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Geschichte Behesads, des Ungeduldigen.

»Zu der Zeit, als Halep die Hauptstadt einiger Staaten umher war, herrschte dort ein König, der durch seine Gerechtigkeit, Güte, Leutseligkeit und Milde bei seinen Untertanen beliebt war und sich besonders durch seine edelmütige Gastfreiheit gegen Fremde, welche sein Reich besuchten, auszeichnete.

Dieser König hatte einen Sohn namens Behesad, einen Jüngling voll guter Eigenschaften, und der mit einer sehr umfassenden Bildung große Anmut des Betragens verband. Er hatte nur den einzigen Fehler, alles, was er unternahm, mit der äußersten Ungeduld zu betreiben und manchmal eine unzeitige Lebhaftigkeit zu zeigen.

Eines Tages, als Behesad sich mit einigen Leuten vom Handelsstande unterhielt, erzählte einer derselben ein gar seltsames Abenteuer, das ihm begegnet war. »Es sind ungefähr zwei Jahre,« sprach dieser, »daß ich mit einer Anzahl Kamelen reiste, welche ich für meine Rechnung hatte beladen lassen, als in der Nähe einer Stadt meine Karawane von einer Räuberbande völlig geplündert wurde. Trostlos über diesen Unfall, entfloh ich tief in ein Gehölz, um nicht selber den Räubern in die Hände zu fallen. Die Nacht brach an, und ich sah mich genötigt, auf einen dichtbelaubten Baum in der Nähe der Heerstraße zu steigen. Kaum befand ich mich einige Augenblicke droben, als ich in der Ferne glänzende Lichter erblickte, welche sich allmählich dem Orte, wo ich war, näherten. Bald sah ich eine Menge Leute vorüberziehen, welche sich der lärmendsten Lustigkeit überließen. Ihnen folgten Diener mit Feuerbecken, in welchen Räucherwerk von so köstlichem Gerüche brannte, daß der ganze Wald davon duftete. Hierauf kamen Spielleute, welche ihren Gesang mit vielen Instrumenten begleiteten; dann folgten Sklaven mit Fackeln in den Händen, bei deren Schein ich in der Mitte eines glänzenden Gefolges einen Tragsessel erblickte, und auf diesem saß die schönste Prinzessin, welche ich jemals in meinem Leben gesehen habe: der Glanz ihres reizenden Antlitzes überstrahlte weit den Schein der sie umgebenden Kerzen; und ich wurde dermaßen davon geblendet, daß immerdar seit dieser Zeit ihr Bild vor meiner Seele schwebt.«

Diese Erzählung reizte heftig Behesads Neugierde und machte auf diesen jungen Prinzen einen tiefen Eindruck. Der Erzähler fuhr nun folgendermaßen fort:

»Am folgenden Morgen stieg ich wieder von dem Baume, auf welchem ich die Nacht zugebracht hatte, ging weiter und kam in eine Stadt. Ich vernahm, daß ich in Rom, der Hauptstadt der Cäsaren, war.

Als ich mich erkundigte, wer die reizende Erscheinung gewesen, welche ich in der vorigen Nacht in dem benachbarten Walde gesehen hatte, erfuhr ich, es wäre des Kaisers Tochter, die schöne Nikarine, welche sich nach einem Landhause begeben hätte, wo sie einen Teil des Jahres zuzubringen pflegte, um die Annehmlichkeit der schönen Jahreszeit zu genießen und die Seufzer und Liebesklagen der Nachtigall an die Rose zu hören.«

Sobald der Prinz Behesad diese Erzählung gehört hatte, lief er zu einem der Wesire seines Vaters und sagte ihm, er wäre nun schon in dem Alter, daß man auf eine Gattin für ihn denken müßte, und daß er sich vermählen wollte. »Prinz,« antwortete der Minister, »wenn Ihr eine passende Wahl getroffen habt, so wird der König, Euer Vater, gewiß nicht anstehen, Eurem Verlangen zu genügen.«

»Nun wohl,« antwortete der Prinz, »der Gegenstand all meiner Wünsche ist die Prinzessin Nikarine, die liebenswürdige Tochter des Kaisers von Rom: mein Vater muß durchaus Gesandte hinschicken, um ihre Hand zu erbitten.«

Als der Wesir dem König von Halep die Zumutung seines Sohnes mitgeteilt hatte, antwortete er, es wäre unmöglich, den von Behesad geforderten Schritt zu tun. »Der Kaiser von Rom,« sprach er, »wird nimmermehr seine Tochter der Bewerbung eines Fürsten gewähren, dessen Staaten in Vergleich mit den seinen so klein sind, und der überdies mit ihm nicht von derselben Religion ist.«

Als Behesad die Antwort seines Vaters vernahm, geriet er in Verzweiflung und erklärte ganz bestimmt, wenn sein Vater hierauf beharrte, so würde er seinerseits auch einen Entschluß fassen und selber hingehen, diesen Antrag zu machen. Sehr erschrocken über den Vorsatz seines Sohnes, bewilligte nun der König, eine Gesandtschaft mit reichen Geschenken an den Kaiser zu schicken.

