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Geschichte der zehn Wesire.

»Herr, einer der alten Könige von Seïstan beherrschte vormals ein mächtiges Reich, welches zahlreiche Heere verteidigten. Asad-bacht, so hieß dieser Herrscher, hatte die Besorgung seiner Reichsgeschäfte unter zehn Wesire verteilt, von welchen sich vor allen der tapfere Sipehsalar auszeichnete, dessen Heldenmut so berühmt war, daß man allgemein sagte: »Beim Blinken seines Säbels verbirgt sich der erschrockene Mond in den Wolken.«

Dieser Minister hatte eine Tochter, deren Schönheit den Glanz der Rose überstrahlte; holdselig wie das Gestirn der Nächte, wenn es aus dem Schoße der Wolken hervorbricht, herrlich wie die Sonne, wenn sie die Welt erleuchtet, war sie der einzige Gegenstand der zärtlichen Sorgfalt ihres Vaters, der nicht einen Augenblick ohne sie leben konnte.

Indessen nötigten die Pflichten seines Amtes den Sipehsalar, sich auf einige Zeit von seiner geliebten Tochter zu entfernen, um die Provinzen des Reichs zu bereisen, die Klagen der Unterdrückten anzuhören und die Ungerechtigkeiten der Statthalter abzustellen. Weil seine Abwesenheit sich in die Länge zog, so schickte er einen seiner Leute, der sein ganzes Vertrauen besaß, mit dem Befehle ab, ihm seine Tochter zu holen.

Der Abgesandte säumte nicht; er begab sich zu der Tochter des Wesirs und teilte ihr die Sehnsucht ihres Vaters und den von ihm erhaltenen Befehl mit. Das junge Fräulein ließ sogleich eine reichgeschmückte Sänfte in den Stand setzen mit den zur Reise nötigen Pferden und einem Gefolge von Sklaven und machte sich auf den Weg.

Der Zug war schon in Bewegung, als Asad-bacht, der von der Jagd zurückkam, ihn erblickte. Die prächtige Sänfte mit dem zahlreichen Gefolge zog ihn an, er ritt näher und fragte, wer hier mit solchem Aufwande reiste. Man antwortete ihm, es wäre die Tochter des Wesirs Sipehsalar, welche sich zu ihrem Vater begäbe.

Auf diese Nachricht näherte sich Asad-bacht der Sänfte. Sogleich warfen alle Reiter und Sklaven sich mit dem Gesichte zur Erde, um dem Könige ihre Ehrfurcht zu bezeigen. Dieser Fürst befahl ihnen, ihren Herrn von ihm zu grüßen, und war im Begriffe, wieder wegzureiten, als das junge Fräulein aus Neugierde, den zu sehen, der ihre Fahrt so aufgehalten hatte, einen Zipfel des Vorhangs aufhob und einen Blick auf Asad-bacht warf.

Dieser, von der hinreißenden Schönheit der Tochter seines Wesirs geblendet, ward auf der Stelle sterblich verliebt in sie. »Sklaven,« sprach er zu ihren Begleitern, »führet sogleich diese Sänfte nach der Stadt zurück, und einer von euch eile alsbald hin zum Sipehsalar, ihm zu melden, daß seine Tochter meine Gemahlin werden soll.«

»Herr,« antwortete einer der Sklaven, indem er sich zur Erde niederwarf, »möge Gott die kostbaren Tage Euer Majestät verlängern! Ihr seid der Beherrscher der Welt, der größte König des Zeitalters, und jedermann muß sich beeilen, Euren geheiligten Befehlen zu gehorchen. Aber erlaubt uns, Euch vorzustellen: wie groß auch die Freude sei, mit welcher Euer Wesir durch die Nachricht von der Ehre, deren Ihr ihn würdigt, überschüttet werden soll, wäre es doch wohl schicklich, unsere Gebieterin zu ihrem Vater reisen zu lassen, damit alles unsern Satzungen und Gebräuchen gemäß zugehe und Sipehsalar seine Tochter in einem der königlichen Majestät würdigen Aufzuge feierlich in Euren Palast sende.«

Der König, ohne auf diese Vorstellungen zu achten, wiederholte seinen Befehl, die Sänfte umkehren zu lassen.

