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Geschichte des Juweliers.

»Herr, man erzählt, es war einmal ein sehr reicher und in seiner Kunst sehr geschickter Juwelier, ein großer Kenner von Kleinoden und Edelsteinen. Er hatte sich mit einer Frau verheiratet, welche von anständiger Herkunft war und sich durch ihre Klugheit auszeichnete. Seine Gattin war ihrer Niederkunft nahe, als eine Botschaft des Königs ihn schleunig nach Hofe forderte. Man hatte viel von seiner Kenntnis in Abschätzung der Edelsteine gehört und wollte ihn wegen Perlen zu Rat ziehen, mit denen der König seinen Schatz zu bereichern wünschte. Da er kein Mittel sah, sich von dieser Reise loszumachen, so traf er alle Anstalten dazu, und als er im Begriffe stand, abzureisen, nahm er von seiner Frau mit folgenden Worten Abschied: »Der bestimmte Befehl des Königs zwingt mich, auf einige Zeit zu verreisen; nimm unterdessen die Geschäfte unsers Handels und die Verwaltung unsers Eigentums sorgfältig in acht. Wenn das Kind, welches in meiner Abwesenheit geboren wird, ein Knabe ist, so nenne ihn Behrus; und ist es ein Mädchen, so überlasse ich es dir, ihr einen Namen auszuwählen. Lebe wohl; vergiß mein nicht und schließ mich in dein Gebet ein!«

Als der Juwelier in der Hauptstadt angekommen war, stellte er sich mit den gewöhnlichen Feierlichkeiten dem Könige vor, küßte den Boden und beteuerte ihm seine Hingebung und Treue. »Ich habe dich zu mir entboten,« sprach der Fürst zu ihm, »um mich durch deinen Rat in der Auswahl von Perlen leiten zu lassen, welche ich für meinen Schatz zu kaufen wünsche: du wirst mit Sorgfalt diejenigen aussuchen, welche du für die schönsten und meines Thrones würdigsten erkennest.« Bei diesen Worten ließ der König das Kästchen mit den Perlen herbeibringen.

Der Juwelier entledigte sich seines Auftrages mit viel Geschmack und Auswahl, und der König war damit so zufrieden, daß er ihm mehrere Belohnungen gab und ihn zum Hofjuwelier ernannte, indem er ihm die Fassung der Juwelen zu Kronen, zu Gürteln usw. übertrug. Da der Juwelier eine gute Erziehung genossen hatte und es ihm nicht an Geist und Munterkeit fehlte, so gelang es ihm, die Gunst des Königs zu gewinnen, indem er ihm allerlei ergötzliche Geschichten erzählte; und bald war er einer der vertrautesten Hofleute dieses Fürsten, der ihn mit Gunstbezeigungen überhäufte und ihn nicht einen Augenblick von seiner Seite ließ.

Unterdessen hatte die Frau des Juweliers bald nach seiner Abreise zwei schöne Knaben zur Welt gebracht; sie nannte den einen Behrus, wie ihr Mann verlangt hatte, und den andern Rusbeh. Sie sandte alsbald einen Boten nach der Hauptstadt, um ihm diese frohe Neuigkeit zu verkündigen, und schrieb ihm einen Brief, der also lautete:

»Die göttliche Vorsehung hat mich eben zur Mutter von zwei so schönen und vollkommenen Knaben gemacht, daß ich keine Ausdrücke zu finden weiß, sie zu schildern, und daß es unmöglich ist, sich eine Vorstellung davon zu machen. Komm also, mein teurer Gemahl, mit mir dem Himmel für diese Gabe zu danken, und laß nicht auf dich warten; denn ich kann deine Abwesenheit nicht länger ertragen.«

Bei Empfange dieses Brieses dankte der Juwelier zuerst Gott für das ihm gewährte Glück. Dann begab er sich zu dem König und bat ihn um Urlaub; aber der Fürst hatte ihn so lieb gewonnen, daß er ihm nicht erlauben wollte, wegzureisen; jedoch versprach er ihm diese Erlaubnis für das nächste Jahr.

