Hans Christian Andersen
O. Z.
Hans Christian Andersen

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10.

Waren nicht jung die Erbsen und frisch und wie Zucker die Wurzeln?
Und was fehlte dem Schinken, der Gänsebrust und dem Hering?
Was dem gebratenen Lamm und dem kühlenden röthlich gesprengten
Kopfsalat? War der Essig nicht scharf und balsamisch das Nußöl? –
– Nicht die Butter wie Kern, nicht zart die rothen Radieschen? –
Was? –
Voß, Louise.

»Herr Zostrup muß des Kammerjunkers altes Schloß sehen. Morgen wollen wir hinüber!«

Louise konnte sie leider nicht begleiten, da hunderterlei kleine Pflichten sie zurückhielten. Vor allen Dingen nahm das Plätten sie vollauf in Anspruch.

»Das kann ja aber doch das Stubenmädchen thun!« meinte Sophie, »komm doch mit.«

»Wenn du aber erst deine Wäsche wirst sauber und niedlich in deinen Schubfächern liegen sehen,« versetzte Louise, »so wirst du mir schon vergeben, daß ich zu Hause blieb.«

»Ja, du bist ein seelengutes Mädchen,« sagte Sophie, »du verdientest, daß dich Jean Paul gekannt und in einem seiner Werke unsterblich gemacht hätte! Du verdientest das Glück, von einem solchen Dichter besungen zu werden!«

»Hältst du das wirklich für ein Glück, wenn sich die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf Jemanden richtet? Das muß ein beängstigendes, ein unglücklich machendes Gefühl sein! Nein, weit besser ist es doch, unbemerkt zu bleiben. Ueberbringe den lieben Nachbarn meine Grüße und laß dir meinen Claudius zurückgeben; sie haben ihn nun schon ein halbes Jahr bei sich gehabt!«

»Dann haben sie die volle Hälfte der Bibliothek meiner Schwester da behalten!« sagte Sophie lachend zu Otto. »Sie müssen nämlich wissen, daß sie nur zwei Bücher besitzt! »Mynsters Predigten!« und den »Wandsbecker Boten!«

Der Wagen fuhr endlich ab und lenkte in die große Kastanien-Allee ein.

»Auf jenem Hügel, dort unmittelbar am Saume des Waldes, habe ich mich einst als Elfenmädchen gezeigt,« sagte Sophie. »Ich war damals noch nicht eingesegnet. Wir hatten Bekannte bei uns auf Besuch, die in dem schönen Mondenscheine einen Spaziergang durch den Wald machten. Ich hüpfte mit zweien meiner Freundinnen auf den Hügel hinauf, dort reichten wir einander die Hände und begannen einen Ringeltanz. Schon am folgenden Tage erzählten zwei Leute aus der Gemeinde dem Pfarrer, daß drei weißgekleidete Elfenmädchen im Mondscheine auf den Hügel getanzt hätten. Diese Elfenmädchen waren wir, daß aber unsere Rücken hohl gewesen wären wie eine Backmulde, und der Hügel geglänzt hätte, als ob er von Silber wäre, das gehörte ihrer Erfindung an.«

»Und von dieser Eiche hier schoß ich als Knabe den ersten Vogel herab!« rief Wilhelm. »Es war eine Krähe, deren Begräbniß selbstverständlich außerordentlich prächtig war.«

»Ja, sie fand unter der Trauerweide meiner Schwester ihre Ruhestätte,« erzählte Sophie weiter. »Wir bestatteten sie in einem alten, mit Schleifen besetzten Hute, einem sogenannten Dreimaster. Das Grab war mit Mohnblättern und gelben Lilien verziert. Ich trug die Leiche, Wilhelm, der schon ein hochaufgeschossener Junge war, hielt die Leichenrede, und Louise streute Blumen.«

»Ja, ihr waret rechte Narren!« sagte die Mutter. »Aber seht einmal, wer dort kommt!«

»O, mein lieber Dickie, mein Zwerg von Kenilworth!« rief Sophie, als sich ein kleines buckliches Männchen mit dünnen Beinen und einem ältlichen Gesichte näherte. Es trug bäurische Kleidung und hatte auf dem Rücken ein Ränzel von Kalbsleder, das, weil die Haare nach außen gekehrt waren, noch immer nicht die rothe Farbe des Thieres verloren hatte. In diesem verwahrte es seine Geige.

