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Geschichte der Prinzen Amgiad und Assad.

Die beiden Prinzen wurden mit großer Sorgfalt erzogen, und als sie zu reiferen Jahren kamen, hatten sie beide dieselben Hofmeister und dieselben Lehrer in den Wissenschaften und schönen Künsten, worin Kamaralsaman sie unterrichten lassen wollte, und dieselben Lehrmeister in allen Übungen. Die innige Freundschaft zwischen beiden von ihrer Kindheit an erzeugte diese Übereinstimmung des Geschmacks und der Studien, die sich stets vermehrte.

In der Tat, als sie zu dem Alter kamen, daß jeder ein besonderes Haus haben sollte, waren sie so innig verbunden, daß sie den König Kamaralsaman, ihren Vater, baten, ihnen nur ein Haus für sie beide zu bewilligen. Sie erhielten es, und so hatten sie dieselben Hausbeamten, dieselben Bedienten, denselben Marstall, dasselbe Wohnzimmer und denselben Tisch.

Allmählich hatte Kamaralsaman so großes Vertrauen auf ihre Tüchtigkeit und Geradheit, daß er, als sie das Alter von achtzehn Jahren erreicht hatten, keinen Anstand nahm, ihnen abwechselnd den Vorsitz im Staatsrate zu übertragen, sooft er Jagden von mehreren Tagen anstellte.

Da die beiden Prinzen gleich schön und wohlgebildet waren, so hatten von ihrer Kindheit an die beiden Königinnen eine unglaubliche Zärtlichkeit für sie, dergestalt zwar, daß die Königin Badur mehr Zuneigung für Assad, den Sohn der Königin Haïat-al-nefus, empfand als für ihren eigenen Sohn Amgiad und die Königin Haïat-al-nefus wiederum mehr für Amgiad als für Assad, ihren Sohn.

Die Königinnen hielten anfangs diese Zuneigung für eine Folge ihrer eigenen gegenseitigen Freundschaft. Aber in dem Maße, als die Prinzen älter wurden, ward daraus unvermerkt eine heftige Liebe, und diese stieg bald zur glühendsten Leidenschaft, als die beiden Prinzen ihren Augen in einer Anmut erschienen, welche ihre Verblendung vollendete. Die ganze Abscheulichkeit ihrer Leidenschaft war ihnen bewußt, und sie strengten alle Kraft an, ihr zu widerstehen; aber die Vertraulichkeit, mit welcher sie die Jünglinge täglich sahen, und die Gewohnheit, von der sie sich nicht mehr losreißen konnten, sie von ihrer Kindheit an zu bewundern und ihnen zu liebkosen, entzündeten ihre Liebe zu einem Grade, daß sie Schlaf und Eßlust verloren. Zu ihrem Unglück und zum Unglücke der Prinzen selber hatten diese, an ihre Zärtlichkeit gewöhnt, nicht den geringsten Verdacht von dieser abscheulichen Flamme.

Da die beiden Königinnen einander kein Geheimnis aus ihrer Leidenschaft gemacht, jedoch nicht die Schamlosigkeit hatten, sie mündlich dem Prinzen, welchen jede von ihnen besonders liebte, zu erklären, so kamen sie überein, es schriftlich zu tun, und zur Ausführung dieses unseligen Vorsatzes benutzten sie die Abwesenheit des Königs Kamaralsaman auf einer drei- oder viertägigen Jagd.

Am Tage der Abreise des Königs hatte Amgiad den Vorsitz im Rate und hielt Gericht bis zwei oder drei Uhr nachmittags. Als er nach der Sitzung in den Palast zurückkam, zog ein verschnittener ihn beiseite und überreichte ihm einen Zettel von der Königin Haïat-al-nefus. Amgiad nahm und las ihn mit Entsetzen. »Wie, Verräter,« sagt er hierauf zu dem Verschnittenen, indem er den Säbel zog, »ist das die Treue, welche du deinem Herrn und Könige schuldig bist?« Und mit diesen Worten hieb er ihm den Kopf ab.