Als dieser Aufschub um war, trat der Juwelier abermals vor den König und erinnerte ihn an sein Versprechen; aber dieser Fürst hatte nicht Lust, es zu erfüllen, und schlug ihm den Urlaub ab mit Vertröstung auf das folgende Jahr. Dasselbe wiederholte sich acht Jahre hintereinander, welche der Juwelier gezwungen war an dem Hofe zu bleiben.

Während dieser Zeit hatte seine Frau sich mit der Erziehung ihrer Knaben beschäftigt und sie in der Sprachlehre, Schreibekunst und allem, was zur Bildung junger Leute gehört, unterrichten lassen.

Als sie imstande waren, den Briefwechsel mit ihrem Vater zu führen, schrieben sie ihm einen Brief in so schönen Zügen, daß er entzückt darüber war und in seiner Ungeduld, sie zu sehen, nochmals bei dem König auf seine Bitte um Urlaub zurückkam. Der König schlug ihm sein Verlangen entschieden ab; jedoch erbot er ihm, sichere Leute hinzuschicken mit dem Auftrage, seine Frau und seine Kinder nach der Hauptstadt zu führen. Der Juwelier sah sich genötigt, dieses Mittel zu ergreifen, und schrieb an seine Frau einen Brief, daß sie zu ihm kommen möchte.

Sobald diese die Absicht ihres Mannes vernahm, machte sie alle Anstalten zur Reise mit ihren beiden Söhnen und reiste kurze Zeit danach ab.

Sie waren schon sieben Tage unterwegs, als sie eines Abends am Gestade des Meeres anhielten, um dort die Nacht zu bleiben. Am folgenden Morgen mit Tagesanbruch hatten die beiden Knaben ihre Mutter verlassen, um sich am Meeresufer zu ergötzen und sich dieses für sie ganz neuen Schauspiels zu erfreuen.

Unterdessen hatte der Juwelier, voll Ungeduld, die Ankunft seiner Frau zu vernehmen, nicht dem Verlangen widerstehen können, sie einige Augenblicke früher zu sehen, und ohne Urlaub von dem Könige die Hauptstadt verlassen, um ihr entgegenzueilen.

Er war zwei Tage unterwegs, als er sich gerade an demselben Ufer befand, wo seine Kinder verweilten. Der Aufgang der Sonne verkündigte die Stunde der Abwaschung; er zog seine Kleider aus, legte sie nebst einer Goldbörse auf den Sand und tauchte sich ins Meer. Nachdem er dieses fromme Bad genommen hatte, kleidete er sich wieder an, nahm sein Reisebündel auf und setzte seinen Weg fort.

Er war schon eine Strecke fortgeschritten, als er seine Börse vermißte; sobald er seine Unachtsamkeit bemerkte, kehrte er auf der Stelle nach dem Orte zurück, welchen er verlassen hatte. Er suchte überall umher, da erblickte er die beiden Knaben; er näherte sich ihnen und fragte sie, ob sie nicht eine verlorene Börse gefunden. Die beiden Knaben antworteten, sie hätten sie nicht gesehen; da bildete der Juwelier sich ein, sie hätten ihm dieselbe gestohlen, mißhandelte sie und schimpfte auf sie. Die Jünglinge antworteten ihrerseits ebenso, und bald ward der Wortwechsel so heftig, daß der Juwelier, aufs Äußerste getrieben und seiner Wut nicht mehr mächtig, sie alle beide ins Meer schleuderte.

