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Des Paten Bilderbuch.

Der Pate konnte Geschichten erzählen, viele und lange; er konnte Bilder ausschneiden und Bilder zeichnen, und wenn es Weihnachten werden wollte, nahm er ein Schreibheft mit reinen, weißen Blättern. Auf dieselben klebte er Bilder, die er aus Büchern und Zeitungen genommen hatte, und hatte er nicht genug für die Geschichte, die er erzählen wollte, so zeichnete er selbst einige hinzu. Ich bekam, als ich noch Kind war, mehrere solche Bilderbücher, Aber das schönste von allen war doch »aus dem merkwürdigen Jahr, da Kopenhagen Gasbeleuchtung für die alten Tranlampen erhielt,« und es stand auf der ersten Seite bemerkt.

»Mit dem Buch mußt du sorgsam umgehen,« sagten Vater und Mutter; »du darfst es nur bei festlichen Gelegenheiten vornehmen.«

Auf den Einband hatte der Pate selbst geschrieben:

»Zerreißt du das Buch auch, was will das sagen
Hab' Schlimmres von Freunden schon müssen ertragen.«

Am schönsten war es, wenn uns der Pate selbst die Bilder zeigte, die Verse und die Bemerkungen las und noch dazu erzählte. Da wurden die Geschichten zu einer richtigen Geschichte.

Auf der ersten Seite war ein Bild, das aus »Der fliegenden Post« ausgeschnitten war. Man sah Kopenhagen mit dem runden Turm und der Frauenkirche. Zur Linken war ein Bild geklebt, das eine alte Laterne vorstellte, unter der »Tran«, und zur Rechten war ein Kandelaber, unter dem »Gas« geschrieben stand.

»Sieh' dies ist die Anzeige!« sagte der Pate; »sie bildet den Eingang zu der Geschichte, die du hören sollst. Sie hätte auch als Lustspiel gegeben werden können, wenn man es hätte geben können: ›Tran und Gas oder Kopenhagens Werden und Wachsen.‹ Es ist ein sehr guter Titel! Ganz unten auf der Seite siehst du noch ein kleines Bild. Es ist nicht so leicht zu verstehen, und deshalb will ich es dir erklären; es ist das Höllenpferd. Es sollte eigentlich am Schlusse des Buches auftreten; aber es ist vorausgelaufen, um zu sagen, daß weder der Anfang, noch die Mitte, noch das Ende etwas taugt. Es würde die Geschichte besser gemacht haben, wenn es dieselbe gemacht haben würde. Das ›Höllenpferd‹, sage ich dir, steht am Tage in der Zeitung angebunden und geht durch alle Spalten, wie es genannt wird; aber am Abend entschlüpft es und stellt sich vor die Tür eines Dichters und wiehert, daß der Mann drinnen sofort sterben soll. Aber er stirbt doch nicht, wenn echtes Leben in ihm ist. Das Höllenpferd ist fast immer ein armer Kerl, der nicht aus sich klug wird, seinen Lebensunterhalt nicht finden kann und nur Luft und Nahrung erhält, indem er von Tür zu Tür geht und wiehert. Er glaubt, – ich weiß es gewiß – durchaus nicht an des Paten Bilderbuch; aber deshalb kann es doch das Papier noch wert sein, worauf es geschrieben ist.

 

*

Es war gerade am letzten Abend, die alten Tranlampen waren angezündet, die Stadt hatte Gas bekommen und es strahlte, daß die alten Lampen rein weg waren.

»Ich selbst war an jenem Abend auf der Straße,« sagte der Pate. »Die Leute gingen auf und nieder, um sich die neue und die alte Beleuchtung anzusehen. Es waren viele Menschen unterwegs, doppelt so viele Beine als Köpfe. Die Wächter standen gar trübselig; sie wußten nicht, wann sie, gleich den Tranlampen, ihren Abschied erhalten würden. Diese selbst dachten weit zurück; sie durften ja nicht vorwärts denken. Sie erinnerten sich so vielerlei aus den stillen Abenden und den dunklen Nächten. »Ich lehnte mich gegen einen Laternenpfahl,« sagte der Pate: »Tran und Docht sprühten: ich hörte was die Lampe sagte, und du sollst es nun auch hören.

»Wir haben getan, was wir konnten,« sagte die Lampe. »Wir sind unserer Zeit genug gewesen, haben zur Freude und zur Trauer geleuchtet und haben manches Merkwürdige erlebt; wir sind, sozusagen, die Nachtaugen Kopenhagens gewesen. Laßt nur die neuen Flammen uns ablösen und unser Amt übernehmen. Aber wie viele Jahre sie leuchten und wozu sie leuchten werden, das wird sich finden. Sie scheinen freilich ein wenig stärker als wir alten Lampen; aber das ist nichts Besonderes, wenn man als Gaskandelaber gegossen wird und solche Verbindungen hat wie sie, wo einer den andern unterstützt. Sie haben Rohre nach allen Seiten und können ihre Kräfte aus der Stadt und außerhalb der Stadt holen. Aber wir Tranlampen leuchten durch das, was jede selbst in sich hat, und leuchten nicht durch die Verwandtschaft. Wir und unsere Vorfahren haben für Kopenhagen seit undenklichen Zeiten geleuchtet. Aber da heute der letzte Abend ist, den wir stehen und leuchten, sozusagen im zweiten Glied mit euch strahlenden Kameraden stehen, so wollen wir auch nicht maulen und euch beneiden, sondern wollen vielmehr froh und guter Laune sein. Wir sind die alten Schildwachen, die von euch umgegossenen Diener in besserer Uniform als die unsrige, abgelöst werden. Wir wollen euch erzählen, was unser Geschlecht bis zur Urururgroßmutterlampe zurück erlebt und gesehen hat. Kopenhagens ganze Geschichte. Mögt ihr und eure Nachkommen bis zum allerletzten Gaskandelaber nur auch solche merkwürdige Dinge erleben und erzählen können, wenn ihr einst euren Abschied bekommt, und ihr werdet ihn bekommen, darauf müßt ihr vorbereitet sein! Ich habe einen Studenten sagen hören, es verlaute, daß man Seewasser brennen wollte. Der Docht sprühte, als die Lampe dies sagte, als ob sie bereits Wasser in sich hätte.«

Der Pate hatte genau zugehört: er dachte nach und fand, daß es eine ausgezeichnete Idee der alten Lampen wäre, an diesem Abend des Übergangs von Tran zu Gas die Geschichte Kopenhagens aufzudecken und zu erzählen. »Eine gute Idee darf man sich nicht entschlüpfen lassen,« sagte der Pate. »Ich griff sie daher auf, ging heim und stellte dies Bilderbuch für dich fertig; es geht noch weiter in die alte Zeit zurück als die Lampen zu gehen vermochten.

Hier ist das Buch und hier ist die Geschichte:

 

»Kopenhagens Werden und Wachsen.«

Sie beginnt in Stockfinsternis, mit einer kohlenschwarzen Seite; das ist die finstere Zeit.

 

*

»Nun schlagen wir um,« sagte der Pate.

