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Vom Stammbaum des Menschen.

Der in seinem Vaterlande überaus hochgeschätzte amerikanische naturwissenschaftliche Schriftsteller John Burroughs, ein Freund von Theodore Roosevelt, erzählt in seinem Buche » Leaf and Tendril‹ (Blatt und Ranke) eine charakteristische Anekdote von Carlyle und schließt daran einige hübsche Betrachtungen, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Es heißt dort:

»Wie wenig Menschen lassen sich von der Wahrheit dessen überzeugen, was ihren Gefühlen widerstreitet!

»Als Darwin seine Folgerung veröffentlichte, daß die Menschen von einem affenähnlichen Vorfahren abstammen, fühlten sich viele Leute durch diesen Gedanken beleidigt. Carlyle z. B. behandelte diese Folgerung mit Verachtung. Er nannte sie: das Evangelium der Niedrigkeit. ›Ein guter Mensch,‹ sagte er, ›ist dieser Darwin, und wohlgesinnt, aber er hat sehr wenig Verstand.‹ Als Huxley den alten Herrn eines Tages auf der Straße traf und auf die andere Seite hinüberging, um ihn zu grüßen, schaute Carlyle auf und sagte: ›Sie sind Huxley, nicht wahr? der Mann, der sagt, daß alle Menschen von Affen abstammen,‹ und setzte seinen Weg fort. Es wäre interessant, zu erfahren, was Carlyle selbst darüber dachte, von wem die Menschen abstammen. Konnte oder mußte er nicht zweifelhaft werden, wenn er auf seiner eigenen Abstammungslinie einige tausend Jahre zurückging und auf rohe, wilde Menschen kam, die Steingeräte gebrauchten und in Höhlen oder rohen Hütten lebten, die weder Schrift noch Künste hatten, und bei denen Macht vor Recht ging; und wenn er hinter diesen noch einfachere Geschlechter fand, und diese beiden wieder ihre noch wilderen, tierischeren Vorfahren hatten? Wann endete die zurückgehende Spur seiner Rasse, wo konnte sie aufhören? Konnte sie überhaupt Halt machen? Der neolithische Mensch steht auf den Schultern des paläolithischen, und dieser wieder auf einer noch niedrigeren Menschen- oder Halbmenschenform, bis wir zu einem menschenähnlichen Affen oder affenähnlichen Menschen kommen, der auf Bäumen wohnt und von Wurzeln, Nüssen und Früchten lebt. Jedes neugeborene Kind erinnert mit dem Griff seiner Hände, der Stärke seiner Arme und der Schwäche seiner Beine an diese früheren auf Bäumen lebenden Vorfahren. Ebenso muß Carlyle gewußt haben, daß es in seinem Leben vor der Geburt eine Zeit gab, in der sein Embryo nicht von dem eines Hundes, bezw. dem eines Affen zu unterscheiden war. War auch diese Tatsache so unerträglich für ihn?

»Es muß eine bittere Pille für Leute von Carlyles Gemütsart sein, die Erklärung ihres eigenen menschlichen Ursprungs anerkennen zu müssen, da schließlich doch das Märchen vom Storch und dem kleinen Kind keine gute Naturgeschichte ist.

»Der demütigende Anfang eines jeden von uns appelliert weder an unsere Einbildungskraft, noch an unser religiöses Gefühl, noch an unsere Liebe des Rätselhaften und Abstrakten, und doch ist die augenscheinliche Gewißheit in bezug auf seine Richtigkeit ziemlich stark.

»In der Tat unterscheidet sich die Darwinsche Theorie über den Ursprung des Menschen von der populären, wie die Naturgeschichte des Kindes sich, wie wir alle wissen, von der Erklärung in den Ammenmärchen unterscheidet, und gibt unserem Gefühl und unserem Stolz auf unseren Ursprung ungefähr denselben Stoß.«

Diese von Burroughs hervorgehobene Erscheinung ist nun offenbar, abgesehen von dogmatischen Bedenklichkeiten, eine Folge verletzter Eitelkeit. Der Mensch, dieser Emporkömmling der Natur, teilt leicht die Schwäche vieler Parvenus, ihre Herkunft zu verleugnen. Jedem Verständigen aber gefällt es, wenn ein selfmade-man mit stolzem Selbstgefühl auf seine niedere Abkunft hinweist, über die er sich durch eigene Kraft emporgehoben hat. Sogar der strenggläubige alte Linné war ehrlich genug, als er im Bau von Menschen und Affen keine tiefgreifenden Unterschiede zu finden vermochte, in seinem System beide (mit den Fledermäusen) zu einer einzigen Tiergruppe zu vereinigen, die er die Primaten (Herrentiere) nannte. Sich über die Verwandtschaft mit Affen oder affenähnlichen Wesen besonders zu entrüsten, ist aber um so weniger angebracht, als ja die folgerichtig durchgeführte Entwicklungslehre den Zweihändern wie den Vierhändern einen noch viel weiter rückwärts befindlichen und viel tiefer auf der Stufenleiter tierischer Wesen stehenden gemeinsamen Urahn anweist: das einzellige Urtier, das am Ausgangspunkte steht. Wer sich eingehender über das Abstammungsproblem unterrichten will, den verweisen wir auf das Kosmosbändchen: Bölsche, »Die Abstammung des Menschen«, in dem die Frage mit allem Rüstzeug moderner Wissenschaft erörtert wird.

