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Edmond Rostand

»Ballade, welche das Duell betrifft,
Das Herr von Cyrano ausfocht mit einem Wicht.«

Abseits werf' ich meinen Filz
Und damit ich Luft mir schaffe,
Auch den Mantel; denn nun gilt's.
Rüstiger als ein Schlaraffe
Greif' ich meine blanke Waffe,
Und zu meinem Gegner Sprech' ich:
Sieh dich vor, geputzter Affe,
Denn beim letzten Verse stech' ich.

In Ermanglung edlern Wilds
Wünsch' ich, dass ein Stich dir klaffe
In die Leber oder Milz.
Schau, mein Arm, der kräftig straffe,
Strebt nun, dass er dich erraffe.
Mein verhöhntes Antlitz räch' ich,
Dass es keiner mehr begaffe;
Denn beim letzten Verse stech' ich.

Wirst du grünlich wie ein Pilz?
Gleich der zitternden Giraffe,
Muster eines Jammerbilds!
Zeigst du, dass dein Mut erschlaffe,
Eh mein Pulver ich verpaffe?
Heut' dein warmes Herzblut zech' ich
Aus krystallener Karaffe;
Denn beim letzten Verse stech' ich.

Beichte schnell! Wo ist ein Pfaffe?
Deinen Widerstand zerbrech' ich:
Finte, Quart! Da hast du's, Laffe!
Denn beim letzten Verse stech' ich.

Ludwig Fulda

 

Edmond Rostand

Der Tageslauf einer Preziösen

 

1.
Dreiviertelzehn Uhr.

... Doch Lycidas entschwebt; der Traum verbleicht;
Eric erblasst und Amaryllis weicht
Und Daphnes Haar zergeht in Nebelflor
Alcimadure verschmilzt mit Lindamor:
Zum Scheidegrusse flattert noch ein Band,
Schon fern und ferner, wo Sylvander stand.
Von Seladon ist jede Spur verflogen;
Die Landschaft selbst entschwindet ihrem Blick:
Es bleicht die Brücke wie ein Regenbogen;
Alles verschwimmt; der Gott am Wegeknick,
Der an dem Grabstein lehnt, zerfliesst in Blau;
Das Wäldchen, das nicht fehlen darf, wird grau.
Die Bank, der Springquell und die alten Eichen
Mit tausend eingeritzten Liebeszeichen
Sind ausgelöscht als wie von Zauberhand;

Und wo der alte Baum, der hohle, stand,
Der Briefbehälter mancher Liebesgrüsse,
Erheben sich zwei Fenster allgemach.
Die Scheiben werden heller nach und nach;
Und wie Eisblumen durch der Sonne Küsse
Sind Schäfer, Zauberer und Held vom Glas getaut.
Der Tag dringt ein; vor seinem Glanz verstecken
Des Traumes Fetzen sich in dunkle Ecken.
Ein Schäferstab tanzt nach ... Ein blanker Nagel lacht,
Wo sie des Zaubrers bösen Blick geschaut ...
Und Anne Sibylle Ogier von Miremonde erwacht.

Sie ist erwacht, und doch, sie glaubt es kaum.
Denn immer noch ist ihr's als wie im Traum.
Theorbenklang mischt sich ins Lied der Spatzen,
Die zwitschernd sich an Vogelbeeren atzen
In einem nahen Garten im Marais.
Der Traum, den Phöbus traf aus lichter Höh',
Lebt er noch fort? Und ist das Auge wach,
Folgt man dem Traum noch mit dem Ohre nach?
Was war das nur? ... Ihr rosiger Fuss entschlüpft
Dem Bette, das so lang und breit sich streckt,
Sinkt in den Teppich, der den Aufbau deckt,
Ist in das Zimmer flink gehüpft,
Das von dem Bett die stolze Brüstung scheidet,
Macht ein paar Schritte, blickt hinaus und lacht.
Geht Schritt für Schritt zurück und gleitet
Ins warme Lager wieder, gähnt und sagt:
»Es ist Phylant«. Sie blinzt zur Wanduhr hin,
Deren Gewichte lange Schatten ziehn,
Und reckt sich, denn sie hat sich überzeugt,
Dass es noch nicht zehn Uhr ist; das besagt,
Dass es für Edeldamen eben tagt.
Sie hat das Haupt ins Pfühl zurückgeneigt;
Und Doralise – denn merkt es Euch und wisst,
Dass dies in Phöbus' Reich ihr Name ist –
Und Doralise, der dort die Zeiger sagen,
Es sei nun Zeit, ihr Herze zu befragen –
Befragt es ...

