Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Geschichte des Prinzen Beder von Persien und der Prinzessin Giäuhare von Samandal.

»Persien ist ein so umfassender Teil der Erde, daß die alten Könige dieses Reichs nicht ohne Grund den stolzen Titel König der Könige geführt haben. So viel Provinzen er hatte, abgesehen von allen den andern eroberten Reichen, so viel waren auch der Könige. Diese Könige zahlten nicht nur einen starken Zins, sondern waren selbst ebenso dienstpflichtig, als es die Statthalter in allen anderen Königreichen sind.

Einer dieser alten Könige, der seine Regierung mit glänzenden Eroberungen begonnen hatte, herrschte lange Jahre her mit einem Glück und einer Ruhe, welche ihn zu dem zufriedensten aller Monarchen machten. Es war nur ein einziger Punkt, in welchem er sich unglücklich fühlte, nämlich, daß er schon bejahrt war und von allen seinen Frauen ihm keine einen Prinzen und Nachfolger geboren hatte.

Er hatte ihrer mehr als hundert, alle in prächtigen und abgesonderten Wohnungen, mit Sklavinnen zu ihrem Dienst und Verschnittenen zu ihrer Wache. Ungeachtet aller seiner Sorgfalt, sie zufriedenzustellen und ihren Wünschen zuvorzukommen, erfüllte jedoch keine seine Hoffnung. Man führte ihm manche aus den entferntesten Ländern zu, und er bezahlte sie nicht nur, wenn sie ihm gefielen, ohne den Preis zu achten, sondern überhäufte die Verkäufer auch mit Ehren, Wohltaten und Danksagungen, um dadurch noch andere zu ermuntern, in der Hoffnung, doch endlich eine Frau zu finden, von welcher er einen Sohn erhielte. Er unterließ auch keine guten Werke, um den Himmel zu bewegen. Er gab den Armen Almosen ohne Maß, den andächtigen Brüderschaften seiner Religion reiche Spenden und machte neue, durchaus königliche Stiftungen zu ihren Gunsten, um durch ihre Gebete zu erhalten, was er so heiß wünschte.

Eines Tages hielt er nach der täglichen Gewohnheit seiner königlichen Vorfahren, wenn sie sich in ihrer Hauptstadt befanden, einen öffentlichen Hof, bei welchem sich alle Gesandten und alle vornehmen Fremden einfanden, und man unterhielt sich nicht von Staatsneuigkeiten, sondern über Wissenschaften, Geschichte, Literatur, Dichtkunst und andere Gegenstände, welche den Geist angenehm zu beschäftigen und zu erheitern vermögen. An diesem Tage nun meldete ein Verschnittener ihm einen Kaufmann an, der aus einem sehr entfernten Lande ihm eine Sklavin zuführte und um Erlaubnis bat, sie ihm zu zeigen. »Man lasse ihn herein und weise ihm eine Stelle an,« sprach der König; »nach der Versammlung will ich mit ihm reden.«

Man führte den Kaufmann herein und brachte ihn an eine Stelle, wo er den König bequemlich sehen und ihn vertraulich mit den nächsten Personen reden hören konnte.

Diesen Gebrauch beobachtete der König gegen alle Fremden, die mit ihm sprechen sollten; er tat es absichtlich, damit sie sich an seinen Anblick gewöhnten und, indem sie ihn mit andern freundlich und gütig sprechen sähen, Vertrauen zu ihm faßten, ebenso mit ihm zu sprechen, ohne sich durch den Glanz und die Größe, welche ihn umringten und die nicht daran Gewöhnten sprachlos machen konnten, verwirren zu lassen. Er beobachtete dies selbst bei den Gesandten: zuerst speiste er mit ihnen, und über Tische erkundigte er sich nach ihrer Gesundheit, ihrer Reise und den Besonderheiten ihres Landes. Dies machte sie dreist in seiner Gegenwart, und hierauf erteilte er ihnen Audienz.

Als die Hofgesellschaft geendigt war und alle sich zurückgezogen hatten, so daß nur der Kaufmann noch übrig blieb, warf dieser sich vor dem Throne des Königs mit dem Gesicht auf den Boden und wünschte ihm die Erfüllung aller seiner Wünsche. Als er wieder aufgestanden war, fragte ihn der König, ob es wahr wäre, daß er ihm eine Sklavin gebracht, wie man ihm gesagt hätte, und ob sie schön wäre.

»Herr,« antwortete der Kaufmann, »ich zweifle nicht, daß Euer Majestät sehr schöne Sklavinnen hat, weil man sie in allen Weltgegenden mit so viel Fleiß für Euch aufsucht, aber ich darf versichern, ohne Furcht, meine Ware zu überpreisen, daß Ihr noch keine gesehen habt, welche mit dieser einen Vergleich aushalten könnte in Betracht ihrer Schönheit, ihres schönen Wuchses, ihrer Anmut und aller der Vollkommenheiten, womit sie ausgestattet ist.«

»Wo ist sie?« fragte der König, »bringe sie mir her.«

»Herr,« versetzte der Kaufmann, »ich habe sie bei einem Befehlshaber Eurer Verschnittenen in Verwahrung gelassen. Euer Majestät darf nur befehlen, sie herzuführen.«

Man brachte die Sklavin: und sobald sie der König erblickte, war er bezaubert schon allein von ihrem schönen freien Wuchse. Er trat sogleich in ein Gemach, wohin der Kaufmann mit etlichen Verschnittenen ihm folgte. Die Sklavin trug einen Schleier von rotem Samt mit goldenen Streifen, der ihr Gesicht verhüllte. Der Kaufmann nahm ihr denselben ab, und der König von Persien sah eine Frau, die alle, welche er damals besaß, und welche er jemals gesehen hatte, an Schönheit übertraf. Er ward von diesem Augenblick an leidenschaftlich verliebt in sie und fragte den Kaufmann, wie teuer er sie verkaufen wollte.

»Herr,« antwortete der Kaufmann, »ich habe demjenigen, der sie mir verkauft hat, tausend Goldstücke dafür gegeben, und ich rechne, daß ich ebensoviel während der drei Jahre ausgegeben, die ich auf Reisen bin, um an Euren Hof zu gelangen. Ich werde mich aber wohl hüten, einem so großen König einen Preis für sie zu bestimmen: ich bitte Euer Majestät, sie als ein Geschenk anzunehmen, wenn sie Euch gefällig ist.« –

»Ich danke dir,« erwiderte der König; »es ist aber nicht meine Gewohnheit, so mit Kaufleuten zu verfahren, die so weit herkommen in der Absicht, mir Vergnügen zu machen: ich werde dir zehntausend Goldstücke auszahlen lassen. Bist du damit zufrieden?«

»Herr,« antwortete der Kaufmann, »ich würde mich sehr glücklich geschätzt haben, wenn Euer Majestät sie unentgeltlich hätte annehmen wollen, aber ich wage nicht, eine so große Freigebigkeit auszuschlagen. Ich werde nicht ermangeln, dieselbe in meinem Vaterlande und allerorten, wo ich hinkomme, zu rühmen.«

Die Summe wurde ihm ausgezahlt, und bevor er sich entfernte, ließ ihn der König noch in seiner Gegenwart mit einem Rocke von Goldbrokat bekleiden.

Der König räumte der schönen Sklavin die prächtigste Wohnung nächst der seinigen ein und gab ihr mehrere Weiber und andere Sklavinnen zur Bedienung mit dem Befehle, sie ins Bad zu führen, sie mit dem prächtigsten Gewande, das zu finden wäre, zu bekleiden und ihr die schönsten Halsbänder von Perlen und von den feinsten Diamanten und sonst die kostbarsten Edelsteine zu bringen, damit sie selber auswählte, was ihr am besten gefiele.

Die geschäftigen Weiber, die nur darauf bedacht waren, dem Könige zu gefallen, waren selber von der Schönheit der Sklavin entzückt. Da sie sich vollkommen darauf verstanden, sagten sie zu ihm: »Herr, wenn Euer Majestät die Geduld hat, uns nur drei Tage Zeit zu geben, so verbürgen wir uns, sie Euch um soviel reizender vorzuführen, daß Ihr sie nicht wiedererkennen werdet.«

Der König konnte sich mit Mühe so lange noch ihres vollständigen Besitzes enthalten, antwortete jedoch: »Ich bin es zufrieden, aber unter der Bedingung, daß ihr euer Versprechen haltet.«

 

Zweihundertundzweiundsechzigste Nacht.

Die Hauptstadt des Königs von Persien lag auf einer Insel, und sein prächtiger Palast war am Ufer des Meeres erbaut. Da seine Wohnung die Aussicht auf die See hatte, so hatte auch die Wohnung der schönen Sklavin, die von der seinigen nicht entfernt war, dieselbe Aussicht; und sie war umso angenehmer, da die Wogen fast den Fuß der Mauern bespülten.

Nach Verlauf der drei Tage saß die schöne Sklavin prächtig geputzt und geschmückt allein in ihrem Zimmer auf dem Sofa und an eins der Fenster gelehnt, die auf das Meer hinausschauten, als der König auf die Nachricht, daß er sie nun besuchen könnte, hereintrat. Die Sklavin, welche einen andern Tritt als den bisherigen der dienenden Frauen hörte, wandte sogleich den Kopf, um zu sehen, wer es wäre. Sie erkannte den König; aber ohne die geringste Überraschung deshalb zu bezeigen, ja ohne sich zu erheben, um ihn mit Höflichkeit zu empfangen, nahm sie ihre vorige Stellung am Fenster wieder ein, als wenn er die gleichgültigste Person von der Welt wäre.

Der König von Persien war äußerst erstaunt, zu sehen, daß eine so schöne und wohlgebildete Sklavin so wenig Lebensart verstände. Er schob diesen Mangel auf die geringe Sorgfalt, die man angewendet hätte, ihr die ersten Regeln der Wohlanständigkeit beizubringen.

Er trat zu ihr ans Fenster, wo sie ungeachtet der Gleichgültigkeit und Kälte, womit sie ihn empfangen hatte, sich von ihm anschauen, bewundern und selbst liebkosen und umarmen ließ, so viel er wollte.

Unter diesen Liebkosungen und Umarmungen hielt der König inne, um sie anzuschauen oder vielmehr mit den Augen zu verschlingen. »Meine Allerschönste, meine Reizende, meine Bezaubernde!« rief er aus, »saget mir, ich bitte Euch, wo stammet Ihr her, und wo und wer sind der glückliche Vater und die glückliche Mutter, die ein so vollendetes Meisterstück der Natur, wie Ihr seid, auf die Welt gesetzt haben? Wie liebe ich Euch, und wie will ich Euch lieben! Niemals habe ich für eine Frau empfunden, was ich für Euch empfinde. Ich habe zwar viele Frauen gesehen und sehe ihrer noch täglich eine große Anzahl: aber niemals habe ich so viel Reize gesehen, die mich mir selber entführen, um mich ganz Euch hinzugeben. – Mein liebes Herz,« fügte er hinzu, »Ihr antwortet mir nichts; Ihr gebt mir selbst durch kein Zeichen zu erkennen, daß Ihr für so viel Zeichen meiner Liebe, die ich Euch gebe, empfindlich seid; ja, Ihr wendet nicht einmal Eure Augen her, um den meinigen das Vergnügen zu gewähren, ihnen zu begegnen und Euch zu überzeugen, daß man Euch nicht mehr lieben kann, als ich Euch liebe. Warum beharret Ihr in diesem Stillschweigen, das mich erstarret? Woher kommt dieser Ernst oder vielmehr diese Trauer, die mich betrübt? Sehnet Ihr Euch nach Eurem Vaterlande, Euren Verwandten, Euren Freunden? Wie aber! Vermag denn ein König von Persien, der Euch anbetet, nicht, Euch zu trösten und alle anderen Dinge auf der Welt zu ersetzen?«

Welche Beteuerungen seiner Liebe aber der König von Persien auch der Sklavin machte, und was er auch sagen mochte, um sie zu bewegen, den Mund zu öffnen und zu reden, die Sklavin blieb auffallend kalt, mit stets niedergeschlagenen Augen, ohne sie aufzuheben, um ihn anzublicken, und ohne ein einziges Wort vorzubringen.

Der König von Persien, gleichwohl erfreut, einen Kauf gemacht zu haben, womit er so zufrieden war, drang nicht weiter in sie in der Hoffnung, daß die gute Behandlung, die er ihr angedeihen ließe, sie schon verändern würde. Er klatschte in die Hände, und sogleich traten mehrere Frauen ein, denen er befahl, das Abendessen aufzutragen.

Als aufgetragen war, sagte er zu der Sklavin: »Kommet her, mein Herz, und setzet Euch mit mir zu Tische.« Sie stand auf von ihrem Sitze, und als sie dem Könige gegenübersaß, legte dieser ihr vor, ehe er selber aß, und bediente sie ebenso bei jeder Schüssel während der Mahlzeit. Die Sklavin aß mit ihm, aber stets mit niedergeschlagenen Augen, ohne ein einziges Wort zu erwidern, sooft er sie auch fragte, ob die Speisen nach ihrem Geschmacke wären.

Um das Gespräch zu verändern, fragte der König sie, wie sie hieße; ob sie mit ihrer Kleidung und den Juwelen ihres Schmuckes zufrieden wäre; wie ihre Wohnung und das Gerät darin ihr gefielen, und ob die Aussicht auf das Meer sie ergötzte; aber auf alle diese Fragen beobachtete sie dasselbe Stillschweigen, so daß er nicht mehr wußte, was er davon denken sollte. Er kam auf den Gedanken, daß sie wohl stumm sein könnte. »Aber,« sagte er bei sich selber, »wäre es möglich, daß Gott ein so schönes, so vollkommenes und vollendetes Geschöpf hervorgebracht, das einen so großen Mangel hätte? Das wäre sehr schade! Gleichwohl könnte ich mich nicht entbrechen, sie zu lieben, wie ich sie liebe.«

Als der König von Tische aufgestanden war, wusch er sich die Hände auf der einen Seite, und die Sklavin tat desgleichen auf der andern. Er nahm diese Zeit wahr, die Weiber, welche ihm Waschbecken und Handtuch reichten, zu fragen, ob sie mit ihnen gesprochen hätte. Die eine nahm das Wort und antwortete ihm: »Herr, wir haben sie ebensowenig sprechen gehört als Euer Majestät. Wir haben sie im Bade bedient, sie in ihrem Zimmer gekämmt, ihr den Kopfputz aufgesetzt und sie gekleidet, aber nicht einmal hat sie den Mund geöffnet, uns zu sagen: »Das steht gut, das gefällt mir.« Wir fragten sie: »Gebieterin, habt Ihr noch etwas nötig? Wünscht Ihr irgend etwas? Fordert nur, befehlet uns.« Wir wissen nicht, ist es Verachtung, Betrübnis, Stumpfsinn, oder ist sie gar stumm: genug, wir haben nicht ein einziges Wort aus ihr herausbringen können. Das ist alles, was wir Euer Majestät zu sagen vermögen.«

Die Verwunderung des Königs von Persien wurde durch das, was er hier hörte, noch vermehrt. Da er glaubte, daß die Sklavin einen Grund zur Betrübnis haben könnte, so wollte er versuchen, sie aufzuheitern; deshalb ließ er alle Frauen seines Palastes zusammenrufen. Sie kamen, und diejenigen, die sich auf Saitenspiel verstanden, spielten, die andern sangen oder tanzten oder taten beides zugleich: zuletzt führten sie verschiedene Spiele aus, welche den König ergötzten. Die Sklavin allein nahm keinen Teil an allen diesen Ergötzlichkeiten; sie blieb auf ihrem Sitze stets mit gesenkten Augen und mit einer Gleichgültigkeit, worüber alle die andern Frauen nicht weniger erstaunt waren als der König.

Alle begaben sich endlich wieder in ihre Zimmer, und der König, der allein zurückblieb, ging mit der schönen Sklavin zu Bette.

Am folgenden Morgen stand der König von Persien so zufrieden auf, als er es noch mit keiner von allen den Frauen gewesen war, die er jemals gesehen hatte, keine ausgenommen, und noch verliebter in die schöne Sklavin als den vorigen Tag. Er gab dies wohl zu erkennen: denn er beschloß, sich einzig und allein ihr zu widmen, und führte diesen Entschluß aus. Noch denselben Tag entließ er alle seine anderen Frauen mit den reichen Kleidern, den Juwelen und Kleinodien, welche sie zu ihrem Gebrauche hatten, und gab jeder eine starke Geldsumme und die Freiheit, sich nach Gefallen zu verheiraten, und er behielt nur die Matronen und andern bejahrten Frauen, die zur Umgebung der schönen Sklavin dienten. Diese gewährte ihm zwar ein ganzes Jahr hindurch nicht den Trost, ihm nur ein einziges Wort zu sagen. Er unterließ indessen nicht, stets mit allen ersinnlichen Gefälligkeiten um sie bemüht zu sein und ihr die ausgezeichnetsten Beweise einer sehr heftigen Leidenschaft zu geben.

Das Jahr war verflossen, und eines Tages saß der König bei seiner Schönen und beteuerte ihr, daß seine Liebe, anstatt sich zu mindern, stets an Gewalt zunähme. »Meine Königin,« sagte er zu ihr, »ich kann zwar nicht erraten, wie Ihr darüber denkt, nichts ist jedoch wahrer, und ich schwöre es Euch zu, daß ich nichts weiter wünsche, seitdem ich das Glück habe, Euch zu besitzen. Ich achte mein Königreich, so groß es auch ist, geringer als ein Sonnenstäubchen, sobald ich Euch sehe und Euch tausendmal sagen kann, daß ich Euch liebe. Ich verlange nicht, daß Ihr bloß meinen Worten glauben sollt: Ihr könnt aber nicht daran zweifeln nach dem Opfer, welches ich durch die Entfernung der großen Anzahl schöner Frauen, die ich in meinem Palaste hatte, Eurer Schönheit gebracht habe. Ihr werdet Euch erinnern, es ist ein Jahr vergangen, seit ich sie alle entließ; es gereut mich in diesem Augenblicke, da ich davon spreche, so wenig, als da ich sie zum letzten Male sah, und es wird mich niemals gereuen. Nichts würde an meinem Glücke, an meiner Zufriedenheit und Freude fehlen, wenn Ihr nur ein Wort sagtet, um auszudrücken, daß Ihr mir dafür einigen Dank wisset. Aber wie könntet Ihr mir es sagen, wenn Ihr stumm seid! Und welcher Grund ist, dies nicht zu fürchten? Seit einem vollen Jahre bitte ich Euch täglich tausendmal, mit mir zu sprechen: Ihr aber beobachtet ein für mich so trauriges Stillschweigen. Wenn es möglich ist, daß dieser Trost mir von Euch zuteil werde, so gebe der Himmel wenigstens, daß Ihr mir einen Sohn schenket, der nach meinem Tode mein Thronerbe sei! Ich fühle mein Alter täglich immer mehr, und jetzt schon bedürfte ich seiner, um mir die schwere Last meiner Krone tragen zu helfen. – Ich komme auf mein herzliches Verlangen zurück, Euch sprechen zu hören: es sagt etwas in mir, daß Ihr nicht stumm seid. Ich flehe Euch, teure Frau, ich beschwöre Euch, brechet dieses lange beharrliche Stillschweigen; saget mir nur ein einziges Wort, danach will ich gerne sterben.«

Die schöne Sklavin, die nach ihrer Gewohnheit den König stets mit gesenkten Augen angehört und ihn dadurch veranlaßt hatte, nicht allein zu glauben, daß sie stumm wäre, sondern auch, daß sie in ihrem Leben nicht gelacht hätte, begann auf diese Rede zu lächeln. Der König von Persien gewahrte es mit einer solchen Überraschung, daß er einen lauten Freudenruf tat; und da er nicht zweifelte, daß sie auch sprechen wollte, so erwartete er diesen Augenblick mit unbeschreiblicher Ungeduld.

 

Zweihundertunddreiundsechzigste Nacht.

Die schöne Sklavin brach endlich das Stillschweigen und sprach also: »Herr, ich habe Euer Majestät so viel zu sagen, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich halte es aber zunächst für meine Pflicht, Euch für alle die Gnade und Ehre, womit Ihr mich überhäuft habt, zu danken und den Himmel zu bitten, daß er Euch segne, alle böse Anschläge Eurer Feinde vereitle und Euch nicht sterben lasse, nachdem Ihr mich sprechen gehört habt, sondern Euch ein langes Leben schenke. Demnächst, Herr, kann ich Euch wohl keine größere Freude gewähren, als wenn ich Euch ankündige, daß ich schwanger bin: und ich wünsche mit Euch, daß es ein Sohn sei! – Aber, Herr,« fügte sie hinzu, »ohne diese Schwangerschaft (und ich bitte Euer Majestät, meine Aufrichtigkeit nicht übel zu deuten) war ich entschlossen, Euch nie zu lieben, sowie ein beständiges Stillschweigen zu beobachten. Gegenwärtig habe ich Euch so lieb, wie es meine Pflicht ist.«

Der König von Persien, voll Freuden, daß er die schöne Sklavin sprechen und eine ihm so wichtige Neuigkeit verkündigen gehört hatte, umarmte sie zärtlich und sagte zu ihr: »Licht meiner Augen, es gibt keine größere Freude für mich als die, womit Ihr mich erfüllet. Ihr habt gesprochen und habt mir Eure Schwangerschaft angekündigt: ich bin überglücklich durch diese beiden erfreulichen Begebenheiten, die ich nicht erwartete.«

Im Rausche der Freude, welche den König von Persien erfüllte, sagte er nichts weiter zu der schönen Sklavin, sondern verließ sie, aber auf eine Weise, die zu erkennen gab, daß er bald zurückkommen würde. Da er den Gegenstand seiner Freude offenkundig machen wollte, so verkündigte er ihn seinen Beamten und ließ seinen Großwesir rufen.

Sobald dieser kam, trug er ihm auf, hunderttausend Goldstücke an diejenigen Diener seiner Religion, welche das Gelübde der Armut getan hatten, an die milden Stiftungen und an die Armen zu verteilen, um Gott dafür zu danken; und sein Wille wurde vollzogen.