Der Mensch verdankt somit seine Geburt einer gewaltig langen Reihe von Vorfahren. Denen aber, die diesen Stammbaum als keinen von edler Beschaffenheit gelten lassen wollen, gibt Darwin zu bedenken: »Hätte ein einziges Glied in dieser langen Kette niemals existiert, so würde der Mensch nicht genau das geworden sein, was er jetzt ist. Wenn wir nicht absichtlich unsere Augen schließen, so können wir nach unsern jetzigen Kenntnissen annähernd unsere Abkunft erkennen, und wir dürfen uns ihrer nicht schämen. Der niedrigste Organismus ist etwas bei weitem Höheres als der unorganische Staub unter unseren Füßen, und niemand mit einem vorurteilsfreien Geiste kann irgendein lebendes Wesen, wie niedrig es auch stehen mag, studieren, ohne enthusiastisch über seine merkwürdige Struktur und seine Eigenschaften erstaunt zu werden.«

R. T.

Miszellen.

Vom Seelenleben der Menschenaffen.

Dr. Alexander Sokolowsky, wissenschaftlicher Assistent am Hagenbeckschen Tierpark in Stellingen, hat unlängst seine reichen Erfahrungen im Umgange mit Menschenaffen in einem sehr lesenswerten Buche Dr. Alexander Sokolowsky, Beobachtungen über die Psyche der Menschenaffen. Neuer Frankfurter Verlag. 1908. 8°. 78 S. Text mit 9 Tafeln nach photograph. Aufnahmen. ℳ 1.50. veröffentlicht und dabei mit Erfolg versucht, das Seelenleben dieser hochstehenden Geschöpfe mit ihrer Lebensweise in freier Natur in Einklang zu bringen und auf ihren biologischen Entwicklungsgang zurückzuführen. Der Orang ist in der ausgesprochensten Weise an das Baumleben angepaßt, der Gorilla am meisten auf dem Erdboden heimisch, während der Schimpanse eine Mittelstellung einnimmt. Dies kommt besonders beim aufrechten Gang zum Ausdruck, wobei der Orang immer einen recht unbehilflichen, fast mitleiderregenden Eindruck macht, der Gorilla dagegen sich mit großer Sicherheit bewegt. Der Gorilla ist Melancholiker, der Schimpanse Sanguiniker, der Orang Phlegmatiker. Der Gorilla legt viel Bedachtsamkeit an den Tag, denkt langsam, aber richtig und gründlich, neigt zur Selbstbeschaulichkeit und Traurigkeit, ist grüblerisch veranlagt, aber doch neugierig und achtsam. Die mit fortschreitendem Alter trotz des im Grunde harmlosen Wesens namentlich im männlichen Geschlechte mehr und mehr zum Durchbruch kommende tierische Wildheit und Brutalität ist wohl auf die stete Kampfbereitschaft zurückzuführen, in der sich das alte Gorillamännchen als der natürliche Beschützer und Verteidiger seiner Familie im düsteren Urwalde befinden muß. Der viel geselliger lebende und sehr schreilustige Schimpanse faßt ungleich leichter und rascher auf, vergißt aber auch schneller und kombiniert weniger scharf, ist unstet und nicht ohne Bosheit, necklustig, ein loser Flattergeist. Der Orang ist von allen der gutmütigste, selbstzufrieden, verträglich, etwas Faulpelz, ein wenig schwerfällig, bedächtig, ein langsamer, aber überlegender Denker. Individuelle Verschiedenheiten machen sich namentlich beim Schimpansen geltend. Die große Hinfälligkeit der Menschenaffen im Käfig ist gewiß mit auf die Seelentraurigkeit zurückzuführen, die die Gefangenschaft, die Trennung von der Heimat und die Einsamkeit bei ihnen bewirken, und die sie zur Teilnahmslosigkeit und Melancholie verleitet. Wenigstens hat die Erfahrung gezeigt, daß solche Menschenaffen, denen man ständig Gespielen – seien es nun äffische oder menschliche – beigab, sich weitaus besser und länger hielten, weil eben die fortwährende Beschäftigung und Unterhaltung eine traurige Apathie gar nicht aufkommen ließen. Alle 3 Arten zeigen sich in hohem Maße einer Erziehung (nicht Dressur), also einer seelischen Beeinflussung durch den Menschen zugänglich. Sokolowsky schließt mit den Worten: »Kein ernster Naturforscher hat je behauptet, daß der Mensch von den jetzt lebenden Affen abstamme. Der Befund einer hohen Intelligenz bei den rezenten Anthropomorphen macht es aber noch überzeugender als vorher durch die Resultate der morphologischen Forschung, daß dieselben dem Stammbaume des Menschen sehr nahe stehen und mit ihm aus gemeinsamer Basis abzuleiten sind. Soviel steht unbedingt fest, die heutigen Anthropomorphen haben sich unabhängig voneinander nach ganz verschiedenen Richtungen hin entwickelt. Affe und Mensch sind in morphologischer wie in psychologischer Hinsicht nur graduell voneinander entfernt, sie sind die divergierenden Glieder eines Entwicklungsganges aus einheitlicher Basis.«

