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Die Dschunke

Von Friedrich Gerstäcker

Es ist nun schon eine Reihe von Jahren her, daß die Engländer Besitz von Hongkong an der chinesischen Küste ergriffen. Sie wollten durch die kleine Insel vor allen Dingen einen Schlüssel zum »himmlischen Reiche« bekommen, wollten erst einen festen Fuß in seiner Nähe haben, um es dann später ihren Missionaren und Kaufleuten zu überlassen, den zweiten irgendwo auf dem chinesischen Kontinent anzubringen.

Zu jener Zeit schwärmte das dortige Meer noch von teils chinesischen, teils malayischen Seeräubern, die, den Fremden wie ihren eigenen Landsleuten gleich gefährlich, selbst bis auf den heutigen Tag noch nicht haben können ausgerottet werden und nur höchstens gelichtet oder – vorsichtiger gemacht sind. Auf Dschunken – einem anscheinend sehr unbehilflichen, aber nichtsdestoweniger sehr rasch segelnden Fahrzeug – gleiten fit an den Küsten Chinas, ja selbst in dessen Strömen hinauf und zwischen den Inseln des ostindischen Archipels fortwährend auf und ab, harmlosen Handelsfahrzeugen furchtbar und nur dem bewaffneten Kriegsschiff der Europäer ausweichend. Fühlen sie sich aber einem Gegner durch die Anzahl nur irgend gewachsen, dem zeigen sie auch rasch genug die Zähne. Haben doch die malayischen Prauen, besonders die von Borneo und den Nachbarinseln, natürlich in großer Überzahl, schon ein amerikanisches Kriegsschiff angefallen, dessen Kapitän alle Hände voll zu tun hatte, sich ihrer zu erwehren.

Es läßt sich denken, daß sowohl die Holländer wie Engländer, die beide besonders an der Sicherheit dieser Gewässer interessiert sind, ihr möglichstes taten und noch tun, solchem Unwesen ein Ende zu machen und den Räubern ihr oft blutiges Handwerk zu legen. Das Terrain dort begünstigt aber die Verbrecher nur zu sehr. Diese Tausende von Inseln mit ihren unzähligen kleinen versteckten Buchten, mit Klippen und Untiefen – nur denen bekannt, die dort ihre Heimat haben – lassen eine richtige und wirksame Verfolgung in vielen Fällen nicht einmal zu. Das ist denn auch die Ursache, daß selbst noch bis auf die neueste Zeit ganz in der Nähe europäischer mächtiger Kolonien diese Seeräuber ihr Wesen treiben, Handelsschiffe von Freund und Feind plündern und mit dem Raub in irgendeinen ihrer sicheren Schlupfwinkel flüchten.

In damaliger Zeit, während die holländischen Kriegsschiffe mit manchem Erfolg um Bali und Borneo und zwischen den Molukken herumkreuzten, und besonders ihre Kriegsdampfschiffe die darauf nicht vorbereiteten Prauen zu Zeiten überraschten und in Grund schossen, ärgerten sich die Engländer im Kantonfluß in der Nähe von Hongkong mit den räuberischen chinesischen Dschunken weidlich herum. Manche davon hatten sie schon zusammen- oder in Brand geschossen, einigemal schon ganze Flotten davon vernichtet, aber wie aus dem Meere selber heraus wuchsen neue und neue empor. Allerdings trugen sie an deren Unzahl selber mit die Schuld, denn durch den verbotenen Opiumhandel hatte sich eine große Anzahl von Dschunken auf solch gesetzwidriges Gewerbe geworfen. Nach China hinein schmuggelten sie dann den verbotenen narkotischen Stoff, und heraus raubten und stahlen sie, was sie bekommen konnten.

Vorzüglich waren die Räuber, wie schon früher erwähnt, Chinesen und Malayen; hier und da aber verschmähten auch selbst Araber – neben den Chinesen die bedeutendsten Handelsleute des ostindischen Archipels – ein solches Gewerbe nicht, dem sie ihren Koran eben anzupassen wußten. In einzelnen Fällen waren sogar Europäer dabei ertappt worden. Mit diesen letzteren machten die englischen Kriegsschiffe aber die wenigsten Umstände, und ein europäischer Pirat, in solcher Umgebung erwischt, konnte sich auch fest darauf verlassen, gleich auf frischer Tat die Raanocke zu zieren Auf Kriegsschiffen wird im Falle einer Exekution das äußerste Ende der Raae (des Querholzes, an dem die Segel befestigt sind) dazu benutzt, den verurteilten Verbrecher aufzuhängen..

Es war im November des Jahres 184 –, und der Nordost-Monsun Die Monsune sind periodische Winde, die besonders im nördlichen Teil des Indischen Ozeans herrschen. Dort wehen sie von April bis Oktober von Südwest, von Oktober bis April aber von nordöstlicher Richtung ununterbrochen fort. Ihr Name stammt von dem persischen musum oder malayischen mussin – eine Jahreszeit. wehte mit voller Stärke. Die meisten, besonders die kleineren Küstenfahrzeuge, suchten deshalb auch, wenn sie an Hongkong ankern wollten, das südliche Ufer der Insel, wo sie vor dem gerade herrschenden Wind weit mehr geschützt und sicher lagen.

Eine Menge Dschunken hatten sich solcher Art hier zusammengefunden, die durch ihre Boote lebhaften Verkehr mit dem Land unterhielten, und waren wurden aus- und eingeladen, teils für die südlicher gelegenen Inselgruppen, teils aber auch zum Schmuggelhandel für Kanton bestimmt, wo sich die Eigentümer oder Führer der verschiedenen Fahrzeuge auf ihnen selber am besten bekannte Weise Eingang zu verschaffen wußten. Unter diesen lag auch eine Dschunke, die sich in nichts fast von ihren Nachbarn unterschied, als daß ihr Bambusdeck vielleicht reinlicher gehalten war, als das der chinesischen, daß die Teppiche, die vor den Kajütenfenstern hingen, neu und von feinem Stoff und selbst die Mattensegel fester, feiner gearbeitet und weißer schienen, als sie die gewöhnlichen Handelsdschunken trugen. Die Malerei an dem Fahrzeug war dieselbe, mit den beiden riesenhaften und unheimlichen Augen vorn am Bug. Hinten am Spiegel aber trug es, nach echt chinesischer Aufschneiderei, den malayischen Namen Die malayische Sprache ist im ostindischen Archipel besonders die Umgangs- und Handelssprache zwischen Malayen und Chinesen, wie auch zwischen diesen und den Europäern. Orang Makan – der Menschenfresser.

Eine Flagge zeigte es nicht, sondern war an dem Morgen noch vor Tagesanbruch zwischen die andere kleine Flotte der Küstenfahrer ruhig hineingeglitten und hatte seinen Anker vollkommen anspruchslos und in aller Stille fallen lassen, auch über Tag sein Boot noch nicht einmal an Land geschickt, bis in der Dämmerung einige jener halb europäisch, halb indisch aussehenden Gestalten in die kleine, hinten am Spiegel hängende Jolle stiegen und an Land fuhren. Dort blieben sie bis spät in die Nacht und kehrten dann ebenso still, ja fast heimlich an Bord ihres eigenen Fahrzeugs zurück.

Hongkong ist ein Freihafen, und weder Gesundheitspolizei, noch neugierige Steuerbeamte bekümmern sich dort viel um anlegende Schiffe. Trotzdem schien diese Dschunke die Aufmerksamkeit der englischen Beamten erregt zu haben, denn am nächsten Nachmittag kam ein Boot vom Lande ab, das einen Regierungsbeamten und neben den chinesischen Bootsleuten auch noch zwei vornehme Söhne des »himmlischen Reiches« mit sich führte, und der Beamte verlangte vor allen Dingen den Eigentümer des Fahrzeugs, wie dessen Papiere zu sehen.

Der Beamte schien keineswegs überrascht, als sich ihm ein Landsmann als Führer und Eigentümer des chinesischen Fahrzeugs vorstellte. Mr. Moore, wie derselbe hieß, legitimierte sich aber ohne weiteres auf das vollkommenste und äußerte nur sein Erstaunen, daß er dazu aufgefordert werde, da es, so viel er wisse, bei den übrigen Dschunken nicht Sitte sei. Die Mannschaft, die sämtlich auf Deck beordert wurde, bestand nur aus Chinesen und war vollzählig, der Gesundheitszustand der Leute ließ ebenfalls nichts zu wünschen übrig. Sie sahen dabei ordentlich und reinlich aus – etwas, was sich von solchen Burschen sonst nicht gerade immer sagen läßt – und gaben den beiden Chinesen, die wunderbarerweise der Visitation des Schiffes beiwohnten und sich bei ihnen naher nach dem Fahrzeug selber erkundigten, rasche und prompte Antworten.

Mr. Moore hatte seiner Aussage nach die Dschunke von einem chinesischen Kaufmann, der früher damit den Opiumschmuggelhandel betrieben, um einen ziemlich mäßigen Preis gekauft. Da er nicht reich genug sei, ein größeres Fahrzeug zu erstehen, habe er mit diesem hier begonnen, an den Rüsten Chinas wie des ostindischen Archipels Rohprodukte aufzukaufen, um sie dann später an europäische Schiffe wieder abzusetzen, oder dort gegen europäische waren einzutauschen. Hier an Hongkong war er nur angelaufen, um frisches Wasser einzunehmen und für Bargeld vielleicht ein paar Risten Opium zu erhandeln. – So weit war alles gut. Der Beamte gab die Papiere zurück, wechselte leise ein paar Worte mit den Chinesen und verließ dann, wie er gekommen, die Dschunke. Eine Einladung des »Kapitäns«, in dessen kleiner Kajüte ein Glas Sherry zu trinken, lehnte er dankend ab.

Als die Herren von dem ziemlich hohen Deck die Fallreepstreppe in ihr Boot zurückstiegen, lehnte Kapitän Moore an der Schanzkleidung, und hätten sie hinaufgesehen, würde ihnen ein etwas höhnisches Lächeln, das um seine Lippen spielte, wohl kaum entgangen sein. So waren sie aber beschäftigt, bei dem Schwanken des Bootes ihre verschiedenen Sitze wieder einzunehmen, und gleich darauf verließ die Jolle, von den regelmäßigen Ruderschlägen der chinesischen Bootsleute getrieben, die Seite der Dschunke und glitt nach dem Ufer zurück.

Mr. Moore war ein Mann in den besten Jahren, etwa vierzig bis fünfundvierzig Jahre alt, mit vollem, braunem, lockigem Haar, aber ohne Bart, das Gesicht glatt und sorgfältig rasiert, von kräftigem, untersetztem Körperbau, ging er in die gewöhnliche Matrosentracht mit blauer Jacke und weißen Hosen gekleidet. Nur auf dem Kopf trug er eine chinesische Korkmütze mit roher Seide überzogen, und um den Leib einen der gewöhnlichen roten chinesischen Gürtel, in dem vorn statt jeder Waffe eine friedliche kurze, sehr hübsch gearbeitete Tabakspfeife stak.

Noch eine ganze Weile blieb er in der Stellung, in der wir ihn oben verlassen haben, bis das englische Boot außer Hörweite war. Dann drehte er sich, leise dabei zwischen den Zähnen durchpfeifend, auf dem Absatz herum, und zu der Kajütentreppe tretend, rief er lachend hinunter:

»Kommt herauf, Ben Ali, – es war alles in Ordnung, und sie sind höchst zufrieden wieder abgegangen. Hahaha, was für ein verdammt gescheites Gesicht Ihrer Majestät Diener und was für ein verzweifelt dummes Gesicht die beiden Söhne des himmlischen Reiches machten, als sie mit meiner Physiognomie nicht so recht ins reine kommen konnten.«

Noch während er sprach, erschien der beturbante Kopf eines Arabers in der schmalen Treppenluke, und bald stand Ben Ali vollständig in die reiche Tracht seines Heimatlandes gekleidet, auf dem Verdeck der Dschunke, während jedoch die gegen die Sonne ausgespannten Teppiche ihn, dem Lande zu, vollständig verdeckten.

