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Familienchronik


I. Stepan Michailowitsch Bagrow

Übersiedelung

Mein Großvater fühlte sich zu beengt in seiner Wirtschaft auf dem Stammgute im Gouvernement Simbirsk, das seine Ahnen noch von den moskowitischen Zaren erhalten hatten; nicht daß es ihm an etwas gefehlt hätte, denn Acker, Wälder, Wiesen und sonstiges Zubehör waren im Überfluß vorhanden, sondern weil das Gut, das noch seinem Urgroßvater ganz gehört hatte, sich nun im gemeinsamen Besitze vieler befand. Die Sache verhielt sich sehr einfach. In der Familie Bagrow hatten drei Generationen nacheinander aus einem Sohne und mehreren Töchtern bestanden. Unter den letzteren hatten sich einige verheiratet und als Mitgift Bauern nebst Grundbesitz bekommen. Diese bildeten freilich nur einen geringen Teil des Ganzen; da aber die Verwaltung eine gemeinschaftliche war, hatte das Gut außer meinem Großvater noch vier Herren, und das war diesem unerträglich, denn er war ein gerader, ungeduldiger, heftiger Mann und konnte Intrigen in seinem Haushalte nicht leiden. Seit einiger Zeit hörte er viel von der Provinz Ufa erzählen, von dem unerschöpflichen Reichtum des endlos sich ausdehnenden Urbodens, von der unglaublichen Fülle an Wild, an Fischen und an Früchten der Erde und von der leichten Art, auf die man dort für den billigsten Preis ganze Ländereien erwerben könne. Um einen solchen Kauf abzuschließen, brauche man nur, so hieß es, ein Dutzend Grundbesitzer aus den baschkirischen Distrikten Kartobyn und Karmalin zu sich einzuladen, ihnen zwei oder drei fette Hammel zur Verfügung zu stellen, die sie dann auf ihre eigene Art schlachten und zubereiten, ferner ein Faß Branntwein, einige Eimer starken Baschkirenmet und eine Tonne Landbier (ein schlagender Beweis, daß die Baschkiren auch damals es mit dem Mohammedanismus nicht so streng nahmen): dann sei die Sache in Ordnung. Freilich, fügte man hinzu, müsse eine solche Bewirtung eine ganze Woche, mitunter auch vierzehn Tage dauern. Mit Baschkiren könne man nämlich nicht mit einemmal über Geschäfte sprechen, sondern müsse sie jeden Tag fragen: »Nun, Bekannter, guter Mensch Formeln baschkirischer Höflichkeit. (Anmerkung des Übersetzers S. R.), laß uns von meinem Geschäft reden!« Wenn die Gäste, die wörtlich Tag und Nacht essen, mit der Bewirtung noch nicht ganz zufrieden und noch nicht müde sind, ihre eintönigen Lieder zu singen, die Tschebysga Eine Art Flöte, aus der die Baschkiren sehr mannigfaltige Töne hervorlocken. (Anmerkung des Verfassers.) zu blasen und zu tanzen, d. h. auf demselben Fleck in den possierlichsten Stellungen zu stehen und sich niederzukauern, so antwortet der Älteste, mit der Zunge schnalzend, den Kopf schüttelnd und mit wichtiger Miene sich vom Fragenden abwendend: »Die Zeit ist noch nicht gekommen – schleppe noch einen Hammel herbei!« Der Hammel wird natürlich herbeigeschleppt, Branntwein und Met ebenfalls, und wieder geht das Essen, Trinken, Singen und Schlafen los. Doch hat alles in der Welt sein Ende. Es kommt ein Tag, an dem der Älteste dem Fragenden gerade ins Gesicht sieht und also antwortet: »Habe Dank, Väterchen, schönsten Dank! Nun sage, was ist dein Verlangen?« Darauf antwortet der Käufer mit russischer Gewandtheit und Verschmitztheit, daß er gar kein Verlangen habe, daß er aber immer gehört habe, die Baschkiren seien treffliche Leute, und daß er darum gekommen sei, mit ihnen Freundschaft zu schließen usw. Dann kommt das Gespräch zufällig auf den unermeßlichen Grundbesitz der Baschkiren, auf die Unzuverlässigkeit der Pächter Diese Pächter, oder sogenannten Zugelassenen, waren Leute, denen die Baschkiren für ein jährliches Pachtgeld oder für einmalige Zahlung ihre Länder auf eine bestimmte Reihe von Jahren überließen. Es kam fast durchweg vor, daß nach Beendigung des Pachttermins die Zugelassenen ihre neuen Wohnsitze nicht verlassen wollten. Daraus entstanden Hunderte von Prozessen, die gewöhnlich damit endeten, daß die Pächter auf dem so billig erworbenen Wohnsitze gelassen wurden. Auf diese Weise sind ungeheuere baschkirische Ländereien in die Hände von Tataren, Meschtscheren, Tschuwaschen, Mordwinen und anderen Kronbauern übergegangen. (Anmerkung des Verfassers.), die wohl in den ersten zwei Jahren die Pacht bezahlen, später aber die Zahlungen gänzlich einstellen und das Land nicht verlassen wollen, so daß man sich mit ihnen in Prozesse einlassen muß, die doch am Ende zu ihren Gunsten ausfallen. Nach solchen Reden, die leider nur zu begründet sind, folgt der Vorschlag, die guten Baschkiren von einem Teile des lästigen Grundbesitzes zu befreien, und für die unbedeutendste Summe werden ganze Ländereien gekauft und der Kauf durch ein gerichtliches Aktenstück sanktioniert, in dem natürlich die Größe des angekauften Areals nicht angegeben ist, da kein Mensch es gemessen hat. Gewöhnlich werden natürliche Grenzen angegeben, ungefähr so: »Von der Mündung des Flüßchens Konlyelg bis zu der dürren Birke am Wolfspfade, und von der dürren Birke geradeaus zur Wasserscheide, und von der Wasserscheide zu den Fuchshöhlen usw.« Solche genauen und unbestreitbaren Grenzen schlossen oft Landstücke von zehn-, zwanzig-, dreißigtausend Deßjätinen ein. Und für das Ganze zahlte man etwa hundert Rubel (in Silber, versteht sich) und machte wohl noch für hundert Rubel Geschenke, die Bewirtung nicht mitgerechnet. – Solche Erzählungen gefielen meinem Großvater gar sehr, obgleich er ein Mann von strenger Ehrlichkeit war und das Betrügen der gutmütigen Baschkiren nicht billigen konnte. Er sagte sich nämlich, daß er, auch ohne verwerfliche Mittel zu gebrauchen, in der Provinz Ufa große Landstrecken für geringe Summen kaufen könne, daß es tunlich sei, dahin die Hälfte seiner Leibeigenen überzusiedeln und selbst dort mit seiner Familie seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Letzteres war ihm eigentlich die Hauptsache; denn in den letzten Jahren hatten ihn die ewigen Streitigkeiten mit seiner Verwandtschaft wegen der gemeinsamen Benutzung des Bodens dermaßen angeekelt, daß es sein Lieblingswunsch geworden war, das Haus seiner Väter, das alte Familiennest, zu verlassen und sich anderswo ein freies, ruhiges Leben einzurichten, wie es ihm, einem nicht mehr jungen Manne, zum Bedürfnis geworden war.