»Siehst du das Bild? Nur das wilde Meer und der stürmende Nordost, der die schweren Eisschollen treibt. Niemand ist draußen, um mit ihnen zu segeln als die großen Felsblöcke, die oben in Norwegen von den Bergen auf das Eis niedergestürzt sind. Der Nordost bläst das Eis von dannen; er will den deutschen Bergen zeigen, was für Klötze oben im Norden zu finden sind. Die Eisflöße treiben schon bis zum Sund herunter, bis nach der Küste Seelands, wo nun Kopenhagen liegt; aber damals gab es kein Kopenhagen. Unter dem Wasser lagen große Sandbänke; gegen eine derselben stießen die Eisschollen mit den großen Geröllsteinen. Das ganze Eisfloß kam zum Stehen; der Nordost konnte sie nicht wieder flott machen, und deshalb wurde er wild, wie er es nur werden konnte und schleuderte Verwünschungen auf die Sandbank herab, auf den Diebsgrund, wie er sie nannte, und er schwur, daß nur Diebe und Räuber dorthin kommen und nur Galgen und Rad dort errichtet werden sollten, wenn sie sich jemals über die Meeresoberfläche erheben würde.

Aber während er so wetterte und fluchte, brach die Sonne hervor, und auf ihren Strahlen schaukelten und wiegten sich leuchtende, milde Geister, Lichtgeborene. Sie tanzten über die kältebringenden Eisschollen dahin, die davon schmolzen, und die großen Geröllsteine sanken auf den sandigen Meeresboden nieder.

»Elender Wicht!« sagte der Nordost: »Ist das Kameradschaft und Verwandtschaft! Ich werde daran denken und mich rächen! Verwünschungen will ich auf die Stätte herabschleudern!«

»Wir segnen die Stätte,« sagten die Lichtgeborenen. Die Sandbank soll sich erheben, und wir wollen sie beschirmen! Das Wahre, das Gute und das Schöne soll sich hier anbauen.«

»Geschwätz, nichts als Geschwätz,« sagte der Nordost. –

»Sieh, von all diesem hätten die Lampen nicht zu erzählen gewußt,«sagte der Pate; »aber ich weiß es, und es ist von großer Bedeutung für Kopenhagens Werden und Wachsen.«

 

*

»Nun schlagen wir um,« sagte der Pate.

»Jahre sind vergangen; die Sandbank hat sich gehoben; ein Seevogel hat sich auf den größten Stein gesetzt, der aus dem Wasser hervorragt. Du kannst es auf dem Bilde sehen. Jahre auf Jahre vergehen! Das Meer hat tote Fische auf den Sand geworfen, der zähe Strandhafer schießt hervor, verwelkt, verwest und düngt den Boden. Andere Arten Gräser und Kräuter kommen hervor; die Bank wird eine grüne Insel. Die Wikinger gehen ans Land. Da gab es Waffengänge auf Tod und Leben, und guten Untergrund fanden die Schiffe bei Seelands Insel.

Die erste Tranlampe brannte; ich glaube, daß man Fische über ihr briet, und Fische gab es in Menge. Der Hering zog in großen Scharen durch den Sund; es war schwer, die Böte durch sie hindurchzuführen. Es blinkte im Wasser, als ob es drunten wetterleuchtete; es glänzte in der Tiefe wie Nordlichtschein. Der Sund war überreich an Fischen; deshalb wurden an Seelands Küste Häuser gebaut. Die Wände bestanden aus Eichenstämmen, das Dach aus Rinde; Bäume zum Bau gab es genug. Die Schiffe suchten in den Hafen einzulaufen; die Tranlampe hing in dem schwankenden Tauwerk. Der Nordost stürmte und sang: Hu-uh! Leuchtete auf der Insel eine Laterne, so war es eine Diebslaterne. Schmuggler und Diebe trieben ihr Gewerbe auf der Diebsinsel.

»Ich glaube doch, daß alles Schlechte, das ich wollte, hier gedeiht,« sagte der Nordost. »Bald kommt der Baum, von dem ich die Früchte schütteln kann.«

»Und hier steht der Baum,« sagte der Pate. »Siehst du den Galgen auf der Diebsinsel? An eisernen Ketten hängen die Räuber und Mörder, genau so, wie sie damals hingen. Der Wind wehte, so daß die Gerippe klapperten; aber der Mond schien so friedlich auf sie herab, wie er heute zu einem Waldfest scheint. Auch die Sonne schien friedlich herab und zerbröckelte die schlenkernden Gerippe. Aus den Sonnenstrahlen sangen die Lichtgeborenen: »Wir wissen es! Wir wissen es! Hier wird's in kommenden Zeiten doch schön! Hier wird es gut und prächtig!«

»Kindergeschwätz!« sagte der Nordost.

»Nun schlagen wir um,« sagte der Pate.

 

*

Die Glocken läuteten in der Stadt Roeskilde; dort wohnte der Bischof Absalon. Er konnte die Bibel lesen und das Schwert schwingen; er hatte Macht und Willen. Die fleißigen Fischer am Hafen, deren Stadt aufgeblüht und zu einem Stapelplatz geworden war, wollte der Bischof gegen Unfälle schützen. Er ließ den unehrlichen Grund mit Weihwasser besprengen. Die Diebsinsel wurde ehrlich gesprochen. Maurer und Zimmerleute griffen fest zu und ein Gebäude wuchs hier auf des Bischofs Geheiß hervor. Die Sonnenstrahlen küßten die roten Mauern, während sie sich erhoben.

Axels Haus stand fertig:

»Schloß mit Turm
hochgebor'n.
Ställe,
Wälle,
Buh!
Huh! –
Nordostwind –
pausbäckig Kind –
rüttelte,
schüttelte,
Die Burg stand doch.«

Und draußen vor der Stadt war der Hafen, der Kaufleute Hafen.

»Dort, wo die blanke See, der Meerfrau Käfig,
sich baut ins grüne Land.«

Fremde kamen dorther und kauften Fische, bauten Läden und Häuser mit Tierhäuten in den Fensterlöchern; Glas war zu teuer, Speicher entstanden mit der Winde am zackigen Giebel. Siehst du drinnen im Laden den alten Burschen sitzen, der sich nicht verheiraten darf und mit Ingwer und Pfeffer handelt. »Pfefferhöker« nannte man sie.

Der Nordost blies durch die Straßen und Gassen, wirbelte den Staub auf und riß auch wohl ein Strohdach herab. Kühe und Ferkel weideten am Straßengraben.

»Ich will sie meistern und Plagen,« sagte der Nordost; »will um ihre Häuser und um Axels Haus heulen. Ich irrte mich nicht! Sie nennen es die Henkersburg auf der Diebsinsel!«

Der Pate zeigte ihr Bild; er selbst hatte es gezeichnet. Auf der Mauer stand Pfahl neben Pfahl, und auf jedem saß das abgeschlagene Haupt eines Seeräubers und zeigte die Zähne.