Der Kaiser empfing die Abgesandten des Königs von Halep mit großem Wohlwollen; aber er ward entrüstet, als er den Gegenstand ihrer Sendung vernahm. Indessen bewilligte er seine Tochter dem Sohne des Königs von Syrien, wenn er eine Summe von hundert Lak Dinare in seinen Schatz zahlen könnte.

Als die Gesandten dem Könige die Antwort des Kaisers zurückbrachten, erklärte derselbe, daß er nimmer eine solche Summe aufzubringen vermöchte. Jedoch, durch Behesads Bitten gerührt, raffte er alles zusammen, was er konnte, und brachte es wirklich bis aus dreißig Lak Dinare.

Die Bitten des Prinzen wurden hieraus nur noch dringender, und er bewog seinen Vater, einen großen Teil seiner Sklaven und seines Palastgerätes zu verkaufen. Der Erlös dieses Verkaufs war zwanzig Lak. Um endlich die von dem Kaiser geforderte Summe vollzählig zu machen, sah der König von Halep sich gezwungen, seinen Untertanen eine außerordentliche Steuer aufzulegen. So brachte er eine Summe von sechzig Lak zusammen, welche sogleich durch Gesandte nach Rom überbracht wurde.

Der Kaiser nahm diese Summe in Empfang, behandelte die Gesandten mit der größten Achtung und versprach ihnen, sobald die von ihm auferlegte Bedingung erfüllt wäre, würde er auch nicht säumen, sein Versprechen zu halten.

Behesad wollte nun seinen Vater bewegen, den Untertanen neue Lasten auszulegen, und besonders noch den Handelsstand und die Landbauer mannigfaltig zu besteuern. Aber diesmal erklärte der Sultan ganz bestimmt, daß er nie darein willigen würde, seine Untertanen mit neuen Abgaben zu drücken, bevor sie nicht Zeit gehabt, ihren durch seine vorige Besteurung erlittenen Verlust zu ersetzen. Mißvergnügt über die Weigerung seines Vaters, drohte der Prinz ihm abermals, für immer sein Königreich zu verlassen, wenn er sein Verlangen nicht bewilligte.

»Mein Sohn,« erwiderte ihm der König, »warte wenigstens nur noch ein Jahr.« – »Nein, mein Vater, ich reise.« – »Warte wenigstens nur noch sechs Monate.« – »Nein, nicht länger.« – »Oder doch nur drei Monate.« – »Auch nicht drei Tage mehr kann ich warten.« – »Wohlan denn, so reise, wenn es dir beliebt.«

Behesad ging sogleich in seine Wohnung, ließ zwei seiner Vertrauten kommen, legte seine Rüstung an und ritt hinweg.

Nach einigen Tagereisen begegnete er einer Karawane von hundert reich beladenen Kamelen, die nach Rom bestimmt war; der Anführer derselben war ein reicher Herr und Freund des Kaisers. Behesad machte Bekanntschaft mit ihm, wurde von ihm in seinem Palast zu Rom aufgenommen und wußte sich so gut in seine Gunst zu setzen, daß dieser Mann auf die Erzählung von seiner Liebesgeschichte und von dem Zwiste mit seinem Vater ihm die vierzig Lak Dinare, welche ihm noch fehlten, anbot und dagegen das Versprechen forderte, daß Behesad ihm, sobald er nach dem Tode seines Vaters den Thron von Syrien bestiege, diese Summe ungesäumt wiederbezahlte.

Behesad nahm dieses Erbieten mit Freuden an. Hierauf kleidete er sich seinem Range gemäß und begab sich in prächtigem Aufzuge nach dem Palast des Kaisers, welchen er um Gehör bitten ließ, um seiner Majestät die von dem Kaufmann ihm anvertrauten vierzig Lak zu überreichen.

Der Kaiser empfing den Prinzen mit allen möglichen Freundschaftsbezeigungen; er nahm auch gütig seine wiederholte Bewerbung um die Prinzessin auf; aber er bat Behesad, ihm nur zehn Tage zu vergönnen, um sie aus diese Vermählung vorzubereiten.

