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Geschichte des Prinzen von Sangebar.

»Es herrschte einst in Arabien ein König, welchen seine Bedrückung, seine Härte und Ungerechtigkeit allen seinen Untertanen verhaßt machten. Er hatte unter seinen Sklaven einen Jüngling, der von der Küste von Sangebar entführt worden war: dieser war der Sohn des Königs dieses Landes: weil er aber Gründe hatte, seine hohe Geburt zu verbergen, so wußte niemand am Hofe des Königs von Arabien, daß Abrahah ein Prinz war.

Abrahah hatte sich die Gunst seines Herrn zu erwerben gewußt; er begleitete ihn überallhin, und ihm war die Aufsicht über die Waffen des Königs anvertraut. Eines Tages, als sie mitsammen auf der Jagd waren und ein Hirsch hitzig verfolgt wurde, schoß der König mehrere Pfeile ab, ohne ihn zu erreichen, Abrahah, der hinterdrein folgte, schoß auch einen ab; aber er hatte das Ungeschick, das Ohr des Königs zu treffen, von welchem der Pfeil ein Stück mit sich wegriß, so daß das Blut stromweise herabfloß.

Sogleich befahl der König von Arabien, nach seiner heftigen Gemütsart, seinem Gefolge, den unglücklichen Sklaven zu ergreifen und ihm den Kopf abzuhauen. »Herr,« sprach dieser zu ihm, »Euer Majestät weiß wohl, daß mein Pfeil nicht auf Euch gerichtet war, und daß mein Ungeschick allein den Zufall veranlaßte, dessen Opfer ich sein soll; geruhet, dieses Versehen zu entschuldigen: eine gute Handlung findet immer ihren Lohn, und wenn Ihr vergebet, so wird Euch wieder vergeben.«

Der König von Arabien hatte Mitleid mit seinem jungen Sklaven, er unterdrückte also seinen Zorn und widerrief den gegebenen Befehl. Abrahah, voller Freuden, dankte seinem Herrn für die Gnade und kehrte mit ihm nach der Stadt zurück.

Unterdessen hatte der König von Sangebar, dem man seinen Sohn mit Gewalt entführt hatte, voll Unruhe über sein verschwinden lange vergeblich nach allen Seiten Boten ausgeschickt, ihn zu suchen. Endlich vernahm er, daß derselbe gefangen worden sei und Sklave am Hofe des Königs von Arabien wäre; jedoch hielt er es nicht für rätlich, ihn als seinen Sohn zurückzufordern, indem er mit Grund fürchtete, sein Herr möchte alsdann ein zu hohes Lösegeld für ihn verlangen. Er wählte also einen gewandten und erfahrenen Mann und trug ihm auf, diese Angelegenheit mit aller erforderlichen Vorsicht und Verschwiegenheit zu betreiben. Dieser Mann begab sich, mit seinen Verhaltungsregeln und mit allem Gelde versehen, dessen er zur Sicherung des Erfolges seiner Unternehmung bedurfte, nach Arabien.

Bei seiner Ankunft an dem Hofe des Königs gelangte er leicht dazu, den jungen Prinzen von Sangebar zu sehen; er erzählte ihm mit Wärme von seinem Geburtslande und von der Zärtlichkeit seines Vaters, und Abrahahs Augen vergossen bei dieser rührenden Schilderung Tränen wie ein Frühlingsregen. Da stand der Abgesandte nicht länger an, ihm den Zweck seiner Sendung zu entdecken, und erklärte ihm, daß er von seinem Vater abgeschickt wäre, um sein Entkommen zu erleichtern.

Abrahah ergriff diesen Vorschlag mit Freuden; sie verabredeten einen Ort, wo sie sich treffen wollten, und am Abend verließen beide, als Kaufleute verkleidet, die Stadt, und in kurzer Zeit hatten sie die Hauptstadt des Königreichs Sangebar erreicht.

Sobald der König von der Annäherung seines Sohnes benachrichtigt war, ließ er ihm Truppen entgegenziehen, ihm den prächtigsten Empfang bereiten, und alles atmete Freude und Vergnügen beim Einzuge des Prinzen in die Stadt.

