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Zweihundertundfünfunddreißigste Nacht.

Fortsetzung der Geschichte des Prinzen Kamaralsaman seit seiner Trennung von der Prinzessin Badur.

»Herr, während diese Dinge auf der Ebenholzinsel zwischen der Prinzessin Badur, der Prinzessin Haïat-al-nefus und dem König Armanos, der Königin, dem Hofe und dem ganzen Königreiche vorgingen, war der Prinz Kamaralsaman noch immer in der Stadt der Götzendiener bei dem Gärtner, der ihm einen Aufenthalt gegeben hatte.

Eines Tages frühmorgens, als der Prinz sich anschickte, seiner Gewohnheit nach im Garten zu arbeiten, hielt der Gärtner ihn davon ab. »Die Götzendiener,« sagte er zu ihm, »haben heute ein großes Fest: und da sie sich aller Arbeit enthalten, um es mit geselligen und öffentlichen Ergötzlichkeiten zu begehen, so wollen sie, daß auch die Muselmänner nicht arbeiten; und diese, um sich in ihrer Freundschaft zu erhalten, machen sich eine Lustbarkeit daraus, ihren Schauspielen beizuwohnen, welche sehenswert sind. Deshalb müßt Ihr heute feiern. Ich lasse Euch hier; und da die Zeit herannaht, daß das Schiff, von welchem ich Euch gesagt habe, die Fahrt nach der Ebenholzinsel machen wird, so gehe ich zu einigen Freunden, um mich bei ihnen nach dem Tage seiner Abfahrt zu erkundigen, und zu gleicher Zeit will ich Eure Mitfahrt besorgen.« Der Gärtner legte sein bestes Kleid an und ging aus.

Als der Prinz Kamaralsaman sich allein sah, so rief die Mäßigkeit, worin er sich befand, anstatt ihn an der allgemeinen Freude, die in der ganzen Stadt herrschte, teilnehmen zu lassen, das traurige Andenken an seine geliebte Prinzessin stärker als jemals zurück. In sich gekehrt, wandelte er seufzend durch den Garten: das Geschrei zweier Vögel auf einem Baume bewog ihn endlich, das Haupt emporzuheben und stillzustehen.

Kamaralsaman sah mit Erstaunen, wie die beiden Vögel sich greulich mit ihren Schnäbeln hackten, so daß in wenigen Augenblicken der eine von ihnen tot vom Baume herabfiel. Der Vogel, der gesiegt hatte, schwang sich wieder empor und verschwand.

Im Augenblick kamen von einer andern Seite zwei größere Vögel, die den Kampf von ferne gesehen hatten, daher, setzten sich der eine zu den Häupten, der andere zu den Füßen des toten, betrachteten ihn eine Weile, indem sie den Kopf auf eine Weise bewegten, die ihre Trauer ausdrückte, dann kratzten sie ihm mit ihren Klauen ein Grab und beerdigten ihn darin.

Sobald die beiden Vögel das Grab wieder mit Erde gefüllt, welche sie daraus hervorgescharrt hatten, flogen sie weg; bald darauf kamen sie wieder und hielten mit ihren Schnäbeln der eine bei einem Flügel, der andere bei einem Fuße den mörderischen Vogel, der fürchterlich schrie und sich gewaltig anstrengte zu entkommen. Sie schleppten ihn auf das Grab des Vogels, den er seiner Wut aufgeopfert hatte; und hier opferten sie ihn der gerechten Rache für den begangenen Mord und zerhackten ihn mit ihren Schnäbeln, bis er starb. Zuletzt rissen sie ihm den Bauch auf, zogen die Eingeweide heraus, ließen den Leichnam auf dem Platze liegen und flogen davon.

Kamaralsaman stand die ganze Zeit über, die dieses überraschende Schauspiel dauerte, in großer Verwunderung. Er näherte sich dem Baume, wo der Auftritt vorgegangen war, und indem er die Augen auf die zerstreuten Eingeweide warf, sah er etwas Rotes aus dem Magen hervorragen, welchen die rächerischen Vögel zerrissen hatten. Er hob den Magen auf, zog das bemerkte Rote heraus und fand, daß es der Talisman seiner vielgeliebten Prinzessin Badur war, der ihm so viel Kummer, Tränen und Seufzer gekostet, seitdem dieser Vogel ihm denselben entführt hatte. »Grausamer,« rief er sogleich aus, indem er den Vogel betrachtete, »es war deine Lust, Böses zu tun! Aber so viel Böses du mir getan hast, so viel Gutes wünsche ich denjenigen, die mich an dir gerächt haben, indem sie den Tod ihres Genossen rächten.«

Es ist nicht möglich, die überschwängliche Freude des Prinzen Kamaralsaman auszudrücken. »Teure Prinzessin,« rief er aus, »dieser glückselige Augenblick, der mir wiedergibt, was dir so teuer war, ist ohne Zweifel ein Vorbote, der mir verkündigt, daß ich dich ebenfalls wiedersehen werde, und vielleicht eher, als ich denke! Dem Himmel sei Dank, der mir dieses Glück sendet und zugleich mir die Hoffnung des höchsten Glückes gibt, das ich nur wünschen kann!«

Nach diesen Worten küßte Kamaralsaman den Talisman, wickelte ihn ein und band ihn sorgfältig um seinen Arm.

In seiner tiefen Betrübnis hatte er fast alle Nächte in quälenden Gedanken, ohne ein Auge zu schließen, hingebracht: diese aber, die auf ein so glückliches Abenteuer folgte, schlief er sanft, und am folgenden Morgen, als er sein Arbeitskleid angelegt hatte, ging er zum Gärtner und fragte ihn, was es zu tun gäbe; und dieser bat ihn, einen alten Baum, der keine Früchte mehr trug, umzuhauen und zu entwurzeln.

