Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

J. H. Fabre und Charles Darwin,

Von [Jean-Henri] Fabre.

Autorisierte Übersetzung nach Fabre, Souvenirs entomologiques, Paris, Ch. Delagrave.

Mit Abbildung

Dieses Kapitel und das folgende Während der vorliegende Abschnitt sich mit der Erforschung des Orientierungssinnes bei den Mörtelbienen befaßt, behandelt der folgende, » Histoire de mes chats« betitelt, die gleiche merkwürdige Fähigkeit bei den Katzen. Wir gedenken unsere Leser später auch mit diesem interessanten Kapitel bekannt zu machen. Was die Beziehungen zwischen Fabre und Darwin betrifft, so hat sich der englische Forscher auf das Lebhafteste für die tierpsychologischen und -physiologischen Forschungen und Versuche Fabres interessiert und diesen – wie schon früher mitgeteilt – als einen »unvergleichlichen Beobachter« gerühmt, wenngleich der französische Entomologe den darwinistischen Lehren gegenüber sich ablehnend verhält. Anm. d. Übers. sollten in Briefform dem berühmten englischen Naturforscher gewidmet werden, der jetzt in Westminster Abbey, wenige Schritte vom Grabe Newtons, ruht: Charles Darwin. Mir lag die Pflicht ob, ihm Bericht zu erstatten über das Ergebnis einiger Versuche, zu denen er mich in unserem Briefwechsel veranlaßt hatte; diese Verpflichtung war mir sehr angenehm, denn wenngleich mich die Tatsachen, so wie ich sie beobachte, von seinen Theorien entfernen, empfinde ich nichtsdestoweniger eine tiefe Verehrung vor dem Adel seines Charakters und seiner Aufrichtigkeit als Gelehrter. Ich war mit der Abfassung meines Briefes beschäftigt, als ich die erschütternde Nachricht von dem Hinscheiden des ausgezeichneten Mannes erhielt; nachdem er die großartige Frage der Ursprünge erforscht hatte, war er dem letzten, dunkeln Probleme des Jenseits unterlegen. Ich verzichte daher auf die Briefform, die vor dem Grabe in Westminster widersinnig geworden ist. Ein unpersönlicher, allgemein gehaltener Aufsatz soll darlegen, was ich Darwin in einer mehr akademischen Fassung zu erzählen gehabt hätte.

Vor allem war dem englischen Gelehrten beim Lesen des ersten Bandes meiner » Souvenirs entomologiques« ein charakteristischer Zug aufgefallen: nämlich die Fähigkeit, welche die Mörtelbienen ( Chalicodoma) besitzen, ihr Nest wiederzufinden, nachdem sie in eine weit davon entfernte Gegend gebracht worden sind. Was für einen Kompaß haben sie für diese Heimreise, was für ein Sinn leitet sie? Der tiefe Beobachter empfahl mir alsdann ein Experiment, das er schon immer mit Tauben anzustellen vorgehabt hatte, an dessen Ausführung er jedoch durch anderweitige Beschäftigungen verhindert worden war. Dieses Experiment könne ich nun mit meinen Hautflüglern versuchen; das Problem bliebe ja das gleiche, wenn das Insekt an die Stelle des Vogels träte. Ich entnehme seinem Briefe die aus den zu unternehmenden Versuch bezügliche Stelle, die da lautet:

»Erlauben Sie mir, einen Vorschlag zu machen in bezug auf Ihren wundervollen Bericht über Insekten, die ihren Heimweg finden. Nämlich, die Insekten in Papierdüten etwa hundert Schritte weit in entgegengesetzter Richtung von jener fortzutragen, wohin Sie sie schließlich zu bringen beabsichtigen. Dann aber, bevor Sie sich umdrehen, um zu dem Ausgangspunkte zurückzukehren, die Insekten in eine runde Schachtel zu setzen, die mit einer Achse versehen ist, mittels der der Behälter sich zuerst in einer Richtung und dann in der entgegengesetzten in rasche Umdrehungen versetzen läßt, so daß zeitweilig der Orientierungssinn in den Insekten völlig ausgelöscht wird. Ich habe zuweilen gedacht, daß die Tiere fühlen könnten, nach welcher Richtung sie bei dem ersten Abgang fortgetragen wurden.«

