenige, welche den Bauerndom aus seinen schlimmen Verwandlungen erlösen soll, sich durchaus zur Magd erniedrigen muß. Das hat in den ältesten Zeiten für den Bauerndom schon einmal eine königliche Prinzessin getan und ist eine glückliche Frau geworden. Denn Mariechen hatte die Domschen Geschichten so oft erzählen gehört und hatte sich aus ihnen alles genau gemerkt, was diejenige tun muß, welche den Bauerndom erlösen und seine Frau werden will.

Als Mariechen zum ersten Male die Herde über den Hof und durch das Dorf auf die Wiese hinaustrieb, da jauchzete und jubelte es in ihrer Seele, wie es in dem Seelchen der Lerche jubelt und jauchzet, wann die Morgenröte im Ost aufblühet; sie dachte: »Nun wird die süße Geschichte mit dem Bauerndom bald angehen.« Sie kam auf der grünen Wiese zu den andern Knaben und Mädchen, welche dort Herden hüteten; sie sah im Hintreiben durch das Dorf manchen hübschen, jungen Gesellen und Knaben; aber sie sah keinen, bei welchem es ihr deuchte, daß er ihr Bauerndom sein konnte, und sie seufzete tief: »O, sollte er hier in Weiseritz nicht sein? O, sollte er hier nicht kommen? Das Dorf und diese Wiese und dieser grüne Eichwald ist doch grade so wie in der Geschichte selbst!« Aber der Dom kam nicht. Das liebe Kind sah im Dorfe und auf der Wiese genau umher; sie gab an den Kirchtüren acht, sie guckte in alle Fenster, ob nicht ein Bauerndom hinter ihren Scheiben lausche, sie fragte die Sonne und den Tag, sie fragte den Mond und die Sterne, sie schüttelte alle Büsche und Blumen auf, ob nicht ein feiner und hübscher Jüngling darunter schlafe – ach, aber nicht im ganzen Dorfe, nicht in der Kirche und hinter den Fenstern, nicht auf der grünen Wiese und in dem Eichenwalde und nicht bei Sonnenschein und nicht bei Sternenschein konnte sie ihren geliebten Bauerndom finden. Sonst ging es Mariechen sehr wohl. Die Bäuerin, bei welcher sie als kleine Magd diente, war eine fromme und freundliche Frau, welche Mariechen bald überaus lieb gewann, sie wie ein Kind im Hause hielt und ihr nichts anderes als reinliche und leichte Arbeit auflegte.

So hatte Mariechen sich in Weiseritz wohl einen Monat gesehnt und oft im stillen geseufzet und geweint, daß der Dom immer nicht erscheinen wollte – siehe, da ist der Dom wirklich gekommen. Die Bäuerin, bei welcher Mariechen als kleine Magd diente, hatte einen einzigen Sohn, der hieß Hans. Diesen hatte sie nach Wittenberg in eine Schule geschickt, daß er eilt wenig mehr lernen möchte als gewöhnliche Bauerkinder und dann seines Vaters Gütchen vorstände, welches das ansehnlichste im ganzen Dorfe war. Die Frau war aber eine Witwe und hieß Else Gödeke. Hans hatte nun seine Schule durchgemacht und kam zu Hause. Er war siebzehn Jahre alt, ein schöner, schlanker Jüngling mit blauen Augen und blondem Haar und einem schwärmerischen Blick, worin viele Märchen zu lauschen schienen. Er gefiel Mariechen in dem ersten Augenblick, aber weil sie ihn sogleich zu liebhatte, konnte sie gar nicht an den Dom denken; sie dachte nur an den Hans und träumte Tag und Nacht von ihm und sang Reime und Lieder von ihm, wann sie hinter ihren Kühen auf der Wiese und im Walde juchheiete. Der Dom war ihr ganz aus dem Köpfchen, und sie faßte alle ihre Träume, Gedanken und Gefühle in das Haus und den Garten der Bäuerin Else Gödeke ein, und es deuchte ihr von Anfang an ganz natürlich, daß sie mit ihrem Hans Gödeke als Bäuerin lebte und stürbe. Die reine und unschuldige Liebe gleichet ja alles aus und vergisset in ihrer ersten Wonne, wieviele scharfe Ecken die unbarmherzige Welt hat, woran auch der Beste zerstoßen werden muß. Auch Hans hatte Mariechen bald über sein Leben lieb; er barg es aber blöd und still im Herzen und durfte es dem Mädchen nicht sagen. Aber die Liebe findet ihre Gelegenheit, wenn sie sie auch nicht sucht.