Kamaralsaman nahm eine Axt und ging, Hand ans Werk zu legen. Als er nun einen Ast der Wurzel durchhieb, traf er auf etwas, was Widerstand leistete und einen hellen Klang gab. Er räumte die Erde weg und entdeckte eine große eherne Platte, unter welcher er eine Treppe von zehn Stufen fand. Er stieg sogleich hinab, und als er unten war, sah er ein Gewölbe von zwei bis drei Klaftern ins Geviert, worin er fünfzig große eherne Gefäße zählte, die rings umherstanden, jedes mit einem Deckel. Er öffnete sie alle, eins nach dem andern, und es war keins, das nicht voll Goldstaub gewesen wäre. Äußerst vergnügt über die Entdeckung eines so reichen Schatzes, stieg er aus dem Gewölbe, deckte die Platte wieder auf die Treppe und entwurzelte vollends den Baum, indem er die Rückkunft des Gärtners erwartete.

Der Gärtner hatte den vorigen Tag erfahren, daß das Schiff, welches alljährlich die Fahrt nach der Ebenholzinsel machte, binnen sehr wenigen Tagen abgehen würde; doch hatte man ihm nicht genau den Tag sagen können und ihn deshalb auf den andern Morgen beschieden. Er war dahin gegangen und kam nun mit einem Gesichte zurück, welches schon die gute Nachricht verkündigte, die er Kamaralsaman zu bringen hatte. »Mein Sohn,« sagte er zu ihm (denn vermöge des Vorrechts seines hohen Alters pflegte er ihn so zu nennen), »freue dich und mache dich bereit, in drei Tagen abzureisen; das Schiff wird unfehlbar dann abgehen, und ich bin wegen deiner Einschiffung und Überfahrt mit dem Schiffshauptmanne schon einig geworden.«

»In dem Zustande, worin ich mich befinde,« erwiderte Kamaralsaman, »könnt Ihr mir nichts Angenehmeres ankündigen. Zur Vergeltung habe ich auch eine Neuigkeit Euch mitzuteilen, die Euch erfreuen wird. Bemühet Euch, mit mir zu kommen, und Ihr werdet das gute Glück sehen, welches der Himmel Euch beschert hat.«

Kamaralsaman führte den Gärtner nach dem Orte, wo er den Baum entwurzelt hatte, und ließ ihn in das Gewölbe hinabsteigen; hier zeigte er ihm die Menge der mit Goldstaub gefüllten Gesäße und bezeigte ihm seine Freude, daß Gott endlich seine Tugend und all die Mühseligkeiten belohnte, die er seit so vielen Jahren bestanden hätte.

»Wie meinst du das?« erwiderte der Gärtner. »Denkst du denn, daß ich mir diesen Schatz zueignen werde? Er ist ganz dein, und ich habe keinen Anspruch daran. Seit achtzig Jahren, daß mein Vater tot ist, habe ich nichts anderes getan, als die Erde dieses Gartens umwühlen, ohne ihn entdeckt zu haben. Das ist ein Beweis, daß er dir bestimmt war, da Gott vergönnte, daß du ihn fändest; er ziemt einem Prinzen, wie du bist, auch besser als mir, der ich am Rande des Grabes stehe und nichts mehr brauche. Gott beschert ihn dir zur rechten Zeit, gerade da du in das Reich zurückkehrst, welches dir einst gehört, und wo du einen guten Gebrauch davon machen wirst.«

Der Prinz Kamaralsaman wollte dem Gärtner an Edelmut nicht nachstehen, und beide hatten einen großen Wettstreit darüber. Der Prinz beteuerte endlich, daß er durchaus nichts davon nehmen würde, wenn der Gärtner nicht die Hälfte für sein Anteil behielte. Der Gärtner gab nach, und sie teilten sich jeder fünfundzwanzig Gefäße zu.

Nach geschehener Teilung sagte der Gärtner zu Kamaralsaman: »Mein Sohn, damit ist's noch nicht abgetan; es kommt gegenwärtig darauf an, diese Reichtümer einzuschiffen und sie so heimlich mit dir zu führen, daß niemand Kunde davon habe; sonst läufst du Gefahr, sie zu verlieren. Es gibt auf der Ebenholzinsel keine Oliven, und die von hier dorthin gebrachten sind sehr gesucht: wie du weißt, habe ich einen guten Vorrat davon aus meinem Garten gesammelt; du mußt also fünfzig Krüge nehmen, sie zur Hälfte mit Goldstaub füllen und den übrigen Raum mit Oliven oben drauf; und so wollen wir sie aufs Schiff bringen lassen, wenn du dich einschiffst.«

Kamaralsaman folgte diesem guten Rat und verwandte den übrigen Teil des Tages darauf, die fünfzig Krüge zu verpacken; und weil er fürchtete, daß der Talisman der Prinzessin Badur, den er am Arme trug, ihm entgleiten möchte, so gebrauchte er die Vorsicht, ihn in einen der Krüge zu tun und daran ein Kennzeichen zu machen.

Als er die Arbeit vollendet und die Krüge so weit fertiggemacht hatte, daß sie fortgebracht werden konnten, und die Nacht herannahte, so begab er sich mit dem Gärtner zur Ruhe; und in ihrer Unterhaltung miteinander erzählte er ihm den Kampf der beiden Vögel und die Umstände dieses Abenteuers, welches ihn den Talisman der Prinzessin Badur wiederfinden ließ, was ihm nicht weniger Freude als Verwunderung erregte.

