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Zweihundertundfünfundvierzigste Nacht.

Fortsetzung der Geschichte des Prinzen Assad.

Assad war unterdessen stets in dem Loche gefesselt, worin er durch die Gewandtheit des arglistigen Greises versperrt worden, und Bostane und Kavame, die Töchter des Alten, mißhandelten ihn fortwährend mit derselben Grausamkeit und Unmenschlichkeit.

So nahte das große Fest der Feueranbeter heran. Man rüstete das Schiff aus, welches gewöhnlich die Fahrt nach dem Feuerberge machte; man belud es mit Waren unter der Leitung eines Hauptmanns namens Behram, eines großen Eiferers für die Religion der Magier. Als es in Bereitschaft war, unter Segel zu gehen, ließ Behram auch Assad einschiffen, und zwar in einer halb mit Waren angefüllten Riste, deren Bretter Öffnungen genug hatten, um die ihm zum Atemholen nötige Luft einzulassen; und so ließ er die Kiste in den untersten Schiffsraum hinabsenken.

Ehe das Schiff unter Segel ging, wollte der Großwesir Amgiad, Assads Bruder, es untersuchen, weil er Kunde hatte, daß die Feueranbeter jedes Jahr einen Muselmann auf dem Feuerberge zu opfern pflegten, und daß Assad, der vielleicht in ihre Hände gefallen war, wohl zu dieser blutigen Feier bestimmt sein könnte. Er ging also selber hin, ließ alle Matrosen und Reisenden auf das Verdeck treten, während seine Leute das ganze Schiff durchsuchten: aber Assad wurde nicht gefunden, er war zu gut versteckt.

Nach geschehener Durchsuchung verließ das Schiff den Hafen; und als es auf offener See war, befahl Behram, den Prinzen Assad aus der Kiste zu ziehen, und ließ ihn an eine Kette legen, um sich seiner zu versichern, aus Furcht, er möchte sich, weil er wohl wußte, daß man ihn opfern wollte, verzweiflungsvoll ins Meer stürzen.

Nach einigen Tagen ward der günstige Wind widrig, und zwar auf eine Weise, daß er zum wütendsten Sturm anwuchs. Das Schiff verlor nicht allein ganz seine Richtung, sondern Behram und sein Steuermann wußten auch selbst nicht mehr, wo sie waren, und sie fürchteten, jeden Augenblick auf eine Klippe zu stoßen und daran zu scheitern. Als der Sturm am heftigsten war, entdeckten sie Land, und Behram erkannte es für die Gegend, wo der Hafen und die Hauptstadt der Königin Margiane lag, und war darüber sehr bestürzt. Denn die Königin Margiane war dem Islam zugetan und tödliche Feindin der Feueranbeter. Nicht allein duldete sie keinen in ihren Staaten, sondern sie erlaubte sogar keinem ihrer Schiffe, darin zu landen.

Unterdessen stand es nicht mehr in Behrams Gewalt, den Hafen ihrer Hauptstadt zu vermeiden, wenn er nicht gegen die Küste laufen und daran zerschellen wollte, da sie von furchtbaren Felsen umstarrt war. In dieser äußersten Not ging er mit seinem Steuermann und seinen Matrosen zu Rate. »Kinder,« sprach er, »ihr seht die Not, worin wir uns befinden. Wir haben nur zwischen zwei Dingen zu wählen: entweder müssen wir uns von den Wellen verschlingen lassen oder uns zu der Königin Margiane retten. Aber ihr unversöhnlicher Haß gegen unsere Religion und alle Bekenner derselben ist euch bekannt. Sie wird nicht verfehlen, sich unsers Schiffes zu bemächtigen und uns alle erbarmungslos umbringen zu lassen. Ich sehe nur ein einziges Mittel, das uns vielleicht retten kann. Ich meine, daß wir den Muselmann, den wir hier an der Kette haben, losmachen und ihn als Sklaven ankleiden. Wenn nun die Königin Margiane mich vor sich kommen läßt und mich nach meinem Gewerbe fragt, so will ich ihr antworten, ich sei ein Sklavenhändler und habe alle schon verkauft, die ich gehabt, bis auf einen, dessen ich mich als Schreiber bediene, weil er lesen und schreiben könne. Sie wird ihn sehen wollen; und da er wohlgebildet und überdies von ihrer Religion ist, so wird sie, von Mitleid gerührt, nicht unterlassen, mir anzumuten, daß ich ihn ihr verkaufe, und sich dafür erbieten, uns in ihrem Hafen zu dulden bis zum nächsten günstigen Wetter. Wißt ihr etwas Besseres, so saget es mir, ich werde es gern hören.«

Der Steuermann und die Matrosen stimmten seinem Vorschlage bei, der auch sogleich ausgeführt wurde –«

Die Sultanin Scheherasade war genötigt, bei diesen letzten Worten stehenzubleiben, weil der Tag sich schon blicken ließ.

Sie nahm dieselbe Erzählung in der folgenden Nacht wieder auf und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundsechsundvierzigste Nacht.

»Herr, Behram ließ den Prinzen Assad von der Kette losmachen, ihn sehr sauber in Sklaventracht kleiden, wie es seinem Schiffsschreiber geziemte, als welchen er ihn der Königin Margiane vorstellen wollte. Er hatte kaum alles so eingerichtet, wie er wünschte, als das Schiff in den Hafen einlief, wo er Anker werfen ließ.

Sobald die Königin Margiane, deren Palast am Meere gelegen war, so daß der Garten sich bis ans Gestade erstreckte, das Schiff anlegen sah, sandte sie nach dem Hauptmann desselben, daß er zu ihr kommen sollte, und um desto eher ihre Neugier zu befriedigen, ging sie in den Garten, ihn dort zu erwarten.

