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Stéphane Mallarmé

Stéphane Mallarmé

Meeresbrise

Mein Leib ist müd; die Bücher las ich alle.
O fliehn! Hinaus! Ich fühl's: vom Wogenschwalle
Zum Himmel wie berauscht die Vögel steigen.
Nichts kann in mir den Drang zum Meere zügeln,
Die alten Gärten nicht, die sich im Auge spiegeln,

Und nicht der Lampe Schein im nächt'gen Schweigen
Auf leeren Blättern, die kein Schriftzug schwärzt,
Die junge Frau nicht, die den Säugling herzt –
Ich reise! Dampfer, der die Masten schaukelt,
Den Anker hoch, in ferne Tropenlande!
Noch glaubt, von bittren Hoffnungen umgaukelt,
Ein Weh den Scheidegrüssen dort am Strande;
Und diese Masten, die den Stürmen winken,
Sind sie bestimmt, zu scheitern und versinken
Und nie zu schaun der fernen Inseln Flor? ...
Doch horch, o Herz, auf den Matrosenchor!

F. v. O. B.

 

Stéphane Mallarmé

Der Nachmittag eines Fauns

Verewigen will ich diese Nymphen
Licht
Enteilt ihr leichter Schmelz zur Luft, die dicht
Und lastend brütet.

War mein Lieben Traum?
Der Zweifel, dieses Erbteil alter Nacht,
Erwächst zu wahren Wäldern, Baum für Baum.
Ja, hab' ich's mir allein denn ausgedacht,
Das holde Laster, und mich sein gebrüstet?
Denk nach!

Sind jene Fraun, danach dich lüstet,
Nur Bilder für dein fabelndes Verlangen?
Faun, aus den kalten blauen Augen sprangen,
Wie Quellen springen, dir der Spröden Glieder,
Indess die Zweite, Schmachtende gewiss
Nichts war als heisser Wind in deinem Vliess ...
Warum nicht gar? ... Schwer drückt die Glut hernieder,
Ohnmächtig sank der Hauch der Morgenröte.
Kein Wasser murmelt als aus meiner Flöte;
Ihr Klang allein benetzt den Hain. Es weht
Kein Hauch als der aus ihr, der kaum geboren
In trocknem Tönregen geht verloren.
Kein Wölkchen, das am Himmelsrand sich bläht.
Der sichtbar heitre Hauch der edlen Kunst
Steigt aufwärts wieder zu des Himmels Gunst.

O stilles Sumpfgestad, Siziliens Strand,
Darin ich wüste gleich dem Sonnenbrand,
Im Feuerregen schmachtend, – sprich, verkünde:
»Wie ich das hohle Rohr hier schnitt und zwang
»Kraft meiner Gabe, als durch goldne Gründe,
»Wo Rebengrün sich um die Quellen schlang,
»Zum Ruheplatz sich schlichen weisse Fraun
»Und meiner Flöte kaum entfloh das Lied –
»Da, gleich wie Schwäne, taucht der Schwärm und flieht.
»Najaden sind's« ...

Träg glüht die Welt sich braun.
Wer sagt dir, Faun, was dem die Brust entfacht,
Der Töne paart? Zu neuer Glut erwacht,
So steh ich einsam in des Lichtes Fülle,
Euch, Liljen, gleichend, sonder Hehl und Hülle!
Nicht nur das holde Nichts, den Kuss allein,
Der heimlich Brunst verheisst, hab' ich zum Pfand:
In meine reine Brust, mir unbekannt,
Grub holder Zähne Rätselspur sich ein.
Doch still! So heimliches sei ungesäumt
Dem Doppelrohr vertraut, dem klangbegabten.
Es zieht die Glut der Wangen ab und träumt,
Wie wir die schöne Welt ringsum erlabten
Durch das Verwechseln leicht getäuschter Lieder
Mit ihrem Sein. Auf, schwinge dein Gefieder
So hoch, mein Sang, als Liebe dringen kann!
Träg' auf dem Rücken ruhend und nach innen
Den Träumerblick gekehrt, aus meinem Sinnen
Heb' ich eintönig hell mein Liedchen an!

