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Walfischjagd

Von J. C. Sörensen.

Die Sonne war längst aufgegangen. Sie hing irgendwo hinter der schweren grauen Wolkendecke, die sich im Laufe der Nacht zusammengezogen hatte. Man konnte wohl sehen, wo sie war, aber sie war nicht imstande, durchzudringen, nicht den feinsten Lichtfaden konnte sie zum Meer hinabspinnen. Der Himmel hing niedrig und schwer, wie ein trächtiger Bauch.

Hinter dem Schiff lagen die Felsen, wie ein hoher dunkler Streifen, von Nebel umgeben.

Das Boot lag scheinbar allein auf der schweren blaugrauen Fläche, die sich unter ihm krümmte, wie ein mächtiger Schild, wie ein unendlicher Rücken. Das Schraubenglied, das unermüdliche, arbeitete sicher und ruhig achterwärts.

Das Boot wiegte sich schwach, indem es so leicht vorwärts glitt wie ein tanzendes Kind.

Man hatte die Richtung geändert. Das Boot glitt südwärts, parallel mit der dunklen Küstenlinie.

Um das Boot herum herrschte Totenstille, eine seltsame, drückende Ruhe. Unten in der Maschine arbeiteten die Stempel mit pustendem Stöhnen. Der Hai Hai und Mester, beides Walfischjäger. stand und lauschte, Mester Hai und Mester, beides Walfischjäger. hatte sich im Laufe der Nacht offenbar geändert, er stand da unten und pfiff ein schmachtendes, schmelzendes Liebeslied, das er einst in seinen jungen Tagen gelernt hatte, als er an Land war, um das eingesegelte Kleingeld zu verjubeln.

Oben auf der Brücke mäßigt das Steuerrad sich hie und da in seiner trockenen verständigen Weise, ab und zu tritt der Rudergänger auf dem Boden des Kastens dort oben oder es klatscht fett in dem großen Speinapf auf. Hin und wieder sieht ein Kopf aus der Tonne am Fockmast heraus. Es ist der Mastwächter, der sitzt und wie ein wachsames Auge über das Meer hinausblickt.

Stunde auf Stunde verstreicht. Die Sonne kriecht höher und höher am Himmel empor. Man kann ihren Weg am Aufleuchten in der schweren Wolkenschicht genau verfolgen. Der Schütze rollt hin und her auf Deck, manchmal bleibt er stehen und streckt die Beine, oder er blickt zur Tonne empor oder über das Meer hinaus. Die Hände hat er in den Hosentaschen. Die Pfeife im Munde.

So verstreicht der Vormittag. Das Mittagessen wird gebracht und gegessen, Graupensuppe und gekochtes Fleisch. Auch das ist keine Abwechslung. Gestern waren es Erbsen und Fleisch. Morgen sind es wieder Erbsen. Übermorgen ist es Graupensuppe. Dann kommen wieder Erbsen und so weiter.

Als das Mittagessen besorgt ist, beginnt der Schütze wieder seinen Spazierweg auf Deck, hin und her. Zuweilen kraucht er in den Kommandoturm hinauf und durchspäht den Horizont mit dem Fernrohr, oder er bleibt vorn stehen und beginnt ein Gespräch mit dem Mann oben in der Tonne.

Ein paar Matrosen arbeiten irgendwo achter an der Reeling, manchmal lugt ein Kopf über Deck empor, bald hier und bald da, sieht einen Augenblick unmutig über die Meeresfläche hinaus, die so seltsam tot und träge daliegt. Dann verschwindet er wieder, mißvergnügt wie er auftauchte.

Von der unfruchtbaren Meeresfläche draußen her schleicht sich eine hoffnungslose Verstimmtheit auf das Schiff.

Das Boot arbeitet sich ständig südwärts und ein wenig östlich. Stets ist das Meer unfruchtbar und öde.

Der Nachmittag war schon angebrochen, als ein singender Ruf von der Tonne verkündete, daß ein Wal in Sicht sei. Das Schiff wurde gleichsam aufgerüttelt, und es erwachte. Eine Menge eigenartiger Laute wurden im selben Augenblick ringsum im Boot geboren. Der Schütze kam in den Turm hinauf und ergriff das Fernrohr, konnte aber nichts sehen, also kroch er den Mast hinauf. Er hing dort oben an der Wante wie eine Riesenspinne in ihren feinen Fäden. Einen Augenblick hängt er und schaukelt dort oben, sich vom Hintergrunde des grauen Himmels abhebend, dann hat er den Strahl entdeckt.

»Volldampf!« brüllt er zum Rudergänger hinab.

»Volldampf!« brüllt der Rudergänger weiter in die Maschine hinab.

»Volldampf!« ertönt es als Echo dort unten. Und das Boot bäumt sich, wie ein Pferd, das die Sporen bekommt, dann schießt es mit doppelter Geschwindigkeit über das Meer. Es hämmert und stöhnt in der Maschine, es zittert und bebt im Rumpf, und der Steven dreht sich langsam.

Der Schütze ist heruntergekrochen, er steht neben dem Hai oben auf der Brücke. Eine Viertelstunde verstreicht, dann können sie auch den Blost sehen, einen schwachen, undeutlichen Nebelfleck, der sich draußen in weiter Ferne über der Meeresfläche bildet. Noch einige Minuten, dann sehen sie auch die Rückenflosse des Tieres, wie ein winziges schwarzes Dreieck, das aufsteigt, ein Stück vorwärts gleitet und wieder versinkt, gleich hinter dem Blost.

Schnell gleitet das Boot näher, der Blost wird deutlicher, er formt sich draußen über der Meeresfläche zu einem kurzen dicken Dampfstrahle, der aus dem Meere aufsteigt und langsam fortgleitet und sich verstreut.

Dann gleitet der oberste Teil eines breiten, blanken Rückens durch die Wasserfläche hinter dem Blost vorwärts und verschwindet ruhig und friedlich und fast ohne Kielwasser zu hinterlassen.

Der Schütze ist vorausgegangen. Er untersucht die Kanone, hantiert an der Harpune und ordnet die fünfzehn Fäden Trosse, die vor der Kanone zusammengeschoben liegen. Hie und da erhebt er den Kopf und mißt den Abstand vom Wal. Wie ein Schlächter, der die Schlachtbank herrichtet, ein Büttel, der das Schafott ordnet.

Jetzt können sie deutlich den Ton des Blostes auf dem Boot hören. Es klingt wie ein langer schneidender Hauch, fast ein Stöhnen. Und ein Dampfstrahl wird in die Höhe geschleudert von einem kleinen schwarzen Fleck, der in der Oberfläche des Wassers aufsteigt und zum Vorschein kommt, dann taucht der Fleck unter, und die Rückenflosse hebt sich, etwas weiter zurück, so hoch, daß der Rücken des Tieres zum Teil sichtbar und unter ihr entblößt wird wie ein runder dunkler Schimmer, der mit ein paar langen zögernden, ruckartigen Bewegungen durch das Wasser vorwärtsgleitet, die Flosse beugt sich vornüber, abwärts, und das Tier verschwindet.