»Herr,« fuhr der Sklave fort, »wir beschwören Euch darum, bedenket den Nachteil, welchen dieser ungewöhnliche Schritt für die Ehre unserer Gebieterin haben kann: ihre Feinde werden diese Gelegenheit benutzen, um auf ihre Rechnung alle erdenkliche Verleumdungen zu verbreiten.«

»Du bist sehr vermessen, Sklave,« erwiderte Asad-bacht gereizt, »daß du es wagest, deinem Könige Lehren zu geben; und deine Verwegenheit würde dir das Leben kosten, wenn ich nicht deine liebenswürdige Gebieterin zu beleidigen fürchtete.«

Er sprach's, und zugleich ergriff er selber die Zügel der Roßbahre und ließ den Zug umkehren, der im Palast in dem Augenblick ankam, als die scheidende Sonne die Welt dem Schatten der Nacht überließ.

 

Vierhundertundvierzigste Nacht.

Am folgenden Morgen ließ der König alle Kadis. Scheichs und die vornehmsten der Stadt versammeln; er trug ihnen sein Verlangen vor, die Tochter seines Wesirs zu heiraten; und als die Versammlung sich beeiferte, seinen Entschluß zu billigen, so gab er sogleich Befehl, die Hochzeit zu feiern, welche noch denselben Tag statthatte.

Alsbald wurde eine Schar von Schreibern beauftragt, den verschiedenen Provinzen des Königsreichs durch Briefe diese wichtige Neuigkeit kundzutun. Man sorgte dafür, daß dem Wesir durch ein besonderes Schreiben dieses Ereignis mitgeteilt wurde.

Sipehsalar geriet in großen Zorn, als er den Brief des Königs las, in welchem dieser ihm den ganzen Vorgang meldete; und ungeachtet der feierlichen Anstalten, womit Asad-bacht seine Vermählung so sorgfältig umgeben hatte, fühlte der Wesir jedoch die Beleidigung sehr tief, welche ihm der König angetan, umsomehr, als seine innige Zärtlichkeit für seine Tochter ihm eine von nun an unerläßliche Trennung von derselben höchst schmerzlich machte. Aber er hielt es für ratsam, den tiefen Verdruß, der ihn verzehrte, in seinem Herzen zu verbergen, und antwortete dem König in den untertänigsten und hingebendsten Ausdrücken.

»Herr,« schrieb er, »ein unerwartetes Glück hat mich mit Freuden überschüttet: ich kann nicht begreifen, wodurch ich die ausgezeichnete Gunst verdient habe, mit welcher Euer Majestät mich zu beehren würdigt; und ich muß mein Gestirn preisen, daß ein so hoher Fürst geruhet hat, einen Blick auf seinen Sklaven zu werfen. Nein, Herr, ich habe keine Ausdrücke, die stark genug sind, um Euch meine ganze Dankbarkeit und die Ungeduld zu schildern, mit welcher ich den glücklichen Augenblick erwarte, wo es mir vergönnt sein wird, zu kommen und den köstlichen Staub von den Füßen Euer Majestät zu küssen.«

Nachdem er diesen Brief abgeschickt hatte, heuchelte der schlaue Wesir öffentlich eine große Freude und feierte durch allerlei Feste ein Ereignis, über welches er so entzückt schien. Drei Monate vergingen so; aber diese Freudenbezeigungen verhinderten den Wesir nicht, an den Grenzen des Königreichs, wo er sich damals befand, eine weitgreifende Verschwörung anzuspinnen und überall das Mißvergnügen gegen die Regierung des Königs aufzuregen.

Als er nun den Erfolg seiner Maßregeln hinlänglich gesichert glaubte, versammelte er die vornehmsten Befehlshaber seines Heeres und sprach folgendermaßen zu ihnen:

»Die Wichtigkeit des Geheimnisses, welches ich euch mitzuteilen habe, wird euch, wie ich hoffe, den ganzen Umfang des Vertrauens beweisen, welches ich auf solche Männer setze, wie ihr seid. Lange habe ich es in meinem Busen verschlossen; aber jetzt bin ich bereit, es euch zu enthüllen, wenn ihr mir durch einen Eid unverbrüchliche Verschwiegenheit gelobet.«

Auf diese Aufforderung beeiferten sich alle, durch tausend Beteurungen ihrer Treue und Ergebenheit zu antworten.

