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Henri de Régnier

Henri de Régnier

Die Lebensschwelle

Mir lachte nichts ins Elternhaus hinein ...
Ernst lastete gehäuftes Schweigen drauf
Und seine Tür ging nicht mehr auf,
Seit ihre Schlüssel sich verloren hatten
In einer Nacht, da alles schlief,
Da auf der Gänge glatten Marmorplatten
Der Schritte Schall so traurig sich verlief,
Als ging' es da zum letztenmal hinein
Durch Türenfluchten und durch Zimmerreihn ...

Und wie ein Schleier lag's auf den Gesichtern
Bei ihrem Huschen durch die langen Gänge,
Bei ihrem Sitzen in dem stillen Saal,
Als ob kein Licht mehr in die Augen dränge,
Als ob die Ohren sich entwöhnt der Klänge,
Und auf den Lippen starb der Laut zumal,
Dass man's vergass, wenn man ein Wörtlein sagte,
Und keine Antwort mehr zu geben wagte,
Und Schatten ruhten auf der Ringe Lichtern ...

Vom Ebenholz und Damast an den Wänden,
Aus Gold- und Schildplattrahmen sah ich Frauen
Mit müdem Blick und finstre Männer schauen,
Blumen und Schwerter in den Ahnenhänden.
Sie lebten noch, wie einst, für alle Zeit,
Wie einst voll Hochmut oder Zierlichkeit.
Der eine hielt ein zugeklapptes Buch;
Grämlich stand er im langen Doktorkleid,
Mit Hermelin verbrämt. Ein andrer trug
Den Silberharnisch um die Brust geschnallt;
Und Frauen in Brokat in andern Rahmen,
Ahnfrauen, Schlossherrinnen, Edeldamen,
Getreu in ihrer Miene und Gestalt,
Matt oder streng, blass oder starr,
Die Männer in der Kraft, sie in der Milde,
Vergangenheit von allem, was einst war ...
Und denk' ich dran, mag in der Frauen Bilde
Der Schlüssel wohl zu meinen Träumen liegen
Wie jene Männer mit den harten Zügen,
In weiten Roben, in des Panzers Enge,
Die rohe Tatkraft trug und Wissensstrenge,
Den Grund zu meinen Taten mochten fügen ...

Doch die nach ihnen kamen, da erschlafft
Des welken Stammes letzte Lebenskraft,
Die lebten in des müden Hauses Haft,
Die Eltern, die das Erbe mir vertraut
Des Gestern und die Macht der Gegenwart,
Sie, die so schweigsam waren, sanft und zart,
In trübem Sinnen und mit blasser Haut:
Sie lebten all ihr Leben auf einmal,
Tag aus Tag ein in immer gleicher Trauer;
Sie waren ihres Schweigens Widerhall,
Und jedes Gestern war von ew'ger Dauer:
So hatten sie an einem Tag ihr Leben
Verwirkt, um immer neu es anzuheben ...

Tot an den Fenstern die Gardinen hingen;
Die Leuchter hielten eine ganze Nacht
Vor hohen Spiegeln regungslos die Wacht.
Die Kerzen brannten bis zum Selbstverzehren
In langen, wächsernen, geduldigen Zähren,
Und Nacht und Stille haben nichts gesagt –
So senkt' ermattet auch die Zeit die Schwingen ...

Die Zeit! Ich sah sie rinnen manche Jahre,
Bevor ihr letztes Stündlein hat geschlagen
Und beide tot und Seit' an Seite lagen
Und eines schlief, das andere nicht zu wecken.
Gedankenschwere Nacht an ihrer Bahre!
Die gestern lebten, heute sind es Ahnen
Und werden in den Bildern lebend mahnen,
Wie jene, welche schon die Wand bedecken!
O düstres Einst, draus ich emporgetaucht!
Wie wird der Wind sein, der vom Meere haucht
In meinen Traum, dem nun die Stunde kam,
Frohsinn zu wirken oder Seelengram?

Ich irrte lang am Meer in solchem Sinnen
Und weinte, da das Lächeln ich verlernt,
Denn jene Tage waren längst entfernt,
Da man das Lächeln lernt, im Haus erstickt,
Wo Seid' und Ebenholz die Wände schmückt,
Das seinen Geist dem meinen aufgedrückt ...
Ich irrte lang am Meer in solchem Sinnen
Und sass am Strande nieder, und die Hand
Liess durch die Finger weissen Dünensand,
Dieweil ich meines Schicksals dachte, rinnen ...