Das Boot ist jetzt dem Walfisch ganz nahe, der es gar nicht zu bemerken scheint. Er geht ruhig und bedächtig in der Wasseroberfläche auf und ab, bald mehr, bald weniger eilig. Es ist dem Wasser nichts Ungewöhnliches anzumerken, aber das Tier muß doch in der Oberfläche des Wassers Futter finden, denn es nimmt offenbar seine Mittagsmahlzeit ein. Es liegt und schwimmt hin und her auf einem begrenzten Fleck. »Halbdampf«, kommandiert der Schütze. Und das Boot geht von Galopp in Trab über.

Der Schütze mißt den Abstand zum Wal ein paarmal mit den Blicken.

»Langsam«, kommandiert er und der Lärm in der Maschine hört fast völlig auf. Das Boot geht aus Trab in Schritt über.

Der Wal scheint die Gefahr nicht zu ahnen, die sich nähert. Vorläufig ist er unten, aber er sah ganz ruhig und gleichmäßig aus, als er das letztemal oben war. Und da ist er wieder, keine zwanzig Faden vor dem Steven.

»Ganz langsam«, flüstert der Schütze.

»Ganz langsam«, flüstert der Rudergänger.

»Langsam«, lautet das Echo in der Maschine.

Vorsichtig und ängstlich arbeitet die Maschine dort unten. Das Boot schleicht sich fast lautlos an seine Beute heran.

»Stopp«, flüstert der Schütze. – »Stopp«, flüstert der Rudergänger. – »Stopp«, ertönt es aus der Maschine.

Der Schütze hat die Kanone herausgeschwenkt. Er hat seine kurzen Zirkelbeine doppelt so weit auseinander gespreizt wie sonst, und er hat den Finger auf dem Abzug.

Da, gerade als er den Schuß abbrennen will, macht der Walfisch eine blitzschnelle Wendung, der sonst so unbewegliche Körper überschlägt sich im Wasser, nach der dem Boote entgegengesetzten Richtung und taucht unter, mit der Rückenflosse auf die Kanone deutend. Und da, im selben Augenblick sah der Hai, daß es nicht eine, sondern zwei Rückenflossen, nicht ein, sondern zwei Rücken waren. Ein kleines Junges, eine getreue Kopie des alten, ging neben ihm.

Der Schütze hat die Kanone draußen festgeschraubt und das Rohr herausgezogen. Er sah an der Richtung der Walfische beim Untertauchen, daß sie tief gingen, und er weiß, daß jetzt wenigstens zehn Minuten verstreichen werden, ehe sie sich wieder zeigen. Denn im übrigen kann ihm der Hai ansehen, daß er nicht allzuviel Hoffnung macht, den Wal zu kriegen. Er hat sich draußen bei der Kanone umgedreht und blickt kopfschüttelnd zum Hai empor. Der Rudergänger erzählte ihm außerdem, daß es fast immer eine zweifelhafte Sache ist, einen Fisch vor den Schuß zu kriegen, der Junge hat. Dies ist außerdem ein Köhlerwal, und also ein kleiner und flinker Fisch.

Es zeigt sich denn auch, als der Walfisch wieder auftauchte, daß er die Gefahr entdeckt hat und äußerst scheu ist. Ein Walfisch, der Mutter ist, ist doppelt vorsichtig. Er kennt seine Verantwortung; um keinen Preis wird der Fisch sich mit diesen merkwürdigen flachen Tieren einlassen, die sich ständig aufdrängen und zischend angestürzt kommen, sobald er und sein Junges sich zeigen. Ein Stunde lang tanzt der Schütze draußen bei der Kanone auf Eiern. Er frischt alle Kniffe auf, erinnert sich all der Zufälle, die er im Laufe der vielen Jahre, in denen er die Walfischjagd betrieben, erlebt hat. Aber alles vergebens. Er kann ja leider nicht mehr als einen Kniff auf einmal anwenden, und er wählt immer den verkehrten.

Das Boot schwänzelt herum und herum, bald nach rechts und bald nach links, wie ein junger Hund, der nach seinem Schwanz umherjagt. Es stöhnt und pustet, zittert und äschert sich ab, aber nichts hilft. Die Walfische tauchen an den erstaunlichsten Stellen, und immer in geziemendem Abstand vom Boote auf und ab. Seite an Seite heben sie sich in der Oberfläche des Wassers und tauchen wieder unter wie zwei Holzklötze, ein großer und ein kleiner, die aneinandergeleimt sind. Erst kommt die Rückenflosse der Mutter in die Höhe, dann die des kleinen, weit unten neben der Mutter. Sie haben genau dieselbe Richtung und dasselbe Tempo und beschreiben genau denselben Bogen über dem Wasser, der große Wal einen großen Bogen, der kleine Wal einen kleinen Bogen. Sie blasen zur selben Zeit, sie gleiten mit genau demselben Ruck vorwärts und tauchen zu genau derselben Zeit und mit derselben Senkung unter. Es würde geradezu lächerlich aussehen, wenn die Situation nicht so ernsthaft wäre. Denn es ist ja gewiß, einmal erfüllen die Pfiffe und Kniffe des Schützen ihren Zweck, einmal kommt der Augenblick, und dann ist der Tod da, ehe der Schütze selbst Zeit findet, mit der Wimper zu zucken.

Vorläufig war für das Boot weiter nichts zu tun, als fortwährend herumzufahren und sich zum Narren halten zu lassen.

Ja, denn es konnte durchaus den Eindruck machen, als ob die beiden freien Geschöpfe draußen das Boot ein bißchen zum besten hielten und sich damit amüsierten, den klobigen, zischenden Satan, der ihnen nachjagte, an der Nase zu führen. Besonders der kleine konnte wohl aussehen, als ob er sich ein bißchen lustig machte. Das kam vielleicht daher, daß es so putzig aussah, wie er jede einzige Bewegung der Mutter so genau nachmachte. Es war wie ein elegantes Spiel, den großen geschmeidigen Wal und dann das kleine altkluge Junge zu sehen. Es war, als hätte ein Teil des mächtigen launischen Meeres organische Form angenommen und spielte draußen.

Der Hai hielt es mit ihnen, absolut und entschieden. Er war selbst ein eifriger Jäger, und er war blutdürstig wie ein Kannibale gewesen, als sie auf den Wal stießen. Aber seit dem Augenblick, als er das Junge an der Seite des Alten gesehen hatte, daß es zwei und daß das eine so ein kleines, putziges und gehorsames Ding war, hielt er es absolut mit denen da draußen. Die Vorsicht des Alten, und der unbedingte Gehorsam und das Vertrauen des Jungen hatten ihn wohl gerührt.