Ja, wie ist's damit bestellt?
Phylant, der mit Musik sie weckt, ist ein
Galanter Mann, sein Spiel ihr wohlgefällt.
Ihr dünkt, sie liebt ihn und er sie ... Allein ...

 

2.
Phylant.

Phylant, mit Modebändern angetan,
Phylant, sich blähend wie ein stolzer Hahn,
Mit Spitzenschmuck am Fuss statt mancher Feder,
Der Schuhe trägt von Kordovaner Leder,
Was sie auch kosten mögen, und die feinen
Jabots von echtem niederländer Leinen,
Der unterm Ärmel schnürt ein schwarzes Band,
Dass um so weisser glänze seine Hand,
Phylant, den Gott durchaus nicht hässlich schuf,
Der so die Laute meistert und den Ruf
Geniesst, dass er zu plaudern weiss, Phylant,
Dem das Geheimnis höchster Lust bekannt,
Ja, den man stets mit ihr zusammenbringt,
Wenn auf die Liebe sich die Rede lenkt,
Der drunten just sein Morgenliedchen singt,
Schenkt ihr nicht mehr sein Herz, als sie's ihm schenkt.
Es ist nur ein Roman, ein keckes Spiel ...

 

3.
Das Spiel.

Ein Spiel.
Seit Jahresfrist ist es das Ziel
Von Doralise, zu tun, als liebte sie
Phylant, den Dichter, Musketier, Marquis.
Doch insgeheim ist, der ihr Herze hat,
Der Alchimist und Ritter Tiridat.

Phylant bemäntelt Doralises Glut
– Ein schmucker Mantel traun für den Erwählten!
Er spielt nur eine Rolle, doch so gut,
Dass wir ihn unter die Verräter zählten,
Wär' nicht sein eignes Herze schon erglüht
Für eine Freundin seiner Doralise,
In Phöbus' Reich genannt Garamantide.
Zum Schein ist Tiridat entbrannt für diese
Und sie für ihn – ein höchst verwegnes Spiel –
Zu heucheln ist das allgemeine Ziel!

Jedoch wozu solch Drang zu falschem Schein,
Wo der Verdacht, von der geliebt zu sein,
Die man zu lieben heuchelt, dennoch droht?
Zunächst ist Lieben ohne ein Komplott
Und Heimlichkeiten nur ein dumpfes Schwelen
Von plumpen Herzen und von trägen Seelen.
Zärtliche Schäfer lieben das Geheime
Und sind, zum Schein getrennt, erst recht verbunden.
Sind denn, Ihr Dichter, die gekreuzten Reime
Nicht auch so gut wie die sich gleich gefunden?
So muss auch ein Quartett von Liebespaaren
Die Herzen gleich den Versen klug verschränken.
Und dann: oh du, Asträa, hast's erfahren, –
Du, die entflieht durch dies Gewirr von Ränken
Wie durch den Wald – wir sind nicht sehr verlegen
Und keine Röte unsere Wangen deckt
Und keine Drohung unsere Liebe schreckt,
Wenn man uns nachsagt, was nicht ist – dagegen
Schon beim Verdacht der Wahrheit zittern wir.
Drum führen wir die bösen Zungen irr.
Vier Herzen, durch den Doppeltrug geborgen,
Sie schlagen heimlich, kennen keine Sorgen.

