Sagen aus Franken
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Von der närrischen Gusterti

Die erste Köchin im Nürnberger Spital hieß mit Nachnamen Gustert. Wie sie mit Vornamen geheisen hat, weis niemand mehr. Sie war geizig, kommandierte die alten und kranken Leute herum und gönnte ihnen nichts Gutes. Dafür nannten sie die Leute »die närrische Gusterti«. Ihr Geiz wurde mit der Zeit immer schlimmer und machte sie zur Betrügerin: sie lies sich neben dem Löffel, mit dem sie auf Ratsbefehl an die Alten und Kranken die Speisen austeilen sollte, einen zweiten Löffel machen, der viel kleiner war. Einmal kamen ein paar Ratsherrn in das Spital und gingen in die Küche. Dort fanden sie den kleinen Löffel. Der Stadtpfleger packte ihn und warf ihn zum Fenster hinaus in die Pegnitz und sagte: »Der ist des Teufels!« Die Gusterti schrie: »Ich auch.« Und sprang dem Löffel nach. Kein Mensch hat sie lebend mehr gesehen. Aber von da an war in der Nacht im Spital keine Ruhe mehr. Auf den Gängen  hörte man ein Schlurfen und Kettenschleifen. In der Küche klapperte und rumorte es. Die Treppen knarrten und immer wieder wurde eine Tür zu einem Krankensaal aufgerissen und die Stimme von der närrischen Gusterti schrie herein: »Laßt fei' den klan' Löffel liegen! Nehmt den großen« Die alten Leute bekamen große Angst; sie beschwerten sich; aber niemand konnte ihnen helfen. Das ging so lang weiter, bis einmal die närrische Gusterti dem Nachtwächter das Horn aus der Hand riß und laut schrie, daß es über den Hof und durchs ganze große Haus schallte: »Laßt fei' den klan' Löffel liegen! Nehmt 'n großen« Da endlich beschloß der Rat, etwas gegen den Spuk zu tun und schickte den Henker mit seinem Henkersknecht, dem »Löwen«. Die beiden fingen den Geist in einem Sack, nahmen ihn auf den Buckel, und trugen ihn hinaus in den Wald. Hinter Fischbach, auf den hohen Bühl, wo die großen Fichten stehen, da hingen sie den Sack auf den allerhöchstens Baum, und von da an war Ruhe im Spital.

Seitdem geht der Geist da droben am Hohen Bühl um. Kinder und Frauen, die zum Schwarzbeerpflücken oder zum Schwammerlsuchen in die Gegend kommen, die sehen von weitem eine Frau in großer weißer Schürze hinter den Büschen stehen; einen Schöpflöffel mit langem Stil schwingt sie in der Hand. Wenn man aber dann nach ihr sucht, ist sie verschwunden. Man kann sie nirgends finden; nur manchmal schreit es hinter einem dicken Baum hervor: »Laßt fei' den klan' Löffel liegen, nehmt 'n großen!«

Manchmal ruft es auch, wenn einer sich verirrt hat, aus einern Busch heraus: »Bist du von Wöhrd? Bist du von Wöhrd?« Dann muß man sagen »Ja«. Dann kommt die Gusterti mit ihrer weisen Schürze und ihrem großen Löffel hinter dem Busch vor und zeigt einem den Weg, daß man ihn nicht mehr fehlen kann. Besonders den Kindern ist sie gut. Sie bringt sie nicht nur auf den rechten Weg, wenn sie sich verlaufen haben, sondern sie zeigt ihnen auch die schönsten Plätze, wo Beeren oder Pfiffer wachsen, und wenn sie Holz sammeln, dann schüttelt sie Ihnen die Bäume, daß die dürren Äste nur so herabprasseln wie die Zwetschgen, wenn man den Baum schüttelt. Besonders die Wöhrder Kinder kennen sie gut und verlassen sich ganz auf sie. Wenn die Kleinen ihre Eltern im Wald verloren haben, dann schreien sie: »Gusterti, Gusterti! Wo is meine Mutter?« Dann sagt die Gusterti: »Geh her, Wackela! jetzt gehst da runter und dort drunten bei dem Büschlein gehst rechts um, dann siehst dei Mutter schon.«

Es gibt aber immer wieder Lausbuben, die wollen genauso, wie sie die Menschen tretzen das Gleiche mit den Geistern tun. Die schreien in den Wald hinein: »Wastl Köchin Wastl Köchin« Dann dürfen sie aber laufen und schauen, dass sie einen Kreuzweg erwischen, sonst kommt ihnen die Gusterti über den Kragen und rüffelt sie, dass sie nicht so schnell darauf vergessen. Immer wieder aber hört man durch den Wald rufen: »Lasst fei' die klan' Löffel liegen! Nehmt 'n großen!«.

 


 


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