»Heißt der Mann wirklich Dickie?« fragte Otto.

»Nein, es ist nur ein Scherz von Sophie!« versetzte Wilhelm. »Sie besitzt die Leidenschaft, alle ehrliche Menschenkinder in ein romantisches Licht zu setzen. Er heißt schlecht und recht: »Musikanti«! Sie müssen nämlich wissen, daß die Fühnen die Namen zu italienisiren pflegen. Sonst heißt er auch Peer Krüppel.«

»Sie werden ja seine Töne hören!« sagte Sophie. »Uebermorgen, wenn wir das Erntefest feiern, ist er Nummer Eins. Er kann Musikstücke, die Ihnen schwerlich bekannt sein werden. Er spielt Ihnen sowol den »Schustertanz,« als auch die »Kirschsuppe.« Solche Tänze haben unsere Leute hier zu Land.«

»Jetzt befinden wir uns nicht mehr auf meinem eigenen Grund und Boden, sondern fahren schon durch die Ländereien des Nachbars!« fiel die Mutter ein. »Sie werden einen wahrhaft alten Edelhof zu sehen bekommen.«

»Ich möchte wol wissen,« nahm Sophie das Wort, »wie Ihnen die Bewohner gefallen werden, Herr Zostrup! Den Kammerjunker, der ein vortrefflicher Landedelmann ist, kennen Sie schon. Seine Schwester hat dagegen ihre kleinen Eigenthümlichkeiten. Sie gehört zu jenen Leuten, die beständig, selbst bei dem besten Willen, ihrem Nächsten Unangenehmes sagen. Sie besitzt dazu ein seltenes Talent, wie Sie bald selbst erfahren werden. Indeß meint sie es wirklich nicht so schlimm und vermag sogar auf Scherze einzugehen. Danken Sie übrigens Gott, daß Sie nicht die Nacht daselbst zubringen, sonst würden Sie sich bald zu Ihrem Schaden davon überzeugen, was sie und die Mamsell anzustellen im Stande ist.«

»Auf die Mamsell lasse ich nichts kommen,« fiel Wilhelm ein, »sie ist meine besondere Freundin. Sie werden ihr Nähkästchen mit allen Merkwürdigkeiten sehen, die es enthält. Dies Kästchen spielt eine große Rolle. Sie nimmt es bei jedem Besuche mit, den sie abstattet. Um die Unterhaltung nicht stocken zu lassen, wird es hervorgeholt. Dann wird jedes Stück bewundert und macht die Runde. Wie viele niedliche Sächelchen sind darin enthalten: ein kleiner Schiebkarren, der das Nadelkissen trägt, ein silberner Fisch mit wohlriechendem Wasser, und die kleine Elle von Seidenband!«

»Und nun erst das Bernsteinherz,« fuhr Sophie fort, »sowie der kleine Napoleon von Gußeisen und der Offizier, der auf den Boden des Kästchens geklebt ist! Er soll, wie sie mir bei unserm letzten Beisammensein anvertraute, einen unserer guten Freunde in Odense vorstellen.«

»Sehen Sie nur, was für eine hübsche steinerne Einfriedigung der Kammerjunker hat aufführen lassen!« sagte plötzlich die Mutter. »Und wie schön die Kirschbäume stehen! Er ist ein höchst thätiger Mann!«

Der Wagen näherte sich dem Garten. Der alte französische Geschmack herrschte in ihm vor. Ueberall zeigten sich steife Alleen, Pyramiden von Buxbaum und weißangestrichene steinerne Figuren. Durch das grüne Laub guckten Satyren und Göttinnen hervor. Jetzt gewahrte Otto eine hohe Thurmspitze und bald lag das ganze alte Gehöft vor seinen Blicken da. Aus den breiten Schloßgräben, in denen die Weiden mit gesenkten Kronen und entblößten Wurzeln im warmen Sonnenscheine dastanden, war das Wasser abgeleitet. Eine Menge Tagelöhner waren in voller Beschäftigung, die Gräben vom Schlamm zu reinigen, der auf Schubkarren an beiden Seiten aufgefahren wurde.