Charles Darwin schlug also vor, jede von meinen Mörtelbienen in einer Papierdüte zu isolieren, wie ich es bei meinen ersten Versuchen, die in dem von ihm gelesenen Aufsatze beschrieben wurden, gemacht hatte, und sie zuerst etwa hundert Schritte weit in einer Richtung fortzutragen, die jener entgegengesetzt war, welche ich nachher einzuschlagen beabsichtigte. Die Gefangenen werden alsdann in eine runde Schachtel gesteckt, die sich sehr schnell um eine Achse drehen läßt, bald in dieser Richtung und bald in der anderen. Auf diese Weise wird in ihnen für eine gewisse Zeit der Richtungssinn zerstört. Wenn dies erreicht ist, kehrt man zu der früheren Stelle zurück und begibt sich nun von hier nach dem Punkte, wo die Freilassung der Insekten stattfinden soll.

Diese Methode des Experimentierens schien mir sehr sinnreich ausgedacht. Bevor ich nach Westen gehe, begebe ich mich nach Osten. In der Dunkelheit ihrer Düten und allein dadurch, daß ich sie forttrage, haben meine Gefangenen das Gefühl der Richtung, die ich sie verfolgen lasse. Wenn nichts diesen Eindruck des Abganges stört, würde er dem Tiere beim Heimfliegen als Führer dienen. Dadurch ließ sich die Heimkehr meiner Mörtelbienen zum Neste erklären, von dem ich sie (bei jenen ersten Versuchen) drei und vier Kilometer weit fortgebracht hatte. Allein nachdem die Insekten hinreichende Eindrücke von der Ortsveränderung in östlicher Richtung erhalten haben, tritt die schnelle Rotation abwechselnd in dieser und dann in entgegengesetzter Richtung dazwischen. Irre gemacht durch diese Vielheit gegensätzlicher Umdrehungen, erhält das Tier keine Kenntnis von meiner Umkehr und bleibt unter dem Eindrucke des Beginnes. Ich bringe es hierauf nach Westen, während es immer noch nach Osten hin bewegt zu werden glaubt. Unter diesem Eindrucke muß das Tier vom richtigen Wege abgelenkt werden. In Freiheit gesetzt, wird es in der seinem Neste entgegengesetzten Richtung davonfliegen und dieses niemals wiederfinden.

Dieses Ergebnis dünkte mir um so wahrscheinlicher, als ich in meiner ländlichen Umgebung Tatsachen berichten hörte, die wohl geeignet waren, meine Erwartungen zu bekräftigen. Mein Gehilfe Favier erzählte mir, daß man eine Katze, die von einem Gehöft in ein anderes, beträchtlich entferntes versetzt werden soll, in einen Sack stecke und diesen im Augenblick des Fortgehens rasche Umdrehungen machen lasse. Auf diese Weise verhindere man die Tiere, zu dem verlassenen Hause zurückzukehren. Viele andere Leute bestätigten dies; nach ihrer Aussage sei die Rotation in einem Sack ein unfehlbares Mittel; die dadurch vom rechten Wege abgebrachte Katze finde sich nie wieder zurück (was diese Tiere sonst stets tun sollen). Ich berichtete nach England, was ich vernommen hatte, und erzählte dem Philosophen von Down, wie der Bauer der wissenschaftlichen Forschung zuvorgekommen sei. Charles Darwin setzte dies, wie mich selber, in die höchste Verwunderung, und wir beide rechneten fast mit Sicherheit auf einen Erfolg.