Nach dieser Tat ging Amgiad, außer sich vor Zorn, zu der Königin Badur, seiner Mutter; mit einer Miene, die genugsam seinen Unwillen ausdrückte, zeigte er ihr den Brief und unterrichtete sie von dessen Inhalte, nachdem er ihr gesagt hatte, von wem er käme.

Anstatt ihn anzuhören, geriet die Königin Badur selber in Zorn. »Mein Sohn,« erwiderte sie, »was du mir da sagst, ist eine Verleumdung und Erdichtung: die Königin Haïat-al-nefus ist viel zu vernünftig, und ich finde es sehr verwegen von dir, mit solcher Unverschämtheit von ihr zu mir zu sprechen.«

Der Prinz entrüstete sich bei diesen Worten gegen die Königin, seine Mutter, und rief aus: »Ihr seid alle die eine noch schändlicher als die andere! Wenn mich die Ehrfurcht nicht zurückhielte, welche ich dem Könige, meinem Vater, schuldig bin, so sollte dies der letzte Tag für Haïat-al-nefus sein.«

Die Königin Badur konnte aus dem Beispiele ihres Sohnes Amgiad wohl ermessen, daß der Prinz Assad, der nicht minder tugendhaft war, die ähnliche Erklärung, die sie ihm zu machen vorhatte, nicht günstiger aufnehmen würde. Das verhinderte sie jedoch nicht, in einem so abscheulichen Vorsatze zu beharren, und sie schrieb ihm am folgenden Morgen ebenfalls einen Brief, welchen sie einer Alten, die Zutritt im Palast hatte, anvertraute.

Die Alte nahm auch die Gelegenheit wahr, dem Prinzen Assad beim Ausgange aus dem Rate, worin er an seinem Tage den Vorsitz gehabt hatte, den Zettel zu übergeben. Der Prinz nahm ihn und las und ließ sich vom Zorne dergestalt hinreißen, daß er, ohne sich die Mühe zu geben, zu Ende zu lesen, seinen Säbel zog und die Alte bestrafte, wie sie es verdiente. Er rannte nach dem Zimmer der Königin Haïat-al-nefus, seiner Mutter, mit dem Briefe in der Hand; er wollte ihr denselben zeigen; aber sie ließ ihm nicht Zeit dazu, ja ihn nicht einmal zu Worte kommen. »Ich weiß, was du mir sagen willst,« rief sie aus, »und du bist ebenso unverschämt als dein Bruder Amgiad. Hebe dich weg und komm mir nie mehr vor die Augen.«

Assad stand bestürzt bei diesen Worten, deren er sich nicht versehen hatte, und sie versetzten ihn in einen Zorn, welchen er schon auf unselige Weise zu äußern im Begriff war; aber er hielt sich zurück und ging weg, ohne ein Wort zu erwidern, aus Furcht, etwas seiner edlen Seele Unwürdiges zu sagen. Da der Prinz Amgiad so bescheiden gewesen war, ihm nichts von dem am vorigen Tag empfangenen Briefe zu sagen, er nun aber aus den Worten seiner Mutter ersah, daß sie nicht minder schuldig war als die Königin Badur, so ging er zu ihm, machte ihm freundschaftliche Vorwürfe über sein Schweigen und vermischte seinen Schmerz mit dem seinigen.

Die beiden Königinnen, voll Verzweiflung, in ihren beiden Söhnen eine Tugend gefunden zu haben, welche sie selber hätte zur Besinnung bringen sollen, entsagten allen natürlichen Gefühlen und trachteten vereint, sie zu verderben. Sie bildeten ihren Frauen ein, daß jene ihnen hätten Gewalt antun wollen, sie stellten sich auch ganz so an durch Weinen und Schreien und Verwünschungen, die sie gegen sie ausstießen, und legten sich beide in ein Bett, als wenn der Widerstand, den sie ihnen entgegengesetzt haben wollten, sie aufs äußerste gebracht hätte ...

Aber Herr,« sagte hier Scheherasade, »der Tag bricht an und legt mir Stillschweigen auf.« Sie schwieg, und in der folgenden Nacht setzte sie dieselbe Geschichte fort und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundneununddreißigste Nacht.