Mutter Else war nach der Stadt gefahren gewesen und hatte sich ein paar schneeweiße Hühner und einen schönen, weißen Hahn zur Zucht mitgebracht. Diese wurden den Abend auf der Flur von ihren Fußfesseln befreit und sollten in den Hühnerstall gesetzt werden. Hans trug die Hühner und Mariechen den Hahn. Aber o weh; der Hahn gebärdete sich wild, schlug Mariechen mit seinen Flügeln ins Gesicht, und Mariechen ließ ihn fahren, und er flog in den Garten. Die beiden jagten ihm nach, und er flog auf die Wiese; sie jagten weiter, und er flog in den grünen Wald. Dort griffen sie ihn endlich nach der Jagd einer guten Viertelstunde und setzten sich ermüdet unter einer grünen Eiche, wodurch das freundliche Abendgesicht des Mondes sanft blickte. Die unschuldigen Kinder bliesen ihren Atem einander an und bliesen einen andern Atem auf, der lange verborgen in ihnen geglommen hatte. Hier unter dieser grünen Eiche faßte Hans zuerst Mariechens Hände und rief: »O Mariechen!« und wollte das holde Kind an sich ziehen und es umhalsen und küssen. Aber o Wunder! Sie fuhren in demselben Augenblick erschrocken auseinander und standen wie zwei arme Sünder da; denn ein eisgrauer Mann mit einem weißen Stabe stand im Mondschein schauerlich da und murmelte leise Worte. Er murmelte aber:

Herum! Herum! Und wieder herum!
Das Glück ist rund, die Welt ist dumm.
Das runde Glück muß rollen,
Die dumme Welt muß schmollen.
Nun rolle, Glück, und schmolle, Welt!
Will sehn, wie euch der Wandel gefällt.

Und in derselben Minute, als der Alte sein letztes Wort ausgemurmelt hatte, war Hans nicht mehr da, und der alte, graue Mann nicht mehr da, und Mariechen stand ganz allein an der grünen Wiese unter der Eiche, und das arme Kind zitterte und bebte vor Furcht und Schrecken an allen Gliedern. Als sie sich besann, sah sie ein kleines, grünes Dornsträuchlein auf der Stelle stehen, wo eben Hans gestanden hatte. Es war ein Schlehenstrauch und stand da mit schneeweißen Blüten und rührte seine grünen Blättchen fröhlich im Abendwinde. Und Mariechen, als sie sich besonnen hatte und ihn erblickte, rief, außer sich vor Freuden: »Mein Dom! Mein Dom! Mein süßer Bauerndom! Mein Hans! Mein Bräutigam! So bist du denn endlich da?«

Und das Kind warf sich auf die Erde und umschloß das Dornsträuchlein mit seinen Armen und herzte es und küßte es und weinte viele Tränen darauf, und es ist wohl jede Blüte und jedes Blättchen des Sträuchleins mit einem Tränchen aus ihren Augen benetzt worden. Und Mariechen lag wohl drei Stunden so und hielt das Dornbüschchen zärtlich in ihre. Armen; dann hörte sie es zwölf schlagen, sagte ihm mit tausend Küssen Lebewohl, nahm den weißen Hahn, dem Hans mit seinem Schnupftuche die Füße zusammengebunden hatte, und ging zu Hause.

Die Mutter Else war in Angst und wachte noch, als Mariechen mit dem weißen Hahn ankam. Sie fragte: »Aber Mariechen, wo ist Hans?« O der böse Hans,« sagte Mariechen, »der ist weggegangen; ich weiß nicht, wohin. Wir hatten lange nach dem Hahn gejagt; da hat er mich verlassen und ist durch den Wald fortgegangen. Ich denke, er ist nach Wittenberg, denn er hat heut gesagt, er habe da noch allerlei vergessen, das er sich einmal holen gehen müsse.« Und die alte Frau sagte: »Hm! Hm! Es ist doch möglich,« und sie gingen zu Bett.