 

Und »keine Sorgen« wiederholt sie bang.
Sie stutzt ob ihrer Stimme Zweifelklang.
Je öfter sie es sagt, je minder schon
Bezweifelt sie, dass zweifelnd ist ihr Ton.
In diesem Augenblicke schlägt es zehn.

 

4.
Zehn Uhr.

So scharf sie sich belauscht – im Nu vergehn
Die Zweifel alle: Doralise gedenkt
Nur noch der Gäste, die sie heut empfängt.
Sie hält sich wach. Sie ruft. Was bringt Martine
Ihr da in der vergoldeten Terrine?
Ein leichtes Frühstück: Gerste, fein gestossen
Und durchgeseiht, mit Brüsten von Geflügel,
Die mit Rosinen und mit trocknen Rosen
(Wahrhaftig!) sind geschmort in einem Tiegel,
Gewürzt mit Koriander und mit Zimmt –
Ein Frühstück, das sie täglich zu sich nimmt.
»Mach mich zurecht«, mahnt sie; »es schlug schon zehn«.

Sie lässt sich putzen, ohne aufzustehn;
An Hals und Arm ein feuerrotes Band,
So will's die Mode, legt Martine ihr an.
Dann ruft sie den Friseur, damit er Hand
An ihre Locken legt. Laprime, der grosse Mann,
Kommt und erneut der Nackenflechte Knauf,
Der Seitenlocken fröhliches Gewirr.
»So«, sagt er, »frischen wir sie zierlich auf ...
Doch nun erlaubt, dass ich die Strähnen glätte.«
Er tut's und geht. Nun bringt man Kästchen ihr
Und Schachteln. Doralise erwählt im Bette
Halsband und Häubchen. Ist doch heut ihr Tag,
Und zeigen will sie sich im höchsten Glanze.
Ein Wagen kommt; laut dröhnt der Hufe Schlag.
Die Stühle werden aufgestellt im Kranze;
Ein bettelnd Hündchen wird verjagt, ein Buch
Verteilt auf jedes Tischchen ... Rasch ... Besuch ...

 

5.
Der Besuch.

Und ein paar ältliche Gesichter nahn
– Preziöse aus der Stadt – in Spitzenkragen
Rings eingerahmt. Danach, schwarz angetan,
Ein paar Autoren ... Kompliment und Fragen ...
Die Damen haben nur ein Recht auf Stühle;
Die Herren hocken auf der Sessel Pfühle ...
Man hüstelt: Vorbereitung auf den Geist,
Der schon von zwei Lakaien eingekreist
Mit einem Wandschirm wird, und es geht an.
Bavius verliest die jüngst verfasste Rede,
Die er auf einen Vers Corneilles ersann,
Indess Dordonius, sein Rival, die Fehde
Mit Spott eröffnet. Jede Dame schlägt
Mit ihrem kleinen Stocke, den sie trägt,
Sich auf ihr Kleid bei ausgesuchten Stellen.
Nun kommt auch Tiridat. Ein paar Marquis,
Phylant, auf seine Handschuh' stolz, die hellen ...
Doch plötzlich: »Liebste!« – »Oh mein Herz! Sind Sie's!«
Es rauscht ... Garamantide voran. Es sind
Vom Hof die Damen. – Aufsehn. – Und geschwind
Nehmen ein paar schnurrbärtige blonde Herrn
Mit Spitzenkragen Platz zu ihren Füssen ...
Sie sinken in Fauteuils, indess sie grüssen.
Die Damen aus der Stadt sehn es nicht gern.
Kurzweil mit Bändern, Tätscheln auf die Seide.
Geplauder. Neuigkeiten. »Denkt doch nur!
Zum Scherze bindet Herr von Liancourt
Bei einer Dame um den Hals der Katz'
Ein Perlenhalsband. Draussen pfeift ein Spatz ...
Und hui – fort ist die Katz' und das Geschmeide ...
Ein jeder weiss von Tieren allerlei
Zu sagen. Auf die Regeln feiner Sitte
Kommt das Gespräch; man nennt es Ketzerei,
Wenn jemand Fisch mit einem Messer schnitte ...
Dann kommt das Preisgedicht. Der Gegenstand
Ist dieser: »Auf ein Fläschchen von Kristall
Zu dichten ein Rondeau, auf ein und all,
Kunstvoll gereimt, der Spröden Sinn zu wenden.«
Ernst löst vom Pergament ein rosa Band,
Tritt vor und sagt sein Verslein Tiridat:
»Voll Schwermut ihr, die mich vergessen hat,
Mit einem Fläschchen von Kristall zu senden.«