Sei es nun wegen seines hohen Alters, oder weil er sich diesen Tag zu sehr angestrengt hatte, genug, der Gärtner hatte eine böse Nacht; sein Übel vermehrte sich den folgenden Tag, und am nächsten Morgen befand er sich noch schlechter.

Mit Anbruch des Tages kam der Schiffshauptmann selber mit mehreren Matrosen und klopfte an die Gartentüre. Sie fragten Kamaralsaman, der ihnen öffnete, wo der Mann wäre, der sich mit einschiffen wollte. »Ich bin es selber,« antwortete er. »Der Gärtner, der die Überfahrt für mich bedungen hat, liegt krank und kann euch nicht sprechen; kommt nur herein, ich bitte euch, und traget diese Krüge mit Oliven nebst meinem Gepäcke voraus: ich folge euch, sobald ich Abschied von ihm genommen habe.«

Die Matrosen trugen die Krüge und das Gepäck fort, und der Hauptmann sagte beim Weggehen zu Kamaralsaman: »Verfehlet nicht, unverzüglich nachzukommen; der Wind ist günstig, und ich warte nur noch auf Euch, um unter Segel zu gehen.«

Sobald der Hauptmann und die Matrosen weg waren, ging Kamaralsaman wieder zu dem Gärtner hinein, um Abschied von ihm zu nehmen und ihm für alle die Liebesdienste zu danken, die er ihm geleistet hatte: aber er fand ihn in den letzten Zügen, und kaum hatte er ihn noch nach Weise der frommen Muselmänner in der Todesstunde sein Glaubensbekenntnis hersagen lassen, so sah er ihn verscheiden.

Da der Prinz Kamaralsaman sich alsbald einschiffen sollte, so beeilte er sich so viel als möglich, dem Verstorbenen die letzte Pflicht zu erweisen. Er wusch den Leichnam, kleidete ihn ein, und nachdem er im Garten eine Grube gemacht hatte (denn weil die Mohammedaner in dieser Stadt der Götzendiener nur geduldet waren, so hatten sie keinen öffentlichen Begräbnisort), beerdigte er allein ihn, und erst gegen Abend war er damit fertig.

Er ging nun ohne Zeitverlust hin, sich einzuschiffen; er nahm in der Eile selbst den Gartenschlüssel mit in der Absicht, ihn dem Eigentümer zu überbringen, wenn er noch Zeit dazu hätte, oder ihn irgend einem sicheren Menschen in Gegenwart von Zeugen zu geben, der ihn überliefern sollte.

Aber als er an den Hafen kam, vernahm er, daß das Schiff längst abgesegelt und sogar schon aus dem Gesichte war. Man fügte hinzu, daß es erst unter Segel gegangen wäre, nachdem es drei volle Stunden auf ihn gewartet hätte.«

Scheherasade wollte fortfahren; aber das Tageslicht, das sie erblickte, nötigte sie, aufzuhören. Sie nahm die Geschichte Kamaralsamans in der folgenden Nacht wieder auf und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundsechsunddreißigste Nacht.

»Herr, der Prinz Kamaralsaman war, wie man denken kann, in der äußersten Betrübnis, als er sich gezwungen sah, noch länger in einem Lande zu bleiben, wo er keinen Umgang hatte, noch haben wollte, und abermals ein Jahr auf die Gelegenheit zu warten, welche er jetzt versäumt hatte. Noch trostloser war für ihn, daß er den Talisman der Prinzessin Badur wieder aus den Händen gegeben hatte, den er nun für verloren hielt.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als nach dem Garten, den er verlassen hatte, zurückzukehren, ihn von dem Eigentümer zu mieten und fortzufahren, denselben zu bauen unter Tränen über sein Unglück und Mißgeschick. Da er allein nicht den Anbau zu bestreiten vermochte, so nahm er einen Burschen in Dienst. Und um auch den andern Teil des Schatzes, welcher durch den Tod des Gärtners ihm zugefallen war, in Sicherheit zu bringen, tat er den Goldstaub in fünfzig andere Krüge, die er oben mit Oliven füllte, um sie zu seiner Zeit mit sich einzuschiffen.

Während der Prinz Kamaralsaman ein neues Jahr des Kummers, des Schmerzes und der Sehnsucht begann, setzte das Schiff seine Fahrt mit sehr günstigem Winde fort und langte glücklich in der Hauptstadt der Ebenholzinsel an.

Da der Palast am Ufer des Meeres stand, so erblickte der neue König oder vielmehr die Prinzessin Badur das Schiff, als es mit wehenden Flaggen in den Hafen einlief, und fragte, was für ein Schiff es wäre, worauf man ihr sagte, daß es alljährlich in derselben Jahreszeit von der Stadt der Götzendiener käme und gewöhnlich mit reichen Waren beladen wäre.

Die Prinzessin, mitten in dem sie umgebenden Glanze doch immer mit dem Andenken Kamaralsamans beschäftigt, gedachte, daß Kamaralsaman sich darauf eingeschifft haben könnte, und es fiel ihr ein, ihm zuvorzukommen und entgegenzugehen, nicht, um sich zu erkennen zu geben (denn sie war wohl gewiß, daß er sie nicht erkennen würde), sondern um sich seiner zu versichern und darnach die besten Maßregeln zu ihrer Wiedervereinigung zu nehmen.

Unter dem Vorwande, sich selber nach den Waren zu erkundigen, sie zuerst zu sehen und die ihr anstehenden auszuwählen, befahl sie, ihr ein Pferd vorzuführen. Sie begab sich nach dem Hafen in Begleitung mehrerer Beamter, die bei ihr waren, und kam gerade dort an, als der Hauptmann ans Land getreten war. Sie ließ ihn vor sich kommen und fragte, woher er käme, wie lange er unterwegs gewesen, was für gute oder schlimme Abenteuer ihm auf der Fahrt zugestoßen, ob er nicht einen oder den andern ausgezeichneten Fremden mitbrächte, und vor allem, womit sein Schiff beladen wäre.

