Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wallace in Insulinde.

Am 1. Juli dieses Jahres hielt die Londoner Linnésche Gesellschaft in der großen Halle der »Institution of Civil Engineers« eine Gedächtnisfeier ab zu Ehren von Darwin und Wallace, in Erinnerung der am 1. Juli 1858 im Schoße dieser Gesellschaft stattgefundenen Vorlesung von zwei Aufsätzen jener beiden Forscher, die in ihren Grundgedanken über den Ursprung der Arten, die Veränderung und Umwandlung der Lebewesen durch die Naturauslese übereinstimmten. Es wurden eigens für diesen Zweck geprägte Darwin-Wallace-Medaillen an Männer verliehen, die sich besondere Verdienste um die Ausarbeitung und Weiterverbreitung der Darwinschen Theorie erworben haben: in erster Linie dem 85jährigen Alfred Russell Wallace selbst, der eine goldene Medaille erhielt; dann wurden sechs silberne zuteil: dem mit Darwin eng befreundet gewesenen, im Alter von 91 Jahren stehenden Botaniker Josef Hooker, dem zurzeit bedeutendsten englischen Anthropologen Francis Galton und dem Zoologen E. Ray Lankester, und endlich, wie wir gern berichten, drei deutschen Hochschullehrern, den Professoren Ernst Haeckel-Jena, Eduard Strasburger-Bonn und August Weismann-Freiburg.

In allen Reden, die bei der Feier gehalten wurden, rühmte man mit Recht den selbstlosen und im höchsten Sinne adeligen Geist, der Darwin und Wallace gegenseitig beseelt hat, und den der Überlebende in dem Tribut, den er in seiner Erwiderung dem vorausgegangenen großen Rivalen zollte, abermals bekundete. Es sei öfters behauptet worden, führte Wallace aus, Darwin und er hätten die natürliche Auslese gleichzeitig entdeckt, ja sogar, er – Wallace – sei der erste Entdecker gewesen. In Wahrheit verknüpfte ihn jedoch mit Darwin bloß die Tatsache, daß ihnen beiden die Idee der »natürlichen Auslese« oder des »Überlebens des Passendsten« mit ihren weittragenden Folgerungen unabhängig voneinander gekommen sei. Es dürfe indes nicht vergessen werden, daß im Geiste Darwins dieser Gedanke bereits im Oktober 1838 – also fast 20 Jahre früher – aufgestiegen sei, und daß er während der beiden folgenden Jahrzehnte mühsam Beweismaterial gesammelt habe, geschickte Experimente ausführend und eigenartige Beobachtungen machend. Bereits 1844, als Wallace noch kaum an ein ernsthaftes Studium der Natur dachte, habe Darwin eine von ihm abgefaßte Skizze seiner Ansichten seinem Freunde, dem Botaniker Hooker mitgeteilt. Lyell sei in ihn gedrungen, seine Theorie baldmöglichst zu veröffentlichen, damit niemand ihm zuvorkäme, Darwin habe dies jedoch nicht eher tun wollen, bis er das gesamte Beweismaterial für sein geplantes großes Werk zusammen habe. Und dann sei schließlich Lyells Vorhersage eingetroffen, als Wallace seine Ausarbeitung von Borneo an Darwin sandte, die wie ein Blitz aus heiterem Himmel ihn erreichte. Hätte Darwin, so schloß Wallace, auf seine Freunde gehört und seine Theorie beizeiten bekannt gegeben, dann würde man ihn als den alleinigen Entdecker und geduldigen Erforscher des großen Gesetzes der Naturauslese anerkannt haben. Ihm – Wallace – aber habe nur ein merkwürdiger glücklicher Zufall überhaupt einigen Anteil an der Entdeckung gegeben.