Und so entschloß sich endlich mein Großvater, nachdem er sich ein paar tausend Rubel zusammengespart hatte. Er nahm von seiner Frau Abschied, die er Arischa nannte, wenn er guter Laune war, und Arina, wenn ihn etwas verstimmte. Er küßte und segnete seine vier kleinen Töchter, insbesondere aber sein neugeborenes Söhnchen, den letzten Sprößling, die einzige Hoffnung seines altadeligen Geschlechtes. An den Töchtern war ihm nicht viel gelegen. »Was habe ich von den Mädchen?« pflegte er zu sagen. »Die laufen mir aus dem Hause, sobald sie es nur können. Heute sind sie noch Bagrows, morgen Schlygins, Malygins, Popows, Kalpakows … Meine einzige Hoffnung ist Alexei.« So sprach mein Großvater noch am Tage seiner Abreise und ging über die Wolga nach der Statthalterschaft Ufa.

Fürs erste will ich aber dem Leser sagen, was für ein Mensch mein Großvater war.

Stepan Michailowitsch Bagrow, so hieß er, war kaum von mittlerer Statur; aber seine hohe Brust, seine auffallend breiten Schultern, seine sehnigen Hände, sein massiver, muskulöser Gliederbau zeugten von seiner außerordentlichen Körperstärke. In seiner Jugend pflegte er, wenn bei Kriegsspielen seine Kameraden ihre Kräfte versuchten, eine ganze Menge, die sich an ihn klammerte, abzuschütteln, wie eine stämmige Eiche nach dem Regen beim ersten Windstoß die Tropfen abwirft. Regelmäßige Gesichtszüge, schöne, große, dunkelblaue Augen, die im Zorn leicht aufflammten, aber bei ruhiger Stimmung still und heiter glänzten, dichte Augenbrauen, ein angenehmer Mund, das alles gab seinem Antlitze etwas überaus Offenes und Ehrliches; seine Haare waren lichtbraun. Alles, was ihm nahte, faßte zu ihm Zutrauen; sein Wort, sein Versprechen waren zuverlässiger und heiliger als alle möglichen Schwüre und gerichtlichen Verträge. Sein natürlicher Verstand war klar und gesund. Freilich hatte er, wie alle damaligen Landedelleute, gar keine Bildung; er konnte kaum Russisch lesen und schreiben; erst als er in den Militärdienst getreten war, hatte er die vier Spezies und den Gebrauch des Rechenbrettes erlernt, wovon er noch als Greis zu erzählen liebte. Wahrscheinlich ist er nicht lange im Dienste geblieben, da er es nur bis zum Regimentsquartiermeister gebracht hat. Übrigens mußten die Edelleute damals lange Zeit als Gemeine und Unteroffiziere dienen, wenn sie diese Stufen nicht noch in der Wiege durchmachten und plötzlich aus Sergeanten der Garde zu Hauptleuten der Linie gemacht wurden. Von dem Militärleben Stepan Michailowitschs ist mir nur weniges bekannt. Ich weiß nur, daß er oft mit dem Einfangen der Wolgaräuber beauftragt war, daß er sich dabei beständig durch Scharfblick und Tollkühnheit auszeichnete; die Räuber kannten ihn sehr wohl und fürchteten ihn wie den Teufel. Nachdem er den Dienst verlassen hatte, brachte er einige Jahre in seinem Stammgute zu, Troizkoje, auch Bagrowo genannt, und wurde ein vortrefflicher Landwirt. Er gehörte nicht zu denen, die peinlich alle Feldarbeiten überwachen, die immer zugegen sein müssen, wenn Korn aufgeschüttet und weggeschickt wird. Er verstand es, selten, aber zweckmäßig in die Wirtschaft einzugreifen, und wenn er etwas Unrechtes merkte, besonders einen Betrug, so war sein Zorn unerbittlich. Dabei handelte mein Großvater, dem Geiste seiner Zeit gemäß, nach folgendem Räsonnement: einen Bauer dadurch bestrafen, daß man ihn um seine Arbeitstage bringt, heiße dessen Wohlstand, und somit den eigenen, gefährden; ihm Geld abnehmen, ebenfalls; ihn von seiner Familie trennen, auf ein entferntes Gut senden, ihm schwerere Arbeiten auferlegen, ebenfalls, wobei noch die moralisch üble Wirkung einer Trennung von der Familie hinzukomme; sich an die Polizei wenden – Gott behüte! Das wäre ja eine solche Schande und Schmach gewesen, daß die ganze Gemeinde über den Schuldigen gejammert hätte wie über einen Toten und der Bestrafte sich als einen geschändeten, verlorenen Menschen betrachtet hätte. Übrigens muß ich hinzufügen, daß mein Großvater nur im Zorne unerbittlich war. Mit dem Zorne verging seine Strenge. Das benutzte man: manchmal gelang es dem Schuldigen, sich zu verbergen, bis der Sturm vorüber war. Bald waren auch die Bauern in ein solches Verhältnis mit ihm gekommen, daß er keinen Anlaß mehr fand, in Zorn zu geraten.