Der Schiffshauptmann beantwortete alle ihre Fragen: und in Betreff der Fremden versicherte er, es wären nur Kaufleute, die gewöhnlich herkämen und sehr reiche Stoffe aus verschiedenen Ländern mitbrächten, desgleichen feine Leinwand, gemalte und ungemalte, Juwelen, Moschus, grauen Ambra, Kampfer, Zibet, Gewürze, Arzneiwaren, Oliven und mehrere andere Waren.

Die Prinzessin Badur liebte leidenschaftlich die Oliven. Sobald sie diese nennen hörte, sagte sie zu dem Hauptmann: »Ich nehme alle in Beschlag, die Ihr habt: lasset sie unverzüglich ausschiffen, um den Handel abzuschließen. Was die übrigen Waren betrifft, so saget den Kaufleuten, sie sollen das Schönste davon mir bringen, bevor sie es jemand anders zeigen.«

»Herr,« erwiderte der Hauptmann, »es sind fünfzig sehr große Krüge: aber sie gehören einem Kaufmanne, der zurückgeblieben ist. Ich selber hatte ihn von der Abfahrt des Schiffes benachrichtigt und wartete lange auf ihn. Da ich aber sah, daß er nicht kam, und seine Zögerung mich verhinderte, den günstigen Wind zu benutzen, so verlor ich die Geduld und ging unter Segel.«

»Lasset sie gleichwohl ausschiffen,« sagte die Prinzessin, »das soll uns nicht hindern, den Handel darüber abzuschließen.«

Der Hauptmann schickte sein Boot nach dem Schiffe, und es kam alsbald mit den Oliven beladen wieder. Die Prinzessin fragte, was die fünfzig Krüge auf der Ebenholzinsel gelten könnten.

»Herr,« antwortete der Hauptmann, »der Kaufmann ist sehr arm: Euer Majestät wird ihm keine sonderliche Gnade antun, wenn sie ihm tausend Silberstücke gibt.«

»Damit er zufrieden sei,« erwiderte die Prinzessin, »und in Betracht dessen, was Ihr mir von seiner Armut sagt, soll man Euch tausend Goldstücke auszahlen, die Ihr ihm überliefern werdet.«

Sie erteilte sogleich Befehl zur Auszahlung, und nachdem sie in ihrer Gegenwart die Krüge hatte wegtragen lassen, kehrte sie nach dem Palaste zurück.

Da die Nacht herannahte, begab sich die Prinzessin Badur in den innern Palast, ging in das Zimmer der Prinzessin Haïat-al-nefus und ließ sich die fünfzig Olivenkrüge bringen. Sie öffnete einen, um sie davon kosten zu lassen und selber davon zu kosten, und schüttete sie in eine Schüssel. Ihr Erstaunen konnte nicht größer sein, als sie die Oliven mit Goldstaub vermischt sah. »Welch wunderbares Abenteuer!« rief sie aus. Sie ließ sogleich alle andern Krüge in ihrer Gegenwart durch die Frauen der Prinzessin Haïat-al-nefus öffnen; und ihr Erstaunen wuchs in demselben Maße, wie sie sah, daß in jedem Kruge die Oliven mit Goldstaub vermischt waren. Aber als man auch an den Krug kam, in welchen Kamaralsaman ihren Talisman gelegt hatte, ihn ausleerte und sie denselben erblickte, war sie so überrascht, daß sie in Ohnmacht sank.

Die Prinzessin Haïat-al-nefus und ihre Frauen eilten der Prinzessin Badur zu Hilfe, spritzten ihr Wasser ins Gesicht und brachten sie dadurch wieder zu sich. Als sie wieder aller ihrer Sinne mächtig war, nahm sie den Talisman und küßte ihn zu wiederholten Malen. Da sie aber vor den Frauen der Prinzessin, denen ihre Verkleidung unbekannt war, nichts davon sagen wollte und es auch Zeit zum Schlafengehen war, so entließ sie dieselben.

»Prinzessin,« sprach sie zu Haïat-al-nefus, sobald beide allein waren, »nach dem, was ich Euch von meiner Geschichte erzählt, werdet Ihr ohne Zweifel erkannt haben, daß der Anblick dieses Talismans die Ursache meiner Ohnmacht war. Es ist der meine, es ist derselbe, der uns beide, den Prinzen Kamaralsaman, meinen teuren Gatten, und mich, einander entrissen hat. Er ist die Ursache einer für uns beide so schmerzlichen Trennung gewesen: er wird nun auch, wie ich überzeugt bin, unsere baldige Wiedervereinigung bewirken.«

Am folgenden Morgen, sobald es Tag war, schickte die Prinzessin Badur hin und ließ den Schiffshauptmann rufen. Als er gekommen war, sprach sie zu ihm: »Gebet mir noch weitere Aufklärungen über den Kaufmann, dem die Oliven gehörten, welche ich gestern kaufte. Ihr sagtet mir, wie mich dünkt, Ihr hättet ihn in der Stadt der Götzendiener zurückgelassen: könnt Ihr mir nicht sagen, was er dort machte?«