»Und hatt' ich recht?« sagte der Araber mit einem schlauen Lächeln, als er zu seinem Gefährten aufsah, »sind es nicht die beiden chinesischen Langzöpfe, denen wir im vorigen Monsun nahe bei Amoy ihre Ladung Opium wegnahmen? Ich kannte sie, wie ich nur einen Blick aus dem Kajütenfenster warf.«

»Allerdings hattest du recht, Ben Ali, Perle deiner Wüste,« lachte der Seemann, »und ich selber kannte sie, sowie ich ihnen nur in die verdutzten Gesichter schaute, was aber in des Bösen Namen die beiden Schlitzaugen auf meine Spur gebracht hat, und wie sie dies Fahrzeug wiedererkannt haben, ist mir ein Rätsel, wir haben Farbe und Kosten nicht gescheut, ihm ein anständiges und anderes Aussehen zu geben, und kaum ist der Anker unten, sind diese beiden Würdenträger der verkehrtesten Nation des Erdballs wie aus dem Boden gewachsen da. Ein Glück nur, daß ich meinem Kopf folgte und die ›Zierde des Mannes‹, wie du mich zu überreden beliebtest, meinen Bart, heruntergeschnitten habe. So fest war ihnen mein Gesicht doch nicht mehr im Gedächtnis, daß sie das wiedererkennen konnten; aber Verdacht hatten sie, und der kleine Schuft wollte keinen Blick von mir wegwenden. Schade nur, daß sie nicht mit in die Kajüte hinuntergingen, ich hätte ihnen dort einen Tee vorgesetzt, den sie im Leben nicht würden vergessen haben.«

»Es ist gut,« sagte Ben Ali, »wir sind diesmal, wenigstens für jetzt und so weit, durchgekommen. Aber ich dächte doch, wir gingen hier ganz still wieder unserer Wege, denn ich glaube kaum, daß sich diese beiden Chinesen mit der einen oberflächlichen Besichtigung beruhigen werden.«

»Was können sie tun?« lachte aber Moore; »die Regierung ist durch ihren Beamten befriedigt worden, und China mag jetzt sehen, wie es sich selber hilft. Aber außerdem, Ben, glaubt Ihr, daß ich jetzt von hier fortginge und die Beute im Stiche ließe, die hier rechts und links, fast in Arms Bereich von uns vor Anker liegt? Die beiden kleinen Dschunken da drüben haben den Bauch so voll von Opium, wie sie ihn nur bekommen können, und sind dabei fertig zum Auslaufen; verlangt Ihr mehr? Laßt die erst unterwegs sein, und dann auf mit dem Anker, so rasch Ihr wollt, aber eher wahrhaftig keines Kabels Länge von der Stelle. Hole die Zopfträger der Böse, denn wenn sie wüßten, wo es ihnen wohl ist, gäben sie wahrhaftig dem ›Menschenfresser‹ etwas weiteren Seeraum, als sie vor kaum einer halben Stunde getan.«

»Laßt die zufrieden,« sagte lächelnd der Araber, »diese Art Leute weiß in der Regel recht gut, was sie tut, und fühlt sich hier, unter den Kanonen des kleinen Forts da drüben, gerade so sicher wie im Mittelpunkte ihres sogenannten ›himmlischen Reiches‹.«

»Sicher?« rief Moore und warf einen trotzigen, herausfordernden Blick nach dem Fort am Ufer hinüber – »beim Teufel, Ben, wenn ich wüßte, daß unsere beiden Nachbarn nur zum Teil so gut segelten wie wir, weder das Fort noch die ganze Dschunkenflotte sollte mich abhalten, beide Fahrzeuge zugleich zu entern und mit in See zu nehmen. Das faule Ding von einer Kriegsbrigg, das dort vor Anker liegt wie eine flügellahme Ente, möchte dann wohl vergebens hinter uns dreinkriechen und Signale geben und Schüsse feuern. Mannschaft hätten wir überdies genug dazu im Raum. Bequemer haben wir's aber immer, wenn wir's noch ein paar Tage abwarten. Das andere Dschunkengelichter hier würde außerdem einen Heidenlärm machen und uns gerade so umschwärmen, wie der Rabe einen Habicht, der seine Beute gefaßt hält.«

»Toll genug wäret Ihr dazu,« sagte der Araber mit ruhiger Stimme, während sein blitzendes Auge jedoch verriet, daß er den kühnen Plan keineswegs für unausführbar hielt.

»Toll?« rief Moore; »war das etwa weniger toll, als Ihr den dänischen Kauffahrer bei mondheller Nacht mitten aus dem Hafen von Singapore herausnahmt und vor Tagesanbruch Eure Dschunke bis an den Rand beladen nach Malakka hinüberführtet?«

»Bah,« lachte Ben Ali, »damals war ich noch sechs Jahre jünger als jetzt, und Ihr – wäret mein erster Steuermann.«

»Und jetzt, da ich Euer Kompagnon bin,« rief Moore, »dürfen wir keine schlechteren Geschäfte mitsammen machen.«

»Das schlechteste Geschäft ist, sich unnötigerweise in Gefahr zu begeben,« sagte der Araber ackselzuckend. »Draußen im Archipel schwimmen eine Menge Fahrzeuge, die für den ›Menschenfresser‹ geladen haben; wir brauchen uns nicht die stacheligsten Früchte herauszusuchen. Doch wie Ihr wollt – ein Spaß wäre allerdings dabei, gerade weil die Kriegsbrigg da so bequem bei der Hand liegt, ihnen einen so fetten Bissen aus den Zähnen herauszureißen. Jetzt ist's aber noch keinesfalls nötig. Folgt Ihr meinem Rat, so gehen wir heute abend mit Dunkelwerden in See, und zwar dicht am Wind, als ob wir die chinesische Küste anlaufen wollten, fallen aber in der Nacht ab und den Opiumdschunken ins Fahrwasser, die uns nachher kaum entgehen können.«

»Wir wollen's uns überlegen,« sagte Moore. »Indessen gebt den Leuten unten etwas Luft. Kommen sie vorsichtig auf Deck, ahnt kein Teufel hinter der hohen Schanzkleidung die wackre Schar. Da unten ist es zu heiß, und wir müssen sie bei guter Laune erhalten.«

Ben Ali stieg wieder hinunter, und es dauerte nicht lange, bis zwölf oder vierzehn wilde, braune Gestalten – lauter Malayen, mit Kopftüchern über und in die langen schwarzen Haare geflochten und Krise und Pistolen im Gürtel tragend, mehr auf Deck krochen als stiegen und fragende Blicke auf ihren weißen Führer warfen.

»Nur Geduld, meine Burschen,« lachte dieser aber, »nur Geduld, ihr sollt mir nicht lange da unten in dem heißen Raum Versteckens spielen, dafür laßt mich sorgen. Aber vorsichtig müßt ihr mir jetzt sein, – nur noch wenigstens zweimal vierundzwanzig Stunden lang; versprecht ihr mir das?«

Die Anrede war in der malayischen Sprache gehalten, und einer der Leute, dem hellgraue Narben nach allen Seiten hin das braune Gesicht und die nackte Brust und Arme durchfurchten, erwiderte:

»Alles in Ordnung, Kapitän, solange wir noch unsere Nachbarn im Auge haben. Den Weißen wird Master Moore schon eine Nase drehen – ist nicht die erste.«

Er lüftete dabei den einen Sonnenteppich ein wenig, um freiere Aussicht zu bekommen.

»Hallo,« sagte er da plötzlich – »die Brigg da drüben macht Anstalt zum Auslaufen? Desto besser, nachher haben wir ganz freie Hand, denn die zwei Jollen am Ufer kann man eben nicht rechnen.«

Moore hatte sein Fernrohr genommen und auf die Bemerkung des Malayen lange und aufmerksam nach dem bezeichneten Kriegsschiff hinübergesehen.

»Wahrhaftig, du hast recht,« sagte er jetzt, »an der Brigg lösen sie die Vormarssegel, und dort sind auch ein paar Hände am Bug- und Vorstengenstag beschäftigt. Ihren Anker müssen sie beinahe schon in die Höhe haben, die Rette geht gerade auf und nieder.«

»Will sich vielleicht einen andern Ankerplatz aussuchen,« meinte ein anderer der Malayen, der zu seinem Kameraden getreten war.

»So sieht's aus,« rief Moore. »Ich will nur nicht hoffen, daß der Besuch uns zugedacht ist.«

»Wäre nicht übel,« sagte Ben Ali, der wieder an Deck gekommen war und nach der Rüstung an Bord der Kriegsbrigg leicht erriet, von was hier die Rede sei; »aber ich dächte, da hätte sie uns doch viel leichter ein Boot herübergeschickt.«

»Und unser Wasserboot kommt auch nicht,« brummte Moore vor sich hin.

»Nun, so bleibt es weg,« erwiderte der Araber, »wir haben noch genug im Raum, und es war ja doch nur eine Entschuldigung für unser Ankern.«

»Allerdings,« sagte Moore, »aber das wissen die am Lande nicht, und ich glaube fast, das Boot ist von oben her verhindert worden, zu uns herauszukommen. Sie glauben uns dadurch am Ende hier halten zu können.«

»Da wären sie im Irrtum,« lachte Ben Ali. »Fatal bliebe es übrigens, wenn sie uns mit dem kanonenbespickten Schiff bedeutend naher kämen. Doch was tät's im Grunde; wir könnten ja dann unsern Ankergrund ebenso leicht aus irgendeiner Ursache wechseln. Nun, wir werden sehen.«

Die Aufmerksamkeit der Dschunkenmannschaft blieb von da ab übrigens ausschließlich auf das Manövrieren des Kriegsschiffes gerichtet, das, ein ziemlich altes und dem Anschein nach schwerfälliges Fahrzeug, jetzt wirklich seinen Anker aufnahm und mit dem wenigen Wind, der hier unter dem Schutz der Insel wehte, gerade die Richtung auf die Dschunke zu nahm. Etwa in einer Kabellänge von ihr drehte es ein klein wenig ab, als ob es vorbeipassieren wollte, in einer Höhe aber mit derselben und etwa auf Büchsenschußweite von ihr entfernt, ließ es den Anker plötzlich wieder niederrasseln, schwang dann vor demselben herum, den Bug dem Lande zu, und blieb, die rechte Breitseite der Dschunke drohend zugekehrt, liegen, wenige Sekunden später waren die für das Manöver gehißten Segel wieder fest beschlagen, und keine weitere Bewegung an Bord verriet, daß sie dort für den Augenblick irgend etwas beabsichtigten, als eben nur eine gleichgültige Veränderung des Ankerplatzes.

Nicht so gleichgültig war übrigens die Mannschaft der Dschunke Zeuge derselben gewesen.

