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Wolfsjagd

Von Fritz Skowronnek.

Es ist schon einige Zeit darüber verflossen ... Da ritt eines Abends aus dem masurischen Dorfe Poseggen ein frischer Bub' von zehn Jahren mit den Bauernsöhnen zur Nachtweide. Heimlich hatte er sich aus dem Bett gestohlen, und sein großer Vetter hatte die nächtliche Fahrt begünstigt. Er hatte ihn aus dem Kammerfenster gehoben und ihn aufs Pferd gesetzt.

... Es war noch viel romantischer, als er es sich ausgemalt hatte. Die Pferde, wohl dreißig bis vierzig an der Zahl, weideten ringsum auf der Wiese. Deutlich hörte man, wie sie das Gras abrupften oder mit einem heftigen Schaudern der Haut die kleinen Blutsauger scheuchten. Ein Wächter, mit einem uralten Einspänner bewaffnet, von starken Hunden begleitet, umschritt langsam die weidende Herde ...

Die anderen Burschen lagen lang hingestreckt im Grase und schauten bedächtig in das lodernde Wachtfeuer oder zu dem dunklen Himmel hinauf, von dem die Sterne herabblinkten. Im Norden stand eine bleiche Röte, die das sinkende Tagesgestirn hinterlassen hatte. Langsam wanderte der matte Schein nach Norden und weiter nach Osten, bis die emporsteigende Sonne ihn aufflammen und verschwinden ließ. Das Schönste waren jedoch die Baiky, die uralten Sagen und Märchen, die Jan Romossa erzählte. Er konnte die ganze Nacht erzählen, so heute wie morgen, aber noch niemals hatte er dasselbe erzählt, immer was Neues, Schöneres. Bald vom Fuchs, der dem Bauer die Fische stiehlt, oder vom dummen Teufel, dem der Hirt die Hölle wegschleppen will. Am liebsten jedoch erzählte er vom Wolf. Und dann hörten die anderen am aufmerksamsten zu. Sie kannten ihn ja alle, den grauen wilden Räuber, der ihnen schon so oft ein Fohlen zerrissen hatte.

Eben hatte Janek das Märchen begonnen von dem Fuchs, der dem Wolf das Angeln auf dem Eise beibringen will, als die Hunde des Wächters anschlugen mit einem wütenden Geheul, daß keiner vergißt, der es jemals gehört. Und gleichzeitig erklang ein anderer Laut, den nicht viele Menschen vernommen haben werden, der Angstschrei der Mutterstute, die ihr Fohlen an sich lockt.

Einen Augenblick herrscht unbeschreibliches Getümmel. Die Pferde brausen von allen Seiten heran und ballen sich zu einem Knäuel, die Köpfe dicht zusammengedrängt, die stahlbewehrten Hinterbeine nach außen gewendet. Mit aufgeregtem Wiehern umkreisen die Hengste den Ring. Die Burschen waren aufgesprungen, hatten schnell ein Bündel harziger Kienspäne aufs Feuer geworfen, daß sie hoch aufloderten. Nun waren sie alle davongelaufen, den brennenden Span wie eine Fackel schwingend. Nur das kleine Bürschlein war allein zurückgeblieben. Es zog auch einen Feuerbrand aus der Glut und wollte den anderen nacheilen. Da sprangen zwei graue Nachttiere gegen ihn an, ein drittes umkreiste ihn. Unheimlich schimmerten ihre Augen, aus dem geifernden Maul hing rot die Zunge.

Ohne Ahnung der furchtbaren Gefahr schwang der kleine Bursch seinen Kienspan, da stürmten auch schon die Hunde heran, ein Schuß krachte, einer der Räuber stürzte, raffte sich wieder auf und schleppte sich davon, bis die Hunde ihn ereilten und überwältigten.

Jetzt ist aus dem Knaben ein weidgerechter Jäger geworden, der schon so manchem Wolf und anderem Raubgesindel eins auf den Pelz gebrannt hat, aber noch steht die Erinnerung an jene Nacht deutlich vor seinem Auge ...