»So ist's wirklich geschehen,« sagte der Pate; »es ist leicht verständlich und wohl des Wissens wert.«

Bischof Absalon saß im Bade. Da hörte er durch die dünne Wand, daß ein Freibeuterschiff sich näherte. Schnell sprang er aus dem Bade und auf sein Schiff, stieß ins Horn, und die Mannschaft kam. Die Pfeile flogen den Räubern in den Rücken. Sie wollten fort, sie ruderten scharf; die Pfeile hafteten in ihren Händen; es war keine Zeit, sie herauszureißen. Mancher Räuber geriet lebend in ihre Hände. Bischof Absalon ließ ihnen das Haupt abschlagen; sie wurden auf die Ringmauer des Schlosses gesteckt.

Der Nordost blies mit vollen Backen, »mit schlechtem Wetter im Maule«, wie die Fischer sagen.

»Hier will ich mich ausstrecken,« sagte der Wind; »hier will ich mich legen und mir den Krempel ansehen.«

Und er ruhte stundenlang und stürmte tagelang. Jahre vergingen.

 

*

Der Wächter kam aus dem Turm des Schlosses hervor; er sah gegen Osten und Westen, gegen Norden und Süden. »Hier siehst du ihn auf dem Bilde,« sagte der Pate, und zeigte es. »Du siehst ihn zwar; aber was er sah, muß ich dir sagen.

Von den Mauern der Henkersburg erstreckt sich das offene Wasser bis zur Kjögebucht und breitete sich bis zur Küste Seelands aus. Über Serritsblevfeld und Solbergfeld, wo die großen Landgüter liegen, wuchs die neue Stadt mit den gezackten Fachwerkhäusern mehr und mehr. Es gibt eine ganze Straße für die Schuhmacher und die Gerber, für die Kräuterhändler und die Bierbrauer; es gab einen Marktplatz und ein Gildehaus, und dicht am Strand, wo einst eine Insel war, stand die prächtige St. Nikolaikirche; der spitze Turm war außergewöhnlich hoch. Wie spiegelt sie sich in dem klaren Wasser! Nicht weit davon stand die Frauenkirche, wo Messen gelesen und gesungen wurde, wo Weihrauch duftete und die Wachskerzen brannten. Der Kaufmannshafen war nun eine bischöfliche Stadt; der Bischof von Roeskilde schaltete und waltete in derselben.

Der Bischof Erlandsson sitzt auf Axels Haus. Dort brät man in der Küche; dort schenkt man Bier und Claret; dort ist Musik von Geigen und Kesseltrommeln. Kerzen und Lampen brennen; das Schloß strahlt, als ob es das ganze Land erhellen wollte. Der Nordost heult um Turm und Mauer; sie stehen gar fest; der Wind heult um die Befestigung der Stadt. Im Westen ist nur altes Pfahlwerk; es hält gut. Draußen steht der dänische König Christoph I. Die Aufrührer schlugen ihn bei Skjelskör; nun sucht er Zuflucht in der Stadt des Bischofs.

Der Wind heult und sagt wie der Bischof: »Bleib draußen! Bleib draußen! Die Tore sind für dich verschlossen!«

 

*

Es sind eiserne Zeiten; es sind schwere Tage! Ein jeder muß sich selbst helfen! Das Banner Holsteins weht vom Turm des Schlosses. Es gibt Mangel und Seufzer; es ist eine Zeit der Angst: Streit im Lande, der schwarze Tod im Lande. Stockfinstere Nacht; aber dann wurde es wieder Tag. Waldemar IV. (Utterdag-Wiedertag) kräftigte wieder Dänemarks Macht.

Die bischöfliche Stadt ist nun des Königs Stadt! Sie hat zackige Häuser und schmale Straßen, sie hat ein Rathaus und Wächter; sie hat einen gemauerten Galgen am Westtor. Keiner, der außerhalb der Stadt wohnt, darf an ihm gehenkt werden; man muß ein Bürger der Stadt sein, um so hoch an ihm baumeln zu können, daß man auf Kjöge und die Kjögehühner herabsieht.

»Es ist ein herrlicher Galgen,« sagte der Nordost; »das Schöne wächst!« und dann stürmte und heulte er davon.

Aus Deutschland stürmten Kummer und Not herüber.

»Die Hansen kommen!« sagte der Pate. »Sie kommen um Gut und Geld, die reichen Kaufleute aus Rostock, Lübeck und Bremen; sie wollen mehr als die goldene Gans von Waldemars Turm erschnappen; sie herrschten mehr in der Stadt des Dänenkönigs als der König selber. Sie kamen mit bewaffneten Schiffen; niemand war vorbereitet. König Erich hatte durchaus keine Lust, sich mit den deutschen Verwandten zu schlagen; sie waren zu stark und zu zahlreich. König Erich und alle seine Hofleute jagten eiligst zum westlichen Tore hinaus nach der Stadt Sorö, zu den stillen Seen und den grünen Wäldern, zu Liebeslied und Becherklang.

Aber ein Wesen blieb in Kopenhagen zurück, ein königliches Herz mit königlichem Sinn. Sieh das Bild hier, das junge Weib, so fein und zart, mit meerblauen Augen und flachsgelbem Haar; es ist die dänische Königin Philippa, die englische Prinzessin. Sie blieb in der bedrängten Stadt, wo in den engen Gassen und Straßen mit steilen Treppen, Scheuern und verschlossenen Läden die Stadtleute sich drängten und nicht aus und ein wußten. Sie hatte männlichen Mut, ein männliches Herz; sie sprach zu Bürger und Bauer, ermannte sie, befeuerte sie. Schiffe wurden getakelt, Blockhäuser besetzt, Kartaunen knallten. Es gibt Feuer und Rauch, es gibt frohe Laune; Gott verläßt Dänemark nicht. Und die Sonne schien in alle Herzen hinein; sie leuchteten aus allen Augen in Siegesfreude. Gesegnet sei Philippa! Sie ist in der Hütte, sie ist in dem Hause des Bürgers, sie ist in dem königlichen Schloß, wo sie die Kranken und Verwundeten pflegt. Ich habe einen Kranz ausgeschnitten und um das Bild gelegt,« sagte der Pate. »Gesegnet sei die Königin Philippa.«

 

*

»Nun überspringen wir viele Jahre!« sagte der Pate. »Kopenhagen springt mit. König Christian I. ist in Rom gewesen, ist vom Papst gesegnet und auf dem langen Wege geehrt und gefeiert worden. Daheim baut er ein Gebäude aus gebrannten Steinen; dort soll die Gelehrsamkeit auf lateinischer Grundlage wachsen und blühen. Das Kind des armen Mannes hinter dem Pfluge und aus der Werkstätte kann auch dahin kommen, sich durchbetteln, den langen, schwarzen Seidenmantel erhalten und vor den Türen der Bürger singen.

Dicht neben dem Sitz der Gelehrsamkeit, wo alles Latein ist, liegt ein kleines Haus, Darinnen herrscht das Dänische in Sprache und Sitten. Hier gibt es Biersuppe zur Morgenkost, und hier ist Mittag um zehn Uhr vormittags. Die Sonne scheint durch die kleinen Fenster hinein auf Speiseschrank und Bücherschrank. In diesem liegen geschriebene Schätze, Herrn Mittels »Rosenkranz und göttliche Komödien,« Henrik Harpestrengs medizinisches Buch und die dänische Reimchronik des Bruders Niels aus Sorö. Sie müßte jeder Däne kennen, sagte der Hausherr, und er ist der rechte Mann, daß sie bekannt werden. Er ist der erste Buchdrucker Dänemarks, der Holländer Gottried van Gehmen. Er übt die schwarze, segenstiftende Kunst, die Buchdruckerkunst.