»Herr, wir ließen gestern die beiden unnatürlichen Königinnen in dem abscheulichen Vorsatze, die beiden Prinzen, ihre Söhne, zu verderben.

Als am folgenden Morgen der König Kamaralsaman von der Jagd zurückkam, war er sehr erstaunt, sie in einem Bette liegen zu finden, ganz verweint und in einem so gut verstellten Zustande, daß er zum Mitleide bewegt wurde. Er fragte sie hastig, was ihnen geschehen wäre.

Auf diese Frage verdoppelten die treulosen Königinnen ihr Seufzen und Schluchzen; und nachdem sie sich genug hatten bitten lassen, nahm endlich die Königin Badur das Wort. »Herr,« sagte sie, »der gerechte Schmerz, der uns ergriffen hat, ist so groß, daß wir das Tageslicht nicht mehr erblicken sollten nach der Schmach, welche die Prinzen, Eure Söhne, uns durch eine Zügellosigkeit ohnegleichen angetan haben. In Gemeinschaft haben sie, ihrer Geburt unwürdig, in Eurer Abwesenheit die Frechheit und Schamlosigkeit gehabt, unsere Ehe anzutasten. Euer Majestät erlasse uns, mehr davon zu sagen; unsere Betrübnis wird Euch genugsam das übrige erraten lassen.«

Der König ließ sogleich die beiden Prinzen rufen, und er hätte ihnen mit seiner eigenen Hand das Leben genommen, wenn der alte König Armanos, sein Schwäher, der gegenwärtig war, seinen Arm nicht zurückgehalten hätte. »Mein Sohn,« sagte er zu ihm, »was willst du tun? Willst du deine Hände und deinen Palast mit deinem eigenen Blute beflecken? Es gibt ja noch andere Mittel, sie zu bestrafen, wenn sie wirklich schuldig sind.« Er bemühte sich, ihn zu besänftigen, und bat ihn, ja genau zu untersuchen, ob sie wirklich das Verbrechen begangen hätten, dessen man sie anklagte.

Kamaralsaman konnte es wohl über sich gewinnen, nicht selber der Scharfrichter seiner Kinder zu sein; aber nachdem er sie hatte verhaften lassen, ließ er am Abend einen Emir namens Giandar kommen und trug ihm auf, ihnen außerhalb der Stadt, auf welcher Seite und so weit ab, als er wollte, das Leben zu nehmen und nicht ohne ihre Kleider, zum Zeugnisse des vollzogenen Befehls, zurückzukommen.

Giandar ritt die ganze Nacht hindurch mit den beiden Prinzen fort; am Morgen früh stieg er ab und machte ihnen mit Tränen in den Augen den erhaltenen Befehl bekannt. »Prinzen,« sagte er zu ihnen, »dieser Befehl ist sehr hart, und es ist für mich ein grausamer Schmerz, zum Vollstrecker desselben erwählt zu sein: wollte Gott, daß ich mich dessen überheben könnte!« – »Tut Eure Pflicht,« erwiderten die Prinzen; »wir wissen, daß Ihr nicht die Ursache unsers Todes seid: wir verzeihen ihn Euch von ganzem Herzen.«

Mit diesen Worten umarmten sich die Prinzen und sagten sich das letzte Lebewohl mit solcher Zärtlichkeit, daß sie sich lange nicht voneinander losreißen konnten. Der Prinz Assad bot sich zuerst dar, den Todesstreich zu empfangen. »Beginne mit mir,« sprach er zu Giandar, »damit ich nicht den Schmerz habe, meinen lieben Bruder Amgiad sterben zu sehen.« Amgiad wollte es nicht zugeben, und Giandar konnte nicht, ohne noch mehr Tränen zu vergießen als zuvor, Zeuge ihres Wettstreits sein, welcher bewies, wie aufrichtig und vollkommen ihre Freundschaft war.