Nach Erteilung dieses Befehls kam der König von Persien wieder zu der schönen Sklavin. »Teure Frau,« sagte er zu ihr, »entschuldiget mich, wenn ich Euch so plötzlich verlassen habe: Ihr selber habt mir Anlaß dazu gegeben; aber erlaubet, daß ich ein andermal mehr davon sage: mich verlangt jetzt, viel wichtigere Dinge von Euch zu vernehmen. Saget mir, ich bitte Euch, meine geliebte Seele, welchen so triftigen Grund Ihr hattet, mich zu sehen, mich reden zu hören, mit mir täglich zu essen und zu schlafen ein ganzes Jahr hindurch und mit unerschütterlicher Standhaftigkeit nicht nur den Mund nicht zu öffnen und mit mir zu sprechen, sondern auch nicht einmal zu verstehen zu geben, daß Ihr sehr wohl alles verstündet, was ich zu Euch sagte. Das geht über meinen Verstand, und ich begreife nicht, wie Ihr Euch so viel Gewalt antun konntet; die Ursache davon muß sehr außerordentlich sein.«

Um die Neugier des Königs von Persien zu befriedigen, antwortete die schöne Sklavin: »Herr, Sklavin zu sein und entfernt von dem Vaterlande, ohne Hoffnung, jemals dahin zurückzukommen, das Herz durchdrungen von dem Schmerze, mich für immer von meiner Mutter, meinem Bruder und unsern Verwandten getrennt zu sehen – sind das nicht zureichende Beweggründe, so lange ein Stillschweigen zu beobachten, welches Euer Majestät so befremdet? Die Vaterlandsliebe ist nicht minder natürlich als die Elternliebe, und der Verlust der Freiheit ist jedem unerträglich, der nicht von gesundem Sinne so entblößt ist, um den Wert derselben nicht zu erkennen. Der Leib kann wohl dem Gebot eines Herrn unterworfen sein, der die Macht und Gewalt in Händen hat, aber der Wille kann nicht beherrscht werden, er bleibt immer sein eigener Herr. Euer Majestät hat an mir ein Beispiel davon gesehen. Es ist viel, daß ich nicht einer Menge von Unglücklichen nachgeahmt habe, welche die Freiheitsliebe zu dem traurigen Entschlusse gebracht hat, sich den Tod zu geben.«

»Teure Frau,« erwiderte der König von Persien, »ich bin überzeugt von dem, was Ihr mir da sagt, aber es hat mir bisher immer geschienen, als müsse eine schöne, wohlgebildete, verständige und geistvolle Frau wie Ihr, welche ihr Mißgeschick zur Sklavin bestimmt hat, sich glücklich schätzen, einen König zum Herrn zu erhalten.«

»Herr,« versetzte die schöne Sklavin, »ich wiederhole Euer Majestät, selbst ein König kann ihren Willen nicht beherrschen, welche Sklavin es auch sei. Ist indessen, wie Euer Majestät meint, eine Sklavin auch imstande, einem Könige zu gefallen und sich seine Liebe zu erwerben, so will ich wohl glauben, daß sie in ihrem Unglücke sich glücklich schätzen kann, wenn sie von unverhältnismäßig niedrigem Stande ist. Welches Unglück gleichwohl! Entrissen den Armen ihres Vaters und ihrer Mutter und vielleicht eines Geliebten, welchen sie ihr Lebelang nicht aufhören kann zu lieben! Aber wenn sie nun gar in keiner Hinsicht dem Könige nachsteht, der sie erworben hat, so möge Euer Majestät selber die Härte ihres Schicksals ermessen, ihr Elend, ihre Betrübnis, ihren Schmerz, und was sie zu tun imstande ist.«

Der König von Persien, erstaunt über diese Rede, erwiderte: »Wie, teure Frau, ist es möglich, wie Ihr mir zu verstehen gebt, daß Ihr von königlichem Geblüte seid? Ich bitte Euch, kläret mich darüber auf und vermehrt nicht noch meine Ungeduld. Unterrichtet mich, wer sind der Vater und die glückliche Mutter eines so hohen Wunders der Schönheit, wer sind Eure Brüder, Schwestern, Eure Verwandten, und vor allem, wie heißt Ihr?«

 

Zweihundertundvierundsechzigste Nacht.

»Herr,« sagte hierauf die schöne Sklavin, »mein Name ist Gülnare vom Meere; mein Vater, der nicht mehr lebt, war einer der mächtigsten Könige des Meeres, und bei seinem Tode hinterließ er sein Reich meinem Bruder namens Saleh und der Königin, meiner Mutter. Diese ist ebenfalls die Tochter eines andern sehr mächtigen Meerkönigs. Wir lebten in unserm Reiche ruhig und in tiefem Frieden, als plötzlich ein auf unser Glück neidischer Feind mit einem gewaltigen Heer in unsere Staaten einfiel, bis zu unserer Hauptstadt vordrang, sich derselben bemächtigte und uns nur so viel Zeit ließ, uns mit einigen treuen Offizieren, die uns nicht verließen, nach einem unzugänglichen und unbezwinglichen Orte zu retten.

In diesem Zufluchtsorte versäumte mein Bruder nicht, auf Mittel zu sinnen, um den ungerechten Besitzer unserer Staaten wieder zu vertreiben; und während dieser Zeit nahm er mich eines Tages beiseite und sprach zu mir: »Liebe Schwester, der Erfolg der geringsten Unternehmung ist immer sehr ungewiß; ich kann in derjenigen erliegen, welche ich zur Rückkehr in meine Staaten vorhabe: aber ich bin dabei weniger um mein Unglück bekümmert als um das, was dich alsdann betreffen könnte. Um dem zuvorzukommen und dich davor zu behüten, möchte ich dich zuvor gern vermählen; aber bei dem bedrängten Zustande unserer Angelegenheiten sehe ich nicht, wie du dich mit irgend einem unserer Prinzen des Meeres verbinden könntest. Ich wünschte also, daß du dich zu meinem Vorschlage entschließen möchtest, nämlich, einen Prinzen des Landes zu heiraten; ich bin bereit, alle Mittel dazu anzuwenden. Bei deiner Schönheit bin ich sicher, es ist keiner, wie mächtig er auch sei, der nicht mit Freuden seine Krone mit dir teilen möchte.«

Diese Rede meines Bruders brachte mich sehr auf gegen ihn. »Mein Bruder,« sagte ich zu ihm, »von seiten meines Vaters und meiner Mutter stamme ich wie du von Königen und Königinnen des Meeres ohne alle Vermischung mit den Königen des Landes: ich mag so wenig als sie eine Mißheirat eingehen und habe darauf einen Schwur getan, sobald ich Einsicht genug hatte, den Adel und das Altertum unseres Hauses zu erkennen. Der Zustand, in welchen wir versetzt sind, wird mich nicht dahin bringen, diesen Entschluß zu verändern, und wenn du in der Ausführung deines Unternehmens umkommen solltest, so will ich lieber mit dir sterben, als einen Rat befolgen, welchen ich von deiner Seite nicht erwartete.«

Mein Bruder, von dieser Heirat eingenommen, die meiner Meinung nach eine Mißheirat war, stellte mir vor, daß es Landkönige gäbe, welche den Meerkönigen nicht nachstünden. Dieses versetzte mich in solchen Zorn und solches Ungestüm gegen ihn, daß es mir harte Reden von ihm zuzog, welche mich aufs empfindlichste verletzten. Er verließ mich ebenso unzufrieden mit mir als ich mit ihm. In dem Ärger, worin ich war, schwang ich mich aus der Tiefe des Meeres und begab mich nach der Mondinsel.

Ungeachtet des gerechten Mißvergnügens, welches mich genötigt hatte, mich auf diese Insel zurückzuziehen, lebte ich dort jedoch ziemlich zufrieden, und ich hielt mich an abgelegenen Orten auf, wo ich sicher war. Meine Vorsicht verhinderte jedoch nicht, daß ein Mann von einiger Bedeutung mit seinen Leuten mich im Schlaf überfiel und mit sich heimführte. Er bezeigte mir seine große Liebe und unterließ nichts, mich zu bereden, sie zu erwidern. Als er sah, daß er mit Güte nichts ausrichtete, wähnte er, durch Gewalt besser zum Ziele zu gelangen; ich aber ließ ihn seine Unverschämtheit so sehr bereuen, daß er mich zu verkaufen beschloß: und so verkaufte er mich an den Kaufmann, der mich Eurer Majestät zugeführt hat. Dies war ein verständiger, sanfter und freundlicher Mann, und auf der langen Reise, welche er mit mir machte, hat er mir nur Anlaß gegeben, ihn zu rühmen. –

Was Euer Majestät betrifft,« fuhr die Prinzessin Gülnare fort, »wenn Ihr für mich nicht alle die Aufmerksamkeit gehabt hättet, wofür ich Euch dankbar bin; wenn Ihr mir nicht so viel aufrichtige Zeichen der Liebe gegeben, daß ich nicht daran zweifeln konnte; wenn Ihr nicht ohne Zaudern alle Eure Frauen entlassen hättet: so, scheue ich mich nicht zu sagen, wäre ich nimmer bei Euch geblieben. Ich hätte mich durch dieses Fenster, wo Ihr zuerst in diesem Zimmer mir nahtet, ins Meer gestürzt und meinen Bruder, meine Mutter und meine Verwandten wieder aufgesucht. Ich wäre sogar in dieser Absicht beharret und hätte sie ausgeführt, wenn ich nach einer gewissen Zeit die Hoffnung der Schwangerschaft verloren hätte. Ich werde mich aber wohl hüten, es in dem Zustande zu tun, worin ich mich nun befinde. Denn was ich auch meiner Mutter und meinem Bruder sagen möchte, nimmer würden sie glauben wollen, daß ich die Sklavin eines Königs wie Euer Majestät gewesen, und nimmer würden sie mir auch den Fehltritt verzeihen, welchen ich wissentlich gegen meine Ehre begangen habe. Demnach, Herr, sei es nun ein Prinz oder eine Prinzessin, die ich zur Welt bringe, wird dieses ein Pfand sein, welches mich nötigt, mich nimmer von Euer Majestät zu trennen. Ich hoffe auch, daß Ihr mich nicht mehr als eine Sklavin, sondern als eine Fürstin behandeln werdet, die Eurer Verbindung nicht unwürdig ist.«

Auf solche Weise gab die Prinzessin Gülnare sich dem Könige von Persien zu erkennen und endigte die Erzählung ihrer Geschichte. »Meine anbetungswürdige Fürstin,« rief jetzt der König aus, »welche Wunder höre ich da von Euch! Welche Fülle der Gegenstände für meine Neugier, um Euch über so unerhörte Dinge zu befragen! Aber zuvor muß ich Euch für Eure Güte und Geduld danken, mit welcher Ihr die Aufrichtigkeit und Beständigkeit meiner Liebe geprüft habt. Ich glaubte, nicht stärker lieben zu können, als ich Euch schon liebte. Seitdem ich indessen weiß, daß Ihr eine hohe Prinzessin seid, liebe ich Euch noch tausendmal mehr. Was sage ich Prinzessin? Meine Gemahlin, Ihr seid es nicht mehr, Ihr seid meine Königin und Königin von Persien, so wie ich König von Persien bin, und dieser Name soll alsbald in meinem ganzen Königreiche widerhallen. Gleich morgen soll er meine Hauptstadt erfüllen, zugleich mit noch nie gesehenen Freudenfesten, welche kundgeben sollen, daß Ihr meine rechtmäßige Gemahlin seid. Solches wäre schon längst geschehen, wenn Ihr mich früher aus meinem Irrtume gezogen hättet, weil ich von dem ersten Augenblick an, wo ich Euch sah, dieselbe Gesinnung hegte wie heute, nämlich Euch immer zu lieben und keine andere zu lieben als Euch. –

Unterdessen, bis ich mir völlig genugtue und Euch alles wiedergebe, was Euch gebührt, bitte ich Euch, teure Frau, mich genauer von diesen mir unbekannten Staaten und Völkern des Meeres zu unterrichten. Ich habe wohl von Meermenschen gehört, aber was man mir davon erzählt hat, immer nur für Märchen und Fabeln gehalten. Gleichwohl ist nach dem, was Ihr mir davon sagt, nichts wahrhafter, und ich habe einen sichern Beweis davon in Eurer Person selber, die Ihr dorther stammet und meine Gemahlin zu sein mich durch einen Vorzug würdiget, dessen kein anderer Erdbewohner außer mir sich rühmen kann. Eins nur macht mir dabei Bedenken, und ich bitte Euch, mich darüber aufzuklären: ich kann nämlich nicht begreifen, wie ihr im Wasser leben und euch regen und bewegen könnt, ohne zu ertrinken. Es verstehen wohl einige Leute bei uns die Kunst, unter dem Wasser zu bleiben: sie würden aber nichtsdestoweniger umkommen, wenn sie nicht nach Verlauf einer gewissen, durch die Geschicklichkeit und Kraft eines jeden bedingten Zeit wieder auftauchten.«

»Herr,« antwortete die Königin Gülnare, »mit vielem Vergnügen will ich Euer Majestät hierüber befriedigen. Wir wandeln in der Tiefe des Meeres ebenso wie auf dem Lande und atmen im Wasser wie in der Luft, so daß es, anstatt uns zu ersticken, wie es euch erstickt, vielmehr zu unserm Leben beiträgt. Was dabei noch sehr merkwürdig erscheint, ist, daß es unsere Kleider nicht benetzt und, wenn wir ans Land kommen, wir nicht nötig haben, uns zu trocknen. Unsere gewöhnliche Sprache ist dieselbe, in welcher die auf dem Siegelringe des großen Propheten Salomon eingegrabene Inschrift verfaßt ist.

Ich darf nicht vergessen, daß das Wasser uns auch nicht hindert, im Meere zu sehen; wir haben darin die Augen offen, ohne irgend eine Unbequemlichkeit davon zu spüren. Da unsere Augen sehr scharf sind, so vermögen wir ungeachtet der Tiefe des Meeres darin ebenso deutlich zu sehen, als man auf dem Lande sieht. Es verhält sich ebenso in der Nacht: der Mond leuchtet uns, und die Planeten und Gestirne sind uns nicht unsichtbar. Von unsern Königreichen habe ich schon geredet: da das Meer viel geräumiger ist als das Land, so gibt es darin auch deren viel mehr und viel größere; sie bestehen aus Provinzen, und in jeder Provinz sind mehrere große, sehr volkreiche Städte. Endlich gibt es hier eine große Menge an Sitten und Gewohnheiten unterschiedener Völkerschaften wie auf dem Lande.

Die Paläste der Könige sind herrlich und prächtig: sie sind teils von Marmor von verschiedenen Farben, von Bergkristall, woran das Meer Überfluß hat, von Perlmutter, von Korallen und anderen noch kostbareren Stoffen. Gold, Silber und alle Arten von Edelsteinen sind hier in viel größerer Fülle als auf der Erde. Ich geschweige der Perlen: die größten, die man auf dem Lande kennt, achtet man bei uns gar nicht; es sind nur die geringsten Bürgerinnen, die sich damit schmücken.

Da wir eine wunderbare und unglaubliche Geschwindigkeit haben, uns in weniger als nichts dahin zu bewegen, wohin wir wollen, so bedürfen wir weder Wagen noch Reitzeug. Gleichwohl ist kein König, der nicht seine Marställe und Stutereien von Seepferden hätte; aber sie bedienen sich derselben nur zum Vergnügen bei Festen und öffentlichen Lustbarkeiten. Manche, nachdem sie sie wohl abgerichtet haben, gefallen sich, sie zu reiten und ihre Geschicklichkeit im Wettrennen zu zeigen. Andere spannen sie an Wagen von Perlenmuscheln, geschmückt mit tausenderlei Muschelwerk von den mannigfaltigsten und lebhaftesten Farben. Die Wagen sind offen, mit einem Throne, auf welchem die Könige sitzen, wenn sie sich ihren Untertanen zeigen. Sie sind selber geschickt, sie zu lenken, und bedürfen keines Kutschers.

Ich übergehe mit Stillschweigen,« setzte die Königin Gülnare hinzu, »eine Anzahl anderer sehr merkwürdiger Besonderheiten der Meerländer, welche Euer Majestät sehr großes Vergnügen machen würden; aber erlaubet, daß ich Euch ein andermal bei mehr Muße davon unterhalte, um von etwas anderem mit Euch zu reden, das gegenwärtig von mehr Wichtigkeit ist. Ich muß Euch nämlich sagen, Herr, daß die Entbindung der Meerfrauen von der Entbindung der Landfrauen verschieden ist, und ich habe Grund, zu fürchten, daß die Hebammen dieses Landes mich nicht gut entbinden. Da Euer Majestät nicht minder als mir daran gelegen ist, so halte ich es, mit Eurer Genehmigung, für ratsam, zur Sicherung meiner Niederkunft die Königin, meine Mutter, mit meinen Nichten kommen zu lassen und zugleich auch meinen Bruder, mit welchem ich mich gern wieder aussöhnen möchte. Sie werden erfreut sein, mich wiederzusehen, sobald ich ihnen meine Geschichte erzählt habe und sie vernehmen, daß ich die Gattin des mächtigen Königs von Persien bin. Ich bitte Euer Majestät, es mir zu erlauben; sie werden sich auch freuen, Euch ihre Ehrfurcht zu bezeigen, und ich kann Euch versprechen, daß ihre Gesellschaft Euch vergnügen wird.«

»Teure Frau,« erwiderte der König von Persien, »Ihr habt zu gebieten; tut, was Euch gefällt; ich werde mich bemühen, sie mit allen gebührenden Ehren zu empfangen. Aber ich möchte wohl wissen, auf welche Weise Ihr ihnen Euern Wunsch kund tun wollt, und wann sie etwa ankommen werden, damit ich Befehl zu den Anstalten ihres Empfanges gebe und selber ihnen entgegengehe.«

»Herr,« antwortete die Königin Gülnare, »es bedarf nicht dieser Feierlichkeiten; sie werden in einem Augenblicke hier sein, und Euer Majestät wird sehen, auf welche weise sie ankommen: Ihr dürft nur in dieses kleine Gemach treten und durch das Gitterfenster schauen.«

 

Zweihundertundfünfundsechzigste Nacht.

Als der König von Persien in das Gemach getreten war, ließ die Königin Gülnare sich durch eine ihrer Frauen ein Rauchfaß mit Feuer bringen und hieß die Frauen wieder hinausgehen und die Türe zuschließen. Als sie allein war, nahm sie ein Stück Aloeholz, tat es in das Rauchfaß, und sobald sie den Rauch aufsteigen sah, sprach sie einige dem Könige von Persien, der all ihr Tun mit großer Aufmerksamkeit beobachtete, unverständliche Worte aus, und sie hatte noch nicht geendigt, als das Wasser des Meeres unruhig ward. Das Gemach, worin der König sich befand, war so gelegen, daß er dies durch das Gitterfenster gewahrte, indem er nach dem Meere hinausblickte.

Das Meer tat sich endlich in einiger Entfernung auf: und alsbald stieg ein junger wohlgebildeter und schöngewachsener Mann mit einem meergrünen Knebelbarte daraus empor. Eine schon bejahrte Frau von königlichem Ansehen stieg ebensobald nach ihm aus mit fünf Meerfräuleins, die keineswegs der Königin Gülnare an Schönheit nachstanden.

Die Königin Gülnare trat sogleich an eins der Fenster und erkannte den König, ihren Bruder, die Königin, ihre Mutter, und ihre Nichten, welche auch sie erkannten. Die Gesellschaft schwebte auf der Oberfläche des Wassers daher, ohne sichtlich zu schreiten; und als sie alle am Ufer waren, schwangen sie sich leicht eins nach dem andern zum Fenster hinein, wo die Königin Gülnare erschienen und zurückgetreten war, um ihnen Platz zu machen. Der König Saleh, die Königin Mutter und ihre Nichten umarmten sie zärtlich und mit Tränen in den Augen, sowie sie nacheinander hereinkamen.

Als Gülnare sie mit allen möglichen Ehren empfangen und sie auf dem Sofa hatte Platz nehmen lassen, nahm die Königin, ihre Mutter, das Wort. »Meine Tochter,« sprach sie zu ihr, »ich habe große Freude, dich nach so langer Abwesenheit wiederzusehen, und ich bin gewiß, daß dein Bruder und deine Nichten sich nicht weniger darüber freuen. Deine heimliche Entfernung hat uns in unglaubliche Betrübnis versetzt, und wir können dir nicht sagen, wieviel Tränen wir darüber vergossen haben. Wir wissen nichts weiter von der Ursache, welche dich bewogen haben kann, einen so unerwarteten Entschluß zu fassen, als was dein Bruder uns von seiner Unterredung mit dir berichtet hat. Der Rat, welchen er dir gab, schien ihm in unsern damaligen Umständen vorteilhaft für deine Wohlfahrt. Du durftest dich deshalb nicht so sehr beunruhigen, wenn er dir mißfiel, und du wirst mir erlauben, dir zu sagen, daß du die Sache ganz anders genommen hast, als du solltest. Aber schweigen wir jetzt von dem, was nur deinen Schmerz und deinen Verdruß erneuern würde, die du mit uns vergessen sollst: teile uns nun alles mit, was dir seit so langer Zeit, daß wir dich nicht gesehen haben, begegnet ist; und vor allen Dingen sage uns, ob du glücklich bist.«

Die Königin Gülnare warf sich sogleich ihrer Mutter zu Füßen, und nachdem sie ihr die Hand geküßt hatte und wieder aufgestanden war, antwortete sie: »Frau Mutter, ich habe einen großen Fehler begangen, ich bekenne es, und nur Eurer Güte verdanke ich die Verzeihung, welche Ihr mir anbietet. Was ich Euch zu erzählen habe, wird Euch zu erkennen geben, daß es oft vergeblich ist, sich gegen gewisse Dinge zu sträuben. Ich habe es an mir selber erfahren, da dasjenige, dem mein Wille am meisten widerstrebte, gerade das ist, dem mein Schicksal mich entgegengeführt hat.«

Sie erzählte ihnen nun alles, was ihr begegnet war. Als sie damit geendigt hatte, daß sie zuletzt an den König von Persien verkauft worden, bei welchem sie noch wäre, sprach der König, ihr Bruder, zu ihr: »Meine Schwester, du hast sehr unrecht, daß du so viel Unwürdiges erduldet, und kannst nur dich selber anklagen. Es stand in deiner Macht, dich davon zu befreien, und ich erstaune über deine Geduld, so lange in der Sklaverei zu bleiben: steh auf und komm wieder mit uns in unser Königreich, welches ich von unserm stolzen Feinde, der sich dessen bemächtigt hatte, wiedererobert habe.«

Der König von Persien, der in seinem Verstecke diese Worte hörte, war darüber höchst beunruhigt. »Ach,« sprach er bei sich selber, »ich bin verloren, und mein Tod ist gewiß, wenn meine geliebte Gülnare auf einen so unseligen Rat hört! Ich kann nicht mehr ohne sie leben, und man will sie mir entreißen!«

Die Königin Gülnare ließ ihn nicht lange in dieser Furcht. »Mein Bruder,« erwiderte sie lächelnd, »was ich da von dir höre, läßt mich mehr als jemals erkennen, wie aufrichtig deine Liebe für mich ist. Der Rat, den du mir gäbest, einen Fürsten des Landes zu heiraten, war mir damals unerträglich: und gegenwärtig fehlt wenig, daß ich über den Rat in Zorn gerate, den du mir hier gibst, meine Verbindung mit dem mächtigsten und berühmtesten aller Fürsten auszugeben. Ich rede nicht von der Verpflichtung einer Sklavin gegen ihren Herrn: es würde uns leicht sein, ihm die zehntausend Goldstücke wiederzugeben, welche ich ihn gekostet habe. Ich rede von der Verpflichtung einer Frau gegen ihren Gemahl, und zwar einer Frau, welche durchaus keine Ursache zur Unzufriedenheit mit ihm hat. Er ist ein frommer, weiser und gemäßigter Fürst, der mir die unzweideutigsten Zeichen seiner Liebe gegeben hat. Er konnte sie mir wohl nicht stärker beweisen als dadurch, daß er gleich in den ersten Tagen meines Besitzes die ganze große Anzahl seiner Frauen verabschiedete, um sich allein mir zu widmen. Ich bin seine Gemahlin; er hat mich soeben zur Königin von Persien erklärt und an seinem Rate Teil gegeben. Noch mehr, ich bin schwanger, und wenn ich das Glück habe, unter Vergünstigung des Himmels ihm einen Sohn zu geben, so ist dieses ein neues Band, welches mich unzertrennlich an ihn fesselt. Also, mein Bruder,« fuhr die Königin Gülnare fort, »weit entfernt, deinem Rate zu folgen, verpflichten diese Rücksichten, wie du siehst, mich nicht nur, den König von Persien ebenso zu lieben, wie er mich liebt, sondern auch bei ihm zu bleiben und mein Leben mit ihm zu teilen, mehr aus Erkenntlichkeit als aus Pflicht. Ich hoffe, daß weder meine Mutter, noch du, noch meine lieben Nichten meinen Entschluß mißbilligen werden, so wenig als dir Verbindung, welche ich eingegangen, ohne sie gesucht zu haben: eine Verbindung, welche gleich ehrenvoll für die Fürsten des Meeres wie des Landes ist. Verzeihet mir, wenn ich euch aus den Tiefen der Wogen hierher bemüht habe, um euch dieses mitzuteilen und das Glück zu haben, nach einer so langen Trennung euch wiederzusehen.«

»Meine Schwester,« sagte hierauf der König Saleh, »der Vorschlag, welchen ich dir auf die Erzählung deiner Abenteuer, die ich nicht ohne Schmerz anhören konnte, getan habe, mit uns heimzukehren, sollte dir nur beweisen, wie sehr wir dich alle lieben, wie sehr insbesondere ich dich achte, und daß nichts uns mehr am Herzen liegt als alles, was zu deinem Glücke beitragen kann. Aus denselben Beweggründen kann ich meinerseits einen so vernünftigen und deiner so würdigen Entschluß nicht anders als billigen nach dem, was du uns von der Person des Königs von Persien und deinen großen Verpflichtungen gegen ihn erzählt hast. Was die Königin, deine und meine Mutter, betrifft, so bin ich überzeugt, daß sie derselben Meinung ist.«

Diese Fürstin bestätigte die Voraussetzung des Königs, ihres Sohnes, und sprach, indem sie sich auch zu der Königin Gülnare wandte: »Meine Tochter, ich bin erfreut, daß du zufrieden bist, und ich habe dem, was der König, dein Bruder, dir gesagt hat, nichts weiter hinzuzufügen. Ich würde die erste sein, die dich tadelte, wenn du nicht einem Fürsten, der dich so leidenschaftlich liebt und so Großes für dich getan hat, alle ihm schuldige Dankbarkeit erzeigtest.«

So sehr der König von Persien in dem Gemache durch die Furcht bekümmert gewesen war, die Königin Gülnare zu verlieren, so viel Freude hatte er, zu sehen, daß sie entschlossen war, ihn nicht zu verlassen. Da er nach einer so bestimmten Erklärung nicht mehr an ihrer Liebe zweifeln konnte, so liebte er sie nun noch tausendmal mehr, und er gelobte, ihr seine Erkenntlichkeit dafür auf alle ihm nur mögliche Weise zu bezeigen.