Wag's nicht, boshafte Syrinx, Kind der Flucht,
Am Ufer harrend, neu dich zu beleben!
Ich, sangesstolz, will lange Kunde geben
Von Götterfrauen und durch frommes Schildern
Den Gürtel rauben ihren Schattenbildern. –
So wenn nach Traubenblut mich treibt die Sucht,
Um fortzuscheuchen falscher Reue Qualen,
Heb ich zum Himmel lachend noch die Schalen,
Und auf die lichten Häute blasend, stier' ich
Bis in die Nacht hindurch, nach Rausch begierig ...

Oh, Nymphen, schwellt mich mit Erinnerungen!

»Mein Blick, das Ried durchspähend, traf die jungen,
»Göttlichen Nacken, die zur kühlen Flut
»Geneigt, dort stillten ihrer Haare Glut,
»Tief eingetaucht in feuchten Perlenschaum.
»Ich eil' herbei – und mir zu Füssen liegen,
»Erschöpft vom langen Ineinanderschmiegen,
»Zwei Schäferinnen, Arm in Arm, im Traum ...
»Ich raube sie, die sich noch kühn verschränken,
»In dies Gebüsch, das allen Duft der Sonne
»Preisgibt, und hoffe, dass uns gleiche Wonne
»Vereinen wird, wenn sich die Schatten senken ...«

Dich lieb' ich, Jungfraunzorn, dich, heil'ge Bürde,
Die nackt sich sträubt und gern entrinnen würde
Dem heissen Kusse, doch ein Schaudern dringt
Gleich einem Blitze von der Spröden Füssen
Ins Herz der Zagen und entringt
Der Unschuld Tränen mit dem Duft, dem süssen ...

»Was tat ich arges? Dass ich froh bezwang
»Die zage Scheu und dieses holde Paar,
»Das von den Göttern fest vereinigt war,
»Entzweite ... Kaum mit heissem Kichern drang
»Ich auf die erste zu, die ihr Gespiele
»Noch immer schamlos hielt, um ihre Kühle
»An eigner Glut von neuem zu entfachen, –
»Als diese Beute meinem wollustschwachen
»Arm undankbar entschlüpfte, trotz der Zähren,
»Die mich berauscht in ihrem Lustgewähren ...«

Je nun! lass andre meinem Glücke dienen,
Wenn sich ihr Haar um meine Hörner schlingt.
Du weisst, o Herz, dass die Granatfrucht springt,
Die rote, reife, rings umsummt von Bienen.
So rollt mein Blut, von jedem Reiz entfacht,
Hin durch den Schwarm, den ew'gen, der Begierde.
– Sinkt dieser Wald von Gold und Asch' in Nacht,
So flammt durchs dunkle Laub die Feuerzierde
Des Ätna! Wenn Frau Venus ihn besteigt
Und ihren Fuss in seine Lava prägt,
Wenn matter aus dem Schlot die Flamme schlägt –
Halt' ich die Königin!

Die Rach' ist leicht! …

Nein, meine Seel' ist träg, der Leib sucht Ruhe:
In hehrer Mittagsstille sink' ich nieder.
Im Schlaf vergessend meine schnöden Lieder,
Streck' ich mich in den durst'gen Sand und tue
Den Mund der Sonne auf, die Trauben reift.

Lebt wohl, ihr zwei, lasst sehen, wohin ihr Schatten schweift ...

F. v. O. B.

 

Stéphane Mallarmé

Herodias

Die Amme:
Bist du es, Fürstin? Träumt mir? Ach, erlaube,
Die Ringe dir zu küssen, dass ich's glaube,
Du schweifst nicht mehr im Unbetretnen.