F. v. O. B.

 

Henri de Régnier

Weinlese

Dem Herbste will ich diesen Sang anheben!
In Weidenkörben sich die Lese schmiegt.
Die Traube, die den Mund uns rötet, wiegt
Schwer in der Hand, wie das Geschick, das Leben ...

Die Brunnen von des Regens Tränen schwellen.
Die Flötentöne, kaum dass sie verklungen,
Sind fern schon, traurig, schon Erinnerungen ...
Der ist gealtert, der da weiss von Quellen

Fern hinter Rebenhügeln, Fluss und Land,
Die ewig rinnen und, wenn wir uns neigen,
Jedwedes Antlitz unsres Einst uns zeigen
Und stille Pfade, die wir einst gekannt,

Und Schatten, die von unserm Schatten rühren,
Und Jahre, die vergangner Stunden Ähren
Einsammelnd schreiten und sich von uns kehren –
Und doch ist dieser Abend schön; es führen

Die Götter nackt den Reih'n durch unsern Geist.
Die Trauben in den Korbgeflechten glühen,
Und doch beweinst du, Herbst, des Sommers Fliehen –
O, Ariadne, ewiglich verwaist!

F. v. O. B.

 

Henri de Régnier

Herbst

Sehnsüchtiges Einst, das uns das Herz berauschte,
O Blütenwind im blauen Abendstrahl!
Du machst das Glück, das uns von hinnen rauschte,
Dem Überlebenden zu dumpfer Qual ...

Wind, Vögel, Himmelsgold und Abendbläue
Und was noch war, da unser Aug gewacht,
Die Nacht, darin geschluchzt des Meeres Reue,
Das holde Frühlicht und des Mittags Pracht –

Das schicksalsvolle Einst, im Duft der Reben,
Der Sommerernten und der Traubenlesen,
Beweint voll Schwermut, sich zu überleben,
Trostlos den alten Ruhm, dass es gewesen ...

Und sieh, an diesem herbstlich reifen Herzen,
Gleich einer Fallfrucht, deren Blut berauscht,
Gereift von Lebenslust und Lebensschmerzen,
Pickt Vogelgier, vom Blütenwind umrauscht ...

F. v. O. B.

 

Henri de Régnier

Der Begleiter

Es zieht dir nach durch Berg und Auen hin
Ein unsichtbarer, ewiger Gefährte,
Durch Dünensand und welkes Laub und Grün.
Hörst du den Schritt des Einst in deiner Fährte?

Aus deines Lebens und Erinnerns Schosse
Naht er dir schweigend und den Schatten just
Pflückt er von jeder einst gebrochnen Rose;
Beharrlich folgt er dir, des Wegs bewusst.

Er schläft in deinem Schlaf, träumt deine Träume,
Steht morgens auf und folgt dir bis zur Nacht
Durch Wälder, über Flüsse, Meeressäume –
Bis er den Zauberspiegel dir gebracht ...

Was dich erinnern kann, vergass er nicht,
Und in dem Spiegel siehst du dich zuzweit,
Siehst hinter deinem Schicksal und Gesicht,
Ein ewiges Heute, die Vergangenheit. ...

F. v. O. B.

 

Henri de Régnier

Der Gast

Ein stilles Haus, die schlichte Tür verriegelt,
Ein Tisch von Ebenholz, der widerspiegelt
Die frischen Früchte und den Wasserkrug,
Landwege draussen, die zum Höhenzug
Ansteigen, den das nahe Meer verdeckt –
Und alles, was den Frohsinn mich gelehrt
Von solchen, die kein andres Glück begehrt,
Als eine Quelle, rosenüberdeckt,
Ein Rebenhüglein, einen Lebensabend
Mit sanften Freuden, Sorg' und Neid begrabend,
Und gleiche Friedlichkeit tagein, tagaus:
All dies verstand ich erst, als in mein Haus
Du, Liebe, tratest, die ich längst entbehrt,
Mit deinem Frauenmund die Früchte assest
Und aus dem Kruge trankst und niedersassest
Und deine Schwingen faltetest am Herd.

Sigmar Mehring


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