Sie schlichteten endlich diesen rührenden Streit und baten Giandar, sie zusammenzubinden und sie in die bequemste Lage zu setzen, daß er ihnen beiden zugleich den Todesstreich geben könnte, »verweigert nicht,« fügten sie hinzu, »diesen Trost, zusammen zu sterben, zwei unglücklichen Brüdern, welche, auch bis auf ihre Unschuld, alles gemein gehabt haben, solange sie auf der Welt sind.«

Giandar gewährte den beiden Prinzen ihren Wunsch: er band sie, und als er ihnen die, wie er glaubte, angemessenste Stellung gegeben hatte, um ihnen, ohne zu fehlen, mit einem Streiche die Häupter abzuschlagen, fragte er sie, ob sie vor ihrem Tode ihm noch etwas aufzutragen hätten.

»Wir bitten Euch nur um eins,« antworteten die beiden Prinzen, »nämlich, bei Eurer Rückkehr den König, unsern Vater, fest zu versichern, daß wir unschuldig sterben, ihm jedoch nicht die Vergießung unsers Blutes zurechnen. Denn wir wissen, daß er von der Wahrheit des uns angeschuldigten Verbrechens nicht recht unterrichtet ist.«

Giandar versprach ihnen, es nicht zu unterlassen, und zog zugleich seinen Säbel. Sein an einen Baum neben ihm gebundenes Pferd ward von dieser Bewegung und dem Blinken des Säbels scheu, zerriß den Zaum, sprang fort und lief, was es laufen konnte, über das Feld dahin.

Es war ein kostbares und reich aufgeschirrtes Roß, welches Giandar ungern verlieren wollt. Verwirrt durch diesen Zufall, warf er, anstatt den Prinzen den Kopf abzuhauen, den Säbel weg und lief seinem Pferde nach, um es wiederzufangen.

Das mutige Roß machte vor Giandar mehrere Seitensprünge, führte ihn so bis zu einem Walde und lief hinein. Giandar folgte ihm auch hier: das Wiehern des Rosses erweckte einen schlafenden Löwen, der Löwe lief hervor, und anstatt auf das Roß loszugehen, kam er gerade auf Giandar zu, sobald er ihn erblickte.

Giandar dachte nun nicht mehr an sein Roß: er war jetzt in größter Sorge für die Erhaltung seines Lebens und mußte dem Angriffe des Löwen ausweichen, der ihn nicht aus dem Gesichte verlor, sondern ihn durch die Bäume nahe verfolgte. In dieser höchsten Not sprach er bei sich selber: »Gott würde mir nicht diese Strafe zuschicken, wenn die Prinzen, deren Tod mir befohlen ist, nicht unschuldig wären: zu meinem Unglücke habe ich nicht einmal meinen Säbel, mich zu verteidigen.«

Während Giandars Entfernung empfanden die beiden Prinzen einen gleich brennenden Durst, den die Todesangst ihnen verursachte, ungeachtet ihrer edelmütigen Ergebung in den grausamen Befehl ihres Vaters. Der Prinz Amgiad machte seinem Bruder Assad bemerklich, daß nicht weit von ihnen eine Quelle wäre, und schlug ihm vor, sich loszubinden, um hinzugehen und zu trinken. »Mein Bruder,« erwiderte der Prinz Assad, »für die kurze Zeit, die wir noch zu leben haben, verlohnt es sich nicht der Mühe, unsern Durst zu stillen: wir können ihn wohl noch einige Augenblicke aushalten.«

Ungeachtet dieser Einwendung band Amgiad sich los und auch seinen Bruder wider dessen Willen; sie gingen zu der Quelle, und nachdem sie sich erfrischt hatten, hörten sie in dem Walde, wohin Giandar seinem Rosse gefolgt war, das Gebrüll des Löwen und lautes Geschrei. Amgiad ergriff sogleich den Säbel, den Giandar weggeworfen hatte, und sagte zu Assad: »Mein Bruder, laß uns dem unglücklichen Giandar zu Hilfe eilen: vielleicht kommen wir noch zeitig genug, ihn aus der Gefahr, worin er ist, zu befreien.«

Die beiden Prinzen verloren keine Zeit und kamen in demselben Augenblicke an, da der Löwe den Giandar niedergeworfen hatte. Als der Löwe den Prinzen Amgiad mit geschwungenem Säbel auf sich zukommen sah, ließ er seine Beute fahren und sprang wütend gerade auf ihn los; der Prinz erwartete ihn unerschrocken und versetzte ihm einen so gewaltigen und geschickten Schlag, daß er tot niederstürzte.