Zu gleicher Zeit hörte er eine Frauenstimme, welche laut Behrus und Rusbeh rief; es war ihre Mutter, welche, beunruhigt durch ihr langes Außenbleiben, sie auf dieser Seite zu suchen kam. Der Juwelier erkannte die Stimme seiner Frau, bald erblickte er auch sie selber, lief auf sie zu und bezeigte ihr seine große Freude über ihr Wiedersehen. »Liebe Frau,« sprach er zu ihr, »ich hörte dich eben nach unsern Kindern rufen: zeige sie mir, ich brenne vor Verlangen, sie in meine Arme zu schließen.«

»Ich weiß nicht, wo sie hingeraten sind,« antwortete ihm seine Frau, »sie sind unlängst ans Ufer des Meeres gegangen, um sich zu ergötzen und das Meer anzuschauen; aber sie kommen nicht zurück, und die Unruhe, worin ich schwebe, treibt mich hierher, um zu sehen, ob sie nicht nach dieser Seite hin gegangen sind.«

Bei diesen Worten begann der Juwelier, der nun den ganzen Umfang seines Unglücks erkannte, zu weinen und brach in ein Geschrei der Verzweiflung aus. »Ach! ich Elender,« rief er aus, »was habe ich jetzt eben getan! Welchen Frevel habe ich verübt! Ich habe meine eigenen Kinder ins Meer gestürzt.« Hierauf erzählte er seiner Gattin alles, was vorgegangen war.

Auf diesen jammervollen Bericht fing sie auch bitterlich an zu weinen. Beide brachten den Tag damit zu, das Gestade zu belaufen, und mühten sich ab, ihre Kinder wiederzufinden; aber all ihr Suchen war fruchtlos, und die Vergeblichkeit ihrer Anstrengungen verdoppelte noch ihre Betrübnis.

Am folgenden Morgen faßten sie den Entschluß, in eine Welt zurückzukehren, welche keine Reize mehr für sie hatte, und sie nahmen den Weg nach der Stadt unter Tränen über das unglückliche Schicksal ihrer zarten Knaben.

Nach einigen Tagereisen kamen sie in eine große, wohlgebaute und anmutig gelegene Stadt. Ihr Anblick reizte sie, und sie beschlossen, dort ihre Wohnung aufzuschlagen und ihre übrigen Tage zu verleben. In dieser Absicht kauften sie sich ein bescheidenes Häuschen, worin sie wohnten und ihre Tage unter steten Gebeten zu Gott und in Tränen über ihre Kinder hinbrachten.

Aber die beiden Jünglinge waren nicht im Meere umgekommen, sie hatten mit den Fluten gekämpft, welche sie beide an zwei verschiedenen Stellen der Küste wieder ans Land geworfen hatten.

Behrus erreichte soeben das Ufer, als der König des Landes in dieser Gegend auf der Jagd war und ihn erblickte. Der Fürst befahl sogleich den Leuten seines Gefolges, dem Unglücklichen zu Hilfe zu eilen und ihn herbeizuführen. Sie vollzogen schleunig diesen Befehl, und Behrus trat vor den König, der über die Schönheit seiner Gestalt erstaunte, obwohl der Schreck und die Anstrengungen ihren Glanz getrübt hatten.

Der König fragte den Knaben, wie er hieße, und durch welchen Zufall er hier ans Land geworfen sei.

Der Sohn des Juweliers erzählte das eben vorgegangene Abenteuer und sagte, er hieße Behrus. »Behrus,« sprach der König, »dieser Name ist von guter Vorbedeutung: wohlan, weil das Schicksal dich in mein Reich sendet und ich keinen Sohn habe, so sollst du einst mein Nachfolger auf dem Throne sein. Steig aufs Pferd und folge mir nach meiner Hauptstadt.«

Sie ritten sogleich fort, und als sie im Palast angekommen waren, hatte der König die größte Sorgfalt für Behrus und behandelte ihn wie seinen eigenen Sohn. Täglich bewies er ihm durch seine Liebkosungen und Geschenke, wie teuer er ihm war; und die Gunst, welche dem Jünglinge zuteil ward, erwarb ihm die Verehrung und Hingebung aller Untertanen des Königreichs.

Nach Verlauf einiger Jahre ward der König krank und starb, nachdem er ihn zu seinem Erben ernannt hatte. Behrus bestieg den Thron und empfing den Eid der Treue vom ganzen Volke.

