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Der alte Grabstein.

In einem der kleinen Provinzialstädtchen bei einem Manne, der sein eigen Haus und Hof hatte, war eines Abends um die Jahreszeit, wo es heißt »der Abend wird länger« der ganze Familienkreis versammelt; es war noch mild und warm; die Lampe flammte auf dem Tische, die langen Vorhänge wallten herab hinter den offenen Fenstern, an welchen viele Blumentöpfe standen, und draußen unter freiem Himmel war der herrlichste Mondschein; – doch davon sprachen sie nun freilich nicht, sie sprachen von einem alten großen Steine, welcher unten im Hofraume hart an der Küchenthüre lag, auf welchen die Mägde oft das blank geputzte kupferne Küchengeschirr hinstellten, damit es in der Sonne trockene, und wo die Kinder gern herumspielten, – es war eigentlich ein alter Grabstein.

»Ja,« sagte der Hausherr, »ich glaube der Stein ist von dem alten Klosterkirchhofe; von dort und aus der Kirche wurden die Kanzel, die Epitaphien und die Grabsteine verkauft! Mein Vater erstand die letzteren, sie wurden zu Pflastersteinen entzweigehauen, diesen Stein aber behielt man zurück und seitdem liegt er unten im Hofe.«

»Man sieht's ihm wohl an, daß er ein Grabstein ist,« fiel das älteste der Kinder ein; »man erblickt noch daran ein Stundenglas und ein Stückchen von einem Engel, aber die Inschrift, die darunter gestanden, ist fast ganz verwischt, nur der Name Preben und ein großes S. dicht hinter demselben, und etwas weiter unten Martha sind noch zu lesen, aber mehr ist nicht herauszubringen, und auch das ist nur deutlich, wenn es geregnet hat, oder wenn wir den Stein gewaschen haben.«

»Du lieber Gott, das ist der Grabstein von Preben Schwane und seiner Frau!« – nahm ein alter Mann das Wort, so alt, daß er sehr wohl der Großvater aller im Zimmer Anwesenden hätte sein können. »Ja dies war eins der letzten Ehepaare, die auf dem alten Friedhofe des Klosters beerdigt wurden! Es war ein altes, ehrwürdiges Paar, ich erinnere mich seiner noch aus meinen Knabenjahren her. – Alle kannten es, und Alle hatten es lieb, es war das Alterskönigspaar hier im Städtchen; die Leute sagten, es besäße über eine Tonne Goldes, und doch ging es sehr einfach gekleidet, in den gröbsten Stoffen, aber die Wäsche war immer glänzend weiß; – es war ein schönes, altes Paar, Preben und Martha! – Wann Beide auf der Bank dort oben auf der hohen steinernen Treppe des Hauses saßen, über welche hinaus die alte Linde ihre Zweige breitet, und wem sie dann freundlich und mild zunickten, dem wurde wohl dabei. Sie waren sehr gut gegen die Armen; sie speisten sie, sie kleideten sie, und in ihrer Wohltätigkeit war Vernunft und wahres Christenthum. Die alte Frau starb zuerst; mir steht der Tag noch lebhaft vor Augen! Ich war ein kleiner Knabe und hatte meinen Vater zu dem alten Preben ins Haus begleitet, und wir waren eben dort, als sie hinübergeschlummert war; der alte Mann war tief bewegt und weinte wie ein Kind. – Die Leiche lag noch in der Schlafstube nebenan wo wir saßen, – er sprach zu meinem Vater und einigen Nachbarn, die dort waren, und sprach davon, wie einsam es nun bei ihm werden würde, wie gut und treu sie, die Entschlafene, gewesen, wie viele Jahre sie miteinander durchs Leben gewandelt und wie es gekommen, daß sie sich hatten kennen lernen und sich lieb gewonnen; ich war wie gesagt, ein Knabe, und stand nur dabei und hörte Dem zu, was die Andern sprachen, aber es erfüllte mich in wunderbarer Weise, den Worten des alten Mannes zu lauschen und Zeuge zu sein, wie er allmälig lebhaft wurde und seine Wangen sich färbten, als er von den Tagen des Brautstandes und davon sprach, wie schön sie gewesen, wie viele kleine unschuldige Umwege er gegangen sei, um ihr zu begegnen, und er erzählte von dem Hochzeitstage, seine Augen leuchteten, er lebte sich gleichsam zurück in jene Zeit der Freude, und nebenan lag sie in dem Kämmerchen, todt, eine alte Frau, und er war ein alter Mann und sprach von der Zeit der Hoffnung! – – ja, ja, so geht es! Damals war ich ein Kind nur, und jetzt bin ich alt, alt wie Preben Schwane. Die Zeit verstreicht und Alles wechselt! – Ich entsinne mich gar wohl des Tages ihrer Bestattung, der alte Preben ging dicht hinter dem Sarge einher. Wenige Jahre vorher hatte das Ehepaar seinen Grabstein zurecht machen lassen mit Inschrift und Namen bis auf das Todesjahr; der Stein wurde Abends nach dem Friedhofe gefahren und über das Grab gelegt, – und ein Jahr später ward er wieder abgewälzt und der alte Preben stieg zu seiner Ehegattin hinab. – Sie hinterließen bei weitem nicht den Reichthum, den die Leute geglaubt; was da war, kam an Familien weitläufiger Verwandtschaft, an Solche, von denen man bis dahin nichts gewußt hatte. Das alte Haus von Fachwerk, mit der Bank auf der hohen steinernen Treppe unter der Linde, wurde von der Behörde niedergerissen: es war zu alt und morsch, als daß man es hätte stehen lassen dürfen. Später als dasselbe Schicksal die Klosterkirche traf und als der Friedhof einging, kam der Grabstein Prebens und Martha's wie alles Andere von dort an Denjenigen, der es kaufen wollte, und nun trifft es sich doch so, daß der Grabstein nicht entzweigehauen und verwendet worden ist wie mancher andere, sondern daß er noch unten im Hofraume liegt, eine Scheuerbank der Mägde, eine Spielstätte der Kinder. – Die gepflasterte Straße führt jetzt über die Ruhestätte des alten Preben und seiner Gattin hin. »Niemand denkt mehr an sie!«