Behram, der sich dieser Aufforderung wohl versehen hatte, schiffte sich mit dem Prinzen Assad aus, nachdem er ihm eingeschärft hatte, zu bestätigen, daß er sein Sklave und Schreiber wäre, und wurde vor die Königin Margiane geführt.

Er warf sich ihr zu Füßen; und nachdem er ihr die Notwendigkeit vorgestellt hatte, die ihn gezwungen, in ihrem Hafen eine Zuflucht zu suchen, sagte er ihr, er wäre ein Sklavenhändler, und Assad, den er mitgebracht, wäre der einzige ihm noch übrige Sklave, den er behielte, um sich seiner als Schreiber zu bedienen.

Assad hatte der Königin Margiane gleich beim ersten Anblicke gefallen, und sie freute sich, zu vernehmen, daß er ein Sklave wäre. Entschlossen, ihn für jeden Preis zu kaufen, fragte sie Assad, wie er hieße.

»Erhabene Königin,« antwortete Assad mit Tränen im Auge, »fragt Euer Majestät nach dem Namen, den ich vormals führte, oder nach dem, den ich jetzt führe?«

»Wie!« versetzte die Königin, »habt Ihr denn zwei Namen?«

»Ach, leider verhält es sich so!« antwortete Assad. »Ehemals hieß ich Assad, jetzt aber heiße ich Motar.«

Margiane, die den wahren Sinn dieser Worte nicht durchschauen konnte, bezog ihn auf seinen Sklavenstand und erkannte zugleich, daß er viel Geist hatte.

»Da Ihr Schreiber seid,« sagte sie hierauf zu ihm, »so werdet Ihr ohne Zweifel gut schreiben können: lasset mich Eure Handschrift sehen.«

Assad war mit Papier und einem Schreibzeuge an seinem Gürtel durch Behrams Sorgfalt versehen, der dieses Zubehör nicht vergessen hatte, um die Königin von seinem Vorgeben zu überzeugen, und schrieb sogleich folgende Sprüche:

»Oft entgeht der Blinde einer Grube, in welche der Hellsehende hinabstürzt.

Oft gereicht ein Wort dem Toren zum Gewinne, welches den Weisen in Unglück bringt.

Oft wird der Rechtgläubige in seinem Lebensunterhalte beengt, während der Ungläubige im Überflusse schwelget.

Der Klügste kann in solchen Lagen sich nicht helfen; denn der Allmächtige hat dieses alles so geordnet.«

Assad überreichte das Blatt der Königin Margiane, die nicht weniger das Sinnvolle der Sprüche als die Schönheit der Schriftzüge bewunderte; und es bedurfte nichts mehr, um ihr Herz vollends zu entzünden und sie zum innigen Mitleid mit ihm zu rühren.

Sobald sie alles gelesen hatte, wandte sie sich zu Behram und sprach: »Ihr habt die Wahl, mir diesen Sklaven zu verkaufen oder mir ein Geschenk damit zu machen; vielleicht werdet Ihr besser Eure Rechnung dabei finden, wenn Ihr das letztere wählet.«

Behram erwiderte unverschämt genug, daß er hier nicht zu wählen hätte, sondern seinen Sklaven selber gebrauchte und ihn also behalten wollte.

Die Königin Margiane, erzürnt über diese Dreistigkeit, wollte nicht weiter mit Behram sprechen; sie nahm den Prinzen Assad beim Arme, ließ ihn vor sich hergehen und führte ihn in ihren Palast; an Behram aber ließ sie sagen: sie würde alle seine Waren in Beschlag nehmen und sein Schiff mitten im Hafen in Brand stecken lassen, wenn er die Nacht dort bliebe.

Behram war genötigt, sehr verdrießlich nach seinem Schiffe zurückzukehren und alle Vorbereitungen zu treffen, um wieder unter Segel zu gehen, obgleich der Sturm sich noch nicht völlig gelegt hatte.

Die Königin Margiane, die beim Eintritt in ihren Palast befohlen hatte, schleunig das Abendessen aufzutragen, führte Assad in ihr Zimmer, wo sie ihn neben sich sitzen ließ. Assad sträubte sich, indem er sagte, daß diese Ehre einem Sklaven nicht gebührte.

»Einem Sklaven!« erwiderte die Königin; »vor einem Augenblicke noch waret Ihr es, aber jetzt seid Ihr es nicht mehr. Setzet Euch neben mich, sage ich, und erzählet mir Eure Geschichte; denn was Ihr mir da geschrieben habt, um mir Eure Handschrift zu zeigen, und die Unverschämtheit dieses Sklavenhändlers geben mir zu erkennen, daß sie außerordentlich sein muß.«

Der Prinz Assad gehorchte, und als er sich gesetzt hatte, sagte er: »Mächtige Königin, Euer Majestät täuschet sich nicht; meine Geschichte ist in der Tat außerordentlich, und mehr, als man sich vorstellen kann. Die Leiden, die unglaublichen Qualen, die ich ausgestanden habe, und die Todesart, zu welcher ich bestimmt war, und wovon Eure wahrhaft königliche Großmut mich befreit hat, werden Euch die Größe einer Wohltat ermessen lassen, die ich niemals vergessen werde. Aber bevor ich auf diese schauderhafte Erzählung komme, muß ich vom Ursprunge meines Unglücks ausholen.«

Nach diesem Eingange, welcher die Neugier der Königin Margiane noch vermehrte, begann Assad und erzählte ihr von seiner und seines Bruders königlicher Geburt, von ihrer gegenseitigen Freundschaft, von der sträflichen Liebe ihrer Stiefmütter, die sich in den wütendsten Haß verwandelte und die Quelle ihres seltsamen Schicksals war. Er kam dann auf den Zorn des Königs, seines Vaters, auf die fast wunderbare Weise ihrer Lebensrettung und endlich auf den Verlust seines Bruders und auf sein so langes und qualvolles Gefängnis, aus welchem man ihn nur gezogen hatte, um ihn auf dem Feuerberge zu opfern.