 

Rondeau.

Dies Fläschchen von Bergkristall
Mahnt mich zu meiner Pein
An Deiner Augen kalten Strahl.
Denn sind sie wie Kristall so rein,
So ist Dein Herz das Felsgestein.
Hell, eisig und klein,
Ein winziges Eisberglein,
Ein gefrorener Tränenschwall
Ist dieses Glas.
Ein Epigramm und Madrigal,
Hat es doppelten Sinn zumal:
Es gleicht dem frostigen Herzen dein
Und ist auch wie Tränen fahl,
Als wollt' es dich der Härte zeihn
Mit seinem trocknen Nass ...«

Das Beifallsmurmeln unterbricht Phylant,
Tritt vor, gelassen, kein Papier zur Hand.

» Rondeau,« sagt er, »der Spröden Herz zu rühren,
Auf das Etui des Glasflakons zu klieren.«

Möge dies Siegel von Kristall,
Dieses Siegel von lichtem Schein
(Denn selbst Pipin von Heristal
Besass kein Siegel, so klar und rein),
Das Siegel unsres Bundes sein.
Mein Herz pocht Schläge ohne Zahl.
Dir, die es spiesste wie auf Stahl,
Fror alles ein.
Sieh, mein Kopf ist ein Federball:
Lass dies Siegel den Schlägel sein.
Schlage, schlag mir den Schädel ein,
Oder lass mich mit Paukenschall
Künden: »Dies Herz von Bergkristall
Ward mein!«

Begeistrung herrscht. Doch wem gebührt der Preis?
Die Meinung schwankt, und man bekämpft sich heiss.
»Ich zieh' das ernste vor.« – »Ich lieb' es, wenn man spasst.« –
»Ein zweiter Cottin!« – »Ein Voiture.« – »Ja, fast.«
Und Doralise sieht schon im Geist, oh Glück!
Dass ein berühmter Streit daraus entsteht.
Indes hält sich ein Dichter scheu zurück.
Warum tat er nicht mit? Doch von den Gästen
Umringt und ausgefragt, gibt der Poet
Gelassen aus dem Stegreif dies zum besten:
»Ich meine, dass hier ein Rondeau
Am Platze wär' von Gongora,
Damit es allzeit würdig hiess'
Unsrer verehrten Doralise ...«
Dies Meisterwerk beklatscht die ganze Runde.
Dann geht man essen – es ist Mittagstunde.

 

6.
Mittag.

Hell in den Gläsern blinkt der Sonnenschein.
Das Tafeltuch mit seinen Bügelfalten
Liegt wie ein grosses Schachbrett, weiss und rein.
Rings Polsterstühle. Goldne Nägel halten
Den Stoff, die Rückenlehnen zieren Quasten.
Im Morgenkleid sitzt Doralise und sinnt,
Von Wohlgeruch umwölkt, und scheint zu fasten.
Ihr Finger polkt an einem Krug, und blind
Ist sie für das Ragout, den Hasenbraten,
Der mit Oliven und Zitronen prangt.
Sie rümpft das Naschen, als sei nichts geraten.
Wenn nun Phylant zuviel von ihr verlangt?
Wenn ihm das Spiel behagt? Zornig zerbeisst
Sie eine Lerche, wirft die Serviette
Beiseit, indess sie Mandelcreme verspeist.
(Wenn dieses Spiel nun doch Gefahren hätte?
Liebt sie nicht Tiridat?) Die Rosenlippen
An Sellerie in Sahnensauce nippen –
Und sie erhebt sich.