»Zum Teufel auch,« sagte Moore jetzt, der mit dem Fernrohr am Auge dem allen auf das aufmerksamste gefolgt war und das Glas erst jetzt wieder zusammenschob, »ist ihnen das Wasser dort am Lande in der Ebbe zu seicht geworden? – Ich habe aber doch schon Dreidecker an der nämlichen Stelle ruhig liegen sehen – oder haben die Schufte etwas anderes im Schilde?«

»Das werden wir wohl gleich erfahren,« rief Ben Ali, und rascher als sonst seine Art zu sprechen war, »hinunter mit euch, ihr Burschen, wieder in euer Versteck, und rührt euch nicht, bis ich euch selber durch das Zeichen rufe. Dort drüben kommt eben ein Boot ab, und ich müßte mich sehr irren, wenn der Besuch nicht uns gälte.«

»Ihr habt recht, Ben,« rief Moore, sein Teleskop rasch wieder ausziehend und auf das eben sichtbar werdende Boot richtend, »drei Offiziere oder Beamte oder was sonst noch sitzen hinten im Spiegel.«

»Einer wird der Bootsmann sein, der steuert.«

»Nein, noch außerdem – Teufel noch einmal, ob sie uns nicht grad' unter ihre Breitseite gebracht haben, daß sie mit uns machen können, was sie wollen. Eine Flankensalve aus der Entfernung schöß' uns in Grund und Boden zusammen.«

»Dann wär's freilich aus,« sagte Ben Ali ruhig, »aber so weit ist's noch nicht. Ob ich ebenfalls wieder hinuntergehe?«

»Ich glaube, ja,« meinte Moore, »es ist besser, Ihr laßt euch nicht eher sehen, als es irgend nötig ist. Und gingen sie wirklich in die Kajüte hinunter und wollten dann wissen, wer Ihr wäret, ei, so seid Ihr ein Kaufmann von einer der Dschunken, von dem ich Opium gekauft habe, und wartet hier auf Euer Boot. Lange bleiben werden sie doch nicht, und verlangen sie den Raum zu visitieren, so mögen sie's tun – sie finden nichts.«

»Und im allerschlimmsten Fall?«

»Ei, zum Teufel, die Flut ist uns freilich jetzt entgegen, aber noch Wind genug, uns fortzubringen. Zwingen sie uns, so wagen wir das Äußerste und kommen am Ende vielleicht noch hinter ihr Schiff, ehe sie uns großen Schaden tun können. Lebendig fangen sollen sie uns nicht. Ist alles klar?«

»Wie immer,« erwiderte Ben Ali, »so weit wir es dürfen sichtbar werden lassen. Aber da sind unsere Gäste.«

»Hallo, die Dschunke!« tönte in dem Augenblicke der seemännische Ruf vom Wasser herauf, und Moore trat auf sein spitz erhöhtes Hinterdeck, um dort zu antworten, während Ben Ali wieder in den unteren Raum verschwand.

»Hallo, das Boot!«

»Werft uns ein Tau über – wir wollen an Bord!«

»Gleich, Sir. Heda, ihr da vorn, werf einmal einer von euch ein Tau hinunter in das Boot – rasch da – hört ihr nicht?«

»Ay, ay, Sir,« lautete die den Engländern abgehörte Antwort der Chinesen, und im nächsten Augenblick flog ein zusammengerolltes dünnes Tau hinunter, das von einem der vorn im Boot sitzenden Matrosen geschickt gefangen und um die vordere Bank geschlungen wurde.

»Hol' an Bord!«

Das Tau wurde wieder eingezogen und um einen der »Nägel« befestigt; gleich darauf lag das Boot unten fest langseit, und die drei Offiziere, die, wie Moore ganz recht gesehen, hinten im Spiegel des Bootes gesessen, kamen aufs Deck und grüßten den Eigentümer der Dschunke höflich, aber ziemlich kalt.

»Und was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs, meine Herren?« fragte Moore endlich, mit einem flüchtigen Blick nach der Brigg hinüber; »kann ich Ihnen in etwas zu Diensten sein?«

»Sie sind der Eigentümer oder Führer dieses Fahrzeugs?« fragte der erste Offizier und erste Leutnant, wie es seine Uniform zeigte, ohne auf die Frage direkt zu antworten.

»Allerdings,« lautete die ebenso kurze und etwas trotzige Antwort des Gefragten.

»Ihr Name?«

»James Moore; ich bin heute morgen schon einmal darum examiniert worden, und ich möchte wirklich wissen –«

»Mr. Moore,« unterbrach ihn aber der Offizier, »ich handle in höherem Auftrag und möchte Sie ersuchen, Ihren Ankergrund hier nicht zu verlassen, bevor Sie nicht weitere Weisung bekommen.«

»Ich warte auf Wasser,« erwiderte der Dschunkenführer finster, »und sobald ich das an Bord habe, sehe ich nicht ein, was mich hindern sollte, auszulaufen, wann es mir gerade beliebt.«

»Es tut mir leid, Ihnen darin widersprechen zu müssen,« erwiderte ihm mit kalter Höflichkeit der Offizier, »aber ich habe gemessenen Befehl, Ihr Fahrzeug in Grund zu schießen, sobald es einen Versuch zur Flucht machen sollte.«

»Flucht?« rief Moore emporfahrend; »sind meine Papiere nicht in Ordnung? Ist nicht erst ein Beamter hier gewesen, der mein Schiff untersucht hat, wenn ich auch nicht recht begreife, weshalb?«

»Ihr Fahrzeug ist, so viel ich weiß, noch nicht untersucht worden,« erwiderte der Offizier, »der Tag auch dazu für heute zu weit vorgerückt. Ich werde Ihnen deshalb diese beiden Herren heut abend an Bord lassen. Möglich,« setzte er freundlich hinzu, »daß die ganze Sache auf einem Mißverständnis beruht, was sich dann jedenfalls bis morgen früh aufklären wird. Bis dahin ersuche ich Sie freundlich, sich dem Unvermeidlichen in Geduld zu fügen.«

»Und die beiden Herren bleiben bei mir an Bord?«

»So ist der Befehl meines Kapitäns. Sie selber werden jetzt – denn die Dämmerung beginnt schon – eine Laterne über Ihren Starbordbug hängen und diese, während die Flut wechselt, so verändern, daß sie uns fortwährend zugedreht bleibt; Leutnant Bolard wird schon darauf achten. Bei der geringsten Versäumnis dieser Maßregel und sowie das Licht verschwindet, haben unsere Boote Befehl, Sie augenblicklich zu entern. Welchen Unannehmlichkeiten Sie dabei ausgesetzt sind, wissen Sie selber am besten.«

Moore zuckte die Achseln.

»Gegen Gewalt ist nichts auszurichten,« sagte er dabei. »Ich bin unbewaffnet und kann gegen Ihre Kanonen nicht ankämpfen. Morgen hoffe ich indes, daß ich eine Erklärung über ein so merkwürdiges Benehmen erhalten werde. Außerdem ist auch unser bestelltes Wasser heute nicht angekommen und ich bin in der größten Verlegenheit, wir haben keinen Tropfen mehr an Bord.«

»Ich werde Ihnen in dem Fall noch ein Fäßchen heut abend herüberschicken. Mr. Bolard, Sie kennen Ihre Pflicht. Mr. Pawton, sorgt, daß die Laterne ohne Säumen an ihren Platz kommt. Ist sie schon aus dem Boot heraufgeschafft?«

»Hier ist sie, Sir.«

»Gut denn. Guten Abend, meine Herren.«

Der Offizier verbeugte sich gegen Moore, nickte seinen beiden Untergebenen zu und stieg dann wieder in seine Jolle hinunter, die ihn rasch zu dem dicht dabei liegenden Schiff brachte.

Eine Viertelstunde später kam das versprochene Fäßchen Wasser langseit und wurde auf Deck gehoben, und die beiden Engländer gingen indessen auf und ab und schienen noch nicht recht zu wissen, wie sie sich eigentlich gegen ihre halben Arrestanten zu benehmen hätten.

Desto vollständiger war Moore selber mit sich im reinen, und sobald er – wie er sich den Fremden gegenüber entschuldigte – danach gesehen hatte, daß das Wasser gleichmäßig unter seine Leute verteilt war, kehrte er zu jenen zurück und lud sie jetzt auf das freundlichste ein, seine Kajüte in Augenschein zu nehmen.

Der Mastersmate Pawton hatte indes danach gesehen, daß die Laterne nach vorgeschriebener Art aufgehängt war, wogegen die Brigg an ihrer Seite ein gleiches Signal aushing, und Mr. Bolard, der dritte Leutnant der Kriegsbrigg, stieg mit dem Master der Dschunke in dessen kleine Kajüte hinunter. War er doch selber neugierig geworden, das Innere des Fahrzeugs in Augenschein zu nehmen, über das an Bord seines eigenen Schiffes, als dieses die drohende Stellung gegen dasselbe einnahm, solche wunderlichen und unheimlichen Gerüchte in Umlauf waren.

Er selber hatte sich denn auch auf eigene Hand ein gar wildes Bild von dem kleinen Fahrzeug entworfen und seinem Mastersmate, ehe er hinabstieg, insgeheim die gemessensten Befehle erteilt, auf seiner Hut zu sein und auf alles ein wachsames Auge zu haben. Um so mehr war er überrascht, die kleine freundliche Kajüte wie ein Bild des Friedens zu finden.

Der Boden derselben war mit schneeweißen, feingeflochtenen Binsenmatten belegt, die leichten Bambuswände waren mit buntfarbigen, wie es fast schien, kostbaren Teppichen behangen, und eine zierliche europäische Astrallampe, die von der Decke niederhing, verbreitete ein helles und doch mildes Licht in dem kleinen gemütlichen Raum.

An dem in der Mitte befestigten Tisch saß Ben Ali in seiner morgenländischen Tracht, aus einer kurzen türkischen Pfeife rauchend und emsig mit Schreiben beschäftigt. Bücher und Papiere lagen um ihn her. So eifrig schien er dabei in seine Rechnungen vertieft, daß er die Kommenden nicht einmal gleich hörte und erst dann den Kopf erhob, als Moore seinen Namen rief.

Nirgends war auch die Spur von Waffen zu erkennen, zwei langläufige Flinten ausgenommen, die über der Tür befestigt hingen und wohl überhaupt in keinem Fahrzeug fehlen, das den ostindischen Archipel befährt. Aber selbst diese schienen seit langer Zeit nicht gebraucht, denn Bolards prüfender und scharfer Blick, der darüber hinstreifte, erkannte trotz dem Dämmerlicht doch leicht den Rost an den alten, noch mit Steinschlössern versehenen Läufen.

Bolard grüßte den Araber und sagte dann, sich in dem engen Raum umsehend:

»Alle Wetter, Mr. Moore, ich hätte es Ihrer Dschunke gar nicht von außen angesehen, daß sie eine so allerliebste Kajüte aufzuweisen hat.«

»Das Schiff ist unsere Heimat, werter Herr,« erwiderte Moore, »und jeder schmückt sich die nach besten Kräften.«

»Aber mit Waffen scheinen Sie nicht überflüssig versehen zu sein. Bei einer wertvollen Ladung möchte es kaum geraten sein, den malayischen Piraten des Archipels mit den beiden alten Flinten in die Hände zu fallen.«

»Die würden auch das wenigste dabei ausrichten,« lachte Moore, indem er an einen kleinen Wandschrank ging und Flaschen und Gläser herausnahm. »Sie sind noch ein Inventar, das ich mit der Dschunke übernommen, und ich glaube sogar, noch von ihrem früheren Besitzer her geladen. Meine eigene Büchse und Pistolen habe ich über meinem Bett hängen, und unter dem Sofa dort steht eine Kiste mit Säbeln für meine Leute, falls wir wirklich einmal sollten angefallen werden. Sie wissen wohl aus eigener Erfahrung, daß die Chinesen mit Feuerwaffen nur höchst mittelmäßig umzugehen verstehen.«

»Das weiß Gott,« lachte Bolard, »so geschickt sie auch manchmal ihre Säbel handhaben.«

»Ein Glas Sherry verschmähen Sie doch nicht?«

»Ich danke wirklich.«

»Die Luft ist hier in der Nähe von Hongkong und gerade in diesem Monsun eben nicht so übermäßig gesund – Sie erlauben mir wenigstens, daß ich Ihnen vorher Bescheid tue. Nach dem, was die Herren Beamten an Land von uns zu denken scheinen, können Sie uns sonst am Ende gar für Giftmischer halten.«

»Mein bester Herr –«

»Sicher ist sicher,« lachte Moore, während er sich ein Glas bis zum Rande füllte und es auf einen Zug leerte.

»So,« sagte er dann, die Flasche dem Leutnant hinüberschiebend, »nun hoffe ich, daß Sie sich derselben nach besten Kräften bedienen werden, und wenn Sie es erlauben, ruf' ich den andern Gentleman ebenfalls herunter, uns wenigstens in einem Glas Bescheid zu tun.«

»Ich weiß nicht –« sagte der Offizier zögernd.