Als die Wirtschaft in Ordnung gebracht war, heiratete mein Großvater Arina Wasiljewna Nekljudowa, ein armes Fräulein aus einem altadeligen Hause. Ich ergreife diese Gelegenheit, um hinzuzufügen, daß die altadelige Herkunft das Steckenpferd meines Großvaters war. Zwar hatte er nur hundertachtzig Seelen, aber er leitete sein Geschlecht, mit wieviel Recht, lasse ich dahingestellt, von den warägischen Fürsten ab und stellte seinen siebenhundertjährigen Adel über allen Reichtum und alle Würden. Er hatte ein sehr reiches und schönes Mädchen, das ihm gefiel, nicht geheiratet, einzig und allein weil ihr Urgroßvater kein Adeliger gewesen war.

So viel von dem Charakter Stepan Michailowitschs. Und nun kehren wir zu unserer unterbrochenen Erzählung zurück.

Mein Großvater war bei Simbirsk über die Wolga gegangen, reiste durch die Steppen des linken Ufers, über Tscheremschan, Kandurtscha, über das Rote Dorf, eine Ansiedelung ausgedienter Soldaten, und gelangte nach Sergijewsk, einem hochgelegenen Flecken an der Mündung des Surgut in den Bolschoi Sok. Sergijewsk ist jetzt ein Städtchen und hat den zwölf Werst entfernt gelegenen schwefelhaltigen Quellen seinen Namen gegeben, die jetzt als die Bäder von Sergijewsk bekannt sind. Je weiter mein Großvater in die Statthalterschaft Ufa eindrang, desto reicher wurde der Boden, desto üppiger die Gegend. Im Kreise Buguruslan, bei der Abdulschen Staatsbranntweinbrennerei, zeigten sich endlich die Wälder. Mein Großvater hielt sich in der Kreisstadt Buguruslan auf, um sich über die käuflichen Ländereien zu erkundigen; die Stadt liegt auf einem hohen Berge am Flusse Bolschoi Kinel, von dem die Leute singen:

Es fließt der Kinel
Nicht tief, noch schnell,
Voll grünen Schlamms …

In diesem Kreise war wenig Land übrig, das noch den Baschkiren gehörte. Teils waren die Ländereien von der Regierung nach dem Akajewschen Aufstande und vor der allgemeinen Amnestie an Kronbauern vergeben, teils waren sie von den Pächtern der Baschkiren in Besitz genommen, teils von Gutsbesitzern aus dem Westen angekauft worden. Von Buguruslan aus machte mein Großvater Ausflüge in die Kreise Bugulma, Birsk und Menselinsk (letztere beide bilden zum Teil den jetzigen Kreis Belebei). Er besuchte die herrlichen Ufer des Ik und der Djoma. Ein reizendes Land! Noch im höchsten Alter liebte es Stepan Michailowitsch, von dem Eindruck zu sprechen, den auf ihn die üppigen, fruchtbaren Ufer dieser Flüsse gemacht hatten; doch ließ er sich durch sein Entzücken nicht hinreißen und erfuhr an Ort und Stelle, daß der Ankauf eines Grundstücks bei den Baschkiren unvermeidliche Streitigkeiten und Prozesse nach sich zöge, da diese Leute über ihre Besitzrechte und die Zahl der derzeitigen Besitzer selbst nicht im klaren wären. Mein Großvater, dem das Wort Prozeß verhaßt war wie die Pest, entschloß sich, ein Grundstück zu kaufen, das schon früher von einem andern Käufer erworben und als dessen rechtmäßiger Besitz gerichtlich anerkannt war. Auf diese Weise dachte er allen Streitigkeiten vorzubeugen. Doch ergab es sich in der Folge, daß er sich nur zu sehr getäuscht hatte; denn erst dem jüngsten seiner Enkel gelang es in seinem vierzigsten Jahre, die aus diesem Ankauf entstandenen Streitigkeiten beizulegen. Ungern trennte sich mein Großvater von den Ufern des Ik und der Djoma, kehrte nach Buguruslan zurück und kaufte fünfundzwanzig Werst von der Stadt der Gutsbesitzerin Grjasewa ein Grundstück ab, an den Ufern des rasch fließenden, tiefen, wasserreichen Buguruslan. Von der Stadt bis zum Krongute Krasny Jar, in einer Ausdehnung von vierzig Werst, waren beide Ufer des Flusses damals noch unbewohnt. Und welchen Reichtum, welche Pracht boten diese Ufer! Das Wasser war so klar, dass sogar bei vierzehn Fuß Tiefe eine hineingeworfene Kupfermünze am Grunde zu sehen war! Hier war das Ufer mit üppigem Gebüsch bewachsen, aus Birken, Espen, Ebereschen, Faulbaum und Weiden bestehend, reich durchsponnen von wildem Hopfen, der auch in den höchsten Zweigen seine goldigen Zäpfchen wiegte. Dort wuchs hohes, saftiges Gras, und dazwischen wucherten unzählige blühende Stauden, wohlriechender Klee und scharlachrote Lichtnelken, Türkenbund und Baldrian. Der Buguruslan fließt in einem Tale. An beiden Ufern ziehen sich Berge hin, bald steil, bald sanft geschwungen, bald sich dem Flußbette nähernd, bald weit auseinandertretend. Auf allen Abhängen und Ausläufern der Höhe wuchs damals Laubwald. Stieg man den Berg hinan, so befand man sich in der unermeßlichen, unberührten Steppe auf einem ellenhoch mit Dammerde bedeckten Boden. Am Flusse und an den ihn begleitenden Sümpfen nisteten alle möglichen Arten von Enten, Schnepfen und Gänsen und erfüllten die Luft mit ihrem vielfältigen Geschrei und Gekreisch. Auf den Bergen aber, die oben sogleich in Ebenen übergingen, klangen, hoch über dem Tale, die tausend Stimmen der Steppenvögel, die in dem hohen Grase hausten, der Trappen, Kraniche, Kronschnepfen, Birkhühner und Falken. Der Fluß wimmelte von den Fischarten, die sein eiskaltes Wasser ertragen konnten, von Hechten, Barschen, Döbeln, Karpfen, sogar von Lachsen und Forellen. Auch an allerhand Wild war Wald und Steppe überreich; kurz, es war und ist noch jetzt eine gebenedeite Landschaft. Mein Großvater kaufte ungefähr fünftausend Deßjätinen und bezahlte dafür einen Preis, der damals unerhört hoch erschien: einen halben Rubel für die Deßjätine. Zweitausendfünfhundert Rubel waren damals eine beträchtliche Summe. Nachdem der Kauf vollzogen und in nötiger Form legalisiert war, kehrte Stepan Michailowitsch heiter und zufrieden ins Gouvernement Simbirsk zu seiner harrenden Familie zurück und begann mit Eifer alle zur Übersiedelung der Bauern notwendigen Einrichtungen zu treffen. Ein ziemlich schwieriges Unternehmen wegen der großen Entfernung: denn vom Gute Troizkoje bis zum neugekauften Landstücke zählte man nicht weniger als vierhundert Werst. Noch im Herbst desselben Jahres brachen zwanzig Arbeiter nach Buguruslan auf, Pflüge, Eggen und Saatroggen mitnehmend. An beliebig gewählten Orten rissen sie den jungfräulichen Boden auf, bestellten zwanzig Deßjätinen Wintersaat auf dem kaum aufgelockerten Boden, machten noch zwanzig Deßjätinen für die Sommersaat zurecht, schlugen einige Hütten auf und kehrten heim. Am Ende des Winters machten sich wieder zwanzig Mann auf den Weg nach dem neuen Gute, bestellten mit Anbruch des Frühjahrs zwanzig Deßjätinen Sommersaat, umzäunten die Höfe und Ställe mit Flechtwerk, bauten Lehmöfen in den Hütten und gingen nach Simbirsk zurück; denn sie gehörten nicht zu denjenigen, die zur Übersiedelung bestimmt waren; letztere waren zu Hause geblieben, um sich zum Umzuge vorzubereiten. Sie waren damit beschäftigt, überflüssiges Vieh und Korn, Häuser und Höfe und entbehrliche Gerätschaften zu verkaufen. Endlich, gegen Mitte Juni, um zum Peterstage, der Zeit der Heuernte, anzulangen, zogen die Auswanderer aus, mit allerlei Gerät schwer beladene Wagen mit sich führend, vollgestopft mit Weibern, Kindern und Greisen, die unter Dächern von Baumrinde Schutz vor Regen und Sonne fanden, während obendrauf das Hausgeflügel schnatterte und die an die Wagen gebundenen Kühe hinterdrein gingen. Mit bitteren Tränen schieden die armen Leute für immer von ihrem alten Wohnorte, von der Kirche, wo sie getauft und getraut waren, von dem Begräbnisort ihrer Großväter und Väter. Das jedem Menschen beschwerliche Übersiedeln ist dem russischen Bauer besonders zuwider; aber damals schien gar eine Übersiedelung nach dem fernen heidnischen Lande, von dem neben dem vielen Guten auch viel Schlimmes erzählt wurde, wo man wegen der Entfernung der Kirchen ohne Absolution sterben konnte und die Kinder lange ungetauft bleiben mußten, etwas vollends Schreckenhaftes. – Den Bauern folgte bald mein Großvater. Das neugegründete Dorf nannte er Snamenskoje und gelobte, mit der Zeit, wenn die Verhältnisse es erlauben würden, eine Kirche zur wunderbaren Erscheinung Mariä zu bauen, die am 27. November gefeiert wird; dieses Gelübde wurde in der Folge von seinem Sohne gelöst. Aber die Bauern und nach ihrem Beispiele alle Nachbarn nannten das neue Dorf Neu-Bagrowo, wegen des Namens des Besitzers und zur Erinnerung an das alte Bagrowo. Auch jetzt ist dieser letztere Name der einzige gebräuchliche; der andere wird dem Gute nur in Aktenstücken beigelegt, und kein Mensch weiß in der Umgegend, daß das reiche Gut mit der schönen, steinernen Kirche und dem stattlichen Gutshause Snamenskoje heißt. – Rastlos überwachte mein Großvater die Feldarbeiten, sowohl auf herrschaftlichem als auf Bauernboden. Zeitig war die Heuernte vollendet, zeitig Sommer- und Wintergetreide geschnitten und auf die Tenne gebracht. Die Ernte war eine unerhörte, fabelhafte. Die Bauern faßten Mut. Im November waren alle Hütten fertig, ja, ein kleines herrschaftliches Häuschen stand schon da. Freilich war das alles nicht ohne Hilfe der Nachbarn geschehen, die trotz der großen Entfernungen gern dem neuen klugen und freundlichen Gutsbesitzer zu Hilfe kamen, bei ihm aßen und tranken und mit lauten Liedern freundschaftlich mit an die Arbeit gingen. Im Winter ging der Großvater nach dem Simbirskschen Gute und holte seine Familie herüber. Im folgenden Jahre wurde es ihm schon leichter, noch vierzig Seelen herüberzuschaffen und sie wirtschaftlich mit allem Nötigen zu versehen. Die erste Sorge meines Großvaters war, eine Mühle zu bauen, da sonst das Korn vierzig Werst weit zum Mahlen gebracht werden mußte. Und so wählte man eine passende Stelle, wo das Wasser nicht tief, der Grund fest und die Ufer hoch und ebenfalls fest waren, und führte von beiden Seiten bis an das Wasser einen Damm aus Erde und Gestrüpp auf, zwei Händen vergleichbar, die sich ergreifen wollten, und befestigte ihn mit einem Geflechte aus Weidenzweigen. Es blieb noch übrig, das wilde, rasche Wasser aufzuhalten und es zu zwingen, das ihm bestimmte Becken zu füllen. An dem niedrigeren Ufer war schon das Mühlengehäuse mit zwei Mahlgängen und einem Stampfwerke aufgestellt. Alle Teile waren fertig und sogar geschmiert. Durch große Holzröhren mußte sich die Flut auf die ungeheueren Wasserräder stürzen, sobald sie, durch den Damm in ihrem natürlichen Laufe gehemmt, den weiten Teich gefüllt haben und über den Boden des Staukastens gestiegen sein würde. Als nun alles fertig war und vier gewaltige Pfähle von Eichenholz in den lehmigen Grund des Buguruslan geschlagen waren, bot mein Großvater die Nachbarn auf zwei Tage zur Hilfe auf und lud sie ein, mit Pferden, Wagen, Äxten, Heugabeln und Schaufeln zu kommen. Am ersten Tage wurden große Massen von Gestrüpp und Stroh, von Mist und Rasen an beiden Ufern des Buguruslan angehäuft, der noch frei und ungestört einherflutete. Am anderen Tage kamen bei Sonnenaufgang nahe an hundert Mann zusammen, um den Fluß einzudämmen. Alle Gesichter drückten eine ernste, feierliche Erwartung aus. Kaum hatte jemand im Dorfe die Nacht über geschlafen. Mit lautem Geschrei wurde im gleichen Augenblicke von beiden Ufern herab eine Masse Gestrüpp, und zwar zuerst in Bündel zusammengebundenes, in das Flußbett gestürzt. Vieles wurde von der Strömung hinweggeschwemmt; ein großer Teil aber, durch die Pfähle aufgehalten, lagerte sich auf dem Grunde des Flusses. Strohbündel, mit Steinen belastet, flogen bald dem Gestrüpp nach, ihnen folgten Mist und Erde; wieder eine Lage Gestrüpp, wieder Stroh und Mist, und über das Ganze dicke Schichten Rasen. Als diese ganze Masse sich über den Flußspiegel zu erheben begann, sprangen an zwanzig behender und kräftiger Bauern auf den sich erhebenden Damm und begannen, ihn mit den Füßen festzustampfen. Alles das ging mit einer solchen Lebhaftigkeit, mit solchem Eifer und solchem Geschrei vor sich, daß ein Vorbeigehender oder Vorbeifahrender, der den Lärm gehört hätte, ohne die Ursache zu kennen, leicht darüber in Schreck geraten wäre. Doch es gab hier keinen Menschen, um über den Lärm zu erschrecken. Nur die wilden Steppen und die dunklen Wälder ertönten von dem unbändigen Geschrei der hundert Arbeiter, zu dem sich eine Menge Weiber- und Kinderstimmen gesellten; denn alles nahm an dem großen Geschäfte Anteil, alles schrie und bewegte sich. Es war kein leichtes, den eigensinnigen Fluß zu bändigen; lange durchbrach und zerstreute er Stroh und Reisig, Dung und Rasen. Endlich aber siegten die Menschen. Das Wasser konnte nicht mehr durch den befestigten Damm. Die Flut stand still, wie sinnend und zaudernd, wirbelte und staute zurück, erfüllte das Flußbett, überschritt es, überschwemmte die Wiesen, und am Abend lag schon ein See ausgebreitet da, ohne Ufer, ohne umsäumendes Gebüsch, hie und da durch auftauchende Baumgruppen unterbrochen. Am anderen Tage begann die Mühle zu stampfen und zu mahlen – und mahlt und stampft bis zum heutigen Tage.

