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Ein Herzeleid.

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

Diese Geschichte besteht eigentlich aus zwei Theilen; der erste Theil könnte zwar wegfallen, – aber er giebt uns einige Vorkenntnisse, und die sind nützlich!

Wir halten uns auf dem Lande, auf einem Herrenhause auf, wo es sich ereignet hatte, daß die Herrschaft auf einige Tage verreist war. Während dessen kam aus dem nächsten Städtchen eine Madame an; sie führte einen Mops bei sich, und kam, wie sie sagte, damit man Actien auf ihre Gerberei nehmen möge. Sie hatte ihre Papiere mit, und wir riethen ihr, um dieselben ein Couvert zu legen und auf dieses die Adresse des Gutsbesitzers »Herrn Generalkiegscommissarius, Ritter etc.« zu schreiben.

Sie hörte uns aufmerksam zu, ergriff die Feder, hielt wieder inne, und bat uns, wir möchten die Aufschrift wiederholen, aber langsam. Wir thaten es und sie schrieb; allein inmitten des »Generalkriegs ...« blieb sie stecken, seufzte tief auf und sagte: »ich bin nur ein Frauenzimmer!« – Ihr »Moppelchen« hatte sich, während sie schrieb, auf den Fußboden gesetzt und knurrte, war doch der Hund auch seines Vergnügens und seiner Gesundheit wegen mitgereist, und dann soll Einem nicht der Fußboden angetragen werden. Stumpfnase und Speckbuckel waren seine äußere Erscheinung.

»Er beißt nicht!« sagte die Dame, »er hat keine Zähne. Er ist gleichsam ein Mitglied der Familie, treu und knurrig, allein dazu haben ihn meine Enkel gereizt; sie spielen Hochzeit, und ihm wollen sie die Rolle der Brautjungfer geben, und das strengt ihn zu sehr an, das alte Fell!«

Und sie gab ihre Papiere ab und nahm das Moppelchen auf den Arm. – Dies ist der erste Theil, – dessen man füglich hätte entbehren können!

»Das Moppelchen starb!« das ist der zweite Theil.

Es war ungefähr eine Woche später; wir kamen in der Stadt an und kehrten im Gasthofe ein. Unsere Fenster führten auf den Hofraum, der durch eine Bretterwand in zwei Theile gesondert war; in deren einen Hälfte hingen Fälle und Häute, rohe und gegerbte. Hier befanden sich alle Materialien einer Gerberei, und dieselbe gehörte der Witwe. – Moppelchen war an diesem Morgen gestorben und in diesem Theile des Hofraumes begraben worden; die Enkel der Witwe, das heißt, die der Gerberwitwe, denn Moppelchen war nie verheirathet, deckten das Grab zu, und es war ein schönes Grab, es mußte ein wahres Vergnügen sein, darin zu liegen.

Das Grab war mit Topfscherben eingezäunt und mit Sand bestreut; ganz oben hatten sie eine halbe Bierflasche hingepflanzt, den Hals derselben nach oben gekehrt, und das war durchaus nicht allegorisch.

Die Kinder tanzten um das Grab herum, und der älteste der Knaben unter ihnen, ein praktischer Junge von sieben Jahren, machte den Vorschlag, daß eine Ausstellung der Moppelchen-Grabstätte stattfinden solle, und zwar für Alle aus dem Gäßchen; der Eintritt solle mit einem Hosenknopfe bezahlt werden, einen solchen besäße jeder Knabe, und jeder könne gleichfalls einen für ein kleines Mädchen hergeben; dieser Vorschlag wurde einstimmig genehmigt.

Alle Kinder aus dem Gäßchen, ja selbst aus dem Hintergäßchen strömten herbei, und jedes gab einen Knopf; gar Viele gingen an diesem Nachmittage nur mit einem Hosenträger umher, aber dafür hatte man das Grab des Moppelchen gesehen, und der Anblick war viel mehr werth.

Doch draußen vor dem Gerberhofe, dicht neben dem Eingange, stand ein kleines in Lumpen gekleidetes Mädchen, gar schön von Gestalt, mit gelocktem Haar und mit Augen, blau und klar, daß es eine Lust war; es sprach kein Wort, es weinte auch nicht, aber jedesmal, wenn das Pförtchen sich öffnete, warf es einen langen, langen Blick in den Hof. Es hatte keinen Knopf, das wußte es wohl, und deshalb blieb es traurig draußen stehen, bis alle die Anderen das Grab gesehen und sich wieder entfernt hatten; alsdann setzte es sich nieder, hielt die kleinen braunen Hände vor die Augen und brach in Thränen aus; das Mädchen allein hatte Moppelchens Grab nicht gesehen. Es war ein Herzeleid, so groß wie ein Erwachsener es nur empfinden kann.

Wir sahen dies von oben – und von oben gesehen – dieses, wie manches eigene und Anderer Leute Herzeleid, ja, dann können wir darüber lächeln! – Das ist die Geschichte, und Derjenige, der sie nicht versteht, mag sich eine Actie in der Gerberei bei der Witwe kaufen.


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