Während der König von Persien also mit sich selber redete, hatte Gülnare in die Hände geklatscht und den sogleich eingetretenen Sklavinnen befohlen, einen Imbiß aufzusetzen. Als aufgetragen war, lud sie die Königin, ihre Mutter, den König, ihren Bruder, und ihre Nichten zum Essen ein. Über alle hatten denselben Gedanken, daß sie, ohne um die Erlaubnis gebeten zu haben, sich in dem Palast eines mächtigen Königs befanden, den sie nie gesehen hatten, und der sie nicht kannte, daß es also eine große Unhöflichkeit sein würde, an seinem Tische ohne ihn zu essen. Die Röte stieg ihnen darüber ins Gesicht, und von der inneren Aufwallung fuhren ihnen Flammen aus den Nüstern und aus dem Munde, und ihre Augen funkelten.

Der König von Persien geriet in unsäglichen Schrecken über dieses unerwartete Schauspiel, dessen Ursache er nicht wußte. Gülnare, welche die Absicht ihrer Verwandten verstand, deutete ihnen nur an, indem sie sich von ihrem Sitz erhob, daß sie sogleich wiederkommen würde. Sie ging in das Gemach, wo sie den König durch ihre Gegenwart beruhigte. »Herr,« sagte sie zu ihm, »ich zweifle nicht, daß Euer Majestät mit dem Zeugnisse zufrieden ist, welches ich soeben von meinen großen Verpflichtungen gegen Euch abgelegt habe. Es stand nur bei mir, ihrem Verlangen nachzugeben und mit ihnen in unser Reich heimzukehren: das aber wäre eine Undankbarkeit, wofür ich mich selber zuerst verdammen würde.«

»Ach,« rief der König von Persien aus, »redet nicht mehr von den Verpflichtungen, die Ihr gegen mich habt; ich selber bin Euch so sehr verpflichtet, daß ich Euch meine Erkenntlichkeit nicht genugsam bezeigen kann. Ich hatte nicht geglaubt, daß Ihr mich so sehr liebtet, als ich jetzt sehe: Ihr habt mir soeben den schönsten Beweis davon gegeben.«

»Wie, Herr,« erwiderte Gülnare, »könnte ich weniger tun, als ich tue? Ich tue noch nicht genug nach allen den Ehren, die mir zuteil geworden sind, nach so vielen Wohltaten, womit Ihr mich überhäuft habt, nach so vielen Beweisen der Liebe, für welche ich unmöglich unempfindlich sein könnte. Aber, Herr,« setzte die Königin hinzu, »schweigen wir jetzt davon, und überzeuget Euch von der aufrichtigen Freundschaft, mit welcher meine Mutter und mein Bruder Euch verehren. Sie brennen vor Verlangen, Euch zu sehen und es Euch selber zu versichern. Ich besorgte sogar, mir einen Handel mit ihnen zuzuziehen, als ich ihnen einen Imbiß geben wollte, bevor ich ihnen diese Ehre verschafft hatte. Ich bitte also, Euer Majestät geruhe hereinzutreten und sie mit Eurer Gegenwart zu beehren.«

»Teure Frau,« erwiderte der König von Persien, »es würde mir ein großes Vergnügen machen, diese Euch so nahe angehörigen Personen zu begrüßen: aber die Flammen erschrecken mich, welche ich aus ihren Nüstern und ihrem Munde fahren sehe.«

»Herr,« versetzte die Königin lächelnd, »diese Flammen dürfen Euer Majestät nicht die geringste Furcht machen; sie bedeuten nichts anders als ihren Widerwillen, in Eurem Palaste zu essen, ohne daß Ihr sie mit Eurer Gegenwart beehrt.«

 

Zweihundertundsechsundsechzigste Nacht.

Der König von Persien, durch diese Worte beruhigt, stand auf von seinem Sitze und trat mit der Königin Gülnare in das Zimmer. Die junge Königin stellte ihn ihrer Mutter, dem König, ihrem Bruder, und ihren Nichten vor, die sich sogleich vor ihm mit dem Angesichte auf den Boden warfen. Der König lief alsbald hin zu ihnen, nötigte sie aufzustehen und umarmte sie nacheinander.

Nachdem sich alle gesetzt hatten, nahm der König Saleh das Wort und sprach zu dem Könige von Persien: »Herr, wir können Euer Majestät nicht genug unsere Freude darüber bezeugen, daß Gülnare, meine Schwester, in ihrem Mißgeschicke das Glück gehabt hat, den Schutz eines so mächtigen Monarchen zu finden. Wir können Euch versichern, daß sie des hohen Ranges, zu welchem Ihr sie erhoben habt, nicht unwürdig ist. Wir haben stets so große Liebe und Zärtlichkeit für sie gehabt, daß wir uns nicht entschließen konnten, sie einem jener mächtigen Fürsten des Meeres zu geben, welche selbst vor ihrer Mannbarkeit schon bei uns um sie warben. Der Himmel hat sie für Euch, Herr, aufbewahrt, und wir können ihm nicht besser für die Euch erzeigte Gunst danken, als wenn wir ihn bitten, Euer Majestät die Gnade zu gewähren, daß Ihr noch lange Jahre mit ihr im Schoße des Glückes lebet.«

»Es muß wohl so sein,« erwiderte der König von Persien, »wie Ihr bemerket, daß der Himmel sie für mich aufbewahrt hat. Die Leidenschaft, die ich für sie fühle, läßt mich erkennen, daß ich noch gar nicht geliebt hatte, bevor ich sie sah. Ich kann der Königin Mutter und Euch, mein Fürst, nicht dankbar genug sein für den Edelmut, mit welchem ihr einwilligt, mich in eine mir so ehrenvolle Verwandtschaft aufzunehmen.«

Nach diesen Worten lud er sie ein, sich zu Tische zu setzen, und setzte sich auch nebst Gülnaren mit ihnen.

Nach dem Imbiß unterhielt sich der König von Persien mit ihnen bis tief in die Nacht, und als es Zeit war, schlafen zu gehen, führte er sie selber nach den für sie bereiteten Zimmern.

Der König von Persien bewirtete seine erlauchten Gäste mit ununterbrochenen Festen, bei welchen er nichts vergaß, was seine Größe und Herrlichkeit zeigen konnte, und unvermerkt bewog er sie so, bis zur Niederkunft der Königin an seinem Hofe zu bleiben.

Sie kam endlich nieder und brachte einen Sohn zur Welt, zur großen Freude der Königin, ihrer Mutter, welche ihn dem Könige darbrachte, sobald ihm die ersten prächtigen Windeln angelegt waren.

Der König von Persien empfing dieses Geschenk mit einer Freude, die man sich leichter denken als beschreiben kann. Da das Antlitz des kleinen Prinzen, seines Sohnes, voll und von glänzender Schönheit war, so glaubte er ihm keinen passenderen Namen geben zu können als Beder. Um dem Himmel dafür zu danken, erteilte er den Armen reichliche Amosen, ließ die Gefangenen los, schenkte allen seinen Sklaven beiderlei Geschlechts die Freiheit und ließ große Summen unter die Geistlichen und andächtigen Brüder seiner Religion verteilen. Er spendete auch reichliche Gaben an seinem Hofe unter das Volk und ließ durch die ganze Stadt mehrtägige Freudenfeste ansagen.

Als die Königin Gülnare von ihrem Wochenbette wieder aufgestanden war und sich eines Tages in ihrem Zimmer mit dem Könige von Persien, der Königin, ihrer Mutter, dem Könige Saleh und den Prinzessinnen, ihren Nichten, unterhielt, trat die Amme mit dem kleinen Prinzen Beder auf dem Arme herein. Saleh stand sogleich auf von seinem Sitze, lief zu dem kleinen Prinzen, und nachdem er ihn der Amme vom Arme genommen, begann er ihn mit großer Zärtlichkeit zu küssen und zu herzen. Er ging mit ihm mehrmals im Zimmer umher: und plötzlich, im Entzücken seiner Freude, schwang er sich aus einem offenstehenden Fenster und schoß mit dem Prinzen ins Meer hinab.

Der König von Persien, der sich dieses Schauspiels nicht versah, stieß ein entsetzliches Geschrei aus, im Wahne, daß er den Prinzen, seinen geliebten Sohn, nie oder doch nur tot wiedersehen würde. Es fehlte nicht viel, daß er, übermannt von seiner Betrübnis, seinem Schmerz und seinen Tränen, den Geist aufgab. »Herr,« sprach aber Gülnare zu ihm mit einem Gesicht und in einem Tone, welche ihn wohl beruhigen konnten, »fürchte Euer Majestät nichts. Der kleine Prinz ist auch mein Sohn, und ich liebe ihn nicht weniger als Ihr; Ihr seht gleichwohl, daß ich darüber nicht unruhig bin: in der Tat, er läuft keine Gefahr, und Ihr werdet bald den König, seinen Oheim, wieder erscheinen und ihn gesund und unversehrt zurückbringen sehen. Obschon er aus Eurem Blute entsprossen ist, so hat er doch nicht minder von mir den Vorzug geerbt, ebensowohl im Meere als auf dem Lande leben zu können.«

Die Königin, ihre Mutter, und die Prinzessinnen, ihre Nichten, bekräftigten dieses dem Könige von Persien; aber ihr Zureden machte doch nicht so große Wirkung, um ihn von seiner Furcht zu befreien: es war ihm unmöglich, sie abzulegen, solange der Prinz Beder seinen Augen entrückt blieb.

Das Meer ward endlich wieder unruhig, und bald sah man den König Saleh, welcher mit dem kleinen Prinzen Beder im Arme daraus emporstieg und, sich durch die Luft schwingend, in dasselbe Fenster wieder hineinschwebte, durch welches er entschwunden war. Der König von Persien war froh und in großer Verwunderung, als er den Prinzen Beder so ruhig als zuvor sah. Der König Saleh fragte ihn: »Herr, Euer Majestät war wohl sehr bange, als Ihr mich mit dem Prinzen, meinem Neffen, ins Meer tauchen sahet?«

»Ach, mein Fürst,« antwortete der König von Persien, »ich kann Euch nicht ausdrücken, wie; ich hielt ihn für verloren, und Ihr habt mir das Leben wiedergegeben, indem Ihr ihn mir wiederbringt.«

»Herr,« versetzte der König Saleh, »ich habe es wohl gedacht; aber es war nicht das geringste zu fürchten. Bevor ich hinabtauchte, hatte ich über ihn die geheimnisvollen Worte ausgesprochen, welche auf dem Siegelringe des großen Königs Salomon, des Sohnes Davids, eingegraben waren. Wir tun dasselbe mit allen Kindern, die bei uns in den Ländern auf dem Grunde des Meeres geboren werden; und durch die Kraft dieser Worte erhalten sie dieselbe Eigenschaft, welche wir vor den Menschen, die auf dem Lande wohnen, voraus haben.

Hiernach kann Euer Majestät beurteilen, welchen Vorzug der Prinz Beder durch seine Geburt von seiten der Königin Gülnare, meiner Schwester, empfangen hat. Solange er lebt, und sooft er will, steht es ihm frei, ins Meer hinabzutauchen und die weiten Reiche zu durchlaufen, welche sein Schoß verschließt.«

Nach diesen Worten öffnete der König Saleh, der schon den Kleinen Prinzen Beder den Armen der Amme wieder überliefert hatte, ein Kästchen, welches er während der kurzen Zeit seines Entschwindens aus seinem Palaste geholt und mitgebracht hatte, und welches angefüllt war mit dreihundert Diamanten, so groß wie Taubeneier, mit einer gleichen Anzahl Rubinen von außerordentlicher Größe, mit ebensoviel Smaragdstangen von der Länge eines halben Fußes und mit dreißig Schnüren oder Halsbändern von Perlen, jedes von zehn Stück.

»Herr,« sprach er zu dem Könige von Persien, indem er ihm dieses Kästchen zum Geschenk überreichte, »als wir von der Königin, meiner Schwester, gerufen wurden, wußten wir nicht, in welcher Gegend der Erde sie war, und daß sie die Ehre hatte, die Gemahlin eines so mächtigen Königs zu sein: das ist die Schuld, daß wir mit leeren Händen gekommen sind. Da wir nun Euer Majestät unsere Erkenntlichkeit nicht anders bezeigen können, so bitten wir Euch, dieses geringe Zeichen derselben anzunehmen in Betracht der ausgezeichneten Güte, welche Ihr meiner Schwester bewiesen habt, und an welcher wir nicht minder teilnehmen als sie selber.«

Es läßt sich nicht beschreiben, wie groß das Erstaunen des Königs von Persien war, als er so viel Reichtümer in einen so kleinen Raum eingeschlossen sah.

»Ei wie, mein Prinz!« rief er aus, »ein Geschenk von unschätzbarem Werte nennet Ihr ein geringes Zeichen Eurer Erkenntlichkeit? Ich erkläre Euch noch einmal, daß Ihr mir gar keinen Dank schuldig seid, weder die Königin, Eure Mutter, noch Ihr selber. Ich schätze mich überglücklich durch Eure Beistimmung zu der Verbindung, welche ich mit Euch gestiftet habe. – Teure Frau,« sprach er, sich zu der Königin Gülnare wendend, »der König, Euer Bruder, versetzt mich in eine Beschämung, aus welcher ich mich noch nicht wieder finden kann; und ich würde ihn um die Erlaubnis bitten, sein Geschenk abzulehnen, wenn ich ihn nicht dadurch zu beleidigen fürchtete. Bittet Ihr ihn, daß er mir gütig erlasse, es anzunehmen.«

»Herr,« entgegnete der König Saleh, »ich bin nicht verwundert, daß Euer Majestät dieses Geschenk außerordentlich findet; ich weiß, daß man auf dem Lande nicht gewohnt ist, Edelsteine von dieser Güte und in so großer Menge beisammen zu sehen. Aber wenn Ihr wüßtet, daß mir die Gruben, wo sie gefunden werden, bekannt sind, und daß es in meiner Macht steht, von dergleichen einen viel reicheren Schatz zu sammeln als alles, was in den Schatzkammern der Landkönige ist, so würdet Ihr Euch verwundern, daß wir die Dreistigkeit gehabt haben, Euch ein so unbedeutendes Geschenk zu machen. Auch bitten wir Euch, es nicht hiernach, sondern nach der aufrichtigen Freundschaft zu schätzen, mit welcher wir es Euch darbieten, und uns nicht durch die Ablehnung desselben zu beschämen.«

So höfliche Wendungen nötigten den König von Persien, es anzunehmen, und er machte ihm und der Königin Mutter große Danksagungen dafür.

Einige Tage darnach bezeugte der König Saleh dem Könige von Persien, daß die Königin, seine Mutter, die Prinzessinnen, seine Nichten, und er selber zwar kein größeres Vergnügen haben könnten, als ihr ganzes übriges Leben an seinem Hofe zuzubringen; da sie aber schon lange aus ihrem Reiche abwesend und ihre Gegenwart daselbst nötig wäre, so bäten sie ihn um die Erlaubnis, von ihm und der Königin Gülnare Abschied zu nehmen.

Der König von Persien antwortete ihnen, es täte ihm sehr leid, daß es nicht in seiner Macht stünde, ihre Höflichkeit zu erwidern und sie in ihrem Reiche zu besuchen. »Da ich aber überzeugt bin,« fügte er hinzu, »daß Ihr die Königin Gülnare nicht vergessen, sondern sie von Zeit zu Zeit besuchen werdet, so hoffe ich, ich werde die Ehre haben, Euch noch öfter als einmal zu sehen.«

Bei der Trennung wurden auf beiden Seiten viele Tränen vergossen. Der König Saleh schied zuerst; aber die alte Königin und die Prinzessinnen mußten sich, um ihm zu folgen, fast mit Gewalt aus den Umarmungen der Königin Gülnare losreißen, welche sich nicht entschließen konnte, sie fahren zu lassen.

Als die königliche Gesellschaft entschwunden war, konnte der König von Persien sich nicht enthalten, zu der Königin Gülnare zu sagen: »Teure Frau, ich würde denjenigen für einen meine Leichtgläubigkeit mißbrauchenden Menschen gehalten haben, der sich unterfangen hätte, mir alle die Wunderdinge für Wahrheit auszugeben, von welchen ich Zeuge gewesen bin seit dem Augenblicke, wo Eure erlauchte Verwandtschaft meinen Palast mit ihrer Gegenwart beehrte. Aber ich kann meine Augen nicht Lügen strafen: ich werde mich zeitlebens daran erinnern und nicht aufhören, dem Himmel dafür zu danken, daß er Euch mir vor allen andern Fürsten zugedacht hat.«

Der kleine Prinz Beder wurde in dem Palaste gesäugt und aufgezogen, unter den Augen des Königs und der Königin von Persien, die ihn mit großem Vergnügen aufwachsen und an Schönheit zunehmen sahen. Er gewährte ihnen immer mehr und mehr Freude in dem Maße, wie er im Alter vorrückte, durch seine stete Heiterkeit, seine Anmut in allem, was er tat, und durch die Kennzeichen seines richtigen und lebhaften Verstandes in allem, was er sagte. Und diese ihre Freude wurde dadurch noch erhöht, daß der König Saleh, sein Oheim, die Königin, seine Großmutter, und die Prinzessinnen, seine Muhmen, oft hinkamen, um teil daran zu nehmen. Man hatte keine Mühe, ihn lesen und schreiben zu lehren, und mit derselben Leichtigkeit unterrichtete man ihn in allen Wissenschaften, welche einem Prinzen seines Ranges angemessen waren.

 

Zweihundertundsiebenundsechzigste Nacht.

Als der Prinz von Persien das Alter von fünfzehn Jahren erreicht hatte, übertraf er schon in allen seinen Übungen seine Lehrmeister unendlich an Geschicklichkeit und Anmut. Dabei zeigte er eine bewundernswürdige Einsicht und Klugheit.

Der König von Persien, der an ihm fast von seiner Geburt an diese einem Fürsten so nötigen Tugenden erkannte und ihn fortwährend darin sich bestärken sah, und der zugleich die große Schwachheit seines Alters täglich mehr fühlte, wollte nicht abwarten, bis sein Tod erst ihn in den Besitz seines Reiches setzte. Er hatte keine Mühe, seinen Reichsrat mit seinem Wunsche hierüber einstimmig zu machen, und das Volk vernahm seinen Entschluß mit umsomehr Freude, als der Prinz Beder würdig war, sie zu beherrschen. Denn da er schon seit langer Zeit öffentlich erschien, so hatten alle nach Gefallen bemerken können, daß er nicht jenes stolze, verächtliche und zurückstoßende Wesen hatte, welches bei den meisten anderen Prinzen so gewöhnlich ist, die auf alles, was unter ihnen ist, mit unerträglichem Hochmut und Verachtung herabblicken. Sie wußten im Gegenteil, daß er alle Leute mit einer Freundlichkeit ansah, welche einlud, sich ihm zu nahen; daß er huldreich alle anhörte, die ihm etwas zu sagen hatten; daß er ihnen mit einem ihm eigenen Wohlwollen antwortete, und daß er niemand etwas abschlug, sofern die Bitte nur irgend statthaft war.

Der Tag der Feierlichkeit wurde angesetzt; und an diesem Tage, mitten in dem zahlreicher als gewöhnlich versammelten Reichsrate, stieg der König von Persien, der sich anfangs auf seinen Thron gesetzt hatte, von demselben herab, nahm die Krone von seinem Haupte und setzte sie auf das Haupt des Prinzen Beder; und nachdem er ihn selbst auf seinen Platz hinaufgeführt hatte, küßte er ihm die Hand zum Zeichen, daß er ihm sein ganzes Ansehen und alle seine Macht übergäbe, worauf er sich unter ihm in den Rang der Wesire und Emire setzte.

Alsbald traten die Wesire, die Emire und alle die ersten Beamten hervor, warfen sich dem neuen Könige zu Füßen und leisteten ihm den Eid der Treue, ein jeder nach seinem Range.

Der Großwesir trug nun mehrere wichtige Staatssachen vor, über welche Beder mit einer Weisheit entschied, die die ganze Versammlung in Bewunderung setzte. Er setzte hierauf mehrere der Untreue überwiesene Statthalter ab und setzte andere an ihre Stelle mit einer so richtigen und billigen Beurteilung, daß er sich den allgemeinen lauten Beifall erwarb, der umso ehrenvoller war, als die Schmeichelei keinen Teil daran hatte.

Er verließ endlich die Ratsversammlung und begab sich in Begleitung des Königs, seines Vaters, nach der Wohnung der Königin Gülnare. Diese sah ihn nicht sobald mit der Krone auf dem Haupte, als sie auf ihn zulief, ihn mit großer Zärtlichkeit umarmte und seiner Regierung eine lange Dauer wünschte.

Das erste Jahr seiner Regierung verwaltete der König Beder sein königliches Amt mit großer Emsigkeit, vor allen Dingen unterrichtete er sich sorgfältig von den Staatsangelegenheiten und von allem, was zur Glückseligkeit seiner Untertanen beitragen konnte.

Im folgenden Jahre übertrug er mit Genehmigung des alten Königs, seines Vaters, dem Rate die Verwaltung der Staatsgeschäfte und verließ die Hauptstadt unter dem Vorwande einer Jagdlust: aber es geschah, um alle Provinzen seines Reiches zu durchreisen und darin die Mißbräuche abzuschaffen, überall Ordnung und Zucht herzustellen und, indem er sich an den Grenzen zeigte, den benachbarten übelgesinnten Fürsten die Lust zu benehmen, etwas gegen die Sicherheit und Ruhe seiner Staaten zu unternehmen.

Nicht weniger als die Zeit eines Jahres bedurfte dieser junge König, um einen seiner so würdigen Vorsatz auszuführen.

Noch nicht lange war er wieder zurück, als der König, sein Vater, so gefährlich erkrankte, daß er sogleich selber fühlte, er würde nicht wieder aufstehen. Er erwartete den letzten Augenblick seines Lebens mit großer Ruhe, und seine einzige Sorge war, den Ministern und den Großen des Hofes seines Sohnes zu empfehlen, die ihm geschworne Treue zu bewahren; und es war keiner, der nicht seinen Eid ebenso aufrichtig erneuerte als das erstemal. Er starb endlich, zur innigsten Betrübnis des jungen Königs Beder und der Königin Gülnare, die seine Leiche in einem prächtigen Grabmale beisetzen ließen.