Plötzlich fällt ihr ein,
Dass die berühmte Arthénice sie heut
Zu Gaste lud, zum ersten Mal – wie freut
Sie das – ins Rambouillethotel! Im Frei'n
Zwar wird man speisen, doch das Stelldichein
Ist, wie die Karte sagt, bei der Marquise.

 

7.
Die Toilette.

... Und eilends ruft die Zofen Doralise:
»Bringt die drei Galaröcke mir herein!«
Man bringt sie, doch ihr Herz bleibt abgelenkt.
Sie träumt, vergleicht, und dies ist, was sie denkt:
Phylant, der ewig wie 'ne Amsel schlägt,
Der keck den Federhut im Nacken trägt
Und stets auf Lager Klatschgeschichten hat,
Ist glänzend, ja. Wogegen Tiridat
Dem Pagenton, der Art der Italiener
Viel fremder ist und minder froh als jener.
Und doch ist er ihr lieb – aus diesen Gründen:
Blass ist sein Antlitz und sein Schnurrbart braun,
Das schwarzbestickte Wams, es steht ihm, traun!
Er spricht von jedem Thema lang und breit,
Kann mit gelehrten Worten es begründen
Und führt den Vorsitz in der Geister Streit.
Phylant ...
Doch hocherhobne Arme reichen
Drei Röcke, die drei Tonnenreifen gleichen,
Ihr knisternd dar. Beim Überwurf des einen
Ist sie bestimmt für Tiridat entbrannt;
Doch bei dem zweiten wieder will's ihr scheinen,
Dass sie Phylant verehrt ... Sie schnürt ein Band,
Seufzt auf, zupft einen Ärmelpuff zurecht,
Zerdrückt ihn und beharrt auf Tiridat
Beim dritten Rocke. Ja, nun weiss sie Rat.
Sie treibt zur Eile jetzt und schilt nicht schlecht
Auf ihre Zofen, knüllt zwanzig Manschetten,
Um zwei zu nehmen, legt den Spitzenkragen
Um ihren Hals und dann die Perlenketten,
Befragt den Spiegel, lächelt mit Behagen
Und dreht sich um.

Gleich einer Mondeszähre
Hängt eine Perle, eine lange, schwere,
Vom Perlenhalsband nieder auf den Hals.
Fertig! Die Handschuh zugeknöpft. Doch als
Sie gehn will, schwankt sie zwischen Mask' und Schleier.
Die Mask' ist unbequem im Sprechen. Freier
Ist man in jenem. Doch dies schwarze Ding
Gibt solch ein unheimlich Gepräge – flink
Wählt sie die Mask' und geht.

Sie geht und neben
Ihr trippelt die Duenna. Ihre Hand
Im Handschuh rafft das seidne Staatsgewand:
Man sieht sie grün bestrümpfte Beine heben ...

 

8.
Bei Arthénice.

Sie kommt zu dem Hotel, und die Marquise
Empfängt sie lächelnd an der Tür. Voll ist
Zyrphäas Kammer schon, und Doralise
Misst raschen Blicks, denn kurz ist nur die Frist,
Die hohen Fenster, die berühmten Lüster,
Die Pracht der Paravents, den Blumenflor.
Berühmte Namen klingen ihr ans Ohr,
Bezaubert sieht sie alles, was illüster:
Madame Cornuel, Gombaud, Ménage, Godeau.
Sie sieht Phylant und Tiridat, doch so
Hat sie sie nie in ihrem Haus gekannt:
Gemessen Tiridat, bescheidener Phylant.
Und nach dem ersten Rausch der Eitelkeit
Belebt sie seltsam edle Heiterkeit.
Ein zartes Glück erfüllt sie, teilzuhaben
An allem, was beschwingt, beglückt, erhaben.
Der grosse Raum voll Glanz und Stimmgewirr
Dünkt ihr ein Bienenstock. Sie fühlt, dass diese
Preziösen unter frohem Wortgeschwirr
Da etwas für die Zukunft vorbereiten.
Bisweilen auch bedünkt es Doralise,
Als ob die Worte sich von selbst befreiten
Aus ihrem Ballspielflug und höher schwirrten,
Wie Federbälle, die zu Vögeln würden ...