»Sie haben nichts zu fürchten,« lächelte der Dschunkenführer, »von hier aus können Sie sogar durch unsere Bambuswände hindurch die dort aushängende Laterne, das befohlene Signal, erkennen. Außerdem seh' ich dem morgenden Tag mit großer Ruhe entgegen, denn irgendein wunderliches Mißverständnis muß jedenfalls den gegen mich oder mein Fahrzeug befohlenen Maßregeln zugrunde liegen. Also warten wir's ruhig ab. Fort kann ich ebenfalls nicht, bis ich nicht Wasser an Bord habe, und ich hoffe, daß wir den Abend auf angenehme Art verbringen werden.«

Ohne weiteres stieg er jetzt die wenigen Stufen hinan, den Mastersmate zu seinem Offizier hinabzurufen. Dieser verließ jedoch nur zögernd das Deck und konnte erst bewogen werden, ein Glas Wein anzunehmen, als sein Offizier ihn selber dazu einlud. Hierauf stiegen beide wieder auf das Deck und gingen dort wohl eine Stunde lang mit Moore auf und ab, der ihnen manches aus seinem bewegten Leben und den interessanten Küstenfahrten des Archipels erzählte.

So war es neun Uhr geworden. Die Flut trieb schon seit vier Uhr mit voller Stärke gegen das Land zu, und der Wind war fast ganz eingeschlafen, während sich der Himmel mit Wolken dicht umzog. Die Dschunke hätte unter diesen Umständen ihren Ankerplatz gar nicht mehr verlassen können, ohne dem Lande geradezu entgegenzutreiben. Außerdem herrschte an Bord vollkommene Ruhe. Die regelmäßige Wache ging allerdings an Deck auf und ab, die Raaen waren aber niedergelassen, im Kompaßhaus war kein Licht, das Steuer festgebunden, und das kleine Fahrzeug ruhte wie eine schlafende Möwe auf der stillen, fast spiegelglatten Flut.

Indessen nahte die Zeit des Abendbrots, und der kleine saubere Tisch in der Kajüte stand für vier Mann gedeckt. Leutnant Bolard führte allerdings seine Provisionen bei sich und wollte die Einladung ablehnen, Moore aber rief eifrig: »Ei wahrlich, Gentlemen, Sie werden doch meinem Fahrzeug nicht die Schande antun wollen, seine Gäste nicht einmal bewirtet zu haben?«

»Ungebetene Gäste, wissen Sie, Mr. Moore,« lächelte der Offizier.

»Ei was,« rief der Seemann treuherzig, »im ersten Augenblick waren Sie mir allerdings ungebeten, und hätt' ich die Macht dazu besessen, verdammt will ich sein, wenn ich Sie gutwillig angenommen. Wie aber die Sache jetzt steht und nach näherer Bekanntschaft, denk' ich, haben wir auf beiden Seiten gefunden, daß wir nicht so schlimm waren, als wir aussahen, und deshalb nicht die geringste Ursache vorhanden ist, das zu verschmähen, was uns unser chinesischer Koch bereitet haben wird.«

»Es liegt zuviel Logik in Ihrer freundlichen Einladung,« sagte der Offizier lachend, »um sie zurückzuweisen, – bis zum Einsetzen der Ebbe haben wir überdies noch eine volle Stunde Zeit und können diese allerdings nicht besser ausfüllen, als auf die von Ihnen so gastlich bezeichnete Weise. Master Pawton, ich glaube, daß uns das Souper keinen Schaden tun wird.«

»Schaden?« schmunzelte der Mastersmate, den Moore durch sein derbes, echt seemännisches Wesen schon vollkommen gewonnen hatte, »wohl keinen Schaden weiter, den ausgenommen, den es unter den aufgetragenen Speisen und Getränken anrichten wird. Ich glaube, wir sind beide schon an schlechteren Plätzen gewesen.«

»Je eher der Koch dann anrichtet,« rief Moore auf malayisch seinem Steuermann zu, »desto besser. Ich selber habe heut abend einen schmählichen Hunger,« setzte er dann gegen die Fremden hinzu, »und hoffe dasselbe von meinen Gästen. Wollen Sie sich nach dem Souper dann in die Wache teilen, so steht einem der Herren da unten mein Sofa zu Diensten, oder ich schlinge Ihnen oben auf dem Verdeck, wenn Ihnen das lieber ist, eine Hängematte auf. Das Wetter ist still und ruhig, und den Tau können wir schon durch ein darübergespanntes Tuch abhalten.«

»Vortrefflich,« rief Bolard, dessen letzter Verdacht durch dieses Anerbieten beseitigt wurde, »dann bitte ich Sie freundlichst um die Hängematte. Sie werden leicht begreifen, daß wir es unter den jetzigen Umständen vorziehen müssen, beisammen und an Deck zu bleiben.«

»Deshalb gerade machte ich Ihnen den Vorschlag. Aber jetzt zu Tisch; ich sehe eben, wie Tschung-Ih, unser würdiger Kochkünstler, seine gastronomischen Experimente dort hinunter spediert, und je eher wir ihm folgen, desto besser. Nur einen Augenblick müssen Sie mich entschuldigen, daß ich den Wein besorgen kann.«

Die beiden Engländer stiegen, nachdem sie noch einen Blick über Deck geworfen und sich überzeugt hatten, daß alles in Ordnung sei, in die Kajüte hinab, wo Ben Ali seine Papiere fortgeräumt und dem Tischtuch Raum gegeben hatte.

Moore stand indessen vorn an der Logistreppe, die in den vorderen Raum hinabführte, neben einer dunkeln Gestalt, die mit halbem Leibe daraus hervorschaute.

»Wie lange noch bis zur wiederkehrenden Ebbe, Rudah?« fragte er rasch mit unterdrückter Stimme.

»Voll eine Stunde, Toean Toean, sprich »Tuan« – Herr.,« erwiderte der Malaye.

»Und was hältst du vom Wetter?«

»Gut – da drüben im Nordosten wird es hell. – Noch vor der Zeit haben wir Brise genug.«

»Ist die Laterne in Ordnung?«

»Alles fix und fertig – wann lassen wir sie nieder?«

»Bei dem ersten Champagnerkork, den ihr fliegen hört – Tschung-Ih mag an der Treppe bleiben.«

»Und wenn sie heraufkommen und etwas merken sollten?«

»Dann bleibt uns nichts anderes übrig als Gewalt!« sagte Moore finster. »Sobald das Zeichen gegeben ist, kommen sechs von euch leise nach hinten und stellen sich rechts und links an der Kajütentreppe auf. Den ersten, der nach oben will, und dem ich nachrufe: ›Aber nur noch ein Glas!‹ faßt und knebelt. Verstanden?«

»Ay, ay,« lachte der Bursche mit blitzenden Augen. »Merken die dann auch etwas da drüben, können sie doch nicht auf das Fahrzeug schießen, in dem ihre eigenen Offiziere sind, und daß uns die Boote nicht einholen, dafür laßt uns sorgen.«

»Daß sie es nur nicht hören, wenn ihr den Schäkel In der Ankerkette sind in gewissen Zwischenräumen Bügel mit Bolzen oder Schäkeln angebracht, um die Kette, wenn es nötig sein sollte, an den Stellen trennen und wieder zusammenfügen zu können, ohne ihr selber Schaden zu tun. Es geschieht das häufig, wenn der Seemann, besonders bei schwerem Wetter, genötigt ist, seinen Ankergrund zu verlassen, und den Anker nicht heben kann. An der Kette wird dann eine Luftboje oder Tonne gelassen, um später den Ort finden zu können, wo der Anker liegt. ausschlagt. Wenn es nicht vorsichtig geschieht, fühlt man die Erschütterung durchs ganze Schiff, und die beiden Burschen sind zu viel Seeleute, um nicht den Augenblick zu wissen, was das bedeutet.«

»Weiß schon,« lachte der Malaye, »sobald wir staut Zwischen Ebbe und Flut. Wasser haben und das Schiff nicht mehr an der Kette hängt, ist das im Nu geschehen. Schade nur um den Anker – vorsichtigerweise habe ich eine Boje angeschlagen.«

»Recht so, wir werden ihn uns schon wieder holen, wenn ihn die Brigg da drüben nicht als Pfand behält,« lachte Moore. »Doch ich muß jetzt fort, daß meine beiden Herren keinen Verdacht schöpfen. Ich kann mich auf dich verlassen?«

»Saya, Toean,« sagte der Malaye lakonisch.

Moore erwiderte kein Wort weiter. Er kannte den Burschen und betrat wenige Minuten später mit den für ihn bereitstehenden Flaschen die Kajüte, wo er seine Gäste schon seiner harrend fand.

Das Essen wurde in diesem Augenblick vollständig aufgetragen und nahm vorderhand die Aufmerksamkeit sämtlicher dabei beteiligten Personen so vollständig in Anspruch, daß selbst nur abgebrochene Gespräche geführt werden konnten. Moore sprach zu gleicher Zeit der Flasche herzhaft zu, und selbst Ben Ali, Muselmann der er war, schien sich auf der See von den strengen Verboten seines Korans auf das liberalste dispensiert zu haben. Mit so gutem Beispiel vor sich, ließen sich die beiden Offiziere denn auch nicht lange nötigen, ohne jedoch den kräftigen Trank auch nur im entferntesten unmäßig zu genießen. Sie kannten die Verantwortung, die sie hier übernommen, und wenn sie auch nicht den geringsten Verdacht gegen ihren jovialen halb Gefangenen, halb Gastgeber schöpften, waren sie doch viel zu gewissenhaft, sich nur das mindeste dabei zu vergeben, oder irgendeine nötige Vorsicht außer acht zu lassen. Sie blieben daher beide still und schweigsam, und dann und wann, bei dem geringsten Geräusch an Deck, trat Bolard auf die kleine Treppe, wo er den ganzen obern Teil der Dschunke übersehen konnte. Ihr Signal hing aber dort noch leuchtend aufgehängt, die Raaen lagen nieder, und nur der langsame, regelmäßige Schritt des wachthabenden Matrosen ließ sich hören.

Fine eigentümliche Veränderung war indessen mit dem vorher noch so ernsten und schweigsamen Ben Ali vorgegangen. Des Englischen vollkommen mächtig, wenn er dasselbe auch mit einem etwas fremdartigen Dialekt sprach, hatte ihn der Wein so beredt gemacht, daß er, nur erst einmal aufgetaut, das Wort allein führte und aus seinem an Taten und Vorfällen überreichen Leben besonders für die Seeleute höchst interessante und spannende Skizzen zum besten gab. Seit zwanzig Jahren fast an Bord eines oder des anderen Fahrzeuges im Archipel, kannte er die Küsten fast aller Inseln, vom Chinesischen Meer hinab bis zu der Torresstraße, war von den Piraten schon geplündert, von den australischen Wilden schon gesperrt und gefangen worden, hatte auf holländischen Kriegsschiffen als Dolmetscher gedient und den Krieg gegen die Engländer mitgemacht, war dann von diesen auf Java angestellt worden, und erst, als diese jene Insel wieder an ihre früheren Besitzer abtraten, zu dem Entschluß gekommen, selber Handel zu treiben und sein eigener Herr zu werden.

Das Essen war ziemlich beendet und eine Stunde dabei im Fluge hingegangen, als das Gespräch durch Moore auf ein vor längeren Jahren an der chinesischen Küste gesunkenes Dampfschiff kam. Es stieß damals mit reicher ostindischer Fracht beladen an eine Klippe, wurde leck und ging auch in der nämlichen Nacht zugrunde. Nur wenige Menschen waren imstande gewesen, sich zu retten, und Bolard selber hatte, wie er sagte, seinen Vater dabei verloren.