Der Wolf ist als Standwild in Deutschland ausgerottet. Nur an der Westgrenze in Lothringen und im Osten, in den masurischen und littauischen Wäldern erscheint er noch alljährlich zur Winterszeit, wenn drüben in Rußland die Jagdkommandos der Infanterie-Regimenter mit Hilfe ganzer Bauerndörfer den Vernichtungskrieg gegen ihn beginnen. Und wehe der Wildbahn, in die ein Rudel ausgehungerter Wölfe einfällt! Ganz planmäßig jagen die Räuber! Einer nimmt die Rehfährte auf, die anderen schneiden dem gehetzten Tier, das infolge eines Naturgesetzes stets in einem weiten Kreise zu seinem alten Stand zurückzukehren trachtet, den Weg ab. Der zweite, der dritte, der vierte setzt mit neuer Kraft ein, bis die Beute zur Strecke gebracht ist.

In meinem Heimatsdörfchen lebte, als ich noch Knabe war, ein alter Waldwart, ein Sonderling, der sich allein sein Essen kochte und mit niemand Umgang pflog. Er hieß allgemein »de Barescheeter«, denn er hatte als junger Mann als Jäger eines russischen Grafen mit Meister Petz manchen harten Strauß ausgefochten. Im Jahre 1870, als die jüngeren Grünröcke alle nach Frankreich ausrückten, war er zur Aushilfe eingestellt und später beibehalten worden. Erkannte noch die jetzt ausgestorbene Kunst, den Wolf anzuheulen. Damals kam es noch nicht zu selten vor, daß ein paar der Räuber sich zur Sommerszeit in den masurischen Wäldern ansiedelte und dort wölfte.

Niemand vermochte das Geheck der Wölfe ausfindig zu machen, als der »Barescheeter«. Unermüdlich strolchte er herum und ließ von Zeit zu Zeit das eigentümliche halblaute Geheul erschallen, mit dem die alten Räuber ihre Jungen locken, wenn sie von erfolgreicher Streife mit Atzung heimkehren. Arglos antworteten die Jungen. Dann war ihr Geschick besiegelt, denn dann fing sie der Graubart mit Hilfe seines Hundes lebendig, um sie an Liebhaber zu verkaufen.

Im Winter, wenn Mondschein war und Schnee die Erde deckte, war er keine Nacht zu Hause. Dann saß er im großen Torfbruch irgendwo auf der Lauer. Es war Ranzzeit, in der bald hier, bald dort ein Wolf seine Stimme zu einem schauerlich sehnsüchtigen Geheul erhob. Mit dem richtigen Tone antwortete ihm der Barescheeter ... Ich werde es nie vergessen, wie mich der Alte, der mich gut leiden mochte, zum erstenmal mit hinausnahm in die mondhelle Winternacht. Wir saßen in einem nicht sehr großen dichten Gestrüpp. Eine Stunde oder länger regte sich nichts. Es ist etwas Sonderbares um das lautlose Schweigen in der Natur. Es drückt auf das Gemüt, stärker als der laute Aufruhr der Elemente. Und nie ist das Schweigen tiefer, als in solch einer windstillen Mondnacht, wenn man das Blut in den Adern pulsieren hört ...

Ich schrak plötzlich zusammen, denn mein alter Freund ließ ganz unerwartet ein schreckliches Geheul ertönen. Nie hätte ich es für möglich gehalten, daß solche Töne aus einer menschlichen Kehle kommen können. Nach einer kleinen Pause kam aus weiter Ferne die Antwort. Nun entspann sich ein Duett, das nicht viele Menschen gehört haben dürften! Immer näher kam der Wolf und umkreiste das Dickicht, in dem wir saßen. Mißtrauisch blieb er außer Schußweite stehen, denn die Stimme, die ihm so deutlich der Minne Sold verheißen hatte, war verstummt. Doch endlich siegte das Verlangen über die Vorsicht; er kam geradenwegs auf uns zugeschnürt. Lange schon hatte der Barescheeter das Gewehr an der Backe. Jetzt krachte der Schuß ... mit unfehlbarem Erfolg.

Dann kam die Nacht, in der auch mir das Weidmannsheil beschieden war, meinen ersten Wolf zu erlegen. Ich hatte mich vergeblich damit abgemüht, dem Alten seine Kunst abzulauschen, meine Kehle reichte dazu nicht aus. So mußte denn als Lockmittel ein Pferdekadaver dienen, der auf einer kleinen Waldwiese ausgelegt wurde. Nicht weit davon stand ein mächtiger Haufen Streu, als Attrappe für die Lauerhütte, die sich darin befand. Ein einfaches Lattengerüst, das mit Waldstreu bedeckt war. Eine trichterförmige Schießscharte gewährte freien Ausblick auf den Kadaver. Auf der Rückseite war der Zugang durch ein mannshohes Streubündel geschlossen ...