Bis Assad seine Erzählung beendigt hatte, sagte die Königin Margiane, dadurch noch mehr als jemals gegen die Feueranbeter aufgeregt: »Prinz, ungeachtet des Abscheus, den ich stets gegen die Feueranbeter gehabt, habe ich ihnen doch immer noch viel Menschlichkeit bewiesen; aber nach der unmenschlichen Behandlung, die Ihr von ihnen erlitten habt, und der abscheulichen Absicht, Euch selber zum Schlachtopfer darzubringen, erkläre ich ihnen von nun an eine unversöhnliche Feindschaft.«

Sie wollte sich noch weiter hierüber verbreiten; aber es wurde aufgetragen, und sie setzte sich mit dem Prinzen Assad zu Tische, bezaubert von seinem Anblick und von seinen Reden und schon durch eine Leidenschaft für ihn eingenommen, zu deren Mitteilung sie bald eine Gelegenheit zu finden hoffte.

»Prinz,« sprach sie zu ihm, »man muß Euch die langen Fasten und die bösen Mahlzeiten, zu welchen die erbarmungslosen Feueranbeter Euch genötigt haben, vergüten: nach so langen Leiden bedürft Ihr der Erquickung.« Und mit diesen und mehreren ähnlichen Worten legte sie ihm zu essen vor und ließ ihm eine Schale nach der andern einschenken. Die Mahlzeit dauerte lange, und der Prinz trank etwas mehr, als er vertragen konnte.

Als die Tafel aufgehoben war, hatte Assad nötig, hinauszugehen, und nahm die Zeit so gut wahr, daß es die Königin nicht bemerkte. Er stieg in den Hof hinab, und da er die Gartentüre offen sah, trat er hinein. Angezogen durch die mannigfaltigen Schönheiten des Gartens, wandelte er darin eine Weile umher und ging endlich zu einem Springbrunnen, der den Garten höchst anmutig machte; hier wusch er sich die Hände und das Gesicht, um sich zu erfrischen, und indem er sich auf dem Rasen, der das Wasserbecken umgab, ausruhen wollte, schlief er ein.

Die Nacht brach jetzt an, und Behram, der die Drohung der Königin Margiane nicht wollte zur Vollstreckung kommen lassen, hatte schon die Anker gelichtet, sehr verdrießlich über den Verlust Assads und über die getäuschte Hoffnung, ihn zum Schlachtopfer darzubringen. Er suchte sich gleichwohl zu trösten, da der Sturm sich gelegt hatte und ein Wind vom Lande her seine Abfahrt begünstigte.

Sobald er sich mit Hilfe seines Bootes aus dem Hafen bugsiert hatte, sagte er, bevor er es in das Schiff hinaufziehen ließ, zu den Matrosen darin: »Kinder, steiget noch nicht herauf, ich will euch Fässer geben lassen, um Wasser einzunehmen, und euch hier an der Küste erwarten.« Die Matrosen wußten nicht, wo sie Wasser schöpfen könnten, und machten Schwierigkeit. Aber da Behram bei dem Gespräche mit der Königin im Garten den Springbrunnen bemerkt hatte, fuhr er fort: »Landet nur bei dem Garten am Palaste, steiget über die Mauer, die nur so hoch als eine Lehne ist, und ihr werdet Wasser genug in dem Wasserbecken mitten im Garten finden.«

Die Matrosen ruderten hin und landeten, wo Behram sie angewiesen hatte; und nachdem jeder beim Aussteigen ein Faß auf die Schulter genommen, stiegen sie gemächlich über die Mauer. Indem sie sich dem Wasserbecken näherten, sahen sie am Rande desselben einen Mann liegen und schlafen, traten heran und erkannten ihn für Assad. Sie teilten sich sogleich; und während die einen ihre Wasserfässer mit so wenig Geräusch als möglich füllten, umringten die andern Assad und beobachteten ihn, um ihn festzuhalten, wenn er etwa erwachte. Er ließ ihnen volle Zeit zu allem; und sobald jene die Fässer gefüllt und wieder auf die Schultern geladen hatten, bemächtigten die andern sich seiner und schleppten ihn, ohne ihm Zeit zur Besinnung zu lassen, mit fort; sie stiegen mit ihm über die Mauer, schifften ihn mit ihren Tonnen ein und ruderten aus aller Macht nach dem Schiffe. Als sie nahe am Bord waren, riefen sie mit Freudengeschrei aus: »Hauptmann, lasset Eure Pfeifen und Trommeln aufspielen, wir bringen Euch Euren Sklaven wieder!«

Behram, der nicht begreifen konnte, wie seine Matrosen den Assad wiederfinden und fangen konnten, und ihn wegen der Dunkelheit der Nacht auch nicht in dem Boote sehen konnte, erwartete mit Ungeduld, bis sie wieder aufs Schiff gestiegen wären, um sie zu fragen, was sie damit meinten. Aber als er ihn vor seinen Augen sah, konnte er sich vor Freuden nicht halten; und ohne sich zu erkundigen, wie sie es angestellt hätten, einen so guten Fang zu tun, ließ er ihn wieder an die Kette legen. Und nachdem sie das Boot eilig wieder ins Schiff gezogen hatten, ließ er alle Segel anspannen und steuerte wieder nach dem Feuerberge zu.«

Die Sultanin Scheherasade erzählte diese Nacht nicht weiter; in der folgenden fuhr sie aber fort und sagte zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundsiebenundvierzigste Nacht.

»Herr, ich schloß gestern damit, daß ich Euer Majestät erzählte, wie Behram wieder dem Feuerberge zusteuerte, sehr vergnügt, daß seine Matrosen ihm den Prinzen Assad wiedergebracht hatten.