Nach Beendigung der Leichenfeier war es für den König Beder kein Zwang, die persische Sitte zu beobachten, nämlich, die Toten einen vollen Monat zu beweinen und während dieser ganzen Zeit sich von niemand sehen zu lassen. Er hätte seinen Vater sein Lebelang beweint, wenn er dem Übermaße seiner Betrübnis gefolgt und es einem großen König verstattet wäre, sich ihr ganz hinzugeben. In dieser Zwischenzeit kamen auch die Königin, Gülnarens Mutter, und der König Saleh mit den Prinzessinnen, ihren Nichten, und nahmen großen Teil an ihrer Trauer, bevor sie ihnen Trost zusprachen.

Als der Monat verflossen war, konnte der König nicht umhin, seinen Großwesir und alle die Großen seines Hofes vorzulassen, die ihn baten, das Trauerkleid abzulegen, sich seinen Untertanen zu zeigen und wieder die Besorgung der Staatsgeschäfte zu übernehmen wie zuvor. Er bezeigte anfangs einen so großen Widerwillen, sie anzuhören, daß der Großwesir genötigt war, das Wort zu nehmen und zu ihm zu sagen:

»Herr, ich brauche Euer Majestät nicht vorzustellen, daß es nur den Frauen zusteht, in einer steten Trauer zu verharren. Wir zweifeln nicht, daß Ihr ebenso davon überzeugt seid, und daß es nicht Eure Absicht ist, ihrem Beispiele zu folgen. Weder unsere Tränen noch die Eurigen sind imstande, dem König, Eurem Vater, das Leben wiederzugeben, und wenn wir auch unser Lebelang nicht aufhörten zu weinen. Er hat das allgemeine Schicksal der Menschen erfüllt, welches sie dem unablöslichen Zins des Todes unterwirft. Wir können gleichwohl nicht sagen, daß er durchaus tot sei, weil wir ihn in Eurer geheiligten Person wiedersehen. Er selber hat sterbend nicht daran gezweifelt, daß er in Euch wieder auflebe: es ist nun an Euer Majestät, zu zeigen, daß er sich nicht getäuscht hat.«

Der König Beder konnte so dringenden Vorstellungen nicht widerstehen: er legte von Stund an das Trauergewand ab, und nachdem er das königliche Kleid und den königlichen Schmuck wieder angetan hatte, begann er der Pflege seines Reichs und seiner Untertanen mit derselben Aufmerksamkeit wahrzunehmen wie vor dem Tode des Königs, seines Vaters. Er tat dies mit allgemeinem Beifalle; und da er genau die Beobachtung der Verordnungen seiner Vorfahren handhabte, so bemerkten die Völker kaum, daß sie einen neuen Herrn hatten.

Der König Saleh, der mit der Königin, seiner Mutter, und den Prinzessinnen wieder in seine Meerländer heimgekehrt war, sobald er gesehen, daß der König Beder die Regierung wieder übernommen hatte, kam nach Verlauf eines Jahres allein zurück, und der König Beder und die Königin Gülnare freuten sich, ihn wiederzusehen.

Eines Abends nach Tische, als man abgedeckt und sie allein gelassen hatte, unterhielten sie sich über mancherlei Dinge.

Unvermerkt kam der König Saleh auf das Lob des Königs, seines Neffen, und bezeugte der Königin, seiner Schwester, wie sehr er mit der Weisheit seiner Regierung zufrieden wäre, welche ihm einen so großen Ruhm nicht allein bei den benachbarten Königen, sondern selbst bis in die entferntesten Königreiche erworben hätte. Der König Beder, der sich selber nicht so rühmen hören mochte, aber auch aus Wohlanständigkeit dem Könige, seinem Oheime, nicht Stillschweigen auferlegen wollte, wandte sich auf die Seite und stellte sich, als ob er schliefe, indem er den Kopf an ein Kissen hinter ihm lehnte.

Von den Lobeserhebungen des bewundernswürdigen Benehmens und des in allen Dingen überlegenen Geistes des Königs Beder ging der König zu denen seiner Gestalt über, und er sprach davon wie von einem Wunder, welches nicht seinesgleichen auf Erden, noch in allen ihm bekannten Reichen unter den Fluten des Meeres hätte. »Meine Schwester,« rief er plötzlich aus, »so wie er gebildet ist, und wie du selber ihn siehst, wundere ich mich, daß du noch nicht daran gedacht hast, ihn zu vermählen. Gleichwohl, wenn ich mich nicht irre, ist er schon in seinem zwanzigsten Jahre; und in solchem Alter ziemt es einem Fürsten, wie er ist, nicht mehr ohne eine Frau zu sein. Ich will selber darauf bedacht sein, weil du nicht daran denkst, und ihm eine Gemahlin aus unsern Reichen geben, die seiner würdig ist.«

»Mein Bruder,« erwiderte die Königin Gülnare, »du erinnerst mich an eine Sache, an welche ich bisher nicht im mindesten gedacht habe. Weil er noch gar keine Neigung für den Ehestand bezeigt hat, so habe ich selber auch nicht acht darauf gehabt, und es ist mir lieb, daß es dir eingefallen ist, mit mir davon zu reden. Da ich es sehr billige, ihm eine von unsern Prinzessinnen zu geben, so bitte ich dich, mir eine herzuführen, aber eine so schöne und vollkommene, daß der König, mein Sohn, gezwungen ist, sie zu lieben.«

»Ich weiß eine solche,« versetzte der König Saleh, indem er leiser redete, »aber bevor ich dir sage, wer sie ist, bitte ich dich, zu sehen, ob der König, mein Neffe, auch schläft; ich werde dir sagen, weshalb diese Vorsicht gut ist.«

Die Königin Gülnare drehte sich um, und da sie ihren Sohn so liegen sah, wie gesagt ist, so zweifelte sie keineswegs, daß er fest schliefe. Der König Beder indessen, weit entfernt, zu schlafen, verdoppelte seine Aufmerksamkeit, um kein Wort von dem zu verlieren, was der König, sein Oheim, so geheim zu sagen hätte.

»Du brauchst dir keinen Zwang anzutun,« sagte die Königin zu ihrem Bruder, »du kannst frei reden, ohne Furcht, gehört zu werden.«

 

Zweihundertundachtundsechzigste Nacht.

»Es ist nicht ratsam,« fuhr nun der König Saleh fort, »daß der König, mein Neffe, so bald Kenntnis von dem erlange, was ich dir zu sagen habe. Die Liebe, wie du weißt, schlüpft manchmal durch das Ohr ins Herz, und es ist nicht rätlich, daß er etwa auf diese Weise schon zum voraus diejenige liebe, welche ich dir nennen will. Denn ich sehe große Schwierigkeiten zu übersteigen, nicht sowohl von seiten der Prinzessin, wie ich hoffe, als von seiten des Königs, ihres Vaters. Ich darf nur die Prinzessin Giäuhare und den König von Samandal nennen.«

»Was sagst du, mein Bruder?« versetzte die Königin Gülnare, »die Prinzessin Giäuhare ist noch unvermählt? Ich erinnere mich, sie kurz vor meiner Trennung von dir gesehen zu haben: sie war ungefähr achtzehn Monate alt und damals schon von erstaunlicher Schönheit. Sie muß gegenwärtig ein Wunder der Welt sein, wenn ihre Schönheit seitdem immer zugenommen hat. Der geringe Unterschied des Alters zwischen ihr und dem Könige, meinem Sohne, darf uns nicht abhalten, alle unsere Kräfte aufzubieten, um ihm eine so vorteilhafte Heirat zu verschaffen. Es kommt nur darauf an, die Schwierigkeiten zu kennen, welche du dabei findest, und sie zu überwinden.«

»Meine Schwester,« fuhr der König Saleh fort, »sie bestehen darin, daß der König von Samandal einen unerträglichen Dünkel hat, daß er sich über alle andren Könige erhaben wähnt, und daß also wenig Anschein ist, mit ihm eine Unterhandlung wegen dieser Verbindung anknüpfen zu können. Nichtsdestoweniger will ich selber hingehen und um die Prinzessin, seine Tochter, bei ihm anhalten; und wenn er sie uns abschlägt, so wollen wir uns anderswohin wenden, wo wir günstigeres Gehör finden werden. – Deshalb ist es gut, wie du siehst,« fügte er hinzu, »daß der König, mein Neffe, nichts von unserer Absicht erfahre, bis wir der Einwilligung des Königs von Samandal gewiß sind, damit nicht etwa die Liebe zu der Prinzessin Giäuhare sich seines Herzens bemächtige, ohne daß wir imstande sind, sie ihm zu verschaffen.«

Sie unterhielten sich noch einige Zeit über denselben Gegenstand, und bevor sie sich trennten, kamen sie darin überein, daß der König Saleh unverzüglich in sein Reich zurückkehren und bei dem Könige von Samandal um die Prinzessin Giäuhare für den König von Persien anhalten sollte.

Da die Königin Gülnare und der König Saleh wähnten, daß der König Beder wirklich schliefe, so weckten sie ihn auf, als sie schlafen gehen wollten, und Beder wußte sich sehr gut zu verstellen, als wenn er aus einem tiefen Schlaf aufwachte. In Wahrheit aber hatte er kein Wort von ihrer Unterredung verloren, und das Bild, welches sie von der Prinzessin Giäuhare entworfen, hatte in seinem Herzen eine Leidenschaft angefacht, welche ihm ganz neu war. Er machte sich von ihrer Schönheit eine so reizende Vorstellung, daß das Verlangen, sie zu besitzen, ihn die ganze Nacht hindurch in eine Unruhe versetzte, welche ihn kein Auge zuschließen ließ.

Am folgenden Morgen wollte der König Saleh von der Königin Gülnare und seinem Neffen Abschied nehmen. Der junge König von Persien, der wohl wußte, daß sein Oheim nur deshalb so bald abreisen wollte, um ohne Zeitverlust an seinem Glücke zu arbeiten, konnte dies nicht hören, ohne die Farbe zu wechseln. Seine Leidenschaft war schon so stark, daß sie ihm nicht mehr erlaubte, auf den Anblick ihres Gegenstandes noch so lange zu warten, als er zu den Unterhandlungen über seine Vermählung erforderlich glaubte. Er faßte also den Entschluß, seinen Oheim zu bitten, daß er ihn mitnähme. Da er aber die Königin, seine Mutter, nichts davon wissen lassen und Gelegenheit haben wollte, mit ihm allein davon zu sprechen, so nötigte er ihn, noch dazubleiben, um den folgenden Tag an einer Jagdlust mit teilzunehmen, mit dem Vorsatze, diese Gelegenheit zu benutzen und ihm seine Absicht zu erklären.

Die Jagd wurde angestellt, und der König Beder befand sich mehrmals mit seinem Oheim allein; aber er hatte nicht das Herz, den Mund zu öffnen und ihm ein Wort von seinem Anliegen zu sagen. Als in der Hitze der Jagd der König Saleh sich von ihm getrennt hatte und auch keiner von seinen Offizieren und von seinen Leuten bei ihm geblieben war, stieg er an einem Bache ab, und nachdem er sein Pferd an einen Baum gebunden hatte, der einen schönen Schatten gab, streckte er sich auf den Rasen hin und ließ seinen Tränen freien Lauf, welche im Überflusse, mit Seufzern und Schluchzen vermischt, dahinströmten. Er blieb lange so in seinen Gedanken versunken, ohne ein einziges Wort vorzubringen.

Unterdessen war der König Saleh, als er seinen Neffen nicht mehr sah, in großer Sorge und forschte nach, wo er wäre, fand aber niemand, der ihm etwas von ihm sagen konnte. Er trennte sich von den übrigen Jägern, suchte ihn selber und erblickte ihn von weitem. Er hatte schon gestern bemerkt, daß er nicht seine gewöhnliche Munterkeit hatte, daß er gegen seine Weise nachdenklich war und nicht sogleich oder doch nicht angemessen auf die an ihn gerichteten Fragen antwortete. Aber er hatte nicht den geringsten Verdacht über die Ursache dieser Veränderung gehabt. Als er ihn nun aber in dieser Lage sah, zweifelte er nicht mehr, daß er seine Unterredung mit der Königin Gülnare gehört und sich verliebt hatte. Er stieg ziemlich weit von ihm ab, und nachdem er sein Pferd an einen Baum gebunden hatte, nahm er einen großen Umweg und trat ganz leise so nahe heran, daß er ihn folgende Worte aussprechen hörte:

»Liebenswürdige Prinzessin des Königreichs Samandal!« rief Beder aus, »man hat mir ohne Zweifel nur einen schwachen Umriß von Eurer unvergleichlichen Schönheit gemacht. Ihr seid gewiß noch viel schöner und übertrefft alle Prinzessinnen der Welt, wie die Sonne den Mond und alle anderen Gestirne miteinander überstrahlt! Ich würde auf der Stelle hingehen, Euch mein Herz darzubieten, wenn Ich Euch zu finden wüßte: es gehört Euch an, und nie soll es eine andere Prinzessin als Ihr besitzen!«

Saleh mochte nicht mehr hören; er trat hervor, so daß der König Beder ihn sah, und sprach zu ihm: »Wie ich sehe, lieber Neffe, so hast du gehört, was ich mit der Königin, deiner Mutter, vorgestern von der Prinzessin Giäuhare geredet habe. Das war nicht unsere Absicht, und wir wähnten, du schliefest.«

»Mein lieber Oheim,« antwortete Beder, »ich habe kein Wort verloren und die Wirkung davon empfunden, welche Ihr vorausgesehen habt, ohne sie vermeiden zu können. Ich habe Euch besonders in der Absicht noch ausgehalten, um vor Eurer Abreise mit Euch von meiner Liebe zu sprechen: aber die Scham, Euch meine Schwäche zu bekennen – wenn es eine Schwäche ist, eine so liebenswürdige Prinzessin zu lieben –, hat mir den Mund geschlossen. Ich flehe Euch nun bei Eurer Freundschaft für einen Prinzen, der die Ehre hat, Euer so naher Verwandter zu sein, an, habet Mitleid mit mir und lasset mich nicht so lange auf den Anblick der göttlichen Giäuhare warten, bis Ihr die Einwilligung des Königs, ihres Vaters, zu unserer Vermählung erhalten habt, wenn Ihr nicht wollt, daß ich aus Liebe zu ihr sterbe, bevor ich sie gesehen habe.«

Diese Rede des Königs von Persien setzte den König Saleh in große Verlegenheit. Er stellte ihm vor, wie schwer es wäre, ihm hierin zu genügen; daß es nicht anders geschehen könnte, als wenn er ihn mitnähme: weil aber seine Gegenwart in seinem Reiche notwendig und alles zu fürchten wäre, wenn er sich entfernte, so beschwor er ihn, seine Leidenschaft zu mäßigen, bis er die Sache so weit gebracht hätte, daß er ihn befriedigen könnte, und versicherte ihn, daß er alles möglichst beschleunigen und in wenigen Tagen wiederkommen würde, um ihm Nachricht zu bringen.

Der König von Persien hörte aber nicht auf diese Gründe. »Grausamer Oheim,« entgegnete er, »ich sehe wohl, daß Ihr mich nicht so sehr liebt, als ich glaubte, und daß Ihr mich lieber wollt sterben lassen, als mir die erste Bitte zu gewähren, welche ich Euch in meinem Leben getan habe.«

»Ich bin bereit, dir zu beweisen,« versetzte der König Saleh, »daß es nichts auf der Welt gibt, was ich dir nicht zu Gefallen tun wollte; aber ich kann dich nicht mit mir nehmen, ohne daß du mit deiner Mutter davon gesprochen hast. Was würde sie von dir und von mir denken? Wenn sie einwilligt, will ich es wohl tun, und ich werde sie mit dir darum bitten.«

»Ihr wißt recht wohl,« erwiderte der König von Persien, »daß die Königin, meine Mutter, nie zugeben wird, daß ich sie verlasse, und diese Entschuldigung beweiset mir nur noch mehr Eure Härte gegen mich. Wenn Ihr mich wirklich so liebt, wie Ihr mich überreden wollt, so müßt Ihr auf der Stelle in Euer Reich zurückkehren und mich mitnehmen.«

 

Zweihundertundneunundsechzigste Nacht.

Gedrungen, dem Willen des Königs von Persien nachzugeben, zog Saleh von seinem Finger einen Ring, auf welchem dieselben geheimnisvollen Namen Gottes eingegraben waren wie auf dem Siegelringe des Propheten Salomon, und deren Kraft so viele Wunder gewirkt hatte. Diesen überreichte er ihm und sprach dabei: »Nimm diesen Ring, stecke ihn an deinen Finger und fürchte weder die Fluten noch die Tiefe des Meeres.«

Der König von Persien nahm den Ring, und als er ihn an den Finger gesteckt hatte, fuhr der König Saleh fort: »Mach es wie ich!«

Zu gleicher Zeit erhoben sich beide leicht in die Luft, schwebten nach dem Meere zu und tauchten darin hinab.

Der Meerkönig brauchte nicht viel Zeit, um mit dem Könige, seinem Neffen, in seinen Palast zu kommen; er führte ihn zuerst in die Wohnung der alten Königin, der er ihn vorstellte. Der König von Persien küßte die Hand der Königin, seiner Großmutter, und diese umarmte ihn mit herzlicher Freude. »Ich frage dich nicht nach deinem Befinden,« sprach sie zu ihm, »ich sehe, daß du wohlauf bist, und bin erfreut darüber; aber ich bitte dich, sage mir, was macht die Königin Gülnare, deine Mutter und meine Tochter?«

Der König von Persien hütete sich wohl, ihr zu sagen, daß er abgereist wäre, ohne Abschied von ihr zu nehmen; er versicherte sie im Gegenteil, daß er sie bei vollkommener Gesundheit verlassen und sie ihm viele Grüße an sie aufgetragen hätte.

Die Königin stellte ihm hierauf die Prinzessinnen vor, und während sie ihm Zeit ließ, sich mit ihnen zu unterhalten, ging sie mit dem Könige Saleh in ein anderes Zimmer, und dieser erzählte ihr die Liebe des Königs von Persien zu der Prinzessin Giäuhare auf das bloße Hörensagen von ihrer Schönheit und wider seine (Salehs) Absicht; er fügte hinzu, daß er ihn mitgebracht, weil er es sich nicht hätte erwehren können, und daß er eben auf Mittel sänne, um sie ihm zur Gemahlin zu verschaffen.

Obwohl der König Saleh, eigentlich gesprochen, unschuldig an der Leidenschaft des Königs von Persien war, so wußte gleichwohl die Königin es ihm wenig Dank, daß er von der Prinzessin Giäuhare in seiner Gegenwart mit so wenig Vorsicht gesprochen hatte. »Deine Unbesonnenheit,« sprach sie zu ihm, »ist unverzeihlich. Machst du dir Hoffnung, daß der König von Samandal, dessen Gemütsart dir so bekannt ist, mehr Achtung für dich haben wird als für so viele andere Könige, denen er seine Tochter mit so auffallender Verachtung abgeschlagen hat? Willst du dich von ihm mit derselben Beschämung heimschicken lassen?«

»Frau Mutter,« erwiderte der König Saleh, »ich habe Euch schon bemerklich gemacht, daß der König, mein Neffe, wider meine Absicht gehört hat, was ich meiner Schwester von der Schönheit der Prinzessin Giäuhare erzählte. Das Versehen ist nun einmal geschehen, und wir müssen jetzt nur bedenken, daß er sie leidenschaftlich liebt, und daß er vor Betrübnis und Schmerz sterben wird, wenn wir sie ihm nicht verschaffen, auf welche Weise es nun auch sei. Ich darf nichts hierbei versäumen, weil ich es bin, der, obgleich unschuldig, dieses Übel gestiftet hat, und ich werde alles, was in meiner Macht steht, anwenden, um ein Mittel dafür zu finden. Ich hoffe, Frau Mutter, Ihr werdet meinen Entschluß billigen, selber mit einem reichen Geschenke von Edelsteinen zu dem Könige von Samandal zu gehen und um die Prinzessin, seine Tochter, für den König von Persien, Euern Enkel, anzuhalten. Ich habe einiges Vertrauen, daß er sie mir nicht abschlagen, sondern es annehmlich finden wird, mit einem der mächtigsten Monarchen der Erde in Verbindung zu treten.«

»Es wäre zu wünschen,« entgegnete die Königin, »daß wir nicht in der Notwendigkeit wären, diesen Antrag zu machen, von welchem wir keines so glücklichen Erfolges, als wir ihn wünschen, versichert sind; da es aber die Ruhe und Zufriedenheit des Königs, meines Enkels, gilt, so gebe ich dazu meine Einwilligung. Vor allen Dingen bitte ich dich, weil du die Denkungsart des Königs von Samandal kennst, sei auf deiner Hut und sprich zu ihm mit aller ihm gebührenden Achtung und auf eine so verbindliche Weise, daß er sich nicht darüber beleidigt dünke.«

Die Königin bereitete selber das Geschenk, setzte es aus Diamanten, Rubinen, Smaragden und Perlenschnüren zusammen und tat es in ein sehr reiches und zierliches Kästchen.

Am folgenden Morgen beurlaubte sich Saleh von ihr und dem Könige von Persien und reiste ab mit einem nicht zahlreichen Gefolge seiner Offiziere und Leute. Bald erreichte er das Königreich, die Hauptstadt und den Palast des Königs von Samandal, und dieser säumte nicht, ihn vor sich zu lassen, sobald er seine Ankunft vernommen hatte. Er erhob sich, als er ihn eintreten sah, von seinem Throne; und der König Saleh, der gern auf einige Augenblicke vergessen wollte, wer er war, warf sich ihm zu Füßen, indem er ihm die Erfüllung alles dessen wünschte, was sein Herz nur begehrte.

Der König von Samandal bückte sich alsbald, um ihn aufzuheben, und nachdem er ihn neben sich hatte Platz nehmen lassen, hieß er ihn willkommen und fragte ihn, ob er ihm in irgend etwas dienen könnte.

»Herr,« antwortete der König Saleh, »wenn mein Besuch auch keinen andern Beweggrund hätte, als um einem der mächtigsten Fürsten der Welt, der sich durch seine Weisheit und Tapferkeit so glänzend auszeichnet, meine Ehrfurcht zu bezeigen, so würde dies jedoch immer nur ein schwacher Ausdruck derselben für Euer Majestät sein. Könntet Ihr aber bis auf den Grund meines Herzens schauen, so würdet Ihr die große Verehrung erkennen, von welcher es für Euch erfüllt ist, und das heiße Verlangen, welches ich hege, Euch meine Ergebenheit zu bezeigen.«

Mit diesen Worten nahm er das Kästchen aus den Händen eines seiner Leute, öffnete es und bat den König, indem er es ihm darbot, es freundlich anzunehmen.