Diese Verhandlungen fanden im Winter statt, so daß Fabre Zeit genug blieb, sich das erforderliche Material für die Experimente zu verschaffen, die im kommenden Mai, nach dem Auskriechen der jungen Bienen aus den Zellen der Nester, stattfinden sollten. Die Mörtelbiene gleicht einer Hummel und klebt ihre Nester an Felsen, Dachziegel und glatte, nicht verputzte Mauern, wie es die Hausschwalbe mit ihren Nestern tut. Den Baustoff bilden Erde, Mörtelstücke und feine Sandkörnchen, die mittels Speichel fest verbunden werden. Die Nester bestehen aus nebeneinander gestellten und schließlich auf der welligen Oberfläche rauh geglätteten Zellen von der Form eines kleinen, aufrechtstehenden und nach oben sich verjüngenden Fingerhutes. Die fertige Zelle wird mit Honigbrei gefüllt und, nachdem ein Ei darauf gelegt wurde, durch einen dem Boden entsprechenden Verschluß vollendet. In Deutschland kommt von dieser zur Bienenfamilie gehörenden Insektengattung nur die gemeine Mörtelbiene ( Chalicodoma muraria Fabr.) vor. In der südfranzösischen Heimat Fabres sind hauptsächlich zwei Arten vertreten, von denen die eine ( Chalicodoma pyrenaica Lep. [Megachile], auch Ch. pyrrhopeza Gerstäcker oder Ch. rufitarsis Giraud) an Häusern und mit besonderer Vorliebe unter den Dachziegeln von alten Schuppen ihre Nester baut, wogegen die andere ( Ch. rufescens J. Perez) sie an die Zweige von Gesträuchen klebt. Während die Nester unserer Mörtelbiene nur aus je 6 bis 8 Zellen bestehen, sind die der südfranzösischen Schuppen-Mörtelbiene, wie sie Fabre schlechthin nennt, von ganz erstaunlichem Umfange. Eines der größten, das er wog, war 16 kg schwer; dabei war fast das ganze Dach des Schuppens, von dem es genommen war, auf der Innenseite mit solchen Blöcken bedeckt, die sich, dicht neben einander sitzend, über etwa 70 Dachziegel erstreckten und nach einer Durchschnittschätzung ein Gesamtgewicht von 560 kg besitzen mochten.

Dieser Schuppen befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Fabreschen Landhauses, und die Mörtelbienen pflegten seit langen Jahren darin ihre Nester zu bauen. Um bei Versuchen über den Orientierungssinn dieser Insekten jedoch etwaige ererbte Einwirkungen auszuschließen, verzichtete der Forscher auf diese Nester und ließ sich andere aus einem leerstehenden Schuppen herbeischaffen, der von seinem Wohnsitze bei dem Dörfchen Sérignan mehrere Kilometer entfernt lag. Die mit Nestern besetzten Dachziegel wurden mittels Drähten beiderseits an den tagsüber von der Sonne beschienenen Wänden einer Halle, die zu einem Vorratsraume führte, aufgehängt, und zwar in Höhe der Augen, um sie stets bequem beobachten zu können. Noch bevor der April zu Ende ging, waren Fabres Bienenstöcke in voller Tätigkeit. Die Hausgenossen gewöhnten sich bald an die summend umherschwirrenden Insekten, nachdem der Forscher ihnen bewiesen hatte, daß sie niemals stechen, wenn man sie nicht anfaßt, und beobachteten gleichfalls mit Interesse den Fortschritt ihrer Arbeiten.