Die Königin Margiane war unterdessen in großer Besorgnis. Anfangs beunruhigte sie sich nicht, als sie gewahrte, daß Assad hinausgegangen war; da sie nicht zweifelte, daß er bald zurückkommen würde, so erwartete sie ihn mit Geduld. Als sie aber nach einiger Zeit sah, daß er nicht wieder erschien, fing sie an, unruhig zu werden. Sie befahl ihren Frauen, zu sehen, wo er wäre. Diese suchten ihn, brachten ihr aber keine Kunde von ihm. Sie ließ ihn nun mit Lichtern suchen, aber ebenso vergeblich.

In ihrer Ungeduld und Besorgnis ging die Königin Margiane selber hin und suchte beim Fackelscheine, und da sie die Gartentüre offen sah, trat sie hinein und durchstreifte ihn mit ihren Frauen. Im Vorbeigehen sah sie an dem Wasserbecken auf dem Rasen einen Schuh, ließ ihn aufheben und erkannte ihn für einen von den Babuschen des Prinzen. Dies in Verbindung mit dem am Rande des Beckens verschütteten Wasser brachten sie auf den Gedanken, daß Behram ihn wohl entführt haben könnte.

Sie schickte auf der Stelle hin, zu erfahren, ob er noch im Hafen wäre; und als sie vernahm, daß er kurz vor Nacht unter Segel gegangen, sich noch eine Weile an der Küste aufgehalten und sein Boot nach dem Garten gerudert und Wasser eingenommen hätte, sandte sie dem Befehlshaber der zehn Kriegsschiffe, welche in ihrem Hafen stets ausgerüstet und auf den ersten Wink zur Abfahrt bereitlagen, die Weisung, daß sie sich am nächsten Morgen früh um ein Uhr selber einschiffen würde.

Der Befehlshaber machte sich schleunig fertig; er rief die Hauptleute und übrigen Offiziere, die Matrosen und Soldaten zusammen, und alles war zu der bestimmten Stunde eingeschifft.

Die Königin schiffte sich nun auch ein, und als ihr Geschwader aus dem Hafen und unter Segel war, eröffnete sie dem Anführer ihre Absicht. »Ich will,« sagte sie, »daß du alle Segel aufspannest und dem Kauffahrer nachjagest, der gestern abend diesen Hafen verließ. Ich gebe ihn dir preis, wenn du ihn fängst: fängst du ihn aber nicht, so mußt du mir's mit dem Leben bezahlen.«

Die zehn Schiffe jagten nun dem Schiffe Behrams zwei volle Tage nach und sahen nichts. Endlich am dritten mit Anbruch des Tages entdeckten sie es, und gegen Mittag umringten sie es dergestalt, daß es nicht mehr entschlüpfen konnte.

Sobald der grausame Behram die zehn Schiffe bemerkte, zweifelte er nicht, daß es das Geschwader der Königin Margiane wäre, die ihn verfolgte; zur selbigen Stunde gab er dem Assad die Bastonade; denn seit seiner Einschiffung im Hafen der Stadt der Magier hatte er keinen Tag ermangelt, ihm diese Behandlung widerfahren zu lassen: dies bewirkte nun, daß er ihn mehr als sonst mißhandelte.

Er war aber in großer Verlegenheit, als er sah, daß er bald umringt sein würde. Wenn er Assad bewahrte, so hätte er sich für schuldig erklärt; wenn er ihn tötete, so fürchtete er, daß irgend Spuren davon nachblieben. Er ließ ihn losketten, und als man ihn aus dem untersten Schiffsraume, wo er lag, heraufgeholt und ihm vorgeführt hatte, sprach er zu ihm: »Du bist schuld, daß man uns verfolgt.« Und mit diesen Worten stürzte er ihn ins Meer.

Der Prinz Assad konnte schwimmen und gebrauchte seine Hände und Füße so rüstig, daß er mit Hilfe der Wogen, die ihn forttrugen, sich über dem Wasser zu erhalten vermochte und das Ufer erreichte. Hier am Lande war das erste, was er tat, daß er Gott dankte, ihn aus einer so großen Gefahr befreit und noch einmal den Händen der Feueranbeter entrissen zu haben. Hierauf zog er sich aus; und nachdem er das Wasser aus seinen Kleidern gedrückt hatte, breitete er sie auf einem Felsen aus, wo sie von den Strahlen der Sonne und dem dadurch erhitzten Felsen bald trocken wurden.

Unterdessen ruhte er sich aus und beweinte sein Schicksal: er wußte weder, in welchem Lande er war, noch, wohin er sich wenden sollte. Er legte endlich seine Kleider wieder an und wanderte fort, ohne sich zu weit von dem Meere zu entfernen, bis er einen Weg fand, welchen er einschlug. Er wanderte mehr als zehn Tage durch ein ganz unbewohntes Land, wo er nichts als wilde Früchte und an den Bächen einige Kräuter fand, von denen er lebte.

Er gelangte endlich an eine Stadt, welche er wieder für jene der Magier erkannte, wo er so sehr gemißhandelt worden und wo sein Bruder Großwesir war. Er freute sich darüber, aber er nahm sich fest vor, keinem der Feueranbeter zu nahen, sondern nur den Muselmännern; denn er erinnerte sich, einige von diesen bemerkt zu haben, als er das erstemal in die Stadt kam. Da es spät war und er wohl wußte, daß die Läden schon geschlossen wären, und daß er nur noch wenig Leute in den Straßen antreffen würde, faßte er den Entschluß, auf dem Begräbnisplatze vor der Stadt zu bleiben, wo mehrere Grabmäler mit Kuppeln standen. Er suchte, bis er eins fand, dessen Tür offen war, und trat hinein, um die Nacht darin zuzubringen.

Wir wollen jetzt wieder auf Behrams Schiff zurückkommen.