Unten auf Deck hörte er die Leute stehen und miteinander sprechen. Sie amüsierten sich über das kleine putzige Tier, das mit so prächtiger Meisterschaft alt tat. Und er konnte es am Tonfall ihrer Stimmen hören, daß diese barschen gedankenlosen Männer von der Sorgfalt des großen und dem Gehorsam des kleinen Wales ergriffen waren. Nicht viele hielten es mit dem Schützen, wenn er es überhaupt im ganzen genommen mit sich selbst hielt. Er stand so seltsam und hantierte an der Harpune, als ob er seines Postens nicht recht froh werden könne. Dem Hai schien es, als hätte der Mann sich gegen vorhin verändert, und er bildete sich ein, daß die Veränderung immer größer würde. Es war nicht der Appell in seinen Orders wie vorher.

Es war kein rechter Eifer in seinen Bewegungen. Er sah aus, als sei er halbwegs verstimmt über das Ganze, als wäre er geradezu im Begriff, die Geschichte aufzugeben.

Es war wohl richtig, er hatte dasselbe Gefühl wie die anderen, daß es ihm leid täte, wenn dieses Vertrauen draußen getäuscht würde. Weshalb, weshalb. Ja, es wäre geradezu naturwidrig, wenn dieser Gehorsam bestraft werden sollte. Was hier geschehen sollte, war ja ein verkehrter Eingriff des Menschen in die Ordnung der Natur. Der todbringende Schuß würde nicht nur den Walfisch draußen töten, das wäre das wenigste, nein, er würde die Begriffe dieser Menschen von Recht und Unrecht in ihren tiefsten Wurzeln verletzen; denn er würde das Gesetz verhöhnen, das alles höhere Leben möglich macht, das Gesetz, das früher oder später das Leben jedes Geschöpfes bedingen wird, den Gehorsam gegen die Eltern. So wurzelfest und notwendig war also dieses Gesetz, daß eine Enttäuschung eines kleinen jungen Wales diesen kalten nüchternen Menschen ins Herz schneiden würde.

Und wie es gehorchte, das Kleine, wie es sich an die Mutter herandrückte und ihr folgte, als wäre es nur eine Knospe an ihrer Seite. Es vergnügte sich wohl nicht, auch wenn es so aussah. Furcht und Gehorsam veranlaßten es wohl, seinen Platz festzuhalten, ohne einen Zoll breit zu weichen. Seine Mutter hatte es wohl gelehrt, sich in acht zu nehmen, wenn ein größeres vor ihm Kapriolen zu machen begann. Er hatte Erziehung, der Lümmel da, besser als manches Menschenjunge. Keiner hatte versucht, ihm das Leben zu verscherzen, indem er ihn der ersten aller Lebensbedingungen beraubte, des Gehorsams.

Wie sie da draußen gingen, diese beiden, Seite an Seite, sicher und unweigerlich dem Gesetze folgend. Hier ließ sich eine prächtige Freiluftschule eröffnen für alle untauglichen Eltern und schwachen Tanten, die die Nachkommen verdarben, indem sie sich selbst vor ihren Augen schamlos um und um kehrten. Sie verzogen die Kinder, statt sie zu erziehen. Sie machten sich klein und schwach, statt sich groß und stark zu machen. Sie rotteten ja systematisch allen Respekt aus, als ob sie nicht sehen könnten, als ob sie es nicht alle Tage sähen, daß der Mensch nicht zu leben vermag, ohne vor irgend etwas Respekt haben zu können, – geschweige denn ein Kind.

» Go on«, sagte der Schütze. Er hatte die Kanone festgeschraubt und seine Pfeife angezündet; jetzt kam er langsam nach achter geschlendert.

»Na«, fragte der Hai und beugte sich über das Geländer der Brücke. Der Schütze blieb stehen und sah empor; war es Einbildung oder hatte sein Blick wirklich etwas Unsicheres! Dann spähte er zu den beiden hinaus, die noch draußen gingen, einer neben dem anderen, wie zuvor, »Es ist so ein kleiner, magerer«, sagte er und zuckte die Achseln.

Der Hai nickte.

»Machen wir nun, daß wir weiter südwärts kommen«, rief der Schütze zum Rudergänger hinauf. – »Wir haben ja auch gar keine Zeit, hier zu liegen und umherzutorkeln!«,

*

Eine Stunde darauf bekamen sie einen anderen Wal in Sicht, einen riesengroßen Finnenwal von gegen achtzig Fuß. Er lag fast still draußen und schwamm hin und her, dann ging er weiter, aber unendlich langsam und gemächlich.

Sie kamen hurtig an ihn heran, er schien das Boot nicht zu beachten oder zu sehen, schwamm nur immer da unten herum und blies in seiner majestätischen Art.

Denn er sah geradezu majestätisch aus, wie er sich da erging und seine mächtigen Strahlen in die Höhe blies, als wäre ihm alles gleichgültig. Er bewegte sich draußen im Meere, wie ein Bauer, der sein Feld bestellt, wie ein König, der sein Reich verwaltet. Er war so überaus imponierend zähe und langsam in seinen Bewegungen. Nichts kümmerte ihn, und er hatte niemals und mit niemand Streit gehabt.

Der Hai glaubte zuerst, es wären zwei Tiere, so groß war der Abstand zwischen der Dampfsäule und der Rückenflosse, und so lange dauerte es, bis die Rückenflosse unterging, nachdem sich der Strahl gezeigt hatte. Jedesmal, wenn der Wal atmete, gab er einen schneidenden Laut von sich, der die Luft weit über das Meer hinaus erbeben machte.

»Das ist ein schlimmer Bursche«, sagte der Schütze, indem er zur Kanone ging. »Dem muß mans gut in die Mitte geben.« Das Boot schießt vorwärts, auf den Koloß zu. Der Schütze hat Trosse und Harpune nachgesehen, jetzt steht er draußen neben der Kanone mit der kurzen Pfeife im Munde. Das Tier erscheint dem Hai immer größer, immer imponierender, je näher sie ihm kamen.

»Langsam«, kommandiert der Schütze.

»Langsam«, gibt der Rudergänger die Order in die Maschine weiter.

»Langsam«, ertönt es dort unten. Und das Boot verlangsamt seine Fahrt.

»Ganz langsam«, lautet die Order des Schützen draußen.

»Ganz langsam«, gibt sie der Rudergänger weiter.

»Ganz langsam«, antwortet es in der Maschine. Und das Boot verminderte seine Geschwindigkeit noch mehr.

Der Schütze mißt den Abstand vom Wal. Der hat eben geblasen und liegt draußen wie ein schwerer sinkender Schimmer.

»So leise wie möglich«, sagt der Schütze. Und die Order geht von der Brücke aus weiter.

»Leise wie möglich.«

»Wie möglich«, antwortet der Maschinist dort unten.

