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Marvas, eine Orang-Utan-Jagd

Von Heinz Karl Heiland.

» Tuwan! Tuwan! tida wolle pigi kampong!?« Herr! Herr! willst du nicht in den Kampong (Dorf) fahren? – »Himmelkreuzmillionen, kann denn ein Christenmensch nicht einmal ruhig schlafen in diesem Affenland! Was ist denn los?« – »Der Herr hat gesagt, er wolle um sechs Uhr zu Mustaphas Kampong fahren.«

Nun fielen mir alle Sünden wieder ein. Ich war weit aus dem Norden Sumatras hierher zu dem Haus eines alten Bekannten gekommen, um in den nahegelegenen Malaienkampongs Jäger respektive Spürer für eine neue Jagdexpedition anzuwerben, wenn möglich, den alten Mustapha, einen berühmten Tigerfänger, mit dem ich schon vor Jahren gejagt hatte.

» Tabeh tuwan!« Sei gegrüßt, Herr! – » Tabeh Mustapha!« Sei gegrüßt, Mustapha. Nach einem kurzen Händedruck führte jeder von uns seine Hand zur Stirn, denn Mustapha gehörte zu einer vornehmen Familie seines Stammes.

» Tabeh tuwan, tabeh tuwan«, schreit es nun von allen Seiten; Mustaphas äußerst zahlreiche Nachkommenschaft erscheint, den Fremdling zu begrüßen. Ein Diener bringt die unvermeidliche Begrüßungskokosnuß. Nach einigen weiteren Höflichkeiten dränge ich aber zum Aufbruch, liegt doch ein langer Weg vor uns. Glücklicherweise hat Mustapha bald sein bißchen Gepäck geordnet, ein kurzer Abschied, der Motor schnurrt davon, verfolgt von den Blicken der zurückbleibenden Familie. Die guten Leute hatten Grund genug, besorgt zu blicken, zog doch der Vater aus zur gefährlichsten aller Jagden, zur Jagd auf das Rhinozeros Sumatras.

Eine reizend abwechslungsvolle Fahrt begann. Bald führte der Weg durch üppig grüne Tabaksfelder, bald durch langgestreckte Kampongs. Dann wieder durch europäisch angehauchte Städte, an großen Etablissements, Scheunenanlagen und Wohnhäusern der Pflanzer vorbei, und führte uns schließlich in eines der Zentren der Petroleumindustrie.

Am anderen Morgen ging es dann per Boot den Fluß hinauf, dann wieder zu Fuß weiter, bis wir schließlich bei dem am äußersten Ende der Kultur wohnenden Europäer angekommen waren. Der dortige Urwald war mir nur zu gut bekannt, hatte ich ihn doch wochenlang ohne wesentlichen Jagderfolg durchstreift, denn das Wild, das mich lockte, das Rhinozeros, ist äußerst selten und unendlich schwer zu erreichen. Noch am Tage unserer Ankunft machte ich angestrengte Versuche, Malaien als Träger anzuwerben, aber umsonst; es bedurfte erst der ganzen Macht und des mächtigen Einflusses, den der dortige Europäer besaß, um die nötigen Leute zusammenzubringen. Darüber verging ein großer Teil des nächsten Tages, und bis genügend Proviant geschafft und das Gepäck geordnet war, kam der Abend. Die Nacht war kurz, mißmutig erhob ich mich am nächsten Morgen, sah ich doch mit nichts weniger als Freude der kommenden Expedition entgegen. Ich war nervös, erschöpft durch zwölfmonatigen Aufenthalt in der Wildnis, ständig auf der Jagd nach gefährlichem Wild. Meine Leute waren teilweise schon erschienen, und ich sandte sofort Boten, um die säumigen herbeizuholen, passende Boten, nämlich brutale bengalische Soldaten, von denen jeder dieser vorgeschobenen Pioniere der Zivilisation einen Trupp in seinen Diensten hat. Endlich war alles bereit, ein eiliges Frühstück war eingenommen, ein kurzer Abschied, und die Karawane setzte sich in Bewegung, dem nahen Urwalde entgegen.