Es währte nicht lange, nachdem er den Prinzen Assad ins Meer gestürzt hatte, so war er auf allen Seiten von den Schiffen der Königin Margiane umringt. Das Schiff, auf welchem die Königin sich befand, nahte sich ihm, und da er nicht imstande war, Widerstand zu leisten, so ließ er die Segel einziehen zum Zeichen, daß er sich ergäbe.

Die Königin Margiane bestieg selber sein Schiff und fragte Behram, wo der Schreiber wäre, welchen er die Verwegenheit gehabt hätte aus ihrem Palaste zu entführen oder entführen zu lassen. »Königin,« antwortete Behram, »ich schwöre Euer Majestät, daß er nicht in meinem Schiffe ist; Ihr möget es durchsuchen lassen und Euch von meiner Unschuld überzeugen.«

Margiane ließ die Durchsuchung des Schiffes mit aller möglichen Genauigkeit vornehmen; aber man fand denjenigen nicht, den zu finden sie so sehnlich wünschte, sowohl weil sie ihn liebte, als aus angebornem Edelmute.

Sie war schon im Begriff, dem Behram mit eigenen Händen das Leben zu nehmen; aber sie hielt sich zurück und begnügte sich, sein Schiff und seine ganze Ladung in Beschlag zu nehmen und ihn mit allen seinen Matrosen zu Lande heimzuschicken, indem sie ihm das Boot zur Überfahrt bis ans Ufer ließ.

Behram in Begleitung seiner Matrosen erreichte die Stadt der Magier in derselben Nacht, da Assad auf dem Begräbnisplatze geblieben und sich in das Grabmal begeben hatte. Weil das Tor schon geschlossen war, so sah er sich ebenfalls genötigt, auf dem Begräbnisplatze ein Grabmal zu suchen, um darin den Tag und die Eröffnung des Tores zu erwarten.

Unglücklicherweise kam Behram an dasselbe Grabmal, worin Assad war. Er trat hinein und sah einen Mann, der schlief und sein Haupt mit seinem Kleide verhüllt hatte. Assad erwachte von dem Geräusche, hob den Kopf empor und fragte, wer da wäre.

Behram erkannte ihn sogleich. »Ha, ha,« rief er aus, »da bist du ja, der schuld ist, daß ich für mein ganzes übriges Leben zugrunde gerichtet bin! Du bist dieses Jahr nicht geopfert worden, aber du sollst das nächste Jahr nicht wieder ebenso entschlüpfen.«

Mit diesen Worten warf er sich über ihn her, stopfte ihm sein Schnupftuch in den Mund, um ihn am Schreien zu verhindern, und ließ ihn durch seine Matrosen binden.

Am folgenden Morgen früh, sobald das Tor geöffnet war, ward es Behram leicht, durch abgelegene Straßen, wo noch niemand aufgestanden war, Assad wieder zu dem Alten zu bringen, der ihn so boshaft überlistet hatte. Sobald er hier eintraf, ließ er ihn wieder in dasselbe Loch werfen, aus welchem er ihn herausgezogen hatte, und unterrichtete den Alten von der traurigen Ursache seiner Rückkehr und dem unglücklichen Erfolg seiner Fahrt. Der boshafte Alte vergaß nicht, seinen Töchtern einzuschärfen, daß sie den unglücklichen Prinzen wo möglich noch mehr als zuvor mißhandeln sollten.

Assad war äußerst bestürzt, sich wieder an demselben Orte zu befinden, wo er schon so viel gelitten hatte; und in Erwartung derselben Qualen, von welchen er für immer befreit zu sein gewähnt hatte, beweinte er die Härte seines Schicksals, als er Bostanen mit einem Stocke, einem Brote und einem Krug Wasser eintreten sah. Ihn schauderte bei dem Anblicke dieser Erbarmungslosen und bei dem bloßen Gedanken an die täglichen Martern, welche er noch ein ganzes Jahr auszustehen hatte, um am Ende auf eine grauenvolle Weise zu sterben ...«

Aber der Tag, welchen die Sultanin Scheherasade bei diesen letzten Worten anbrechen sah, nötigte sie, abzubrechen. Sie nahm dieselbe Erzählung in der folgenden Nacht wieder auf und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundachtundvierzigste Nacht.

»Herr, Bostane behandelte den unglücklichen Prinzen Assad ebenso grausam als bei seiner ersten Gefangenschaft. Das Jammern, die Klagen, die dringenden Bitten Assads, doch seiner zu schonen, verbunden mit seinen Tränen, waren aber so rührend, daß Bostane sich nicht erwehren konnte, davon erweicht zu werden und mit ihm Tränen zu vergießen.

»Herr,« sagte sie zu ihm, indem sie ihm die Schultern wieder bedeckte, »ich bitte Euch tausendmal um Verzeihung für die Grausamkeit, mit welcher ich Euch vormals behandelt und deren Wirkungen ich Euch jetzt eben noch habe empfinden lassen. Bisher habe ich nicht vermocht, einem Vater ungehorsam zu sein, der so ungerecht gegen Euch erbittert und auf Euren Untergang ergrimmt ist: aber endlich verabscheue ich diese Unmenschlichkeit. Tröstet Euch: Eure Leiden sind zu Ende; und ich will alle meine Verschuldungen, deren ungeheure Größe ich erkenne, durch bessere Behandlung wieder gutmachen. Ihr habt mich bis heute als eine Ungläubige betrachtet, gegenwärtig betrachte ich mich als eine Gläubige. Ich habe schon einigen Unterricht, welchen mir eine meiner Sklavinnen von Eurer Religion erteilt hat; ich hoffe, Ihr werdet gern vollenden, was sie begonnen hat. Um Euch meine gute Gesinnung zu bezeugen, so bitte ich den wahren Gott um Vergebung, daß ich ihn durch die Euch angetanen Mißhandlungen so beleidigt habe; und ich lebe des Vertrauens, daß er mich wird ein Mittel finden lassen, Euch gänzlich in Freiheit zu setzen.«