Jetzt war es Zeit, an die Ausführung der Versuche zu gehen. Die zur jedesmaligen Reise bestimmten Mörtelbienen mußten jedoch vorher mit einem Zeichen versehen werden, um sie bestimmt wiedererkennen zu können. Zu dem Zweck brachte Fabre auf dem Brustabschnitt (Thorax) der betreffenden Insekten mittels eines Strohhalmes, den er in eine bald rot, bald blau usw. gefärbte Gummilösung tauchte, eine Marke an. Die eifrig arbeitenden Tierchen ließen sich das ruhig gefallen. Nachdem der Fleck getrocknet war, was in der heißen Sonne des Südens sehr rasch vor sich ging, brachte er dann jede Biene in die Papierdüte, worin sie transportiert werden sollte, ebenfalls ohne sie mit der Hand zu berühren. Er stülpte einfach eine Glasröhre über sie, aus der sie dann in die darüber gehaltene Düte kroch, die nun zugefaltet wurde. Einen Rotationsapparat, wie ihn Darwin beschrieben hatte, besaß Fabre nicht; er machte es daher, wie die Bauern mit der in den Sack gesteckten Katze. Die Düten mit den Mörtelbienen wurden auf weicher Unterlage in eine Blechbüchse gelegt, die mittels einer darum gebundenen Schnur nach Art einer Schleuder beliebig schnell und oft einmal in dieser, dann in jener Richtung hin- und hergeschwungen werden konnte, um die Gefangenen bezüglich der Richtung irrezuführen. Wir lassen nunmehr J. H. Fabre wiederum selber weiter berichten.

siehe Bildunterschrift

Schuppen-Mörtelbiene ( Chalicodoma pyrenaica Lep.) bei der Arbeit.
Mit diesen intelligenten Tierchen machte Fabre aus Veranlassung Darwins seine interessanten Versuche über den Richtungssinn.

Am 2. Mai 1880 markiere ich mit Weiß auf dem Thorax zehn Chalikodomen und verfahre mit ihnen nach dem Trockenwerden des Fleckes, wie vorstehend angegeben. Sie sollen zunächst einen halben Kilometer weit in entgegengesetzter Richtung von jener, die ich nachher mit ihnen einzuschlagen vorhabe, fortgebracht werden. Ein an meiner Besitzung entlangführender Fußpfad eignet sich für dies vorbereitende Manöver; hoffentlich werde ich mich allein auf ihm befinden in dem Augenblick, da es meine Schleuder um den Kopf zu schwingen gilt. Am Ende jenes Pfades steht ein Kreuz, an dessen Fuß ich Halt mache, um nun die Rotation meiner Bienen nach allen Regeln vorzunehmen. Indem ich aber die Blechbüchse in verschiedener Richtung kreisen und Kurven beschreiben lasse, wobei ich mich auf dem Absatze nach allen Richtungen herumdrehe, kommt eine brave Bäuerin vorüber und betrachtet mich mit Augen – o, mit was für Augen! So verrückte Bewegungen am Fuße des Kreuzes, davon wird man als einem Akt der Geislerbeschwörung reden. Habe ich nicht schon früher einen Toten ausgegraben? Allerdings hatte ich ein prähistorisches Grab untersucht und ihm ehrwürdige Schienbeine und verschiedene Grabbeigaben entnommen; das war bekannt, und nun findet man mich, wie ich zu Füßen eines Kreuzes satanische Bewegungen vornehme! Das genügt, um mich vollends zu einem übelberüchtigten Menschen zu machen, und es gehört nicht wenig Mut dazu, um vor jener unerwünschten Zuschauerin das Schwenken meiner Blechbüchse auszuführen. Trotzdem geschieht es, dann kehre ich um und wende mich westlich von Sérignan. Ich wähle die einsamsten Pfade und durchquere die Felder, um nach Möglichkeit eine neue Begegnung zu vermeiden. Es fehlte jetzt nur noch, daß man mich beim Öffnen der Düten und dem Fliegenlassen meiner Bienen sähe! Auf halbem Wege zu dem von mir ins Auge gefaßten Endziele erneuere ich die Rotation und mache sie ebenso kompliziert wie die erste; zum dritten Male geschieht dies auf der Stelle, wo ich meine Gefangenen befreien will. Sie befindet sich am Ende einer steinigen Ebene, auf der sich hier und da dürftige Gruppen von Mandelbäumen und immergrünen Eichen erheben, und ist von dem Ausgangspunkte etwa drei Kilometer entfernt. Das Wetter ist schön, der Himmel klar mit einem leichten Hauch aus Norden. Ich setze mich auf die Erde mit dem Gesicht nach Süden, damit für die Insekten die Richtung nach ihrem Neste und die entgegengesetzte Richtung völlig freibleibt. Um 2¼ Uhr lasse ich sie fliegen. Die Mehrzahl der Bienen umkreist mich nach dem Öffnen der Düten zu wiederholten Malen, dann schlagen sie ungestümen Fluges die Richtung auf Sérignan ein, soviel ich zu sehen vermag. Die Beobachtung ist schwierig, da dieses Fortfliegen plötzlich erfolgt, nachdem das Insekt zwei- oder dreimal die Runde um meine Person gemacht hat, die einen ihm verdächtigen Block darzustellen scheint, der vorher erkundet werden muß. Eine Viertelstunde nachher sieht meine älteste Tochter Antonia, auf Beobachtungsposten bei den Nestern, den ersten Reisenden eintreffen. Nach meiner Rückkehr langen am Abend noch zwei weitere an: im ganzen drei zurückgekehrte Bienen von zehn, die ich fortgetragen habe.