Sobald Giandar erkannte, daß er den beiden Prinzen das Leben verdankte, warf er sich ihnen zu Füßen und dankte ihnen für die große Verpflichtung, die er ihnen hatte, in Ausdrücken, die seine vollkommene Erkenntlichkeit bezeigten. »Prinzen,« sprach er zu ihnen, indem er wieder aufstand und ihnen mit Tränen in den Augen die Hand küßte, »Gott behüte mich, daß ich noch euer Leben fordern sollte nach einer so großen und glänzenden Hilfe, als ihr mir jetzt geleistet habt! Nimmer soll man dem Giandar vorwerfen, daß er einer so großen Undankbarkeit fähig gewesen sei.«

»Der Dienst, den wir Euch geleistet haben,« erwiderten die Prinzen, »darf Euch nicht abhalten, Euren Befehl zu vollziehen. Wir wollen erst Euer Pferd wieder fangen und dann nach dem Orte zurückkehren, wo Ihr uns verlassen hattet.«

Sie hatten nicht viel Mühe, das Roß wiederzufangen, nachdem seine Wildheit vergangen und es stehengeblieben war.

Aber als sie wieder bei der Quelle waren, konnten sie durch all ihr Bitten und Zureden den Emir Giandar doch nimmer dahin bringen, sie zu töten. »Das einzige, was ich mir die Freiheit nehme von Euch zu fordern,« sagte er zu ihnen, »und um dessen Bewilligung ich euch bitte, ist, daß ihr euch mit dem behelft, was ich euch von meinen Kleidern anbieten kann, mir dagegen die eurigen gebt und so weit weggeht, daß der König, euer Vater, nimmer von euch reden höre.«

Die Prinzen waren gezwungen, sich seinem Willen zu fügen; und nachdem sie ihm ihre Kleider gegeben und sich mit dem bedeckt hatten, was er ihnen von den seinigen gab, nötigte sie der Emir Giandar, alles anzunehmen, was er an Gold und Silber bei sich hatte, und nahm Abschied von ihnen.

Als der Emir Giandar sich von den Prinzen getrennt hatte, ritt er durch den Wald, färbte dort ihre Kleider mit dem Blute des Löwen und setzte seinen Weg nach der Hauptstadt der Ebenholzinsel fort.

Bei seiner Ankunft fragte ihn der König Kamaralsaman, ob er treulich den ihm gegebenen Befehl vollzogen hätte. »Herr,« antwortete Giandar, indem er ihm die Kleider der Prinzen überreichte, »hier sind die Zeugnisse davon.«

»Sage mir,« fragte der König weiter, »auf welche Weise empfingen sie die Strafe, die ich ihnen antun ließ?«

»Herr,« erwiderte Giandar, »sie empfingen sie mit bewundernswürdiger Standhaftigkeit und mit einer Hingebung in den Willen Gottes, welche die Aufrichtigkeit ihres Glaubensbekenntnisses bezeugte; vorzüglich aber mit großer Ehrfurcht für Euer Majestät und mit einer unbegreiflichen Unterwerfung unter ihr Todesurteil. »Wir sterben unschuldig,« sagten sie, »aber wir murren deshalb nicht. Wir empfangen unsern Tod von der Hand Gottes und verzeihen ihn dem König, unserm Vater: wir wissen sehr wohl, daß er nicht recht von der Wahrheit unterrichtet ist.«