Diese Rede gewährte dem Prinzen Assad einen großen Trost; er dankte Gott, daß er das Herz Bostanens gerührt hatte; und nachdem er dieser auch herzlich für ihre freundliche Gesinnung gegen ihn gedankt hatte, vergaß er nicht, sie darin zu bestärken, indem er sie nicht nur in der muselmännischen Religion vollends unterrichtete, sondern ihr sogar seine Geschichte erzählte mit allen den Unfällen, welche ihn ungeachtet seiner hohen Geburt betroffen hatten. Als er gänzlich der Festigkeit ihres guten Vorsatzes versichert war, fragte er sie, wie sie es anstellen wollte, daß ihre Schwester Kavame nichts davon erführe und auch ihrerseits nicht ihn zu mißhandeln käme. »Lasset Euch das nicht bekümmern,« antwortete Bostane, »ich werde es schon so einrichten, daß sie sich nicht mehr damit befaßt, Euch heimzusuchen.«

In der Tat wußte Bostane Kavamen immer zuvorzukommen, sooft sie in das Loch hinabsteigen wollte. Sie unterdessen besuchte den Prinzen Assad sehr häufig; und anstatt ihm nur Brot und Wasser zu bringen, brachte sie ihm Wein und gute Gerichte, welche sie durch zwölf ihr dienende muselmännische Sklavinnen zubereiten ließ. Sie aß selbst von Zeit zu Zeit mit ihm und tat alles, was in ihrer Macht stand, ihn zu trösten.

Einige Tage nach dieser Veränderung stand Bostane an der Haustüre, als sie einen öffentlichen Ausrufer etwas bekanntmachen hörte. Da sie nicht verstand, was es war, weil der Ausrufer zu entfernt stand, sich dann aber ihrem Hause näherte, trat sie zurück, hielt die Türe halb offen und sah, daß er vor dem Großwesir Amgiad, Bruder des Prinzen Assad, einherging, der von mehreren Beamten und vielen seiner Leute vor und hinter ihm begleitet war.

Der Ausrufer blieb nur einige Schritte vor der Türe stehen und wiederholte folgende Kundmachung mit lauter Stimme:

»Seine Exzellenz, der erlauchte Großwesir, der selber hier gegenwärtig ist, sucht seinen geliebten Bruder, der schon länger als ein Jahr sich von ihm verloren hat. Er ist so und so gestaltet. Wenn jemand ihn bei sich verwahrt oder weiß, wo er ist, so befiehlt Seine Exzellenz, ihm denselben zu bringen oder Nachricht von ihm zu geben, unter Versprechen einer großen Belohnung. Wenn aber jemand ihn verhehlt und man ihn entdeckt, so droht Seine Exzellenz, ihn mit dem Tode zu bestrafen, ihn, sein Weib, seine Kinder und all die Seinigen, und sein Haus schleifen zu lassen.«

Bostane hatte nicht sobald diese Worte vernommen, als sie eiligst die Türe zumachte und zu Assad in das Loch hinabstieg. »Prinz,« sprach sie zu ihm mit Freuden, »das Ende Eurer Leiden ist da; folget mir und kommt schleunig.«

Assad, dem sie gleich am ersten Tage, wo er in das Loch zurückgebracht war, die Kette abgenommen hatte, folgte ihr auf die Straße hinaus, wo sie ausrief: »Hier ist er, hier ist er!«

Der Großwesir, der noch nicht weit entfernt war, drehte sich um. Assad erkannte in ihm seinen Bruder, lief auf ihn zu und umarmte ihn. Amgiad, der ihn auch sogleich erkannte, umarmte ihn ebenfalls sehr herzlich, ließ ihn das Pferd eines seiner Beamten, der absaß, besteigen und führte ihn im Triumphe nach dem Palast, wo er ihn dem Könige vorstellte, der ihn zu einem seiner Wesire machte.

Bostane, die nicht in das Haus ihres Vaters, das noch denselben Tag geschleift wurde, zurückkehren wollte und den Prinzen Assad bis zum Palaste nicht aus den Augen verloren hatte, wurde zu der Königin gebracht. Der Alte, ihr Vater, und Behram mit den Ihrigen wurden vor den König geführt und verurteilt, den Kopf zu verlieren. Sie warfen sich zu seinen Füßen und flehten um Gnade. »Es gibt keine Gnade für euch,« erwiderte der König, »wenn ihr nicht dem Feuerdienst entsaget und die muselmännische Religion annehmet.« Sie retteten ihr Leben, indem sie sich hierzu bequemten, ebenso wie Kavame, Bostanens Schwester, samt den Ihrigen.

In Rücksicht darauf, daß Behram Muselmann geworden war, machte ihn Amgiad, der ihm seinen vor der Begnadigung erlittenen Verlust vergüten wollte, zu einem seiner vornehmsten Beamten und ließ ihn bei sich wohnen. Behram, in wenigen Tagen von der Geschichte Amgiads, seines Wohltäters, und dessen Bruders Assad unterrichtet, machte ihnen den Vorschlag, ein Schiff auszurüsten und sie zum Könige Kamaralsaman, ihrem Vater, zurückzuführen. »Vermutlich,« sprach er zu ihnen, »wird er eure Unschuld erkannt haben und ungeduldig euch wiederzusehen verlangen. Und sollte dies nicht sein, so wird es jedoch nicht schwer halten, ihn vor eurer Ausschiffung davon zu überzeugen; wenn er aber in seinem ungerechten Wahne beharrt, so habt ihr nur die Mühe, wieder hierher zurückzukehren.«

Die beiden Brüder nahmen Behrams Erbieten an: sie sprachen von ihrer Absicht mit dem Könige, der sie billigte, und gaben Befehl, ein Schiff auszurüsten. Behram war mit allem möglichen Eifer dabei geschäftig, und als er fertig war, unter Segel zu gehen, gingen die Prinzen eines Morgens hin, vom König Abschied zu nehmen.