Und die Bücher kommen in das Schloß des Königs und in das Haus des Bürgers. Das gesprochene Wort und das Lied erhalten ewiges Leben. Was der Mensch sich nicht in Lust und Leide zu sagen vermag, das singt der Vogel des Volksliedes klar und hell. Er fliegt so frei, er fliegt so weit, durch die Bürgerstube und durch die Ritterburg; er sitzt wie ein Falke auf der Hand des Ritterfräuleins und zwitschert; er schleicht sich wie die kleine Maus in die niedrige Hütte und piept für die geknechteten Bauern.

»Schall und Rauch ist alles,« sagt der scharfe Nordost.

»Nein, es ist Lenzeszeit,« sagen die Sonnenstrahlen; »sieh, wie das Grün hervorbricht.«

 

*

»Nun blättern wir in unserm Bilderbuch weiter,« sagte der Pate.

»Wie strahlt Kopenhagen! Es ist Turnier und Spiel, es ist ein prunkender Aufzug. Sieh die edlen Ritter in der Rüstung; siehe die hochvornehmen Frauen in Seide und Gold. König Hans gibt seine Tochter Elisabeth dem Kurfürsten von Brandenburg. Wie jung sie ist, wie froh! Sie tritt auf Samt! Ihre Gedanken weilen in der Zukunft, im Glück ihrer Häuslichkeit! Neben ihr steht ihr königlicher Bruder Prinz Christian mit den schwermütigen Augen und dem heißen, brausenden Blut. Ihn lieben die Bürger; er kennt ihr hartes Joch; er bedenkt die Zukunft des armen Mannes.

Doch der Mensch denkt, und Gott lenkt.«

 

*

»Wir blättern weiter in unserm Bilderbuch,« sagte der Pate. »Scharf weht der Wind: er singt von dem schneidenden Schwert, von schweren Tagen, von Zeiten des Unfriedens.

Es ist ein eisiger Tag; es ist Mitte April. Warum läuft das Volk vor dem Schlosse bei dem alten Zollhaus zusammen, wo das Königsschiff mit Segel und Flagge liegt? In den Fenstern und auf den Dächern sieht man Menschen. Es herrscht Sorge und Trauer, Erwartung und Angst. Sie sehen nach dem Schloß, wo ehemals Fackeltanz im goldenen Saale war; aber nun ist es still und leer. Sie sehen nach dem Erkerfenster, aus dem König Christian so oft über die Schloßbrücke hinaus nach der kleinen Schlotzgasse sah, wo sein Täubchen, das holländische Mädchen, weilt, das er sich aus der Stadt Bergen geholt hatte. Die Menge sieht nach dem Schloß; nun öffnet sich das Tor; die Zugbrücke sinkt. Da kommt König Christian I. mit seinem treuen Weibe Elisabeth. Sie will ihren königlichen Herrn nicht verlassen, nun er so hart bedrängt ist.

Feuer war in seinem Blut, Feuer war in seinen Gedanken. Er wollte mit der alten Zeit brechen, das Joch des Bauern brechen, den Bürgern Gutes tun und den »gefräßigen Sperbern« die Fänge beschneiden. Aber es waren ihrer zu viele! Nun zog er fort aus Land und Reich, um draußen Verwandte und Freunde für sich zu gewinnen. Sein Weib und treue Männer folgen ihm. Jedes Auge ist naß in der Stunde des Abschieds.

In das Echo der Zeit mischen sich Stimmen für ihn und gegen ihn, ein dreifacher Chor. Höre die Worte des Adels; sie stehen geschrieben und gedruckt:

»Weh über dich, Christian den Bösen! Das vergossene Blut auf dem Marktplätze zu Stockholm rufe dir laut zu: Fluch und Verbannung!«

Aus dem Ruf der Mönche tönt dasselbe Urteil: »Ausgestoßen seist du von Gott und uns! Die lutherische Lehre riefst du ins Land, gabst ihr Kirche und Kanzel frei, ließest die Zunge des Teufels reden! Weh über dich, Christian den Bösen.«

Aber Bürger und Bauer weinten laut: »Christian, du Volksfreund! Kein Bauer darf wie das Vieh verkauft, für einen Jagdhund eingetauscht werden. Das Gesetz ist dein Zeugnis,« Aber die Worte des Armen sind wie Spreu im Winde.

Nun segelt das Schiff am Schloß vorbei, und die Bürger eilen auf die Wälle, um von dort noch einmal das fortsegelnde kleine Königsschiff zu sehen.

 

*

Die Zeit ist lang, die Zeit ist schwer! Verlaß dich nicht auf Freunde, verlaß dich nicht auf Verwandte!

Dein Oheim Friedrich auf dem Kieler Schlosse will gern König im Lande sein. König Friedrich liegt vor Kopenhagen. Sieh dieses Bild: »Das treue Kopenhagen.« Ringsum in kohlenschwarzen Wollen sieh Wort und Bild! Es ist ein klingendes Bild; es klingt noch heute in Sage und Lied. Die schwere, drückende, bittere Zeit im Verlaufe der Jahre.

Wie ging es König Christian, dem irrenden Vogel? Davon haben die Vögel gesungen, und sie fliegen weit über Land und Meer. Der Storch kam frühzeitig aus dem Süden, aus dem deutschen Land. Er hatte gesehen, was nun erzählt werden soll.

»Den flüchtigen König Christian sah ich über die heidebewachsene Heide fahren. Da begegnete ihm ein elender Wagen mit einem Pferd bespannt. In ihm saß ein Weib, König Christians Schwester, die Markgräfin von Brandenburg. Treu dem lutherischen Glauben war sie von ihrem Gemahl verstoßen worden. Auf der finstern Heide trafen sich die landesflüchtigen Königskinder. Die Zeit ist hart, die Zeit ist lang! Verlaß dich nicht auf Freunde und Verwandte.«

Aus dem Schlosse Sonderburg kamen die Schwalben mit kläglichem Sang. König Christian ist verraten! Er sitzt dort in dem brunnentiefen Turm; seine schweren Schritte lassen Spuren auf dem Steinboden zurück, seine Finger graben sich in den harten Marmor!

O welch ein Leid tönt aus dem Wort:
»Und selbst die Steine weinten.«

Der Fischadler kam vom rollenden Meer; dort ist es offen und frei; dort fliegt ein Schiff. Es ist der kecke Fühne Sören Norby. Das Glück ist mit ihm; aber es ist veränderlich wie Wind und Wetter.

In Jütland und Fühnen schreien Raben und Krähen: »Uns geht es gut! braa! braa! Hier liegt Aas, Menschen und Pferde!« Es ist die Zeit des Unfriedens, es ist die Grafenfehde. Der Bauer nahm seine Keule, der Städter sein Messer, und laut riefen sie: »Wir schlagen die Wölfe tot, daß keiner übrig bleibt!« Da ziehen Rauchwolken von brennenden Dörfern dahin.