Diese nachahmenswerte Bescheidenheit ziert den greisen Forscher; um so weniger aber sollen die hohen Verdienste vergessen werden, die sich der Mitbegründer der Selektionstheorie, der Durchforscher des Amazonas- und Rio Negro-Gebietes und dann des Malaiischen Archipels, den er von 1854 an acht Jahre lang von Malakka bis Neuguinea bereist hat, um die Länder- und Völkerkunde, wie um Zoologie, Botanik und Geologie, namentlich auch um die Tiergeographie erworben hat. Wir benützen die Gelegenheit, um auf sein großes Werk über die zwischen Asien und Australien liegende Inselflur, die neuerdings vielfach Insulinde genannt wird, nachdrücklich hinzuweisen. Es liegt auch in deutscher Übersetzung » Der Malaiische Archipel, die Heimat des Orang-Utan und des Paradiesvogels.« Autorisierte deutsche Ausgabe von Ad. B. Meyer (2 Bde., Braunschweig, Westermann. 1869). vor, und hat nicht nur neben den späteren Veröffentlichungen über denselben Gegenstand seine wissenschaftliche Bedeutung bewahrt, sondern ist auch ungemein genußreich und anregend zu lesen.

In anschaulicher Weise entwirft Wallace ein lebendiges Bild von Land und Leuten, von der Tier- und Pflanzenwelt jener Eilande, die – mit 2 038 920 qkm Fläche – offenbar Bruchstücke einer später auseinandergerissenen Landmasse sind, welche Asien und den Australkontinent in ähnlicher Weise verband, wie noch gegenwärtig Zentralamerika die beiden Hälften der Neuen Welt. So z. B., wenn er seinen Aufenthalt in dem Máros-Distrikt auf Celebes, etwa 30 engl. Meilen nördlich von der an der Südwestküste gelegenen Hauptstadt Mangkassar oder Makassar, schildert, wo ihm ein befreundeter holländischer Ansiedler ein niedliches kleines Bambushaus für seine Sammler- und Forschertätigkeit am Fuße eines waldbedeckten Hügels hatte aufbauen lassen. Die Ansiedlung lag in einem kleinen Tale, rings umgeben von plötzlich steil ansteigenden Bergen, die eine Folge von Hügeln, Spitzen und Kuppen in den verschiedensten und phantastischesten Formen bildeten. So weit der Boden eben war, hatte man die Waldung ausgerodet und ihn als Reisfeld benützt; auf den niedrigeren Hängen vieler Hügel standen Tabak und Gemüse, die meisten Abhänge aber waren mit großen Felsblöcken bedeckt, die ihr Begehen sehr erschwerten. Der Wald in der Nähe des Bambushäuschens war offen und aus hohen, weit auseinanderstehenden Bäumen ohne Unterholz gebildet. Unter ihnen befand sich eine Menge Zuckerpalmen ( Arenga saccharifera), die neben Zucker auch Palmwein ( Toddy) liefern. Auch gab es viele Jackbäume ( Jack-tree: indischer Brotbaum, Artocarpus integrifolia), die Mengen großer netziger Früchte – ein vortreffliches Gemüse – trugen. »Ich habe nicht häufig angeregtere Stunden verbracht als während meines Aufenthaltes an diesem Orte,« schreibt der Reisende. »Wenn ich meinen Kaffee um sechs Uhr des Morgens nahm, kamen oft seltene Vögel auf die nahen Bäume geflogen, und wenn ich in meinen Pantoffeln schnell einen Ausfall machte, so erwischte ich manchmal eine Beute, nach der ich wochenlang gesucht hatte. Die großen Hornvögel von Celebes ( Buceros cassidix) kamen oft mit lautem Flügelschlag und setzten sich auf einen hohen Baum gerade vor mir; und die schwarzen Paviane ( Cynopithecus niger) glotzten herab, erstaunt über den Einfall in ihre Domänen; nachts streiften Herden wilder Schweine um das Haus, verschlangen die Abfälle und nötigten uns, alles Eßbare und Zerbrechliche aus unserer kleinen Küche zu entfernen. In ein paar Minuten konnte ich von den gefällten Bäumen in der Nähe meines Hauses bei Sonnenauf- und -untergang oft mehr Käfer absuchen, als ich sonst an einem ganzen Sammeltage fand, und so konnten freie Augenblicke verwertet werden, welche, wenn man in einem Dorfe oder vom Walde entfernt wohnt, unvermeidlich verloren gehen. Wo die Zuckerpalmen von Saft tropften, kamen die Fliegen in ungeheurer Anzahl zusammen, und in einer halben Stunde, die ich dabei zubrachte, erhielt ich die schönste und beachtenswerteste Sammlung dieser Gruppe von Insekten, die ich je gemacht habe. Und dann, welch herrliche Stunden waren es, wenn ich die trockenen Flußbetten hinauf und hinunter ging, die, voll von Tümpeln, Felsen und umgestürzten Bäumen, ein prachtvoller Pflanzenwuchs beschattete!«