In der Zeit, daß sie sich von ihm beurlaubten und ihm für seine Güte dankten, hörte man durch die ganze Stadt einen großen Lärm, und zugleich erschien ein Offizier mit der Nachricht, daß ein großes Kriegsheer heranzöge und niemand wüßte, was für eins es wäre.

Bei der Unruhe, in welche diese verdrießliche Neuigkeit den König versetzte, nahm Amgiad das Wort und sprach zu ihm: »Herr, obwohl ich soeben in die Hände Euer Majestät die Würde Eures ersten Ministers, womit Ihr mich beehrt hattet, zurückgestellt habe, so bin ich nichtsdestoweniger bereit, Euch noch zu dienen, und ich bitte Euch um die Erlaubnis, hinzugehen und zu sehen, wer dieser Feind ist, der Euch in Eurer Hauptstadt anzugreifen kommt, ohne Euch zuvor den Krieg erklärt zu haben.« Der König bat ihn darum, und er machte sich sogleich mit einem kleinen Gefolge auf.

Der Prinz Amgiad entdeckte bald das Kriegsheer, welches ihm mächtig schien und immer weiter vorrückte. Der Vortrab, der seine Befehle hatte, nahm ihn freundlich in Empfang und führte ihn vor die Fürstin, die mit ihrem ganzen Heere anhielt, um mit ihm zu reden. Der Prinz Amgiad machte ihr eine tiefe Verbeugung und fragte sie, ob sie als Freundin oder Feindin käme, und wenn sie als Feindin käme, worüber sie sich gegen den König, seinen Herrn, zu beklagen hätte.

»Ich komme als Freundin,« antwortete die Fürstin, »und habe keine Ursache zum Mißvergnügen gegen den König der Magier. Seine und meine Staaten haben eine solche Lage, daß wir schwerlich einen Zwist miteinander haben können. Ich komme nur, um einen Sklaven namens Assad zurückzufordern, der mir durch einen Schiffshauptmann aus dieser Stadt namens Behram, den unverschämtesten aller Menschen, ist entführt worden; und ich hoffe, Euer König wird mir die Genugtuung gewähren, wenn er erfährt, daß ich Margiane bin.«

»Großmächtige Königin,« erwiderte der Prinz Amgiad, »ich bin der Bruder dieses Sklaven, den Ihr mit so viel Mühe suchet. Ich hatte ihn verloren und habe ihn wiedergefunden. Kommet, ich selber will ihn Euch ausliefern und werde die Ehre haben, Euch von allem übrigen zu unterrichten. Der König, mein Herr, wird sehr erfreut sein, Euch zu sehen.«

Während das Heer der Königin nach ihrem Befehle dort auf der Stelle lagerte, begleitete der Prinz Amgiad sie in die Stadt und in den Palast, wo er sie dem Könige vorstellte. Und nachdem der König sie nach Würden empfangen hatte, begrüßte sie der Prinz Assad, der gegenwärtig war und sie sogleich bei ihrem Erscheinen erkannt hatte. Sie bezeigte ihm ihre Freude, ihn wiederzusehen, als dem König eine neue Botschaft kam, daß ein anderes, noch furchtbareres Heer auf der andern Seite der Stadt erschiene.

Der König der Magier, noch mehr erschrocken als das erstemal über die Ankunft eines zweiten, noch zahlreicheren Heeres als das vorhergehende, wie er selber aus den Staubwolken erkannte, die dessen Annäherung aufregte, und die schon den ganzen Himmel bedeckten, rief aus: »Amgiad, was soll aus uns werden? Da ist abermals ein Kriegsheer, das uns überzieht ...«

 

Zweihundertundneunundvierzigste Nacht.

Amgiad verstand den Wink des Königs: er stieg zu Pferde und sprengte mit verhängten Zügeln diesem neuen Heer entgegen. Er sagte zu den ersten, denen er begegnete, daß er mit ihrem Anführer zu sprechen verlangte, und man führte ihn vor einen König, wie er an der Krone, die er auf dem Haupte trug, erkannte. Sobald er ihn in der Ferne erblickte, stieg er ab, und als er in der Nähe war und sich mit dem Angesichte zur Erde geworfen hatte, fragte er ihn, was er von dem Könige, seinem Herrn, verlangte.

»Ich heiße Ghïaur,« erwiderte der König, »und bin König von China. Das Verlangen nach Kunde von meiner Tochter namens Badur, die ich vor langen Jahren dem Prinzen Kamaralsaman, Sohn Schachsamans, des Königs der Inseln Chaledan, vermählt habe, hat mich bewogen, meine Staaten zu verlassen. Ich hatte diesem Prinzen erlaubt, seinen Vater zu besuchen unter der Bedingung, von Jahr zu Jahr mit meiner Tochter wieder zu mir zu kommen. Seit so langer Zeit habe ich indessen nichts wieder von ihnen vernommen. Euer König würde einen bekümmerten Vater sehr verpflichten, wenn er ihm mitteilte, was er etwa davon weiß.«

Der Prinz Amgiad, der an dieser Rede seinen Großvater erkannte, küßte ihm zärtlich die Hand und sprach: »Herr, Euer Majestät verzeihe mir diese Freiheit, die ich mir nehme, um Euch meine Ehrfurcht zu bezeigen, als meinem Großvater. Ich bin ein Sohn Kamaralsamans, gegenwärtig Königs der Ebenholzinsel, und der Königin Badur, und ich zweifle nicht, daß beide im vollkommenen Wohlsein in ihrem Reiche sind.«

Der König von China, entzückt, seinen Enkel zu sehen, umarmte ihn sogleich sehr zärtlich; und dieses so glückliche und so unerwartete Zusammentreffen entlockte ihnen von beiden Seiten Tränen.