Und Hans kam den andern Tag nicht zu Hause und auch den zweiten und dritten Tag nicht. Und Else ward sehr unruhig und ließ ihren Knecht satteln und gen Wittenberg reiten, daß er sich nach Hans erkundigte. Aber der Knecht kam wieder und sagte: »In Wittenberg hat kein Mensch den Hans gesehen.« Und es vergingen Wochen und Monate, und er kam nicht wieder. Und seine Mutter trauerte sehr um ihn und sagte: »Den weißen Hahn habe ich wieder gegriffen; aber der gelbe ist mir entflogen.« Die Bäuerin spielte aber mit diesen Worten auf ihres Sohnes schöne, lange, gelbe Locken an. Und sie meinte, es sei ihm etwas eingefallen, und er sei in die weite Welt gegangen, wie junge Leute oft tun. Sie sah nun Mariechen immer mehr wie ihr eigenes Kind an und gewann sie noch lieber. Und Mariechen war auch gegen Elsen sehr lieb; aber doch hatte sie das kleine Schlehdornsträuchlein am liebsten in der ganzen Welt.

Es ist wohl nie ein Strauch so geliebt worden als dieser kleine Strauch. Jeden Tag hat Mariechen ihn wohl zehnmal besucht und ihn geherzt und geküßt, und wann sie das Vieh hütete, ist sie nicht von ihm gekommen; im Mond- und Sternenschein ist sie immer manche liebe Stunde bei ihm gesessen und hat ihm vorgesungen und geküßt und mit mancher Träne begossen und mit den buntesten Blumenkränzen umwunden. Auch keinen schlimmsten Wintertag und keine schauerlichste Winternacht ist Mariechen von dem Sträuchlein geblieben und ist selbst fast erstarrt an ihm, da sie ihn an ihrem Herzen erwärmen wollte. Und das liebe Kind hat so ganze Stunden mit ihm vertändelt und verflüstert und verspielt, als seien es Sekunden, und hat wohl zu ihm gesprochen: »Mein allerliebstes, kleines Sträuchlein! Mein kleines, weißköpfiges, niedliches und lustiges Schlehensträuchlein! Mein kleiner, süßer und krauser Bräutigam!« und hat sich eingebildet, daß er es verstände und dazu nickte. Und man weiß nicht, ob er es nicht verstanden hat. Aber oft hat sie auch über ihn geweint und gejammert und gesprochen: »Ach, mein armes, süßes Dornbüschlein! Wie mußt du hier verachtet stehen und trauern und warten! Und ich Arme muß zittern, daß einmal ein Beil kommt und haut dich ab, und daß einmal ein Tier mit scharfen Zähnen und rauher Zunge dich halb auffrißt und zerreißet.« Vor den Beilen und Äxten hatte Mariechen eine schreckliche Angst, und wenn sie sie irgendwo im Walde schallen hörte, konnte sie das Ächzen und Weinen gar nicht lassen. Da hat sie denn das Dornsträuchlein oft so fest umklammert, als wenn sie an ihm sterben wollte, und sich manchen scharfen Dorn in ihre schneeweiße Brust gedrückt, daß es geblutet hat. Und wenn sie solches Blut gesehen, hat sie sich gefreut und es genommen und auf das Sträuchlein gestrichen, Sie meinte, er werde es fühlen, daß es seines Mariechens Blut sei, und sich auch freuen, oder sie hat dabei auch an eine Verwandelung gedacht. Er ist aber durch ihr Blut nicht verwandelt worden. So hat das liebe Mariechen zwischen Freude und Trauer den Sommer und Winter hingebracht und immer an sein geliebtes Schlehdornsträuchlein denken müssen. Denn hätte sie nur einen Augenblick an etwas anderes in Liebe gedacht, so wäre es nimmer erlöst worden.