Kamaralsaman, innig gerührt über diesen Bericht des Emirs Giandar, verfiel darauf, die Taschen in den Kleidern der beiden Prinzen zu durchsuchen, und begann bei denen Amgiads. Er fand darin einen Brief, öffnete ihn und las ihn. Er erkannte bald, daß die Königin Haïat-al-nefus ihn geschrieben hatte, nicht allein an der Handschrift, sondern auch an einer kleinen darinliegenden Haarlocke, und schauderte. Zitternd untersuchte er auch Assads Taschen, und der Brief der Königin Badur, den er darin fand, traf ihn mit einem so plötzlichen und gewaltigen Schlage, daß er in Ohnmacht fiel ...«

Die Sultanin Scheherasade bemerkte bei diesen letzten Worten, daß der Tag anbrach, hielt inne und schwieg. In der folgenden Nacht nahm sie den Faden der Geschichte wieder auf und sagte zum Sultan von Indien:

 

Zweihundertundvierzigste Nacht.

»Herr, nimmer glich ein Schmerz demjenigen, den Kamaralsaman bezeigte, sobald er aus der Ohnmacht wieder zu sich kam. »Was hast du getan, grausamer Vater?« rief er aus. »Du hast deine eigenen Kinder gemordet! Meine armen Söhne! Ihre Weisheit, ihre Bescheidenheit, ihr Gehorsam, ihre Unterwerfung unter jeglichen deinen Willen, ihre Tugenden, sprachen sie bei dir nicht laut genug zu ihrer Verteidigung? Verdienst du wohl, daß die Erde dich noch trägt nach einem so scheußlichen Verbrechen? – Ich habe mich selber in diese Schmach gestürzt, und es ist die Strafe Gottes, die mich trifft, daß ich nicht in dem Abscheu gegen die Weiber beharrte, mit welchem ich geboren wurde. Ich will euer Verbrechen nicht durch euer Blut abwaschen, ihr abscheulichen Weiber! Nein, ihr seid meines Zornes nicht würdig. Aber der Zorn des Himmels möge mich treffen, wenn ich euch jemals wiedersehe!«

Der König Kamaralsaman hielt seinen Eid gewissenhaft. Er ließ denselben Tag noch die beiden Königinnen jede in ein abgesondertes Zimmer bringen, worin sie unter strenger Aufsicht blieben, und sein Lebelang nahte er sich ihnen nicht mehr.

Während der König Kamaralsaman sich so über den Verlust der beiden Prinzen, seiner Söhne, betrübte, irrten diese in den Wüsten umher, indem sie vermieden, bewohnten Gegenden zu nahen und irgend einem Menschen zu begegnen; sie lebten nur von Kräutern und wilden Früchten und tranken nur trübes Regenwasser, das sie in den Felsenhöhlungen fanden. Während der Nacht schliefen und wachten sie wechselweise, um sich von den wilden Tieren zu schützen.

Nach Verlauf eines Monats gelangten sie an den Fuß eines furchtbaren Berges, ganz von schwarzem Gestein und, wie es schien, unersteiglich. Sie bemerkten dennoch einen betretenen Weg; aber er war so schmal und steil, daß sie nicht wagten, sich darauf einzulassen. In der Hoffnung, einen minder rauhen Weg zu finden, gingen sie am Fuße des Berges hin und wunderten so fünf Tage lang fort; aber ihre Mühe war vergeblich: sie waren genötigt, zu dem vorher verschmähten Wege zurückzukehren. Sie fanden ihn so wenig gangbar, daß sie lange Überlegungen anstellten, ehe sie sich entschlossen, ihn zu betreten. Endlich ermutigten sie sich und stiegen hinauf.

Je weiter die beiden Prinzen kamen, je höher und schroffer schien ihnen der Berg, und sie waren mehrmals in Versuchung, ihr Unternehmen aufzugeben. Wenn der eine müde war und der andere es bemerkte, so stand er still, und beide schöpften wieder Atem. Manchmal waren alle beide so ermüdet, daß ihnen die Kräfte versagten: dann gedachten sie nicht weitersteigen zu können, sondern vor Mattigkeit und Erschöpfung zu sterben. Wenn sie aber nach einigen Augenblicken ihre Kräfte ein wenig zurückkehren fühlten, faßten sie sich wieder Mut und setzten ihren Weg fort.