»Prinz,« erwiderte der König von Samandal, »Ihr macht mir nicht ein so bedeutendes Geschenk, ohne ein demselben entsprechendes Gesuch an mich zu haben. Ist es etwas, was von meiner Macht abhängt, so werde ich mir ein großes Vergnügen daraus machen, es Euch zu bewilligen. Redet und saget mir frei heraus, worin ich Euch dienen kann.«

»Es ist wahr, Herr,« fuhr der König Saleh fort, »daß ich Euer Majestät um eine Gnade anzusprechen habe, und ich würde mich wohl hüten, diese Bitte zu tun, wenn ihre Gewährung nicht in Eurer Macht stünde. Ja, sie hängt so gänzlich von Euch allein ab, daß ich jeden andern vergeblich darum ansprechen würde. Ich bitte Euch also aufs inständigste darum und flehe Euch an, sie mir nicht abzuschlagen.«

»Wenn dem so ist,« erwiderte der König von Samandal, »so habt Ihr mir nur zu eröffnen, was es ist, und Ihr sollt sehen, wie dienstfertig ich sein kann, wenn ich es vermag.«

»Herr,« sagte nun der König Saleh, »nach dem Vertrauen, welches Euer Majestät mir auf Euer Wohlwollen zu geben geruhet, will ich es nicht länger verhehlen, daß ich mit der Bitte komme, uns durch eine Vermählung der Prinzessin Giäuhare, Eurer verehrten Tochter, mit Eurer Verbindung zu ehren und dadurch das gute Einverständnis zu befestigen, welches die beiden Reiche seit so langer Zeit vereinigt.«

Bei dieser Rede brach der König von Samandal in ein lautes Gelächter aus, indem er sich auf das Kissen, woran er den Rücken lehnte, zurücksinken ließ auf eine für den König Saleh höchst beleidigende Weise. »König Saleh,« sprach er zu ihm mit verächtlichem Tone, »ich hatte mir eingebildet, Ihr wäret ein Fürst von gesundem Verstande, klug und bedachtsam, aber Eure Rede gibt mir zu erkennen, wie sehr ich mich getäuscht habe. Saget mir, ich bitte Euch, wo hattet Ihr Eure Besinnung, als Ihr Euch ein solches Hirngespinst in den Kopf setztet, wie das ist, wovon Ihr eben zu mir geredet habt? Wie hat es Euch nur im Traume einfallen können, an die Vermählung mit der Prinzessin Tochter eines so großen und mächtigen Königs zu denken, als ich bin? Ihr hättet zuvor besser den großen Abstand zwischen Euch und mir ermessen und nicht in einem Augenblicke die Achtung wieder vernichten sollen, welche ich für Euch hegte.«

Der König Saleh ward durch eine so schimpfliche Antwort äußerst beleidigt, und er hatte viel Mühe, seinen gerechten Zorn zurückzuhalten. »Möge Gott, Herr,« antwortete er mit aller möglichen Mäßigung, »Euer Majestät nach Verdienst vergelten!

Ich muß aber die Ehre haben, Euch zu sagen, daß ich Eure Prinzessin Tochter nicht für mich zur Ehe begehre. Wäre dies, so würde ich, weit entfernt, daß Euer Majestät oder die Prinzessin selber sich dadurch beleidigt wähnen dürfte, dem einen wie der andern viel Ehre zu erweisen glauben. Euer Majestät weiß recht wohl, daß ich einer der Meerkönige bin wie Ihr; daß die Könige, meine Ahnherren, keinem der übrigen Königsgeschlechter an Alter weichen, und daß mein von ihnen ererbtes Königreich nicht minder blühend und mächtig ist als zu ihren Zeiten. Wenn Ihr mich nicht unterbrochen hättet, so würdet Ihr bald vernommen haben, daß die Gnade, worum ich Euch bitte, nicht mich betrifft, sondern den jungen König von Persien, meinen Neffen, dessen Macht und Größe sowohl als seine persönlichen Eigenschaften Euch nicht unbekannt sein können. Alle Welt erkennt an, daß die Prinzessin Giäuhare die schönste Jungfrau unter dem Himmel ist: aber nicht minder wahr ist, daß der junge König von Persien der wohlgebildetste und vollkommenste Prinz auf Erden und in allen Reichen des Meeres ist: darüber sind die Stimmen durchaus nicht geteilt. Da also mein Antrag nur zum großen Ruhme Euer Majestät und der Prinzessin Giäuhare gereichen kann, so dürft Ihr nicht zweifeln, daß Eure Einwilligung in eine so angemessene Verbindung allgemeiner Beifall begleiten werde. Die Prinzessin ist des Königs von Persien würdig, und der König von Persien ist nicht minder ihrer würdig: es gibt keinen König noch Fürsten auf der Welt, welcher ihm solches streitig machen könnte.«

Der König von Samandal würde dem König Saleh nicht Muße gegeben haben, so lange zu reden, wenn die Wut, worein er dadurch versetzt wurde, es ihm verstattet hätte. Er saß noch eine Weile, nachdem Saleh schon geendigt hatte, ohne ein Wort hervorzubringen, so sehr war er außer sich selber. Endlich brach er in wilde und eines so großen Königs unwürdige Schimpfreden aus. »Du Hund,« schrie er, »du wagst es, diese Rede gegen mich zu führen und den Namen meiner Tochter vor mir auch nur auszusprechen? Wer bist du denn? Wer war dein Vater? Wer ist deine Schwester, und wer ist dein Neffe? War sein Vater nicht ein Hund und eines Hundes Sohn wie du? Man ergreife den Unverschämten und haue ihm den Kopf ab.«

Die kleine Anzahl von Offizieren, die um den König von Samandal waren, setzten sich in Bereitschaft, zu gehorchen; aber da der König Saleh in voller Kraft seines Alters, rasch und gewandt war, so entkam er, bevor sie die Säbel gezogen hatten, und gewann die Türe des Palastes, wo er tausend wohlbewaffnete und berittene Mann seiner Verwandten und seines Hauses fand, die soeben angekommen waren.

Die Königin, seine Mutter, hatte bedacht, daß er nur so wenig Leute mit sich genommen hätte, und da ihr der üble Empfang ahnte, welchen der König von Samandal ihm bereiten könnte, so hatte sie diese Schar gesendet und ihr die größte Eile empfohlen. Diejenigen seiner Verwandten, die an der Spitze standen, waren sehr froh, noch zur rechten Zeit angelangt zu sein, als sie ihn so mit seinen Leuten in großer Verwirrung herauskommen und verfolgt sahen.

»Herr,« riefen sie, sobald er bei ihnen war, »was gibt es? Wir sind bereit, Euch zu rächen: Ihr dürft nur befehlen!«

Der König Saleh erzählte ihnen in wenig Worten den Vorgang, stellte sich an die Spitze einer starken Schar, während die übrigen an der Türe blieben, deren sie sich bemächtigten, und kehrte auf der Stelle wieder um. Da die wenigen Offiziere und Wachen, die ihn verfolgt, sich zerstreut hatten, trat er wieder in das Zimmer des Königs von Samandal, der alsbald von den Seinen verlassen und nun festgenommen wurde. Der König Saleh ließ Mannschaft genug bei ihm, um sich seiner Person zu versichern, und ging von Zimmer zu Zimmer, um das der Prinzessin Giäuhare zu suchen.

Aber gleich auf den ersten Lärm hatte sich diese Prinzessin mit den Frauen, die um sie waren, auf die Oberfläche des Meeres emporgeschwungen und sich auf eine wüste Insel geflüchtet.

während diese Dinge im Palaste des Königs von Samandal vorgingen, setzten diejenigen von des Königs Saleh Gefolge, welche gleich bei den ersten Drohungen die Flucht ergriffen hatten, die Königin Mutter in große Unruhe, indem sie ihr die Gefahr verkündigten, in welcher sie ihn verlassen hatten.

Der junge König Beder, der bei ihrer Ankunft gegenwärtig war, wurde umsomehr dadurch beunruhigt, da er sich als die erste Ursache alles des Übels ansah, welches daraus entstehen konnte. Er hatte nicht Mut genug, den Anblick der Königin, seiner Großmutter, zu ertragen, weil er den König Saleh seinetwegen in so großer Gefahr wußte. Während er sie beschäftigt sah, die Befehle zu erteilen, welche sie unter diesen Umständen für nötig erachtete, schwang er sich aus der Tiefe des Meeres empor, und da er nicht wußte, auf welchem Wege er nach dem Königreiche Persien heimkehren sollte, so flüchtete er sich auf dieselbe Insel, auf welche die Prinzessin Giäuhare sich gerettet hatte.

Ganz außer sich, setzte er sich am Fuße eines großen Baumes nieder, welcher von mehreren kleinen umgeben war. Indem er sich hier wieder sammelte, hörte er sprechen. Er horchte sogleich hin; weil er aber ein wenig zu entfernt war, um etwas von dem zu verstehen, was gesprochen wurde, so stand er auf und näherte sich ohne Geräusch dem Orte, woher die Stimmen kamen, und erblickte durch das Laub eine Schönheit, von welcher er geblendet wurde.

»Ohne Zweifel,« sagte er bei sich selber, indem er stillestand und sie mit Bewunderung betrachtete, »ist dies die Prinzessin Giäuhare, welche vielleicht der Schreck gezwungen hat, den Palast des Königs, ihres Vaters, zu verlassen; und wenn sie es nicht ist, so verdient diese doch nicht minder, daß ich sie von ganzem Herzen liebe.«

Er weilte nicht länger, sondern trat hervor, und indem er sich der Prinzessin mit vieler Ehrerbietung näherte, sprach er zu ihr: »Edles Fräulein, ich kann dem Himmel nicht genug danken für die Gunst, welche er mir heute erzeigt, indem er meinen Augen das Schönste darbietet, auf welches er niederblickt.

Es könnte mir kein größeres Glück begegnen als die Gelegenheit, Euch meine Dienste darzubieten. Ich bitte Euch, edles Fräulein, sie anzunehmen: eine Person wie Ihr befände sich nicht in dieser Einöde, wenn sie keiner Hilfe bedürfte.«

»Es ist wahr, mein Herr,« antwortete die Prinzessin Giäuhare mit trauriger Miene, »daß es sehr ungewöhnlich für eine Frau meines Standes ist, sich in einer solchen Lage zu befinden. Ich bin eine Prinzessin, Tochter des Königs von Samandal, und nenne mich Giäuhare. Ich saß ruhig in meiner Wohnung, als ich plötzlich einen erschrecklichen Lärm hörte. Man kam, mir zu verkündigen, daß der König Saleh, ich weiß nicht aus welchem Grunde, den Palast gestürmt und sich meines Vaters bemächtigt, nachdem er alle diejenigen von seiner Wache, welche ihm Widerstand geleistet, niedergemacht hätte. Ich hatte nur noch so viel Zeit, zu entfliehen und hier einen Zufluchtsort vor seiner Gewalttätigkeit zu suchen.«

Bei der Erzählung der Prinzessin geriet der König Beder in Verwirrung, daß er die Königin, seine Großmutter, so voreilig verlassen hatte, ohne über die gebrachte Nachricht nähere Aufklärung abzuwarten. Er freute sich aber, daß der König, sein Oheim, sich der Person des Königs von Samandal bemeistert hatte: denn er zweifelte nicht, daß dieser ihm nun für seine Freiheit die Prinzessin bewilligen würde.

»Anbetungswürdige Prinzessin,« erwiderte er, »Euer Schmerz ist sehr gerecht; aber es ist leicht, ihn zugleich mit der Gefangenschaft Eures Vaters zu heben. Ihr werdet mir beistimmen, wenn Ihr erfahret, daß ich mich Beder nenne, König von Persien bin und der König Saleh mein Oheim ist. Ich kann Euch wohl versichern, daß dieser keineswegs die Absicht hat, sich der Staaten Eures Vaters zu bemächtigen. Er hat keinen andern Zweck, als mir das Glück zu verschaffen, daß ich sein Eidam werde, indem ich Euch aus seiner Hand zur Gemahlin empfange. Ich hatte schon auf die Schilderung von Eurer Schönheit und Euren Reizen Euch mein Herz gewidmet. Weit entfernt, daß es mich gereue, bitte ich Euch nun, es anzunehmen und überzeugt zu sein, daß es immer für Euch brennen wird. Ich wage zu hoffen, Ihr werdet es nicht ausschlagen, sondern bedenken, daß ein König, der sein Reich einzig deshalb verlassen hat, um es Euch darzubieten, einige Erkenntlichkeit verdiene. Erlaubet also, schönste Prinzessin, daß ich die Ehre habe, Euch meinem Oheime vorzustellen. Der König, Euer Vater, wird nicht sobald seine Einwilligung zu unserer Vermählung gegeben haben, als er ihn wieder seine Staaten beherrschen lassen wird wie zuvor.«

Die Erklärung des Königs Beder brachte nicht die Wirkung hervor, welche er davon erwartet hatte. Als die Prinzessin ihn erblickte, hatte er bei seiner guten Miene, seiner Bildung und dem edlen Anstande, womit er sich ihr nahte, anfangs nicht mißfallen. Aber sobald sie von ihm selber vernommen, daß er die Ursache der üblen Behandlung wäre, welche ihr Vater jetzt eben erfahren hatte, so ließen sie ihr Schmerz darüber und die Furcht, welche sie gezwungen hatte, die Flucht zu ergreifen, ihn als einen Feind betrachten, mit welchem sie keine Gemeinschaft haben dürfte. Überdies, wie geneigt sie selber auch sein mochte, in die von ihm gewünschte Vermählung zu willigen, so erkannte sie doch wohl, daß ihr Vater diese Verbindung unter anderm auch aus dem Grunde verwürfe, weil der König Beder von einem Landkönig abstammte, und war entschlossen, sich in diesem Stücke gänzlich seinem Willen zu unterwerfen. Gleichwohl wollte sie nichts von ihrem Unmute merken lassen; sie sann nur auf ein Mittel, sich geschickt aus den Händen des Königs Beder zu befreien; und indem sie sich stellte, als ob sie ihn mit Vergnügen ansähe, sprach sie zu ihm mit aller möglichen Höflichkeit:

»Herr, Ihr seid also ein Sohn der durch ihre außerordentliche Schönheit so berühmten Königin Gülnare? Ich freue mich sehr, in Euch einen ihrer so würdigen Prinzen zu sehen. Der König, mein Vater, hat sehr unrecht, sich so heftig unserer gegenseitigen Verbindung zu widersetzen. Sobald er Euch aber nur sieht, wird er nicht länger anstehen, uns beide glücklich zu machen.« Indem sie diese Worte sagte, reichte sie ihm die Hand.

Der König Beder wähnte sich schon auf dem Gipfel seines Glücks; er streckte seine Hand aus, faßte die Hand der Prinzessin und bückte sich, um sie ehrfurchtsvoll zu küssen.

Die Prinzessin ließ ihm aber nicht Zeit dazu. »Verwegener,« sprach sie zu ihm, indem sie ihn zurückstieß und ihm ins Gesicht spie, weil sie kein Wasser bei der Hand hatte, »verlaß diese Menschengestalt und nimm die Gestalt eines weißen Vogels an mit rotem Schnabel und roten Füßen!«

 

Zweihundertundsiebenzigste Nacht.

Sobald sie diese Worte ausgesprochen hatte, verwandelte sich der König Beder mit ebensoviel Verdruß als Erstaunen in einen Vogel von dieser Gestalt. »Nimm ihn,« sagte sie sogleich zu einer ihrer Frauen, »und trag ihn auf das Dürre Eiland.«

Diese Insel war nichts als ein scheußlicher Fels, wo es keinen Tropfen Wasser gab.

Die Frau nahm den Vogel, und indem sie den Befehl der Prinzessin Giäuhare vollzog, hatte sie jedoch Mitleid mit dem Schicksale des Königs Beder. »Es wäre doch schade,« sprach sie bei sich selber, »daß ein des Lebens so würdiger Prinz vor Hunger und Durst verschmachten sollte. Die Prinzessin, sonst so gut und sanft, bereut vielleicht noch selber einen so grausamen Befehl, wenn sich ihr heftiger Zorn gelegt hat; es ist besser, daß ich ihn nach einem Orte trage, wo er vergnügter sterben kann.«

Sie trug ihn also auf eine wohlbevölkerte Insel und ließ ihn auf einem sehr angenehmen Gefilde, das mit Fruchtbäumen aller Art besetzt und von mehreren Bächen bewässert war. –

Aber kehren wir jetzt wieder zum Könige Saleh zurück.

Nachdem er selber die Prinzessin Giäuhare gesucht und sie überall im Palaste hatte suchen lassen, ohne sie zu finden, ließ er den König von Samandal in seinem eigenen Palast unter guter Bewachung einsperren; und als er die nötigen Befehle zur Regierung des Reichs während seiner Abwesenheit erteilt hatte, begab er sich zu der Königin, seiner Mutter, um ihr von dem Erfolg seiner Unternehmung Bericht abzustatten.

Er fragte gleich bei seiner Ankunft nach seinem Neffen und vernahm mit großer Verwunderung und großem Verdruß, daß er verschwunden war. »Man brachte uns die Nachricht,« sagte ihm die Königin, »von der großen Gefahr, in welcher du im Palaste des Königs von Samandal schwebtest, und während ich Befehle erteilte, um dir neue Hilfe zu senden oder dich zu rächen, verschwand er. Er muß über die Nachricht von deiner Gefahr erschrocken sein und sich bei uns nicht mehr sicher geglaubt haben.«

Diese Neuigkeit betrübte sehr den König Saleh, der nun die zu große Willfährigkeit bereute, mit welcher er dem Verlangen des jungen Königs nachgegeben hatte, ohne zuvor mit der Königin Gülnare deshalb zu sprechen. Er sandte auf allen Seiten nach ihm aus, aber welche Mühe er sich auch gab, er bekam keine Kunde von ihm; und anstatt der Freude, daß er eine Heirat, die er als sein Werk ansah, schon so weit gefördert hatte, war das Leid über diesen unvermuteten Unfall umso kränkender. In Erwartung guter oder schlimmer Nachrichten von seinem Neffen ließ er sein Königreich unter der Verwaltung seiner Mutter und ging hin und regierte das Reich des Königs von Samandal, welchen er fortwährend mit großer Vorsicht, obwohl mit allen seinem Range gebührenden Rücksichten, bewachen ließ.

Denselben Tag, wo der König Saleh nach dem Königreiche Samandal zurückgekehrt war, kam die Königin Gülnare, Mutter des Königs Beder, zu der Königin, ihrer Mutter. Sie hatte sich nicht gewundert, den König, ihren Sohn, am Tage seiner Abreise nicht zurückkommen zu sehen. Sie hatte sich eingebildet, daß die Hitze der Jagd, wie ihm das schon einigemal begegnet war, ihn weiter geführt, als er sich vorgesetzt hatte. Als sie ihn aber am andern Morgen und auch den folgenden Tag nicht zurückkommen sah, so geriet sie darüber in eine Unruhe, welche man leicht nach ihrer Zärtlichkeit für ihn ermessen konnte. Diese Unruhe ward noch viel größer, als sie von den Offizieren, die ihn begleitet hatten und genötigt waren, heimzukommen, nachdem sie ihn und Saleh lange vergeblich gesucht hatten, vernahm, daß beiden etwas Widriges begegnet oder sie beisammen an irgend einem Orte sein müßten, welchen sie nicht erforschen könnten; daß sie wohl ihre Pferde gefunden, aber von ihnen selber keine Kunde erlangen könnten, wie viele Mühe sie sich auch deshalb gegeben hätten.

Auf diesen Bericht hatte die Königin Gülnare beschlossen, sich zu verstellen und ihre Betrübnis zu verbergen, und den Boten aufgetragen, sogleich wieder umzukehren und neue Nachsuchungen anzustellen. Während dieser Zeit hatte sie ihren Entschluß gefaßt und, nachdem sie ihren Frauen gesagt, daß sie allein sein wollte, sich ins Meer gestürzt, um sich über ihren Verdacht aufzuklären, daß wohl der König Saleh den König von Persien mit sich geführt haben könnte.

Diese große Königin wäre von der Königin, ihrer Mutter, mit großem Vergnügen empfangen worden, wenn diese nicht sogleich bei ihrem Anblicke den Beweggrund ihres Kommens gemerkt hätte. »Meine Tochter,« sprach sie zu ihr, »du kommst nicht, mich zu besuchen, ich sehe es wohl, sondern du kommst, um dich bei mir nach deinem Sohne zu erkundigen. Aber was ich dir davon zu sagen weiß, kann nur deine Betrübnis sowohl wie die meinige noch vermehren. Ich hatte eine große Freude, ihn mit seinem Oheime herkommen zu sehen; aber ich hatte nicht sobald vernommen, daß er, ohne dir etwas zu sagen, abgereist wäre, als ich den Kummer teilte, welchen du darüber empfinden mußtest.«

Sie erzählte ihr hierauf, mit welchem Eifer der König Saleh selber hingegangen wäre, um die Prinzessin Giäuhare zu werben, und was daraus erfolgt bis zudem Augenblicke, wo der König Beder verschwunden war.

»Ich habe Leute nach ihm hingeschickt,« fügte sie hinzu, »und der König, mein Sohn, welcher soeben abgereist ist, um das Königreich Samandal zu regieren, hat seinerseits auch alle Mühe angewendet; alles ist bis jetzt vergeblich gewesen, aber wir müssen hoffen, daß wir ihn wiedersehen werden, wenn wir es am wenigsten vermuten.«

Die trostlose Gülnare beruhigte sich nicht sogleich bei dieser Hoffnung; sie hielt ihren lieben Sohn für verloren und weinte bitterlich, indem sie alle Schuld auf ihren Bruder schob.

Die Königin, ihre Mutter, gab ihr zu bedenken, daß sie sich einigen Zwang antun müßte, um nicht ihrem Schmerze zu erliegen. »Es ist wahr,« sprach sie zu ihr, »der König, dein Bruder, hätte nicht so unvorsichtig von dieser Heirat mit dir reden, noch darein willigen sollen, den König, meinen Enkel, mitzunehmen, ohne dich zuvor davon zu benachrichtigen. Da es aber keineswegs gewiß ist, daß der König von Persien umgekommen, so darfst du nichts verabsäumen, ihm sein Königreich zu erhalten, verlier' also keine Zeit, sondern kehre nach deiner Hauptstadt zurück. Deine Gegenwart ist dort notwendig, und es wird dir nicht schwer fallen, alles in dem friedlichen Stande zu erhalten, worin es sich befindet, indem du bekanntmachen läßt, daß es dem Könige von Persien gefallen hat, uns zu besuchen.«

Es bedurfte nicht weniger als eines so starken Antriebes, wie dieser war, um die Königin Gülnare zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Sie nahm Abschied von der Königin, ihrer Mutter, und war schon wieder im Palaste der Hauptstadt von Persien, bevor man ihre Abwesenheit bemerkt hatte.

Sie fertigte sogleich Boten ab, um die Leute, welche sie zur Aufsuchung ihres Sohnes ausgeschickt hatte, zurückzurufen und ihnen zu sagen, sie wüßte schon, wo er wäre, und man würde ihn bald wiedersehen. Sie ließ das Gerücht davon auch durch die ganze Stadt verbreiten und führte unterdessen die Regierung mit dem ersten Minister und dem Staatsrate ebenso ruhig, als wenn der König Beder gegenwärtig gewesen wäre.

Um nun auf den König Beder zurückzukommen, welchen eine Frau der Prinzessin Giäuhare auf die Insel getragen und dort gelassen hatte, wie ich gesagt habe, so war dieser Fürst in großer Bestürzung, als er sich allein und in der Gestalt eines Vogels sah. Er fühlte sich in diesem Zustande umso unglücklicher, als er nicht wußte, wo er war, noch in welcher Weltgegend das Königreich Persien lag. Und wenn er dies auch gewußt und seinen Flügeln Stärke genug zugetraut hätte, sich über so viele Meere zu wagen und dorthin zu gelangen, was hätte er anders damit gewonnen als dieselbe Mühe und dieselbe Schwierigkeit wie hier, nämlich, auch nur für einen Menschen erkannt zu werden, geschweige für den König von Persien? Er war also gezwungen, zu bleiben, wo er war, von der Nahrung der Vögel seiner Gattung zu leben und die Nacht auf einem Baume zuzubringen.

Nach Verlauf etlicher Tage kam ein Bauer, der sehr geschickt im Vogelstellen war, in die Gegend seines Aufenthaltes und hatte eine große Freude, als er einen so schönen Vogel erblickte von einer ihm noch unbekannten Gattung, obwohl er schon lange Jahre den Vogelfang trieb. Er wandte alle ihm mögliche Geschicklichkeit an und stellte seine Netze so gut, daß er den Vogel fing. Erfreut über einen so guten Fang, welcher seiner Schätzung nach der Seltenheit wegen ihm mehr einbringen mußte als viele andere Vögel zusammen, wie er sie gewöhnlich fing, setzte er ihn in einen Käfig und trug ihn nach der Stadt.