 

9.
Die Kutschen.

Man lenkt zum Hof den Schritt und steht im Kreise,
Der Kutschen harrend. Jemand sagt ihr leise,
Dass sie zusammen mit der schönen Paulet fahre,
Genannt die Löwin ob der goldnen Haare.
Ihr Sang, so sagt man, ist so wundersam;
Dass man dereinst an eines Brunnens Rand,
Wo sie die Nacht gesungen – war's aus Gram? –
Zwei Nachtigallen tot des Morgens fand ...
Die grünen Kutschen nahn, bespritzt mit Lehm.
Zwei Kanapés, bestickt und ausgeschlagen
Mit Borten, Baspein, Nägeln, höchst bequem,
Sich gegenüber füllen eng die Wagen.
Wie grosse Kästen sind die Wagenschläge;
Lakaien öffnen sie, und Teppichstege
Entrollen ihnen, die zum Trittbrett werden.
Die Wagenstühle hängen in den Rädern,
Wie Riesenfrösche breit, mit starken Ledern.
Man nötigt sich mit höfischen Gebärden;
Doch keiner will der erste sein; man dankt,
Indess der Wagen in den Riemen schwankt –
Bis sie zuletzt die Ziererei satt haben.
Sie steigen ein. Die Schimmel ziehn und traben.
Es gafft das Volk ...

 

10.

Man zieht den Vorhang auf
– Heiss ist's – und trinkt Orangen aus. Im Lauf
Geht es durch Neuilly. Manch ein Sträusschen fällt
Aufs Knie, von Bauernmädchenhand geschnellt.
Die Stränge schlagen an der Pferde Flanken,
Die Diener hüpfen auf den Wagenplanken,
Und drinnen deklamiert man ein Gedicht.
Man singt, schreit, lacht, ist zärtlich, ausgelassen;
Und fährt die Kutsche Schritt auf steilen Strassen
Mit leiserm Schellenklang, die Räder rasseln nicht,
Dann hört man wohl: Trala ... klingling ... Marquis ...
Du spielst im Wagen Karten? ... Gib! ... Ist ein
Bonbon gefällig? ... Teures Leben! Nein –
Ihr tötet mich ... Ein Spielchen Reversi?
Last Ihr schon Pyramus? ... Noch stets bergan? ...
Mach, bis wir oben sind, ein Stegreiflied
Auf Paulets Reize! ... Kling ... Nein, singt ein Lied
Vom kleinen Finger! ... Schau, wir traben an! ...
»Mein kleiner Finger sagt« ... Klingling ... Ich sag'
Euch guten Tag, Ihr Schafe! Guten Tag,
Herr Esel! ... Kling ... Marquis ... Parfum ... Klingling ...
Den Fächer ... Klingling ... Tigrin ... Liebe ... Glut ...
Ein Gartentor ... Wie rasch die Zeit verging!

 

11.
Das Fest.

»Nehmt mich zum Ritter heute, seid so gut,«
Fleht Tiridat sie an. – »Wie ungewandt!
Nicht einen Augenblick lass ich Phylant
Von mir. Lebt wohl. Lasst keinen etwas merken
Und widmet eure Zeit Garamantide« ...
Und Paar auf Paar nach dem Spazierplatz zieht,
Der köstlich prangt mit seinen Wasserwerken,
Fast wie in Tivoli ... Die Sonne sinkt
Purpurn im Westen. Aus dem Busch erklingt
Sanfte Musik von vierundzwanzig Geigen ...
Drei Nymphen – wie man weiss, aus edlem Haus –
Flugs treten auf den Wiesenplan heraus,
Und wie die Nacht sinkt, schlingen sie den Reigen
Gespensterhaft um der Fontäne Schimmern ...
Die Geigentöne schwellen ab und schweigen,
Doch zum Azur steigt mit kristallnem Schimmern
Der Springquell hoch und plätschert. Schon entzündet
Der Stern sich, der die Schäferstunde kündet ...