Es war wieder Frühling und das Wetter sehr schön geworden, und ein ganzes Jahr war vergangen seit jenem Abend, wo die beiden dem weißen Hahn in den Wald nachgelaufen waren. Die Sonne war lange unter, Else war zu Bett; da schlich sich Mariechen ihrer Gewohnheit nach durch den Garten über die Wiese in den Wald zu ihrer Eiche und ihrem Schlehendörnlein, das wieder mit grünen Blättern und weißen Blüten Prangte. Sie saß bei ihm, hielt es umschlungen, und ihr Herz war ihr so sehnsüchtig und tränenweich, und sie mußte sprechen: »Ach! Du liebstes, liebstes Dornsträuchlein, konntest du doch sprechen, daß du es auch weißt, was mein junges Herz um dich leidet!« Und Mariechen weinte und sang mit trauriger Stimme:

Grüne Bäume in den Hainen
Und ihr Blümlein bunt und schön,
Sternlein, die so freundlich scheinen
Und der Menschen Leid verstehn,
Und du süße Nachtlaterne,
Mildes, frommes Mondenlicht,
Dem mein krankes Herz so gerne
Traulich sein Geheimnis spricht.

Höret meine stillen Klagen;
Ach, mir brennt das junge Herz!
Keinem Menschen darf ich sagen
Meine Sehnsucht, meinen Schmerz;
Die gefühllos kalten Lüfte
Wissen meine Not allein,
Und ihr zarten Blumendüfte
Und du frommer Mondenschein.

Oder weiß mein holder Knabe,
Weiß mein kleiner Grüner auch,
Was ich Liebes, Leides habe?
Weiß es dieser Dornenstrauch?
Ach, er hört nicht, ach, er fühlet
Drinnen weder Leid noch Lust,
Und ein schlimmer Zauber kühlet
Ihm mit kalter Nacht die Brust.

Und als Mariechen noch sang, da rauschte es geschwind durch die Büsche herbei, und siehe, der alte Greis mit dem weißen Stabe stand plötzlich wieder da, daß sie vor Schrecken von ihrem Schlehbusche auffuhr. Er berührte den Strauch mit seinem Stabe und winkte und murmelte wieder:

Herum! Herum! Und wieder herum!
Das Glück ist rund, die Welt ist dumm usw.,

und in einem Hui war der Strauch und er selbst verschwunden, und wo der Strauch gestanden, lag ein schwarzes Hündlein und bellte und sprang bald an das erschrockene Mädchen hinan.

Und Mariechen besann sich wieder und nahm das Hündchen in ihren Arm und küßte es viel tausendmal und weinte und rief: »O mein süßes, süßes Hündchen! Wie lieb will ich dich haben! Wie will ich dich speisen und tränken! Wie will ich dich hegen und pflegen! Auf meinem Schoße sollst du sitzen, in meinem Bette sollst du schlafen; wo ich gehe und stehe, da sollst du mit mir sein.« Und das Kind sprang und hüpfte mit dem kleinen, schwarzen Hunde fort und sah nicht, wie häßlich er war, und trug ihn mit sich in ihr Kämmerlein und legte ihn neben sich in ihr Bettlein und schlief seelenvergnügt ein.

Den andern Morgen kam sie mit dem schwarzen Hündchen in die Stube der Mutter Else, und die fragte sie, woher sie das Hündchen habe. Das durfte die kleine Marie wieder nicht sagen, und sie sprach, das Hündchen sei ihr gestern abend so zugelaufen, und sie habe es mitgenommen, weil es ja ein gar hübsches und schmeichlisches Hündchen sei, und sie wolle es behalten und liebhaben. Da lachte die Else und schalt sie zugleich und sagte: »Das Hündchen hübsch und schmeichlisch? Es ist ja ein rechter, garstiger, kleiner Balg; den behielte ich nicht, wenn er mein Hund wäre, und wenn man mir einen blanken Taler zugäbe. Schaffe das kleine, häßliche Tier wieder hinaus, mein Kind! Ich will dir Geld geben, und du sollst dir ein viel schöneres Hündchen kaufen.« »Ach, Mutter,« rief das Kind, »laßt mich nur dieses schwarze Hündchen behalten; es ist das liebste und schönste, und tut mir nicht den Schmerz und verachtet mir es so!« Und sie drückte der Mutter die Hand, und bei diesen Worten liefen ihr die hellen Tränen über die Wangen. Und Else schwieg still und ging weg und dachte ihr Teil; denn sie wußte, daß Mariechen ein besonderes Kind war und auf ihrem Sinn bestand. Also ließ sie es geschehen mit dem Hündlein, weil sie wohl mußte.