Der Walfisch ist gesunken. An der Stelle, wo er sank, sah es aus, als ob die Meeresfläche ein großes, faseriges Loch bekommen hätte. Schnell läuft das Wasser zusammen und füllt das Loch aus.

»Stopp«, sagt der Schütze. – »Stopp«, sagt der Rudergänger.

»Stopp«, antwortet der Maschinist.

Jeder Laut im Boot stockt, und langsam und unhörbar gleitet es vorwärts zu dem großen, ölartigen Fleck, der die Stelle angibt, wo der Walfisch gesunken ist.

Der Schütze revidiert noch einmal die Kanone und folgt mit seinem Blick der Trosse über das Deck und das Spill. Dann klopft er die Pfeife neben der Kanone aus, stopft sie und zündet an.

Es verstreicht eine Viertelstunde. Das Boot gleitet totenstill vorwärts und bewegt sich immer schwächer.

Dann ertönt ein kräftiges Pusten achterwärts, wo man es am allerwenigsten erwartet hätte. Der Schütze schnurrt in einem Nu herum.

» Go on!« brüllt er. Einen Augenblick lang zappelt die Schraube draußen wie ein eigensinniges Kind. Die Stempel der Maschine hämmern. Dann schießt das Boot vorwärts.

»Links, links«, ruft der Schütze und demonstriert die Richtung mit heftigen Bewegungen der ganzen einen Seite seines dicken Körpers. Der Rudergänger wirbelt das Steuerrad herum. Und das Boot schwenkt.

Die Schraube hat jetzt ihren Willen bekommen. Sie mahlt herum und herum, so genau wie ein Uhrwerk. Man hört es ihrem zufriedenen Knaupeln im Wasser an, daß sie mit inniger Freude in ihrer Arbeit aufgeht. Das Schiff zittert und stöhnt.

Dann bläst der Walfisch zum zweiten Male. Das Boot hat die Schwenkung vollführt.

»Zu«, ruft der Schütze und stößt beide Arme über seinem Kopf in die Höhe.

Das Rad wirbelt zurück. Das Boot stürzt geradeaus. Der Wal sinkt.

Die Stempel klappern mit forcierter Hast vorwärts. Die Pfeife des Schützen ist verschwunden. Der Mann steht mit gespreizten Beinen draußen, über die Kanone vorgebeugt. Es sieht aus, als wäre er an dem Eisen festgewachsen.

Dann taucht der Wal zum dritten Male auf. Aber er ist so groß, und seine Bewegungen sind so lang, daß das Boot zu weit zurückgeblieben ist. Es jagt vorwärts wie ein eifriger Köter, kann den Wal aber nicht erreichen.

Der Schütze spreizt die Beine noch einmal so weit auseinander wie vorher. Er sieht aus, als wolle er jeden Augenblick schießen. Dann sinkt der Wal zum dritten Male und taucht auf den Grund.

»Stopp«, brüllt der Schütze rasend. Dann schraubt er die Kanone fest, holt die Pfeife hervor und steckt sie an. Seine Hand zittert, daß das Streichholz erlischt, und er muß ein neues anstreichen.

Wieder zieht sich die Zeit hin, während das Boot langsam vorwärtsgleitet und die Maschine zu arbeiten aufhört. Ein paarmal muß sie in Bewegung gesetzt werden und die Schraube ein paar Schläge tun, damit das Boot nicht ganz still und schwer daliegt, wenn der Wal wieder auftaucht. Alle spähen über die Meeresfläche hinaus, sie scheint so seltsam leer und tot und doch gespannt und furchtbar.

Der Wal kann zu jeder Zeit und an jeder Stelle auftauchen. Plötzlich kommt Leben in den Mann oben in der Tonne. Er sitzt so hoch, daß er tief ins Wasser hinabsehen kann.

»Er kommt, er kommt«, heult er und fuchtelt mit den Armen über dem Tonnenrande.

»Wo, wo«, ruft der Schütze, während er blitzschnell die Kanone losschraubt und gleichzeitig zur Tonne emporblickt. Die Schraube sitzt tief unten, die Tonne hoch oben. Die Stellung des Schützen sieht fast gefahrdrohend aus. Dann ist die Kanone locker.

»Da, da«, brüllt der Mann oben in der Tonne und fuchtelt weiter nach der rechten Seite zum Wasser hinab.

Der Schütze starrt auf die Wasserfläche, sieht aber nichts.

– Ja, da ist er. Wie eine große fette Riesenseifenblase steigt das Tier durch das Wasser empor, langsam und regelmäßig, als würde es von einem Stempel schräg emporgehoben, vorwärts und aufwärts.

» Go on«, flüsterte der Schütze. Seine Stimme ist heiser vor Gemütsbewegung.

Das Boot jagt vorwärts, kann aber nicht mitkommen. Der Walfisch geht immer schräger vorwärts, je höher er hinaufkommt. Nun ist er an der Oberfläche des Wassers. Sein Kopf taucht vorn wie ein großer flacher Schimmer auf und schleudert die Wassersäule in die Höhe, daß es klingt, als würde aus einem lecken Kessel plötzlich der Dampf herausgeschleudert, dann sinkt der Kopf und die Rückenflosse steigt in die Höhe, gleitet vorwärts und sinkt zuletzt ebenfalls.

Der Schütze weiß nicht, auf welchem Bein er stehen soll. Er baumelt mit der Kanone, als wäre sie ein Wetterhahn. Das Boot geht immer schneller. Es hat jetzt alle Karten in der Hand, da es so nahe war, als der Walfisch zum ersten Male auftauchte. Aber trotzdem gelingt es ihm nicht, sich neben ihm zu halten, als er zum zweiten Male auftauchte.

Der Schütze flucht und sieht aus, als wäre er unartig gewesen. Der Walfisch sinkt.

Das Boot hat nun seine volle Geschwindigkeit wieder erlangt, es stürzt über die Meeresfläche, als hätte es Flügel. Jetzt passiert es die Stelle, wo der Walfisch sank und fährt weiter. Taucht der Walfisch zum dritten Male auf, so ist er des Todes.

Da kommt er, gerade vor dem Steven. Jetzt bricht er durch die Meeresfläche und bläst, daß es wie Regen auf den Schützen und die Kanone hinabrieselt.

Der Schütze winkt. Das Boot macht eine Biegung und schwenkt zur Seite. Der Kopf des Wales taucht unter, und sein Rücken steigt in die Höhe, keine zehn Faden seitwärts vor dem Steven.

Der Rücken des Schützen zuckt krampfhaft. Er krümmt sich ein paarmal zusammen und dehnt sich wieder wie ein Tintenfisch auf dem Sprung. Dann wird er plötzlich starr und steht fest wie ein in den Steven gehämmerter Pflock. Ein Krachen. Einen Augenblick sieht man die herausgeschleuderte Leine in der Luft hängen wie eine singende Spirale. Dann treibt eine weiße Rauchwolke über dem Steven wie ein giftiger Atemhauch und verbirgt alles.