Bemerkenswert für diejenigen, welche sich die Vegetation der Tropenwelt als wunderbar farbenprächtig vorstellen, ist sein auf den Aru-Inseln niedergeschriebenes Urteil, daß sie dort wohl in hohem Grade üppig und mannigfaltig sei und eine Menge schöner und seltener Pflanzen biete, die unsere Gewächshäuser schmücken würden, daß jedoch glänzende und in die Augen springende Blumen im allgemeinen völlig fehlen oder so spärlich sind, daß sie auf die allgemeine Szenerie keine Wirkung hervorbringen. »Meine Erfahrungen in den Äquatorialgegenden des Westens und des Ostens haben mir im ganzen die Überzeugung beigebracht, daß in den üppigsten Teilen der Tropen Blumen weniger zahlreich, durchschnittlich weniger auffällig sind und weit weniger der Landschaft Färbung verleihen, als in gemäßigten Klimaten.« Im Vergleich zu den hellen Farben, mit denen die heimatlichen Fluren und Triften sich schmücken, bekleidet in den Gebieten, die dem Gleicher naheliegen, ein düsteres Grün die ganze Natur, sei es nun Wald oder Savanne. »Man kann stundenlang und selbst tagelang reisen und trifft auf nichts, was die Einförmigkeit unterbricht. Blumen sind überall selten, und irgendetwas Auffallendes trifft man nur in weiten Zwischenräumen.«

Von Wallaces Jagden auf Orang-Utans, die Borneo und Sumatra bewohnen, und über die wir ihm die ersten sicheren Nachrichten verdanken, soll hier nicht die Rede sein, ebensowenig von den prachtvollen Paradiesvögeln, die er und seine Jäger auf Neuguinea, Wageu und den Aru-Inseln erlegten und von denen er die ersten Exemplare nach Europa brachte. Seine Berichte darüber sind ja längst in andere Werke übergegangen und allgemein bekannt geworden. Der Reisende hebt alles hervor, was geeignet erscheint, die neue Theorie zu bestätigen, als deren Urheber er aber stets nur Darwin nennt. Bloß ein aus vielen herausgegriffenes Beispiel dafür:

Einer der merkwürdigsten und seltensten Lurche, die er auf Borneo fand, war ein großer Laubfrosch, den ihm ein chinesischer Arbeiter brachte, mit dem Hinzufügen, daß er ihn in schräger Richtung gleichsam fliegend von einem hohen Baume habe herunterkommen sehen. Bei näherer Untersuchung fand Wallace die Zehen sehr groß und bis zur äußersten Spitze behäutet, so daß sie ausgebreitet eine viel größere Oberfläche darboten als der Körper. Auch die Finger der Vorderfüße waren durch Häute vereinigt, und der Leib vermochte sich erheblich aufzublähen. Der Rücken und die Glieder schimmerten tiefgrün, die Unterseite und das Innere der Zehen waren gelb, die Schwimmhäute schwarz und gelb gestreift. Körperlänge etwa 10 cm, während die völlig ausgebreiteten Schwimmhäute jedes Hinterfußes eine Oberfläche von 28 qcm bedeckten und die Schwimmhäute aller Füße zusammen eine Fläche von etwa 81 qcm. Da die Enden der Zehen große Haftscheiben zum Festhalten aufweisen, die das Tier zu einem wahren Laubfrosche stempeln, so schien es kaum denkbar, daß diese große Zehenhaut nur zum Schwimmen diene, und die – seither von anderen europäischen Reisenden mehrfach bestätigte – Angabe des Chinesen, der Frosch sei vom Baume heruntergeflogen, gewann an Glaubwürdigkeit. »Dies ist, soviel ich weiß, das erste Beispiel eines fliegenden Frosches,« setzt Wallace hinzu, »und es ist für Darwinianer sehr beachtenswert, da es zeigt, daß die Veränderlichkeit der Zehen, die schon zum Schwimmen und Klettern umgewandelt sein konnten, sich auch vorteilhaft erweisen kann, um eine Lurchart zu befähigen, gleich einem Flughörnchen oder einer fliegenden Eidechse durch die Luft zu streichen.« Dieser von Wallace entdeckte fliegende Frosch, ein Gegenstück zu den früher im »Kosmos« (Hft. 8) erwähnten »fliegenden Schlangen«, ist der Borneoflugfrosch ( Rhacophorus pardalis); er gehört zur Gattung der Ruderfrösche ( Rhacophorus).