»Ihren Vater?« rief Ben Ali, der jetzt mit einer längeren Pfeife als vorher auf dem Sofa lehnte, indem er sich rasch emporrichtete, – »und war der mit unter jenen Unglücklichen, die der Tod selbst in der Kajüte ereilt, ohne daß sie imstande gewesen wären, das Freie zu gewinnen?«

»Gott weiß es,« sagte Bolard seufzend, indem er von seinem Stuhl aufstand, – »es ist auch eine zu traurige Geschichte, um ihrer lange zu gedenken. – Aber ich glaube, die Ebbe wird bald eintreten, und es ist wohl Zeit, daß wir nach unserem Signal sehen.«

»Ich habe schon Befehl dafür gegeben,« erwiderte Moore, ebenfalls seinen Stuhl verlassend, »und will selber gleich nachschauen. Übrigens wird es uns hier unten gemeldet, sobald still Wasser eintritt. Apropos – jenes Schiff – wurde das an Bord befindliche bare Geld und was an Goldbarren vorrätig darin lag, nicht durch einen Taucher wieder heraufgeholt?«

»Ich glaube, ja,« sagte Bolard, »und der Mann soll über das Entsetzliche, das er da unten in dem versunkenen Schiff gesehen, wahnsinnig geworden sein.«

»Der Mann sitzt vor Euch!« sagte da der plötzlich ganz ernst gewordene Ben Ali mit hohler, fast geisterhafter Stimme. Der Arm, der die Pfeife hielt, war niedergesunken, sein Haupt hatte er gebeugt, und sein Blick haftete stier und unheimlich in der fernsten Ecke der Kajüte.

»Sie selber?« rief Bolard, der sich schon gewandt hatte, die Treppe hinaufzugehen, indem er sich überrascht nach dem Araber umdrehte.

»Ich selber,« sagte dieser, langsam mit dem Kopf nickend, »und noch jetzt, wenn ich an jene Stunden zurückdenke, rieselt mir das Entsetzen durch Herz und Seele bis in die Fußzehen nieder.«

»Das müssen Sie uns erzählen,« rief Bolard, »nur einen Augenblick geh ich aufs Deck, ich bin gleich wieder unten.«

»Und ich werde indessen etwas besorgen,« setzte Moore, die beiden Fremden begleitend, hinzu, »das uns die Schauer wenigstens hier unten fernhalten soll. Nicht umsonst habe ich mir einige Körbe Champagner in Batavia gekauft, und heute können wir versuchen, ob er echt ist.«

Als die drei Männer das Deck erreichten, fanden sie noch alles, wie sie es vor dem Abendessen verlassen. Noch kam die Flut ein, aber wie es schien langsamer. Nur der Wind hatte sich wieder etwas erhoben und wehte, wie immer in dieser Jahreszeit, von Nordost her.

Moore öffnete die Mittelluke und stieg hinab, um den Champagner heraufzuholen, und Bolard ging mit dem Mastersmate indes nach vorn, sah nach der Kette, die noch straffgespannt hing, warf einen Blick auf die Signallaterne und einen andern nach seiner Brigg hinüber, die ebenfalls nur durch ihre ausgehängten Lichtsignale sichtbar war, und schritt dann langsam wieder mit seinem Kameraden der Kajüte zu. Die Leute an Bord schienen zu schlafen; selbst der wachthabende Chinese hatte sich in Lee der etwas erhöhten Mittelluke lang aufs Deck ausgestreckt und schaute still und schweigend nach dem dunkeln Himmel über sich hinauf. Das Licht der Laterne fiel voll auf sein Gesicht.

»Eine merkwürdig stille Nacht heute,« sagte Moore, als er mit einem Arm voll bleibehalster Flaschen wieder dahin zurückkam, wo die beiden Offiziere noch standen, »aber ich denke, gegen Morgen bekommen wir mehr Wind. Der Himmel sieht dort drüben ganz danach aus.«

»Wohl möglich,« sagte Bolard, nach Nordost hinübersehend, »ich glaube sogar, daß es noch vor Morgen kommt. Aber der Ankergrund ist gut, und solange die Ketten halten, hat es nichts zu sagen.«

»Hier überhaupt nicht,« meinte Moore, »denn die Insel schützt uns hinlänglich und hält das Schlimmste ab. Aber kommen Sie, Sir, der Champagner hier ist überdies nicht sehr kühl, und je eher wir ihn trinken, desto besser. Außerdem bin ich selber auf des Arabers Erzählung gespannt. Er hatte sich schon ordentlich einen kleinen Rausch angetrunken, und nur die Erinnerung an jene Zeit machte ihn im Nu wieder nüchtern.« Er stieg, ohne sich weiter an Deck umzusehen, in die Kajüte hinab, wohin ihm die beiden Offiziere folgten. – Ben Ali saß noch dort, wie sie ihn verlassen. Die Pfeife war ihm sogar ausgegangen, und er schien die Rückkunft der Männer gar nicht zu bemerken.

»Steward! he, Steward, andere Gläser!« rief Moore aufs Deck zurück, als er seine Gäste eingeladen hatte, ihre Sitze wieder einzunehmen. »Und nun, Ben Ali, macht Euch Luft. Die Geschichte liegt Euch doch auf dem Herzen, und je eher Ihr sie herunterbringt, desto besser.«

Tschung-Ih selber brachte die Gläser und verließ augenblicklich die Kajüte wieder, während der Araber bei der Anrede rasch den Kopf erhob. Aber wie sich besinnend, hob er die Pfeife wieder zum Munde, sog daran, zündete sie dann langsam an einem auf dem Tisch stehenden Lichte an und sagte:

»Wohl habt Ihr recht, Freund. Auf dem Herzen liegt mir jener Tag – und ich glaube, ich habe Ursache dazu. Doch die Erzählung ist kurz, und Euch die Zeit zu vertreiben, mögen die Bilder jener furchtbaren Stunden noch einmal an meinem innern Blick vorübergleiten. Die Zeit, die alle Wunden heilt, hat sie überdies gemildert, und meine Worte werden die alte Kraft nicht mehr besitzen, sonst trieben sie Euch die Haare vor Entsetzen in die Höhe.«

»Alle Wetter,« meinte der Mastersmate, der neugierig in das bleiche Antlitz des Muselmanns schaute, »Ihr redet ja, als ob Ihr ein Gespenst gesehen.«

»Ein Gespenst?« rief Ben Ali, ihn wild anstarrend, »aber hört, hört und urteilt selbst.«

»Ich kam damals« – begann Ben Ali seine Erzählung – »gerade von Java zurück, und zwar als Superkargo und Miteigentümer eines kleinen Schoners, den ein Landsmann von mir alt in Batavia gekauft. Der Gewinn, den wir aus der Reise bis Kanton machten, war nur ein geringer, denn von einem Typhon erfaßt, litten wir Havarie und mußten viel Geld bezahlen, um unser kleines Fahrzeug wieder seetüchtig zu bekommen. Da hörte ich von dem versunkenen Schiff, das große Reichtümer an Bord haben solle, und daß der englische Bevollmächtigte in Kanton dem eine große Belohnung ausgesetzt habe, der das Gold und Silber aus der Kajüte desselben wieder zutage fördere. Ich selber war von Jugend auf ein trefflicher Schwimmer und noch besserer Taucher. Länger als irgendeiner meiner Kameraden konnte ich unter Wasser aushalten, und oft zum Scherz hatte ich schon bei nicht allzu tiefem Wasser vom Grund des Meeres hineingeworfene Gegenstände wieder heraufgeholt. Die Belohnung lockte mich deshalb, ich meldete mich, und da das Schiff in verhältnismäßig seichtem Wasser lag, fühlte ich mich ziemlich sicher, das einmal Unternommene auch durchzuführen.«

Moore hatte, während Ben Ali sprach, eine Zigarre aus der auf dem Tisch stehenden offenen Kiste und das Licht vom Tisch genommen und trat damit in die Ecke, die Zigarre anzuzünden. Dort stand, von den übrigen nicht bemerkt oder beachtet, ein Kompaß, und ein einziger Blick darauf genügte dem Seemann, zu wissen, daß die Flut vorüber sei und die Ebbe beginne. Das Schiff fing an sich zu drehen.

Er setzte das Licht auf den Tisch zurück, nahm eine der Flaschen, löste den Kork und ließ ihn, ohne die Erzählung sonst zu unterbrechen, der Tür zu abknallen. Während er die Gläser vollschenkte, fuhr Ben Ali fort:

»Ein englisches Boot, mit allem Nötigen versehen, brachte mich zu der Stelle, wo wir noch die oberste Spiere des großen Mastes eben konnten über die Oberfläche ragen sehen. Es war ein wundervoller windstiller Tag zwischen den beiden Monsunen und die See so klar, daß man deutlich aus dem Boot heraus die Lage des Schiffes erkennen konnte. Die Engländer hatten außerdem eine Taucherglocke herbeigeschafft, in der ich bis auf das Deck des gesunkenen Fahrzeuges niedergelassen werden sollte, und in die ich zurückkehren konnte, um etwas Luft zu schöpfen. Unten vom Deck aus mußte ich mir freilich meine Bahn in die Kajüte selber suchen, und wenn ich auch, der genauesten Beschreibung nach, ziemlich deutlich wußte, wo ich das Gold finden würde, blieb es doch immer ein böses und gefährliches Unternehmen, in die jedenfalls dunkle Kajüte hineinzukriechen. Ging mir der Atem dort aus und konnte ich nicht schnell genug wieder zurück, so war ich verloren. Außerdem hatte man mir schon vorher gesagt, daß ich im Innern wahrscheinlich noch einige Leichen finden würde, damit ich nicht, unten angelangt, erschrecken möge. Ein starker Sack, den ich bei mir trug, und der an einer besonderen Leine hing, sollte, was ich fand, aufnehmen, um allein nach oben gezogen zu werden.

Mit einem Gewicht beschwert und voll guten Mutes glitt ich also in die Tiefe, denn Gold ist ein trefflicher Magnet und zieht die Menschen in der Erde Schluchten, in der Wasser Tiefen, übers Meer hinüber und durch Wüsteneien. Ich hatte vorher nicht gewußt, daß man auch in ein Grab danach steigen könne.«

»In ein Grab?« wiederholte Bolard.

»Hören Sie,« sagte der Araber mit leiser, fast flüsternder Stimme. »Mit der Glocke wurde ich leicht aufs Deck und dicht neben den Eingang niedergelassen, der in die Kajüte führte. Hier schon versperrte mir ein toter Körper den Weg, der sich mit den Kleidern irgendwo eingehängt und, leicht geworden, oben an der Treppe schwamm. Ich überwand das Grausen, das mich beschlich, faßte und befreite ihn mit leichter Mühe, und die Leiche schoß, von dem Hindernis gelöst, wie ein Kork nach oben. Ich wandte den Kopf nicht danach um und stieg jetzt rasch die ziemlich breite, aber nicht tiefe Treppe nieder, um die mir kurz zugemessene Zeit nach Kräften zu benutzen. Nur mit großer Anstrengung öffnete ich hier gegen den Druck des darin liegenden Wassers die Tür und – stand zu Stein erstarrt, als mein Blick das düstere Zwielicht, das mich umgab, durchdrang und das Entsetzen faßte, das mir aus jedem Winkel, aus allen Ecken, von der Decke, vom Boden, unter dem Tisch vor, und von den Fenstern her entgegengrinste.«

Er schwieg einen Augenblick und barg sein Antlitz in der rechten Hand, als ob er die Gedanken zurückdrängen wollte, die ihm aufs neue das Blut rascher durch die Adern jagten. Endlich sah er wieder auf, leerte das vor ihm stehende und frisch eingeschenkte Glas mit einem Zug und fuhr langsam fort:

»Was ich sah, war furchtbar – die ganze Kajüte lebte von Leichen, die durch das Öffnen der Tür und die dadurch verursachte Strömung Bewegung erhalten hatten. Gleich vor mir unter dem Tisch und durch den Wasserdruck unter die Platte gedrückt, lag eine Frau, die wie Hilfe suchend den Kopf zu mir emporhob und mich mit den weitgeöffneten, glanzlosen Augen anstierte. Andere, die sich im Todeskampf um die festgemachten Stühle geklammert, hatten noch jetzt ihren Griff nicht nachgelassen und bildeten wilde, furchtbare Gruppen, während das Gräßlichste von allem dicht über mir, mein Gesicht fast mit den kalten Gliedern berührend, festgepreßt unter der Decke hing. Eine Frau, ihr kleines Kind an sich gedrückt, und zwei Männer, der eine in Uniform, der andere in einem leichten indischen Anzug, schwebten förmlich unter der Decke der Kajüte – Kopf, Arme und Beine niederhängend – den einen Arm der Frau mit dem Kinde ausgenommen, und jetzt – langsam im Schlag des Wassers mit den angeschwollenen Gesichtern und stieren Augen auf mich nieder nickend. Mehr sah ich nicht – die Sinne schwanden mir, und ich weiß nur, daß ich im letzten Bewußtsein und mit der Kraft der Verzweiflung zurück durch die Tür, die Treppe hinauffuhr und mich nach oben, ans Licht – an die Luft arbeitete.

