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Le Ralli

Ballade.
Von Börries, Freiherr von Münchhausen.

Bewußtlos nun schon zwanzig Tage lang – –
Der greise Diener hüllt im Krankenzimmer
In grünen Taft der Lampe weichen Schimmer,
Den stillen Raum durchsingt der feine Sang des brennenden
Dochts. Mit unhörbarem Gang zieht sich zurück der Alte
Und raunt leise zu der Beschließerin im Vorsalon:
»Madame, der letzte Chevalier Crahon geht diese
Nacht noch – auf die letzte Reise!«

*

Der Kranke hebt sich auf, müd und geschwächt,
Und murmelnd, lächelnd mit dem welken Munde:
»Gut, daß der Tod mich weckt zu seiner Stunde!
Dem großen dürren Jäger stünd' es schlecht,
Wenn er auf schlafendes Wild den Drücker zöge,
Sich um den weidgerechten Schuß betröge
– Denn wahrlich: Er ist weidgerecht!«

Und mit den Augen, die die Welt umfassen
In jener Stunde, da sie sie verlassen,
Starrt er zum Gobelin ... und durch die Wand ...
Und zeigt mit Händen, blaugeädert blassen:
»Die ganze Halle voller Geister steht!
Das Feuer des Kamins bauscht ihr Gewand, –
Das sind die Väter, die mich nicht verlassen,
Mich, – dem kein Sohn mehr hinterm Sarge geht.
Willkommen, Vater! Großvater, auch du,
Ihr anderen Treuen aus der Krypta alle,
Die ihr, bedachtsam wartend, in der Halle
Die Hirsche euch beseht in guter Ruh, –
Nicht wahr, manch kapitaler kam dazu?!
He, Aristide!!«

Die Silberklingel schrillt,
»Wie?! Tränen, Alter? Kopf hoch, munter! –
Mein Durst nach Jagd ist lang noch nicht gestillt,
Zur Halle tragt mich einmal noch hinunter,
Stoßt breit der Fenster Doppelflügel auf,
Und vor dem Schlosse soll die Jägerei
Mir den Signalen für jedwed Geweih
Noch einmal mir verblasen alle Hirsche,
Die ich erjagt auf wonnevoller Pirsche
Und die dort drohn an bruchgeschmücktem Knauf!«

*

Die Halle zu Crahon starrt wirr in Reihen
Von hundert edelen Geweihen,
Wie ein Gestrüpp des tiefsten Waldes starrt,
Das moosumkraust und wild gedrängt
Die tausend Äste durcheinander zwängt,
Wo in den nächtlichen Oktoberwäldern
Der Haupthirsch zornig in dem Reisig scharrt.
Der Nebel steigt weichkalt vom Moseltale,
Blaugrün durchdämmert von des Mondes Strahle,
Verfließt in Strähnen auf den kargen Feldern
Und wiegt sich in lautloser Melodie
Über dem Hügelwald der Seigneurie.

Und droben in der Halle am Kamin
Sitzt matt im Stuhl der Jagdherr, und er lächelt,
Wenn an den Wänden hin die Schatten ziehn
Und ihn mit Streichelhand ein Hauch umfächelt.
Soll er die fürchten, die wohl tausend Male
Becherumklungen saßen hier im Saale?!
Vielleicht, daß sie der alten Jägerchöre
Vertrautes Jubellied wie ihn erfreut,
Wenn aus den hölzernen Hörnern der Piköre
Aufbraust der Gruß wie eben und wie heut?!

Hörnerschall erscholl und schauerte über die Täler,
»Ran an die Meute!« Die Peitsche dräute,
Kläffende Hunde hetzen im Grunde,
Über allen
Erschallen
Die Jubel der Jägerei.

Hörnerschall erscholl und schauerte über die Täler,
Reiter hinjagen in wildem Wagen,
Gerten sausen im Herbstwindbrausen,
Über allen
Erschallen
Die Jubel der Jägerei.

Die Hörner klangen ernst und klar
Und sangen Lieder, süß und sonderbar
Wie sie sein Leben sechzig Jahr durchsangen.
Und als nun auf die Flügelfenster sprangen
Da dröhnte fernher zu den Jägerchören
Aus allen Tälern durch die stille Nacht
Der starken Hirsche schauerliches Röhren.
Der Nebel wehte in die Halle sacht
Und trug in seinem schleppend-feuchten Haar
Den Duft der nassen Wälder zu dem Greise,
Und beim Ralli des chiens, da senkte leise
Der letzte Chevalier Crahon die Stirn,
Vereint mit denen, die ihn still umschwebten,
Und durch des Sterbenden dunkelndes Hirn
Flog froh und hell zum letzten Male
Der liebe Traum, dem er sein Leben lebte.

Das Hörnerrauschen verzitterte überm Tale
Verhallend ... hallend ... sacht ...

*

Der Hirsche Röhren durchdröhnte fern die Nacht.


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