Hans Christian Andersen
O. Z.
Hans Christian Andersen

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18.

L'Angleterre jalouse et la Grèce homérique,
Tout l'Europe admire, et la jeune Amérique
Se lève et bat des mains du bord des océans.
Trois jours vous ont suffi pour briser vos entraves
Vous êtes les ainés d'une race de braves,
Vous êtes les fils des géans!
V. Hugo, Chants du crépuscule.

»Die Politik, meine Herren!«
Mortons Lustspiel: Der heimgekommene Nabob.

»In Frankreich ist eine Revolution ausgebrochen!« war das Erste, was Otto erzählte. »Karl der Zehnte befindet sich mit seiner Familie auf der Flucht. Die Nachricht soll in den deutschen Zeitungen gestanden haben!«

»Revolution!« rief Rosalie und faltete die Hände. »Das unglückliche Frankreich! Viel Blut ist da schon vergossen und nun fließt es von Neuem! Dort verlor ich meinen Vater und meinen Bruder. Ich habe landesflüchtig werden und mir ein neues Vaterland suchen müssen!« Sie trocknete eine Thräne von der Wange und versank in stilles Nachdenken. Sie kannte die Schrecken einer Revolution, erblickte in dieser neuen nur eine Wiederholung all der Schreckensscenen, die sie selbst mit durchgemacht und welche sie in die Welt hinaus, bis hoch nach dem Norden hinauf getrieben hatte, wo sie umhergeschleudert wurde, bis sie endlich bei Otto's Großvater eine Heimat, eine bleibende Stätte fand.

Alles Große und Schöne ergriff Otto's Seele, nur für eine Wissenschaft hatte er bisher kein Interesse bewiesen, für die Politik, und gerade mit dieser hatte sich der Großvater in seiner Abgeschiedenheit am meisten beschäftigt. Allein Otto's Seele war zu lebhaft, zu leicht beweglich, ließ sich von dem Zunächstliegenden zu leicht mit fortreißen. »Ehe uns die Weltbegebenheiten ergreifen können, müssen wir uns erst in das Leben selbst recht hineinleben!« war seine Meinung. »Bei den Meisten, die frühzeitig zu politisiren beginnen, geschieht es nur aus Affectation. Es geht ihnen wie dem Knaben, der sich zwingt Tabak zu rauchen, um älter zu scheinen als er ist!« Außer seiner Heimat war Frankreich eigentlich das einzige Land, für welches Otto ein gewisses Interesse hegte. Hier hatte Napoleon geherrscht, und Napoleons Name hatte Eingang in sein Herz gefunden. Seine Jugend fiel in eine Zeit, in welcher dieser Name auf allen Lippen lebte. Des Helden Name und Thaten klangen ihm schon als Knaben wie ein großes Weltmärchen. Wie oft hatte er nicht den Großvater kopfschüttelnd sagen hören: »Nun haben die Zeitungsschreiber nur wenig zu erzählen, denn Napoleon ist ein stiller Mann geworden!« Dann hatte er ihm von dem Helden bei Arcole und den Pyramiden, von den großen Feldzügen gegen Europa, von dem Brande Moskau's und der Rückkehr von Elba erzählt.

Wer hat in seiner Jugend nicht schon ein Schauspiel geschrieben? Otto's einziges Sujet war Napoleon: des Helden ganze Geschichte von den Schneebatterien bei Brienne bis zu der Felseninsel im Weltmeere. Zwar war die Dichtung ein wilder Schößling, aber sie war doch immer aus einem begeisterten Herzen entsprungen. Damals hütete er sie wie einen Schatz. Einen kleinen Zug, der sich an dieselbe knüpft und Otto's Aufbrausen in seinem Knabenalter charakterisirt, können wir nicht unerwähnt lassen.

Eines der Kinder des Gesindes, ein kleiner munterer Knabe, mit dem sich Otto viel abzugeben pflegte, spielte bei ihm auf seinem Dachstübchen. Damals war er nun gerade mit der Abfassung seines Schauspiels beschäftigt. Aus Neckerei zupfte der Knabe an den Papieren. Otto verbot es ihm mit der Drohung: »Thust du es noch einmal, so werfe ich dich zum Fenster hinaus!« Gleichwol zupfte der Knabe bald wieder an denselben. Sofort packte ihn Otto um den Leib, hob ihn zum Fenster empor und hätte ihn sicherlich hinausgestürzt, wäre Rosalie nicht glücklicherweise ins Zimmer getreten und hätte Otto's Arm mit einem Ausruf des Schreckens ergriffen. Wieder zu sich selbst gekommen, stand er nun todtenbleich und am ganzen Körper zitternd da.