»Ihr kennet,« fuhr Sipehsalar fort, »meine Mühe und Arbeit, meine Wachen und Anstrengungen, um das Reich von Seïstan auf die Stufe des Glanzes und der Wohlfahrt zu erheben, deren es sich gegenwärtig erfreut; ihr kennet den glücklichen Einfluß der weisen Ratschläge, welche ich dem Könige gegeben habe: und nun? Dieser undankbare Fürst hat meine Dienste durch den grausamsten Schlag bezahlt, der mich treffen konnte; er hat sich nicht gescheut, ein ganz edles Geschlecht zu entehren, ja seine Krone selber zu beflecken, indem er eine wehrlose Jungfrau mitten auf der Heerstraße hat entführen lassen.«

Bei diesen Worten trocknete der Greis seine Tränen des Unwillens ab, welche über sein Gesicht herabliefen. Alle Gegenwärtigen bezeigten ihm große Teilnahme an seiner Betrübnis und Beleidigung und schworen, sie zu rächen.

Nun verteilte Sipehsalar alle reichen Schätze des Heeres unter ihnen, versammelte hieraus zahlreiche Truppen und erklärte dem Könige von Seïstan den Krieg, indem er sich einiger Provinzen des Reichs bemächtigte und die Hauptstadt berannte.

Als Asad-bacht die Empörung seines Ministers vernahm, empfand er einen tiefen Schmerz und begab sich zu der Königin, welche ihn zärtlich liebte. »Es geschieht Euretwegen,« sprach er zu ihr, »meine vielgeliebte, daß Euer Vater sich gegen seinen König empört: ich komme, bei Euch Rat und Trost zu suchen; denn wir befinden uns in einer Nacht, deren Morgenrot ich noch nicht absehen kann, weil dieser Krieg uns keine Hoffnung zum Frieden läßt.«

»Ich sehe keinen andern Ausweg,« antwortete die Königin, »als zu einem unserer benachbarten und verbündeten Fürsten zu fliehen; dieser wird uns Truppen leihen, mit welchen es uns leicht sein wird, Euer Königreich wiederzuerobern.«

»Euer Rat ist verständig,« erwiderte Asad-bacht; »der König von Kerman ist der mächtigste und großmütigste meiner Verbündeten, und er wird mir eine Zuflucht, Truppen und Geld nicht versagen; laßt uns dorthin reisen.«

In dem Palaste befand sich eine heimliche Türe, welche durch einen langen unterirdischen Gang bis in die Wüste führte. Der König ließ sogleich zwei Pferde satteln, waffnete sich und nahm aus seinem Schatze die köstlichsten Juwelen, mit welchen er seinen Gürtel schmückte. Hierauf stieg er mit der Königin zu Pferde, entfloh durch den verborgenen Gang und nahm die Richtung gegen Kerman.

Unterwegs unterhielten sie sich über das Leid, Macht und Reichtümer zu verlassen, über das Schwanken des Schicksals und über die Notwendigkeit des Mutes und der Entsagung. Diese beiden Tugenden wurden ihnen bald noch nötiger.

Nach Verlauf von drei Tagen spürte die Königin, welche schwanger war, die Kindeswehen. Sie befanden sich damals mitten in einer Wüste am Ufer eines Teiches; die Königin wollte ihren brennenden Durst löschen, aber das Wasser schmeckte so bitter, daß es unmöglich war, davon zu trinken. Alles umher bot einen dürren und wilden Anblick. In dieser furchtbaren Lage bemächtigte sich die Verzweiflung ihrer Seele: ihre Schmerzen, die Furcht vor den Feinden, der schreckliche Anblick der Wüste, alles bestürmte auf einmal die unglückliche Fürstin, und ihr Gemahl teilte ihre Qualen.

