Hans Christian Andersen
O. Z.
Hans Christian Andersen

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33.

Und näher, immer näher rückt er ihr, –
– »O, gib mir Hoffnung doch in dieser Nelke!«
Sie seufzet: – »Ach, ich will – doch nein! – ich will nicht!«
Die Tänzerin von Paludan-Müller.

»Ich werde schon noch dahinter kommen!« meinte Otto. »Die heiße Liebe kann doch unmöglich schon verschwunden sein!« Auch nicht der geringste Zug entging seiner Aufmerksamkeit. Eva war dasselbe stille schüchterne und sittsame Wesen wie zuvor, eine Hauselfe, die nach allen Seiten hin freundlich einwirkte. Wilhelm redete mit ihr, aber durchaus nicht leidenschaftlich, ja nicht einmal mit erkünstelter Gleichgültigkeit. Gleichwol können wir Otto's Beobachtungsgabe kein volles Vertrauen schenken, denn sein Blick flog zu oft nach einem lieberen Gegenstande; seine Aufmerksamkeit war eigentlich doch vor Allem Sophie gewidmet.

Sie lustwandelten im Garten.

»Wie Ihnen gewiß bekannt sein wird,« sagte Otto, »schwärmte einst Ihr Bruder für die schöne Eva. Ist ihr hiesiger Aufenthalt unter diesen Verhältnissen nicht gefährlich? Hat Ihre Frau Mutter vorsichtig gehandelt?«

»Wilhelms wegen bin ich vollkommen ruhig!« erwiderte Sophie. »Seien Sie nur auf Ihrer Hut! Eva ist sehr liebenswürdig und hat sich, seitdem sie sich hier befindet, bedeutend zu ihrem Vortheile verändert. Meine Schwester Louise schwärmt jetzt förmlich für sie, und Mama betrachtet sie fast als ein Pflegekind. Sie werden gewiß bemerkt haben, daß sie keineswegs zurückgesetzt wird. Sie ist übrigens schwächlich, sie gleicht den zarten Gebirgsblumen, die in Schnee und Kälte gedeihen, in der geschützten Schlucht, in welche die Sonne hineinscheint, aber ihr Haupt neigen. Es kommt mir in der That so vor, als ob sie, seitdem sie Pflege und gute Tage erhielt, schwächer geworden ist. Als ich sie in Roeskilde sah, war sie weit blühender!«

»Vielleicht denkt sie an Ihren Bruder, denkt an ihn mit stillem Leid!«

»Das glaube ich nicht!« entgegnete Sophie, »sonst würde Louise sicherlich etwas davon wissen, da sie Eva's volles Vertrauen besitzt. Sie können sich beruhigen, falls Sie die Eifersucht plagt!«

»Wie kommen Sie auf diese Idee? Meine Gedanken fliegen aufwärts und nicht abwärts!« sagte er mit einem gewissen Stolz. »Mein Gefühl sagt mir, daß ich mich nie in Eva verlieben könnte. Ihr meine Liebe weihen, nein, bei dem bloßen Gedanken daran regt sich in mir ordentlich eine Art Widerwillen gegen sie. Aber Sie sagen es auch nur aus Scherz, Sie wollen mich necken, wie Sie schon so oft gethan haben. Bald werden wir von einander scheiden! In zwei Monaten bin ich nicht mehr in Dänemark! Zwei lange Jahre gedenke ich in der Fremde zu weilen –! Wie viel kann sich nicht innerhalb derselben ereignen? Werden Sie meiner gedenken, Fräulein, meiner recht von Herzen gedenken?« Er beugte sich hinab und küßte ihr die Hand.

Sophie wurde blutroth. Beide schwiegen.

»Nun, steht ihr hier Beide so allein?« sagte in diesem Augenblick die Mutter, welche sich ihnen auf einem Seitenwege näherte.

Otto bückte sich noch tiefer und brach eine der schönen Levkoyen ab, die über die Rabatte hinaushingen.

»Rauben Sie Louisen ihre schönsten Blumen?« sagte sie lächelnd. »Gerade dieses Beet läßt sie am wenigsten von einer fremden Hand entweihen!«

»Ich war so unglücklich, eine Blume desselben zu brechen!« versetzte Otto verlegen.

»Er wollte mir die dunkelrothe Nelke zu meinem Kranze auf dem Mittagstische pflücken,« bemerkte Sophie, um ihm zu Hilfe zu kommen. »Wenn er sie nahm, war mein Gewissen nicht beschwert!«

Darauf promenirten sie alle Drei gemeinsam weiter, plauderten von Kirschen und Stachelbeeren, von der Leinwand auf der Bleiche und von dem warmen Sommertage.

Am Abend saßen Eva und die beiden Schwestern bei ihren Handarbeiten; Otto und Wilhelm hatten neben ihnen Platz genommen. Sie unterhielten sich von Kopenhagen.

Sophie wußte ein Menge komischer Züge zu berichten, die ihr an den dortigen jungen Damen aufgefallen waren. Otto ging auf ihre Ideen ein und verstand es, ihre Erzählungen in geistreicher Weise zu unterstützen. Was die weibliche Jugend hauptsächlich interessirte, wurde darauf zum Gegenstande des Gesprächs gemacht.

»Schon wenn es den Confirmandenunterricht besucht, erwacht in dem Mädchen die Schwärmerei. Es empfindet einen gewissen Zug zu dem männlichen Herzen. Nur vor zwei Fremden darf es demselben jedoch erst Ausdruck verleihen: vor dem Pfarrer und dem Arzte. Für diese Beiden, namentlich für den ersten, schwärmt es; mit ihm steht es in einer Art geistigen Rapports. Seine leibliche Liebenswürdigkeit verschmilzt mit seiner geistigen. Des Mädchens erste Liebe kann man deshalb am besten die Pfarrerliebe nennen.«

»Das ist vortrefflich gesagt!« rief Sophie.

»Immer tiefer predigt er sich in des Mädchens Herz hinein!« fuhr Otto fort. »Es zerschmilzt in Thränen, küßt ihm die Hand, geht in die Kirche, aber nicht um Gottes, sondern um des lieben Pfarrers willen!«

»O, das kenne ich gar gut!« sagte Sophie und lachte.

»Pfui, diese Ansicht kannst du unmöglich theilen!« rief Louise. »Und ich begreife nicht, wie Sie, Herr Zostrup, dergleichen behaupten können. Das ist ja häßlich! Sie kennen nicht die Seele eines jungen Mädchens, verstehen das reine Gefühl nicht, in welchem es sich zu dem Manne hingezogen fühlt, der ihm das Heiligthum der Religion öffnet. Treiben Sie doch mit dem Unschuldigen, dem Reinen, das da weit von jeglichem irdischen Eindrucke entfernt ist, nicht Ihren Spott!«

»Ich versichere,« entgegnete Otto lächelnd, »wäre ich Dichter, so würde ich in hundert witzigen Epigrammen diese Pfarrerliebe lächerlich machen; und wäre ich Lehrer, so würde ich vom Katheder herab gegen sie protestiren!«

»Das hieße Gift in einen Brunnen werfen!« versetzte Louise. »Sie können als Mann nicht das Reine, das Heilige fühlen, das sich in eines jungen Mädchens Brust regt. Eva, nicht wahr, du gibst mir Recht?«

»Das ist auch Herrn Zostrups Ernst nicht!« erwiderte sie und blickte ihn mit einem Ausdrucke sanften Vorwurfs an.

Wilhelm lachte laut.


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