Die Trosse fällt draußen platschend hinab. Der Wal gleitet weiter und sinkt ruhig und sicher, wie er stieg. Das Meer ist wieder leer. Die Maschine stoppt. Das Boot gleitet ruhig über die Wasserfläche, wie eine Giftschlange, die gebissen hat und das Resultat abwartet. Dann ertönt ein Krachen dort unten, wo das Tier sank, ein dumpfer, splitternder Knall, wie von einer unterseeischen Explosion. Die Granate explodiert.

Einen Augenblick ist es still, totenstill auf dem Bord und draußen auf dem Meere. Plötzlich ertönt ein Kreischen. Ein schneidendes, schmetterndes Kreischen. Es kommt nicht draußen vom Meere her, es kommt aus dem Boote selbst und ist ein ganz neuer Laut. Er kommt draußen vom Steven, fährt über das Deck, über das Spill und poltert in den Lastraum hinunter, wo die Leine aufgestapelt liegt. Die Leine ist lebendig, oder richtiger, sie ist unsichtbar geworden, so schnell wird Faden auf Faden der dicken fünfzölligen Trosse aus dem Schiff heraus und über den Steven gerissen, in einem einzigen blitzschnellen Ruck. Einen Augenblick stockt das Kreischen. Die Trosse liegt wieder über dem Deck, als hätte sie sich nicht gerührt. Dann wird sie wieder in einem rasenden Kreischen gespannt, wird zu einer Saite, die mit unendlicher Geschwindigkeit schwingt. Der Walfisch ist festgeschossen und sinkt zum Meeresgrund hinab, mit kolossaler Geschwindigkeit, als wäre er ein Senkblei.

Ja, so ist es im ersten Augenblick. Aber der Druck der Wassermasse ein paar hundert Faden draußen im Meere ist kolossal. Die Zwischenräume werden immer größer. Immer langsamer wird das Zerren. Man kann jetzt beinahe die Trosse mit den Augen verfolgen, wenn sie ausläuft. Es klingt nicht mehr, als ob ein Tier in Todesangst schreit. Die einzelnen Laute sind voneinander zu unterscheiden, das Aufklatschen der Leine auf Deck und ihr Reiben an den eisernen Walzen des Spills.

An die zwanzig Minuten sind jetzt vergangen, seit der Schuß fiel, und von der dreihundert Faden langen Trosse sind nur an die zwanzig übrig. Dann taucht der Walfisch weit vorn auf, eine mächtige Blutwolke in die Höhe blasend.

»Er hat ein Granatstück in die Lunge bekommen«, erklärt der Schütze, der jetzt achter kommt. – »Also ganz in die Hölle kann er uns jedenfalls nicht schleppen.«

*

Der Hai und der Schütze standen oben auf der Brücke und untersuchten die Situation durch ihre Ferngläser. Der Walfisch ging draußen in der Oberfläche des Wassers vorwärts, so weit die Leine reichte, und blies. Er hatte bei der Fahrt in die Tiefe den Atem verloren und schwamm nun und sammelte Kräfte und blies Blutwolke auf Blutwolke über das Meer empor. Er bewegte sich im Wasser vorwärts, wie jeder andere Wal, vielleicht ein wenig schwerfälliger.

Der Schütze hatte einige Orders herunter gerufen, und die Maschine war für das Nachspiel instand gesetzt worden. Dann hatte der Wal die Leine straff gezerrt und begann zu ziehen.

Das Boot bekam einen Ruck, und die Leine wurde über Deck gespannt. Der Steven beugte sich zum Wasser hinab, als ob das Schiff sich vor seinem Gegner draußen verneigte. Dann begann die Jagd über das Meer. Einen Augenblick dauerte es, ehe das Boot richtig in Gang kam. Dann schoß es vorwärts, als würde es von einem Schleppboot geschleppt.

Der Schütze rief eine Order in den Maschinenraum hinab, und das Boot begann langsam rückwärts zu gehen. Die Stempel begannen zu arbeiten. Die Schraube platschte herum. Das Boot setzte sich mit dem Achterende tiefer ins Wasser und erhob den Steven. Es wehrte sich, aber das half nichts. Es ging immer heftiger vorwärts.

Der Wal arbeitet draußen. Er ist ständig kurzatmig und pustet klagend, daß es weit über das Wasser tönt. Er erhebt sich höher als zuvor und rollt vornüber.

Der Schütze verfolgt oben vom Turm aus aufmerksam jede seiner Bewegungen. Das Tier wendet ihnen den Rücken zu. Sein großer Körper schneidet sich bei jeder Vorwärtsbewegung wie eine breite, stumpfe Eiche hoch aus dem Meere heraus. Ganz deutlich zeigt es die fürchterliche Wunde in der Seite, aus der die Trosse herabhängt. Nicht das kleinste Stückchen ist von der Harpune zu sehen, sie ist vollständig im Körper des Tieres verborgen.

»Vollkraft back!« kommandiert der Schütze, als er gesehen hat, wie gut die Harpune sitzt. Die Maschine verdoppelt ihre Arbeit. Der Stempelschlag wird klar und scharf, er tönt wie schwerer, taktfester Hammerschlag von dort unten herauf.

Die Schraube wirbelt mit verdoppelter Eile herum, versucht zähneknirschend sich im Meere festzubeißen, sich herunterzuwirbeln. Das Boot setzt sich schwer in die See, der Steven hebt sich ein bißchen. Aber das nützt alles miteinander nichts. Der Koloß draußen setzt nur um so mehr Kraft ein und seine Bewegungen verstärken sich gleichmäßig und sicher.

Die Maschine arbeitet, pustet und stöhnt, die Schraube wirbelt hinter dem Schiffe in ohnmächtiger Raserei herum. Der Schiffskörper knirscht und kracht, als sollte er in der Mitte auseinandergerissen werden. Die Leine steht stramm gespannt über dem Vorderteil und schräg im Wasser hinab.

Das Wasser schäumt vor dem Bug und wirbelt an den Bootswänden entlang. Der Walfisch draußen ist offenbar im Begriff, zu Kräften zu kommen, er bläst seltener als vorher und nicht so stöhnend. Die Atemsäulen sind nicht so blutig wie zuvor. Er hat seinen Gegner entdeckt und ist entschlossen, zu kämpfen. Er schießt nun vorwärts und hinterläßt ein breites Kielwasser, rotgefärbt von dem Blute, das aus seiner Wunde strömt.

Er begreift nicht, daß jeder einzige Schlag seines Schwanzes verlorene Mühe ist. Er preßt sich so hoch wie möglich, spannt die Muskeln seines Körpers und geht über das Meer vorwärts, blind und gewaltsam. Das Boot schleppt ihm mit guter Geschwindigkeit nach, während die Schraube im Wasser herummahlt wie ein wütender kleiner Köter, der über einen Bürgersteig hingezerrt wird. So verstreicht eine Stunde und noch eine Stunde.