»Herr,« antwortete Behesad, »ich fühle ein heißes Verlangen, der Gemahl der Prinzessin zu werden, und dieser Aufschub ist sehr hart für meine Liebe. Erlaubet mir, daß ich dringe.«

»Ich lobe Eure Ungeduld,« antwortete der Kaiser, »aber gewähret meiner Tochter wenigstens einen Aufschub von drei Tagen, welchen unsere Gebräuche und Sitten erfordern.«

Behesad wollte aber nicht mehr als einen einzigen Tag bewilligen, ungeachtet der Bitten und Vorstellungen des Kaisers, welcher, sehr verwundert über die große Ungeduld seines künftigen Schwiegersohns, gleichwohl Befehle zur nahen Vollziehung der Vermählung gab und unterdessen ein prächtiges Fest anstellte.

 

Vierhundertunddreiundvierzigste Nacht.

Aber auch bei diesem Feste ließ Behesads Ungeduld ihn an keinem Vergnügen teilnehmen; er suchte also zu entschlüpfen und in dem Palaste die Zimmer der Prinzessin zu entdecken. Er erkannte endlich den Saal, wohin sie am vorigen Tage war geführt worden, und da er durch das Licht eine Spalte bemerkte, durch welche man hineinschauen konnte, so drückte er seine beiden Augen an dieselbe.

Die Prinzessin Nikarine blickte zufällig nach dieser Seite hin und bemerkte, daß ein Neugieriger es wagte, sie in ihrem Gemache zu belauschen: sie befahl einer ihrer Frauen eine kleine eiserne Gabel im Feuer glühend zu machen und dem Verwegenen zur Strafe seiner Frechheit die Augen zu blenden. Die Magd vollzog den Befehl ihrer Gebieterin, und sogleich sank der unglückliche Behesad geblendet zu Boden und stieß ein gräßliches Geschrei aus.

Man lief auf dies Geschrei herbei; aber es war keine Hoffnung mehr vorhanden, ihm das Gesicht zu retten; und der Unglückliche konnte sich nicht einmal über einen Unfall beklagen, welchen er durch seine brennende Ungeduld selber herbeigezogen hatte.

Der Kaiser erklärte nun, daß er seine Tochter niemals einem Blinden geben würde; und der unglückliche Behesad sah sich gezwungen, nach Syrien heimzukehren, wo er ohne die so heiß von ihm Geliebte leben mußte.

Und als sein Vater starb, erklärten seine Untertanen, daß sie keinen blinden König den Thron besteigen ließen. So war Behesad genötigt, seine übrigen Tage in Trauer und Jammer zu verleben, weil er allzu ungeduldig gewesen war, seinen Wunsch zu erreichen.

Ihr sehet hieraus,« fuhr der junge Bacht-jar fort, »wie gefährlich es ist, mit allzu großer Eile zu Werke zu gehen. Wenn Behesad die Überwindung gehabt hätte, den folgenden Tag abzuwarten, so wäre er der glücklichste Prinz auf Erden gewesen; und wenn selbst die Prinzessin, welche ihm bestimmt war, sich mehr bedacht hätte, bevor sie den Befehl gab, dessen Opfer ihr Bräutigam ward, so wäre dies Unglück nicht geschehen.«

Dieses Beispiel schien auf Asad-bacht Eindruck zu machen, welcher die Hinrichtung des jungen Prinzen bis morgen aufschob.

Als am folgenden Morgen der König seinen Thron bestiegen hatte, nahte sich der vierte Wesir und sprach zu ihm:

»Herr, das Gerücht, welches sich von Bacht-jars Verbrechen überall verbreitet hat, erlaubt nicht, länger die Bestrafung des Schuldigen aufzuschieben. Man verwundert sich über die Langsamkeit, mit welcher Euer Majestät bei der Rache einer so schweren Beleidigung verfährt, wie die von ihm verschuldete ist; und die Ehre des Königs sowie die Wohlfahrt des Landes fordern eine schleunige Genugtuung.«

Der König ließ Bacht-jar kommen und sagte ihm, er sei nun entschlossen, ihn hinrichten zu lassen.

»Herr,« antwortete der junge Prinz, »geruhet, es noch aufzuschieben; man weiß es sich oft selber Dank, mit einer weisen Langsamkeit gehandelt zu haben, und die Geduld ist manchmal sehr nützlich: sie ist es, durch welche Abu-Szaber aus der Tiefe eines Brunnens auf den Thron stieg.«

»Wie konnte das geschehen?« fragte der König.

»Ich will es Euer Majestät erzählen,« antwortete Bacht-jar und begann folgendermaßen:

 


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