Die Symphonie hat jedes Herz gerührt.
Zum Gartenhäuschen ziehn die Paare leise:
Dort harrt der Schmaus. Die letzte süsse Speise
Wird von den Schönen kaum zum Mund geführt –
Und schon ertönt ein wilder Geigenschall:
Zum Menuett die Ladung und zum Ball!
Die Bänderschuhe streifen kaum die Erde
Und was nicht tanzt, stiehlt sich mit Diebsgebärde
Fort in den Park ... Sternschnuppen sieht man fallen,
Hört Angelina Paulets Lied erschallen,
Indess sich Hand zu Hand im Dunkeln findet.
– Da plötzlich wird ein Feuerwerk entzündet:
Raketen schiessen hoch und sinken in den Teich.

Man muss die Spieler dem Tricktrack entreissen,
Die Tänzer der Musik, die Liebenden dem Reich
Der Nacht, denn es geht heimwärts ...

 

12.
Die Heimkehr.

Frohe Weisen
Erschallen auf der Fahrt bei Fackelscheine,
Und Doralise schliesst ihre müden Lider.
Die Nacht ist kühl und blau. Und immer wieder
Sagt sie sich: »Eins nur hindert mich, das eine,
Den Mann zu lieben, den ich lieben möchte:
Verächtlich ist's, so ohne kunstgerechte
Geheimnisse und Listen, ohne Bangen
Einfach zu lieben den, an dem man glaubt zu hangen«.
Es wird ein Kleine-Finger-Lied gesungen,
Und dieser Reim ist ihr ans Ohr gedrungen:
»Sie tändelt zwar galant
Mit dem schwarzen Phylant,
Doch das ist keckes Spiel von ihr!
Das falsche blonde Mädchen hat
Erwählt den braunen Tiridat,
Mein kleiner Finger sagt es mir ...«
Sie tut, als hätte sie kein Wort vernommen,
Und lächelt, welch ein Einfall ihr gekommen.
»So,« sagt die Falsche, »man weiss alles, gut!
So nutzt sie denn zu nichts mehr, unsre List?
Doch diese List die gleichen Dienste tut,
Wenn mein Geliebter nun der andre ist.
So lieb ich denn Phylant, indess die Feinen,
Je mehr ich für ihn glühe – welch ein Spass! –
Je minder glauben, dass er mir gefällt.
Und das Geheimnis, das ich fast vergass,
Höchst listig ist es wieder hergestellt!
So sei es denn. Ich bin nicht zu beklagen.
Bisher verstellt' ich mich, nun muss ich mich betragen,
Als ob ich mich verstellte!« Doralise
Fährt hoch im Sitz: das Pflaster von Paris!

 

13.
Zwei Uhr früh.

Man hält vor ihrem Haus, und Stimmen schrein:
»Schlaft wohl! Auf Wiedersehen!« vom Wagenschlag.
Und Doralise sieht sich im Schlafgemach
Bei ihren Zofen. Stehend schläft sie ein.
Man zieht sie aus. Auf ihre Lagerstatt
Sinkt sie, erschöpft von diesem grossen Tage.
Es ziemt sich, dass sie heut mit Titus sage:
»Den Tag verlor ich nicht.« Ihr Haupt sinkt matt
Ins Kissen. Ja ... Phylant, sie wird ihn lieben ...
So ist's verhängt ... Die Bilder sich verschieben.
Ein Fläschchen von Kristall tanzt Mennette.
Dazwischen Schellenklang ... Eine Rakete
Sprüht unter ihren Lidern Feuerschein ...
Und Sybille Anne Ogier von Miremonde schläft ein.

F. v. O. B.


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