»Herr,« antwortete der Hauptmann, »ich kann Euer Majestät davon sichere Kunde geben, als von einer Sache, die ich selber weiß. Ich war wegen seiner Überfahrt mit einem sehr alten Gärtner einig geworden, der mir sagte, ich würde ihn in seinem Garten finden, wo er bei ihm arbeitete, und den er mir bezeichnete: und deshalb sagte ich Euer Majestät, daß er arm wäre. Ich bin selber nach diesem Garten hingegangen, um ihn zu benachrichtigen, daß er an Bord kommen solle, und ich habe mit ihm gesprochen.«

»Wenn dem so ist,« sagte die Prinzessin Badur hierauf, »so müßt Ihr heute noch wieder unter Segel gehen, nach der Stadt der Götzendiener zurückfahren und mir diesen Gärtnergesellen herbringen, der mein Schuldner ist; wo nicht, so erkläre ich Euch, daß ich nicht allein die Euch gehörenden Waren und die der mit Eurem Schiffe gekommenen Kaufleute in Beschlag nehmen werde, sondern daß auch Euer Leben und das der Kaufleute mir dafür haften soll. Jetzt eben wird auf meinen Befehl das Siegel an ihr Warenlager gelegt, und es soll nicht eher abgenommen werden, als bis Ihr mir den Menschen, den ich von Euch fordere, überliefert habt. Das ist es, was ich Euch zu sagen hatte: eilet und tut, was ich Euch heiße.«

Der Schiffshauptmann hatte auf diesen Befehl, dessen Nichtausführung für seine und der Kaufleute Geschäfte so nachteilig werden sollte, nichts zu erwidern. Er zeigte es ihnen an, und sie beeilten sich nicht minder als er, ihm unverzüglich Lebensmittel und Wasser an Bord zu schaffen, so viel er zur Reise nötig hatte. Dies wurde mit solchem Eifer betrieben, daß er noch denselben Tag unter Segel ging.

Das Schiff hatte eine sehr glückliche Fahrt, und der Hauptmann nahm seine Maßregeln so gut, daß er bei Nacht vor der Stadt der Götzendiener anlangte. Als er so nahe herangekommen war, wie er für gut hielt, ließ er keine Anker auswerfen, sondern die Segel beilegen, bestieg sein Boot und ging in einiger Entfernung vom Hafen ans Land, von wo er sich mit sechs der entschlossensten Matrosen nach Kamaralsamans Garten begab.

Kamaralsaman schlief noch nicht; seine Trennung von der Prinzessin von China, seiner Gattin, betrübte ihn wie gewöhnlich, und er verwünschte den Augenblick, wo er sich von seiner Neugier hatte verleiten lassen, ihren Gürtel auch nur zu berühren, geschweige zu untersuchen. Auf solche Weise brachte er die zur Ruhe bestimmten Stunden hin, als er an der Gartentüre pochen hörte. Er ging hurtig, halbangekleidet, hin, und kaum hatte er die Türe geöffnet, so bemächtigten der Hauptmann und die Matrosen sich seiner, ohne ein Wort zu sagen, schleppten ihn in das Boot und führten ihn nach dem Schiffe, welches sogleich wieder unter Segel ging.

Kamaralsaman, der bisher, wie der Hauptmann und die Matrosen, Stillschweigen beobachtet hatte, fragte jetzt den Hauptmann, den er erkannte, welche Ursache er hätte, ihn so mit Gewalt zu entführen. »Seid Ihr nicht Schuldner des Königs der Ebenholzinsel?« fragte ihn dagegen der Hauptmann.

»Ich Schuldner des Königs der Ebenholzinsel?« versetzte Kamaralsaman mit Verwunderung. »Ich kenne ihn ja nicht, niemals habe ich mit ihm etwas zu schaffen gehabt, und niemals habe ich einen Fuß in sein Reich gesetzt.«

»Das müßt Ihr besser wissen als ich,« erwiderte der Hauptmann. »Ihr mögt selber mit ihm sprechen; unterdessen bleibet hier und fasset Euch in Geduld.« ...

Bei dieser Stelle war Scheherasade genötigt, ihre Erzählung abzubrechen, um den Sultan von Indien aufstehen und an seine gewöhnlichen Geschäfte gehen zu lassen. Sie nahm in der folgenden Nacht den Faden wieder auf und sprach also zu ihm:

 

Zweihundertundsiebenunddreißigste Nacht.

»Herr, das Schiff war nicht minder glücklich bei der Überfahrt mit dem Prinzen nach der Ebenholzinsel, als es bei der Ausfahrt gewesen war, um ihn aus der Stadt der Götzendiener zu holen. Obwohl es schon Nacht war, als der Hauptmann in dem Hafen anlegte, so unterließ er jedoch nicht, sogleich ans Land zu gehen und Kamaralsaman nach dem Palaste zu führen, wo er dem Könige vorgestellt zu werden verlangte.

Die Prinzessin Badur, die sich schon in den innern Palast zurückgezogen hatte, war nicht sobald von seiner Wiederkehr und Kamaralsamans Ankunft benachrichtigt, als sie herauskam, mit ihm zu sprechen. Zuerst warf sie die Augen auf den Prinzen, ihren Gemahl, um welchen sie seit ihrer Trennung so viele Tränen vergossen hatte, und erkannte ihn sogleich unter seinem schlechten Kleide. Der Prinz dagegen, der vor einem Könige zitterte, dem er von einer eingebildeten Schuld Rechenschaft geben sollte, hatte nicht einmal einen Gedanken daran, daß es diejenige wäre, die er so sehnlich wiederzufinden wünschte. Hätte die Prinzessin ihrer Neigung folgen dürfen, so wäre sie auf ihn zugestürzt und hätte sich durch eine Umarmung zu erkennen gegeben; aber sie glaubte, es wäre für sie beide rätlich, noch eine Weile die Rolle des Königs fortzuspielen, bevor sie sich zu erkennen gäbe. Sie begnügte sich also damit, daß sie einem gegenwärtigen Beamten befahl, Sorge für ihn zu tragen und ihn bis morgen wohl zu pflegen.