Aber ganz anders war es am Hofe des Königs von Arabien. Als er entdeckte, daß sein Lieblingssklave plötzlich verschwunden war, so war es um seine Ruhe geschehen, und er beschäftigte sich nur mit dem Mittel, ihn wiederzufinden. Zu diesem Zwecke ließ er ein Schiff wohl ausrüsten und zahlreich bemannen, und wenige Tage nach der Abfahrt des jungen Prinzen schiffte er sich zu seiner Verfolgung ein.

Die ersten Tage der Fahrt waren ziemlich glücklich, und der König fand in seinem Schiffe alles mögliche, was zur Zerstreuung dienen und die Beschwerden der Reise erträglich machen konnte. Aber eines Abends fing der Donner an zu grollen, ein wütender Wind erhob sich und wühlte, bald zum rasenden Sturm angewachsen, die Tiefen des Meeres aus. Das Schiff kämpfte lange gegen das Ungewitter; endlich schlug eine Woge es auseinander, und der König von Arabien wäre ertrunken, wenn er nicht ein Brett ergriffen hätte.

Der unglückliche Schiffbrüchige schwamm sieben Tage lang, ein Spiel der Wogen und Winde, umher; endlich wurde er von den Fluten ans Ufer geworfen, wo er ohne Bewußtsein liegen blieb.

Einige Fischer fanden ihn auf dem Strande und wollten ihn befragen; er war aber ganz erschöpft und fast ohne Leben. Da öffneten sie ihm den Mund und flößten ihm einige Tropfen Öl ein, welche ihn wieder zur Besinnung brachten.

Auf Befragen der Fischer vernahm der König von Arabien, daß er an der Küste von Sangebar Schiffbruch gelitten hatte; er erkundigte sich, wie weit er es bis zur Hauptstadt hätte; und da er hörte, daß es nur vier Parasangen wären, so faßte er wieder Mut und machte sich auf den Weg.

Am Abend erreichte er diese große Stadt, sehr ermüdet und ohne zu wissen, wo er um Herberge bitten sollte; er wagte es nirgend einzusprechen und entschloß sich, die Nacht unter dem Schirmdache eines Kaufladens zuzubringen, und schlief hier ein.

Nun geschah es, daß in ebendieser Nacht Räuber in das Haus des Kaufmanns einbrachen, denselben samt seinen Kindern und einer Magd ermordeten und alles, was sie von Wert finden konnten, mit fortschleppten. Der König von Arabien, welchen die Ermüdung in tiefen Schlaf versenkt hatte, hatte nichts von allem bemerkt.

Aber am folgenden Morgen, als man überall nach den Urhebern dieser Verbrechen suchte, sah man ihn unter dem Schirmdache hervortreten, welches ihm zur Herberge gedient hatte. Sogleich bemächtigte das Gesinde sich seiner. Das Blut, welches seine Kleider befleckte, und der armselige Zustand, worin er sich befand, ließen nicht zweifeln, daß er einer von den Mördern wäre. Man führte ihn also vor den König von Sangebar.

»Elender,« sprach dieser Fürst zu ihm, »wähntest du denn diese Stadt von einem Könige beherrscht, dessen Nachlässigkeit dir Straflosigkeit zusicherte, daß du es wagtest, so viel Menschenblut zu vergießen und mit solcher Frechheit zu rauben? Bekenne deine Gehilfen und den Ort, wo du das Geraubte verborgen hast.«

»Ach! Herr,« antwortete der König, der sich scheute, seinen wahren Namen zu entdecken, »ich stamme aus königlichem Geblüte und war zu Schiffe gegangen, um zu reisen und mich zu unterrichten; aber der Sturm hat mein Schiff an den Küsten Eures Reiches zerschmettert, die Wellen haben mich ans Ufer geworfen, und ich bin gestern abend in Eurer Hauptstadt angekommen. Da ich niemand in dieser Stadt kannte und es übrigens schon so spät war, daß alle Läden geschlossen waren, so sah ich mich genötigt, die Nacht vor einem Hause zuzubringen, und ich erwachte eben aus dem tiefsten Schlafe, als plötzlich die Leute mich eines Verbrechens beschuldigten, welches ich nicht begangen habe, und mich vor Euch schleppten.«

»Wähne nicht,« antwortete der König von Sangebar, »daß ich mich durch deine listigen Lügen äffen lasse: der Ort, wo man dich gefunden hat, das Blut, womit du bespritzt bist, alles beweist hinlänglich, daß du einer der Mitschuldigen bist, und ich kann die seltsame Erzählung nicht glauben, durch welche du dich rechtfertigen willst. Deine Bestrafung soll scharf genug sein, um deinen Helfershelfern, die meiner Gerechtigkeit entschlüpft sind, Schrecken einzujagen.«