Am nächsten Morgen erneuere ich den Versuch: zehn Mörtelbienen werden rot markiert, so daß ich sie von denen unterscheiden kann, die gestern zurückgekehrt sind oder vielleicht noch mit einem weißen Zeichen heimkommen werden. Dieselben Vorsichtsmaßregeln, Rotationen und Örtlichkeiten wie beim ersten Mal, nur mache ich unterwegs keine Rotationen, sondern begnüge mich mit denen am Anfang und am Endziele. Die Insekten werden um 11¼ Uhr freigelassen; ich ziehe die Vormittagsstunden vor, weil an ihnen die Hautflügler die größte Lebhaftigkeit bei ihren Arbeiten zeigen. Eine Biene sieht Antonia um 11 Uhr 20 Min. zurückkehren. Angenommen, daß sie die erste in Freiheit gesetzte sei, haben ihr fünf Minuten für die Strecke genügt. Ebenso gut kann es aber auch eine andere sein, und dann hat sie noch weniger gebraucht. Dies ist die größte Schnelligkeit, die ich festzustellen vermocht habe. Gegen Mittag bin ich zurück und fange binnen kurzer Zeit noch drei andere, dann keine mehr. Gesamtergebnis: vier von zehn.

Am 4. Mai, bei sehr klarem, windstillem und warmem Wetter, das für die Versuche sehr günstig ist, nehme ich 50 blaugezeichnete Mörtelbienen. Die Entfernung bleibt dieselbe, diesmal nehme ich jedoch fünfmal die Rotationen vor, bis ich um 9 Uhr 20 Min. meine Düten zu öffnen beginne. Die Stunde ist etwas frühzeitig, deswegen verhalten sich meine in Freiheit gesetzten Hautflügler einen Augenblick unentschlossen, träge; allein nach einem kurzen Sonnenbad auf einem Stein, wo ich sie niedergelegt habe, beginnen sie ihren Flug. Ich sitze auf der Erde, das Gesicht südwärts gekehrt; links von mir liegt Sérignan, rechts Piolenc. Soweit die Schnelligkeit des Fluges seine Richtung erkennen läßt, sehe ich die Freigelassenen auf meiner linken Seite verschwinden. Einige wenige fliegen nach Süden; zwei oder drei nach Osten oder meiner rechten Seite. Der Norden, auf welcher Seite ich eine Schranke bilde, kommt nicht in Frage. Im ganzen schlägt somit die überwiegende Mehrzahl die Richtung nach links, d. h. nach ihrem Neste ein. Die Freilassung ist um 9 Uhr 40 Min. beendet; einen von den 50 Reisenden finde ich ohne Marke in der Düte und bringe ihn daher von der Gesamtzahl in Abrechnung. Nach Antonias Meldung sind die ersten Bienen um 9 Uhr 35 Min. daheim eingetroffen, also nach einer Viertelstunde. Bis zum Mittag sind 11 heimgekehrt, bis 4 Uhr nachmittags 17: im ganzen 17 von 49. Bei einem vierten Versuch am 14. Mai finden von 20 Bienen 7 den Rückweg.