Auf die Frage, welcher Anlaß ihn in dieses fremde Land geführt hätte, erzählte ihm der Prinz Amgiad seine und seines Bruders Assad Geschichte. Als er geendigt hatte, sagte der König von China: »Es ist nicht recht, daß zwei so unschuldige Prinzen wie ihr noch länger im Elende seien. Tröste dich, ich werde dich und deinen Bruder heimführen und Sühne stiften. Eile jetzt zurück und melde deinem Bruder meine Ankunft.«

Während der König von China auf der Stelle lagerte, wo der Prinz Amgiad ihn getroffen hatte, kehrte dieser zurück, um dem Könige der Magier, der ihn mit großer Ungeduld erwartete, Antwort zu bringen. Der König war höchst überrascht, zu vernehmen, daß ein so mächtiger König als der von China eine so lange und mühselige Reise unternommen hatte aus Verlangen, seine Tochter wiederzusehen, und daß er so nahe bei seiner Hauptstadt war. Er gab sogleich Befehle zu seinem würdigen Empfange und bereitete sich, ihm entgegenzugehen.

In dieser Zwischenzeit sah man aber von einer andern Seite der Stadt abermals einen großen Staub aufsteigen, und man vernahm bald, daß es ein drittes Heer war, welches heranzog. Dies nötigte den König, zu bleiben und den Prinzen Amgiad zu bitten, daß er noch einmal hinginge, zu sehen, was das Heer wollte.

Amgiad ritt hinaus, und der Prinz Assad begleitete ihn diesmal. Sie fanden, daß es das Heer Kamaralsamans, ihres Vaters, war, der sie zu suchen kam. Er hatte über ihren Verlust einen so großen Schmerz bezeigt, daß der Emir Giandar ihm endlich entdeckte, auf welche Weise er ihnen das Leben erhalten, was ihn zu dem Entschlusse gebracht hatte, sie aufzusuchen, in welchem Lande sie auch sein möchten.

Dieser bekümmerte Vater umarmte seine beiden Söhne mit Freudentränen, welche nun die so lange vergossenen Tränen der Trauer angenehm beendigten.

Sobald die Prinzen ihn benachrichtigt hatten, daß auch der König von China, sein Schwiegervater, ebendenselben Tag angekommen wäre, so machte er sich mit ihnen und einem kleinen Gefolge auf, um ihn in seinem Lager zu besuchen.

Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie ein viertes Heer erblickten, welches in schönster Ordnung anrückte und von der Seite von Persien her zu ziehen schien.

Kamaralsaman hieß die Prinzen, seine Söhne, hinreiten, zu sehen, was für ein Heer es wäre, und wollte sie dort erwarten.

Beide ritten sogleich hin, und bei ihrer Ankunft wurden sie dem Könige, dem das Heer gehörte, vorgestellt. Nachdem sie ihn ehrerbietig begrüßt hatten, fragten sie ihn, in welcher Absicht er so nahe gegen die Hauptstadt des Königs der Magier heranzöge.

Der Großwesir, der gegenwärtig war, nahm das Wort und sagte ihnen: »Der König, zu dem ihr redet, ist Schachsaman, König der Inseln Chaledan, der schon lange in dem Aufzuge, welchen ihr hier seht, umherreiset, um den Prinzen Kamaralsaman, seinen Sohn, zu suchen, der vor langen Jahren seine Staaten verlassen hat; wenn ihr irgend etwas von ihm wisset, so werdet ihr ihm das größte Vergnügen von der Welt machen, es ihm mitzuteilen.«

Die Prinzen antworteten nichts weiter, als daß sie binnen kurzer Zeit Antwort bringen würden, und sprengten mit verhängten Zügeln zurück, um Kamaralsaman die Nachricht zu bringen, das zuletzt angekommene Heer wäre das des Königs Schachsaman und der König, sein Vater, selber dabei.

Das Erstaunen, die Überraschung, die Freude und das Leid, seinen Vater ohne Abschied verlassen zu haben, machten einen so gewaltigen Eindruck auf den König Kamaralsaman, daß er in Ohnmacht sank, sobald er vernahm, daß er ihm so nahe wäre. Er kam endlich durch die Sorgfalt und Hilfe der Prinzen Amgiad und Assad wieder zu sich, und sobald er sich stark genug fühlte, eilte er hin, sich dem Könige Schachsaman zu Füßen zu werfen.

In langer Zeit war kein so zärtliches Wiedersehen zwischen einem Vater und einem Sohn erfolgt. Schachsaman machte dem König Kamaralsaman zärtliche Vorwürfe über seine Grausamkeit, ihn auf eine so schmerzliche Weise zu verlassen, und Kamaralsaman bezeigte ihm seine innige Reue über das Vergehen, zu welchem die Liebe ihn verleitet hatte.

Die drei Könige und die Königin Margiane blieben drei Tage am Hofe des Königs der Magier, welcher sie prachtvoll bewirtete. Diese drei Tage wurden auch sehr verherrlicht durch die Vermählung des Prinzen Assad mit der Königin Margiane und des Prinzen Amgiad mit Bostane zur Belohnung des Dienstes, welchen sie dem Prinzen Assad geleistet hatte.

Endlich begaben die drei Könige und die Königin Margiane sich wieder jedes nach seinem Reiche. Was Amgiad betrifft, so setzte ihm der König der Magier, der ihn sehr liebgewonnen hatte und schon sehr bejahrt war, seine Krone auf das Haupt: und Amgiad wandte all seinen Fleiß daran, den Feuerdienst zu zerstören und die muselmännische Religion in seinen Staaten einzuführen.

 


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