Ein eigentümliches Wesen ist doch der Mensch. Noch verfluchte ich in entsetzlicher Laune meinen Eigensinn, der mich immer wieder und immer wieder auf die Rhinozerosfährte zwang, da erreichten wir den Urwald. Und kaum bin ich an der Spitze unserer indianischen Reihe eine Viertelstunde weit in die Wildnis eingedrungen, so packt mich schon wieder das alte Jagdfieber, und der Urwald schlägt mich in seinen Zauberbann. Auf wohlbekanntem Pfad, kenntlich an den durchgehauenen Lianen und kleinen, im Wege stehenden Bäumchen, die wir auf früheren Märschen gekappt hatten, erreichten wir bald den Rand des schrecklichen Payah Adjeh, des riesigen, wohl hundert Kilometer langen Sumpfes. Wunderbar ist hier die Wildnis. Steile Hügel ragen auf am Rande des Payah, bis hinauf zur Höhe bedeckt mit prächtigem Urwald, den noch keine Axt entweiht, ja den stellenweise kaum je der flüchtige Fuß eines Malaien betreten hat. Die Payah selbst ist eine Orgie von Pflanzenformen, wunderbar für das Auge, doch wehe dem Menschen, der sie betreten muß, denn die Payah ist die Heimat der gefährlichsten tödlichen Fieber. Die zahllosen Dorngewächse zerfetzen Kleidung und Haut und verursachen gar oft schwere Eiterungen; Dornen, Dornen, wohin das Auge blickt. Hier ist der zierliche Rotang, der sich in eleganten Biegungen von Baum zu Baum zieht. Seine zierlichen palmenartigen Blätter bergen an der unteren Seite Dornen von der Härte des Stahls. Die Spitze des eleganten Blattes endet in eine lange, elastische Geißel, denn an vier Seiten ist sie mit Haken besetzt. Dort entsprießen dem schlammigen Boden die gewaltigen Blattschäfte des Klobi, seine zierlich langen Blätter haben tausende fingerlanger nadelspitzer Dornen, die glashart sofort in der Wunde brechen und die Ursache zahlloser Entzündungen und Eiterungen werden. Längs des Sumpfes, den auch die Tierwelt meidet, nur nicht das Rhinozeros, führt eine uralte Elefantenstraße direkt nach Norden. Mit fast menschlicher Intelligenz haben diese Riesen seit Jahrtausenden ihren Weg gewählt, der sowohl die steilen Hügel, als auch den weichen trügerischen Boden der Payah vermeidet.

Stundenlang geht es nun dahin. Mustapha und ich ziehen voraus, die übrigen folgen in etwa zehn Minuten Entfernung unseren Spuren und den Zeichen, die ich gelegentlich mit dem Pagang, dem schweren malaiischen Säbelmesser, in die Bäume schlage. Obwohl eifrig nach frischen Fährten spähend, bleibt mir doch noch Gelegenheit, manchen Blick in die zauberhafte Schönheit der Wildnis zu tun. Es ist ein unendlich vielfarbiges Pflanzengewirr, aus dem sich die rötlichen Stämme gewaltiger Marben, die schwarzbraunen Meranti, die silberweißen Tualang, umrankt von zahllosen Lianen, die sich in eleganten Schwüngen von Stamm zu Stamm, von Ast zu Ast schlingen, besonders wirkungsvoll hervorheben. Zahlreiche Affenherden treiben über uns in der Höhe ihr Spiel. Da sind die glänzend schwarzen Singaffen, deren eigenartige Chorgesänge weithin durch den grünen Blätterdom hallen, die lichtgrauen Gibbons und die Oah mit ihrem grell ansteigenden und dann in geisterhaft dumpfem Ton verhallenden Schrei. Es ist ständiger Wechsel, ständige Bewegung in der wilden Szenerie, die uns umgibt. Unbemerkt rasch ist die Sonne höher und höher gestiegen, und ich erstaune, als Mustapha sagt: »Herr, wir haben fertiggekochtes Essen mitgebracht!« Ein zarter Wink, daß es Zeit sei, das Mittagsmahl bereit zu halten. Kurz darauf erreichen wir einen kleinen Bach, neben diesem hocken wir nieder, um die Träger zu erwarten, die auch nicht lange ausbleiben.

Nach einer kurzen Rast wird der Marsch fortgesetzt. Der kurze Nachmittag der Tropen vergeht rasch in unablässigem Vordringen nach Norden. Aber es zeigen sich keine Spuren, was ja auch in so verhältnismäßig geringer Entfernung von einer menschlichen Ansiedlung kaum zu erwarten ist. Vier Uhr, fünf Uhr, tiefer sinkt die Sonne, und wir müssen an die Errichtung eines Nachtlagers denken. Ein geeigneter Platz ist bald gefunden. Er liegt am Wasser, ohne indessen allzu feucht zu sein. Nachdem wir uns versichert haben, daß aus der Höhe keine abgestorbenen Äste herunterstürzen können, im Boden kein Ameisennest ist und somit alle Bedingungen eines Lagers im Urwald erfüllt scheinen, kann der Bau des Pondok, der Blätterhütte, beginnen. Aufatmend legen die Träger ihre Lasten nieder und verteilen sich nach allen Seiten im Wald, um Baumaterial zu suchen – lange Stäbe als Gerüst, breite Blätter zum Dach, dünnen Rotang zum Befestigen, Harz und trockenes Holz zum Feuer. Nach einer halben Stunde ist das primitive Heim, das nur aus einem schräg aussteigenden Dach besteht, fertig. Ein Gericht zwar kleiner, aber wohlschmeckender Fische liefert der Bach, und bald brodelt der Reis luftig über dem flackernden Lagerfeuer.