Trotz ihrer Arbeit, ihrer Beharrlichkeit und ihren Anstrengungen war es ihnen doch nicht möglich, mit dem Ende des Tages den Gipfel zu erreichen. Die Nacht überfiel sie, und der Prinz Assad fühlte sich so ermüdet, und seine Kräfte waren so erschöpft, daß er stehen blieb. »Mein Bruder,« sagte er zum Prinzen Amgiad, »ich kann nicht mehr, ich muß den Geist aufgeben.« – »Wir wollen uns ausruhen, solange es dir gefällt,« erwiderte Amgiad, indem er mit ihm stehen blieb, »und laß den Mut nicht sinken. Du siehst, wir haben nicht mehr viel zu steigen, und der Mond ist uns günstig.«

Nach einer guten halben Stunde Ruhe machte Assad einen neuen Ansatz, und endlich erreichten sie den Gipfel des Berges, wo sie abermals ausruhten.

Amgiad stand zuerst wieder auf und sah vor sich in geringer Entfernung einen Baum. Er ging bis dahin und fand einen Granatbaum mit reichen Früchten beladen und am Fuße desselben eine Quelle. Er lief zurück zu Assad, verkündigte ihm die gute Neuigkeit und führte ihn unter den Baum bei der Quelle. Sie erquickten sich, aßen jeder eine Granate und schliefen ein.

Als am folgenden Morgen die Prinzen erwacht waren, sagte Amgiad zu Assad: »Auf, mein Bruder, laß uns unsern Weg fortsetzen, ich sehe, daß der Berg auf dieser Seite viel gemächlicher ist als auf der andern, und wir dürfen nur hinabsteigen.«

Aber Assad war von der Anstrengung des vorigen Tages dermaßen ermüdet, daß er nicht weniger als drei Tage bedurfte, um sich völlig herzustellen. Sie unterhielten sich, wie sie schon mehrmals getan hatten, von der unnatürlichen Liebe ihrer Mütter, welche sie in diesen bejammernswürdigen Zustand versetzt hatte. »Aber,« sagten sie, »da Gott sich auf so sichtbare Weise unser angenommen hat, so müssen wir alle unsere Leiden mit Geduld ertragen und uns mit der Hoffnung trösten, daß er ihnen endlich ein Ziel setzen wird.«

Nach Verlauf der drei Tage machten die beiden Brüder sich wieder auf den Weg; und da das Gebirge von dieser Seite sich in mehreren weiten Gefilden abstufte, so gebrauchten sie fünf Tage, bevor sie in die Ebene kamen. Endlich entdeckten sie mit vieler Freude eine große Stadt. »Mein Bruder,« sagte hieraus Amgiad zu Assad, »bist du mit mir derselben Meinung, so bleib hier außerhalb der Stadt an irgend einem Orte, wo ich dich wiederfinde, während ich auf Kundschaft hineingehe, um zu erfahren, wie die Stadt heißt, und in welchem Lande wir sind; auch werde ich dafür sorgen, Lebensmittel mitzubringen. Es ist ratsam, daß wir nicht sogleich alle beide hineingehen, wenn etwa Gefahr zu fürchten wäre.«

»Mein Bruder,« versetzte Assad, »ich billige ganz deinen Rat, er ist weise und vorsichtig; wenn aber einer von uns beiden allein hineingehen soll, so werde ich nie zugeben, daß du es bist, sondern du wirst erlauben, daß ich es übernehme. Welcher Schmerz würde es für mich sein, wenn dir ein Unglück begegnete!«

»Aber, mein Bruder,« entgegnete Amgiad, »dasselbe, was du für mich fürchtest, muß ich für dich fürchten; ich bitte dich, mich gewähren zu lassen und mich mit Geduld zu erwarten.«

»Ich werde es nie zugeben,« erwiderte Assad; »und wenn mir etwas zustößt, so habe ich doch den Trost, zu wissen, daß du in Sicherheit bist.«

Amgiad war genötigt, nachzugeben, und blieb unter den Bäumen am Fuße des Berges.

 


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