Dies ist unbegreiflich und kolossal. Ja, es ist gar nicht zu verstehen, eine solche Riesenkraft in einem zu Tode verwundeten Tier.

Dies ist kein Kampf, es ist Meuchelmord. Hätte das Tier draußen außer seiner Kraft ein bißchen Intelligenz, dann hätte es das Boot hier schon längst zu Splittern und Eisenspänen zerdrückt. Aber es kennt seine eigene Kraft nicht und weiß nicht, wie man kämpft, deshalb jagt es über das Meer vorwärts wie ein scheuer Hirsch.

Wie muß die Harpune nicht in seinen Eingeweiden nagen, die von der zersprengten Granate zersplittert sind.

Der Walfisch bläst nun völlig rein. Die Blutung in seiner Lunge hat aufgehört. Er ist jetzt auf der Höhe seiner Kraft. Das Wasser um das Boot ist von seinem Blute gefärbt.

Es steht einfach gar nicht in der Macht eines Menschen, sich die Kraftentfaltung vorzustellen, die dazu gehört, einen Dampfer von zwanzig Tonnen Gehalt, der in den eigenen Eingeweiden Anker geworfen hat, zwei Stunden durch das Meer vorwärts zu schleppen, mit einer Geschwindigkeit von mehreren Meilen in der Stunde, trotz einer Dampfmaschine, die ununterbrochen mit zweihundert Pferdekräften zurückgeht, und trotz eines Blutverlustes von mehreren Tonnen.

Geradezu lächerlich ist es, ein gut ausgerüstetes Stahlschiff von einem einzelnen Tier über das Meer gefahren zu sehen. Die mächtigen, dröhnenden Atemzüge draußen tönen überlegen-prachtvoll, wie ein Hohn auf die eiligen Schläge der Maschine und den Wirbel der Schraube.

Es ist die höchste Kraftentfaltung des Lebens, die gegen Menschenklugheit und Menschenschlauheit von Jahrtausenden kämpft. Es ist Fleisch und Blut im Kampf gegen Stahl.

Zwei Stunden dauerte der Kampf, und solange er währte, mochte niemand an Bord richtig den Mund auftun.

Ständig hämmern die Stempel, ständig mahlt die Schraube. Die Ofentüren werden auf und zu geschlagen. Der Scheiterhaufen wird erneuert, die Kessel werden gefüllt. Doch wer ersetzt das Blut, das da draußen aus der Wunde lief, wer ersetzt die zermarterten Nerven.

Aber das Boot ist Stahl und nur Stahl. Es hat weder Herz noch Nerven, es atmet Kohlen und hat kein Blut, es hat kein Gefühl, es kennt keine Müdigkeit, keine Angst, keinen Schmerz, keine Wut. Es mahlt nur mit der Schraube herum, mahlt und mahlt. Es sitzt aufrecht in der See und mahlt, und es kann acht Tage lang so sitzen und mahlen. Dieses kleine verdammte Stahlgeschöpf, das seine eiserne Klaue in das Tier draußen geschlagen hat, kann nicht aufgeben und kann nicht müde werden. Es muß siegen in diesem Kampf, der kein Kampf ist.

Und der Sieg kommt, langsam und sicher. Der Wal arbeitet schwer und gewaltsam. Die Hälfte des großen Riesenkörpers wälzt sich über das Meer empor, jedesmal wenn er anzieht und vorwärtsgeht. Ständig schäumt das Blut aus der fürchterlichen Wunde, welche die Harpune in die Seite des Tieres gerissen hat. Die enorme Arbeit und der Blutverlust ermüden es. Es taumelt draußen, schwankt. Die Bewegungen werden langsamer, hören auf. Das Boot hält sich nun auf demselben Fleck. Das große Tier wälzt sich hilflos in der Meeresfläche. Noch zieht es, aber in schwachen, kurzen, zwecklosen Stößen.

Der Stahl der Maschine schlägt scharf und taktfest dort unten, hart und klangvoll wie zuvor. Es ist ein Stahlherz, das leidenschaftslos und unbarmherzig schlägt.

Das Mahlen der Schraube wird ruhig und sicher, man hört, daß sie im Begriff ist, sich festzubeißen. Der Wal draußen stöhnt und pustet wie ein undichter Blasebalg. Jetzt schleudert er aus dem Blasloch nicht allein Luft empor, sondern die Körperwärme selbst, die er in seiner Not und seinem Elend von sich gibt. Er taumelt in der Oberfläche umher, wild und eingeschüchtert, bald nach rechts und bald nach links. Aber er kommt nicht vorwärts, er wirft sich fast aus dem Wasser heraus und torkelt wie ein betrunkener Mann. Das hilft alles miteinander nichts. Das Meer ist ihm verschlossen, wohin er sich auch wendet; das kleine unbarmherzige Stahltier hat sich mit seiner wirbelnden Eisenschraube im Meere festgebohrt, die Leine gibt nach, der Walfisch wälzt sich draußen, schwindelig vom Blutverlust, zischend vor Atemnot, gequält von Schmerzen.

Das Boot hat gesiegt, die kleine unermüdliche Eisenschraube hat gesiegt, langsam schraubt sich das Boot zurück, den Walfisch rückwärts an der Leine nachziehend wie einen erschöpften Hund.

»Halb-Kraft«, kommandiert der Schütze. Der bebende Stahlschlag der Maschine verlangsamt sich, wird ruhig, überlegen. Hier gibt es ja nichts zu jagen, nur noch ein wenig gewartet, dann geht alles von selbst. Der Wirbel der Schraube wird langsamer, nicht weil sie müde ist, sondern weil sie gesiegt hat.

Aber das arme Geschöpf da draußen hat die Order nicht gehört. Das Tier vor dem Steven hat selbst gefühlt, was es heißt, müde werden, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben. Jetzt merkt es plötzlich, daß es die Hälfte seiner Bürde losgeworden ist; vielleicht ist das unbarmherzige Tier, das ihm seine Klauen in den Leib geschlagen hat, auch müde geworden. Der Walfisch ist matt, abgeäschert, aber er meint die Rettung zu sehen. Er rafft sich zum letzten Male auf, sammelt all die kleinen Restchen seiner Kraft, die sein großer Körper etwa noch enthält.

Er geht wieder vorwärts, oh, lieber Gott, was für ein jämmerlicher Anblick. Er baumelt und schwankt. Das Boot läßt sich gutmütig schleppen, von der Schraube her ertönt ein neuer Laut, fast als ob sie lache. Dann ist Schluß. Der große Koloß draußen sinkt zusammen wie ein Lappen.