Bild: Wilhelm Thöny

Halb ohnmächtig und von den Leuten im Boot anfangs nur für eine zweite Leiche gehalten, kam ich dort an, und es bedurfte einiger Zeit, bis ich mich dazu entschließen konnte, wieder hinab zu jener furchtbaren Gesellschaft zu tauchen. –

Das zweitemal wußte ich wenigstens, was mich erwartete, und als sich mir die geschwollenen Glieder dort entgegenschlenkerten, wandte ich nur schaudernd den Kopf ab und suchte nach dem Gold. Ich mußte hierzu eine Kiste erbrechen, die in der Hauptkajüte stand. Die Werkzeuge hatte ich bei mir, aber länger, als ich dazu brauchte, konnte ich auch der Luft nicht entbehren und kehrte diesmal in die Taucherglocke zurück. Siebenmal drang ich solcher Art in die Kajüte ein und füllte endlich die Säcke, die, an dünnen, aber starken Tauen befestigt, auf mein Zeichen in das Boot gezogen wurden und den versenkten Schatz zutage förderten.

Das achtemal war ich, nachdem ich vorher auf einige Stunden an Bord zurückgekehrt und mich in der frischen Luft erholt und gestärkt hatte, wieder nach unten gegangen, um des Kapitäns Sekretär zu erbrechen, in dem sich noch eine Summe in spanischen Dollars befinden sollte. Wieder betrat ich, mit den Schrecken dort unten jetzt schon vollkommen vertraut, den düstern Raum. Ein Stuhl stand hier zwischen dem Sofa und der Kapitänskajüte eingeklemmt, den ich erst lüften mußte. Ich tat das rasch, ohne mich weiter umzusehen, als plötzlich die eine auf dem Sofa liegende Frau, deren Kleider jener Stuhl bis dahin wahrscheinlich festgehalten, die Arme in die Höhe warf. Entsetzt drehte ich mich nach ihr um, da hob sie sich empor, und mit stier auf mich geheftetem Blick, die Arme vorgestreckt, als ob sie mich fassen und halten wollte, schoß sie auf mich zu.

Das war zu viel für menschliche Nerven – das Blut drängte sich mir wie mit einem Schlage zum Herzen zurück, und das Gewicht, das ich in der Hand hielt, im Schreck fallen lassend, wollte ich der Tür zuspringen; dadurch aber leichter geworden, hob mich das Wasser unter die Decke zwischen die dort angepreßten Leichen – wohin ich griff, erfaßte ich tote aufgeschwemmte Körper, die sich alle nach mir zu drehen – mich nun zu greifen schienen. Ich fühlte dabei, daß mir die Luft ausging – sah mich schon im Geiste verloren – tot zwischen diesen Entsetzlichen, ein Genosse ihrer furchtbaren Sippschaft, und nur die Verzweiflung, die mich erfaßt hatte, stählte meine Nerven so weit, daß ich mit gewaltsamer Kraftanstrengung nach unten tauchen und die Tür gewinnen konnte.

Ich war gerettet, aber keine Macht der Erde, keine Aussicht auf goldene Schätze hätte mich verlocken können, aufs neue in das gräßliche Schiff hinabzusteigen. Die Engländer boten mir die Hälfte des Silbers, das ich noch zutage bringen würde – sie versprachen mir –«

»Was war das?« unterbrach da der Mastersmate, von seinem Sitz aufspringend, die Erzählung.

»Es klang wie das Knarren einer Raae,« sagte Bolard, rasch seinem Beispiel folgend, »das Schiff fängt an stärker zu schwanken.«

»Sie werden noch ein paar Segel beisetzen,« meinte Moore ruhig, indem er die Gläser wieder füllte. »Keiner der Herren ist doch, wie ich hoffen will, den Unfällen der Seekrankheit ausgesetzt?«

Bolard erwiderte nichts darauf. Mit zwei Sätzen war er oben an der Kajütentreppe, ohne jedoch von dem dort stehenden Malayen im geringsten belästigt zu werden, und fand hier zu seinem Schrecken, daß die Dschunke, das große Mattensegel von dem Winde gebläht, in flüchtiger Schnelle durch die nur schwach gekräuselten Wogen glitt.

»Verrat!« schrie der junge Mann, indem er ein Pistol aus dem Gürtel riß und es in die Luft feuerte. »Verrat, wo ist die Signallaterne?«

»Die schwimmt an unserem alten Ankerplatz ruhig an einer Boje,« erwiderte ihm Moore, der ihm mit großer Kaltblütigkeit gefolgt war. »Ich fürchte fast, Sir, daß sie an Bord der Brigg Ihr Zeichen nicht mehr hören werden.«

»Herr,« rief der junge Offizier in blinder Wut, »das ist nichtswürdig, das ist –«

»Halt, junger Mann,« unterbrach ihn aber mit ernster, drohender Stimme der Dschunkenführer, »das wäre genug gesagt, wenn – Sie nicht eben mein Gefangener wären. Für jetzt verzeihe ich Ihnen diesen ersten Ausbruch getäuschter Erwartung und vielleicht auch unangenehmen Staunens, und benachrichtige Sie nur, daß Sie, sobald Sie sich ordentlich und ruhig verhalten, nebst Ihrem Mastersmate auf dem Orang Makan nichts für Ihre eigene Person zu fürchten haben. Alles weitere hängt jedoch von Ihrem Verhalten ab.«

»Herr,« rief aber Bolard, durch die drohenden Worte nicht im geringsten eingeschüchtert, »Sie vergessen, daß auf mein gegebenes Signal die Boote uns zu Hilfe eilen werden. Sie sind verloren, sobald diese nur in Rufes Nähe kommen.«

»Sie könnten recht haben,« lachte Moore still vor sich hin, »vorausgesetzt nämlich, daß der Fall wirklich einträte und Ihre Brigg Licht genug hätte, die Boote mit Ihren Kanonen zu unterstützen. Für jetzt aber hat das wohl keine Gefahr. Sehen Sie die beiden Lichter dort in weiter Ferne? Das eine ist Ihre gedrohte Brigg, und das andere mit etwas rötlichem Scheine, das rechts davon herüberblitzt, ist die Signallaterne, die wir so frei waren, etwas vorsichtig natürlich, auf das Wasser niederzulassen. Ha – jetzt verdunkelt es sich – da kommt es wieder vor – ein Boot ist zwischen ihm und uns durchgeschwommen, und wie es scheint, haben Ihre Freunde schon unsere kleine, unschuldige List entdeckt. Sehen Sie, dort blitzt es auch schon an Bord. Es ist wirklich grausam, die sanft schlafenden Behörden von Hongkong so ganz unnötigerweise zu alarmieren.«

Der lautrollende Donner eines Kanonenschlages dröhnte, noch während er sprach, durch die Nacht – aber er kam aus weiter Ferne, während das mächtige Mattensegel, jetzt nicht mehr durch die Berge der windwärts gelegenen Insel behindert, das kleine, schlanke Fahrzeug mit flüchtiger Eile über die schäumende Flut dahinführte.

Bolard war Seemann genug, um mit einem Blick zu sehen, daß die Dschunke ihre Flucht, für diese Nacht wenigstens, glücklich bewerkstelligt habe, denn eine Verfolgung in der Dunkelheit blieb immer ein entsetzlich zweifelhaftes Unternehmen. Lichtete die Brigg auch wirklich ihre Anker und setzte Segel bei, was sie zweifellos tat, so machte ein einziger Strich, den sie verschieden in der Richtung steuerte, so großen Unterschied, daß mit Tagesanbruch die beiden Fahrzeuge weit aus Sicht und viele Meilen getrennt sein mußten. Alle Lichter an Bord der Dschunke waren sogleich gelöscht, oder doch so verhangen worden, daß sie nach außen hin nicht sichtbar blieben, und jede Minute vergrößerte die Entfernung zwischen ihr und ihren Feinden.

»Und was denken Sie mit uns zu tun?« frug Bolard endlich, die Zähne in maßlosem Grimm fest zusammengebissen – »wir sind in Ihrer Gewalt.«

»Als meine Gäste, versteht sich,« lachte Moore, »vor allen Dingen haben wir noch Wein unten stehen, und Ben Ali ist uns den Schluß seiner Erzählung schuldig.«

»Ist das wie ein Gentleman gehandelt,« fragte Bolard scharf zurück, »des gefangenen Feindes noch zu spotten?«

»Sie haben recht,« sagte Moore, plötzlich ernst werdend, »und ich bitte Sie deshalb um Verzeihung. Für jetzt«, fuhr er dann in eben dem Tone fort, »brauche ich Ihnen kaum auseinanderzusetzen, wie die Sachen stehen. Der Verdacht, den jene beiden chinesischen Herren gegen mich und mein wackeres Fahrzeug gefaßt hatten, war allerdings begründet, und eine Untersuchung wäre mir nichts weniger als erwünscht gewesen; sie würde die braven Burschen, die Sie dort bis an die Zähne bewaffnet können stehen sehen, vielleicht gar vor der Zeit zutage gefördert und den Behörden bewiesen haben, daß mein kleiner Orang Makan doch nicht ganz so harmlos sei, als er zu scheinen wünschte, und eher seinem Namen als seinem Äußern entspreche. Dank dem gewöhnlichen schleppenden Geschäftsgange Ihres hierher verpflanzten europäischen Polizeisystems habe ich Zeit gewonnen, mich allen unangenehmen Auseinandersetzungen zu entziehen. Leider blieb mir dabei nichts anderes übrig, als Sie mit mir zu nehmen. Fügen Sie sich in das Unvermeidliche ruhig, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie hier unbelästigt an Bord bleiben sollen, bis ich Gelegenheit finde, Sie auf irgendein friedliches Fahrzeug, oder irgendwo an Land abzusetzen. Es ist das einzige, was Ihnen überhaupt zu tun übrig bleibt.«

»Die Brigg wird Sie verfolgen,« sagte Bolard rasch.

»Wohl möglich,« lachte Moore, »aber schwerlich finden. Lassen Sie das meine Sorge sein. Keinesfalls soll es mich in meinen Plänen hindern. Übrigens steht Ihnen wie früher die Kajüte zu Gebote, wenn Sie es nicht vorziehen sollten, für jetzt an Deck –«

»Wenn ich Ihnen hier nicht hinderlich bin,« unterbrach ihn Bolard, »so möchte ich Sie bitten, mich an Deck zu lassen.«

»Sie haben zu befehlen,« lautete die freundliche Antwort des Piraten. »Was wir hier tun und treiben, braucht Ihnen kein Geheimnis zu bleiben; im Gegenteil wird es mich freuen, wenn Sie Zeuge sind, Ihrem Befehlshaber, dem ich mich aufs herzlichste zu empfehlen bitte, später Bericht darüber abzustatten. Nur in dem Falle, daß wir wirklich in Sicht der Brigg kommen sollten, was ich übrigens nicht glaube, werde ich Sie ersuchen müssen, nach unten zu gehen. Sie werden einsehen, daß uns bei solcher Gelegenheit hier von Bord aus möglicherweise gegebene Signale eben nicht erfreulich sein dürften.«

Bolard verneigte sich kalt gegen den Piraten und überließ ihn jetzt sich selbst, nach seinem eigenen Fahrzeug zu sehen und dessen Leitung von da an zu übernehmen.