Die Einfahrt führte sofort in den Haupthof; die Seitenflügel und Außengebäude lagen nach der entgegengesetzten Seite. Zahllose Hunde begleiteten bellend den Wagen; alle mögliche Racen waren vertreten, von dem großen dänischen Hunde an, den selbst die Pariser kennen, bis zu dem kleinen Mops des Verwalters hinab, der sich ebenfalls dieser Gesellschaft angeschlossen hatte. Der Windhund mit seinen ellenlangen Beinen sprang lustig neben dem Dachshunde mit seinen kurzen einher; alle Abstufungen konnte man sehen, und jede hatte ihr eigenes melodisches Gebell. Ein paar Pfauen, die ihre bunten Schweife stolz ausgebreitet hatten, erhoben gleichzeitig ihr widerwärtiges Geschrei. Der ganze Hof zeigte einen auffallenden Anstrich von Reinlichkeit; das Gras zwischen den Steinen war ausgejätet, jedes Fleckchen war gefegt und sämmtliche Gerätschaften waren in eine bestimmte Ordnung gestellt. Vor der Haupttreppe standen vier große Linden. Da ihre Kronen schon in ihrer Jugend zusammengebogen und regelmäßig beschnitten waren, so bildeten sie jetzt zwei große Ehrenpforten, die Frühling und Sommer hindurch grünten. Rechter Hand trug ein säulenartig behauener Balken einen hübsch angestrichenen Taubenschlag, welchen seine bunten Bewohner girrend umflatterten. Die Pfauentaube spreizte ihren Schweif mit den schreienden Pfauen um die Wette, und die Kropftaube richtete sich auf ihren langen Beinen in die Höhe und brüstete sich, als ob sie die Fremden mit der Miene eines vornehmen Mannes willkommen heißen wollte.

Nur das braunrothe Ziegeldach und die blinkenden Scheiben deuteten auf das Moderne hin. Das Gebäude selbst, von den steinernen Fenstergesimsen an bis auf den alterthümlichen Thurm, durch welchen man eintrat, verkündete dagegen das Antike. In der gewölbten Eingangshalle standen zwei mächtige Schränke; das massive Holz und das künstliche Schnitzwerk derselben zeugten von ihrem hohen Alter. Oberhalb der Thür waren die Geweihe einiger Zehnender angebracht.

Die Schwester des Kammerjunkers, Fräulein Jakoba, eine Dame in den Dreißigern, die weder fett noch mager war und durch eine eigentümliche Mischung von jovialem und mürrischem Wesen die Aufmerksamkeit sofort auf sich lenkte, trat ihnen entgegen. Sie schien sich über den Besuch zu freuen.

»Sie sind also doch zu uns herübergekommen!« sagte sie zu Wilhelm. »Ich glaubte, daß Sie mit Ihrem Examen genug zu thun hätten.«

Wilhelm lächelte und versicherte, daß man sich nach dem vielen anstrengenden Studiren auch einmal nach einer Aufheiterung sehnte.

»Sie werden auch was Rechtes studiren!« versetzte sie und wandte sich ungemein freundlich an Sophie. »O, mein Gott, liebes Fräulein!« rief sie, »wie hat doch die Sonne Ihre Nase verbrannt! Pfui, wie abscheulich das aussieht! Weshalb bedienen Sie sich denn beim Ausfahren keines Schleiers? Das sollten Sie doch thun, da Sie ja sonst ganz leidlich aussehen!«

Da ihr Otto fremd war, so entging er diesmal noch ähnlichen Anzüglichkeiten. Den ganzen Tag sollten sie hier zubringen, meinte Fräulein Jakoba; allein Mama sprach davon, um Mittag wieder zu Hause zu sein.

»Daraus kann nichts werden!« entgegnete Jakoba. »Ich habe Sie erwartet, und nun haben wir uns darauf eingerichtet und Essen gekocht. Umsonst wollen wir uns diese Umstände nicht gemacht haben. Die besonderen Gerichte sind Ihretwegen bereitet, und deshalb müssen Sie auch davon essen.« Dies alles sagte sie jedoch in einem so gutmüthigen Tone, daß sich selbst ein Fremder dadurch nicht beleidigt gefühlt hätte. Der Kammerjunker, erzählte sie, wäre draußen auf dem Felde, um nach seinem Flachse zu sehen, beabsichtigte indeß bald zurückzukehren. Junker Wilhelm könnte Herrn Zostrup mittlerweile umherführen, da er, wie sie meinte, ja doch nichts Anderes zu thun hätte.