Urwaldnacht! Leise knistert das Feuer, Funken tanzen und schwirren in feurigem Reigen empor, zum nächtlichen Dunkel, in dem die mächtige grüne Halle verschwimmt. Zuckende Lichter fallen auf das regungslose Blattwerk und lassen es in goldig magischem Glanze aufleuchten. Alles ruht. Nur von Zeit zu Zeit erhebt sich einer der Schläfer, um dem Feuer neue Nahrung zuzutragen.

Der Morgen dämmert. Riiiiang! tönt der schrille Ruf des Riang, eines Insekts, durch die Stille und weckt den Urwald zu neuem Leben. Tausendfach erheben sich nun ringsum die Stimmen der übrigen Tierwelt und erfüllen die Luft mit ihrem endlosen Akkord. Auch in unserem einsamen Pondok wird es lebendig, während sich die Malaien mit der Bereitung des Frühmahles aus Reis, getrocknetem Fisch und Tee bemühen, eile ich, um im Bach ein erfrischendes Bad zu nehmen.

Kühl, eisig kühl ist es jetzt am Morgen, aber ein Schluck glühendheißen Tees bringt bald das Blut in Wallung. Eine Viertelstunde noch und unsere kleine Schar ist wieder unterwegs. Unangenehm ist der Tau, der massenhaft auf allen Gräsern und Sträuchern sitzt und uns bis auf die Haut durchnäßt. Froh sind wir deshalb alle, als die höhersteigende Sonne die nächtliche Feuchtigkeit trocknet. So sind wir stundenlang erfolglos auf dem Marsch, entlang dem bequemen Elefantenmarsch, bis wir uns entschließen, einen Teil der Payah zu durchqueren, um einen Pamatan, einen sich inmitten des Sumpfes hinziehenden Streifen höheren Landes, zu erreichen, vielleicht daß sich dort Spuren des gesuchten Wildes finden. Wir steigen einen kleinen Hügel hinab und nähern uns dem Rande der morastigen Wasserfläche, als uns ein entsetzliches, markdurchdringendes Gebrüll an die Stelle bannt. Im ersten Augenblick wissen wir beide nicht, aus welcher Riesenkehle der unheimliche Ton kommt, dann flüstert mir Mustapha zu: » Mawas besar sektli« – ein sehr großer Orang-Utan. Nun kommt auch mir der vor Jahren gehörte Ton, den der Mawas nur selten ausstößt, in die Erinnerung, und lautlos schleichen wir näher zum Sumpf. Unhörbar ist unser Tritt – Mustapha mit dem nackten Fuß des Urwaldmenschen, ich auf dünnen Gummisohlen. Trotzdem scheint uns das Tier gesehen zu haben. Da rauscht über uns in schwindelnder Höhe ein Zweig. Der Blick fliegt hinauf, und in der höchsten Spitze einer gewaltigen Baumkrone bemerken wir sehr undeutlich ein dunkelrötliches Etwas, einen Mawas. Doch da, fast in unmittelbarer Nähe, tönt wieder das furchtbare Gebrüll. Es kommt aus der Tiefe, aus dem Sumpf. Ein zweiter Mawas ist also niedergestiegen, offenbar wütend über die Nähe von Menschen.