Nachdem die Prinzessin Badur für den Prinzen Kamaralsaman gesorgt hatte, belohnte sie auch den wichtigen Dienst, welchen der Schiffshauptmann ihr geleistet hatte: sie befahl einem andern Beamten, auf der Stelle hinzugehen und die an seine Waren gelegten Siegel abzunehmen, und entließ ihn mit einem kostbaren Diamanten, der ihn für die gemachte Fahrt weit über die Unkosten derselben belohnte. Ja, sie sagte ihm noch, daß er die für die Olivenkrüge bezahlten tausend Goldstücke nur behalten möchte; sie würde sich schon mit dem von ihm hergeführten Kaufmann abfinden.

Endlich begab sie sich wieder in das Zimmer der Prinzessin der Ebenholzinsel, der sie ihre Freude mitteilte, sie dabei jedoch bat, ihr Geheimnis noch zu bewahren, und ihr die Maßregeln vertraute, welche sie für dienlich hielt zu beobachten, bevor sie sich dem Prinzen Kamaralsaman und ihn selber für das zu erkennen gäbe, was er wäre. »Es ist,« fügte sie hinzu, »ein so großer Abstand von einem Gärtner zu einem hohen Fürsten, daß es gefährlich wäre, ihn in einem Augenblicke aus dem niedrigsten Stande des Volkes zur höchsten Stufe hinüberspringen zu lassen, so gerecht es auch wäre.«

Die Prinzessin der Ebenholzinsel, weit entfernt, treubrüchig zu werden, ging gern in ihren Plan ein und versicherte sie, daß sie selber mit größtem Vergnügen alles tun würde, was sie wünschte.

Am folgenden Morgen, nachdem die Prinzessin von China, unter dem Namen, Kleide und Ansehen eines Königs der Ebenholzinsel, dafür gesorgt hatte, daß der Prinz Kamaralsaman frühzeitig in ein Bad war geführt worden und das Kleid eines Emirs oder Statthalters angelegt hatte, ließ sie ihn in die Ratsversammlung einführen, wo er durch sein schönes Aussehen und durch das königliche Wesen seiner ganzen Person die Augen aller gegenwärtigen Herren auf sich zog.

Die Prinzessin Badur selber war bezaubert, ihn so liebenswürdig wiederzusehen, wie sie ihn so oft gesehen hatte, und dies ermutigte sie noch mehr, in der vollen Versammlung sein Lob zu erheben. Nachdem er auf ihren Befehl seinen Sitz im Range der Emire eingenommen hatte, sprach sie, indem sie sich zu den übrigen Emiren wandte: »Ihr Herren, Kamaralsaman, den ich euch heute zum Genossen gebe, ist der Stelle nicht unwürdig, welche er unter euch einnimmt: ich kenne ihn hinlänglich von meinen Reisen her, um für ihn Bürge zu sein; und ich kann versichern, daß er sich sowohl durch seine Tapferkeit und tausend andere gute Eigenschaften als durch die Größe seines Geistes auszeichnen wird.«

Kamaralsaman war höchst erstaunt, als er den König der Ebenholzinsel, den er weit entfernt war für eine Frau, geschweige für seine geliebte Prinzessin zu halten, sich nennen und ihn versichern hörte, daß er ihn kennte, und da er gewiß war, daß er nirgendwo mit ihm zusammengekommen, so war er noch erstaunter über die unmäßigen Lobsprüche, welche er hier von ihm empfing.

Diese zwar mit vieler Würde ausgesprochenen Lobeserhebungen brachten ihn jedoch nicht außer Fassung; er empfing sie mit einer Bescheidenheit, die genugsam bezeugte, daß er sie verdiente, aber daß sie ihn nicht eitel machten. Er warf sich vor dem Throne des Königs nieder, und indem er sich wieder erhob, sprach er:

»Herr, ich habe keine Worte, um Euer Majestät für die große Ehre zu danken, die sie mir erweiset; noch weniger vermag ich es für so viel Güte. Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um mich derselben würdig zu machen.«

Von der Ratsversammlung wurde der Prinz durch einen Beamten in einen Palast geführt, welchen die Prinzessin Badur schon eigens für ihn hatte einrichten lassen. Hier fand er Hausbeamte und Gesinde, seiner Befehle gewärtig, und einen Marstall voll sehr schöner Pferde. Die Prinzessin hatte dafür gesorgt, daß er die Emirswürde auch behaupten könnte, womit er soeben war beehrt worden; und als er in seine Zimmer getreten war, überreichte sein Haushofmeister ihm eine Kasse voll Goldstücke. Je weniger er begreifen konnte, woher dieses große Glück ihm käme, umsomehr war er in Verwunderung darüber; und nimmermehr hatte er einen Gedanken daran, daß die Prinzessin von China die Ursache desselben wäre.

Nach Verlauf von zwei oder drei Jahren wollte die Prinzessin Badur dem Prinzen Kamaralsaman noch mehr Zutritt zu ihr geben und zugleich ihn noch mehr auszeichnen, sie begnadete ihn also mit der Stelle des Großschatzmeisters, die eben erledigt war. Er verwaltete dieses Amt mit der höchsten Strenge und verpflichtete sich dabei gleichwohl alle Welt, so daß er sich durch seine Gerechtigkeit und Freigebigkeit nicht allein die Freundschaft aller Herren des Hofes erwarb, sondern selbst das Herz des ganzen Volkes gewann.