Niemand durfte sich indeß in der Wohnstube aufhalten; darin, sagte sie, wäre es so düster; die Wände wären auch noch immer von Alters her mit dunklem Kalbsleder bekleidet, welches mit vergoldeten Blumen bedruckt wäre. Nein, sie sollten sich nach dem Saale begeben, der seit der letzten Anwesenheit der Frau Baronin eine moderne Einrichtung erhalten hätte. Und so war es wirklich. Der alte Kamin mit dem hölzernen Schnitzwerk hatte weichen müssen, und ein schöner Ofen von den feinsten Kacheln nahm jetzt seine Stelle ein. Pariser Tapeten deckten die Wände; alle Monumentalbauten dieser Stadt waren auf denselben dargestellt. Notre Dame, Saint Sulpice und die Tuilerien. Lange rothe Vorhänge, die über vergoldete Stäbe geworfen waren, hingen um die hohen Fenster. Jedes Stück der Einrichtung mußte bewundert werden.

»Mir gefällt die alterthümliche Wohnstube mit ihrem alten Kamin und den kalbsledernen Tapeten doch besser,« erklärte Sophie; »man glaubt sich förmlich in die Ritterzeit hineinversetzt!«

»Ja, Sie haben immer an einer gewissen Ueberspanntheit gelitten!« entgegnete Jakoba, milderte aber ihre Rede durch ein Lächeln und einen Händedruck. »Nein, der Saal hier regt die Phantasie mehr an. Ach!« rief sie plötzlich, »was für eine Unordnung! Da hat Tina ihr Nähkästchen auf das Fensterbrett gesetzt!«

»Wie? Ist das das berühmte Kästchen mit all den vielen Narrenspossen?« fragte Wilhelm und langte lächelnd nach ihm.

»Weder Narren noch Narrenspossen befinden sich darin,« entgegnete Jakoba. »Sehen Sie aber nur einmal in den Spiegel auf dem Deckel, so werden Sie vielleicht doch eins von Beiden darin erblicken!«

»Nur keine Grobheiten, mein Fräulein!« versetzte Wilhelm mit verstelltem Ernste. »Vergessen Sie nicht, daß ich akademischer Bürger bin.«

In diesem Augenblicke trat der Kammerjunker ein. Er trug denselben Reitanzug, in welchem wir seine Bekanntschaft machten. Er hatte sein Heu und seinen Hafer besucht, hatte nach den Leuten gesehen, welche mit der steinernen Einfriedigung beschäftigt waren, und dann auch noch die Plantage besichtigt. »Nun, Fräulein Sophie,« sagte er, »haben Sie wol bemerkt, wie ich um den Hof her aufräume? Es erfordert einen Aufwand von mehr als fünfzehnhundert Thalern, und doch sind es Frohnbauern, die das Ausschlämmen der Schloßgräben besorgen. Dafür erhalte ich aber auch einen delicaten Dünger, der so fett und lecker ist, daß mau seine Lust daran hat! – Aber, Jakoba, wo bleibt denn der Kaffee?«

»Laß sie doch nur erst zur Thür hereinkommen!« schalt Jakoba. »Sie werden doch wol schon vor ihrer Herfahrt etwas zu sich genommen haben! Ueberlaß mir die Frauengeschäfte und nimm du dich der Herren an, damit sie nicht herumstehen und sich langweilen!«

Der Kammerjunker führte die Freunde über die steinerne Wendeltreppe in den alten Thurm.

»Alles solid und gut!« sagte er. »So bauen wir jetzt nicht mehr. Die Schießscharten hier dicht unter der Dachtraufe sind schon zu meines seligen Vaters Zeit zugemauert. Sehen Sie sich nur einmal dieses Gebälk an!«

Der ganze Boden schien ein wahres Riesenskelett von Balken zu sein; einer kreuzte immer den andern. Auf jeder Bodenseite war eine gewölbte Kammer mit einem gemauerten Kamin angebracht. Wahrscheinlich hatten diese Gemächer als Wachtstuben gedient; von beiden zog sich zwischen den Balkenpalissaden und der breiten Mauer eine Art Wächtergang hin.