Napoleon war es also zuzuschreiben, daß Otto ein so lebhaftes Interesse für Frankreich hegte. Auch Rosalie sprach nächst ihrer Schweiz am liebsten von diesem Lande. Die Revolution hatte zerstörend in ihr Leben eingegriffen, und deshalb mußten sich auch die Gefühle, die die Eindrücke jener Zeit in ihr erregt hatten, in ihrer Unterhaltung lebhaft äußern. Selbst vor den Augen des alten Pfarrers stand sie wie ein selbsterlebtes Weltereigniß da. Die Revolution und Napoleon hatten seine Gedanken und Worte oft auf dieses Land gelenkt. Ohne auch nur im Geringsten nach der Politik zu fragen, war Otto auf diese Weise in einem gewissen Interesse für Frankreich aufgewachsen. Die Nachricht von den Kämpfen der Julitage war ihm folglich durchaus nicht gleichgiltig. Bis jetzt wußte er nur, was der Pferdehändler erzählt hatte, wußte nichts von der Congregation noch von Polignac's Ministerium; aber Frankreich erschien ihm wie der mächtige Weltkrater, der durch prächtige Ausbrüche glänzte, welche auch hier in der Ferne seine Bewunderung erweckten.

Der alte Pfarrer schüttelte, als ihm Otto die politische Neuigkeit mittheilte, bedenklich den Kopf. Ein König galt ihm, so lange er lebte, er mochte nun sein wie er wollte, für heilig. Nach seinen Anschauungen glichen die Handlungen eines Königs den Worten der Bibel, die der Mensch nicht abwägen dürfte; sie müßten in dem Sinne genommen werden, wie sie gegeben wären. »Es ist keine Obrigkeit ohne von Gott!« sagte er; »der Gesalbte ist heilig; ihm verleiht Gott Weisheit, er ist ein Licht, zu dem wir alle emporschauen müssen.«

»Nein, er ist ein Mensch wie wir!« erwiderte Otto. »Er ist der erste Beamte des Landes, und in dieser seiner Eigenschaft sind wir ihm die tiefste Ehrfurcht und unbedingten Gehorsam schuldig. Geburt und nicht Verdienst gibt ihm den hohen Posten, welchen er bekleidet. Nur das Gute darf er wollen, nur Gerechtigkeit darf er üben! Seine Pflichten sind eben so groß wie die seiner Unterthanen!«

»Aber jedenfalls schwieriger, mein Junge!« entgegnete der Greis. »Darin liegt kein Verdienst, als Blume im Kranze zu sitzen und in ihm zu prunken; eine ungleich höhere Aufgabe fällt der Hand zu, welche ihn flicht. Das Band darf weder zu straff noch zu lose sein, es darf nicht in die Stengel einschneiden, und nicht so locker gewunden sein, daß die Blumen aus einander fallen. Ja, ihr jungen Leute schwatzt, so weit euer bischen Verstand reicht. O wohl, ihr seid klug, genau so klug wie die Frau, die ein gebratenes Küchlein zum Abendbrode aufbewahrte. Auf einem zinnernen Teller setzte sie es in die glühenden Kohlen und ging dann ihren Geschäften nach, als sie aber wieder nach Hause kam, war der Teller geschmolzen, und der Braten lag in der Asche. »Was für eine kluge Katze ich doch habe!« rief sie da aus, »den Teller hat sie gefressen und das Küchlein liegen lassen!« Sieh, ihr schwatzt auch nicht um ein Haar anders und seht die Dinge von derselben vernünftigen Seite an. Richte dich in deinen Urtheilen nicht nach den Andern in der Stadt da drüben! Fürchte Gott und ehre den König! Mit den Beiden haben wir nichts zu raisonniren, das machen sie Beide unter einander ab. Die Franzosen sind den jungen Füchsen ähnlich: haben diese ihr examen maturitatis glücklich bestanden, so bilden sie sich ein, die ganze Weisheit mit Löffeln gegessen zu haben! Sie schlagen hinten aus und machen eitel Lärm! Die Franzosen müssen einen Napoleon haben, der sie zu beschäftigen weiß. Versuchen sie auf eigenen Füßen zu stehen, so machen sie tolle Streiche!«

»Wir wollen zunächst ruhig abwarten, wie eigentlich die Zeitungsnachrichten lauten!« entgegnete Otto.