Herodias: Fort! Die Flut,
Die blonde, meiner Haare, macht mein Blut
Erstarren, wenn sie mir das Fleisch besprüht,
Und meine Haare, die das Licht durchglüht,
Sind sterblich nicht wie du! Dein Kuss ist Mord,
War Schönheit nicht schon Tod ... Was zog mich fort?
Was für ein banger, bleicher Morgenschein,
Durch Nebelfernen dämmernd, lud mich ein?
Du, Winter meiner Amme, sahst mich gehn
In das Verliess der Löwen, lässig stehn
Im dumpfen Duft der königlichen Mähnen,
Der hundertjährigen, doch kannst du wähnen,
Wie es mich schauderte? Fern im Exil
Verweilt mein Traum: wie vor der Wasser Spiel
Zerpflück ich meine bleichen Lilien alle,
Und ihrem Schweben, ihrem Flockenfalle
Folgen gebannt die Löwen durch mein Schweigen,
Dem trägen Saum des Kleides nahend neigen
Sie meinen Füssen sich, die selbst das Branden
Der Meereswogen stillten, leise landen
Die wilden liessen ... Also still auch du
Des greisen Fleisches Lüste, da, sieh zu,
Hilf mir mein wildes Haar – muss dich doch quälen
Die Mähnenmiene – vor dem Spiegel strählen.

Die Amme:
Soll ich dem Haar die heitre Myrrhe spenden?
Soll ich der welken Rosen Saft verwenden,
Den düsterroten, den sie rühmen?

Herodias: Lass!
Du weisst es doch, dass ich sie nur mit Hass
Betrachten kann, die duftenden Gefässe!
Willst du, dass mich die Trunkenheit besässe,
Die ihrem Hals enthaucht? Den Blumen mag
Mein Haar nicht gleichen, die den trüben Tag
Der Menschen buhlend heitern, – es ist Gold,
Jungfräulich reines: Ob es funkelnd rollt
Oder in matter Blässe kühl sich schmiegt.
Nie sei von weichlichem Geruch besiegt
Das trotzige Metall, das blank und glatt
Geschmeide, Waffen nur gespiegelt hat!

Die Amme:
Geh nicht mit grauen Jahren ins Gericht:
Mein müder Kopf vergass Gebot und Pflicht –

Herodias:
Genug davon! Den Spiegel halte mir ...
Wie oft, von Träumen matt, kam ich zu dir
Und spähte, Spiegel, wieder ins erfrorne,
Gerahmte Wasser, suchte das Verlorne,
Die welken Blätter der Erinnerungen
Tief unterm Eis, und hab dich nie bezwungen.
Nur meinen Schatten sah ich in der Ferne ...
Doch manchmal aus der schweigenden Zisterne
Stieg nackt mein Traum empor und schreckte mich ...
Sag, Amme, bin ich schön?

Die Amme: Wie preis ich dich,
Du Stern! Doch da, die Flechte fällt ...

Herodias: Hinweg!
Wag solchen Frevel nicht! Der jähe Schreck
Vor der Gebärde nur lässt jede Welle
Des Bluts erstarren bis hinauf zur Quelle!
Fluch dieser lästerlichen Hand! Verkünde,
Was für ein Dämon treibt dich so zur Sünde?
Der Kuss zuerst, die Salben, nun die Hand! –
Ich schaudre! Dieser Tag – o, ich empfand
Es ahnend! – birgt im Schoss noch mehr!

Die Amme:
Verhüt's der Himmel gnädig! Freilich sehr
Seltsam ist diese Zeit ... So schattenhaft
Einsam schweift Ihr durch Eure Leidenschaft,
Seht Euch entsetzt in früher Reife blühen,
Anbetungswürdig doch in diesem Glühen
Kindlicher Schönheit ...

Herodias: Wagst es einmal noch!

Die Amme:
War ich's, dem Ihr bestimmt seid!

Herodias: Schweige doch!

Die Amme:
Und wird er kommen?

Herodias: Lisch, du keusches Licht!

Die Amme:
Wie sollte, Süsse, dich Bestürzung nicht
Bei dem Gedanken an den Gott ergreifen,
Dem keiner wehrt, dem sie entgegenreifen,
Die bangen Reize, die dich blendend schmücken?
Und wem denn wahrt Ihr bebend das Entzücken,
Das lockende Geheimnis eures Leibes?

Herodias: Mir!