»Herr,« erwiderte der König von Arabien, »ich beteure Euch, daß ich von königlichem Geblüte bin wie Ihr; geruhet, eine günstigere Meinung von meiner Person zu fassen: Euer Majestät kennt meine Unschuld nicht, aber Gott kennt sie.«

Verwundert über die edle Weise, mit welcher der Angeklagte sich ausdrückte, sah der König von Sangebar wohl, daß dieser Mensch eine sorgfältige Erziehung genossen hatte; und befürchtend, durch den Anschein getäuscht zu sein, verschob er seine Hinrichtung und ließ ihn ins Gefängnis führen. Der König von Arabien ergab sich in sein Schicksal und brachte seine Zeit in Gebet hin.

Hinter dem Gefängnisse befand sich ein angenehmer Hof, von Bäumen beschattet und durch einen klaren Bach bewässert, wo man den Gefangenen sich zu ergehen erlaubte.

Eines Tages sah der gefangene König eine Krähe sich auf die Mauer des Hofes setzen: um nun eine günstige oder ungünstige Vorbedeutung für die Dauer seiner Gefangenschaft zu erlosen, sprach er bei sich selber: »Laß sehen, ob ich mit diesem Knochen, welchen ich in der Hand habe, die Krähe treffen kann; das soll meine baldige Befreiung verkündigen: wenn ich sie dagegen verfehle, so bedeutet es, daß ich noch lange gefangen bleibe.« So spricht er, wirft den Knochen mit aller Macht, verfehlt aber den Vogel, welcher davonfliegt.

Nun fügte es sich zufällig, daß jenseits der Gefängnismauer auf einer weiten Wiese der Sohn des Königs von Sangebar seine Truppen musterte und übte: und da flog der von dem Gefangenen geschleuderte Knochen dem Prinzen gerade ans Ohr und verwundete ihn schmerzlich.

Als der Prinz Abrahah sein Blut herabströmen sah, stieß er ein Wehgeschrei aus und gab Befehl, nachzuforschen, wer den Knochen geschleudert hätte. Man verfehlte nicht, in dem Könige von Arabien den Schuldigen zu entdecken, und führte ihn von neuem vor den König von Sangebar.

Abrahah erkannte seinen alten Herrn in diesem elenden Zustande nicht. Der Sklave war jetzt ein Prinz und der Fürst ein Sklave geworden.

»Unglücklicher!« rief der König von Sangebar aus, als er seinen Sohn mit Blut bedeckt und den gefangenen König vor sich sah, »was hast du meinem geliebten Sohne getan? Du sollst setzt dein neues Verbrechen mit deinem Leben bezahlen. Ich war geneigt, dich für unschuldig zu halten: aber diese Missetat beweist hinlänglich, daß du zum Mörder geboren bist. Magst du noch zu behaupten, daß du unschuldig bist?«

»Herr,« antwortete der König von Arabien, »Ihr, dessen Gerechtigkeit in der ganzen Welt bekannt ist, wolltet Ihr eine der geheiligtsten Vorschriften des göttlichen Gesetzes übertreten, welches die Wiedervergeltung gebietet? Ich habe dem Prinzen das rechte Ohr entrissen, befehlet also, daß man mir auch das meine nehme.«

»Nun wohl, antwortete der König von Sangebar, »dein Begehren soll erfüllt werden: man schneide ihm das Ohr ab.«

Der Scharfrichter wurde geholt: aber als der das Urteil des Königs vollstrecken wollte, fand er kein rechtes Ohr mehr.

»Ha,« fuhr der König von Sangebar fort, »bist du nunmehr nicht deiner Verruchtheit überführt! Da sieht man es, du hast schon einmal die Strafe der Diebe erlitten, und die Verstümmelung deines Ohres zeugt genugsam von dem ehrlosen Gewerbe, welches zu treiben du dich nicht schämest.«

 

Vierhundertundfünfundvierzigste Nacht.