Ob die dunkelhäutigen Bewohner Insulindes Froschschenkel verspeisen, die bei uns vielerorts beliebt sind, erzählt der Reisende nicht, wohl aber erwähnt er, daß sie wie die meisten südamerikanischen und viele afrikanische Stämme, auch manche Völker des Orients zahlreiche Insekten und deren Larven mit Vorliebe essen. Auf Lombok, einer der Kleinen Sundainseln, streiften die Knaben umher, um Libellen mit einem biegsamen Stock, an dessen Ende ein paar Zweige gut mit Vogelleim beschmiert waren, zu fangen. Zur Zeit der Reisblüte waren die Wasserjungfern dort so zahlreich, daß auf solche Weise Tausende rasch erbeutet wurden. In Öl mit Zwiebeln und präservierten Garnelen, manchmal auch allein geröstet, gelten sie als Leckerbissen. Auf Borneo, Celebes und vielen anderen Inseln ißt man die Larven von Bienen und Wespen.

Daß Wallace nicht die sogen. »Wilden« zugunsten der zivilisierten Europäer herabzusetzen bemüht ist, beweisen seine Bemerkungen anläßlich einer Kolonie von zahmen Eichhörnchen, die er auf einem Hügel in der Umgegend von Palembang (Ostküste von Sumatra) fand. »Wenn man ihnen einige Krumen Brot oder etwas Obst hinhält, so kommen sie den Stamm hinunter gelaufen, nehmen den Bissen aus der Hand und stürzen sogleich pfeilschnell wieder fort. Ihre Schwänze tragen sie gerade in die Höhe, und das grau, gelb und braun gefärbte Haar läuft gleichmäßig in Strahlen aus und macht sich außerordentlich hübsch. Sie haben in ihren Bewegungen etwas mäuseartiges, indem sie mit kleinen, plötzlichen Bewegungen hervorkommen und mit ihren großen schwarzen Augen eifrig umherschauen, ehe sie weiter vorwärts zu gehen wagen. Die Art, wie die Malaien oft das Zutrauen wilder Tiere zu gewinnen verstehen, bildet einen einnehmenden Zug in ihrem Charakter; sie ist, bis zu einem gewissen Grade, eine Folge ihrer beschaulichen Gepflogenheiten und ihrer größeren Liebe zur Ruhe als zur Tätigkeit. Die Kinder folgen den Wünschen Ihrer Eltern und scheinen nicht jene Neigung zu besitzen, Böses anzustiften, welche die europäische Jugend auszeichnet. Wie lange würden wohl zahme Eichhörnchen in der Nachbarschaft eines englischen Dorfes, selbst nahe der Kirche, sich behagen? Sie würden weggeschossen oder -getrieben werden oder gefangen in einen sich herumwirbelnden Käfig gesperrt.«

Nach England brachte der mit Netz und Flinte ebenso rastlos tätig, wie fleißig mit der Feder gewesene Reisende außer seinen Tagebüchern und sonstigen Aufzeichnungen, neben einigen Vierfüßern und Landmuscheln nicht weniger als 3000 Vogelbälge von etwa 1000 Arten mit; außerdem wenigstens 20 000 Käfer und Schmetterlinge von etwa 7000 Arten.

F. R.


 << zurück weiter >>