Den Tag darauf traf ein langer Brief von Wilhelm ein. Er lautete:

»Mein theuerster Otto!

Wir haben Alle auf Otto Zostrup's Gesundheit getrunken; ich erhob das Glas und trank noch ganz besonders auf Dein Wohl. Die Freundschaftsdissonanz, sie hat sich nun endlich in ein harmonisches Du aufgelöst, und was noch mehr sagen will, Du selbst hast den Accord angeschlagen. Alle sprechen zu Hause von Dir; selbst des Kammerjunkers Mamsell wählte neulich Dich anstatt ihres Nähkästchens zum Gegenstande der Unterhaltung. An dem Abende, an welchem Du über die jütländische Haide fahren mußtest, setzte ich mich an das Clavier und phantasirte meinen Schwestern Deine ganze Reise vor. Die Fahrt über die Haide malte ich ihnen durch ein monotones Stück von drei Tönen aus, das der bekannten Composition Rousseau's in vieler Beziehung ähnlich war. Die Schwestern geriethen fast in Verzweiflung, doch suchte ich sie durch die Versicherung zu trösten, daß es auf der Haide auch nicht unterhaltender wäre. Bisweilen brachte ich einen kleinen Lauf oder Triller an; das stellte dann die Lerche vor, die emporflatterte. Die Introduction zum Zigeunerchor in der Preciosa deutete die vorüberziehenden Zigeunerbanden an. Darauf folgte das Thema aus Jeannot und Colin: »O frohe Kindheitstage«, und nun langtest Du zu Hause an. Ich hämmerte gewaltig unten im Baß, um das Brausen der Nordsee, den Chor in Deiner jetzigen grand' Opéra zum Ausdruck zu bringen. Du kannst versichert sein, daß meine Leistung auf Originalität Anspruch machen konnte. Sonst geht hier zu Hause alles seinen alten Gang. Neulich bin ich in Svendborg gewesen und habe daselbst das schöne Lied »Die Wünsche« von Karl Bagger in Musik gesetzt. Die Verse sind zwar etwas hart, doch steckt in dem Dichter sicherlich ein gesunder Kern. Er hat meine eigenen Wünsche ausgesprochen. Uebrigens haben die überraschenden Nachrichten aus Frankreich auf uns und alle gute Leute die Wirkung eines elektrischen Schlages ausgeübt. Du hast in Deiner Abgeschiedenheit wahrscheinlich noch gar nichts von den glänzenden Julitagen gehört. Die Pariser haben Karl den Zehnten abgesetzt. War die frühere Revolution eine Blutfrucht, so ist diese eine wahre Passionsblume, die sich unerwartet entfaltet hat und durch ihre wunderbare Schönheit blendet. Am meisten gefällt mir aber, daß sie nach Vollendung ihres Werkes selbst ihre Blätter wieder zusammenrollte. Mein Vetter Joachim, der sich, wie Du weißt, gerade jetzt in Paris aufhält, hat diese merkwürdigen Tage erlebt. Vorgestern erhielten wir einen interessanten Brief von ihm, der uns nicht nur über das Ganze, sondern auch über viele Einzelheiten genauer unterrichtete, als es die Zeitungen vermögen. Schaarenweise versammeln sich die Leute um die Posthäuser, um die Blätter sofort nach ihrer Ankunft abzuholen. – Aus dem Briefe des Vetters habe ich mir aus den Schilderungen, die mich am meisten ergriffen, einige Auszüge gemacht, die ich diesem Briefe beilege. So kannst Du doch da drüben in Deiner Abgeschiedenheit wenigstens einigermaßen mitleben. In Mama's Herzen hast Du einen Platz und nicht weniger in dem meinigen.

Dein Freund und Bruder Wilhelm.«

P. scr. »Beinahe hätte ich etwas vergessen! Meine Schwester Sophie läßt Dich bitten, ihr doch ja einen Stein von der Nordsee mitzubringen. Vielleicht nähmest du für mich gleich einen ganzen Eimer Seewasser mit, wenn er Dich nicht allzusehr genirt!«

Dieser herzliche Brief versetzte Otto im Geiste in den Kreis der liebgewonnenen Menschen in Fühnen. Die Ecke des Papieres, auf der Wilhelm's Name stand, drückte er an seine Lippen. Er schwelgte im Gefühle edler Freundschaft.