K. F.

siehe Bildunterschrift

Kopf eines Schimpansen ( Troglodytes niger). Nach einer Zeichnung von Bocourt. Aus: Archives du muséum d'hist. nat. t. X.

Die Lehre Darwins in ihren letzten Folgen

beleuchtet Max Steiner in seinem unter diesem Titel erschienenen Buch, das er als »Beiträge zu einem systematischen Ausbau des Naturalismus« bezeichnet (2. Aufl. Berlin, Ernst Hofmann & Co., Mk. 3.– ). Der Verfasser erörtert den Darwinismus und die Deszendenzidee vom erkenntnistheoretischen Standpunkte aus und gelangt zu einem verwerfenden Urteil, dem wir nicht beipflichten können. Es ist im »Kosmos« oft genug betont worden, daß es sich in der Naturforschung nicht um Dogmen, sondern um Hypothesen zur Erklärung beobachteter Tatsachen handelt. Wer sich dessen bewußt bleibt, wird die Einwände neuerer Forscher gegen die Darwinschen Theorien im engeren Sinne (namentlich Selektion und Kampf ums Dasein) unbefangen würdigen und ihnen Rechnung tragen können. Wenn wir für unser Teil aber trotzdem an der von Darwin nicht zuerst entdeckten, wohl aber von ihm zu allgemeiner Anerkennung gebrachten Deszendenzlehre festhalten, so geschieht es, weil uns keine andere Theorie bekannt ist, die in gleich einleuchtender, natürlicher Weise – und nur mit einer solchen haben wir uns auf naturgeschichtlichem Gebiete zu befassen – das Werden und Zusammenwirken der lebendigen Welt zu erklären vermag. Da dem Zweifel und der Kritik fast alle geistigen Fortschritte zu danken sind, so wird auch der Andersdenkende das mit viel Geist und Wissen geschriebene Buch nutzbringend lesen.

Die Darwinsche Kette.

Nach der von allen späteren Forschern bestätigten Lehre Darwins steht jegliche Tierform zu anderen Tieren wie zur Pflanzenwelt in naher Beziehung. Die gegenseitigen Beziehungen verschiedener Arten, ebenso die von größeren Gruppen und zuletzt die der Fauna und Flora, mögen nun freundliche oder feindliche sein: in jedem Falle besteht eine große, alle Wesen verbindende Kette. Ein jegliches Wesen bildet ein Glied darin, und das Ganze wird durch das Ausfallen eines Gliedes abgeändert. Wie der bekannte verdienstvolle Forscher, Prof. Dr. H. Klaatsch-Breslau, in seinem volkstümlichen Buche » Grundzüge der Lehre Darwins« (3. Aufl., Mannheim, J. Bensheimer, Mk. 1.–, geb. Mk. 1.50) anführt, ist das bekannteste Beispiel zur Versinnbildlichung einer solchen »Darwinschen Kette« folgendes: »Der Klee wird, wie viele Blumen, durch Insekten und zwar durch Hummeln in seiner Fortpflanzung unterstützt, indem diese Tiere den männlichen Keimstoff von Blüte zu Blüte tragen. Den Hummeln stellen Mäuse nach. Feinde der Mäuse sind bekanntlich die Katzen. Nehmen die Katzen zu, so nehmen die Mäuse ab; die Hummeln sind unbehelligt, und der Klee gedeiht. Umgekehrt könnte die Abnahme der Katzen einen ungünstigen Einfluß auf den Klee ausüben.«


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