Dabei wollen wir es bewenden lassen; das Experiment ist oft genug wiederholt worden, allein es brachte keine Entscheidung, wie sie Charles Darwin und ich erhofft hatten. Vergebens hatte ich die Heimkehr der Insekten durch alle möglichen, ihnen in den Weg gelegten Schwierigkeiten zu hintertreiben gesucht. Die Mörtelbienen finden ihr Nest wieder, und das Verhältnis der an demselben Tage heimgekehrten schwankt zwischen 30 und 40 von 100. Es kommt mir schwer an, eine von einem solchen Meister mir eingegebene Idee fahren zu lassen, die ich um so lieber und sorgfältiger ausgeführt hatte, als ich sie für geeignet hielt, das Rätsel des Orientierungssinnes endgültig zu lösen. Doch die Tatsachen sind beredter als die scharfsinnigsten Meinungen, und das Problem bleibt genau so dunkel wie zuvor.

Im nächsten Jahre wurden die Versuche fortgesetzt, jedoch in einem anderen Sinne. Da das anfängliche Forttragen in einer der späteren Bewegung entgegengesetzten Richtung und die Rotation sich als überflüssig erwiesen hatten, wurde davon Abstand genommen. Während aber die bisherigen Versuche in einer nur mit Hecken und vereinzelten Baumgruppen bestandenen Ebene vor sich gegangen waren, wurden am 16. Mai 1881 in einer Lichtung, die mitten in einem sehr dichten Forste (etwa 4 km von Sérignan entfernt) lag, 40 Mörtelbienen fliegen gelassen. Der Wald war außerdem durch eine etwa 100 m hohe Hügelreihe von der Heimat geschieden, trotzdem erreichten aber 9 Bienen (22 v. h.) ihr Nest wieder. Bei einem Schlußversuche schaffte ich 15 rosa gezeichnete Bienen auf einem Wagen eine sehr beträchtliche Strecke weit fort und fuhr dann in einem weiten Bogen mit ihnen wieder in der Richtung auf Sérignan zu. Etwa 2½ km von dem Orte entfernt, ließ ich sie fliegen, nachdem sie einen Weg von 9 km zurückgelegt hatten. Nach dem Orte ihrer Freilassung brachte mir Favier auf dem direkten Wege von Sérignan 15 blaugezeichnete Bienen, die gleichzeitig mit den anderen in Freiheit gesetzt wurden. Von den rosa gezeichneten kehrten 7 zum Neste zurück, von den blauen aber 6. Die beiden Verhältniszahlen (46 und 40 v. h.) sind beinahe gleich, und das unbedeutende Übergewicht der Mörtelbienen, die den weiten Umweg gemacht hatten, ist sicher durch einen Zufall veranlaßt worden, der nicht in Rechnung gezogen zu werden braucht. Der Bogen, den der Wagen beschrieben hatte, kann ihre Heimkehr nicht begünstigt haben; ganz gewiß hat er sie aber auch nicht verhindert.

Die Beweisführung ist ausreichend. Weder die verwirrenden Bewegungen einer Rotation, wie ich sie beschrieben habe, weder das Hindernis zu überfliegender Anhöhen und eines zu passierenden Waldes, noch die Fallstricke eines Weges, der zuerst geradeaus geht, dann kehrt macht und im weiten Bogen zurückführt, können die von ihrem Neste fortgebrachten Mörtelbienen irreführen und sie verhindern, den Heimweg zu finden.

