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Charles van Lerberghe

Die Verwandlung

Sanft verhallt das Nachtgebet,
Alles wie im Traum zergeht
Und die Welt schläft ein im goldnen Schein.

Selig träumend, mit gesenkten
Lidern, in dem Kreis der Engel,
Sitzt die Jungfrau in der Grotte,
Gottes Sohn auf ihrem Schoss.

Am Himmel knüpfen sich Gewinde
Von Rosen, und auf dem Meer
Bebt der Muschelglanz der Lüfte
Über die hellen Wellen her.

Sieh, da steigen tiefe Wälder
Aus dem Wind und hauchen Düfte,
Wie von heissen Blumen schwer.
Blätter rauschen, Vögel singen
Und das Meer, das düstre, funkelt,
Und es schweben durch das Dunkel
Wohlgerüche.

Die Jungfrau schlägt die Augen auf,
Drinnen Licht und Dunkel bebt.
Ihren Lippen ein Wort entschwebt;
Leises Lächeln löscht die Spur der Tränen.

Durchsichtig wird ihr Kleid und bleich,
Einer welken Blume gleich,
Und den Leib umzüngeln Flammen
Wie wogende Ähren.
Auf Schultern und Hüften fallen die schweren
Haare, sich lösend, in blonden Wellen
Rosendurchflochten hernieder.
Die bebenden Brüste schwellen;
Die Liebe erwacht.

Die Engel falten ihre Flügel
Und stehen auf. Ihr frommer Sang
Zum Violen- und Lautenklang
Verstummt in ihrem Munde.
Von des Gürtels Haft befreit,
Lösen sie die Goldgewande –
Und alle drei stehn nackt am Strande,

Die Grazien der alten Zeit;
Heben ihre Sternenhände
Zu des Tages bleichem Ende
Und von ihrem Beten wenden
Sie den Blick zur Meeresferne,

Wo im Schimmer, schaumgeboren,
In Traumseligkeit verloren,
Aus der Lüfte Muschelschale
Venus steigt, des Meeres Stern.

F. v. O. B.

 

Charles van Lerberghe

Eva-Lieder

 

1.

Wie leuchtet Gott an diesem Tag!
Er jauchzt und blüht, wie er nur mag,
In Früchten und im Rosenhag!
Wie murmelt er aus diesem Quell
Und singt in diesem Vogel hell!
Wie geht sein Odem doch so lind
In diesem duftigen Frühlingswind!

Wie badet er sich doch im Licht,
Mein junger Gott, mit welcher Lust!
Die ganze Erde webt und flicht
Ihm seines Strahlenkleides Blust!

 

2.

Wachst du, Duft von braunen Bienen,
Du mein zarter Sonnenduft?
Bebt dein Honig durch die Luft,
Odem, der du mir entstiegen?

Wenn zur Nachtzeit meine Füsse
Durch das stille Dunkel gehen,
Sendest du, mein Flieder, Grüsse?
Kleine Rosen, haucht Ihr Liebe?

Bin ich eine Früchtetraube,
Tief versteckt in grüner Laube,
Die, von keinem Aug' erblickt,
Düfte durch die Nachtluft schickt?

Ahnt er wohl zu dieser Stunde
Meine Haare losgebunden?
Wie sie atmen, kann er ihren
Hauch durch Feld und Fluren spüren?

Weiss er meine Arm' erhoben,
Meine Stimme, deren Laut
Nicht zu ihm dringt, duftumwoben
Von den Lilien meiner Haut?

 

3.

Unter Hirschen und Rehen,
Unter allem, was fliegt und singt,
Unter allem, was frisst und trinkt
Aus dem Rosenkelch meiner Hand,
– Ich war's, die endlich Worte fand.

Unter Blumen und Früchten,
Unter allem, was keimt und spriesst,
Ewig den Ring des Wechsels schliesst,
– Ich war die Rose der Weltenpracht,
Ich die erste, die je gelacht.

Zwischen Erde und Himmelszelt,
Wo je Morgen und Abend scheint,
Wo je lachendes Licht hinfällt,
– Ich war die erste auf der Welt,
Die vor göttlicher Lust geweint.

 

4.

Zur Sonne die Gedanken streben,
Die Himmelsschwestern, mir empor.
Sie singen, dass die Lüfte beben,
Als fiel' herab ein Blumenflor.

Nur einer nicht empor sich schwingt,
Am Wegrain sitzt er trüb allein,
Von wo zum lichten Himmelschein
Der Tau, der Frühe Seele dringt ...

Er schmilzt dahin in Todeszähren
Und singt in seinen Tränen nicht.
Doch just durch sie zu seinen Sphären
Zieht ihn empor das Sonnenlicht ...

F. v. O. B.

Edmond Rostand

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