Wie manche Nacht habe ich in der Lauerhütte über Cicero und Thukidides zugebracht. Eine feuersichere Laterne spendete Licht, die Schießscharte war mit einer Decke verhängt, der Boden mit Streu und einer alten Decke belegt. Von Zeit zu Zeit blickte man vorsichtig hinaus. In jener Nacht hatte ich in der zwölften Stunde meinen Vater abgelöst. Wir wußten, daß Wölfe im Revier waren, denn es waren schon mehrere Rehe gerissen, aber die Räuber waren stets weitergezogen ... Der Mond stand schon nicht mehr hoch über der niedrigen Tannenschonung am gegenüberliegenden Saum der Wiese. An dem hartgefrorenen Kadaver mühten sich schon stundenlang zwei Füchse, zerrten, nagten und knurrten sich an, wenn einer dem andern ins Gehege kam.

Ich hatte die Laterne gelöscht und saß im Anschlag. Noch eine halbe Stunde, dann war das Licht weg ... Da verhoffen die Füchse, im nächsten Augenblick sind sie wie der Blitz verschwunden. Ich spähe hinaus ... Da sitzt dreißig Schritt vom Kadaver der Wolf wie ein Hund auf den Hinterkeulen und wiegt den Körper hin und her. Endlich erhebt er sich und kommt näher. Eine Minute noch mußte ich meine Ungeduld zügeln, bis er mir die Brettseite bot. Dann machte ich den Finger krumm. Mit einigen Sätzen springt der Wolf davon. Hab' ich ihn gar in der Aufregung gefehlt? Doch nein, jetzt fängt er an zu wanken, noch zehn Schritt, dann wirft er um ...

Ohne Spurschnee ist der Jäger dem Wolf gegenüber machtlos. Wenn aber nach einem sanften Schneefall eine »Neue« Feld und Wald deckt, dann geht es schon im Morgengrauen hinaus, um das Raubtier einzukreisen. Ist es festgemacht, das heißt, hat man durch Umschlagen eines Jagens festgestellt, daß der Wolf hinein, aber nicht mehr hinausgewechselt ist, dann gehts, was der Gaul leisten kann, zur Oberförsterei. Dort hat man sich an solchen Tagen schon zur Treibjagd vorbereitet. Die Holzarbeiter gehen nicht in den Wald, sondern zur Oberförsterei, um die Meldungen der Grünröcke abzuwarten, die Holzrücker erscheinen mit ihren Schlitten, um die Lappen aufzuladen, aus der Stadt und von den Gütern kommen die Schützen, die der Reiz der seltenen Jagd lockt.

Oft wird vergeblich getrieben, nicht selten beeinträchtigt auch die Aufregung die Kunst des Schießens ... An unserer Wolfjagd pflegte sich auch ein alter Bauer einzufinden, der einen einläufigen Schießprügel von gewaltigen Dimensionen führte, die richtige Schrotspritze. Als Pulvermaß diente ihm eine der ovalen Streichholzschachteln, wie sie zu jener Zeit im Gebrauch waren. Das Schrot wurde in der gewölbten Hand abgemessen ...

Bei einer Jagd stand der Alte neben mir, das heißt er stand nicht, er saß auf einem niedrigen Stubben. Ich sehe ihn das Gewehr anlegen und losdrücken. In demselben Augenblick fliegt er rücklings hintenüber und wälzt sich im Schnee. Ich eile hinzu. Da steckt der Schuß auf dreißig Schritt vor ihm in einer dicken Kiefer. Ich zähle etwa dreißig Rehposten. »Aber Rosocha, hier sitzen dreißig Wolfshagel in der Kiefer.«

»Sehr schon, junger Herr, dann hat der Wolf die anderen alle.«

Der Wolf lag wirklich zehn Schritt davon im Dickicht, mausetot. Ja, mit solcher Ladung schoß man damals in der guten alten Zeit!

Weidmannsheil!


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