König Christian sitzt gefangen auf dem Schloß zu Sonderburg; er kommt nicht frei, sieht nicht Kopenhagen und seine bittere Not. Bei Nörre Fälled steht Christian III., wo einst der Vater stand. In der Stadt ist Angst, Hunger und Seuche.

Auf der Mauer der Kirche liegt in Lumpen ein abgemagertes Weib, eine Leiche. Zwei lebende Kinder spielen auf ihrem Schoß und saugen Blut aus der Brust der Toten.

Der Mut ist gefallen; der Widerstand fällt, du treues Kopenhagen!

 

*

Fanfaren ertönen; höre Pauken und Trompeten.

In reichen Kleidern von Samt und Seide und mit wehenden Fahnen kommen auf goldverbrämten Pferden die adligen Herren; sie reiten nach dem alten Markt. Gibt es dort Turnier und Spiel nach gewohnter Sitte? Bürger und Bauer im besten Staate streben auch dorthin. Was gibt es zu sehen? Ist dort ein Scheiterhaufen gebaut, um Papistische Bilder zu verbrennen, oder steht der Büttel dort, wie er bei Slaghecks Scheiterhaufen stand? Der König, der Landesherr ist lutherisch, das soll erkannt, gefeiert und verkündigt werden. Hochvornehme Frauen und adlige Jungfrauen sitzen mit hohem Kragen und Perlenhauben vor den offenen Fenstern und sehen auf all die Pracht. Auf ausgebreiteten Kleidern unter einem Thronhimmel sitzt in altgewohnter Tracht der Reichsrat neben dem Thron des Königs. Der König schweigt. Nun wird in dänischer Sprache sein Wille, des Reichsrats Wille, verlesen, Bürger und Bauer erhalten strenge Worte, strafende Worte für all den Widerstand, den sie dem hohen Adel geleistet hatten. Demut blieb dem Bürger, Knechtschaft wurde dem Bauern. Nun ertönten Worte der Verbannung für die Bischöfe des Landes. Ihre Macht ist vorbei. Alle Klöster und Kirchengüter wurden dem König und dem Adel vorbehalten.

Da war Hochmut und Haß, da war Prunk und Jammer.

»Arme Vögel kommen schwebend,
Kommen bebend.
Reiche Vögel kommen saufend,
Kommen brausend!« –

Die Zeit des Wechsels hat schwere Wolken, aber auch Sonnenschein. Er leuchtete aus dem Sitz der Gelehrsamkeit, aus dem Heim der Studenten, und die Namen leuchten bis in unsere Zeit hinein, Hans Tausen, der Sohn eines armen Schmiedes aus Fünen:

Aus Birkende der Stadt flog über Dänemark,
Der Name eines Knaben von echter kern'ger Art.
Ein zweiter Martin Luther das Schwert des Worts er schwang,
Und mit dem Volk im Bunde er Ruhm und Sieg errang.

Es leuchtet auch der Name Petrus Palladius auf lateinisch, aber Peter Plade auf dänisch, der Bischof von Roeskilde, auch der Sohn eines armen Schmieds aus Jütland. Und von Adelsnamen strahlt Hans Fries, der Kanzler des Reiches. Er setzte Studenten an seinen Tisch und sorgte für sie. Und einem vor allen gebührt Hurra und Sang:

»Solange ein Student von Axels Strand
Das kleinste Wort kann schreiben,
Solange soll im dänischen Land
Christian in Ehren bleiben.

Da fallen Sonnenstrahlen zwischen die schweren Wolken zur Zeit des Wechsels.

 

*

Nun wenden wir das Blatt.

»Was saust und singt im großen Belt unterhalb Samsö? Aus dem Meer steigt eine Meerfrau mit tanggrünem Haar auf. Sie verkündet den Bauern: »Es wird ein Prinz geboren, der ein König wird, mächtig und groß.«

Auf dem Felde, unter dem blühenden Weißdorn wurde er geboren. Nun blüht sein Name in Sage und Lied, in Burgen und Schlössern rings in weitem Umkreis. Die Börse schoß mit Turm und Spitze hervor; Rosenburg erhob sich und sah weit über die Wälle hinaus. Die Studenten erhielten ein eigenes Haus, und in der Nähe steht und zeigt noch heute der runde Turm gegen den Himmel; eine Uraniasäule sieht gegen Hveen, wo die Uraniaburg sich stolz erhob. Ihre goldenen Kuppeln glänzten im Mondlicht, und die Meerfrauen sangen von dem Manne darinnen, welchen Könige und die Großen des Geistes besuchten, von Tycho Brahe, dem Kinde der Klugheit von adligem Blut. Er erhob Dänemarks Namen so hoch, daß er mit dem Sternenhimmel in allen geisteserleuchteten Ländern der Erde bekannt wurde. Und Dänemark verstieß ihn.

In seinem Schmerze sang er sich zum Troste:

»Ist nicht ein Himmel überall,
Und mehr bedarf ich nicht.«

Sein Lied hat das Leben des Volksliedes, wie das Lied der Meerfrauen von Christian IV.

 

*

»Nun kommt ein Blatt, das du dir gründlich ansehen mußt,« sagte der Pate; »Bild reiht sich an Bild, wie im Heldenlied Vers an Vers. Es ist ein Lied, so freudig in seinem Anfang und so traurig in seinem Ende.

Hier tanzt ein Königskind auf dem königlichen Schlosse; wie reizend sieht es aus. Ans dem Schlosse König Christians IV. sitzt seine geliebte Tochter Eleonore. In weiblichen Sitten und Tugenden wächst sie auf. Der vornehmste Mann des mächtigen Adels, Corsitz Ulfeldt, ist ihr Verlobter. Sie ist noch ein Kind, sie fühlt noch die Rute ihrer strengen Hofmeisterin. Sie klagt es ihrem Liebsten, und sie hat recht. Wie klug sie ist, wie sittsam, wie gelehrt; sie kann Griechisch und Lateinisch, sie singt Italienisch zu ihrer Laute; sie weiß über den Papst und Luther zu reden.

König Christian liegt in der Grabkapelle des Roeskilder Domes: Eleonores Bruder ist König. Auf dem Schlosse zu Kopenhagen herrschen Pracht und Glanz, Schönheit und Klugheit. Vor allem glänzt die Königin selbst: Sophie Amalie von Lüneburg. Wer lenkt das Pferd so gut wie sie? Wer zeigt im Tanze Majestät wie sie? Wer spricht mit Kenntnis und Geist wie Dänemarks Königin?

»Eleonore Christine Ulfeldt!« Der französische Gesandte sprach diese Worte: »In Schönheit und Klugheit überstrahlt sie alle!«

Aus dem Parkettboden im königlichen Ballsaal wächst die Klette des Neides. Sie hängt sich an, sie filzt sich ein und verbreitet kränkenden Hohn: »Das Bastardkind! Ihre Kutsche soll vor der Schloßbrücke halten; wo Königinnen fahren, müssen Frauen gehen.« So jagen sich Geschwätz, Anspielung und Lüge.

