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Der Wolf und die Nachtigall.

Zuerst von Arndt mit geringen Abweichungen im »Wächter«, Bd. 3, S. 400 unter dem Titel »Verwandlung« veröffentlicht.

(Schwedisches Volksmärchen.)

Ich weiß es wohl, wo steht ein Schloß,
Das ist geschmückt so feine
Mit Silber und mit rotem Gold
Gebaut von Marmelsteine.

Und in dem Schloß eine Linde stand,
Mit Blättern lustig und schöne,
Drin wohnte eine Nachtigall fein,
Die schlug gar liebliche Töne.

Es kam ein Ritter geritten daher,
Süß klang es vom Nachtigallmunde,
Worüber er höchlich wunderte sich –
Es war um die Mitternachtstunde.

»Ach, höre, du kleine Nachtigall,
Wollst mir ein Liedlein singen!
Deine Federn laß ich beschlagen mit Gold,
Deinen Hals mit Perlen beringen.«

»Deine Federn von Gold, die kleiden mich nicht,
Die ich für dich sollte tragen,
In der Welt ein wildfremdes Vögelein,
Wovon kein Mensch weiß zu sagen.«

»Bist in der Welt ein wildfremdes Vögelein
Und unbekannt allen Leuten,
Dich zwingt wohl Hunger, Frost und Schnee,
Der fällt auf den Weg den breiten.«

»Mich zwingt nicht Hunger, mich zwingt nicht Schnee,
Der fällt auf den Weg den breiten;
Mich zwingt weit mehr geheime Pein,
Die macht mir Angst und Leiden.

Wohl zwischen Bergen und tiefem Tal
Da rinnen die brausenden Wasser,
Und welcher einen Treuliebsten hat,
Kann ihn aus dem Herzen nicht lassen.

Ich hatt' einen Liebsten kühn und fromm,
Einen Ritter von herrischen Gaben;
Meine Stiefmutter warf es geschwinde um,
Sie wollte die Liebe nicht haben.

Sie schuf mich zu einer Nachtigall,
Hieß mich in der Welt umfliegen,
Meinen Bruder zu einem Wolf so grimm,
Mußte sich zu den Wölfen fügen.

Gleich lief er in den Wald, sie sprach:
›In Wolfsgestalt soll er gehen,
Bis daß er getrunken mein Herzensblut!‹
Sieben Jahre drauf ist es geschehen.

Einen Tag sie ging so wonniglich
Im Rosenhain spazieren;
Mein Bruder sah es und zorniglich
Ihr leise nach tät spüren.

Er griff sie an ihrem linken Fuß
Mit reißigem Wolfesmunde,
Riß aus ihr Herz und trank ihr Blut
Und ward gesund zur Stunde.

Noch bin ich ein kleines Vögelein,
Das fliegt in wilden Heiden;
So jammervoll muß ich leben meine Zeit,
Doch meist in Winterzeiten.

Doch Preis dem, der mir geholfen hat,
Daß ich die Zunge kann rühren,
Da ich nicht gesprochen in fünfzehn Jahr,
Wie mit Euch ich Rede kann führen.

Aber gesungen hab' ich immerdar
Mit lieblichen Nachtigallkehlen,
Und in dem allergrünsten Hain
Tät ich meinen Zweig mir wählen.«

»Und horche, du kleine Nachtigall,
Was dich wohl kann vergnügen:
Kannst sitzen im Winter im Hause mein,
Im Sommer wieder ausfliegen!«

»Hab Dank, schöner Ritter, der Frommheit dein,
Ich darf es doch nicht wagen;
Denn das verbot die Stiefmutter mein,
Solang' ich Federn muß tragen.«

Die Nachtigall in Gedanken stand:
»Ich tu nicht des Ritters Willen;«
Da griff er sie bei den Füßen klein,
Das Schicksal sollt' er erfüllen.

Er ging mit ihr wohl in sein Haus,
Verschloß die Fenster und Türen,
Sie ward zu manchem Wundertier,
Wie man soll hören und spüren.

Erst wandelt sie sich in Bären und Leun,
Ist dann zur Schlange worden,
Zuletzt zu einem Lindwurm groß,
Der wollte den Ritter morden.

Er schnitt sie mit einem Messerlein,
Daß Blut heraus tät fließen;
Stracks stand wie eine Blume klar
Eine Jungfrau ihm zu'n Füßen.

»Nun hab' ich erlöst dich von deiner Not
Und von deinen heimlichen Leiden;
So sage mir denn deine Abkunft gut
Von Vaters und Mutter Seiten.«

»Ägyptenlands König mein Vater war,
Sein Gemahl meine Mutter mit Ehren;
Meinen Bruder verschuf man zu einem Wolf
Durch die wilden Wälder zu stören.«

»Ist Ägyptenlands König lieber Vater dein,
Sein Gemahl deine Mutter mit Ehren,
Fürwahr bist Schwestertochter mir,
Die sonst sich als Nachtigall ließ hören.«

Da ward große Freud' in dem ganzen Hof,
Ja rings in dem ganzen Lande,
Daß der Ritter gefangen die Nachtigall,
Die gewohnt in der Linde so lange.



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