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

Und der alte Mann, der dieses Alles erzählte, schüttelte wehmüthig den Kopf. »Vergessen! – Alles soll vergessen werden!« sprach er.

Darauf sprachen sie im Zimmer von anderen Dingen; aber das jüngste Kind drinnen, ein Knabe mit großen ernsten Augen, stieg auf einen Stuhl hinter den Fenstervorhangen, und blickte in den Hofraum hinaus, woselbst der Mond den alten Stein mit seinem hellen Scheine übergoß, den alten Stein, der ihm sonst leer und flach erschienen war, jetzt aber da lag, ein großes Blatt aus einem Chronikbuche. Alles, was der Knabe von dem alten Preben und dessen Gattin vernommen, wohnte hier dem Steine inne: er blickte diesen an, und blickte in den klaren lichten Mond, schaute in die reine Luft hinein, es war als leuchte das Antlitz Gottes über die Erde hinaus.

»Vergessen! – Alles soll vergessen werden!« tönte es drinnen im Zimmer, und in demselben Augenblicke küßte ein unsichtbarer Engel dem Knaben die Brust und die Stirn und flüsterte ihm leise zu: Bewahre Du das anvertraute Samenkorn, damit es gedeihe und reife, bewahre es wohl! Durch Dich, mein Kind, soll die verwischte Inschrift, der verwittert Grabstein in klaren, goldenen Zügen künftigen Geschlechtern vorgeführt werden! Das alte Ehepaar soll wieder Arm in Arm durch die alten Straßen wandeln und lächeln, mit frischen gesunden Wangen auf der hohen Bank unter der Linde sitzen, und Arm und Reich zunicken. Das Samenkorn dieser Stunde wird durch Jahre zu einer blühenden Dichtung gedeihen. Das Gute, das Schöne wird nicht vergessen, es lebt im Liede, es lebt in der Sage.


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