Und Ulfeldt nimmt in einer stillen Nacht sein Weib bei der Hand. Die Schlüssel zu dem Stadttor hat er; er öffnet es. Die Pferde warten draußen. Sie reiten am Strande entlang und segeln fort, hinüber nach Schweden.

 

*

Nun wenden wir das Blatt, wie sich das Glück der beiden wendet.

Es ist Herbst; die Tage sind kurz, die Nächte lang; es ist grau und naß, der Wind kalt und in steigender Stärke. Er saust in dem Laub der Bäume auf den Wällen, und das Laub fliegt hinüber auf Peter Oxes Hof. Er steht leer und verlassen von seiner Herrschaft. Der Wind saust hinüber nach Christianshafen, nach Kai Lykkes Hof; nun ist es ein Zuchthaus. Er selbst wurde aus Ehre und Land gejagt, sein Wappen wurde zerbrochen, sein Bild an den höchsten Galgen gehängt. So wurde sein übermütiges, leichtfertiges Wort über die gefeierte Königin des Landes bestraft. Laut heult der Wind und fährt hin über den freien Platz, wo der Hof des Oberhofmeisters gestanden hat. Nur ein Stein ist von ihm übrig geblieben. »Den trieb ich wie einen Geröllstein auf das segelnde Eis hinab,« rauschte der Wind. »Der Stein strandete, wo einst die von mir verfluchte Diebsinsel aufschoß. So kam er hinein in Herrn Ulfeldts Hof, wo die Frau zur klingenden Laute sang, Griechisch und Latein las und stolz einherging. Nun ragt hier nur ein Stein empor mit der Überschrift:

»Dem Verräter Corsitz Ulfeldt
sei ewig Scham und Schande.

Aber wo ist sie nun, die vornehme Frau? »Hui-Hui!« pfeift der Wind mit schneidender Stimme. Im blauen Turm hinter dem Schlosse, wo das Meerwasser gegen die grünschleimige Mauer schlagt. Dort sitzt sie schon manches Jahr. In ihrer Kammer ist mehr Rauch als Warme; das kleine Fenster ist hoch unter der Decke. Wie niedrig, wie schlecht sitzt sich's hier. König Christians IV. verwöhntes Kind, sie, die feinste der Mädchen und Frauen. Die Erinnerung hängt Gardinen und Tapeten an die verräucherten Wände des Gefängnisses. Sie denkt an die schöne Zeit ihrer Kindheit, an die milden, strahlenden Züge ihres Vaters; sie denkt an die prächtige Hochzeitsfeier, an die Tage des Stolzes und an die Tage der Drangsal in Holland, England und Bornholm.

»Und wahrer Liebe ist nichts zu schwer,
Und wähle Treue schämt sich nimmermehr.«

Doch damals war sie bei ihm; nun ist sie allein, für immer allein. Sie weiß sein Grab nicht; niemand weiß es.

»Ihr ganzes Vergehen war nur ihre Treue.«

Sie sitzt Jahre, viele lange Jahre; aber draußen regt sich das Leben. Es steht niemals still; aber wir wollen einen Augenblick stillstehen und an sie und die Worte des Liedes denken:

»Dem Manne hielt sie treu den Eid
In Not und großer Traurigkeit.«

»Siehst du dieses Bild?« sagte der Pate.

»Es ist Winter; der Frost schlägt eine Brücke zwischen Seeland und Fünen, eine Brücke für Karl Gustav, der unaufhaltsam vordringt. Plünderung, Brand und Mord, Angst und Not im ganzen Lande.

Die Schweden liegen vor Kopenhagen. Es ist schneidend kalt und wirbelndes Schneegestöber. Aber getreu ihrem König und sich selbst getreu stehen Männer und Frauen zum Kampfe bereit. Jeder Handwerker, Kaufmann, Student und Lehrer ist draußen auf den Wällen zu Schutz und Schirm. Man kennt keine Furcht vor den glühenden Kugeln. König Friedrich schwur zu siegen oder zu sterben. Er reitet hinauf und die Königin mit ihm. Mut und Manneszucht und Vaterlandsliebe herrschen dort. Laß die Schweden nur ihr Leichenhemd anziehen, sich durch den weißen Schnee heranschleichen und die Stadt zu erstürmen versuchen. Da werden Balken und Steine auf sie herabgeworfen; ja die Frauen kommen mit Braukesseln und gießen siedendes Pech und siedenden Teer auf die stürmenden Feinde.

In dieser Nacht sind König und Bürger eine einzige Macht. Und sie gewinnen Rettung und Sieg, Die Glocken läuten; der Dankgesang ertönt. Der Bürger hat Adelssporen gewonnen.

 

*

»Was folgt nun wohl? Sieh dieses Bild.«

Die Frau des Bischofs Svane kommt in geschlossener Kutsche. Das darf nur der hohe, mächtige Adel. Die stolzen Junker zertrümmern den Wagen und die Frau des Bischofs muß zum bischöflichen Hof zu Fuß gehen.

Ist das die ganze Geschichte? Weit Größeres wird in nächster Stunde hervorbrechen: ›Die Macht des Hochmuts.‹

Der Bürgermeister Hans Nansen und der Bischof Svane reichen sich zur Tat im Namen des Herrn die Hand. Sie sprechen mit Klugheit und Redlichkeit, und es wird in den Kirchen und den Bürgerhäusern gehört. Ein Handschlag des Zusammenhaltens – und der Hafen ist gesperrt, die Tore geschlossen und die Sturmglocken läuten. Die Macht ist dem König allein gegeben, und er bleibt in seiner Stadt in der Stunde der Gefahr; er herrscht, er regiert über groß und klein.

Das sind die Zeiten der Gewalt.

 

*

Nun wenden wir das Blatt, und die Zeit wendet sich auch.

»Hallo, halli, hallo!« Der Pflug ist beiseite gelegt; die Heide kann wachsen; aber die Jagd ist gut. »Hallo, halli!« Höre die gellenden Hörner und die gekoppelte Meute. Sieh die Jägerscharen, sieh den König Christian V. Er ist jung und froh! Im Schlosse und in der Stadt herrscht die Lust. Im Saale Wachskerzen, im Garten Fackeln und in den Straßen Laternen zum erstenmal. Alles strahlt in neuem Glänze! Ein neuer Adel ist aus Deutschland hereingerufen, und die Barone und Grafen erhalten Gunst und Gaben. Nun gelten Titel und Rang und die deutsche Sprache.

Da ertönt eine Stimme so recht dänisch; – es ist eines Webers Stimme, nun ein Bischof, – es ist Kingos Stimme. Er singt die herrlichen Kirchenlieder.

Und noch ein Bürgerssohn, eines Weinhändlers Sohn, tut sich hervor. Seine Gedanken leuchten in Gesetz und Recht und auf dem goldenen Grunde seines Gesetzbuches hat der Name des Königs Dauer bis in die kommenden Zeiten. Der Bürgerssohn, der mächtigste Mann des Landes, erhalt das Adelswappen. Aber mit ihm erwachsen ihm Feinde, und des Henkers Schwert hängt auf der Richtstätte über Griffenfeldts Haupt. Da ertönt Begnadigung zur lebenslänglichen Haft. Sie bringen ihn auf eine Felseninsel an der Throndhjemer Küste:

»Muntholm – du dänisches St. Helena.«

Aber leicht tanzt es sich in dem Saal des Schlosses; dort ist Glanz und Pracht; dort ist fröhliche Musik; dort tanzen Hofherren und Hofdamen.