»Eilet,« sprach sie zu ihm, »fliehet weit von mir, verlasset eine Frau, die Euch nicht mehr folgen kann, suchet eine Zuflucht vor Euern Feinden und Wasser, um Euren Durst zu stillen. Wenn Ihr noch zögert, so werden die Empörer Euch erreichen; die Flucht allein kann Euch ihrer Wut entziehen. Sie werden zum Schlachtopfer ihrer Rache nur eine Unglückliche finden, deren Leben nicht den Verlust eines Haares von Euer Majestät aufwiegt. Fliehet, mein Fürst, fliehet nach Kerman und laßt mich hier ein jammervolles Leben endigen.

»O meine Vielgeliebte!« antwortete Asad-bacht, »was mutet Ihr mir an, und was sind meine Reichtümer, mein Königreich, mein Leben gegen Euch, die mir teurer ist als ich selbst?«

Während dieses edelmütigen Wettstreites verdoppelten sich die Schmerzen der Königin, und sie gebar einen Sohn von unvergleichlicher Schönheit; die Mutter nahm ihn auf ihren Schoß und säugte ihn.

»Wehe!« sagte trostlos Asad-bacht, »vergeblich ist Eure Liebe zu diesem Kinde, weil wir es unmöglich auf unserer Flucht mitnehmen können; wir müssen es am Ufer dieses Teiches zurücklassen und es dem Erbarmen des Ewigen empfehlen: Gott wird nicht zulassen, daß es umkomme.«

Mit diesen Worten wickelte er den Neugebornen in ein mit Gold und Seide gesticktes Gewand, band um seinen Arm ein Armband von zehn großen Perlen, und mit einem vom Schmerze gebrochenen Herzen ließ er ihn am Ufer des Teiches liegen und setzte mit der Königin den Weg nach Kerman fort.

Als der König dieses Landes ihren Eintritt in seine Staaten vernahm, beeilte er sich, ihnen eine große Anzahl Sklaven entgegenzuschicken. Bei ihrer Ankunft gab er ihnen alle möglichen Beweise der Hochachtung und nahm sie mit der herzlichsten Gastfreundschaft auf. Gleich am ersten Tage war bei Hofe ein prächtiges Gastmahl.

Der König von Kerman begnügte sich noch nicht mit diesen Auszeichnungen, er wollte auch, daß der König von Seïstan durch seinen eigenen Sohn und zwei Hofbeamte zur Ehre seines Reiches bedient würde.

Aber mitten unter diesen Festen, bei Sang und Klang, blieben die Augen des unglücklichen Königs Asad-bacht und seiner Gattin mit Tränen erfüllt. Der König von Kerman wünschte die Ursache seiner Betrübnis zu wissen und bemühte sich, ihn auf alle Weise zu trösten.

»Verbannet Euer Mißvergnügen,« sprach er zu ihm. »mit Gottes Hilfe, hoffe ich, werden wir für Euer Unglück noch ein Mittel finden: morgen wollen wir uns damit beschäftigen, was zur Herstellung desselben zu tun ist. Unterdessen nehmet diese Schale und leeret sie aus!«

»Ach!« erwiderte Asad-bacht, »wie kann ich in meiner bejammernswürdigen Lage mich noch erfreuen?« Und hieraus erzählte er dem Könige von Kerman alle Umstände seiner Flucht.

Lebhaft davon gerührt, gab dieser Fürst auf der Stelle den Befehl, schleunigst alle Truppen seines Reiches zusammenzuziehen; und durch alle Arten von Ergötzlichkeiten bestrebte er sich den übrigen Teil des Tages, seinen Gästen ihren Kummer aus dem Herzen zu verbannen.

Am folgenden Tage schon setzte sich das kermanische Heer in Bewegung und rückte gegen die Hauptstadt von Seïstan vor.

Bei der Annäherung desselben nahm der angemaßte Herrscher mit allen seinen Anhängern die Flucht; Asad-bacht zog wieder in seine Hauptstadt ein und ergriff ohne Widerstand die Zügel der Regierung; jedermann beeiferte sich, dem König über seine glückliche Rückkunft und den Erfolg der Waffen seines Verbündeten Glück zu wünschen. Asad-bacht fuhr fort, seine Staaten mit Gerechtigkeit und Milde zu regieren. Er ließ das kermanische Heer, mit Belohnungen überhäuft, heimziehen und dem Könige dieses Landes ein prächtiges Geschenk überreichen zur Anerkennung des wichtigen Dienstes, welchen derselbe ihm geleistet hatte.