Der Auszug, welchen Wilhelm aus dem Briefe des Vetters gemacht hatte, war kurz und bezeichnend. Er ließ sich einem schönen, in gute Prosa übersetzten Gedichte vergleichen.

Im Theater interessiren wir uns für die kämpfende Unschuld; noch tiefer fühlen wir uns jedoch ergriffen, wenn es sich um das Schicksal eines ganzen Volkes handelt. Deshalb flößt uns Wilhelm Tell ein so großes Interesse ein. Aber ein noch größeres, als das Schauspiel, welches der Dichter schafft, erweckte in Otto's Seele die Schilderung der Julitage. Hier lebte er in der Wirklichkeit selber. Sein Herz war von Bewunderung für Frankreich erfüllt, welches den heiligen Kampf der Freiheit gekämpft und mit der Sprache des Schwertes den Bannstrahl des Zeitalters über die Feinde der Aufklärung und Veredelung ausgesprochen hatte.

Der alte Pfarrer faltete seine Hände, als er es hörte; sein Auge funkelte, aber bald schüttelte er wieder den Kopf. »Dürfen die Menschen in dieser Weise über den Gesalbten Gottes richten? Wer zum Schwerte greift, soll durch das Schwert umkommen!«

»Der König,« wandte Otto ein, »ist um des Volkes willen da, nicht das Volk um des Königs willen!«

»O, die arme unglückliche Tochter Ludwigs des Sechzehnten!« seufzte Rosalie. »Zum dritten Male ist sie nun aus ihrem Vaterlande vertrieben! Eltern und Bruder gemordet, ihr Gemahl entehrt! Sie selbst besitzt Geist und Herz. Sie ist der einzige Mann unter den Bourbonen, hat ja schon Napoleon bekannt.«

Der Pfarrer, nach altem Schlage ehrlich und von ganzem Herzen Royalist, schwankte in seinen Ansichten über die Sache und bangte für die Zukunft. Rosalie dachte hauptsächlich an diejenigen, welche unglücklich geworden waren, an die königlichen Damen und die armen Kinder. Jeder folgte seiner Natur und den Anschauungen seines Alters. Das that auch Otto, und deshalb war seine Seele voller Begeisterung; sie ist ein Erbtheil der Jugend. Seine Gedanken träumten nur von Paris; dorthin flogen alle seine Wünsche!

»Ich will reisen!« rief er. »Das wird meinem ganzen Charakter eine kräftigere Richtung geben. Ich will, ich muß reisen!« fügte er still in seinen Gedanken hinzu, »mein Kummer wird dadurch gemildert, meine Jugenderinnerungen werden vergessen werden. In der Ferne stellen sich mir keine Schreckensbilder unter die Augen, wie hier überall. Mein Vater ist ja todt! Fremde Erde decket seinen Sarg!«

»Aber das Amtsexamen!« sagte der alte Pfarrer, »laß es dir angelegen sein, das erst abzulegen! Es ist immer gut, wenn man es hinter sich hat, sogar für den Fall, daß man es nicht braucht. Noch in diesem Jahre machst du ja dein philosophicum ...«

»Und im kommenden Frühjahr reise ich!« fiel Otto ein.

»Das wird doch auch mit von deinem Curator abhängen, mein Junge!« versetzte der Pfarrer.

Wieder vergingen einige Tage, und es begann Otto in der Heimat einsam vorzukommen. Alles drehte sich hier in engem Kreise. Sein Geist war gewöhnt, größere Flügelschläge zu thun. Er langweilte sich, und in einem solchen Zustande kriechen die Stunden ja schneckengleich dahin.

»– – die Minuten recken und strecken sich gleichsam. Man fühlt sich versucht, es eben so zu machen.«Aus den »Skizzen aus dem Alltagsleben« von Frederike Bremer.

Er dachte an die Abreise.

»Diesmal,« sagte Rosalie, »mußt du den Weg über Lemvig nehmen. Ich habe mir so wie so vorgenommen, die Familie daselbst auf einige Tage zu besuchen, und es wird sie gewiß sehr freuen, dich auch einmal wieder zu sehen. Ich kann dann um so viel länger mit dir zusammen bleiben. Diese Bitte wirst du mir doch erfüllen?«

Der Tag der Abreise wurde bestimmt.