Unterdessen war das Schicksal seines Bruders sehr verschieden gewesen. Die Küste, an welche er von den Wogen geworfen wurde, war von Räubern beunruhigt; diese erblickten ihn und nahmen ihn gefangen, um ihn als Sklaven zu verkaufen. Sie führten ihn demnach in die nächste Stadt, wo sie ihn auf dem Basar ausstellten.

 

Vierhundertundzweiundfünfzigste Nacht.

Nun traf es sich, daß denselben Tag der Juwelier, der einen Sklaven brauchte, auf den Markt gegangen war, sich einen zu kaufen. Sobald er Rusbeh erblickte, fühlte er sich durch eine besondere Regung zu ihm hingezogen; er handelte um ihn, und als man über den Preis einig geworden war, bezahlte er ihn und führte ihn sogleich weg.

Als er mit ihm heimgekommen war, beeilte er sich, ihn seiner Frau zu zeigen: aber wie groß war sein Erstaunen, als er sie bei dessen Anblick einen lauten Schrei ausstoßen und in Ohnmacht sinken sah. Sobald sie wieder zu sich kam, drückte sie ihren Sohn an ihren Busen und sprach zu ihrem Gatten: »O mein lieber Mann, der Himmel begnadigt uns augenblicklich, weil er uns unsern Rusbeh wiedergibt der, den du mir hier bringst, ist kein Sklave, sondern dein eigener Sohn.«

Bei diesen Worten fiel der Juwelier voller Freuden seinem Sohn um den Hals und umarmte ihn bei aller väterlichen Herzlichkeit, dann fragte er ihn, durch welchen glücklichen Zufall er dem fast gewissen Tode entgangen wäre. Als Rusbeh ihnen hierauf seine Abenteuer erzählt hatte, dankten sie Gott und fühlten in sich die Hoffnung wieder aufleben, daß sie einst auch Behrus noch wiederfinden würden.

Der Juwelier beschäftigte sich nun damit, seine Kunst auch seinen Sohn zu lehren, und in kurzer Zeit machte er ihn ebenso geschickt darin, als er selber war. Er gab ihm alle nötigen Anweisungen zum Handel und zu den Geschäften, welche dieses Gewerbe erfordert, so daß Rusbeh ein vollkommener Kaufmann ward.

Seine Handelsverbindungen dehnten sich so weit aus, daß er den Vorsatz faßte, sich an die benachbarten Höfe zu begeben, um dort die zahlreichen Kleinode zu verkaufen, mit welchen er Handel trieb. Er sprach also eines Tages zu seinem Vater: »Ich habe viel von der Gerechtigkeit, der Großmut und den ausgebreiteten Kenntnissen eines der benachbarten Könige gehört. Man sagt, er nehme die Fremden mit großem Wohlwollen auf: ich habe Lust, nach seiner Hauptstadt zu reisen, um dort meine Kleinode zu verkaufen oder gegen Waren seines Landes umzutauschen, welche uns hier in dem unsrigen unfehlbar einen großen Gewinn abwerfen werden.«

»Mein Sohn,« antwortete der Juwelier, »ich willige gern in die Reise, welche du zu unternehmen wünschest: aber ich bitte dich, verlängere deine Abwesenheit nicht zu sehr; denn du weißt, wie schmerzlich sie nicht allein für mich, sondern auch für deine Mutter sein wird.«

Auf diese Erlaubnis seines Vaters beschäftigte sich Rusbeh gleich mit den Anstalten zu seiner Reise; und wenige Tage darauf begab er sich nach der Hauptstadt des Königs, welchen er kennen zu lernen wünschte, und der kein anderer als sein Bruder war.