Sobald er damit auf den Markt kam, hielt ein Bürger ihn an und fragte ihn, wie teuer er den Vogel verkaufen wollte.

Anstatt auf diese Frage zu antworten, fragte der Bauer wiederum den Bürger, was er mit dem Vogel zu machen gedächte, wenn er ihn gekauft hätte.

»Guter Freund,« erwiderte der Bürger, »was meinst du, daß ich sonst mit ihm tun soll, als ihn braten lassen, um ihn zu essen.«

»Demnach,« versetzte der Bauer, »gedächtet Ihr ihn wohl gut bezahlt zu haben, wenn Ihr mir die kleinste Silbermünze für ihn gäbet. Ich halte ihn weit höher, und es wäre nicht Euer Handel, mir ein Goldstück dafür zu geben. Ich bin doch schon alt, aber solange ich denken kann, habe ich noch nie seinesgleichen gesehen. Ich will dem König ein Geschenk damit machen: er wird sich besser auf den Wert desselben verstehen als Ihr.«

Anstatt auf dem Markte sich aufzuhalten, ging der Bauer nach dem Palaste und blieb vor der Wohnung des Königs stehen. Der König stand an einem Fenster, wo er alles sah, was auf dem Platze vorging. Als er den schönen Vogel erblickte, sandte er einen Befehlshaber der Verschnittenen hin mit dem Auftrage, ihm denselben zu kaufen.

Der Verschnittene kam zu dem Bauer und fragte ihn, wie teuer er den Vogel verkaufen wollte. »Wenn es für Seine Majestät ist,« antwortete der Bauer, »so bitte ich sie, zu genehmigen, daß ich ihr ein Geschenk damit mache, und ersuche Euch, ihn hinzutragen.«

Der Verschnittene trug den Vogel zu dem Könige, und der König fand ihn so sonderbar, daß er dem Verschnittenen befahl, dem Bauer zehn Goldstücke hinzugeben, mit welchen dieser sehr vergnügt nach Hause ging. Hierauf setzte er den Vogel in einen prächtigen Käfig und gab ihm Körner und Wasser in kostbaren Gefäßen.

Der König, der gerade im Begriffe war, zu Pferde zu steigen, um auf die Jagd zu reiten, so daß er nicht Zeit hatte, den Vogel genau zu betrachten, ließ ihn sich gleich bei seiner Heimkunft bringen.

Der Verschnittene brachte den Käfig: und um ihn besser zu betrachten, öffnete der König selber die Türe und nahm den Vogel auf seine Hand. Indem er ihn mit großer Verwunderung ansah, fragte er den Verschnittenen, ob er gefressen hätte. »Herr,« antwortete dieser, »Euer Majestät kann sehen, daß sein Futtergefäß noch voll ist, und ich habe nicht bemerkt, daß er es berührt hat.« Der König befahl, ihm Futter verschiedener Art zu geben, damit er sich aussuchen könnte, was ihm schmeckte.

Da der Tisch schon gedeckt war, so wurde aufgetragen, während der König diese Vorschrift erteilte. Sobald die Schüsseln aufgesetzt waren, schlug der Vogel mit den Flügeln, entschlüpfte der Hand des Königs, flog auf den Tisch und begann das Brot und die Speisen anzupicken, bald die eine, bald die andere Schüssel.

Der König war so erstaunt hierüber, daß er den Befehlshaber der Verschnittenen zu der Königin schickte, damit sie dies Wunder zu schauen käme. Der Verschnittene erzählte der Königin mit wenigen Worten die Sache, und die Königin kam sogleich. Aber sobald sie den Vogel erblickte, bedeckte sie ihr Antlitz mit dem Schleier und wollte wieder weggehen. Der König, über diese Handlung umsomehr verwundert, als nur Verschnittene und die Frauen ihres Gefolges im Zimmer waren, fragte sie, warum sie sich so gebärdete.

»Herr,« antwortete die Königin, »Euer Majestät wird nicht verwundert darüber sein, wenn Ihr vernehmet, daß dieser Vogel nicht ein Vogel ist, wie Ihr Euch einbildet, sondern ein Mann.«

»Herrin,« erwiderte der König, noch erstaunter als zuvor, »Ihr wollt ohne Zweifel Euern Scherz mit mir treiben; Ihr werdet mich nimmer überreden, daß dieser Vogel ein Mann ist.«

»Herr, Gott verhüte, daß ich mit Euer Majestät Scherz treibe! Nichts ist wahrhafter, als was ich die Ehre habe Euch zu sagen: und ich versichere Euch, es ist der König von Persien, namens Beder, Sohn der berühmten Gülnare, der Prinzessin eines der größten Königreiche des Meeres, und Enkel der Königin Farasche, der Mutter Gülnares und Salehs; und es ist die Prinzessin Giäuhare, Tochter des Königs von Samandal, welche ihn so verwandelt hat.«

Kurz, damit der König nicht mehr daran zweifeln konnte, so erzählte sie ihm, wie und warum die Prinzessin Giäuhare also die üble Behandlung gerächt hatte, welche ihrem Vater, dem Könige von Samandal, von dem Könige Saleh widerfahren war.

Der König glaubte umso leichter alles, was die Königin ihm von dieser Geschichte erzählte, da er sie als eine der zauberkundigsten Frauen kannte, die es jemals auf der Welt gab, und da ihr nichts verborgen blieb, was vorging, so daß er durch ihre Vermittelung von den bösen Absichten seiner Nachbarkönige gegen ihn alsbald unterrichtet war und ihnen zuvorkam. Er hatte Mitleid mit dem Könige von Persien und bat die Königin inständig, die Bezauberung aufzulösen, welche ihn in dieser Gestalt festhielt.

Die Königin bewilligte es mit vielem Vergnügen. »Herr,« sagte sie zu dem Könige, »Euer Majestät geruhe, mit dem Vogel in ihr Gemach zu treten, und ich will Euch in wenigen Augenblicken einen König sehen lassen, welcher der Achtung würdig ist, welche Ihr für ihn hegt.«

Der Vogel, welcher aufgehört hatte zu essen, um auf die Unterredung des Königs und der Königin zu merken, machte dem Könige nicht die Mühe, ihn erst zu fangen; er flog voran in das Gemach, und die Königin kam bald darnach hinein, mit einem Gefäße voll Wassers in der Hand. Sie sprach über das Gefäß einige dem König unverständliche Worte, bis das Wasser anfing zu sieden; sogleich nahm sie etwas davon in die Hand und bespritzte damit den Vogel, indem sie sprach:

»Durch die Kraft der heiligen und geheimnisvollen Worte, welche ich soeben ausgesprochen habe, und im Namen des Schöpfers des Himmels und der Erden, welcher die Toten auferweckt und das Weltall in seinem Stande erhält, verlaß diese Vogelgestalt und nimm die Gestalt wieder an, welche du von deinem Schöpfer empfangen hast.«

Kaum hatte die Königin diese Worte ausgesprochen, als der König anstatt des Vogels einen jungen, schön gewachsenen Prinzen erscheinen sah, dessen edler Anstand und herrliche Miene ihn bezauberten.

Der König Beder warf sich sogleich auf die Kniee und dankte Gott für die erzeigte Gnade. Alsdann ergriff er, indem er wieder aufstand, die Hand des Königs und küßte sie, um ihm seine innige Erkenntlichkeit auszudrücken. Aber der König umarmte ihn mit großer Freude und bezeugte ihm, wie viel Vergnügen es ihm machte, ihn zu sehen. Beder wollte auch der Königin danken, aber sie hatte sich schon in ihr Gemach zurückgezogen.

Der König setzte sich mit ihm zu Tische, und nach der Mahlzeit bat er ihn, zu erzählen, wie die Prinzessin Giäuhare so unmenschlich hätte sein können, einen so liebenswürdigen Prinzen, wie er wäre, in einen Vogel zu verwandeln; und der König von Persien befriedigte sogleich seine Neugier.

Als er geendigt hatte, konnte der König, voll Unwillens über das Verfahren der Prinzessin, sich nicht enthalten, sie zu tadeln. »Es war löblich von der Prinzessin von Samandal,« sprach er, »daß sie bei der Behandlung ihres Vaters nicht gleichgültig blieb; daß sie aber die Rache so weit trieb gegen einen Prinzen, der daran unschuldig war, das ist etwas, was sie nimmer verantworten kann. Aber lassen wir dies jetzt beiseite, und saget mir, worin ich Euch sonst noch dienen kann.«

»Herr,« antwortete der König Beder, »meine Verpflichtung gegen Euer Majestät ist so groß, daß ich mein ganzes Leben lang bei Euch bleiben müßte, um Euch meine Dankbarkeit dafür zu bezeigen; da Ihr aber Eurer Großmut keine Schranken setzet, so bitte ich Euch, mir gütigst eins Eurer Schiffe zu bewilligen, um mich nach Persien zurückzuführen, wo ich fürchten muß, daß meine nur schon zu lange Abwesenheit Verwirrung angerichtet hat und wohl gar die Königin, meine Mutter, der ich meine Abreise verborgen habe, in der Ungewißheit über mein Schicksal vor Schmerz gestorben sein mag.«

Der König gewährte ihm mit der größten Willfährigkeit von der Welt seine Bitte, und ohne Aufschub gab er Befehl zur Ausrüstung eines der stärksten Schiffe und der schnellsten Segler von seiner zahlreichen Flotte.

Das Schiff wurde alsbald mit allem Nötigen versehen, mit Matrosen, Soldaten, Lebensmitteln und Kriegsvorrat; und sobald der Wind günstig war, schiffte sich Beder darauf ein, nachdem er vom König Abschied genommen und ihm für alle die Wohltaten gedankt hatte, welche er ihm schuldig war.

Das Schiff ging unter Segel, in welche der Wind blies, der es bald auf seiner Fahrt beträchtlich vorwärtstrieb. Am elften Tage ward er etwas widrig; er nahm zu und ward zuletzt so heftig, daß er zum wütenden Sturm anwuchs. Das Schiff kam nicht allein von seinem Wege ab, sondern es wurde auch so stark hin- und hergeworfen, daß alle seine Masten zerbrachen und es so, ein Spiel der Wellen, auf eine Klippe stieß und scheiterte.

Der größte Teil der Mannschaft ertrank sogleich; einige vertrauten der Kraft ihrer Arme, um sich durch Schwimmen zu retten, und andere hielten sich an ein Stück Holz oder an ein Brett.

Beder war unter diesen letzteren, und bald von der Strömung, bald von den Wogen fortgerissen, war er in großer Ungewißheit über sein Schicksal; endlich gewahrte er, daß er dem Lande nahe war und unweit einer ansehnlich erscheinenden Stadt. Er wandte alle ihm übrige Kraft an, das Land zu erreichen, und kam endlich so nahe ans Ufer, wo das Meer ruhig war, daß er den Grund berührte. Sogleich ließ er das Stück Holz fahren, welches ihm so große Hilfe gewährt hatte.

Aber indem er aus dem Wasser vorschritt, das Trockene zu erreichen, war er sehr verwundert, als er von allen Seiten Pferde, Kamele, Maulesel, Esel, Ochsen, Kühe, Stiere und andere Tiere, die am Ufer standen, herbeilaufen sah, um ihn zu hindern, dasselbe zu betreten. Er hatte alle Mühe von der Welt, ihre Abwehr zu überwinden und sich einen Weg durch sie hin zu bahnen. Als er endlich zum Ziele kam, setzte er sich auf einen Felsen in Sicherheit, bis er sich etwas erholt und seine Kleider an der Sonne getrocknet hatte.

Als er hierauf weiter in die Stadt gehen wollte, fand er abermals dieselbe Schwierigkeit mit denselben Tieren, als wenn sie ihn von seinem Vorhaben abermals abwendig machen und ihm zu verstehen geben wollten, daß Gefahr für ihn dabei wäre.

Der König Beder trat in die Stadt und sah hier viel schöne und breite Straßen, aber zu seiner großen Verwunderung begegnete er keinem einzigen Menschen. Diese große Einsamkeit ließ ihn ahnen, daß die vielen Tiere nicht ohne Grund alles mögliche getan hätten, um ihn von dem Eintritte in die Stadt abzuhalten. Gleichwohl schritt er weiter und bemerkte mehrere offene Läden, welche ihm anzeigten, daß die Stadt doch nicht so unbewohnt war, als er gedacht hatte. Er näherte sich einem dieser Läden, wo verschiedene Arten Früchte auf sehr einladende Weise zum verkauf ausgestellt waren, und grüßte den Greis, der darinsaß.

 

Zweihundertundeinundsiebenzigste Nacht.

Der Greis, der eben mit etwas beschäftigt war, hob den Kopf auf; und als er einen jungen Mann von edlem und stattlichem Ansehen erblickte, fragte er ihn mit einem Ausdrucke großer Verwunderung, wo er herkäme, und was für eine Angelegenheit ihn herführte.

Der König Beder befriedigte in wenig Worten seine Neugier, und der Greis fragte ihn weiter, ob er auf seinem Wege niemand begegnet wäre.

»Ihr seid der erste, den ich hier gesehen habe,« antwortete der König, »und ich begreife nicht, wie eine so schöne und ansehnliche Stadt so öde sein kann, wie sie ist.«

»Kommet herein und bleibet nicht länger vor der Türe,« versetzte der Greis; »es möchte Euch sonst etwas Übles begegnen. Ich will nachher Eure Neugier befriedigen und Euch die Ursache sagen, warum diese Vorsicht nötig ist.«

Der König Beder ließ es sich nicht zweimal sagen: er trat herein und setzte sich neben den Greis. Weil dieser aber aus der Erzählung seines Mißgeschicks vernommen hatte, daß er Nahrung bedürfte, so reichte er ihm zuvörderst etwas, um seine Kräfte wieder zu stärken; und obwohl der König Beder ihn um die Mitteilung der Ursache bat, warum er die Vorsicht gebrauchte, ihn hereintreten zu lassen, so wollte er ihm doch nicht eher darauf antworten, als bis er sich sattgegessen hatte. Er fürchtete nämlich, daß die schlimme Neuigkeit, welche er ihm zu sagen hatte, ihn am ruhigen Essen hindern möchte. Jetzt, als er sah, daß er seine Mahlzeit vollendet hatte, sprach er zu ihm:

»Ihr möget Gott danken, daß Ihr ohne einen Unfall bis zu mir gekommen seid.«

»Nun, wieso?« fragte der König Beder, beunruhigt und erschrocken.

»Ihr müßt wissen,« fuhr der Greis fort, »daß diese Stadt die Zauberstadt heißt und nicht von einem Könige, sondern von einer Königin beherrscht wird. Diese Königin, welche das schönste aller Weiber ist, ist auch eine Zauberin, aber die berüchtigste und gefährlichste, die man kennt. Ihr werdet davon überzeugt sein, wenn Ihr erfahret, daß alle die Pferde, Maulesel und anderen Tiere, die Ihr gesehen habt, sämtlich Menschen sind wie Ihr und ich, welche sie durch ihre höllischen Künste so verwandelt hat. Alle wohlgebildeten jungen Leute wie Ihr, welche in die Stadt kommen, werden von ihren dazu ausgestellten Sklaven angehalten und mit Güte oder mit Gewalt zu ihr geführt. Sie empfängt sie aufs freundlichste, sie liebkost sie, bewirtet sie und herbergt sie prächtig, kurz, gibt ihnen so viel Gelegenheit, um sie von ihrer Liebe zu überzeugen, daß es ihr ohne Mühe gelingt: aber sie läßt sie nicht lange dieses vermeinten Glückes genießen: da ist keiner, den sie nicht nach Verlauf von vierzig Tagen in irgend ein vierfüßiges Tier oder in einen Vogel, wie sie es für gut findet, verwandelt hätte. Ihr habt mir von den vielen Tieren erzählt, welche Euch verhindern wollten, ans Land zu kommen und in die Stadt zu gehen: das waren sie; und weil sie Euch auf keine andere Weise die Gefahr zu erkennen geben konnten, welcher Ihr Euch aussetztet, so taten sie, was in ihrem Vermögen stand, um Euch davon abzuhalten.«

Diese Rede bekümmerte den jungen König von Persien gar sehr. »Ach,« rief er aus, »welchen Unfällen bin ich durch mein Mißgeschick preisgegeben! Kaum bin ich von einer Bezauberung, die mich noch mit Grauen erfüllt, befreit, so sehe ich mich schon wieder einer anderen, noch schrecklicheren ausgesetzt.«

Dies gab ihm Anlaß, dem Greise umständlicher seine Geschichte zu erzählen, von seiner Geburt, seinem Stande, seiner Liebe zu der Prinzessin von Samandal und von ihrer Grausamkeit, so daß sie ihn in einen Vogel verwandelt in dem Augenblicke, wo er sie eben erst gesehen und ihr seine Liebe erklärt hatte.

Als der König seine Erzählung geendigt hatte, bezeigte er seine Furcht, in ein noch größeres Unglück zu geraten. Der Greis suchte ihn zu beruhigen und sprach: »So wahr es ist, was ich Euch von der Zauberkönigin und ihrer Bosheit gesagt habe, so darf es Euch jedoch nicht in die Unruhe versetzen, welche Ihr zu fühlen scheint. Ich bin in der großen Stadt beliebt; selbst der Königin bin ich nicht unbekannt, und ich darf wohl sagen, daß sie viel auf mich hält. Es ist also ein großes Glück für Euch, daß Euer guter Stern Euch eher zu mir als zu irgend einem andern geführt hat. Ihr seid in Sicherheit in meinem Hause, wo ich Euch zu bleiben rate, wenn es Euch so gefällt. Sofern Ihr Euch nicht daraus entfernt, verbürge ich Euch, daß Euch nichts begegnen soll, was Euch Anlaß geben könnte, Euch über meine Unredlichkeit zu beklagen. Also dürft Ihr Euch sonst in keiner Rücksicht Zwang antun.«

 

Zweihundertundzweiundsiebenzigste Nacht.

Der König Beder dankte dem Greise für die Gastfreundschaft und den Schutz, welchen er ihm so gutherzig gewährte. Er setzte sich an den Eingang des Ladens, und kaum erschien er hier, als seine Jugend und sein schönes Ansehen die Augen aller Vorübergehenden auf sich zogen. Mehrere blieben sogar stehen und wünschten dem Alten Glück, daß er einen so wohlgebildeten Sklaven, wofür sie ihn hielten, erworben hatte, und sie schienen umsomehr darüber verwundert, als sie nicht begreifen konnten, wie ein so schöner junger Mann den Nachstellungen der Königin hatte entgehen können.

»Wähnet nicht, daß es ein Sklave ist,« sagte der Alte zu ihnen; »ihr wißt, daß ich weder reich noch vornehm genug bin, um einen Sklaven von solcher Schönheit zu haben. Es ist mein Neffe, der Sohn meines verstorbenen Bruders; und da ich kinderlos bin, so habe ich ihn kommen lassen, um mir Gesellschaft zu leisten.«

Alle erfreuten sich mit ihm über die Zufriedenheit, welche dessen Ankunft ihm gewähren müßte; aber zugleich konnten sie sich nicht enthalten, ihm ihre Furcht zu äußern, daß die Königin ihm denselben entführen möchte.

»Ihr kennet sie,« sagten sie zu ihm, »und Euch kann nach so vielen Beispielen davon die Gefahr nicht verborgen sein, welcher Ihr ausgesetzt seid. Wie groß würde Euer Schmerz sein, wenn sie ihn dieselbe Behandlung erfahren ließe wie so viele andere, die wir kennen!«

»Ich bin euch sehr verbunden,« erwiderte der Greis, »für die herzliche Freundschaft, welche ihr mir bezeiget, und für die Teilnahme an meinen Angelegenheiten; ich danke euch dafür mit aller möglichen Erkenntlichkeit. Aber ich darf nicht fürchten, daß die Königin mir das geringste Leid antun werde, nachdem sie mir immerdar so viel Güte erzeigt hat. Falls sie etwas davon vernimmt und mit mir davon redet, so hoffe ich, wird sie doch nicht weiter daran denken, sobald ich ihr sage, daß er mein Neffe ist.«

Der Greis freute sich über die Lobsprüche, welche man dem jungen Könige von Persien erteilte; er nahm solchen Teil daran, als wenn er wirklich sein eigener Sohn gewesen wäre; er faßte zu ihm eine herzliche Liebe, welche in dem Maße zunahm, wie sein Aufenthalt bei ihm ihm Gelegenheit gab, ihn immer besser kennen zu lernen.

Es war ungefähr ein Monat, daß sie so zusammenlebten, als eines Tages der König Beder wie gewöhnlich am Eingange des Laden saß und die Königin Labe (so nannte er die Zauberkönigin) mit großem Gepränge am Hause des Greises vorüberzog. Der König Beder hatte nicht sobald die Spitze der voranreitenden Leibwache erblickt, als er aufstand, in den Laden zurücktrat und den Greis, seinen Wirt, fragte, was das bedeute. »Das ist die Königin, die hier vorbeikommen wird,« antwortete er, »aber bleibet nur und fürchtet nichts.«

Die Leibwache der Königin Labe, sämtlich purpurfarbig gekleidet, wohl beritten und ausgerüstet, zog mit blanken Säbeln in vier Reihen, tausend an der Zahl, einher, und es war keiner von den Offizieren, welcher nicht im Vorbeireiten an dem Laden des Greises diesen begrüßte. Ihnen folgte eine Anzahl von Verschnittenen, in Brokat gekleidet und noch besser beritten, und ihre Offiziere erwiesen ihm dieselbe Ehre. Nach ihnen kamen ebensoviel junge Mädchen: fast alle gleich schön, reich gekleidet und mit Edelsteinen geschmückt, schritten sie feierlich einher mit einer kleinen Pike in der Hand: und in ihrer Mitte erschien die Königin Labe auf einem Rosse, welches ganz von Diamanten strahlte, mit einem goldenen Sattel und einer Schabracke von unschätzbarem Werte. Die jungen Mädchen grüßten ebenfalls den Greis, sowie sie an ihm vorbeikamen, und die Königin, getroffen von der Schönheit des Königs Beder, hielt vor dem Laden still und sprach zu dem Alten:

»Abdallah« (so hieß er), »sage mir, ich bitte dich, gehört dir dieser so wohlgebildete und reizende Sklave? Hast du ihn schon lange?«

Abdallah warf sich vor der Königin auf die Erde und antwortete ihr, indem er aufstand:

»Königin, es ist mein Neffe, der Sohn meines unlängst verstorbenen Bruders. Da ich keine Kinder habe, so betrachte ich ihn wie meinen Sohn, und ich habe ihn zum Troste meines Alters kommen lassen, und damit er nach meinem Tode das wenige, was ich hinterlassen werde, in Besitz nehme.«

 

Zweihundertunddreiundsiebenzigste Nacht.