Auf diesen beleidigenden Verdacht konnte der König aus Arabien sich nicht länger zurückhalten. »Ihr täuschet Euch,« antwortete er rasch, »ich bin kein Räuber, und weil ich es Euch denn bekennen muß, so wisset, das Königreich Arabien gehorcht meinen Geboten; und wenige Worte werden hinreichen, um Euch von der Wahrheit meiner Behauptung zu überzeugen.«

Hierauf erzählte er, wie er sich eingeschifft hätte, um einen von seinem Hofe entflohenen Sklaven zu verfolgen, und berichtete die Umstände seines Schiffbruchs und seiner Ankunft in dem Königreiche Sangebar.

Nach dieser Erzählung warf Abrahah, der nun seinen alten Herrn erkannte, sich plötzlich zu seinen Füßen und bekräftigte so die Wahrheit seiner Aussage. Der König von Sangebar unterließ nicht, seinem Gefangenen tausend Entschuldigungen zu machen und ihm sein großes Bedauern zu bezeigen, daß er ihm eine solche Behandlung hatte widerfahren lassen. Er bemühte sich fortan, durch seine Aufmerksamkeiten ihm die Unannehmlichkeiten des Zufalls, welchen er ihn hatte büßen lassen, zu vergüten. Er ließ ihn ins Bad führen und bot ihm prächtige Kleider, treffliche Rosse und ein zahlreiches Sklavengefolge dar.

Nachdem der König von Arabien so einige Tage unter Vergnügungen und Festen in der Hauptstadt von Sangebar zugebracht hatte, kehrte er mit einem glänzenden Gefolge nach seinen Staaten zurück.

Unterdessen verfehlte man auch nicht, in Sangebar die Urheber der Mordtat auszuforschen, und bestrafte sie strenge.

Ihr seht, Herr,« fügte Bacht-jar hinzu, »wenn der König von Arabien gegen Abrahah nicht Gnade bewiesen, dieser Gelegenheit gefunden hätte, sich einst zu rächen; und wenn der König von Sangebar den König von Arabien als Mörder des Kaufmanns hätte hinrichten lassen, würde er Ursache gehabt haben, seine Ungerechtigkeit zu bereuen, nachdem die wahren Schuldigen entdeckt worden.

Euer Majestät geruhe also die Vollziehung meiner Verurteilung nicht zu beschleunigen, sondern mir noch einige Tage Aufschub zu gewähren, um meine Unschuld darzutun. Die Gnade ist die sicherste Grundlage des Thrones der Könige.«

Asad-bacht genügte diese Erzählung Bacht-jars, und er befahl, ihn bis morgen ins Gefängnis zurückzuführen.

Am folgenden Tage trat der sechste Wesir vor den König hin, verbeugte sich tief und sprach folgendermaßen:

»Herr, es ist Pflicht der Könige, ihre Feinde zu vertilgen; denn es ist eine unveränderliche Vorsichtsregel, daß auch der Schwächste nicht zu verachten ist. Man muß sich also von denen, die unsern Schaden wollen, befreien, sobald man sie in seiner Gewalt hat.«

Der König befahl hierauf, Bacht-jar vorzuführen, und sprach zu ihm: »Wohlan, ich wartete bisher vergeblich, daß deine Unschuld sich offenbaren würde: aber der Tag ist endlich gekommen, wo dein Schicksal entschieden werden soll.«

»Herr,« antwortete Bacht-jar, »ich hatte schon den Entschluß gefaßt, mich schweigend zu unterwerfen, aber wenn ich bedenke, wie Eure Feinde die Ungerechtigkeit benutzen werden, welche Ihr begehen wollt, so kann ich nicht länger schweigen. Übrigens, seht Ihr, kann ich nicht entfliehen, welchen Aufschub auch Euer Majestät mir zu gewähren geruhet; mein Tod ist gewiß, wenn ich nicht so glücklich bin, meine Unschuld zu beweisen. Der Eindruck, welchen die Majestät Euer Gegenwart auf mich macht, verhindert mich, die Umstände geltend zu machen, welche zu meinen Gunsten sprechen: aber ich sage Euch, derjenige, der alles weiß, wird einst die Falschheit der gegen mich erhobenen Anklagen ans Licht bringen; und wenn ich sterbe, so könnte Euer Majestät auch wohl noch die Ungerechtigkeit bereuen wie der König Dabdyn, welcher im Vertrauen auf die Anklagen Kardars den Kamkar umbringen ließ.«

Der König bat den Bacht-jar, diese Geschichte zu erzählen.

 


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