Der König und die Königin genossen in Frieden des Glückes, wieder auf ihren Thron gelangt zu sein; aber die Erinnerung an das Kind, welches sie mitten in der Wüste verlassen hatten, trübte ihre Glückseligkeit. Vergeblich ließen sie die genauesten Nachforschungen anstellen, sie konnten durchaus keine Kunde über das Schicksal dieses Kindes erlangen. Sie fürchteten nun, daß es von einem wilden Tiere zerrissen worden; aber ihre Vermutung war unrichtig, wie wir sogleich sehen werden.

Wenige Augenblicke nach der Fortsetzung ihrer Flucht gen Kerman kam eine Räuberbande, welche in der Wüste, wo der König und die Königin anhalten mußten, die Karawanen zu plündern pflegte, an diesen Teich sich zu lagern, und fanden den kleinen Prinzen.

Der Räuberhauptmann, der unerschrockene Farek-Serwar, war beim Anblicke dieses Kindes entzückt von seiner Schönheit, und die reichen Kleidungsstücke, die es bedeckten, ließen ihn nicht zweifeln, daß es der Sohn eines Königs oder irgend eines vornehmen Mannes wäre. Dieser Räuberhauptmann war ohne Kinder und beschloß, dieses, welches der Zufall ihm darbot, an Kindes Statt anzunehmen. Er gab ihm den Namen Chodadad, nahm ihn mit sich und ließ ihn durch eine Amme säugen. Als der junge Prinz älter und lehrfähig ward, ließ er ihm eine treffliche Erziehung geben und übte ihn besonders auch in der Reitkunst. Chodadad benutzte so eifrig den dargebotenen Unterricht, daß er im Alter von fünfzehn Jahren schon imstande war, ganz allein es mit fünfhundert Feinden aufzunehmen.

Farek-Serwar war mit seinem Pflegesohn so zufrieden, daß er sich keinen Augenblick von ihm trennen konnte, sondern ihn überall mitnahm, wohin sein Handwerk ihn zu reiten zwang. Eines Tages jedoch, als der Räuberhauptmann ihn zu einer Unternehmung gegen eine Karawane mit sich führen wollte, bat der Jüngling, dem dieses Handwerk sehr mißfiel, um die Erlaubnis, von diesem Jammer entfernt zu bleiben, weil er das Wehklagen und Weinen der Reisenden, die so unmenschlich beraubt wurden, nicht kaltblütig anhören konnte. Farek-Serwar willigte ein, daß er nicht am Angriff teilnehmen sollte, forderte jedoch, daß er wenigstens Zuschauer des Kampfes wäre.

Nun geschah es aber, daß die angegriffene Karawane den Räubern weit überlegen war; die Reisenden wehrten sich tapfer. Im Kampfgewühle empfing Farek-Serwar eine Wunde und war schon nahe daran, gefangen zu werden, als Chodadad sich mitten unter die Streitenden warf und mehrere Feinde zu Tode schlug; aber das Schicksal spottete seines Mutes: er stürzte vom Pferde, wurde von den Kaufleuten gefangen, mit Ketten belastet und wenige Zeit darauf als Straßenräuber zum Gerichte vor den König Asad-bacht geführt.

Das väterliche Herz des Königs regte sich bei dem Anblick des unbekannten Jünglings, und er konnte sich nicht erwehren, einige Tränen zu vergießen. »Ach!« sprach er bei sich selber, »wenn mein Kind, welches ich in der Wüste verließ, noch lebte, so würde es das Alter dieses Jünglings haben.« Und seine Blicke wurden unwillkürlich immer wieder auf den jungen Angeklagten hingezogen.

»Mein Kind,« sprach er, »wie hast du mit einer so lieblichen Bildung dich dem ehrlosen Gewerbe, welches du treibst, hingeben und so den göttlichen und menschlichen Gesetzen trotzen können? Wie heißest du?«

»Chodadad,« antwortete der junge Prinz; hierauf blickte er gen Himmel und rief Gott zum Zeugen an, daß er niemals an den Räubereien teilgenommen, deren er beschuldigt wurde.