Die Königin, die noch keinen so schönen Jüngling gesehen hatte wie den König Beder und in eine heftige Leidenschaft für ihn entbrannte, suchte es auf diese Erklärung dahin zu bringen, daß der Greis ihn ihr überließe. »Guter Vater,« fuhr sie fort, »willst du mir nicht die Liebe tun und mir ein Geschenk mit ihm machen? Schlag es mir nicht ab, ich bitte dich. Ich schwöre bei dem Feuer und bei dem Lichte, ich will ihn so groß und so gewaltig machen, daß noch niemals einer seinesgleichen ein so hohes Glück soll gemacht haben. Wenn ich auch die Absicht hätte, dem ganzen Menschengeschlechts Böses zu tun, so sollte doch er der einzige sein, bei dem ich mich wohl davor hüten würde. Ich vertraue, daß du mir meine Bitte gewährest, und ich gründe dieses Vertrauen noch mehr auf die Liebe, welche du, wie ich weiß, zu mir hast, als auf die Hochachtung, welche ich für dich gehegt habe und noch hege.«

»Herrin,« erwiderte Abdallah, »ich bin Euer Majestät unendlich verpflichtet für alle die Güte, welche Ihr mir erzeigt, und für die Ehre, welche Ihr meinem Neffen antun wollet. Er ist nicht würdig, einer so großen Königin zu nahen: ich bitte also Euer Majestät, ihn gütigst davon zu entbinden.«

»Abdallah,« versetzte die Königin, »ich hatte mir geschmeichelt, daß du mich mehr liebtest, und ich hätte niemals geglaubt, daß meine Bitte so wenig Gewicht bei dir haben könnte. Aber ich schwöre nochmals bei dem Feuer und bei dem Lichte, ja selbst bei dem Allerheiligsten meiner Religion, daß ich nicht von dannen gehe, als bis ich deine Hartnäckigkeit überwunden habe. Ich begreife sehr wohl, was dir Sorge macht; aber ich verspreche dir, du sollst nicht die geringste Ursache haben, es zu bereuen, daß du mich so höchlich verpflichtet hast.«

Dem alten Abdallah tat es unaussprechlich weh, sowohl für sich selbst als für den König Beder, als er sich gezwungen sah, dem Willen der Königin nachzugeben. »Herrin,« erwiderte er, »ich kann es nicht zugeben, daß Euer Majestät eine so schlechte Meinung habe von meiner Ehrfurcht für Euch und von meinem Eifer, zu allem, was Euch nur Vergnügen machen kann, beizutragen. Ich setze volles Vertrauen in Euer Wort und zweifle nicht, daß Ihr es mir halten werdet. Ich bitte Euch nur, die große meinem Neffen zugedachte Ehre noch bis zum nächsten Male zu verschieben, wo Ihr wieder hier vorbeikommt.«

»Das ist also bis morgen,« versetzte die Königin. Und mit diesen Worten neigte sie das Haupt, ihm zu danken, und setzte ihren Weg nach dem Palaste fort.

Als die Königin Labe mit ihrem Prunkgefolge vorübergezogen war, sprach der gute Abdallah zu dem Könige Beder: »Mein Sohn« (so pflegte er ihn zu nennen, um ihn nicht im öffentlichen Gespräche zu erkennen zu geben), »ich habe, wie Ihr selber gesehen, der Königin ihre so dringende Bitte nicht abschlagen können, um sie nicht zu reizen, gegen Euch öffentlich oder heimlich durch ihre Zauberkunst Gewalt zu brauchen und Euch im Grimme gegen uns beide eine noch grausamere und auffallendere Behandlung zu bereiten als allen denen, welche bis jetzt in ihre Gewalt geraten sind, wie ich Euch schon gesagt habe. Ich habe einigen Grund zu glauben, daß sie so freundlich mit Euch verfahren wird, wie sie mir versprochen hat, in Betracht der besonderen Achtung, welche sie für mich hegt. Ihr habt selbst davon urteilen können nach dem Benehmen ihres ganzen Hofes und nach der Ehre, welche man mir erzeigt hat. Sie wäre verflucht von Gott, wenn sie mich betröge; aber sie sollte mich nicht ungestraft betrügen, und ich würde mich dafür zu rächen wissen.«

Diese Versicherungen, die sehr ungewiß erschienen, machten auf den König Beder keinen sonderlichen Eindruck. »Nach allem, was Ihr mir von der Bosheit dieser Königin erzählt habt,« sagte er hierauf, »verhehle ich Euch nicht, daß ich mich scheue, ihr zu nahen. Ich würde vielleicht alles, was Ihr mir von ihr gesagt habt, verachten und mich von dem Glanze der Herrlichkeit, welcher sie umgibt, blenden lassen, wenn ich nicht schon aus Erfahrung wüßte, was es heißt, in der Gewalt einer Zauberin sein. Der Zustand, in welchem ich mich durch die Bezauberung der Prinzessin Giäuhare befand, aus welcher ich, wie es scheint, nur deshalb befreit bin, um sogleich wieder in eine andere zu geraten, erfüllt mich mit Entsetzen vor ihr.«

Seine Tränen hinderten ihn, mehr hierüber zu sagen, und gaben zu erkennen, mit welchem Widerwillen er sich in der verhängnisvollen Notwendigkeit sah, der Königin Labe überliefert zu werden.

»Mein Sohn,« fuhr der alte Abdallah fort, »betrübt Euch nicht: ich gestehe, daß man eben nicht sehr auf die Versprechungen und selbst auf die Schwüre einer so arglistigen Königin bauen darf. Ich will Euch aber wohl sagen, daß all ihre Macht sich nicht bis auf mich erstreckt. Dies ist ihr nicht unbekannt, und deshalb besonders hat sie so viel Rücksicht für mich. Ich will sie schon verhindern, Euch das geringste Leid anzutun, wenn sie auch treulos genug wäre, es sich zu unterfangen. Ihr könnt Euch deshalb auf mich verlassen, und sofern Ihr genau die Weisung befolgt, welche ich Euch geben werde, bevor ich Euch ihr überliefere, so bin ich Euch Bürge, daß sie nicht mehr Gewalt über Euch haben wird als über mich.«

Die Zauberkönigin ermangelte nicht, den folgenden Tag an dem Laden des alten Abdallah vorbeizukommen in demselben prächtigen Aufzuge wie am vorigen Tage, und der Greis erwartete sie mit großer Ehrfurcht.

»Guter Vater,« sprach sie zu ihm, indem sie anhielt, »aus der Eilfertigkeit, mit welcher ich komme, dich an dein Versprechen zu erinnern, kannst du auf meine Ungeduld schließen, deinen Neffen bei mir zu haben. Ich weiß, du bist ein Mann von Wort, und will nicht glauben, daß du deinen Sinn geändert habest.«

Abdallah, der sich sogleich bei der Annäherung der Königin niedergeworfen, stand wieder auf, als sie ausgeredet hatte; und da er niemand wollte hören lassen, was er ihr zu sagen hatte, trat er ehrerbietig bis zu dem Kopf ihres Rosses hin und sagte leise zu ihr: »Mächtige Königin, ich weiß, Euer Majestät wird die Schwierigkeit nicht übelnehmen, welche ich gestern machte, Euch meinen Neffen anzuvertrauen; Ihr selber müßt meine Beweggründe erkannt haben. Ich will ihn Euch heute wohl übergeben, aber ich bitte Euch, in Ansehung seiner aller Geheimnisse dieser wunderbaren Kunst, welche Ihr in so hohem Grade besitzt, zu vergessen. Ich betrachte meinen Neffen als meinen eigenen Sohn, und Euer Majestät würde mich in Verzweiflung stürzen, wenn Ihr mit ihm anders verführet, als wie Ihr die Güte gehabt habt mir zu versprechen.«

»Ich verspreche es dir noch einmal,« versetzte die Königin, »und ich wiederhole dir mit demselben Schwure wie gestern, daß ihr, du und er, alle Ursachen haben sollt, mit mir zufrieden zu sein. Ich sehe wohl, du kennst mich noch nicht recht,« fügte sie hinzu, »du hast mich bisher nur mit verschleiertem Antlitze gesehen; weil ich aber deinen Neffen meiner Freundschaft würdig finde, so will ich dich sehen lassen, daß ich auch der seinigen nicht unwürdig bin.«

Bei diesen Worten ließ sie dem König Beder, der sich mit Abdallah genähert hatte, eine vollendete Schönheit sehen.

»Es ist nicht genug, schön zu sein,« sprach er bei sich selber, »die Handlungen müssen auch ebenso regelmäßig sein, als die Schönheit vollkommen ist.«

 

Zweihundertundvierundsiebenzigste Nacht.

Indem der König Beder, die Augen auf die Königin Labe geheftet, diese Betrachtungen anstellte, drehte sich Abdallah nach ihm um, faßte ihn bei der Hand und stellte ihn ihr vor mit den Worten: »Hier ist er, Herrin; ich flehe Euer Majestät, noch einmal zu bedenken, daß er mein Neffe ist, und ihm zu erlauben, daß er mich manchmal besuche.«

Die Königin versprach es ihm und ließ ihm zum Zeichen ihrer Erkenntlichkeit einen Beutel mit tausend Goldstücken geben, welchen sie hatte mitbringen lassen. Er weigerte sich anfangs, ihn anzunehmen, sie aber wollte es durchaus, und er konnte es nicht abschlagen.

Sie hatte ein ebenso reich aufgeschirrtes Roß als das ihrige für den König von Persien herführen lassen. Man bot es ihm dar, und während er den Fuß in den Steigbügel setzte, sagte die Königin noch zu Abdallah: »Ich habe vergessen, dich zu fragen, wie dein Neffe heißt.« Auf seine Antwort, daß er Beder (Vollmond) hieße, fuhr er fort: »Man hat sich versehen: er sollte vielmehr Schems (Sonne) heißen.«

Als der König Beder zu Pferde gestiegen war, wollte er hinter der Königin reiten; sie aber nahm ihn zu ihrer Linken und ließ ihn neben sich reiten. Sie sah Abdallah an, und nachdem sie ihm eine Verneigung gemacht, setzte sie ihren Weg fort.

Anstatt auf dem Gesichte des Volks eine gewisse Zufriedenheit, von Ehrfurcht begleitet, bei dem Anblick der Königin zu sehen, bemerkte der König Beder im Gegenteile, daß man sie mit Verachtung ansah, und daß mehrere sogar tausend Verwünschungen gegen sie ausstießen. »Die Zauberin,« sprachen einige, »hat wieder einen neuen Gegenstand für ihre Bosheit gefunden. Wird denn der Himmel niemals die Welt von ihrer Tyrannei befreien?« – »Armer Fremdling,« riefen andere aus, »du bist sehr betrogen, wenn du wähnest, daß dein Glück lange dauern wird: man erhebt dich nur so hoch, damit dein Fall desto furchtbarer sei!«

Aus diesen Reden erkannte er wohl, daß der alte Abdallah ihm die Königin Labe so geschildert hatte, wie sie wirklich war; da es aber nicht mehr von ihm abhing, sich der Gefahr, worin er schwebte, zu entziehen, so überließ er sich der Vorsehung und dem, was dem Himmel gefiele, über sein Schicksal zu bestimmen.

Die Zauberkönigin kam nach ihrem Palaste, und als sie abgestiegen war, ließ sie sich vom Könige Beder die Hand reichen und trat in Begleitung ihrer Frauen und der Offiziere ihrer Verschnittenen mit ihm hinein. Sie selber zeigte ihm darin alle Zimmer, wo man lauter gediegenes Gold, Edelsteine und Gerät von ungemeiner Pracht sah. Als sie ihn in ihr Wohnzimmer geführt hatte, trat sie mit ihm auf einen Altan hinaus und zeigte ihm einen Garten von bezaubernder Schönheit. Der König Beder lobte alles, was er sah, mit vieler Feinheit, doch keineswegs so, daß sie hätte mutmaßen können, er wäre etwas anderes als der Neffe des alten Abdallah. Sie unterhielten sich von verschiedenen gleichgültigen Dingen, bis man der Königin zu melden kam, daß aufgetragen wäre.

Die Königin und der König Beder standen auf, gingen hin und setzten sich zu Tische. Der Tisch war von gediegenem Golde und die Schüsseln desgleichen. Sie aßen fast ohne zu trinken bis zum Nachtische; jetzt aber ließ die Königin ihre Schale voll köstlichen Weines schenken, und nachdem sie auf die Gesundheit des Königs Beder getrunken hatte, ließ sie dieselbe, sie in ihrer Hand behaltend, wieder füllen und bot sie ihm dar. Der König Beder nahm sie mit großer Ehrerbietung, und mit einer tiefen Verneigung des Hauptes bezeigte er ihr, daß er zur Erwiderung auf ihre Gesundheit tränke.

Zu gleicher Zeit traten zehn von den Frauen der Königin Labe mit Instrumenten herein und machten durch Begleitung derselben mit ihren Stimmen ein angenehmes Konzert, während beide fortfuhren zu trinken bis tief in die Nacht. Dies starke Trinken erhitzte sie miteinander endlich so sehr, daß der König Beder allmählich bei der Königin die Zauberin vergaß und sie nur für die schönste Königin auf der Welt ansah.

Sobald die Königin gewahrte, daß sie ihn so weit gebracht hatte, wie sie wünschte, gab sie den Verschnittenen ein Zeichen, sich zu entfernen. Sie gehorchten, und der König Beder legte sich mit ihr zu Bette.

Am folgenden Morgen gleich nach dem Aufstehen gingen die Königin und der König Beder ins Bad, und nach dem Bade brachten die Frauen, welche den König darin bedient hatten, ihm weiße Wäsche und ein höchst prächtiges Kleid. Die Königin, welche auch ein reicheres Kleid angelegt hatte, kam, ihn abzuholen, und sie gingen zusammen in ihr Zimmer. Man trug ihnen ein gutes Mahl auf, nach welchem sie den Tag mit Lustwandeln im Garten und verschiedenen andern Ergötzlichkeiten angenehm zubrachten.

Auf diese Weise behandelte und bewirtete die Königin Labe den König Beder vierzig Tage lang, wie sie mit allen ihren Liebhabern zu tun pflegte.

Als in der Nacht des vierzigsten Tages beide sich niedergelegt hatten und die Königin wähnte, daß der König Beder schliefe, stand sie leise wieder auf. Der König Beder aber, der aufgewacht war und merkte, daß sie etwas vorhatte, stellte sich, als wenn er schliefe, und gab auf alle ihre Handlungen acht.

Als sie aufgestanden war, öffnete sie ein Kästchen und zog daraus eine Schachtel mit einem gewissen gelben Pulver hervor. Dieses Pulver nahm sie und streute es in einer Reihe quer durch das Zimmer. Sogleich verwandelte sich dieser Strich in einen Bach sehr klaren Wassers zum Erstaunen des Königs Beder. Er zitterte vor Furcht, tat aber, als wenn er noch fester schliefe, um der Zauberin nicht zu verraten, daß er wachte.

 

Zweihundertundfünfundsiebenzigste Nacht.

Die Königin Labe schöpfte in einem Gefäße Wasser aus dem Bache, goß davon in ein Becken, worin Mehl war, und machte daraus einen Teig, welchen sie sehr lange knetete. Sie tat zuletzt noch Spezereien hinein, welche sie aus verschiedenen Schachteln nahm, und machte so daraus einen Kuchen, welchen sie in eine bedeckte Tortenpfanne tat. Da sie vor allen Dingen ein großes Feuer angezündet hatte, scharrte sie Kohlen daraus hervor und setzte die Pfanne darauf; und während der Kuchen buk, setzte sie die Gefäße und Schachteln, die sie gebraucht hatte, wieder an ihre Stelle, und auf gewisse Worte, welche sie aussprach, verschwand der Bach wieder, welcher mitten im Zimmer rieselte. Als der Kuchen gar war, nahm sie ihn von den Kohlen und trug ihn in ein Gemach, worauf sie sich wieder zu dem Könige Beder ins Bette legte, welcher sich so gut verstellte, daß sie nicht den geringsten Verdacht schöpfte, er könnte etwas von dem gesehen haben, was sie eben vorgenommen hatte.

Der König Beder, der über alle die Vergnügungen und Ergötzlichkeiten des guten alten Abdallah, seines Wirtes, seit er ihn verlassen, gänzlich vergessen hatte, erinnerte sich jetzt wieder seiner und glaubte nach dem, was er die Königin Labe in der Nacht hatte tun sehen, seines Rates zu bedürfen.

Als er aufgestanden war, äußerte er der Königin sein Verlangen, ihn zu besuchen, und bat sie um die Erlaubnis dazu.

»Ei wie, mein lieber Beder,« erwiderte die Königin, »langweilt es Euch schon, ich will nicht sagen, in einem so prächtigen Palaste zu wohnen, worin Ihr so viel Annehmlichkeiten findet, sondern in der Gesellschaft einer Königin, die Euch so leidenschaftlich liebt und Euch so viele Beweise davon gibt?«

»Große Königin,« antwortete der König Beder, »wie könnte ich mich langweilen bei so viel Anmut und unter solchen Gunstbezeigungen, womit Euer Majestät mich gütigst überschüttet? Weit entfernt davon, Herrin, begehre ich diese Erlaubnis nur, um meinem Oheim Rechenschaft von den unendlichen Verbindlichkeiten abzulegen, welche ich gegen Euer Majestät habe, und um ihm zu erkennen zu geben, daß ich ihn nicht vergesse. Ich verhehle indessen nicht, daß es besonders aus diesem Grunde geschieht: da ich weiß, daß er mich zärtlich liebt, und es schon vierzig Tage sind, daß er mich nicht gesehen hat, so will ich ihm durch mein längeres Ausbleiben nicht Anlaß zu dem Gedanken geben, daß ich seine Gesinnungen für mich nicht erwidere.« – »Gehet hin,« sagte hierauf die Königin, »ich erlaube es gern; Ihr werdet aber nicht lange ausbleiben, wenn Ihr Euch erinnert, daß ich ohne Euch nicht leben kann.«

Sie ließ ihm ein reich aufgeschirrtes Roß vorführen, und er ritt hin.

Der alte Abdallah war erfreut, den König Beder wiederzusehen. Ohne Rücksicht auf seinen Stand umarmte er ihn zärtlich, und der König Beder erwiderte es ebenso, damit niemand daran zweifelte, daß er sein Neffe wäre.

Als sie sich gesetzt hatten, fragte Abdallah den König: »Wie habt Ihr Euch bei dieser Treulosen, dieser Zauberin befunden, und wie befindet Ihr Euch noch bei ihr?«

»Bisher,« antwortete der König Beder, »kann ich sagen, hat sie alle nur erdenklichen Rücksichten für mich gehabt und mir alle mögliche Achtung und Aufmerksamkeit bewiesen, um mich recht zu überzeugen, daß sie mich vollkommen liebe. Aber diese Nacht habe ich etwas bemerkt, was mir gegründeten Verdacht gibt, daß alles, was sie getan hat, nur Verstellung ist. Während sie wähnte, daß ich fest schliefe, obwohl ich aufgewacht war, bemerkte ich, daß sie sehr behutsam von mir wegrückte und aufstand. Diese Vorsicht bewirkte, daß ich, anstatt wieder einzuschlafen, sie genau beobachtete, indes ich mich stellte, als wenn ich immerfort schliefe.« Und so erzählte er ihm weiter, wie und unter welchen Umständen er sie den Kuchen backen sah, und schloß mit den Worten: »Bis dahin, ich bekenne es, hatte ich Euch fast vergessen samt allen Weisungen, welche Ihr mir über ihre Bosheit gegeben habt: aber diese Handlung läßt mich fürchten, daß sie weder die Versprechungen noch die feierlichen Schwüre halten will, welche sie Euch getan hat. Da habe ich sogleich an Euch gedacht, und ich schätze mich glücklich, daß sie willfähriger, als ich erwartete, mir erlaubt hat, Euch zu besuchen.«

»Ihr habt Euch nicht getäuscht,« erwiderte der alte Abdallah mit einem Lächeln, welches andeutete, daß er selber wohl gedacht hätte, sie würde nicht anders verfahren; »nichts ist imstande, die Treulose zur Besserung zu bewegen. Aber fürchtet nichts, ich weiß ein Mittel, daß das Übel, welches sie Euch antun will, auf sie selbst zurückfalle. Ihr habt noch zur rechten Zeit Verdacht geschöpft und konntet nichts besseres tun, als Euch wieder an mich wenden. Da sie ihre Liebhaber nicht länger als vierzig Tage behält und sie, anstatt sie anständig zu entlassen, jeden in ein Tier verwandelt, mit welchen sie ihre Wälder, Parke und Felder anfüllt, so nahm ich gestern gleich meine Maßregeln, um zu verhindern, daß sie Euch dasselbe Schicksal bereite. Schon zu lange trägt die Erde dies Ungeheuer; sie soll endlich selber behandelt werden, wie sie es verdient.«

 

Zweihundertundsechsundsiebenzigste Nacht.

Mit diesen Worten gab Abdallah dem Könige Beder zwei Kuchen in die Hand und hieß ihn sie bewahren, um folgenden Gebrauch davon zu machen: »Ihr habt mir gesagt,« fuhr er fort, »daß die Zauberin diese Nacht einen Kuchen gebacken hat: es geschah, um Euch davon essen zu lassen, zweifelt nicht daran; aber hütet Euch wohl, ihn zu kosten. Unterlasset zwar nicht, es anzunehmen, wenn sie Euch etwas davon darbietet, aber anstatt es in den Mund zu stecken, esset dafür einen von den beiden Kuchen, die ich Euch gebe, ohne daß sie es gewahre. Wenn sie nun glaubt, daß Ihr von dem ihrigen gegessen habt, so wird sie nicht ermangeln, Euch in irgend ein Tier verwandeln zu wollen. Es wird ihr nicht gelingen, und nun wird sie einen Spaß daraus machen, als ob sie es nur zur Belustigung getan und Euch einen kleinen Schrecken hätte einjagen wollen, obschon sie sich in der Seele darüber ärgern und sich einbilden wird, sie habe bei der Zubereitung des Kuchens etwas versehen. Hierauf machet ihr mit dem andern Kuchen ein Geschenk und dringet in sie, davon zu essen. Sie wird davon essen, und wäre es auch nur, um Euch zu zeigen, daß sie Euch nicht mißtraue, nachdem sie Euch Anlaß zum Mißtrauen gegen sie gegeben hat. Sobald sie davon gegessen, so nehmet ein wenig Wasser in die hohle Hand, und indem Ihr es ihr ins Gesicht spritzet, sprechet zu ihr:

»Verlaß diese Gestalt und nimm die Gestalt dieses oder jenes Tieres (welches Ihr wollt) an!«

Kommt dann mit dem Tiere hierher, und ich werde Euch sagen, was Ihr weiter tun müßt.«

Der König Beder bezeugte dem alten Abdallah in den lebhaftesten Ausdrücken, wie sehr er ihm dafür verbunden wäre, daß er es sich so angelegen sein ließe, eine so gefährliche Zauberin an der Ausübung ihrer Bosheit gegen ihn zu verhindern; und nachdem er sich noch einige Zeit mit ihm unterredet hatte, verließ er ihn und kehrte nach dem Palast zurück.

Bei seiner Ankunft vernahm er, daß die Zauberin ihn im Garten mit großer Ungeduld erwartete. Er ging hin, sie aufzusuchen, und die Königin Labe hatte ihn nicht sobald bemerkt, als sie mit großer Hast auf ihn zukam.

»Lieber Beder,« sprach sie zu ihm, »mit großem Rechte sagt man, daß nichts besser die Stärke und das Übermaß der Liebe erkennen läßt als die Entfernung des geliebten Gegenstandes. Ich habe keine Ruhe gehabt, seitdem ich Euch aus den Augen verloren, und es dünken mich Jahre zu sein, daß ich Euch nicht gesehen habe. Wäret Ihr nur noch ein wenig länger ausgeblieben, so wäre ich selber gekommen, Euch aufzusuchen.«

»Herrin,« erwiderte der König Beder, »ich kann Euer Majestät versichern, daß ich nicht weniger Ungeduld empfunden habe, wieder bei Euch zu sein; aber ich habe einem Oheime, den ich liebe, und der mich so lange nicht gesehen hat, eine kurze Unterhaltung nicht versagen können. Er wollte mich noch länger aufhalten, aber ich habe mich seiner Zärtlichkeit entrissen, um dahin zu eilen, wohin die Liebe mich rief; und von dem Mahle, welches er mir bereitet, habe ich mich mit einem Kuchen begnügt, welchen ich Euch mitbringe.«

Der König Beder, welcher einen der beiden Kuchen in ein sehr sauberes Tuch gewickelt hatte, zog ihn hervor und bot ihn dar mit den Worten:

»Da ist er, Herrin, ich bitte Euch, ihn freundlich anzunehmen.«

»Ich nehme ihn herzlich gern an,« versetzte die Königin, indem sie ihn nahm, »und ich werde Euch zuliebe davon essen; aber zuvor verlange ich, daß Ihr mir zuliebe auch von diesem hier esset, den ich während Eurer Abwesenheit gebacken habe.«

»Schöne Königin,« sagte hierauf der König Beder, indem er ihn ehrerbietig annahm, »solche Hände wie die Eurer Majestät können nur vortreffliches machen, und Ihr erweiset mir eine Gnade, wofür ich Euch meine Dankbarkeit nicht genug bezeigen kann.«

Der König Beder vertauschte geschickt den Kuchen der Königin mit dem, welchen der alte Abdallah ihm gegeben hatte, brach ein Stück davon ab und steckte es in den Mund. »Ah, Herrin,« rief er aus, indem er es aß, »ich habe niemals etwas Köstlicheres gegessen!«

Da sie nahe bei einem Springbrunnen waren und die Zauberin bemerkte, daß er den Bissen verschluckt hatte und eben noch einen essen wollte, so schöpfte sie mit der hohlen Hand Wasser aus dem Becken und spritzte es ihm ins Gesicht mit den Worten:

»Elender, verlaß diese Menschengestalt und nimm die Gestalt einer einäugigen und hinkenden Schindmähre an!«

 

Zweihundertundsiebenundsiebenzigste Nacht.