Das Gouvernement Orenburg

O Gott, wie schön mag wohl damals dieses Land in seiner wilden, jungfräulichen Üppigkeit gewesen sein! Nein, du bist jetzt nicht mehr dasselbe, wie damals, auch nicht dasselbe, das ich noch in meiner Kindheit gekannt habe, als deine grünen, blühenden Fluren noch unberührt waren von dem Pfluge der buntscheckigen Ansiedler, die von allen Seiten herbeigeströmt sind! Du bist nicht mehr dasselbe, wenn du auch noch immer groß und schön, üppig und mannigfaltig bist, o Gouvernement Orenburg! Sonderbar klingen diese beiden letzten Worte! Wo um des Himmels willen ist die Endung »burg« hergekommen? Als ich dich kennen lernte, gesegnetes Land, warst du noch die Statthalterschaft Ufa!

Du schöner Gau, den reich mit Schätzen
Bedacht die gütige Natur,
Nicht wirst hinfort zu Weideplätzen
Du nützlich sein den Herden nur!
Begierig drängt von allen Enden
Ein ganzer Schwarm von Menschen her,
Und du erkennst dich selbst nicht mehr
In ihren derben, dreisten Händen!
Man fällt den Wald, entstellt die Au
Und trübt der klaren Fluten Blau.

Zu Haufen reiner Salzkristalle
Dampft jetzt man deine Sole ein
Und kocht die edelsten Metalle
Aus deiner Berge Erzgestein.
Des Fremden fremden Samen nähret
Mit unerschöpftem, fettem Saft
Die schwarze Bodenschicht und schafft,
Daß er sich hundertfältig mehret.
Das Wild flieht in die Steppe fort
Und in des Waldes fernsten Ort.