Kamaralsaman wäre der glücklichste aller Menschen gewesen, weil er sich in so hoher Gunst bei einem fremden König sah und bei allen Leuten einer Achtung genoß, die noch täglich zunahm, wenn er nur seine Prinzessin gehabt hätte. Mitten in seinem Glücke ließ er nicht ab, sich zu härmen, da er keine Kunde von ihr in einem Lande vernahm, durch welches sie, wie es schien, hätte kommen müssen, nachdem sie auf eine für beide so schmerzliche Weise von ihm getrennt worden war.

Er hätte auf die Spur kommen können, wenn die Prinzessin den Namen Kamaralsaman, welchen sie mit seinem Kleide angenommen, behalten hätte; aber sie hatte denselben bei ihrer Thronbesteigung abgelegt und zu Ehren des alten Königs, ihres Schwähers, den Namen Armanos angenommen. Solchergestalt kannte man sie nicht anders als unter dem Namen Königs Armanos des Jüngern, und nur einige Hofleute erinnerten sich noch des Namens Kamaralsaman, wie sie sich bei ihrer Ankunft auf der Ebenholzinsel nennen ließ. Kamaralsaman war noch nicht vertraut genug mit ihnen geworden, um dieses zu wissen; aber endlich konnte er es wohl erfahren.

Da nun die Prinzessin Badur fürchtete, daß dies geschähe, aber wünschte, daß Kamaralsaman ihre Wiedererkennung nur ihr allein verdanken sollte, so beschloß sie, ihrer eigenen Qual und zugleich den Leiden Kamaralsamans ein Ende zu machen. Denn sie hatte bemerkt, sooft sie sich von seinen Amtsgeschäften mit ihm unterhielt, daß er von Zeit zu Zeit Seufzer ausstieß, die nur ihr gelten konnten. Und sie selber lebte in einem Zwange, von welchem sie sich nunmehr befreien wollte. Die Freundschaft der Großen, die Gunst und die Liebe des Volks, alles trug übrigens dazu bei, sie der Krone der Ebenholzinsel ohne Hindernis zu versichern.

Sobald die Prinzessin Badur im Einverständnisse mit der Prinzessin Haïat-al-nefus diesen Entschluß gefaßt hatte, zog sie den Prinzen Kamaralsaman beiseite und sprach zu ihm:

»Kamaralsaman, ich habe mit Euch von einer weitläufigen Angelegenheit zu reden, in welcher ich Eures Rates bedarf. Da ich es nicht bequemer zu tun weiß als bei der Nacht, so kommt diesen Abend her und bestellt zu Hause, daß man nicht auf Euch warte: ich werde Euch ein Bette besorgen.«

Kamaralsaman verfehlte nicht, sich zu der von der Prinzessin Badur ihm bestimmten Stunde in dem Palast einzufinden. Sie nahm ihn mit sich in die inneren Gemächer und nachdem sie dem Oberhaupte der Verschnittenen, der sich anschickte, ihr zu folgen, angedeutet hatte, daß sie seiner Dienste nicht weiter bedürfte und er nur die Türe verschlossen halten sollte, so führte sie den Prinzen in ein anderes Zimmer als das, wo sie mit der Prinzessin Haïat-al-nefus zu schlafen pflegte.

Als der Prinz und die Prinzessin in diesem Gemache waren, wo ein Bette stand, und die Tür verschlossen war, zog die Prinzessin aus einer kleinen Büchse den Talisman, zeigte ihn Kamaralsaman und sprach dabei zu ihm: »Unlängst hat ein Sterndeuter mir diesen Talisman zum Geschenke gemacht: da Ihr nun bewandert in allen Dingen seid, so könnt Ihr mir wohl sagen, welche Kraft er hat.«

Kamaralsaman nahm den Talisman und näherte sich damit einer Kerze, um ihn zu betrachten. Mit einer Überraschung, welche die Prinzessin höchlich erfreute, erkannte er ihn alsbald und rief aus: »Herr, Euer Majestät fragt mich, welche Kraft dieser Talisman hat. Ach! er hat die Kraft, mich durch Schmerz und Kummer zu töten, wenn ich nicht bald die liebenswürdigste Prinzessin, die je unter der Sonne erschienen ist, wiederfinde, der er gehört, und deren Verlust er mir verursacht hat! Dies ist ein seltsames Abenteuer, dessen Erzählung Euer Majestät zum Mitleid mit einem unglücklichen Gatten und Liebenden bewegen würde, wenn sie Geduld haben wollte, dasselbe anzuhören.«

»Ihr sollt es mir ein andermal erzählen,« erwiderte die Prinzessin, »aber ich freue mich, Euch sagen zu können, daß ich schon etwas davon weiß: ich komme gleich wieder zu Euch, erwartet mich nur einen Augenblick.«

Mit diesen Worten trat die Prinzessin Badur in ein Seitengemach, wo sie den königlichen Turban ablegte, und nachdem sie eilig einen andern Hauptschmuck und ein Frauenkleid angelegt hatte nebst dem Gürtel, welchen sie am Tage ihrer Trennung trug, kam sie in das Zimmer zurück.