Der kleine, schwarze Hund war wirklich so garstig, als man nur einen Hund sehen konnte. Wieviel Mariechen ihn auch waschte und striegelte und kämmte, er war gleich wieder rauh und schmutzig; auch sah er aus wie ein Hundegreis: keinen Zahn hatte er mehr im Munde, seine Augen waren triefend, sein Gebell war jämmerlich, von Gemüt war er traurig und beißig, und kein Mensch konnte ihn ausstehen, und alle Leute erstaunten, daß Mariechen dieses häßliche und widerliche Tier so viel herzte und küßte und so zärtlich mit ihm umging, und einige sagten wohl hinter ihrem Rücken: »Das geht wohl nicht mit rechten Dingen zu; das hübsche Mädchen muß mit dem häßlichen Hunde behext sein.« Und es sah beinahe so aus. Mariechen stand unbeschreiblich viel mit dem Tiere aus, und doch hatte sie es unbeschreiblich lieb. Denn das schwarze Hündchen war nicht allein so häßlich und mürrisch und grämlich, sondern es hatte noch die Unart, daß es oft die halben Nächte durch beinahe in einem fort bellte. Sie konnte dann nicht schlafen und ward ganz blaß und elend darüber; aber doch behielt sie ihn am liebsten und ließ ihn auch nicht einen Augenblick von sich.

Mariechen war ein sehr schönes Mädchen geworden und gefiel allen Leuten, die sie sahen. Die alte Else hatte sich verlauten lassen, sie sehe das niedliche Jüngferchen wie ihr eigenes Kind an und werde ihr eine hübsche Ausstattung geben an Geld und Leinenzeug, wenn sich ein wackerer Freier finde; vielleicht werde sie gar einmal ihre Erbin, wenn ihr Hans nicht wiederkommen sollte. Es fand sich also bald mancher recht hübsche Junggesell, der auch Elsen gefiel, als Freier ein; aber Mariechen wollte von keinem Freier hören und sagte etwas stolz: »Wenn der nicht kommt, den ich meine, bleib' ich in Ewigkeit eine Jungfrau,« so daß Else oft ihren Verdruß darüber hatte und den Kopf schüttelte und sprach: »Es ist sonst ein so freundliches und frommes und gehorsames und christliches Kind, und ich kann diesen Trotz gar nicht begreifen.«

Mariechen hatte mit ihrem häßlichen, schwarzen Hündchen ihr Jahr getreulich ausgehalten. Und als das Jahr um war und Mariechen eben mit ihm im Bette lag und ihm die Zotten kämmete und den Kopf krauete, siehe, da klopfte es an die Türe ihres Kämmerleins, und der wohlbekannte Alte trat wieder herein, berührte das Hündchen mit dem weißen Stabe und murmelte:

Herum! Herum! Und wieder herum!
Das Glück ist rund, die Welt ist dumm usw.,

und in derselben Sekunde war das Hündchen weg, und der Alte war auch weg, und an der Stelle, wo das Hündchen eben noch im Bette gelegen hatte, kroch eine recht garstige Kröte. Und Mariechen war zusammengeschaudert vor der Erscheinung und vor der Kröte. Doch besann sie sich gleich wieder, nahm die Kröte in ihre Hand, und wiewohl die Hand schauderte vor der eisigen Kälte des kriechenden Untiers, hielt sie sie fest, ja, sie küßte sie mit ihren süßen Lippen und benetzte sie mit ihren Tränen und rief: »Liebe Kröte, hast du nur Liebe in deiner Brust, so will ich es wohl behaupten mit dir.« Und sie küßte die Kröte wieder und streichelte das rauhe, garstige, kalte Tier mit ihren Händchen und legte es an ihr Herzchen und weinte die hellen Tränen auf seinen Rücken hinab und rief: »Ja, gewiß hast du Liebe; du hast ein warmes, warmes Herz, wohl wärmer als mein Herz, und darfst es dir nur nicht merken lassen!«