So schrieb über dich vor dreißig Jahren einer deiner Eingeborenen Der Verfasser selbst. (Anmerkung Iwan Aksakows, des Sohnes des Verfassers.), und alles dies hat sich zum Teil an dir vollzogen, zum Teil vollzieht es sich an dir noch jetzt; aber herrlich bist du immer noch, du schöner Gau! Klar und durchsichtig wie tiefe, gewaltige Schalen ruhen deine Seen, der Kandry und der Karatabyn. Es wimmeln von Fischen deine wasserreichen Flüsse, die bald schäumend dahin rauschen in den Gründen und Tälern des sich allmählich abstufenden Ural, bald leise dahinrollen zwischen wogenden Steppen wie Saphirperlen an einer Schnur. Wunderbar sind diese Steppenflüsse mit ihren zahllosen, tiefen, seeartigen Ausbreitungen, in deren schmalen, bachartigen Verbindungsstücken allein die Bewegung des Wassers zu spüren ist. In deinen raschen Quellbächen, die durchsichtig und selbst in schwüler Sommerglut kalt wie Eis unter dem Schutze der Bäume und Büsche einherrieseln, halten sich Forellen aller Arten auf, von anmutiger Gestalt und zartem Geschmack, schnell verschwindend, sobald die unreine Hand des Menschen die jungfräulichen Fluten, ihren kühlen Wohnort, berührt. In üppiger Vegetation prangen deine Wiesen und Felder, im Frühjahr milchweiß schimmernd von den Blüten der Kirschen, Erdbeeren und wilden Pfirsiche, im Sommer gerötet von der gewürzigen Erdbeere und der kleinen Kirsche, die erst im Herbste dunkel und reif wird. Ein reicher Segen belohnt die träge, unbeholfene Arbeit des Landmanns, der mit seinem plumpen Pfluge deinen fruchtbaren Boden aufreißt! Freudig grünen deine mächtigen Laubwälder, und Schwärme wilder Bienen füllen emsig mit duftigem Lindenhonig die selbstgewählten Wohnstätten. Auch der Ufasche Marder, mehr als alle anderen geschätzt, bewohnt noch die Wälder an den Quellen der Ufa und Bjelaja. Freundlich und friedlich sind deine ursprünglichen patriarchalischen Bewohner und Inhaber, die nomadischen Baschkirenstämme. Noch immer beträchtlich, wenn auch stark vermindert, sind ihre Pferdeherden, ihr Reichtum an Rindern und Schafen. Nach dem harten, stürmischen Winter treiben die ausgehungerten, wie Winterfliegen abgemagerten Baschkiren noch wie sonst ihre durch Verhungern bis auf die Hälfte verringerten Herden mit der ersten Frühlingswärme, mit dem ersten Weidefutter hinaus in die freie Steppe und ziehen selbst mit Weib und Kind hinter ihnen her. Und nach ein paar Wochen sind weder Mensch noch Vieh wiederzuerkennen. Die Pferdegerippe sind zu feurigen, unermüdlichen Rossen geworden, und schon hütet der Steppenhengst streng und trotzig den Weideplatz seiner Stuten, weder Mensch noch Tier hinzulassend. Die mageren Kühe sind gesund und kräftig geworden; nahrhafte Milch erfüllt ihre Euter. Doch der Baschkire kümmert sich wenig um die aromatische Kuhmilch: schon ist der belebende Kumys Ein spirituöses Getränk, aus der zuckerreichen Stutenmilch durch Gärung bereitet. fertig, schon ist er in den Schläuchen von Roßfell in Gärung übergegangen, und alles, was trinken kann, vom Säugling bis zum gebrechlichen Greise, trinkt bis zur Berauschung von dem heilsamen, rettenden Kraftgetränke; und wunderbar verschwinden alle Leiden des hungrigen Winters, ja sogar die des Alters: die abgemagerten Gesichter füllen sich wieder, ein gesundes Rot tritt an die Stelle der krankhaften Blässe. Aber traurig und sonderbar sehen die verlassenen Dörfer aus. Der zufällig hindurchfahrende Reisende, der nie etwas Ähnliches gesehen hat, erschrickt bei dem Anblicke der leeren, wie ausgestorbenen Wohnsitze! Wild und traurig sehen ihn die zerstreuten Jurten Baschkirenhütten, deren Fenster statt der Scheiben im Winter mit Blasen geschlossen werden. (Anmerkungen des Übersetzers S. R.) mit ihren weißen Schornsteinen und Fenstern ohne Blasen an, wie Gesichter mit ausgestochenen Augen. Hie und da bellt ein angebundener, hungriger Hund, den sein Herr nur von Zeit zu Zeit besucht und füttert, oder miaut eine verwilderte Katze, die selbst für ihre Nahrung sorgt. Weiter rührt sich gar nichts; nirgend ein menschliches Wesen …

Wie malerisch und eigentümlich ist jede der drei Regionen des Gouvernements, die Steppenregion, die waldige und die bergige, besonders die letztere, die der Ausläufer des Ural, die metallreiche, die Goldregion! Welche Ausdehnung, von den Grenzen der Gouvernements Perm und Wjatka, wo das Gefrieren des Quecksilbers keine Seltenheit ist, bis zum Städtchen Gurjew an der Grenze des Gouvernements Astrachan, wo kleine Trauben im Freien gedeihen, deren Wein, im Sommer erfrischend, im Winter erwärmend, ein Handelsartikel der dortigen Kosaken ist. Welch ein herrlicher Fischfang im Ural! Er steht einzig da, sowohl in Hinsicht auf den Geschmack des dort wimmelnden Rotfisches So werden alle größeren Störarten genannt. als auch in Hinsicht auf seinen eigentümlichen Betrieb. Bagrenje wird diese Art der Fischerei genannt und harrt noch einer lebendigen und genauen Beschreibung, die die allgemeine Aufmerksamkeit wachruft. Aber ich merke, daß ich schon zu viel von meiner schönen Heimat gesprochen habe. Wir wollen jetzt zusehen, wie mein unermüdlicher Großvater in diesem neuen Gebiete lebte und wirkte.

Der neue Wohnsitz

Wie wohl wurde es Stepan Michailowitsch, wie oft bekreuzte er sich in der Freude seines Herzens, als er sich endlich in den breiten Fluren des Buguruslan ansässig sah! Nicht nur heiterer am Gemüte, auch gesünder am Körper wurde er. Weder Bitten noch Klagen, weder Streit noch Lärm! Keine Wojeikows, keine Moschenskis, keine Suschtschews Die früheren Nachbarn meines Großvaters. (Anmerkungen des Verfassers.)! Kein Waldraub, keine Wiesenverheerungen, keine Felderbeschädigungen! Volle Herrschaft, nicht nur über den eigenen Boden, sondern auch über fremden! Er konnte die Herden weiden lassen, Holz schlagen lassen, Heu mähen lassen, wo er nur wollte, und kein Mensch sagte ein Wort dazu! Auch die Bauern gewöhnten sich gar bald an den neuen Wohnsitz und gewannen ihn lieb. Wie konnte es auch anders sein? Aus dem wasserarmen, waldigen Gute Troizkoje, wo es so wenig Wiesen gab, daß jede Bauernfamilie nur mit Mühe ein Pferd und eine Kuh füttern konnte, wo seit undenklichen Zeiten immer dieselben Landstücke bearbeitet worden waren, was den einst fruchtbaren Boden längst erschöpft hatte, waren sie in endlose fruchtbare Fluren gezogen, vom Pfluge und von der Sense noch unberührt, in das Gebiet eines klaren, frischen Stromes mit einer Menge von Bächen und Quellen, an die Ufer eines durchsichtigen, fischreichen Teiches, mit einer Mühle in der nächsten Nähe, während sie früher ihr Korn fünfundzwanzig Werst weit zum Mahlen schleppen mußten und dann noch oft ein paar Tage zu warten hatten, ehe sie an die Reihe kamen. Ihr werdet wohl erstaunen, daß ich Troizkoje wasserlos genannt habe? Werdet meine Ahnen tadeln, die einen solchen Platz zu ihrem Wohnorte gewählt hatten? Doch verhielt sich die Sache früher anders, und der Vorwurf trifft meine Ahnen nicht. Einst lag Troizkoje an dem schönen Flüßchen Maina, das drei Werst von dem Dorfe entfernt aus den Moosseen seinen Ursprung nahm. Außerdem zog sich an dem ganzen Dorfe entlang ein schmaler, aber langer und klarer, in der Mitte tiefer See, dessen Grund aus weißem Sande bestand; aus diesem See floß sogar ein Bach, der weiße Bach genannt. So war es früher, allerdings vor langen, langen Zeiten. Der Überlieferung nach sind die Moosseen ehemals tiefe, runde Becken mitten im Walde gewesen, mit klarem, eiskaltem Wasser angefüllt, mit sumpfigen Ufern. Damals, erzählte man, habe es niemand gewagt, den Seen nahe zu kommen, außer im Winter; denn die wankenden Ufer verschlangen den Verwegenen, der sich in das Reich der Wasserteufel wagte. Aber auch hier triumphierte der siegreiche Wille des Menschen über die Natur. Man hörte auf, der alten Sage Glauben zu schenken, die sich durch keine neuen Vorfälle bestätigte, und die Moosseen wurden allmählich durch das Einweichen des Flachses und durch das Tränken des Viehes getrübt. Auch wurden sie seichter und kleiner, als der Wald um sie her geschlagen wurde. Es bildete sich auf ihrer Oberfläche eine dicke Torfschicht, die sich mit verschiedenen Gräsern bedeckte, deren verschlungene Wurzeln ihr eine gewisse Festigkeit gaben. Bald erschienen auf ihrer Oberfläche erhöhte Moospolster, Gebüsch und sogar ein ziemlich kräftiger Kiefernwald. Ein Becken ist jetzt gänzlich verdeckt, vom anderen sind zwei tiefe große Löcher geblieben, und man tut noch jetzt nicht wohl, ihnen nahe zu kommen, da ihre Ränder, samt ihrem Kräuterwuchs, ihren Büschen und Bäumchen, unter den Schritten des Wanderers sich senken und heben wie eine schwankende Flut. Infolge der Verminderung der Moosseen ist der obere Teil des Mainaflüßchens verschwunden, und erst einige Werst unterhalb des Dorfes kommt es aus der Erde zum Vorschein. Der klare, tiefe und lange See aber hat sich in eine stinkende Pfütze verwandelt. Sein sandiger Grund ist klafterhoch mit Schlamm und Unrat aus den Bauernhöfen bedeckt. Vom weißen Bache sind schon längst keine Spuren mehr vorhanden, und bald wird auch sein Name verschwinden.