Am Tage nach seiner Ankunft säumte er nicht, ihn prächtige Geschenke zu übersenden und um Gehör zu bitten, welches er auch sogleich erhielt. Als er vor dem König erschien, hatte die Gestalt der beiden Brüder sich so verändert, daß sie sich nicht erkannten; jedoch fühlten sie sich durch eine zärtliche Neigung zueinander hingezogen. Der König empfing Rusbeh aus die freundlichste Weise, und nachdem er ihn neben sich hatte niedersitzen lassen, fragte er ihn, welche Angelegenheiten ihn nach seiner Hauptstadt geführt hätten. Der junge Kaufmann antwortete ihm, er wäre in der Absicht gekommen, seinen Handel mit köstlichen Kleinoden zu treiben; und zugleich zeigte er ihm etliche davon vor. Der König fand sie so schön, daß er sie alle für den von ihm geforderten Preis kaufte.

Nach Abschlusse dieses Handels wollte Rusbeh sich wieder entfernen; aber der König fühlte sich von so inniger Zuneigung zu ihm durchdrungen, daß er ihn bat, in seinem Palaste zu bleiben und ihn nimmer ohne seine Erlaubnis zu verlassen. Rusbeh trat also in die Dienste des Königs, der ihm täglich neue Beweise seiner Gewogenheit gab.

So lebte er einige Zeit an dem Hofe, als ein Krieg ausbrach. Der König hielt diesen Krieg nicht für so wichtig, daß er seine Gegenwart bei dem Heere erforderte; er schickte seine Truppen ab, um den Angriff des Nachbarn zurückzuschlagen, und blieb in seiner Hauptstadt, wo er mit Rusbeh ergötzliche und vergnügliche Tage verlebte.

Eines Abends saß er mit ihm auf einer Terrasse beim Trunke und berauschte sich dermaßen, daß er nicht imstande war, in den Palast zurückzugehen, und die Nacht draußen zubringen mußte; er streckte sich also hin und schlief ein. Als Rusbeh sah, daß niemand von der Leibwache des Fürsten seinen Dienst zu versehen kam, so übernahm er selber dies Amt, zog seinen Säbel und blieb als Schildwacht die ganze Nacht bei ihm.

Am folgenden Morgen mit Anbruche des Tages erschienen die Wachthabenden, und als sie einen Menschen mit gezücktem Säbel bei dem König erblickten, stürzten sie über ihn her und entwaffneten ihn. Von dem Getöse dieses Handgemenges erwachte der König und fragte nach der Ursache dieses Lärmens, worauf die Wachthabenden antworteten, sie hätten ihm eben das Leben gerettet, und wären sie einige Augenblicke später gekommen, so würde er von Rusbeh ermordet worden sein.

In der Wut über diesen vorgeblichen Verrat hätte der König auf der Stelle seinen Bruder verdammt, wenn in demselben Augenblicke nicht die Muessims die Gläubigen zum Gebete gerufen hätten. Und kaum hatte der König sein Gebet verrichtet, als eine Botschaft in aller Eile anlangte. und verkündigte, seine Gegenwart im Lager wäre unerläßlich und durchaus notwendig, das königliche Banner wehen zu lassen, weil sich die Feinde beträchtlich verstärkt hätten und die Anwesenheit des Königs allein den Sieg sichern könnte.

Wie sehr nun auch Behrus den Schuldigen zu bestrafen verlangte, so war die Aufforderung seines Heeres doch zu dringend, als daß er seine Abreise hätte aufschieben können. Er bedachte, daß es unmöglich wäre, sich in der kurzen Zeit, die er noch bleiben konnte, genugsam von der Wahrheit des angeschuldigten Verbrechens zu überzeugen, und gab Befehl, den Rusbeh bis zu seiner Rückkehr von dem Heere im Gefängnisse zu bewahren.

Noch denselben Tag begab er sich auf den Weg. Seine Ankunft machte die beste Wirkung aus die Truppen, welche ihn mit allen möglichen Freudenbezeigungen empfingen. Gleich am folgenden Tage wurde eine Schlacht geliefert und der Feind völlig geschlagen und zerstreut, so daß er gezwungen war, um Frieden zu bitten.

Nach dieser glücklichen Abwehr des feindlichen Einfalls, welcher sein Königreich bedrohte, zog der Fürst im Triumph wieder in seine Hauptstadt ein, wo er sein bisheriges lustiges Leben fortsetzte: darüber hatte er schon Rusbeh, der im Gefängnisse schmachtete, gänzlich vergessen.