 

*

Nun kommt Friedrichs IV. Zeit.

Sieh die stolzen Schiffe mit der Siegesflagge! Sieh das rollende Meer! Ja, es kann von Großtaten, von Dänemarks Ruhm erzählen. Wir erinnern an die Namen, die siegreichen Namen Sehestedt und Gyldenlöve. Wir erinnern an Hvitfeldt, der sein Schiff in die Luft sprengte und mit dem Danebrog gen Himmel flog, um die dänische Flotte zu retten. Wir denken an die Zeit des Kampfes, an den Held, der aus den norwegischen Bergen zum Schutze Dänemarks hervorsprang: Peter Tordenskjöld. Tordenskjöld – Donnerschild. Aus dem herrlichen Meer, aus dem stürmenden Meer donnert sein Name von Küste zu Küste.

Ein Donner erdröhnt im Geflüster der Zeit.
Ein Blitzstrahl schlug ein in die Zaghaftigkeit,
Da sprang auf ein Bursche vom Schneidertisch,
Von Norwegens Küste er eilend entlief.
Den Wikingergeist er von neuem wachrief:
Übers Meer flog er trotzig und jugendfrisch.

Von der Küste Grönlands kommt ein Lüftchen, ein Duft wie aus dem Lande Bethlehem. Es meldet vom Licht des Evangeliums, von Hans Egede und seinem Weibe.

Die halbe Seite hier hat deshalb Goldgrund; die andere Hälfte – sie bedeutet Trauer – ist aschgrau mit schwarzen Flecken, wie von Feuerfunken, wie von Seuche und Tod.

In Kopenhagen wütet die Pest. Die Straßen sind leer, die Türen verrammelt, ringsum sind mit Kreide Kreuze gemacht. Da drinnen ist die Seuche; aber wo die Kreuze schwarz sind, sind alle tot.

In der Nacht werden die Leichen fortgebracht, ohne Glockenklang, Sie nehmen von der Straße die Halbtoten mit; die Sammelwagen rasseln, sie sind voll Toter. Aber aus der Schenkstube ertönt das häßliche Singen des Rausches und wildes Geschrei. Durch Trinken wollen sie die bittere Not vergessen; wir wollen auch vergessen und enden – enden. Alles nimmt ja ein Ende. Hier endet das Blatt mit einer andern Not, einer andern Prüfungszeit für Kopenhagen.

König Friedrich IV. lebt noch: aber sein Haar ist ergraut in der Zeiten Lauf. Aus dem Fenster des Schlosses sieht! er hinaus in das stürmische Wetter: es ist spät im Jahre.

In einem kleinen Hause am Westtor spielt ein Knabe mit seinem Ball; er fliegt auf den Boden. Der Kleine nimmt ein Talglicht, geht hinauf und sucht. Das Haus fängt Feuer; die ganze Straße brennt. Sieh, wie die Flammen wachsen! Da ist Nahrung für das Feuer; da ist Heu und Stroh, da ist Tran und Teer, da liegt Brennholz für den Winter. Und alles brennt! Es ist Weinen und Schreien, es ist eine große Verwirrung. In das Gedränge reitet der alte König, ermuntert, befiehlt. Mit Pulver wird gesprengt: Häuser werden niedergerissen. Nun brennt's auch im nördlichen Stadtteil; die Kirchen brennen: St. Petri und Unserer Frauen. Höre das Glockenspiel sein letztes Lied spielen: »Den Zorn von uns abwende, du hoher Gott der Gnade.«

Nur der runde Turm steht und das Schloß steht; ringsherum rauchende Trümmer. König Friedrich liebt das Volk; er tröstet und speist sie; er ist bei ihnen, ist der Obdachlosen Freund. Gesegnet sei Friedrich IV.

 

*

Sieh nun dieses Blatt.

Sieh die goldene Kutsche, mit Dienern ringsherum, mit gewappneten Reitern vorn und hinten, aus dem Schlosse kommen, wo eine eiserne Kette ausgespannt ist, um zu verhindern, daß das Volk zu nahe heran kommt. Jeder unadlige Mann muß über den Platz entblößten Hauptes gehen. Man sieht daher nicht viele, die meisten umgehen die Stätte. Da kommt einer mit gesenktem Blick, mit dem Hut in der Hand, und es ist gerade der Mann jener Zeit, den wir am lautesten nennen.

»Wie klärender Sturm seine Sprache erklang
Und kündigte Sonnenschein kommenden Tagen,
Der finstere Geist wie ein Grashüpfer sprang,
Zurück in die Zeit, die ihn einst getragen«

Es ist Geist und Witz; es ist Ludwig Holberg. Die dänische Bühne, das Schloß seiner Größe, hat man geschlossen, als wäre es die Wohnung der Verächtlichen. Alle Freude ist eingesargt; Tanz, Sang und Musik ist verboten und verbannt. Nun herrscht das finstere Christentum

 

*

»Der Dänenprinz,« wie seine Mutter ihn nannte. Nun kommt die Zeit des Sonnenscheins, des Vogelsanges, der Freude, des Dänentums und der Lustbarkeit. Friedrich V. ist König. Und die Ketten werden vom Schloßplatz fortgenommen; die dänische Bühne ist wieder geöffnet; es herrscht Lachen und Lust; es herrscht frohe Laune. Und die Bauern reiten zur Sommerzeit in die Stadt. Es ist die Zeit der Freude nach der Fastenzeit und Niedergeschlagenheit. Das Schöne gedeiht, treibt Blüten und Früchte in Tönen, Farben und bildender Kunst. Höre Gretys Musik! Sieh Londemanns Spiel! Und die Königin von Dänemark liebt das Dänische. Luise von England, so schön und mild, Gott im Himmel segne dich! Die Sonnenstrahlen singen lieblich im Chor von den dänischen Königinnen: Philippa, Elisabeth, Luise.

 

*

Der irdische Teil ist längst eingesargt; aber die Seelen leben, die Namen leben. Wieder sendet England eine Königsbraut: Mathilde, so jung und bald so verlassen! Von dir werden die Dichter einst singen, von deinem jugendlichen Herzen und der Stunde deiner Prüfung. Und das Lied hat Macht, eine unnennbare Macht über Zeiten und Menschen. Sieh den Brand des Schlosses, der Burg König Christians. Man sucht das Beste zu retten, das zu finden ist. Sieh die Leute der Insel einen Korb mit Silberzeug und kostbaren Geräten fortschleppen. Großen Reichtum birgt er. Aber plötzlich sehen sie durch die offene Tür, wo die Flammen lodern, eine Bronzebüste, die Büste Christians IV. Da werfen sie die Kostbarkeiten, die sie tragen, von sich. Sein Bild drinnen ist weit mehr. Sie kennen ihn aus Ewalds Lied, aus Hartmanns herrlichen Melodien. Es liegt eine Macht in Wort und Lied, und es wird einst gar stark erklingen von der armen Königin Mathilde

 

*

Nun blättern wir weiter in unserm Buch

Auf Ulfeldts Platz steht der Schandstein Wo in der Welt erhebt sich etwas Ähnliches? Am Westtor wurde eine Säule errichtet. Wie viele gibt es davon wohl in der Welt?