Kaum hatte sich mein Großvater in dem neuen Wohnorte ansässig gemacht, als er mit der ihm eigenen Energie und Ausdauer sich auf den Betrieb des Ackerbaues und der Viehzucht legte. Die Bauern, durch sein Beispiel angeregt, gewöhnten sich bald daran, tüchtig zu arbeiten, und bald fehlte ihnen nichts an Bauten und innerer Einrichtung. Die Tennen von Neu-Bagrowo nahmen dreimal so viel Raum ein als das Dorf selbst, und die stattlichen Herden von Pferden und Rindern, Schafen und Schweinen zeugten von der Wohlhabenheit der neuen Ankömmlinge.

Es war, als wenn Stepan Michailowitsch das Signal zu einer lebhaften Ansiedelung im Gebiete von Ufa und Orenburg gegeben hätte. Von allen Seiten kamen Steppen-Mordwinen, Tscheremissen, Tschuwaschen, Tataren und Meschtscherjaken herbeigezogen; auch an russischen Ansiedlern fehlte es nicht, an Kronbauern aus verschiedenen Bezirken und an Leibeigenen mehr oder minder reicher Gutsbesitzer. Mein Großvater bekam auch Nachbarn: sein Schwager, Iwan Wasiljewitsch Nekljudow, kaufte ein Grundstück zwanzig Werst weit von Neu-Bagrowo, siedelte dort seine Bauern an, baute eine hölzerne Kirche, nannte das Gut Nekljudowo und ließ sich dort mit seiner Familie nieder, was meinen Großvater keineswegs freute. Denn alle Verwandten seiner Frau, die ganze Nekljudowerei, wie er sie nannte, konnte er nicht recht leiden. Der Gutsbesitzer Bachmetew kaufte ein Grundstück, das noch näher, etwa nur zehn Werst von Bagrowo, lag, an den Quellen der Sowruscha, die dem Buguruslan parallel nach Südwest fließt. Er siedelte ebenfalls dort Bauern an und nannte das Gut Bachmetewka. Auf einer anderen Seite, an den Ufern des Nasjagai oder Motschagai, wie die Eingeborenen diesen Fluß noch heutigen Tages nennen, entstand das Gut Polibino, das jetzt den Karamsins gehört. Der Nasjagai ist breiter und schöner als der Buguruslan, tiefer und fischreicher, und Wasservögel sind in größerer Menge an seinen Ufern zu finden. Auf dem Wege nach Polibino, acht Werst von Bagrowo, gerade östlich, bildete sich an einem kleinen Bache das große Mordwinendorf Noikino. Zwei Werst davon wurde eine Mühle an der Bokla gebaut, die dem Buguruslan fast parallel nach Süden fließt. Unweit der Mühle mündet die Bokla in den Nasjagai, der seine mächtigen Fluten eilig von Nordost nach Südwest wälzt. Siebzehn Werst von Neu-Bagrowo nimmt er auch unseren Buguruslan auf, und durch dessen Gewässer verstärkt, vereint er sich bei der Stadt Buguruslan mit dem Kinel, wobei er seinen klangvollen, bedeutsamen Namen verliert Nasjagai bedeutet so viel als schneller Verfolger. (Anmerkung des Übersetzers S. R.).