Und das Spill beginnt zu arbeiten. Das große eiserne Rad bewegt sich langsam herum, holt Faden auf Faden des Taues herein, während die eisernen Zähne der Räder rasseln und klappern. Der Walfisch wird geschleppt, das große prächtige Tier wird Faden für Faden zum Boote herangeholt. Es schlägt mit dem Schwanze draußen, es pustet beleidigt und schielt hie und da zum Boote zurück, als wolle es nicht glauben, daß es wahr sei.

Der Walfisch ist morsch und müde, wie ein Pferd, das man mürbe geritten hat. Immer wieder erhebt er den Schwanz gegen das Boot wie in gerechtem, aber ohnmächtigem Protest.

Faden für Faden wird die Trosse über den Steven und das Spill hinauf geholt. Der Schütze steht weit draußen und dirigiert. Sein Blick ruht auf dem Tiere, das näher gleitet, stets mit dem Schwanz nach vorn. Er erhebt die Hand, wenn angezogen werden soll und senkt sie, wenn das Spill stehen soll.

»Stopp«, sagt er und springt von der Plattform hinab. Die Trosse wird festgemacht und der Schütze geht nach Achter. Zwei Mann haben die Taue gelöst, mit denen der Prahm in seinen Davits aufgehißt ist. Ein dritter liegt auf den Knien auf Deck und hämmert an der Lanze.

»Laßt den Prahm los«, sagt der Schütze. Und das Fahrzeug plumpst ins Wasser. Die beiden Männer springen in die Jolle hinein, lösen die Taue und ergreifen die Ruder.

Der Schütze zieht die Stiefel von den Füßen, wirft die Jacke ab, ergreift die Lanze und folgt ihnen.

»Abstoßen«, sagt er. Da, im selben Augenblick, springt der Hai ins Boot hinab.

»Na, schön«, sagt der Schütze. – »Ja, Sie tragen natürlich selbst die Folgen, falls etwas passiert.«

»Selbstverständlich«, sagt der Hai.

»Also abstoßen«, sagt der Schütze, und der Prahm rudert rasch davon, um den Wal völlig umzubringen.

Der Walfisch wird gelanzt.

Der Wal taucht draußen auf und ab, zwecklos, geistesschwach. Gequält und stöhnend wälzt er sich, ein eingeschüchtertes, erschöpftes, gebundenes Tier.

Das Boot nähert sich schnell, es hat keine hundert Faden zu rudern. Die beiden Männer arbeiten gewaltig an ihren Rudern, um ihre Mannheit so recht zu zeigen, denn drinnen auf dem Schiff steht die übrige Mannschaft und verfolgt gespannt die Fahrt des Lichters.

Ein paar Minuten verstreichen, der Prahm rudert davon. Denn das kleine flache Schiffchen, das eigentlich einem großen Holzschuh gleicht und sich kaum halten kann, rudert wirklich aus, um mit dem Walfisch anzubinden.

Das Kunststück ist noch dazu nicht so schwer. Es ist die alte Geschichte von David und Goliath. David mit der Schleuder und dem Stein, und Goliath mit der dicken, dummen, prahlerischen Stirn.

 

Sieh David, wie er da im Achtersteven des Bootes steht! Nicht David, wie ihn die biblische Geschichte abbildet, rein gewaschen, gesalbt und pomadisiert und mit Messinghelm und goldenen Locken. Nein, ein moderner David, der sich einen ganzen Monat nicht gewaschen hat, ein alter, krummbeiniger David mit Hängebauch und in blaugestreiften Strümpfen, die trangesättigten Hosen sitzen so fest, als wären sie eine äußere beschützende Speckschicht. Auf dem Kopf trägt er eine eingestürzte Ruine von Pappe und Zeug.

Über dem Nacken hielt dieser moderne David nicht die Schleuder, sondern die Lanze, eine lange, alte Holzstange, an die eine zwei Ellen lange, dünne Stange aus Schmiedeeisen befestigt ist, deren äußerste Spitze in ein kleines, schlaffes Spießblatt endigt. Von der Mitte des Schaftes hängt eine Schnur auf den Boden des Bootes hinab. Dies ist die Lanze, dies ist die Waffe, und eine genau ebenso lächerliche Waffe einem Wal gegenüber, wie eine Schleuder einem Goliath gegenüber.

Und dieses Eisen, diese alte rostige und wurmstichige, verbogene und gekrümmte Lanze, hält er in beiden Händen über dem Nacken empor, in genau derselben Stellung, wie er sie jedes einzige Mal gehalten hat, wenn er hier in diesem Boot stand, um einen Walfisch zu lanzen.

Der Mann müßte in Eisen gegossen werden, daß er über dem ganzen Leibe rosten könnte, und auf einem großen, menschenerfüllten Markt aufgestellt werden, damit jedermann sehen kann, wie David sich im Laufe der Zeiten verändert und was für ein Aussehen er allmählich bekommen hat. Aber leider, das Bild wäre nur unvollständig, wie alle Bilder. Die Lanze könnte ja aufgehängt werden wie sie ist, aber die beste Kunst würde den Glanz auf den Hosen des Schützen und den Strom des Blutes unter seiner Haut nicht wiedergeben können, ebensowenig den erstaunlichen Geruch, den der Mann an sich hat.

Denn er riecht übel, geradeheraus gesagt übel. Tran und Fett, Speck und Blut haben seine Kleider durchsickert und sind in den Poren ranzig geworden. Es ist das Blut vieler Walfische, das von dem Manne emporsteigt wie ein schwacher Opfergeruch und um Rache zum Himmel schreit.

Der Prahm ist neben dem Walfisch angelangt und kann so langsam daran denken, den Kampf mit den traurigen Resten des Riesentieres in der Nähe aufzunehmen.

Aber der Walfisch gibt es auf. Er hat gelegen und sich mit diesem fürchterlichen Feinde dahinten herumgequält, der ihn ständig mit seinen unbegreiflich langen Eisenklauen festgehalten hat; jetzt kommt hier noch einer dazu. Das große Tier sieht gar nicht, wie klein das Boot ist; es fühlt nur, daß sich ihm derselbe Feind von vorhin nähert, derselbe fürchterliche Feind, mit dem es in diesen zwei Stunden gekämpft hat. Das Tier sieht nicht, daß sich ein kleines, dünnes, schwächliches und kraftloses Ding nähert. Bis in die innersten Wurzeln seiner Seele kujoniert, beeilt es sich nur, zu entkommen oder richtiger: versucht, sich zu beeilen.

Denn es kommt nicht vorwärts; das Schiff draußen hält es fest wie ein in die See gerammter Spannpflock. Dann wirft das erschreckte Tier sich auf die Seite und beginnt rings um das Schiff, das unerschütterlich fest draußen in der See liegt, Karussell zu fahren.