Ich hatte Ch. Darwin von meinem Mißerfolge in Kenntnis gesetzt, der ihn sehr überraschte. Er brachte mir nun eine andere Methode zur Lösung des Problems in Vorschlag, die darin bestehen sollte, »das Insekt in eine Induktionsspule zu setzen, um dadurch jede magnetische oder diamagnetische Empfindlichkeit zu unterbrechen, die es möglicherweise besitzen mag.« Es soll nicht verhehlt werden, daß mir der Gedanke seltsam schien, ein Tier einer Magnetnadel ähnlich zu machen und es einem Induktionsstrom zu unterwerfen, um seinen Magnetismus zu stören. Ich setze nur mittelmäßiges Vertrauen in unsere Physik, wenn sie den Anspruch erhebt, das Leben zu erklären; allein meine achtungsvolle Ehrerbietung vor dem berühmten Meister hätte mich auch zur Induktionsspule greifen lassen, wenn ein solcher Apparat mir zugänglich gewesen wäre. Mein physikalisches Kabinett verfügte jedoch nur über einen Magneten; deshalb riet mir Darwin eine andere, einfachere Methode an, die nach seiner Meinung noch sicherer zu einem Ergebnis führen müsse. Er schrieb:

»Machen Sie eine ganz feine Nadel magnetisch; zerbrechen Sie sie in sehr kleine Stückchen, die dann dauernd magnetisch bleiben, und befestigen Sie je eines davon mit irgendeinem Klebstoff auf dem Thorax der Versuchsinsekten. Ich glaube, daß solch ein kleiner Magnet infolge seiner unmittelbaren Nähe bei dem Nervensystem des Insekts stärker auf dieses einwirken wird, als es die Erdströme Unsere Erdkugel verhält sich wie ein riesiger Magnet. Der bereits durch Ampère nachgewiesene Erdstrom ist ein im Erdkörper verlaufender elektrischer Strom, dessen Stärke und Richtung fortwährende Änderungen erleiden, die mit außerordentlicher Regelmäßigkeit stattfinden. Nach den neueren Beobachtungen dürfen die Erdströme nicht als Induktionswirkungen der Schwankungen erdmagnetischer Kräfte angesehen werden. Anm. d. Übers. zu tun imstande sind.«

Darwin beharrt bei dem Gedanken, aus dem Tier eine Art Magnetstäbchen zu machen, das die Erdströme bei seiner Heimkehr zum Neste geleiten. Es ist ein lebendiger Kompaß, der, sobald er der Einwirkung der Erde infolge der Nachbarschaft eines Magneten entzogen wird, seine Orientierung verliert. Mit einem kleinen Magneten auf dem Brustabschnitt, der gleichlaufend mit seinem Nervensystem befestigt wurde und wegen seiner Nähe auf dieses von größerem Einflusse ist als der Erdmagnetismus, muß das Tier seinen Richtungssinn einbüßen. Beim Schreiben dieser Zeilen decke ich mich unter dem hohen Ruhm des Angebers dieser Idee; von einem Bescheidenen, wie ich bin, herrührend, würde dergleichen nicht ernsthaft erscheinen. Die Ruhmlosigkeit darf keine so kühnen Ideen haben.