Die Dschunke hielt indessen noch mehrere Stunden die eingeschlagene Richtung, bis die fernen Lichter von Hongkong am Horizont schon lange verschwunden waren. Plötzlich sanken die Raaen nieder, das Fahrzeug fuhr herum und legte bei, und eine Masse geschäftiger Hände war im Nu bemüht, die neuen, durch ihre lichte Farbe auffälligen Mattensegel abzunehmen und andere, ältere dafür anzulegen. Auch bunte Wimpel, wie sie gewöhnlich die chinesischen Dschunken führen, wurden aufgezogen und das ganze Schiff von allem befreit, was es in irgend etwas von einem der gewöhnlichen Kauffahrer dieser Art unterschied. Selbst aber als dies geschehen war, machte es nicht die geringste Anstalt, seine Flucht fortzusetzen, sondern trieb mit nackten Raaen und Spieren nur langsam vor Top und Takel mit dem Wind nach Lee zu. Alle Lichter waren dabei sorgfältig ausgelöscht.

Solange die Dunkelheit währte, schienen auch alle auf dem Schiff auszuruhen, wie das Fahrzeug selber. Zwei Wachen ausgenommen, die auf dem hohen Hinterdeck ihren Posten hatten, zog sich die sämtliche Mannschaft in ihre Kojen zurück. Kaum aber zeigte sich im fernen Osten das erste Zeichen des dämmernden Tages, als reges, geschäftiges Leben in die wunderlich gemischte Bemannung der Dschunke kam. –

Bolard, der die ganze Nacht kein Auge geschlossen und immer noch gehofft hatte, seine Brigg werde zufällig in ihre Nähe kommen, um ihr auf Gefahr seines Lebens hin ein Zeichen zu geben, sah jetzt zu seinem Erstaunen, wie braune bewaffnete Gestalten von allen Seiten her sichtbar wurden. Aus dem Raum herauf wurden zugleich lange, wenn auch nicht sehr starke Geschützstücke gebracht und auf bis dahin schlau versteckten Drehern befestigt. Der friedliche Kauffahrer verwandelte sich mit einem Wort in unglaublich kurzer Zeit in eine der gar nicht so seltenen Raubdschunken jener Seen, ohne jedoch im mindesten Anstalten zu machen, den einmal eingenommenen Platz weiter zu verlassen, als sie der Wind eben langsam vorwärts setzte.

Nur die Ausgucks waren vermehrt und zwei der Leute oben in den kleinen Mast geschickt worden, um von dort einen besseren Überblick über das offene Meer zu erhalten.

Die letzten Bergspitzen von Hongkong waren lange am Horizont verschwunden. Trotzdem schien die Aufmerksamkeit der Wachen nach jener Richtung hin am meisten beschäftigt. Schauten sie nach der Brigg aus? – Diese war selbst vom Masttop aus nirgends zu erkennen und lag entweder noch auf ihrem alten Ankerplatz auf der Reede, oder mußte an ihnen in der Dunkelheit der Nacht, wie Moore das von Anfang an berechnet, vorbeigesegelt sein. Für Bolard und seinen Mastersmate blieb deshalb keine andere Wahl, als sich dem Unvermeidlichen eben geduldig zu fügen.

»Zwei Dschunken von Nordost!« meldete da plötzlich etwa um elf Uhr morgens der ausgestellte Posten.

»Welche Richtung?«

»Mit halbem Wind nach Südost herunter.«

Moore stieg jetzt mit seinem Fernglas selber nach oben, um die beiden gemeldeten Fahrzeuge näher zu betrachten, und Ben Ali erschien zum erstenmal, seit die Engländer an Bord waren, wieder an Deck. Aber sein Aussehen hatte sich verändert. Das lange morgenländische Obergewand war abgeworfen, und mit kurzen Beinkleidern und ebensolcher Jacke, ein Stück bunten Kattun nur unter dem rechten Arm durch und über die linke Schulter geworfen, unter dem die Läufe von mehreren Pistolen und Krisen hervorsahen, in der rechten Hand noch eine Flinte haltend, kam er jetzt die Treppe herauf und nahm, ohne die Engländer weiter zu beachten, seinen Platz auf dem obern Deck ein.

Die beiden Dschunken waren indes so nahe gekommen, daß sie leicht schon von Bord aus mit bloßen Augen erkannt werden konnten. Immer aber noch blieb der Orang Makan untätig und jetzt nur mit kurzem Segel dicht am Wind liegend auf seiner Stelle.

»Mr. Bolard,« wandte sich Moore, der eben wieder an dem Offizier vorüberging, an diesen, »Sie sehen die beiden Fahrzeuge dort?«

»Allerdings, Sir.«

»Es sind mit Opium beladene chinesische Dschunken, die ihre wertvolle Fracht in Hongkong eingenommen haben, um das teure Gift ihren Landsleuten auf Sumatra und den anderen Inseln zu verkaufen. Ist dem nicht so?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete der Seemann ausweichend. »Allerdings lagen Fahrzeuge zu dem Zweck in Hongkong, und wenn ich nicht ganz irre, hat die Vermutung, daß Sie denselben gefährlich werden könnten, gerade die gegen Sie genommenen Maßregeln veranlaßt.«

»Das etwa dachte ich mir,« lachte der Dschunkenführer. »Sie sehen leider, daß diese Vorsichtsmaßregeln vergebens genommen wurden.«

»Sie wollen –?«

»Die beiden Schiffe entern – eins wenigstens, da wir leider nicht Raum genug für beider Ladung haben. Es ist das ein böser Übelstand meines kleinen Fahrzeuges, der mich nächstens veranlassen wird, mein Geschäft zu vergrößern. Vielleicht bietet sich heute eine Aussicht dazu.«

»Bedenken Sie,« rief Bolard erschreckt, »daß Sie damit den Seegesetzen aller zivilisierten Nationen vollkommen verfallen sind, und wenn man Sie einfängt –«

»Einfach gehangen werden,« erwiderte Moore gleichmütig. »Ich weiß das. Lassen Sie sich das aber nicht beunruhigen. Ihre Seegerichte nicht zu bemühen, ist meine einzige Sorge, und ich werde ihnen schon aus dem Weg gehen. Aber die Dschunken kommen näher – Mr. Bolard, Klugheit zwänge mich allerdings, Sie jetzt in den untern Raum zu schicken, einesteils um später keinen Zeugen gegen mich zu haben, andernteils Sie zu verhindern, gegen mich Partei zu nehmen. Der erstere Grund soll mich nicht abhalten. Sie wie Ihren Kameraden bei dem, was jetzt folgen wird, frei auf dem Deck zu lassen, wenn Sie beide mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie sich an einem möglichen Kampfe nicht beteiligen wollen. Überlegen Sie sich die Sache,« fuhr er fort, als Bolard mit der Antwort zögerte. »Noch haben wir etwa eine Viertelstunde Zeit, bis dahin bitte ich Sie aber, mir Ihren Entschluß mitzuteilen.«

Die Dschunken kamen indessen rasch heran, und auch auf dem Orang Makan wurde das vordere Segel jetzt langsam aufgezogen. Bolard sah aber deutlich, daß sie die beiden Fahrzeuge nur in Lee bekommen wollten, um ihrer Beute dann um so rascher gewiß zu sein. Dies noch schneller zu erreichen, lagen sie dicht am Wind, ihren Kurs anscheinend auf Hongkong zu nehmend.

An Bord der anderen Dschunken war übrigens das mit kleinen Segeln beiliegende Fahrzeug ebenfalls bemerkt und wahrscheinlich auch für verdächtig gehalten worden, denn beide Dschunken hielten sich näher zusammen und fielen etwas mehr vor dem Winde ab, dem andern aus dem Weg zu kommen.

Der Orang Makan nahm indessen nicht die geringste Notiz von ihnen, sondern hielt seinen Kurs und setzte seine übrigen Segel bei. Die beiden Opiumfahrer sollten jedoch nicht lange über das, was er wirklich beabsichtigte, in Zweifel bleiben, denn kaum hatte er ihnen den Wind abgewonnen, als er ebenfalls vor dem Wind herumging und ohne weiteres Jagd auf sie machte.

Die Chinesen schienen im Anfang unschlüssig, was sie tun sollten, und blieben beieinander. Bald aber mußten sie sich über ihren Schlachtplan verständigt haben, denn plötzlich trennten sie sich, und während der eine den Wind noch voller faßte und zu entkommen suchte, luvte der andere mehr dagegen an und schien den Feind erwarten zu wollen.

»Merkst du die List, Ben Ali?« sagte Moore, ingrimmig vor sich hinlächelnd, indem er selber das Steuer ergriff und dem ersteren nachhielt.

»Wahrscheinlich hat die Brigg den Kurs genommen,« erwiderte der Araber ruhig, »und das langsamere Fahrzeug will derselben näherkommen, während das schnellere uns hier aufhalten soll.«

»So wird's sein,« nickte Moore, »aber sie haben sich in ihrer Rechnung geirrt. Erst die gewisse Beute sicher, mit dem andern werden wir dann auch schon fertig.«

Es war eine kurze Jagd. Die Dschunke der Seeräuber zeigte sich dem schwerbeladenen Kauffahrer viel zu schnell, als daß dieser dem Verfolger hätte lange entgehen können. In kaum einer halben Stunde war der Orang Makan, ohne einen Schuß zu feuern, neben seinem Opfer, und der Ruf des Piraten forderte die Mannschaft auf, sich zu ergeben.

Die andere Dschunke hatte allerdings einmal Miene gemacht, zu wenden und ihrem Kameraden zu Hilfe zu eilen, sich jedoch eines Besseren besinnend, schien der Führer derselben nur darauf zu denken, seine eigene Fracht in Sicherheit zu bringen, und floh jetzt, alle Segel beigesetzt, dem Süden zu. Natürlich hoffte er, daß das Fahrzeug durch die Plünderung der andern Dschunke lange genug aufgehalten würde, um sein Entkommen möglich zu machen. Moore dachte aber anders. Er hatte Ben Ali das Steuer überlassen und ging zu seinen Leuten nach vorn, um das Entern zu leiten. Als er zu dem Offizier kam, der mit verschränkten Armen an der Schanzkleidung lehnte, redete er diesen an:

»Nun, Sir, es ist die höchste Zeit; Sie sehen, wir werden jenen Langzöpfen augenblicklich unsern Besuch abstatten, wollen Sie sich den Spaß mit hier oben ansehen, oder ziehen Sie es vor, nach unten zu gehen?«

»Ich sehe nicht das mindeste Zeichen,« erwiderte dieser, »daß die feigen Burschen da drüben auch nur an irgendeinen Widerstand denken. Sie laufen rat- und kopflos zwischeneinander herum. Unter diesen Umständen wird sich mir nicht die geringste Gelegenheit bieten, Ihnen feindlich entgegenzutreten.«

»Sie geben mir also Ihr Ehrenwort, daß Sie sich mit Ihrem Mastersmate ruhig und neutral verhalten wollen?«

»Ich gebe es für mich und ihn.«

»Desto besser, und nun an die Arbeit, Jungens!«

»Sie werden hoffentlich das Blut jener Unglücklichen nicht vergießen!« rief Bolard besorgt.