Unterdessen waren der Vater und die Mutter dieses jungen Mannes, als sie ihn nicht zurückkommen sahen und keine Nachricht mehr von ihm empfingen, ein Raub der tödlichsten Unruhe. Sie beschlossen, einen getreuen Boten mit einem Briefe an die Handelsfreunde des Juweliers in der Stadt abzuschicken, wo Rusbeh wohnen mußte, und sie um einige Auskunft über sein Schicksal zu ersuchen.

Der Bote machte sich sogleich auf den Weg, er begab sich zu den Raufleuten, an welche er empfohlen war, und zog die Erkundigungen ein, welche ihm aufgetragen waren. Man berichtete ihm, daß Rusbeh anfangs sich des höchsten Glücks erfreut hätte, aber nachmals, verfolgt von seinem Mißgeschick, in einen Abgrund von Unglück gestürzt wäre: und dabei erzählte man ihm alle Umstände, welche den Fall des jungen Mannes begleitet hatten.

Der Bote kam in aller Eile mit diesen schlimmen Neuigkeiten zu den Eltern zurück. Als diese das jammervolle Schicksal ihres vielgeliebten Sohnes vernahmen, bemächtigte sich ihrer der bitterste Schmerz. Sie berieten sich lange über die besten Mittel, ihr Kind zu befreien: endlich, nachdem sie hinlänglich alles überlegt hatten, was ihnen zu tun übrig blieb, beschlossen sie, selber nach der Hauptstadt zu reisen, sich dem Könige zu Füßen zu werfen und ihren Sohn loszubitten; sie meinten, daß der Anblick ihres Jammers den Fürsten vielleicht rühren würde.

In diesem traurigen Vorhaben machten sie sich nach der Hauptstadt auf den Weg. Nach einer Reise von einem Monat langten sie endlich dort an; und ihre erste Sorge war, nach dem Palaste zu eilen und ihr Gesuch dem Wesir zu überreichen. Es war in folgenden Worten abgefaßt:

»Strahlende Leuchte des Thrones! Du bist der Trost der Betrübten, und wir kommen, deine Weisheit anzuflehen. Wir sind schon von der Last der Jahre niedergedrückt, und Leiden kommen noch dazu, unsere übrigen traurigen Tage zu verbittern. Wir hatten zwei Söhne und waren ihrer durch ein schreckliches Unglück beraubt, als die Vorsehung uns durch einen unverhofften Zufall den einen wiedergab; und diese Gnade des Himmels war der Trost unserer alten Tage. Wir lebten glücklich, als der Ruf von der Großmut, Weisheit und Gerechtigkeit des Fürsten, der uns beherrscht, auch bis zu uns gelangte. Unser Sohn konnte nun dem Verlangen nicht widerstehen, die Türschwelle eines so großen Herrschers zu küssen, und begab sich nach seiner Hauptstadt. Aber ach! er schmachtet gegenwärtig in den Gefängnissen desselben Königs, dessen Gnade und Mitleid wir anzuflehen kommen. Möchte doch Seine Majestät geruhen, Rusbeh die Freiheit wiederzuschenken! Wir würden stets mit Inbrunst für die Glückseligkeit seiner Regierung und die Vermehrung seiner Reichtümer und seines Ruhmes beten.«

Als der Wesir die Bittschrift des Juweliers zu den Füßen des Königs brachte, war dieser über den Inhalt derselben höchst erstaunt, und einige Zeit zweifelte er, ob er wirklich wachte; denn er konnte nicht verkennen, daß die Urheber der ihm überreichten Bittschrift sein Vater und seine Mutter wären. Er befahl auf der Stelle, sie in den Palast kommen zu lassen, und sein Befehl ward erfüllt.