»Wenn das wahr ist,« sagte Asad-bacht, »so sollst du nicht nur dein Leben behalten, sondern ich will dich auch in meinem Palast in Dienst nehmen.«

Chodadad verneigte sich bei diesen Worten und küßte stillschweigend den Boden, um dem Könige seine innige Dankbarkeit zu bezeigen.

Der König ließ ihn auf der Stelle mit einem prächtigen Chilat bekleiden, befahl, sein Haupt mit einem schönen Turban zu bedecken, und sprach zu ihm: »Ich nenne dich Bacht-jar und übertrage dir die Besorgung meines Marstalls.«

Asad-bacht ließ die übrigen Räuber los unter dem eidlichen versprechen, ihr ehrloses Handwerk aufzugeben.

Bacht-jar erwarb sich von Tage zu Tage immer mehr die Gunst des Königs; mit ausgezeichneter Sorgfalt verwaltete er die ihm übertragene Aufsicht des Marstalls; der König bemerkte seine Tätigkeit und Geschicklichkeit und ernannte ihn bald zu seinem Schatzmeister. Mit einem Worte, der neue Hofmann wurde der vertrauteste Günstling Asad-bachts, der nichts mehr tat, ohne ihn zu befragen, und bei aller Gelegenheit seinen Rat befolgte.

Dieser ausgezeichnete Vorzug verfehlte nicht, die Eifersucht der zehn Wesire zu erregen, welche miteinander eins wurden, jede Gelegenheit zu ergreifen, um ihn zu stürzen und irgend eine List zu ersinnen, um ihm das Vertrauen seines Königs zu entziehen.

Nun geschah es eines Tages, daß Bacht-jar, der etwas mehr als gewöhnlich getrunken hatte, in der Schatzkammer einschlief und den ganzen Tag über liegen blieb. Gegen Abend verschlossen die Türhüter sorgfältig alle Eingänge; und Bacht-jar, noch halb trunken, taumelte, als er die Türen verschlossen fand, nach den Zimmern des Harems hin; hier erblickte er Betten mit sehr reicher Bekleidung (er war in dem Schlafzimmer des Königs), und unbekümmert ließ er sich auf die prächtigen Kissen nieder und schlief ein.

Als der König in sein Gemach trat, sah er einen Menschen ausgestreckt im Schlafe liegen und erkannte Bacht-jar.

»Elender!« schrie er ihn mit schrecklicher Stimme auf, »was machst du hier an diesem Orte?«

Bacht-jar, der den Ruf vernahm, wollte sich entfernen, aber er sank sogleich wieder zurück.

Asad-bacht rief nun mit lauter Stimme einige Sklaven herbei, denen er befahl, sich seines jungen Günstlings zu bemächtigen, und begab sich schleunigst zu der Königin, um sie zu fragen, wie doch ein Fremder bis in die inneren Gemächer gedrungen wäre; er fügte hinzu, daß solches unmöglich ohne ihr Mitwissen hätte geschehen können. Die Königin beteuerte auf diese beleidigende Äußerung, daß sie ganz unschuldig an dem Vorgange wäre, und bat zugleich den König, sie die ganze Nacht bewachen zu lassen, um während derselben Erkundigungen einzuziehen und die wirklich Schuldigen zu entdecken. Der König befolgte diesen Rat und verschob die Verurteilung Bacht-jars bis auf morgen; aber während der ganzen Nacht sann er auf ein Mittel, die Wahrheit zu entdecken und seinem Volke ein so widriges Begegnis mitzuteilen.

Sobald der Tag anbrach, bestieg Asad-bacht seinen Thron und ließ seine zehn Wesire kommen. Der erste dieser Minister nahm sich die Freiheit, den König, der vor Zorn nicht sprechen konnte, zu fragen, ob Seine Majestät über die Vorgänge der verwichenen Nacht einige Aufklärung erhalten hätte.