Der Schütze flucht und ermahnt. Die beiden Mann ziehen die Ruder hoch, und der Prahm ist neben dem Wal. Schnell schwenkt das kleine Fahrzeug herum und streicht den letzten Faden an das Tier heran, mit dem Achterende nach vorn.

»Stopp«, sagt der Schütze, jagt die Lanze dem Walfisch in die Seite und bohrt sie blitzschnell tiefer und tiefer in den sinkenden Körper. Dann ist der Wal untergetaucht. Der Schütze reißt die Lanze mit einem raschen Griff an der Schnur zurück, und die Jolle rudert vorwärts, um auf den Walfisch zu stoßen, wenn er sich wieder zeigt.

Der Schütze steht auf dem Achtertoft und starrt in das Wasser hinab, während er die Bewegungen des Prahms mit leisen, kurzen Orders dirigiert. Es gilt, den Walfisch im Auge zu behalten, er taucht wohl bald auf. Das Boot muß so angebracht werden, daß es hart neben dem Wal liegt und doch nicht so nahe, daß das Tier es bei seinem Aufstieg kentern kann.

Drinnen auf dem Schiff stehen die Leute mit den Händen in den Hosentaschen und genießen den Anblick des Wales, der an seiner Leine herumjagt wie eine durchgehende Kuh, und des Bootes, das neben ihm davoneilt. Wenn er unten ist, eilt das Boot schleunigst weiter, und sobald er auftaucht, ist der Schütze mit der Lanze da.

Einmal übers andere bohrt er ihm das Eisen in die Seite, dazu sind Achtsamkeit und Vorsicht erforderlich. Das Boot liegt schwer im Wasser, und der Wellenschlag muß scharf beobachtet werden, damit es nicht auf den Wal stößt und kentert.

Der Hai sitzt draußen im Vordersteven des Bootes und zählt die Lanzenstöße. Er ärgert sich allmählich über den Schützen, der ein mäßiger Anatom zu sein scheint und dem Tier einmal übers andere die Lanze aufs Geratewohl in den Leib bohrt.

Einmal übers andere taucht der Kopf des Tieres neben dem Boote auf, hier, in einem Abstand von ein oder zwei Faden mächtig anzusehen. Dann wird der Strahl mit einem langen, klagenden Stöhnen herausgeschleudert, und der Körper hebt sich und entblößt sich mehr und mehr. Es sieht aus, als ob eine Insel aus dem Meere emporsteige, als ob ein Festland dort wüchse. Fest und sicher hebt sich der Rücken, dann platscht der Schütze mit der Lanze in den Speck und bohrt sie mit aller Gewalt tiefer hinein, entert gleichsam die Stange entlang, während es sinkt. Dann geht der Wal unter, langsam wie er stieg, die mächtige Schwanzflosse schwebt einen Augenblick vor dem Boote in der Luft, macht ein paar Schläge, die gegen die Meeresfläche dröhnen und das Tier ist verschwunden.

Der achtzig Fuß lange Wal ist im Verhältnis zum Boote so kolossal, daß jedesmal ein Unglück bevorzustehen scheint. Jede zufällige Bewegung der Flosse erscheint, in einem Abstande von nur ein bis zwei Fuß, gewaltig und unnatürlich. Und dieser Rundtanz nimmt und nimmt kein Ende. Sie können gar nicht unterscheiden, wie weit sie gefahren sind, denn das Land ist nicht zu sehen, jetzt, da es dunkelt und das Schiff drinnen ständig fest in der See steht, ihnen den Steven zuwendend. Aber der Hai rechnet aus, daß sie schon mindestens eine Runde um das Schiff gemacht und wohl auch ein gut Stück der nächsten hinter sich haben. Er hat siebzehn Lanzenstöße gezählt, als könnten sie den Koloß nicht überwinden.

Aber nun geht es auch zu Ende. Es ist, als ob das Tier nicht mehr unter Wasser bleiben könne, so gequält und ermattet ist es. Es liegt und sinkt und steigt in der Wasserfläche, ohne in die Tiefe, ohne in die Höhe kommen zu können. Sein Schwanz liegt kraftlos achterwärts wie ein Lappen. Es stöhnt und pustet, ununterbrochen und asthmatisch. Es ahnt nicht mehr, wo es ist. Drei Stunden lang hat es einen hoffnungslosen Kampf gekämpft gegen ein Tier, das nicht müde werden kann, ein Wesen, das sich Schicksalsrechte genommen hat und es trifft wie ein Schicksal. Drei Stunden lang hat die Harpune in seinen Eingeweiden genagt wie ein gefräßiges unersättliches Tier.

Und der Wal ist in der Zeit klug geworden. Er hat entdeckt, daß er nicht mehr frei ist und daß er kein Tier mehr ist. Der Himmel entschwand ihm. Das Meer wurde zunichte. Es existiert weiter nichts auf der Welt, als diese unleidliche Qual in seinen Eingeweiden, und dann die Kraftlosigkeit, die zunimmt, als ob das Tier drinnen, das ihn festhält, ihm langsam die Kraft aussauge.

Da hat der Schütze das Glück, das Herz des Tieres zu treffen. Im selben Augenblick schießt das Blut in einem dicken dampfenden Strahl durch das Blasloch, der in großen geronnenen Tropfen über den entblößten Rücken des Tieres herabfällt und über die Gesichter der vier Männer peitscht. Das Boot rudert schnell fort, zum Schiffe zurück. Einen Augenblick liegt der Walfisch fast still im Wasser und bläst Blutwolke auf Blutwolke zum Himmel empor. Es ist, als ob das Herz mit jedem Schlage, den es macht, dem Tiere Blut auspumpte. Dieses Blut zerstreut sich über das Meer wie ein Regen und wird aufgelöst. Dann rafft das Riesentier sich zu der letzten großen Abrechnung mit der Natur auf, sammelt seine letzte Kraft zu dem hoffnungslosen Kampf mit dem Tode.

Der mächtige Schwanz erhebt sich hoch über dem Meere und fällt zurück mit einem Dröhnen so laut wie ein Kanonenschuß. Wassermassen werden in die Höhe geschleudert, fallen herab und werden wieder emporgeschleudert, höher als zuvor. Einen Augenblick lang wird das Meer zu Schaum gepeitscht, während Schuß auf Schuß ertönt. Das Tier selbst ist nicht mehr zu sehen, es verbirgt schamhaft seinen letzten Schmerz in wirbelnden Wassermengen.

Dann ertönt das letzte Krachen, und das Meer sinkt wieder zur Ruhe, aber noch lange fließen Schaum und Dünung unter dem Boot zusammen. Das Meer ist wie vorher, der Himmel ist wie immer. Der Wal liegt gekentert draußen mit dem Bauch nach oben. Friedlich und willenlos wiegt der weiße Bauch sich auf dem Meere, die Leiche wird von den hohen Wellen, die der Todeskampf des Tieres geschaffen hat, auf und ab geschaukelt.


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