Und Mariechen fiel etwas ein, und sie stand auf und schlug sich ein Licht an und holte Zucker und Honig und das feinste Weißbrot und fütterte die Kröte; und die Kröte war sehr hungrig und fraß lüstern. Und Mariechen setzte sich nun voll Freuden hin und nähete sich aus roten Seiden ein feines und weiches Beutelchen und tat die Kröte da hinein. Und sie band das rote, seidene Beutelchen mit Bändchen um ihren Hals fest und ließ es auf die Brust herabhangen; da mußte die Kröte in dem Beutel auf ihrem Herzen liegen und lauschen, und es ist Mariechen oft gewesen, als habe sie das Tier vor Lust über sein anmutiges Lager leise zischen hören. Das war aber wohl Einbildung, denn sie sagen, die Kröten haben keinen Laut. So hat die Kröte in dem roten, seidenen Beutelchen denn immer an Mariechens Herzen gelegen bei Tage und bei Nacht, und nur wann sie sie mit Zucker und Honig und andern Süßigkeiten speisete und tränkete, nahm sie sie heraus. Sonst tat sie es nie, so gern sie auch ihre Augen an ihr geweidet hätte; denn sie fürchtete, die Kröte könne ihr weglaufen, oder jemand könne auch kommen und ihr was zuleide tun. Sie war auch sehr heimlich und ließ sich vor keiner Menschenseele merken, daß sie eine Kröte hatte; denn was würden Mutter Else und die andern Leute dazu gesagt haben?

Man konnte jetzt gewiß von Mariechen sagen, sie trug ein schweres Geheimnis auf dem Herzen. Denn es ist ihr wohl ein schweres, schweres Jahr geworden, daß sie die Kröte so getragen hat, und sie wäre oft beinahe davon vergangen. Sie liebte das garstige Tier über alles in der Welt, und doch hatte sie auch wieder einen unüberwindlichen Ekel davor, den Menschen vor Schlangen und Kröten nun einmal von Natur so haben. Das Schlimmste und Schwerste aber war die eisige Kälte der Kröte, die sie durch ihre Brust bis tief in ihr Herz hinein fühlte, und die oft so fürchterlich war, daß das arme Herzchen fast hätte brechen mögen. Das war aber noch viel schrecklicher, wenn die Kröte sich im Beutel bewegte und wohl zuweilen aufhüpfte. Dann bekam das Kind ein so entsetzliches und zuckendes Herzklopfen, als ob sie den Augenblick des Todes sein müßte. Und Mariechen mußte immer ein heiteres Gesichtchen dazu machen und es alles in sich verbeißen und durfte sich nicht merken lassen, welche unsägliche Schmerzen sie litt. Sonst hätten die Leute wohl mal zusehen wollen, ob sie an ihrer Brust auch einen heimlichen Schaden hätte. Den Schaden aber, den sie da hatte, wollte sie keinen sehen lassen. Dabei hatte das arme Kind noch eine Sehnsucht in der Brust, die von Tage zu Tage gewaltiger ward und die sie oft viele Nächte nicht schlafen ließ, so daß sie ganz krank und blaß ward, und daß Mutter Else bedenklich kopfschüttelte und alle Leute flüsterten, was es doch mir Mariechen sein möge, die sonst ein so munteres und rosenrotes Kind gewesen und nun aussehe wie der Schnee im März. Sie durfte aber davon nicht sprechen sondern duldete alles in stiller Treue und hielt es redlich aus mit der Kröte, bis das Jahr um war.

Und als das Jahr um war, da war ein schöner Sommerabend, und Mariechen saß unter der Eiche, die ihr der liebste Baum geworden war von allen Bäumen auf Erden, und ihr Herz war ihr so krank und so sehnlich, und sie hatte ihr Köpfchen in dem grünen Grase auf die Stelle hingelegt, wo einst der geliebte Schlehenstrauch gestanden hatte, und die Kröte lag weich und warm in ihrem Beutel und streckte den Kopf heraus und schnappte nach den Erdbeeren, die das liebliche Kind ihr hinhielt. Und siehe, als sie so dasaß, stand der alte, graue Mann mit dem weißen Stabe plötzlich vor ihr, legte den Stab auf ihren Kopf und sang:

Dreimal hast du's wohl vollbracht,
Und nun tritt es aus der Nacht,
Und die seltne Liebestreu
Macht den schlimmen Zauber frei!
Hast es ritterlich gewonnen:
Bauerndom, komm an die Sonnen!

und er nahm den weißen Stab von Mariechens Haupte und berührte die Kröte damit. Und die Kröte sprang stracks mit Gewalt aus dem Beutel auf die Erde und schwoll auf und ward jede Sekunde größer und größer und stand zuletzt wohl wie ein Ochs da, so daß Mariechen vor Angst zitterte und bebte und fliehen wollte; aber sie konnte nicht. Und auf dem Rücken dieser ungeheuren Kröte strahlte etwas gleich dem hellesten Karfunkel und Diamant und glänzte, als hätten sie ihm eine kleine Sonne hineingesetzt. Und der Alte nahm den Stab wieder und berührte den Glanz und murmelte wieder:

Herum! Herum! Und wieder herum!
Das Glück ist rund, die Welt ist dumm usw.,

und in demselben Augenblick krachte es wie ein Donnerschlag, und Mariechen sah den allerköstlichsten Edelstein aus dem Rücken der Kröte springen und zu ihren Füßen hinrollen – und o liebliches Wunder, die Kröte war weg, und der allerschönste Jüngling stand da. Und Mariechen schrie laut auf vor Freuden und fiel ihm in die Arme und rief: »O lieber, lieber Hans! O mein Dom! O mein süßester Bauerndom!« Und die beiden hielten sich umschlungen, und der aufgehende Mond und die lieben Sternlein lächelten freundlich dazu, und auch der Alte mit dem Stabe schaute freundlich darein und sprach: »Ja, dies ist dein Bauerndom, liebes Mariechen, den du durch die unvergleichlichste Treue und Liebe, welche die härtesten Proben bestehen mußte, gewonnen und erlöset hast. Du süßes Kind hast wieder zu Ehren gebracht, was die Welt nur noch als ein verschollenes Märchen gehört hat, daß es Liebe gibt, die über den Tod aushält. Nimm nun den Lohn deiner Schmerzen und freuet euch und seid glücklich! Du, Hans, sei immer lieb und treu, denn solch ein Weib findest du auf Erden nicht mehr als Mariechen, und du, liebes Mariechen, bleibe lauter und rein wie dieser Diamant, der zu deinen Füßen liegt, das Zeichen und der Lohn!«

Und der Alte verschwand mit diesen Worten, und sie haben ihn nie wieder gesehen. Wie lange Hans und Mariechen da noch im Mondschein gestanden, und wieviel sie sich geküßt, und was sie sich alles erzählt haben, das wäre zu lang zu beschreiben. Genug, als es schon nach Mitternacht war und alle Leute im Dorfe im tiefsten Schlafe lagen, da hat die Glocke, die ihr Eins vom Turme brummte, Mariechen erinnert, daß sie nach Hause gehen müßten. Und sie haben gleich Licht angemacht und Mutter Elsen aufgeweckt und ihr alles bekannt und erzählt, wie wundersam es ihnen ergangen, und die Mutter hat gern den Segen über sie gesprochen und zu Hans gesagt: »Lieber Sohn, du bekommst das treueste und schönste Weib auf Erden, und wenn du der Bauerndom heißest, so sei auch freundlich und lieb und treu gegen dein Mariechen, wie die früheren Bauerndome immer gegen ihre Herzallerliebsten gewesen sind!« Und Hans hat es versprochen und gesagt: »Liebe Mutter; ich muß es ja wohl sein, nicht bloß deswegen, weil ich der Bauerndom bin und heiße, sondern Mariechen ist ja hold und freundlich wie ein Engel im Himmel; wer könnte einem so lieben Kinde was zuleide tun?«

Und Hans und Mariechen haben bald eine lustige Hochzeit gehalten, und Mutter Else hat ihnen das ganze Gut übergeben. Sie waren aber sehr reich geworden, denn der Stein, der aus dem Rücken der Kröte gesprungen, war ein reiner, heller Diamant, und den haben sie um fünf Tonnen Goldes verkauft. Und Hans hat ganz Weiseritz dafür erworben und mehrere andere Güter und Forsten.

