Sagen aus Franken
Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vom Heiligen Egidius

Wer war denn der Heilige Egidius? Egidius war ein Mann aus Griechenland. Seine Eltern waren reich; aber als sie starben, verteilte Egidius sein ganzes Erbe unter die Armen und wanderte arm in der Welt umher. Er lebte nur von dem, was ihm fromme Leute schenkten. Da zog er von einem Land ins andere und kam auch nach Gallien, in das heutige Frankreich. Der Bischof von Arles nahm ihn auf und dort konnte er einige Jahre ohne Sorgen leben; dann aber zog er wieder hinaus in die Welt, und weil die Menschen oft zornig wurden, wenn er sie um eine Gabe bat, ging er in die Einsamkeit. In einem finstern Wald suchte er sich eine Höhle und lebte dort nur von dem, was er im Walde fand. Der Tag verging ihm mit Beten und frommen Übungen und mit Nachdenken über die Ratschlüsse Gottes, über Welt und Menschen. Viele Jahre lebte er da draußen in der Einsamkeit, nur mit Tieren des Waldes zusammen.

Damals hatten die Könige von Gallien Hausmeier; das waren mächtige Herren, die für die Könige im ganzen Reich regierte Kriege führten, Gericht hielten, Bischöfe ein- und absetzten und von allen Menschen gefürchtet wurden. Karl Martell, einer der Hausmeier der fränkischen Könige, der seinen Beinamen davon hatte, weil er das Heer der Mauren, das in Gallien eingebrochen war, wie ein Hammer zusammengeschlagen hatte, hielt einmal eine große Jagd in den weiten Wäldern, in denen der Heilige Egidien hauste. Die Hunde hatten ein schönes, großes Reh aufgejagt und Karl Martell folgte dem Tier, so schnell er konnte. Er wurde bei der Jagd immer hitziger; aber er konnte das Reh nicht erreichen. Da gerade als er glaubte, es erlegen zu können, schlüpfte es in ein Höhle hinein. Karl Martell stieg zornig von seinem Pferd, nahm seinen Spieß und wollte eben in die Höhle treten. Da kam ihm ein grosser, alter Mann entgegen. Schneeweißes Haar und ein langer, weiser Bart, dazu ein freundlicher Glanz auf seinen Gesicht ließen bei Karl Martell den Zorn verfliegen. Der ehrwürdige Greis sprach in ernstem, feierlichem Ton: »Tapferer Jäger schenkt dieser Rehgeiss das Leben. Sie gibt mir, einem frommen Klausner jeden Tag ihre Milch zur Nahrung. Du findest draußen im Wald andere Tiere genug« Karl Martell stellte seinen Jagdspiess beiseite und fragte den frommen Mann, der seine Hand wie schützend auf den Kopf des Rehes gelegt hatte: »Woher kommst du? Was tust du hier?« Der Heilige Egidius erzählte gern von seinem Leben, und als Karl Martell weiter fragte, merkte er bald, daß Egidius nicht nur ein frommer, sondern auch ein weiser Mann war. Die Jagdgenossen fanden den stolzen Hausmeier so ins Gespräch vertieft mit dem Heiligen Egidius, daß er alles ringsum vergessen hatte.

Nicht lange blieb Egidius mehr in seiner Höhle bei den freundlichen Tieren des Waldes. Karl Martell hatte ein neues Kloster gebaut und brauchte dafür einen tüchtigen Abt. Der mächtige Hausmeier zog selbst in den Wald hinaus, um den Heiligen Egidius zu bitten, dass er das hohe Amt übernehme. Und der Heilige Egidius wurde ein berühmter Abt, der die Mönche in seinem Kloster mit Frömmigkeit und Milde, aber wenn es nötig war, auch mit Ernst und Bestimmtheit regierte.

 


 


 << zurück weiter >>