Diese Worte blieben ohne Wirkung, und die Zauberin war äußerst betroffen, den König Beder unverwandelt und nur den Ausdruck eines heftigen Schrecks an ihm zu sehen. Die Röte stieg ihr darüber ins Gesicht, und als sie nun sah, daß es ihr fehlgeschlagen war, sprach sie zu ihm: »Lieber Beder, es ist nichts, beruhiget Euch, ich habe Euch kein Leid zufügen wollen, ich habe es bloß getan, um zu sehen, was Ihr dazu sagen würdet. Fürwahr, ich müßte das elendeste und abscheulichste aller Weiber sein, wenn ich nach den Schwüren nicht nur, die ich getan, sondern selbst nach den Beweisen der Liebe, welche ich Euch gegeben habe, eine so schwarze Handlung begehen könnte.«

»Mächtige Königin,« versetzte der König, »wie sehr ich überzeugt bin, daß Euer Majestät es nur getan hat, um sich zu belustigen, so konnte ich mich dennoch der Überraschung nicht erwehren. Wie sollte man nicht auch wenigstens eine Erschütterung spüren, wenn man Worte hört, welche imstande sind, eine so seltsame Verwandlung zu bewirken? Aber, Herrin, lassen wir dies jetzt beruhen: und da ich von Euerm Kuchen gegessen habe, so erzeiget mir die Gnade, auch von dem meinen zu kosten.«

Die Königin Labe, die sich nicht besser rechtfertigen konnte, als wenn sie dem Könige von Persien diesen Beweis ihres Vertrauens gewährte, brach ein Stück von dem Kuchen ab und aß es. Sobald sie es hinuntergeschluckt hatte, schien sie ganz verwirrt und stand wie unbeweglich da.

Der König Beder verlor keine Zeit, er schöpfte Wasser aus demselben Becken und spritzte es ihr ins Gesicht, indem er dabei sagte:

»Verfluchte Hexe, verlaß diese Gestalt und verwandle dich in eine Stute!«

In demselben Augenblick wurde die Königin Labe in eine sehr schöne Stute verwandelt, und ihre Bestürzung über diese Verwandlung war so groß, daß sie Tränen im Überfluß vergoß. Sie senkte das Haupt auf die Füße des Königs Beder, um ihn zum Mitleid zu bewegen. Aber wenn er sich auch hätte erweichen lassen, so stand es jedoch nicht in seiner Macht, das Übel wieder gutzumachen, das er getan hatte.

Er führte die Stute zum königlichen Marstalle, wo er sie einem Reitknechte übergab, sie aufzuzäumen; aber unter allen Zäumen, welche der Reitknecht ihr anlegte, paßte keiner recht. Beder ließ noch zwei Pferde satteln und zäumen, eins für sich, das andere für den Reitknecht, und ritt mit der Stute an der Hand zum alten Abdallah.

Als Abdallah den König Beder mit der Stute von weitem kommen sah, zweifelte er nicht, daß Beder getan hätte, was er ihm empfohlen, »Verfluchte Hexe,« sprach er sogleich bei sich voll Freuden, »endlich hat der Himmel dich bestraft, wie du es verdienest!«

Der König Beder stieg bei Abdallahs Laden ab, trat hinein und umarmte ihn unter Danksagungen für alle ihm geleisteten Dienste. Er erzählte ihm, wie alles zugegangen war, und sagte ihm, er hätte keinen passenden Zaum für die Stute finden können. Abdallah, der einen für jedes Pferd passenden Zaum hatte, zäumte selber die Stute damit auf, und als der König Beder den Reitknecht mit den beiden Pferden zurückgeschickt hatte, sprach er zu ihm: »Herr, Ihr brauchet Euch nun nicht länger in dieser Stadt aufzuhalten, besteiget die Stute und kehret heim in Euer Königreich. Das einzige, was ich Euch empfehle, ist dieses: Wenn Ihr einmal die Stute veräußert, so hütet Euch wohl, sie mit dem Zaume wegzugeben.«

Der König Beder versprach ihm, es nicht zu vergessen, und nachdem er ihm Lebewohl gesagt hatte, ritt er fort.

Der junge König von Persien war nicht sobald außerhalb der Stadt, als er sich kaum fühlte vor Freuden, aus einer so großen Gefahr befreit zu sein und die Zauberin in seiner Gewalt zu haben, welche er so sehr Ursache hatte zu fürchten.

Drei Tage nach seiner Abreise kam er an eine große Stadt. In der Vorstadt begegnete ihm ein Greis von einigem Ansehen, der zu Fuße nach einem Lusthause ging, welches er dort hatte.

»Herr,« redete der Greis ihn an, indem er stehen blieb, »darf ich Euch fragen, woher Ihr kommt?«

Beder hielt sogleich an und befriedigte seine Neugier; und während der Greis ihm noch einige Fragen tat, kam ein altes Weib dazu, stand ebenfalls still und fing an zu weinen, indem sie mit tiefen Seufzern die Stute betrachtete.

Der König Beder und der Greis unterbrachen ihr Gespräch, um die Alte zu betrachten, und der König Beder fragte sie, warum sie so weinte. »Ach, Herr,« antwortete sie, »weil Eure Stute einer Stute meines Sohnes, welche ich noch immer ihm zuliebe bedaure, so vollkommen gleicht, daß ich sie für ebendieselbe halten würde, wenn sie nicht tot wäre. Verkaufet sie mir, ich flehe Euch darum, ich will sie Euch nach ihrem vollen Werte bezahlen, und dabei werde ich Euch noch immer großen Dank schuldig bleiben.«

»Gute Mutter,« entgegnete der König Beder, »es tut mir leid, Euch Eure Bitte nicht gewähren zu können: meine Stute ist nicht zu verkaufen.«

»Ach, Herr,« fuhr die Alte dringend fort, »ich beschwöre Euch im Namen Gottes darum! Wir müssen vor Gram sterben, mein Sohn und ich, wenn Ihr uns diese Gnade nicht gewähret.«

»Gute Mutter,« versetzte der König Beder, »ich würde sie Euch gern gewähren, wenn ich im Sinne hätte, eine so gute Stute zu veräußern; aber wenn dies auch wäre, so glaube ich doch nicht, daß Ihr tausend Goldstücke dafür geben möchtet: denn in diesem Falle würde ich den Preis doch nicht geringer setzen.«

»Warum sollte ich die nicht geben?« erwiderte die Alte; »Ihr dürft nur den Handel richtig machen, ich will sie Euch sogleich aufzählen.«

Der König Beder, welcher die Alte so armselig gekleidet sah, konnte sich nicht einbilden, daß sie imstande wäre, eine so große Summe aufzubringen. Um zu sehen, ob sie den Handel halten würde, sprach er zu ihr: »Gebet mir das Geld, und die Stute ist Euer.«

Sogleich band die Alte einen Beutel von ihrem Gürtel los und bot ihm denselben dar mit den Worten: »Bemühet Euch, abzusteigen, damit wir zählen, ob die Summe darin ist; falls etwas daran fehlt, so will ich es alsbald herbeischaffen: mein Haus ist nicht weit.«

Der König Beder war äußerst erstaunt, als er die Börse sah. »Gute Mutter,« sprach er darauf, »Ihr seht wohl, daß ich Euch das nur zum Scherze gesagt habe: ich wiederhole Euch, meine Stute ist nicht zu verkaufen.«

Der Greis, welcher Zeuge dieses Gesprächs gewesen war, nahm hierauf das Wort und sprach zu dem Könige Beder: »Mein Sohn, Ihr müßt wissen, was, wie ich sehe, Euch unbekannt ist, nämlich, daß es in dieser Stadt durchaus nicht erlaubt ist zu lügen, bei Todesstrafe. Demnach könnt Ihr Euch nicht entbinden, von dieser guten Frau das Geld anzunehmen und ihr Eure Stute zu überliefern, weil sie Euch die Summe dafür bezahlt, welche Ihr gefordert habt. Ihr werdet besser tun, die Sache ohne Lärm abzumachen, als Euch dem Unglück auszusetzen, welches für Euch daraus entstehen könnte.«

 

Zweihundertundachtundsiebenzigste Nacht.

Der König Beder war sehr ärgerlich, sich so unbesonnen in diesen bösen Handel verwickelt zu haben, und stieg mit großem Widerwillen ab.

Die Alte war hurtig darüber her, sich des Zaumes zu bemächtigen und die Stute abzuzäumen, und noch mehr, mit der Hand Wasser aus einem mitten in der Straße fließenden Bache zu schöpfen und die Stute damit zu bespritzen, indem sie folgende Worte aussprach:

»Meine Tochter, verlaß diese fremde Gestalt und nimm deine eigene wieder an!«

Die Verwandlung geschah augenblicklich; und der König Beder, der bei der Erscheinung der Königin Labe vor ihm ohnmächtig ward, würde zu Boden gesunken sein, wenn der Greis ihn nicht gehalten hätte.

Die Alte, welche die Mutter der Königin Labe war und sie in alle Geheimnisse der Zauberei eingeweiht hatte, hatte nicht sobald ihre Tochter umarmt und ihr ihre Freude bezeigt, als plötzlich auf ihr Pfeifen ein scheußlicher Geist erschien von riesenhafter Gestalt und Größe. Dieser Geist nahm sogleich den König Beder auf den einen Arm, umfaßte die Alte und die Zauberkönigin mit dem andern und versetzte sie in wenig Augenblicken nach dem Palast in der Stadt der Bezauberungen.

Als die Zauberkönigin nun wieder in ihrem Palaste war, machte sie in ihrer Wut dem Könige Beder heftige Vorwürfe. »Undankbarer,« sprach sie zu ihm, »auf solche Weise also gibst du mit deinem nichtswürdigen Oheime mir deine Dankbarkeit zu erkennen, nachdem ich so viel für dich getan habe: ihr sollt es einer wie der andere nach Verdienst empfinden.«

Mehr sagte sie darüber nicht,; aber sie nahm Wasser und spritzte es ihm ins Gesicht mit den Worten:

»Verlaß diese Gestalt und nimm die Gestalt eines garstigen Uhus an!«

Diesen Worten folgte sogleich die Wirkung, und sie befahl einer ihrer Frauen, den Uhu in einen Käfig zu sperren und ihm weder Speise noch Trank zu geben.

Die Frau trug den Käfig weg, und ohne auf das Verbot der Königin zu achten, setzte sie etwas Futter und Wasser hinein. Zugleich schickte sie heimlich zu dem alten Abdallah, dessen Freundin sie war, und ließ ihn davon unterrichten, wie die Königin seinen Neffen behandelt hätte und gesonnen wäre, sie beide zu verderben: damit er es noch verhindern und auf seine eigene Rettung denken könnte.

Abdallah sah wohl, daß gegen die Königin Labe keine Schonung mehr zu gebrauchen war. Er pfiff nur auf eine gewisse Weise, und alsbald erschien vor ihm ein großer Geist mit vier Flügeln und fragte, weshalb er ihn gerufen hätte.

»Blitz,« sprach er zu ihm (so hieß nämlich dieser Geist), »es kommt darauf an, dem König Beder, Sohn der Königin Gülnare, das Leben zu retten. Eile nach dem Palast der Zauberin und versetze unverzüglich die mitleidige Frau, der sie den Käfig in Verwahrung gegeben hat, nach der Hauptstadt von Persien, damit sie die Königin Gülnare von der Gefahr unterrichte, in welcher der König, ihr Sohn, schwebt, und wie nötig ihm die Hilfe ist. Nimm dich in acht, daß du sie nicht erschreckest, indem du vor ihr erscheinst, und sage ihr von meinetwegen, was sie tun soll.«

Blitz verschwand und erschien augenblicklich im Palaste der Zauberin. Er unterrichtete die Frau, schwang sich mit ihr in die Luft und führte sie so nach der Hauptstadt von Persien, wo er sie auf das flache Dach niedersetzte, welches mit der Wohnung der Königin Gülnare in Verbindung stand.

Die Frau stieg die Treppe hinab und fand die Königin Gülnare und die Königin Farasche, ihre Mutter, beisammen, welche sich eben von dem traurigen Gegenstand ihrer gemeinsamen Betrübnis unterhielten. Sie machte ihnen eine tiefe Verneigung, und aus ihrem Berichte erkannten die beiden Königinnen, wie nötig dem Könige Beder eine schleunige Hilfe wäre.

Diese Nachricht versetzte die Königin Gülnare in entzückende Freude, so daß sie von ihrem Sitz aufsprang und die gefällige Frau umarmte, um ihr ihre Erkenntlichkeit für den ihr soeben geleisteten Dienst auszudrücken.

Sie ging sogleich hinaus und befahl, im Palaste die Trompeten zu blasen und die Pauken und Trommeln zu rühren, um der ganzen Stadt die baldige Zurückkunft des Königs von Persien anzukündigen.

Als sie ins Zimmer zurückkam, fand sie den König Saleh, ihren Bruder, welchen die Königin Farasche schon durch eine gewisse Räucherung herbeigerufen hatte.

»Mein Bruder,« sprach sie zu ihm, »der König Beder, dein Neffe und mein lieber Sohn, ist in der Stadt der Bezauberungen in der Gewalt der Königin Labe. Es ist Eure, es ist meine Pflicht, hinzueilen und ihn zu befreien: es ist keine Zeit dabei zu verlieren!«

 

Zweihundertundneunundsiebenzigste Nacht.

Der König Saleh versammelte in seinen Wasserreichen ein mächtiges Heer, welches sich alsbald aus dem Meere erhob. Er rief selbst die ihm verbündeten Geister zu Hilfe, welche mit einem noch zahlreicheren Heere, als das seinige war, erschienen. Als die beiden Heere zusammengestoßen waren, stellte er sich an die Spitze mit der Königin Farasche, der Königin Gülnare und den Prinzessinnen, die auch an dem Feldzuge teilnehmen wollten.

Sie erhoben sich alle in die Luft und stürzten alsbald über den Palast und die Stadt der Bezauberungen her, wo die Zauberkönigin, ihre Mutter und alle Feueranbeter in einem Augenblick vertilgt wurden.

Die Königin Gülnare hatte die Frau der Königin Labe mitgenommen, welche ihr die Nachricht von der Verwandlung und der Gefangenschaft des Königs, ihres Sohnes, gebracht hatte, und ihr empfohlen, in dem Getümmel auf nichts anderes bedacht zu sein, als den Käfig zu nehmen und ihr zu bringen. Dieser Auftrag wurde nach Wunsch ausgeführt. Sie zog den Uhu hervor, bespritzte ihn mit Wasser, welches sie sich bringen ließ, und sprach dabei:

»Mein lieber Sohn, verlaß diese fremde Gestalt und nimm wieder Menschengestalt an, welche die deinige ist.«

Im Augenblicke sah die Königin Gülnare nicht mehr den garstigen Uhu: sie sah den König Beder, ihren Sohn, sie umarmte ihn sogleich mit überschwänglicher Freude. Was sie in ihrem Entzücken nicht durch Worte auszusprechen vermochte, ergänzten ihre Tränen auf die ausdrucksvollste Weise.

Die erste Sorge der Königin Gülnare war, den alten Abdallah aufsuchen zu lassen, dem sie die Rettung des Königs von Persien verdankte. Als er ihr vorgeführt wurde, sprach sie zu ihm: »Meine Verpflichtung gegen Euch ist so groß, daß es nichts gibt, wozu ich nicht bereit wäre, um Euch meine Erkenntlichkeit zu bezeigen: bestimmet selber, wodurch ich es vermag, und Ihr sollt befriedigt werden.«

»Große Königin,« erwiderte er, »wenn die Frau, welche ich zu Euch gesandt habe, gern in die Heirat willigt, welche ich ihr hiermit anbiete, und wenn der König von Persien mich an seinem Hofe zu dulden geruhet, so weihe ich von Herzen gern meine übrigen Tage seinem Dienste.«

Die Königin Gülnare wandte sich sogleich zu der Frau, die gegenwärtig war, und da diese, indem sie errötete, eben keine Abneigung gegen diese Heirat blicken ließ, so fügte die Königin beider Hände ineinander und übernahm mit dem Könige von Persien die Sorge für ihr Glück.

Diese Heirat gab dem Könige von Persien Anlaß, das Wort zu nehmen und lächelnd zu der Königin, seiner Mutter, zu sagen: »Frau Mutter, ich bin erfreut über die Heirat, welche Ihr hier gestiftet habt: es ist aber noch eine andere übrig, an welche Ihr auch wohl denken solltet.«

Die Königin Gülnare verstand nicht sogleich, welche Heirat er meinte; sie besann sich einen Augenblick: sobald es ihr aber einfiel, antwortete sie ihm: »Du meinst deine eigene Vermählung; ich willige herzlich gern darein.«

Sie wandte sich alsbald zu den Meervölkern des Königs Saleh, ihres Bruders, und zu den Geistern, die gegenwärtig waren, und sprach:

»Eilet und durchlaufet alle Paläste des Meeres und der Erde und bringet uns Kunde von der schönsten und meines Sohnes würdigsten Prinzessin, die Ihr findet.«

»Frau Mutter,« versetzte der König Beder, »alle diese Mühe ist unnötig. Ihr wißt ohne Zweifel wohl, daß ich der Prinzessin von Samandal auf die bloße Erzählung von ihrer Schönheit mein Herz geschenkt habe; ich habe sie seitdem gesehen und das Geschenk nicht bereut, welches ich ihr gemacht. In der Tat, es kann weder auf Erden noch unter den Wassern eine Prinzessin geben, welche ihr zu vergleichen wäre. Zwar hat sie mich, als ich ihr meine Liebe erklärte, auf eine Weise behandelt, welche die Flamme jedes andern minder entbrannten Liebhabers hätte auslöschen können; aber sie ist zu entschuldigen, und sie konnte mich nicht minder strenge behandeln nach der Gefangennehmung des Königs, ihres Vaters, von welcher ich doch immer, wenn auch unschuldig, die Ursache war. Vielleicht hat jetzt der König von Samandal seine Gesinnung geändert und hat auch sie keine Abneigung mehr, mich zu lieben und mir ihre Hand zu geben, sobald er darein willigt.«

 

Zweihundertundachtzigste Nacht.

»Mein Sohn,« antwortete die Königin Gülnare, »wenn die Prinzessin Giäuhare allein auf der Welt imstande ist, dich glücklich zu machen, so will ich mich keineswegs eurer Vereinigung widersetzen, wenn sie möglich zu machen ist. Der König, dein Oheim, darf nur den König von Samandal herkommen lassen, und wir werden alsbald vernehmen, ob er noch immer so unbeugsam ist als bisher.«

Wie eng auch der König von Samandal bis jetzt seit seiner Gefangennehmung auf Befehl des Königs Saleh bewacht worden, nichtsdestoweniger war er immer mit Achtung behandelt worden, und er hatte sich mit den Offizieren, die ihn bewachten, auf einen freundlichen Fuß gesetzt.

Der König Saleh ließ nun ein Feuerbecken bringen, warf eine gewisse Mischung hinein und sprach dabei geheimnisvolle Worte aus. Sobald der Rauch anfing emporzusteigen, erschütterte der Palast, und man sah alsbald den König von Samandal in Begleitung der Offiziere des Königs Saleh erscheinen.

Der König von Persien warf sich sogleich ihm zu Füßen, und mit einem Knie auf der Erde, sprach er zu ihm: »Herr, es ist nicht mehr der König Saleh, der Euer Majestät um die Ehre einer Verbindung mit Euch für den König von Persien bittet: es ist dieser König von Persien selber, der Euch um diese Gnade anfleht. Ich kann mich nicht überzeugen, daß Ihr den Tod eines Königs wollet, der nicht mehr leben kann ohne die liebenswürdige Prinzessin Giäuhare.«

Der König von Samandal duldete den König von Persien nicht länger zu seinen Füßen; er umarmte ihn und nötigte ihn, aufzustehen.

»Herr,« sprach er darauf, »es sollte mir sehr leid tun, irgend etwas zu dem Tode eines Königs beigetragen zu haben, der so würdig ist zu leben. Ist es wahr, daß ein so kostbares Leben nicht ohne den Besitz meiner Tochter kann erhalten werden, so lebet, Herr, sie ist die Eurige. Sie ist immer meinem Willen sehr gehorsam gewesen, und ich glaube nicht, daß sie sich diesmal widersetzen wird.«

Nach diesen Worten befahl er einem seiner Offiziere, welche der König Saleh ihm gelassen hatte, die Prinzessin Giäuhare aufzusuchen und sie unverzüglich herzuführen.

Die Prinzessin Giäuhare war stets an demselben Orte geblieben, wo der König von Persien sie angetroffen hatte. Der Offizier fand sie dort, und bald sah man ihn mit ihr und ihren Frauen zurückkommen.

Der König von Samandal umarmte die Prinzessin und sprach zu ihr: »Meine Tochter, ich habe dir einen Gemahl erwählt: es ist der König von Persien, den du hier siehst, der vollkommenste Fürst, welcher gegenwärtig in der ganzen Welt zu finden ist. Der Vorzug, welchen er dir vor allen andern Prinzessinnen gegeben hat, verpflichtet mich und dich, ihm dafür unsere Erkenntlichkeit zu beweisen.«

»Herr Vater,« antwortete die Prinzessin Giäuhare, »Euer Majestät weiß wohl, daß ich es niemals an dem schuldigen Gehorsam habe fehlen lassen in allem, was Ihr von mir gefordert habt. Ich bin auch jetzt bereit, Euch zu gehorchen, und ich hoffe, der König von Persien wird mir gern die üble Behandlung verzeihen, welche ihm von mir widerfahren ist; ich glaube, er ist billig genug, um sie nur dem Drange meiner kindlichen Pflicht zuzurechnen.«

Die Hochzeit wurde in dem Palast der Zauberstadt mit umso größerer Festlichkeit gefeiert, als alle Liebhaber der Zauberkönigin im Augenblicke ihres Todes ihre erste Gestalt wieder angenommen hatten und gekommen waren, dem Könige von Persien, der Königin Gülnare und dem Könige Saleh dafür zu danken, und nun an dem Feste teilnahmen. Sie waren sämtlich Königssöhne und Prinzen oder doch sonst von vornehmem Stande.

Der König Saleh endlich führte den König von Samandal nach seinem Königreiche zurück und setzte ihn wieder auf den Thron. Der König von Persien, der jetzt auf dem Gipfel seiner Wünsche war, kehrte mit seiner Gemahlin und der Königin Gülnare nach der Hauptstadt von Persien zurück. Die Königin Farasche und die Prinzessinnen begleiteten sie und blieben dort, bis der König Saleh sie abzuholen kam und sie in sein Reich unter den Fluten des Meeres heimführte.

 


 << zurück weiter >>