Und Mariechen hat zu ihrem Hans gesagt: »Nun, mein lieber Hans, sei recht frisch und flink und zeige, daß du der echte Bauerndom bist! Baue nun hier am Walde, wo die Eiche steht, und wo wir nach dem Hahn gejagt haben, und wo du als Schlehdorn geblüht hast und als Hündchen gebellt und als Kröte wieder in den alten Hans verwandelt bist, drei nette Häuser hin, zwei große und ein kleines, und bei jedem Hause lege mir einen hübschen Garten an mit allerlei Bäumen und Blumen. Das eine Haus soll für uns beide sein, das zweite für die Eltern und Geschwister, und das dritte, kleine für den Märchenerzähler, wenn die mal kommen und uns besuchen. Denn der Märchenerzähler hat mir gesagt, so sei es bei dem Bauerndom: er habe die nettesten und schönsten Häuser und Gärten und Wälder und Wiesen, und es wird mir eine Lust sein, wenn ich ihn hier bei uns in seinem eigenen Häuschen einquartieren kann, und wenn er in meinen Wäldern spazieren und sich dort von unsern Bäumen und Vögeln Märchen zuflüstern lassen kann; denn er hat immer gesagt, die erzählen ihm alles, was er weiß. Und wir müssen nun seine Prophezeiung wahr machen und ihm zeigen, daß es bei uns wirklich so ist, als es bei dem Bauerndom sein soll, und daß du der echte Bauerndom bist.«

Und der Bauerndom hat Mariechens Worte mit Lust angehört und alles getan und gemacht, wie sie es wünschte, und im zweiten Jahre sind die drei Häuser und die Gärten fertig gewesen. Und da haben sie sich beide aufgemacht und sind zu Mariechens Eltern gereist und haben auch ihnen alles erzählt, wie es sich mit ihnen beiden wunderbar begeben hatte. Und auch da ist große Freude geworden über das wiedergefundene Töchterlein, und daß sie einen so schönen und reichen und treuen Bauerndom gefunden hatte. Mariechen hat aber ihre Schwester Heidichen auch nicht mehr zu Hause getroffen. Die hatte richtig ihren Prinzendom gefunden und ihn auch durch manche harte Probe aus der Verwandlung erlöst und war nun eine große Königin geworden. Sie hat Mariechen nachher auch in all ihrem königlichen Glanze besucht, und Mariechen hat sich so glücklich gedünkt, daß sie ihren lieben Bauerndom nicht gegen den König vertauscht hätte. Aber von dem Junkerdom haben sie nichts erfahren können; das haben aber alle Leute gewußt, daß der kleine Junker Fritz kein Edelmannsdom geworden war, sondern er trieb es etwas windbeutelisch in der Welt, und es ging ihm auch windbeutelisch, bald schlecht, bald gut, bald oben, bald unten, wie es solchen Leuten gewöhnlich geht, von welchen man sagen kann: Wie der Wind wehet.

Und Mariechens Eltern sind mit ihr gereist und auch der Märchenerzähler und haben sich manchen schönen Sommermonat bei ihren Kindern gefreut, und sie sind immer alle Sommer wiedergekommen. Und wann der alte Märchenerzähler dann in seinem niedlichen, bunten Häuschen wohnte und in seinem hübschen Gärtchen auf und ab ging und durch den Wald und über die Wiesen strich und mit den Blumen und Vögeln tausend Spiele und Vertraulichkeiten hatte, da hat er Mariechen auf die Wangen geklopft und wohlgefällig gesprochen: »Siehst du wohl, Mariechen, daß es alles genau so geworden ist, wie ich dir erzählt habe? Daß es alles ganz so ist? Der Wald und die Wiesen, die Häuser und Gärten und Felder und Herden und Äpfel und Birnen und Pflaumen und Puter und Gänse und Hühner und Tauben – alles ganz so?« Da hat Mariechen denn gelächelt und geantwortet: »Jawohl, jawohl, lieber Ohm, es ist alles so. Ich sehe wohl, daß ich den rechten Bauerndom gekriegt habe; aber ein wenig haben wir es auch eingerichtet nach unserm Märchen, denn von selbst wollen die Märchen auch nicht so werden, wie du sie erzählst!«



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