Den Abend vorher machte Otto dem Pfarrer den letzten Besuch. Lange unterhielten sie sich von dem verstorbenen Großvater. Der Pfarrer händigte Otto noch mehrere Papiere und unter diesen auch den letzten Brief seines Vaters ein.

Otto zu Ehren wurde jetzt eine Flasche Wein auf den Tisch gesetzt.

»Dein Wohl, mein Junge!« sagte der Pfarrer und erhob das Glas. »Schwerlich werden wir wieder einen Abend beisammen sitzen. Du wirst noch vieles durchmachen müssen, ehe du so weit kommst, wie ich. In der Welt gibt es mehr Dornenbüsche als goldene Berge! Wir gehen allem Anscheine nach einer bewegten Zeit entgegen! Frankreich beginnt eine neue Art von Feldzügen in Europa und wird sicherlich alle jungen Leute mit fortreißen. War es früher der Eroberer Napoleon, um dessen Fahne sich alles sammelte, so ist es jetzt die Freiheitsidee. Möge nur Gott unsern guten König behüten, so wird wenigstens in unserm Vaterlande alles friedlich ablaufen. Du, Otto, fliegst in die weite Welt hinaus – hättest du doch erst dein Staatsexamen abgelegt! – Wohin du aber auch immer deinen Flug richten mögest, bleibe in jeder Hinsicht des Bibelspruchs eingedenk: »Wenn dich die bösen Buben locken, so folge ihnen nicht!« Alle wollen wir leider regieren. Phaëton wollte den Sonnenwagen lenken, allein seine Hand vermochte die Zügel nicht zu führen, die Länder fingen Feuer, er selber fiel hinab und brach den Hals. – Dort drüben in der Stadt Kopenhagen besitze ich Niemanden mehr, den ich dich bitten kann, zu grüßen. Alle meine Jugendfreunde sind nach Ost und West zerstreut. Sollten sich noch einige von ihnen in der Stadt befinden, so haben sie mich sicherlich vergessen. Wenn du aber einmal nach dem Regentsgaard kommen und im Kreise guter Freunde unter dem Baume daselbst eine Pfeife rauchen solltest, dann denke meiner! Ich habe ebenfalls dort gesessen, als ich jung war wie du, als gleichfalls Frankreichs Revolution mein Blut schneller pulsiren ließ und Freiheitsgedanken meine Brust schwellten. Der liebe alte Baum!Er wurde bereits gegen Ende des vorigen Jahrhunderts umgehauen und statt seiner wurden zwei junge Bäume angepflanzt, die jetzt eine Zierde des Hofes bilden. Man wird ihn wahrscheinlich eben so wenig mehr ansehen wie mich! Wie viele Jahre sind seitdem verflossen!« Er drückte Otto einen Kuß auf die Stirn, ertheilte ihm seinen Segen, und sie schieden von einander.

Otto war wehmüthig gestimmt; ein Gefühl sagte ihm, daß er den Greis zum letzten Male gesehen hätte. Bei seiner Rückkunft fand er Rosalie in vollem Einpacken begriffen. Schon früh am nächsten Morgen wollten sie zusammen nach Lemvig reisen; Otto hatte sich daselbst schon seit zwei Jahren nicht sehen lassen. Sonst war ihm die Reise dorthin stets ein Fest gewesen; jetzt ließ sie ihn fast gleichgiltig.

Er ging nach seinem Stübchen hinauf; zum letzten Male in seinem Leben sollte er in demselben schlafen. Von morgen an begann, wie es ihm vorkam, ein neuer Lebensabschnitt. Wie eine alte Melodie klang ihm Byrons Lebewohl vor den Ohren:

»Lebewohl! Und ist's auf ewig,
Nun, auf ewig dann, leb wohl!«»Fare thee well, and, if for ever,
Still for ever fare thee well!«

Beim ersten Grauen des Tages rollte der Wagen mit ihm und Rosalien aus dem Gutshofe. Beide verhielten sich schweigend; in den tiefen Geleisen ging es nur langsam vorwärts. Otto schaute noch einmal zurück. Zwitschernd schwebte eine Haidelerche über ihnen.

»Es wird ein schöner Tag!« sagte der Knecht, der sie fuhr. In seinen Worten wie in dem Gesange der Lerche fand Rosalie eine gute Vorbedeutung für Otto's ganze Reise.


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