Der Haß, welchen dieser Minister schon seit langer Zeit gegen Bacht-jar nährte, fand gegenwärtig die erwünschte Gelegenheit, sich zu befriedigen, und voller Hoffnung, die Verurteilung dieses unglücklichen Jünglings zu bewirken, sprach er folgendermaßen:

»Herr, Eure Wesire haben nicht gewagt, Eurem königlichen Willen zu widersprechen, als Ihr einen Menschen, der eines Straßenräubers Sohn ist, in Eure Dienste nahmet; aber gegenwärtig, da die ganze Verderbtheit dieses Menschen enthüllt ist, wird es uns erlaubt sein, Euer Majestät bemerklich zu machen, daß ein solcher Mensch, nachdem er ein so ehrloses Handwerk getrieben hat, nicht schicklicherweise in ein königliches Schloß konnte aufgenommen werden. Herr, es gilt hier Eure Ehre und Eure Sicherheit, und es ist notwendig, durch das Beispiel einer strengen Bestrafung von ähnlichen Freveltaten abzuschrecken.«

Der König befahl, ihm den Bacht-jar vorzuführen. »Undankbarer Jüngling,« sprach er zu ihm, »vergeblich also habe ich nach Verzeihung deiner Verbrechen dich mit fast ebenso hohen Ehren umgeben, als mir zukommen, und durch die nichtswürdigste Treulosigkeit belohnst du so viel Güte! Du hast dich nicht gescheut, in das Innere meines Harems zu dringen und dir die Stelle deines Herrn anzumaßen.«

Diese Vorwürfe brachten Bacht-jar zu Tränen; er antwortete seufzend, er wüßte nicht, wie es zugegangen wäre; und wenn man ihn auch im Innern des Harems gefunden, so wäre er jedoch ohne irgend eine sträfliche Absicht hineingekommen.

Der Wesir erbat sich von dem Könige die Erlaubnis, hinzugehen und die Königin über die Ereignisse der vergangenen Nacht zu befragen, und begab sich zu ihr nach dem Harem.

»Herrin,« sprach er zu ihr, »Eurer Ehre nachteilige Gerüchte laufen schon überall um; man wagt zu behaupten, Ihr habt verbrecherische Verbindungen mit einem Räubersohn unterhalten.« Als hierauf die Königin ihren tiefen Unwillen bezeigte und ihre Unschuld beteuerte, fuhr der treulose Wesir fort:

»Es gibt nur ein Mittel, die Wut des durch diesen Vorfall tief gekränkten Königs zu beschwichtigen, nämlich, den Bacht-jar anzuklagen. Befolget die Weisung eines Mannes, der Euch retten will, und scheuet Euch nicht, Eurem erhabenen Gemahls zu gestehen, daß dieser junge Mensch sich erfrecht habe, eine törichte und verbrecherische Leidenschaft für Euch zu nähren, und daß er ungeachtet aller Wohltaten, womit er täglich überhäuft worden, sich so weit vergessen, Euch sträfliche Anträge zu machen. Ihr müßt sogar sagen, daß er Euch mit Gewalt gedroht habe, wenn Ihr Euch seinem Willen widersetztet, und daß er Euch seinen Anschlag mitgeteilt, den König zu ermorden und sich des Thrones zu bemächtigen. Das ist, glaubet mir, das einzige Mittel, Aschad-bachts Vertrauen wieder zu gewinnen und ihn zu beruhigen. Folget meinem Rate und fürchtet nichts, ich stehe Euch für den Erfolg.«

Die Königin war sehr erstaunt über diese unwürdigen Zumutungen des Wesirs. »Nein,« erwiderte sie, »niemals will ich mitschuldig an der ungerechten Verurteilung eines unschuldigen Menschen sein, und Gott wird Euch dafür strafen, daß Ihr Euch erfrecht habt, mir ein solches Verbrechen anzumuten.«

»Bacht-jars Blut,« versetzte der Wesir, »ist nicht unschuldig; da dieser Mensch Straßenräuber gewesen ist, so hat er die Todesstrafe verdient, und alle Eure Bedenklichkeiten sind ohne Grund; übrigens nehme ich es auf mich, vor Gott am jüngsten Gericht Euer Betragen in dieser Sache zu verantworten. Welches Mitleid verdient ein Mensch, der sich nicht scheute, selber erbarmungslos Menschenblut zu vergießen, zumal wenn es das einzige Mittel ist, welches sich darbietet, um das Leben und die Ehre Euer Majestät zu retten?«

Die Königin ließ sich durch diese Vorstellungen des Wesirs überreden und willigte ein, seiner Anleitung zu folgen; und triumphierend über den Erfolg einer so boshaften Anzettelung gegen seinen Feind begab sich dieser Minister wieder zu dem Könige.