Sobald die Frau des Juweliers den König erblickte, erkannte sie auch ihren Sohn. »Ah,« rief sie aus, »da ist Behrus!«

Der König stieg von dem Throne und warf sich ihr zu den Füßen; seine Eltern hoben ihn auf und überschütteten ihn mit Liebkosungen. Der König ließ sie neben sich auf seinem Throne sitzen und seinen Bruder Rusbeh aus dem Gefängnisse holen; und um seine volle Freude über diese glückliche Erkennung zu bezeigen, befahl er, zugleich alle Gefangenen desselben Gefängnisses in Freiheit zu setzen. Er empfand nicht nur das lebhafteste Vergnügen über die Wiederfindung eines geliebten Bruders, sondern wollte auch den Thron mit ihm teilen. Beide lebten lange Jahre so vereinigt und ehrten ihre geliebten Eltern auf alle mögliche Weise.

Ihr seht, Herr,« setzte Bacht-jar hinzu, »wieviel Unheil sich der Juwelier durch seine Ungeduld zuzog; zugleich seht Ihr, daß das Bedenken des Königs, bevor er den Tod des Verurteilten befahl, ihm viel Reue ersparte, weil er sonst, wenn er seine Eltern wiedergefunden, zu spät erkannt hätte, daß das Schlachtopfer sein Bruder gewesen wäre.

Ebenso,« fuhr Bacht-jar fort, »wird Euer Majestät es sich selber noch Dank wissen, meine Hinrichtung aufgeschoben zu haben: denn einst wird meine Unschuld an den Tag kommen.«

Der König verschob hierauf abermals die Hinrichtung des Angeklagten.

Um folgenden Morgen erschien der neunte Wesir vor dem König und sprach zu ihm: »Herr, die Wahrhaftigkeit muß vor allem den Königen eigen sein, und die Jahrbücher der Geschichte lehren uns, daß alle Fürsten es sich zur Pflicht gemacht haben, durch diese Tugend sich auszuzeichnen; denn wenn ein König sein Wort bricht, hört all sein Zutrauen bei den Untertanen auf, die sich nicht mehr auf ihn verlassen können: seine Drohungen werden ebenso unwirksam als seine Versprechungen, und seine Regierung ist durch dieses Mißtrauen gelähmt.

Ihr habt Eurem Volke die Bestrafung eines Räubersohnes verheißen, dessen Verurteilung längst ausgesprochen ist, und der durch seine Märchen der Bestrafung seiner Verbrechen spottet. Diese Nachsicht bringt bei Euren Untertanen von allen Ständen die nachteiligste Wirkung hervor; sie sprechen: »Wir können fortan versichert sein, ungestraft zu bleiben, welches Verbrechen wir auch begehen mögen; wir dürfen nur Geschichtchen einlernen; und da unser guter König Erzählungen liebt, so brauchen wir ihm nur einen neuen Schwank zu erzählen, um der Bestrafung zu entgehen.« Demnach, so viel Vergnügen es Euer Majestät gewähren mag, den Bacht-jar anzuhören, ist es wichtig, Herr, dem ein Ziel zu setzen und den schädlichen Eindruck zu verlöschen, welchen dieser wiederholte Aufschub auf die Gemüter Eurer Völker gemacht hat.«

Der König ließ den Bacht-jar kommen und wollte schon dem Scharfrichter Befehl zur Hinrichtung erteilen, als der Angeklagte nochmals um eine Frist von zwei Tagen bat. »Herr,« sprach er, »binnen dieser so kurzen Zeit wird Gott das Licht aus der tiefen Dunkelheit hervorbrechen lassen, welche es jetzt verfinstert. Denn die Verfolgungen, deren Schlachtopfer ich bin, sind durch meine Feinde erregt, die auf das Glück, dessen ich mich bei Euer Majestät erfreute, neidisch sind und mir nach dem Leben trachten. Der Neid, gleich dem Feuer, vernichtet alles, was er berührt. Ebenso ging der unglückliche Abutemam durch die gegen ihn erhobenen Verleumdungen zugrunde.«

Asad-bacht wollte die Geschichte Abutemams wissen, und Bacht-jar begann folgendermaßen:

 


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