Mustapha paßt aus den ersten Mawas auf, ich gehe in die Payah. Im Augenblick sind die für ein Rhinozeros bestimmten Stahlmantelgeschosse mit den gefährlichen Dumdumgeschossen vertauscht, und ich dringe in den Sumpf ein. Bald bis zum Knie, bald bis zur Hüfte versinke ich in dem Moder und Schlamm, der erstickende Gase aushaucht, Es ist mir unmöglich, in dem Wurzelgewirr festen Fuß zu fassen. Dazu von allen Seiten Klobi, deren Dornen ich in der Eile nicht vermeiden kann und die sich deshalb zu Dutzenden in Kopfhaut und Hände bohren. Jeden Augenblick muß ich auf einen Angriff des gereizten Tieres gefaßt sein. Der Stimme nach ist es ein gewaltiges Exemplar, und wie überlegen ist es mir in meiner unbehilflichen Lage. Zudem greift der Mawas, wie erwiesen, ganze Trupps von Menschen an, bald durch Würfe aus der Höhe, bald auch am Boden mit einem Ast bewaffnet. Wehe mir, wenn der erste Schuß mißlingt! Ich kenne die Gefahr, bin ich doch schon vor Jahren durch einen schwer verwundeten Orang-Utan einmal in größte Lebensgefahr geraten. Ich erreiche den Fuß des Riesenbaumes, auf dem der eine Mawas saß, kann aber nichts erblicken. Ich dringe noch weiter vor, ohne Erfolg. Mißmutig kehre ich deshalb auf das trockene Land zurück, wo inzwischen meine Leute eingetroffen sind, und erfahre von Mustapha, daß der Mawas in der Höhe sich noch nicht gerührt hat. Bei näherer Beobachtung sehe ich nun, daß ihm der Rückweg abgeschnitten ist, dort in der Höhe führt keine genügend starke Liane zu anderen Urwaldbäumen hinüber – der Mawas ist mein. Die Schwierigkeit liegt nun darin, eine Stelle am Boden zu finden, von der aus eine tödliche Stelle des Tieres sichtbar ist. Beim Schießen aufs Geratewohl kann man das ganze Fell verderben und setzt sich der Gefahr eines Angriffes des verwundeten Tieres aus. Daher lasse ich die Malaien das Gepäck niederlegen und nach beiden Seiten in den Sumpf vordringen, um, mit dem Parang einen Weg durch die Dornen bahnend, den Baum im Kreis zu umschließen und so einen geeigneten Punkt zum Schuß zu suchen. Vorsichtig wird der Riesenbaum umkreist, ich selbst gehe wieder gerade auf den Stamm los, als es in der Höhe prasselt. Ein mehr als armdicker Knüppel, mit ungeheurer Kraft geschleudert, saust durch das Blattwerk und schlägt in das hochaufspritzende Sumpfwasser ein, dicht neben einem meiner Leute, der nur um ein Haar dem Tode entgeht. Nun ist keine Zeit zu verlieren, ich muß schnell ein Ende machen. Da winkt Mustapha. So schnell es der Sumpfboden erlaubt, eile ich hin zu ihm und sehe, wie sich in der Höhe ein rotbrauner Arm nach einem Ast ausstreckt, der Arm eines Giganten, dessen Formen fast nichts Natürliches mehr haben. Darunter halb von Laub verdeckt, die mächtige Hüfte des Tieres. Ich reiche Mustapha meine schwere Büchse, lasse mir meine kleinkalibrige Reservebüchse geben und schiebe ein Dumdumgeschoß hinein. Sorgfältig ziele ich, so gut als möglich die Lage des Herzens berechnend. Ein trockener Knall, der weithin durch das Waldgewölbe hallt, im nächsten Augenblick ein Krachen, Brechen, Prasseln, ein dumpfer, dröhnender Schlag – dann ist alles still. Sofort eilen Mustapha und ich mit schußfertiger Büchse zu jener Stelle und sehen ein Bild, wie es sich phantastischer, schauervoller die Phantasie eines Dante nicht ausmalen könnte: gleich einem Unhold, der morastigen Tiefe entstiegen, ragt ein scheußliches Riesenhaupt aus dem Sumpf empor, ein Arm, lang und zottig behaart, der Arm eines Titanen, umklammert eine ragende Wurzel des Baumes. Noch im Tode fletscht das Untier die Zähne. Grimmig blickt das gebrochene Auge – das Dumdumgeschoß hat seine Schuldigkeit getan.

Nun beginnt eine schwere Arbeit. Fünf Mann mühen sich ab, das Scheusal aus dem Morast zu ziehen, um es aufs trockene Land zu schaffen. Aber es gelingt nur, das riesige Tier auf einige aus dem Wasser ragende Wurzeln zu zerren. Dort wird dann die rötlichbraune Haut abgestreift. Ihre Abmessungen sind erstaunlich, denn die Weite von Hand zu Hand mißt fast drei Meter!

Der seltenen Jagdtrophäe zuliebe unterbrachen wir unsere Expedition und zogen nach einem nicht allzu weit entfernten Malaien-Rampong, das wir noch eben vor Anbruch der Nacht erreichten. Von dort führt ein Fluß direkt zum Petroleumbezirk, wohin wir glücklicherweise den Schädel und die Haut verfrachten konnten, ohne selbst dahin zurückkehren zu müssen. Wir hatten ein erfolgreiches Jagderlebnis hinter uns und machten uns am nächsten Morgen mit frischem Mut auf die Fährte des Rhinozerosses.


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