»Von hier aus,« meinte der Kammerjunker, »haben meine Ahnen die Annäherung des Feindes gut beobachten können. Wenn Sie durch mein Fernrohr sehen, haben Sie hier das ganze Land von Vissenberg bis zur Munkebobank, den Belt und die Svendborger Anhöhen vor sich. Blicken Sie nur einmal durch! Es ist gerade klare Luft, und wir können Langeland und Seeland wahrnehmen. Hier hätte man 1807 die englische Flotte gut betrachten können!«

Alle drei erstiegen die schmale Leiter, wobei sie an der großen Uhr vorüber kamen, deren Gewichte bei einem Falle die steinerne Treppe sprengen müßten, und bald saßen die Herren auf dem höchsten Punkte. Der Kammerjunker ließ sich das Fernrohr reichen, stellte es und rief:

»Habe ich es mir nicht gleich gedacht! Hat man nicht stets ein Auge auf sie, so treiben sie mit den Frauenzimmern ihre Kurzweil. Na wartet nur, ich sehe es schon! Da schäkern nun die Burschen, die an der Einfriedigung beschäftigt sind, mit den Mägden und faulenzen. Sie vermuthen nicht, daß ich hier im Thurm sitze und ihnen zusehe!«

»Das ist doch eine gefährliche Waffe, so ein Fernrohr!« sagte Wilhelm lachend. »Sie können Leute in Ocularinspection nehmen, wenn sie es am wenigsten erwarten. Glücklicherweise liegt unser Gehöft hinter dem Walde versteckt, so sind wir doch wenigstens sicher!«

»Durchaus nicht, mein Bester!« erwiderte jener. »Die Außenseite Ihres Gartens liegt noch in meinem Gesichtskreise. Sah ich nicht im vorigen Jahre ganz deutlich, wie Fräulein Sophie Ebereschen in ihr Körbchen pflückte? Und was machte sie da für Capriolen! Sicherlich dachte sie nicht, daß ich hier säße und ihre niedlichen Sprünge mit ansähe!«

Sie stiegen von dem Thurm hinab und schritten durch den sogenannten Rittersaal, dessen Decke von mächtigen, dicht neben einander liegenden Balken getragen wurde. An jedem Ende des Saales befand sich ein umfangreicher Kamin, über welchem das Familienwappen angebracht war. Jetzt diente der Saal als Kornboden. Man mußte über einen Haufen Korn klettern, um in den herrschaftlichen Stuhl der kleinen Kapelle zu gelangen, die schon längst nicht mehr zum Gottesdienste benutzt wurde.

»Hier ließe sich ein recht hübsches Kämmerchen einrichten!« bemerkte der Schloßherr, »allein wir haben ja genug, und deshalb lasse ich der Merkwürdigkeit wegen diesen Raum unverändert. Der Mond dort besitzt einen hohen Werth!« Bei diesen Worten zeigte er auf die gewölbte Decke hin, an der der Mond als eine runde weiße Scheibe abgebildet war. Ganz naiv hatte der Maler auch einen Mann mit einem Bündel Kohl hineingezeichnet, um dadurch an den Volksglauben über die Entstehung der schwarzen Flecke im Monde zu erinnern, nach welchem dies ein Mann sein soll, welchen der Herr dorthin versetzte, weil er seinem Nachbar Kohl gestohlen hatte – »Das große Bild, welches an der rechten Wand hängt,« fuhr er fort, »stellt Frau Ellen Meerschwein dar; ich kaufte es auf einem Edelhofe in einer öffentlichen Auction. Einer der Bauern bot darauf. Ich erkundigte mich, weshalb er denn eigentlich das colossale Bild zu besitzen wünschte, da er es ja nicht einmal durch seine Thür hindurchbringen könnte. Aber wissen Sie wol, was für eine Speculation er hatte? Sie war gar nicht so übel. Sehen Sie, die gemalte Leinwand läßt den Regen so hübsch abfließen. Deshalb wollte er sich aus dem Gemälde ein Paar Beinkleider machen lassen, um sie bei Regenwetter hinter dem Pfluge zu tragen, denn sie würden gewiß im Stande sein, den Regen abzuhalten. Ich glaubte aber doch verhindern zu müssen, daß das Portrait der hochachtbaren Frau Ellen Meerschwein in einen solchen Rahmen gespannt würde. Ich kaufte sie deshalb; nun hängt sie dort an der Wand und sieht ordentlich ganz vergnügt aus. Der Bauer erhielt dafür einen Ritter, vielleicht einen meiner eigenen Ahnen, der nun zu Beinkleider zerschnitten wurde. Sehen Sie, das hat man davon, wenn man sich malen läßt!«

»Aber der Schrank dort im Pfeiler?« fragte Otto.