Der Versuch erscheint leicht zu sein, und da er meine verfügbaren Hilfsmittel nicht überschreitet, so mache ich mich ans Werk. Durch das Reiben mit einem Magneten verwandle ich eine feine Nadel gleichfalls in einen Magneten. Ich benutze nur ihre 5 bis 6 mm lange Spitze, die jetzt einen vollkommenen Magneten darstellt, der eine andere, an einem Faden hängende magnetische Nadel anzieht und abstößt. Es macht einige Schwierigkeit, sie auf dem Thorax des Insekts zu befestigen, allein ein in Sérignan auf Urlaub weilender junger Apotheker geht mir zur Hand und bereitet mir auf sehr feinem Gewebe eine Art Heftpflaster. Ich schneide ein der Größe des Brustabschnitts entsprechendes Viereck heraus, worin ich die magnetische Nadelspitze zwischen ein paar Fäden des Gewebes einfüge. Nachdem alsdann der Klebstoff etwas erwärmt worden ist, bringe ich das Stückchen rasch auf den Rücken einer von ihrer Arbeit in mein Kabinett geholten Mörtelbiene, so daß die Nadelspitze der Längsrichtung ihres Körpers entsprechend zu liegen kommt. Sobald ich das vorher gezeichnete Insekt loslasse, läßt es sich auf den Boden fallen und rollt sich dort, unter verzweifelten Bewegungen mit Beinen und Flügeln, wie toll hin und her, bis es endlich mit einem ungestümen Aufschwung durch das offene Fenster davonfliegt. Was bedeutet das? Der Magnet scheint ja eine ganz befremdliche Wirkung auf das Nervensystem des Versuchstieres auszuüben. Ich begebe mich zu dem Neste, um zu sehen, was sich dort nach der Rückkehr der Biene begibt. Das Warten dauert nicht lang: mein Insekt kommt heim, aber befreit von seinem magnetischen Rüstzeug. Ich erkenne es genau an den Spuren des Klebstoffs, die an den Haaren auf seinem Thorax noch sichtbar sind. Es kehrt zu seiner Zelle zurück und nimmt seine Arbeiten wieder auf.

Ich bin stets argwöhnisch dem Unbekannten gegenüber und wenig geneigt, Schlüsse zu ziehen, bevor das Für und das Wider reiflich erwogen wurde. Deswegen ergreift mich der Zweifel, ob es wirklich der magnetische Einfluß gewesen ist, der meinen Hautflügler in eine so seltsame Aufregung versetzt hat. Geschah es unter der Einwirkung des auf seinem Brustabschnitt befestigten Magneten, als das Insekt sich aus allen Kräften abarbeitete, auf dem Boden mit den Beinen und Flügeln um sich schlug und dann wie außer sich entfloh? Hat mein Apparat in seinem Nervensystem sich dem leitenden Einflusse der Erdströme entgegengesetzt, oder ist das ungewöhnliche Benehmen der Biene ganz einfach eine Folge des ihm angelegten ungewohnten Panzers gewesen? Das soll sich sogleich zeigen.

Es wird ein zweiter Apparat hergestellt, bei dem aber ein kurzes Stückchen von einem Strohhalm die magnetische Nadelspitze ersetzt. Wiederum wälzt sich die Biene, auf deren Rücken er geklebt wurde, auf dem Boden hin und her und arbeitet so lange, bis sie sich von der lästigen Maschine befreit hat. Das Strohhälmchen bringt also dieselben Wirkungen hervor wie der Magnet, das heißt, daß der Magnetismus mit den geschilderten Vorgängen nichts zu schaffen gehabt hat. In beiden Fällen hat das Insekt das hindernde Gerät mit allen ihm zu Gebot stehenden Mitteln wieder los zu werden gesucht: normale Handlungen sind von ihm ebensowenig zu erwarten, solange es irgendeinen Apparat – er sei magnetisch oder nicht – auf dem Thorax trägt, wie von einem Hunde, dem man eine Kasserolle an den Schwanz gebunden hat. Das Experiment mit dem Magneten ist also unausführbar. Welches Ergebnis würde es wohl haben, wenn das Tier sich dazu hergäbe? Nach meiner Meinung gar keines: auf die Heimkehr zum Neste dürfte ein Magnet nicht mehr Einfluß ausüben wie ein Stückchen Strohhalm; das Problem des Orientierungssinnes aber bleibt nach wie vor für uns dunkel.


 << zurück weiter >>