»Denke nicht daran,« lachte Moore, »solange sie mich nicht selber dazu zwingen.«

Ben Ali hatte indessen dem Führer der chinesischen Dschunke in dessen eigener Sprache seine Befehle hinübergerufen, und dieser, der wohl einsah, daß er rettungslos verloren sei, ließ seine Raaen rasselnd an Deck fallen. Der Orang Makan glitt langseit, auch seine Raaen fielen, und im nächsten Augenblick schwärmte das Deck des Chinesen von bewaffneten braunen Gestalten, die rasch an seinen Bord hinübersprangen. Diese aber, mit Äxten bewehrt, kümmerten sich gar nicht um die entsetzte Mannschaft, sondern griffen ohne weiteres die Masten selber an. So, während einige von ihnen die Raaen wieder aufholten, daß der Wind etwas in die Segel griff, brachen schon nach wenigen Minuten die Masten unter den kräftig geführten Streichen der übrigen prasselnd zusammen und ließen das arme Fahrzeug, ein Wrack, auf dem Wasser schwimmen.

Die gellende Pfeife Moores rief in dem nämlichen Augenblick seine eigenen Leute an Bord zurück. Im Nu gehorchten diese dem Befehl, die Taue, die bis jetzt das erbeutete Schiff gehalten, wurden gekappt, die Raaen flogen wieder in die Höhe, und die Chinesen trauten ihren Sinnen kaum, als der gefürchtete Feind, der sie eben erst geentert, sie schon wieder ihrem Schicksal überließ und mit geblähten Segeln der andern Dschunke folgte. – Aber gerettet waren sie darum nicht. Moore wußte recht gut, daß ihm das verkrüppelte Fahrzeug nicht mehr entgehen könne, und jetzt begann die Jagd, das andere einzuholen.

Die zweite Dschunke war etwas flüchtiger als die erste und hatte durch den Aufenthalt des Räubers einen größeren Spielraum gewonnen. Sie ging aber mit ihrer schweren Ladung ebenfalls zu tief im Wasser, und wenn sie auch das Endresultat verzögern mochte, verhindern konnte sie es nicht.

Nach zweistündiger Jagd war der Verfolger ihr in Rufsnähe gekommen und forderte auch sie auf, die Segel zu streichen.

War hier die Dschunke besser bemannt oder bewaffnet, oder der Kapitän mutiger, aber dem Befehl wurde keine Folge geleistet. Im Gegenteil antwortete eine Kugel dem Ruf des Räubers, die ein Stück von der Schanzkleidung hinwegriß und einen der Piraten verwundete.

Bild: Wilhelm Thöny

»Der Bursche zeigt die Zähne,« lachte Ben Ali, »gebt aber keinen Schuß zurück; wir brauchen die Dschunke und wollen sie uns nicht selber verkrüppeln.«

»Du hast recht, Ben Ali,« rief Moore, seine eigene Büchse aufgreifend, »aber den Burschen selber möchte eine Lektion gut sein. Haltet nur scharf hinan, daß ich den Steuermann in Schußnähe bekomme.«

Wieder blitzte es vom Bord des Opiumfahrzeugs herüber, und die Kugel riß diesmal einen dünnen Spahn aus dem Mast des Räuberschiffs.

»Alle Teufel, sie zielen gut und werden uns durch ihr verdammtes Kanonieren am Ende noch den frühzeitigen Besuch verwehren wollen. Dichter hinan, Ben Ali, dichter hinan! Sobald wir ihnen den Wind nehmen können, sind sie ohnedies unser.«

Der Chinese war allem Anschein nach ein trefflicher Segler, aber, wie schon gesagt, so schwer beladen, daß er fast bis an die Schanzkleidung im Wasser ging. Der Orang Makan dagegen schäumte leicht durch die Wogen hinter ihm her und hatte sich an seine Beute schon bis auf kaum einen halben Büchsenschuß hingearbeitet.

»Streicht euer Segel!« donnerte da Ben Alis Ruf noch einmal über das Wasser, »oder wir morden, was wir lebendig an Bord finden.«

Ein dritter Schuß vom Bord des zur Verzweiflung getriebenen Kauffahrers war die Antwort, aber der Schütze hatte nach dem Mast gezielt, als einzige Hoffnung, dem schnellen Räuber zu entgehen, und die Kugel riß nur eine der Leepardunen weg, ohne dem Fahrzeug weiteren Schaden zu tun.

In demselben Augenblick fast drückte Moore auf den am Steuer stehenden Matrosen ab und schoß den armen Teufel durch den Kopf, daß er lautlos zusammenbrach. Wie dieser das Steuer losließ, drehte es sich auf; das Segel fuhr in den Wind und schlug back, ehe der zuspringende Kapitän es verhindern konnte. Im nächsten Augenblick fast war der Räuber an seiner Seite, die Enterhaken flogen aus, und während das eigene Segel niederfiel und die vorderen ebenfalls back gebraßt wurden, sprangen die Enterer über Bord als Herren der Beute. Aber sie fanden keinen Feind, den sie bekämpfen konnten, denn wie Katzen liefen die erschreckten armen Teufel von Chinesen an ihren Wanten hinauf, dem ersten Anprall der gefürchteten Gegner zu entgehen, und der Kapitän, sich so von allen verlassen sehend, konnte natürlich allein keinen Widerstand leisten.

War es nun, daß Moore die Gegenwart der Engländer scheute, oder dachte er selber menschlich genug, Blutvergießen soviel als möglich zu verhindern, sein Befehl rief seine Schar von jeder weiteren Verfolgung ab.

Rasch wurde nun die Prise mit den bewaffneten Malayen bemannt, und während man die nach oben geflüchteten Chinesen zwang, herabzukommen und in den Raum niederzusteigen, über dem die Luken geschlossen wurden, befreiten andere das Fahrzeug von den angeschlagenen Tauen, richteten die Segel aufs neue und kehrten im Fahrwasser des ihnen vorangehenden Orang Makan dorthin zurück, wo sie das Wrack verlassen hatten.

An Bord der entmasteten Dschunke hatten die Leute indessen ihr Äußerstes getan, das Wrack von Holz und Tauen zu befreien und einen Notmast zu errichten, der sie außer Bereich ihres Feindes bringen könne, aber umsonst. Der Orang Makan kehrte schneller, als sie gehofft, zurück, und die Mannschaft selber wurde gezwungen, den Teil ihrer Fracht, der irgend wertvoll war, besonders das Opium, in das Raubschiff überzuladen.

Dabei brach der Abend an, ohne daß sie ihre Arbeit hätten unterbrechen dürfen. Fortwährend wurden Ballen und Kisten aus dem untern Raume des Chinesen heraufgeschafft, um auf den Räuber übergeladen zu werden, bis Ben Ali die Ladung für geschlossen erklärte und nichts weiter einnehmen wollte. Die Mannschaft der letztgenommenen Dschunke wurde dann auf das entmastete Schiff beordert, und ebenso fragte Moore seine beiden Gefangenen, ob sie es vorzögen, bei ihm an Bord zu bleiben, oder ob sie lieber den Versuch machen wollten, mit dem verkrüppelten Fahrzeug Hongkong wieder zu erreichen.

Die beiden Offiziere entschieden sich augenblicklich für das letztere. Viel lieber wollten sie den Gefahren trotzen, die ihnen von den Elementen drohten, als noch länger die Gefangenen einer Bande von Räubern sein, die mordend und plündernd ihre gesetzlose Bahn zogen.

Den Piraten lag natürlich nichts daran, sie festzuhalten, wo jetzt nur ihr einziges Ziel darauf gerichtet war, die gemachte reiche Beute so rasch als möglich in den nächsten sicheren Hafen einzubringen und zu verwerten.

Das Überschaffen der Mannschaft war bald geschehen, und noch vor Tag segelten jetzt die beiden Dschunken mit geblähten Segeln gen Süden, das Wrack gedrängt voll Menschen den Wellen und seinem guten Glück überlassend.

Moore führte dabei sein eigenes Fahrzeug, während Ben Ali den Befehl der erbeuteten Dschunke übernommen hatte.

Hier an Bord ließ er vor allen Dingen die Ladung nachsehen und davon alles über Bord werfen, was nicht irgend Wert besaß, um sein Fahrzeug dadurch so viel als möglich zu erleichtern. Als der Tag anbrach, liefen die Dschunken denselben Kurs, dem die eine derselben schon am vorigen Tag gefolgt war, der Nordküste von Manila zu.

»Segel in Sicht!« lautete da plötzlich der Ruf vom Deck, und dicht am Wind, ihre Bahn kreuzend, entdeckten sie plötzlich ein amerikanisches Fahrzeug, wie sich bald auswies eine Brigg, die von Süden heraufkommend gegen Hongkong anzusegeln schien. Ihre Gläser verrieten ihnen bald die Kriegsbrigg, und nach kaum einer halben Stunde blieb es keinem Zweifel mehr unterworfen, daß sie ihr böser Stern gerade ihrem gefährlichsten Feind und Gegner in den Weg geführt hatte.

Flucht war nicht mehr möglich, sie hätten denn den größten Teil ihrer wertvollen Fracht über Bord werfen müssen, ihre Fahrzeuge zu erleichtern, und selbst dazu blieb ihnen nicht einmal mehr die Zeit. Die Brigg kam immer näher, und jetzt dröhnte sogar ein Schuß übers Wasser herüber, ein Zeichen für sie zum Beilegen, wenn sie sich nicht als Feind wollten behandeln lassen.

Die beiden Dschunken segelten so dicht nebeneinander, als es die beiden breiten Raaen verstatteten, und an Bord der Brigg hatten sie allerdings nicht den geringsten Verdacht, daß die eine von ihnen das gefürchtete Raubschiff sein könne. Moore nämlich, durch manche ähnliche Gefahr gewitzigt, war klug genug gewesen, seine Spieren zu kürzen und das hintere Deck mit Matten zu überhängen, so daß sein kleines Fahrzeug mit den älteren Segeln und bunten Wimpeln sich in nichts mehr von all den übrigen, nach einem Muster gebauten chinesischen Dschunken unterschied. Auch ging er heute viel tiefer im Wasser, als er bei Hongkong gelegen, und hatte dadurch schon ein ganz anderes Aussehen gewonnen. Nur Erkundigungen wollte der Kapitän einziehen, ob niemand an Bord der Dschunken den flüchtigen Räuber gesehen, um der Richtung dann zu folgen, und er fand auch nichts Auffälliges darin, daß nur der eine Kauffahrer seinem Befehle gehorchte und augenblicklich beidrehte, während der andere, wie um seinem Kameraden nicht weit vorauszulaufen, einige leichte Segel einzog und langsam seinen Kurs verfolgte.

Ben Ali mit dem erbeuteten Fahrzeug erwartete während der Zeit vollkommen ruhig das nach ihm ausgesandte Boot und empfing den zweiten Leutnant, der ihm an Bord geschickt wurde, mit all der tiefen Demut und Förmlichkeit, welche die Bewohner des indischen Archipels nur zu sehr dem Europäer gegenüber angenommen haben.

Moore indessen beobachtete mit ängstlichem Herzklopfen und einer jeden Augenblick peinlicher werdenden Spannung den Erfolg ihrer List, von der nicht allein die Sicherung ihrer Beute, von der ihrer aller Leben abhing.

Es gibt aber kaum einen schlaueren Volksstamm, als die Araber sind, und unter seinen Landsleuten war Ben Ali der Schlaueste. Nach etwa einer Viertelstunde, die der Offizier an Bord der Dschunke zubrachte, um dann, gefüllt mit falschen Nachrichten, zu seinem Obern zurückzukehren, verließ das Boot wieder den Chinesen, der seine Segel setzte und, so rasch es ihm die schwere Fracht erlaubte, dem Gefährten folgte.

Die Brigg dagegen hatte kaum ihre Mannschaft an Bord und das Boot aufgehißt, als sie ihre Raaen umbraßte und einen Westkurs einschlug.

Wie ihre letzten Spieren am Horizont verschwunden waren, änderten auch die Dschunken ihren Kurs und steuerten, den Wind jetzt voller benutzend, mit ihrem Raube fröhlich dem Süden zu.


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