Die Amme:
Ach, was für eine blasse Blume Ihr
Dann wäret, einsam wachsend und bewegt
Vom eignen Schatten kaum im Wasser!

Herodias: Hegt
Dein Herz nun schnödes Mitleid oder Hohn?

Die Amme:
Oh glaube, Kind, mir: kommen seh' ich schon
Den Tag, dem dieser Trotz erliegt!

Herodias: Wer wer
Vermöchte mich wohl zu berühren, der
Sich Löwen neigten! Und ich will auch nie
Am Menschlichen mein Teil, und wenn du, wie
Schon oft, mich sahst mit starrem Blick, ein Stein,
Dastehn, o Amme, war es, weil ich dein,
Der Milch gedachte, die mich nährte.

Die Amme: Klage
Erfüllt mich um das Opfer, dem ich sage:
Schon wölkt dein Schicksal schattend über dir!

Herodias:
Mir will ich blühen, ewig, einzig mir,
Ihr wisst es alle, schweigende Gefährten!
Ihr abgrundtief versunkne grosse Gärten
Von Amethyst, du Gold, versteckt im Dunkeln
Des brachen Bodens, ihr in keuschem Funkeln,
Erlauchte Steine, deren klares Licht
Mein Auge wahrt, und ihr, die Glanz, Gewicht
Und Grauen meinem jungen Haar gabt, Erze!
Doch du, in deren zeitverderbtem Herzen
Die Bosheit der Sibyllen grinst, dass dich
Von einem Sterblichen mir lästerlich
Zu sprechen lüstet, die du schauernd, bleich
Aus den Gewändern schon, die Kelchen gleich
Entblättert sinken, gleiten siehst die spröde
Duftende Blüte meine Schönheit, – Schnöde,
Gestehe, dass, wenn mich der laue Wind
Des Sommers, dem die Frauen willig sind,
Sich zu entschleiern, sah in meiner herben,
Sternkühlen Nacktheit, ich auch schon zu sterben
Nicht zögerte! Denn meiner Jungfernschaft
Starres Geheimnis lieb ich, lieb die Haft,
Die hüllend mich umwallende der Haare,
Und diesen Schauder, wenn die frierend klare,
Die keusche Nacht in meine Kammer steigt
Und ihre Kälte meinen Leib umschweigt,
Den, makellos, auch keiner brauchen wird!
O du, von eisigem Panzer hell umklirrt,
Glühend in Reinheit, ewige Schwester Nacht,
Mein Traum hat sich geflügelt aufgemacht
Und schwebt empor zu dir: ich bin allein
In meiner öden Heimat, ich bin dein!
Und alles rings umher ist wie das Dienen
Von stummen Spiegeln, und es scheint aus ihnen
In diamantner Stille nur mein Bild!
O Stille, die von Einsamkeiten schwillt!

Die Amme:
So wollt ihr sterben?

Herodias: Mütterchen, noch nicht!
Beruhige dich und geh jetzt, denk: sie spricht
Aus ihrem harten Herzen, und verzeih.
Zuvor jedoch verschliess die Läden: sei
Die so verhasste Bläue mir erspart,
Die buhlend sich dem Widerscheine paart
Im feilen Fenster ... Wellen wiegen sich ...
Kennst du kein Land, sag, irgendwo da drüben
– Denn in ein solches Land verlangte mich –
In dessen Himmel sich die Spuren grüben
Vom still im Laub erglühten Abendstern? –
Zünde mir noch – ich lausche gar zu gern
Dem leisen Tropfen, wenn die schlanke Flamme
Das Wachs in goldner Fessel schmelzet – Amme
Die Fackeln an – du magst es töricht schelten –
Und ...

Die Amme: Nun?

Herodias: Leb wohl …
Ihr, meine Lippen, gelten
Denn alle diese Worte? Nein, ihr lügt!
Mir ahnt ein Unbekanntes ... Oder trügt
Ihr nicht, und sind's, euch selbst geheimnisvoll,
Seufzer der Kindheit, die schon scheiden soll?
Ist es kein Traum nur, dass ich manchmal meine,
Fremd glitten mir vom Leib die kalten Steine?

Richard Schaukal


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