Die Sonnenstrahlen Kissen die Geröllsteine, die Grundlage der Freiheitssäule. Alle Kirchenglocken läuten, die Fahnen wehen, das Volk jubelt dem Kronprinzen Friedrich zu Alt und jung trägt im Herzen und auf der Zunge die Namen: Bernstorff, Reventlow, Colbjörnson. Mit strahlenden Augen und dankerfülltem Herzen lesen sie die segenspendende Inschrift auf der Säule

»Der König gebot, die Leibeigenschaft soll aufhören; das Bauerngesetz in Kraft treten, damit der freie Bauer stolz und aufgeklart, fleißig und gut werde, und der ehrsame Burger glücklich!«

Welch Sonnenschein! Welch Sommer in der Stadt.

Die Lichtgeister singen: Das Gute wächst! das Schöne wächst! Bald fällt der Stein auf Ulfeldts Platz; aber die Freiheitssäule soll im Sonnenschein stehen, von Gott, König und Volk gesegnet.

»Es gibt eine alte Straße
Die führt bis ans Ende der Welt.«

Das offene Meer, offen für Freunde und Feinde, und Feinde kamen Die mächtige englische Flotte segelte herauf, eine Großmacht gegen eine kleine. Der Kampf war hart, aber das Volk mutig!

»Kampfeslust aus jedem loht,
Hundertfach vom Tod bedroht.«

Es gewann die Bewunderung ferner Feinde und begeisterte Dänemarks Dichter. Wehende Fahnen mahnen noch heutigentags an den Schlachttag. Dänemark feiert den zweiten April, den Donnerstag des glänzenden Sieges im Hafen.

Jahre vergehen Eine Flotte wird im Öresund gesehen Gilt es Rußland oder Dänemark? Das wußte niemand, selbst niemand an Bord.

Im Volksmund lebt eine Erzählung, daß in der Morgenstunde, als der versiegelte Befehl erbrochen und verlesen wurde, der die dänische Flotte zu nehmen gebot, ein junger Kapitän, hochherzig in Wort und Tat, ein echter Sohn Britanniens, vor den Admiral trat. »Ich schwur,« waren seine Worte, »bis zu meinem Tode für die englische Flagge in offener ehrlicher Schlacht zu kämpfen aber nicht hinterlistig zu überrumpeln.«

Und damit stürzte er sich ins Meer.

»Die Flotte steuert gegen Kopenhagen.
Doch kalt und starr der Kapitän nun ruht,
Und fern dem Orte, wo die Schlacht geschlagen,
Auf tiefem Grund, bedeckt von schwarzer Flut,
Bis ihn die Strömung trieb zum Schwedenland
Hier fanden Fischer ihn in heller Nacht,
Als sie vom Fischzug kehrten heim zum Strand.
Und würfeln um des Toten goldne Pracht.«

Der Feind stand vor Kopenhagen. Mit Flammenschrift steht es geschrieben: Wir verloren die Flotte, aber nicht den Mut und den Glauben an Gott; er demütigt, aber er richtet wieder auf. Die Wunden heilen wie in der Schlacht der Einherier: Kopenhagens Geschichte ist reich an göttlichem Trost.

Gott liebt der Dänen Land
Der Glaube lebt im Volke;
Hält's treu ihn bei der Hand,
Fährt hin die Wetterwolke.

Bald schien die Sonne wieder auf die neu gestärkte Stadt, auf reiche Kornfelder, auf Geist und Witz. Ein gesegneter Sommertag das Friedens brach an, wo durch Ohlenschlägers Kunst sich die Dichtungen farbig und herrlich wie eine Fata Morgana erhoben.

Und in der Wissenschaft wurde ein großer Fund gemacht, weit größer als ein Goldhorn aus alten Zeiten; eine goldene Brücke wurde erfunden:

Die Brücke für Gedankenblitze
Für alle Zeit, für jedes Volk und Reich.

Hans Christian Örstedt schrieb seinen Namen dort ein.

Und sieh! Beim Schloß neben der Kirche wurde ein Gebäude errichtet, zu dem selbst die ärmsten Männer und Frauen gern ihr Scherflein gaben. »Du erinnerst dich aus unserm Bilderbuche,« sagte der Pate; »der alten Steinblöcke, welche von den Gebirgen Norwegens niederstürzten und durch das Eis bis in den Sund geführt wurden: sie sind auf Thorwaldsens Geheiß wieder aus dem tiefen Sandgrund in marmorner Schönheit emporgestiegen. –

Denke an das, was ich dir gezeigt und dir erzählt habe. Die Sandbank im Meere hob sich, wurde ein Schutz des Hafens, trug Axels Haus, trug die Burg des Bischofs und das Schloß des Königs und trägt nun den Tempel der Schönheit. Die Worte des Fluchs sind verweht: aber was die Sonnenkinder freudig von einer kommenden Zeit sangen, hat sich erfüllt.

So mancher Sturm ist über sie dahingefahren: er kann wieder kommen und wird wieder über sie hinfahren. Das Wahre, das Gute und das Schöne behält doch den Sieg.

Und hiermit sei das Bilderbuch geschlossen; aber Kopenhagens Geschichte ist damit nicht zu Ende. Wer weiß, was du selbst noch erleben wirst.

Häufig hat es finster ausgesehen, ein Sturm getobt: aber der Sonnenschein war nicht verweht: er bleibt. Und stärker als der stärkste Sonnenschein ist Gott. Er regiert mehr als Kopenhagen.«

Das sagte der Pate und gab mir das Buch. Seine Augen leuchteten: er war seiner Sache gewiß. Und ich nahm das Buch so froh, so stolz und vorsichtig, wie kürzlich meine kleine Schwester, als ich sie zum erstenmal trug.

Und der Pate sagte: »Du darfst gern dem einen und dem andern dein Bilderbuch zeigen, du darfst auch sagen, daß ich es gemacht, geklebt und gezeichnet habe. Aber es ist eine Lebensfrage, daß jeder sofort weiß, woher ich die Idee zu demselben erhalten habe. Du weißt es, so erzähl' es! Die Idee empfing ich von den alten Tranlampen gerade an dem Abend, als sie zum letztenmal brannten und den Gaslaternen der Stadt gleich einer Fata Morgana, alles zeigten, was es in Kopenhagen zu sehen gab von dem Augenblick an, als man die erste Lampe beim Hafen anzündete, bis zu dem Abend, als sie von Tran und von Gas gemeinsam erleuchtet wurde.

Du darfst das Buch allen zeigen, wem du willst: doch nur Menschen mit milden Augen und freundlicher Gesinnung: aber kommt ein Höllenpferd, so schließe des Paten Bilderbuch.«


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