Asad-bacht erkundigte sich hastig nach dem Erfolge seiner Unternehmung.

»Nun, Wesir,« fragte er ihn, »was hat die Königin dir gesagt?«

»Herr,« antwortete der treulose Höfling, »ich kann Euer Majestät nicht wiedersagen, was ich vernommen habe: Ihr werdet es aus dem eigenen Munde derjenigen erfahren, welche zu befragen ich beauftragt war.«

Sogleich begab sich der König in sein Wohnzimmer und ließ die Königin kommen, welche ihm dasselbe wiederholte, was der Wesir ihr eingegeben hatte. Asad-bacht, von ihrer Aufrichtigkeit überzeugt, machte ihr keine Vorwürfe und maß sich allein die Schuld bei, weil er in seinen Palast den Sohn eines Straßenräubers aufgenommen, dessen strafbare Absichten nun enthüllt wären. Er befahl, dem Bacht-jar Ketten an die Füße zu legen und ihn in ein Loch zu sperren, mit dem festen Vorsatze, am folgenden Morgen in seiner Bestrafung ein warnendes Beispiel aufzustellen.

Während nun der unglückliche Bacht-jar, dem nur noch die Hoffnung auf die göttliche Hilfe blieb, in der Tiefe eines dunklen Gefängnisses seufzte und betete, gingen seine boshaften Feinde heim, um sich über das Mittel zu beraten, ihn desto sicherer zu verderben.

 

Vierhundertundeinundvierzigste Nacht.

Am folgenden Tage trat der zweite Wesir vor den König, und nachdem er ihm die gebräuchliche Ehrerbietung bezeigt hatte, sprach er:

»Herr, möge die Regierung Euer Majestät ebenso lang als glücklich sein! Möge die königliche Binde des ganzen Erdkreises Eure erhabene Stirn umkränzen! Mögen die Sorgen von Eurem Palaste fern bleiben und die Welt des Friedens und der Ruhe genießen, Eure Feinde dagegen zuschanden werden! Aber, Herr, alle diese Wünsche können nicht in Erfüllung gehen, bevor Euer Majestät nicht die beklagenswerte Angelegenheit in Betreff des Bacht-jar beendigt hat; ich fürchte sogar, daß die Kunde davon, wenn sie zu den benachbarten Königen gelangt, Euren Hof in übeln Ruf bringen werde.«

Asad-bacht befahl nun, den Schuldigen und den Scharfrichter kommen zu lassen. Als beide vor ihm standen, sprach er: »Jüngling, ich habe befohlen, daß die Wurzel deines Lebens aus dem Boden meiner Staaten gerissen werde, um durch deine Bestrafung diejenigen abzuschrecken, die etwa noch versucht wären, deinem Beispiele zu folgen.«

»Herr,« antwortete Bacht-jar, »möge der Himmel die glückseligen Tage Euer Majestät verlängern und Eure Herrschaft mit Ruhm krönen! Das ist mein letzter Wunsch vor dem Tode. Jedoch sei es mir noch vergönnt, meine Unschuld zu beteuern. Nein, ich bin nicht schuldig: ich schwöre es bei Gott! Aber, ach! wozu helfen mir diese Reden! Unaufhörlich den Schlägen des Schicksals bloßgestellt und von meinem Unstern verfolgt, geht es mir wie jenem Kaufmanns, der alles, was er unternahm, mißlingen sah, weil das Glück ihn verlassen hatte.«

»Was für Abenteuer hatte dieser Kaufmann?« fragte der König hierauf; »sie sind mir unbekannt, und ich will sie wissen.«

Dieser Befehl erfüllte den jungen Angeklagten mit Freuden, und nachdem er dem Könige seine Glückwünsche und Danksagungen dafür dargebracht hatte, begann er mit folgenden Worten:

 


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