Der Prinz Kamaralsaman erkannte sogleich seine teure Prinzessin, lief auf sie zu und umarmte sie zärtlich mit dem Ausrufe: »Ach, wie danke ich dem Könige für diese wonnevolle Überraschung!«

»Erwarte nicht, den König wiederzusehen,« antwortete die Prinzessin, indem sie seine Umarmung mit Tränen im Auge erwiderte. »In mir siehst du ihn selber. Setzen wir uns, damit ich dir dies Rätsel auflöse.«

Hierauf erzählte die Prinzessin dem Prinzen, welchen Entschluß sie auf der Wiese, wo sie zuletzt ihr Lager aufgeschlagen, gefaßt hatte, nachdem sie eingesehen, daß sie ihn vergeblich erwartete; sie berichtete ihm, auf welche Weise sie denselben bis zu ihrer Ankunft auf der Ebenholzinsel ausgeführt, wo sie genötigt worden, Haïat-al-nefus zu heiraten und die Krone anzunehmen, welche der König Armanos ihr infolge dieser Vermählung dargeboten; wie die Prinzessin, deren Vorzüge sie erhob, die Entdeckung ihres Geschlechtes aufgenommen; und endlich das Abenteuer, wie sie in einem der gekauften Krüge voll Oliven und Goldstaub ihren Talisman wiedergefunden, der ihr ein Mittel gewährt hätte, ihn aus der Stadt der Götzendiener entführen zu lassen.

Als die Prinzessin Badur geendigt hatte, sollte der Prinz ihr auch erzählen, durch welches Abenteuer der Talisman die Ursache ihrer Trennung gewesen wäre. Er tat es, und am Schlusse beklagte er sich auf liebevolle Weise über ihre Grausamkeit, ihn so lange schmachten zu lassen. Sie teilte ihm die Gründe mit, die wir schon wissen, woraus sie, da es schon sehr spät war, sich zu Bette legten ...«

Scheherasade brach mit diesen letzten Worten ab, weil sie den Tag anbrechen sah. In der folgenden Nacht fuhr sie fort und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundachtunddreißigste Nacht.

»Herr, die Prinzessin Badur und der Prinz Kamaralsaman standen am folgenden Morgen, sobald es Tag war, auf. Aber die Prinzessin zog nicht mehr den Königsstaat, sondern ein Frauenkleid an; und als sie angekleidet war, schickte sie das Oberhaupt der Verschnittenen zum Könige Armanos, ihrem Schwäher, und ließ ihn bitten, sich in ihr Zimmer zu bemühen.

Als der König Armanos hinkam, war er sehr überrascht, eine Frau zu sehen, die ihm unbekannt war, und bei ihr den Großschatzmeister, dem es nicht zustand, den inneren Palast zu betreten, so wenig als irgend einem anderen Herrn des Hofes. Er setzte sich und fragte nach dem Könige.

»Herr,« erwiderte die Prinzessin, »gestern war ich König, heute bin ich nur die Prinzessin von China, Gemahlin des wirklichen Prinzen Kamaralsaman, des Sohnes des Königs Schachsaman. Wenn Euer Majestät geruhet, mit Geduld unsere Geschichte anzuhören, so hoffe ich, Ihr werdet mich nicht verdammen, Euch durch eine so verzeihliche List getäuscht zu haben.«

Der König Amanos gab ihr Gehör und vernahm ihre Geschichte mit Erstaunen von Anfang bis zu Ende.

»Herr,« fügte die Prinzessin am Schlusse hinzu, »obwohl in unserer Religion die Frauen sich wenig nach der Freiheit der Männer, mehrere Frauen zu nehmen, bequemen, so will ich gleichwohl, wenn Euer Majestät in die Vermählung der Prinzessin Haïat-al-nefus, Eurer Tochter, mit dem Prinzen Kamaralsaman willigt, ihr herzlich gern den Rang und Stand einer Königin abtreten, der ihr mit Recht gebührt, und mich mit dem zweiten Range begnügen. Ja, wenn dieser Vorzug ihr auch nicht gebührte, so würde ich doch nicht unterlassen, ihr denselben einzuräumen zum schuldigen Danke, daß sie mein Geheimnis so edelmütig bewahrt hat. Will Euer Majestät es auf ihre Einwilligung ankommen lassen, so habe ich sie schon darauf vorbereitet und bin gewiß, daß sie sehr zufrieden sein wird.«

Der König hörte die Rede der Prinzessin Badur mit Bewunderung an; und als sie geendigt hatte, wandte er sich zum Prinzen Kamaralsaman und sprach: »Mein Sohn, da die Prinzessin Badur, Eure Gemahlin, die ich bisher durch eine Täuschung, über welche ich mich nicht beklagen kann, für meinen Schwiegersohn hielt, mich versichert, daß sie gern Euer Bett mit meiner Tochter teilen will, so wünsche ich nur noch zu wissen, ob Ihr auch sie heiraten und die Krone annehmen wollt, welche die Prinzessin Badur ihr Lebelang zu tragen verdiente, wenn sie nicht vorzöge, dieselbe Euch zuliebe niederzulegen.«

»Herr,« antwortete der Prinz Kamaralsaman, »wie groß meine Sehnsucht ist, meinen Vater wiederzusehen, so sind jedoch meine Verpflichtungen gegen Euer Majestät und die Prinzessin Haïat-al-nefus so stark, daß ich Euch nichts abschlagen kann.«

Kamaralsaman wurde also als König ausgerufen, an demselben Tage mit großer Pracht vermählt und war durch die Schönheit, den Geist und die Liebe der Prinzessin Haïat-al-nefus sehr befriedigt.

In der Folge lebten die beiden Königinnen fortwährend in derselben Freundschaft und Eintracht wie zuvor und waren sehr zufrieden mit der Gleichheit, die Kamaralsaman gegen sie beobachtete, indem er abwechselnd sein Bette mit ihnen teilte.

Sie gebaren ihm in demselben Jahre jede einen Sohn, fast zu gleicher Zeit, und die Geburt der beiden Prinzen wurde mit großen Freudenfesten gefeiert.

Kamaralsaman gab dem ältesten, den die Königin Badur geboren hatte, den Namen Amgiad, und den von der Königin Haïat-al-nefus gebornen Sohn nannte er Assad.

 


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