»Das war jedenfalls einst der Aufbewahrungsort für Bibel und Gesangbuch. Jetzt hebe ich darin das auf, was ich die Leckerbissen des Canzleiraths Thomson, des Directors des nordischen Museums, nenne: alte Opfermesser, Keile und Ringe, die ich theils in dem Pferdesumpfe, theils bei Nachgrabungen oben in den Hügeln gefunden habe. Kaum eine Viertelelle unter dem Rasen fanden wir Topf an Topf. Um jeden war ein kleiner Steinwall errichtet, und ein flacher Stein lag darüber, den man aber mit Leichtigkeit entfernen konnte, um sich dann des Topfes mit den verbrannten Hühnenknochen und einem kleinen Knopfe oder einer Messerklinge zu bemächtigen. Die besten Sachen sind schon in dem Kopenhagener Museum ausgestellt, und kommt erst der Canzleirath, dann nimmt er auch, Gott soll mich strafen, noch den Rest mit. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, denn ich kann davon doch keinen Gebrauch machen.«

Nach dem Kaffee wurde der alte Garten besucht. Das Ausschlämmen wurde genauer in Augenschein genommen, in Milchkeller und Schweinestall hinein geguckt und die neue Dreschmaschine bewundert. Nun sollte aber auch noch das russische Dampfbad versucht werden, denn zu Ehren der Gäste war schon geheizt; indeß mußte es der Kammerjunker leider allein benutzen. Der Mittagstisch war bei seiner Rückkehr aus dem Bade bereits gedeckt. »Aber hier fehlt ja noch Allerlei!« rief er, verließ das Zimmer und kam gleich darauf mit zwei großen Blumensträußen in Biergläsern zurück, die er auf den Tisch stellte. »Die Tafel, an der Sie, Fräulein Sophie, speisen, muß mit Blumen geschmückt sein, wenn wir auch nicht Kränze zu legen verstehen, wie Sie!« Er setzte sich an das Ende des Tisches und wollte, wie er sich ausdrückte, die Rolle des Präsidenten Lars übernehmen. Sie hatten ja den Wandsbecker Boten ein halbes Jahr im Hause gehabt, und es mußte Fräulein Sophie deshalb angenehm berühren, wenn man Lectüre verrieth. Präsident Lars und die Blumen bedeuteten hier ungefähr eben so viel, als im Süden eine Serenade unter den Fenstern der Schönen.

Als gegen Abend der Wagen zur Heimfahrt schon vor der Thüre hielt, stand Otto noch immer und betrachtete einige alte Inschriften, die in den Thurm eingemauert waren.

»Sie können uns ein anderes Mal besuchen, um das zu studiren!« redete ihn Jakoba an, »jetzt aber müssen Sie sich ein wenig nützlich machen!« Mit diesen Worten reichte sie ihm die Mäntel der Damen.

Unter dem Versprechen eines Gegenbesuches und dem Abschiedsgebell der Hunde rollte der Wagen fort.

»Ich bin wirklich in das alte Schloß ganz verliebt!« sagte Sophie.

»Bei näherer Bekanntschaft gewinnt der Kammerjunker ungemein!« bekannte Otto offen.

Sie waren jetzt an dem äußersten Ende des Gartens angelangt. Ein Blumenregen ergoß sich über sie und den Wagen. Der Kammerjunker, Jakoba und die Mamsell hatten die Ausfahrt auf einem Richtwege früher erreicht und winkten ihnen noch ein Lebewohl zu, indem sie ihnen Hyazinthen und Levkoyen zuwarfen. Eine von Jakoba's geübter Hand geschleuderte Nelke traf Otto gerade ins Gesicht, und konnte er auf diesen Beweis ihrer besonderen Freundschaft stolz sein. »Leben Sie wohl! Leben Sie wohl!« erscholl es herüber und hinüber, und unter dem Geläute der Abendglocke, denn schon war die Sonne untergegangen, rollte der Wagen seinem Ziel entgegen.


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