Endlich bildete sich gar ein Mordwinendörflein unter dem Namen Kiwazkoje, nur zwei Werst weit von Bagrowo, weiter abwärts am Buguruslan. Stepan Michailowitsch machte anfangs ein schiefes Gesicht zu der nahen Nachbarschaft, die ihn an das alte Troizkoje erinnerte. Aber hier verhielt sich die Sache ganz anders. Es waren gute, ruhige Leute, die meinem Großvater nicht mindere Achtung erwiesen als ihrem Bezirksvorsteher. In wenigen Jahren hatte sich auch mein Großvater die Liebe und Achtung der ganzen Umgegend erworben. Er war ein wahrer Wohltäter seiner nahen und fernen, alten und neuen Nachbarn, insbesondere der letzteren, die, wie es Auswanderern oft geht, unbemittelt in das ihnen ganz unbekannte Land kamen, oft kein Saatkorn mitbrachten, auch nicht Geld genug, um welches anzukaufen. All diesen waren die vollen Speicher meines Großvaters immer geöffnet. »Nimm, was du brauchst; wenn du es vermagst, gibst du es mir bei der ersten Ernte zurück; wo nicht, magst du es in Gottes Namen behalten,« mit diesen Worten teilte der Großvater freigebig von seinem Vorrat den Leuten mit, denen es an Saatkorn oder an Brot fehlte. Ich muß hinzufügen, daß er dabei so verständig, so liebreich auf alle Bitten und Bedürfnisse einging, dem gegebenen Worte so unerschütterlich treu blieb, daß er bald zum Orakel der sich neu bevölkernden Gegend wurde. Und nicht nur hilfreich in der Not, auch sittlich bildend war seine Wirksamkeit. Nur wer ihm offen die Wahrheit sagte, konnte auf seine Hilfe rechnen. Wer einmal gelogen hatte, um sein Mitleid zu erwecken, tat gut, sich nicht mehr auf dem Gute zu zeigen. Nichts bekam er mehr; ja es war ein Glück, wenn er mit heiler Haut davon kam. Viele Familienzwiste wurden durch ihn geschlichtet, viele Prozesse im Entstehen erstickt. Von allen Seiten kamen die Leute zu ihm gegangen und gefahren, um ihn um Rat, um Entscheidung zu bitten, und was er gesprochen hatte, wurde von ihnen gewissenhaft erfüllt. Ich habe Enkel und Urenkel der damaligen Generation gekannt, deren dankbares Gedächtnis die strengen und edlen Züge aus Stepan Michailowitschs Charakter treu bewahrte, die ihnen ihre Väter überliefert hatten. Viele einfache, aber tief rührende Worte habe ich gehört, die sich auf ihn bezogen, und immer wurde dabei ein Kreuz geschlagen und für die Ruhe seiner Seele gebetet. Kein Wunder, daß die Bauern einen solchen Herrn innig liebhatten; aber ebenso fest hing an ihm auch das Hofgesinde, das oft von den wilden Ausbrüchen seines Jähzornes zu leiden hatte. In der Folge haben einige seiner jüngeren Diener ihr Leben als Greise in meinem Hause beendet. Oft haben sie mir von dem strengen, jähzornigen, aber gerechten und großmütigen alten Herrn erzählt und immer mit dankbaren Tränen.

Und dieser gute, edelmütige, oft sogar nachsichtige Mann war Zornanfällen unterworfen, die in seinem Wesen das Bild edler Menschlichkeit gänzlich trübten, ja ihn der grausamsten Handlungen fähig machten. So habe ich ihn in meiner Kindheit gesehen, in einer Zeit, die viel später fällt als die meiner gegenwärtigen Erzählung, und der Eindruck des Schreckens ist noch frisch in meinem Gedächtnisse geblieben. Ich sehe ihn noch jetzt vor mir. Er war auf eine seiner Töchter erzürnt, die gelogen hatte und in ihrer Lüge beharrte. Er stützte sich auf zwei Diener, denn die Beine versagten ihm den Dienst; ich konnte meinen Großvater kaum erkennen: er zitterte an allen Gliedern, sein Gesicht war verzerrt, wahnsinnige Wut blitzte aus seinen von der Erregung getrübten Augen. »Gebt sie mir her!« heulte er mit erstickter Stimme. (Das alles ist mir klar im Gedächtnis geblieben; was später kam, hat man mir oft in der Folgezeit erzählt.) Meine Großmutter warf sich ihm zu Füßen, ihn um Gnade und Schonung anflehend; aber in einem Augenblicke waren Tuch und Haube ihr vom Kopfe geflogen, und Stepan Michailowitsch zerrte seine beleibte, schon bejahrte Ehehälfte bei den Haaren herum. Unterdessen hatten sich sowohl die Schuldige als alle ihre Schwestern und sogar ihr Bruder mit seiner jungen Frau und seinem kleinen Sohne in das Wäldchen geflüchtet, das sich um das Haus zog, und brachten dort die Nacht zu; nur die junge Schwiegertochter kehrte mit ihrem Kinde heim, fürchtend, daß es sich erkälte, und schlief mit ihm in der Gesindestube. Lange raste mein Großvater nach Herzenslust im leeren Hause umher. Endlich wurde er es aber müde, seine Arina Wasiljewna bei den Zöpfen umherzuzerren, und fiel erschöpft auf sein Bett nieder, wo ihn ein tiefer Schlaf überwältigte, der bis zum folgenden Morgen dauerte. Ruhig und heiter erwachte Stepan Michailowitsch, freundlich rief er seine Arischa, die sogleich aus dem anstoßenden Zimmer mit ihrer freudigsten Miene hereingelaufen kam, als wenn gestern gar nichts vorgefallen wäre. »Gebt mir Tee! Wo sind die Kinder? Wo bleibt Alexei und mein Schwiegertöchterchen? Gebt mir den kleinen Sergei her!« sagte der Wahnsinnige nun, nachdem er sich ausgeschlafen hatte, und alle erschienen mit heiteren und ruhigen Gesichtern, mit Ausnahme der Schwiegertochter und ihres Sohnes. Sie war eine Person von festem Charakter, und kein Bitten konnte sie bewegen, sich so bald wieder zu dem gestrigen Wüterich zu begeben und ihn freundlich zu begrüßen; auch der kleine Sohn wiederholte immerwährend: »Ich will nicht hin; ich fürchte mich vor dem Großvater!« Da sie sich in der Tat nicht recht wohl befand, gab sie eine Unpäßlichkeit als Grund an und behielt auch ihren Sohn bei sich. Alles geriet in Schrecken und erwartete einen neuen Sturm. Aber in dem wilden Tiere des vorigen Abends war bereits der Mensch erwacht. Nachdem er Tee getrunken und sich mit seinen Kindern scherzhaft unterhalten hatte, ging der Schwiegervater selbst zu der jungen Frau, die sich wirklich sehr schwach fühlte und blaß und angegriffen auf ihrem Bette lag. Der Alte setzte sich zu ihr auf das Bett, herzte und küßte sie, nannte sie sein liebes, schönes Schwiegertöchterchen, liebkoste den Enkel, entfernte sich endlich und sagte, daß er sich ohne seine Schwiegertochter langweile. Eine halbe Stunde später trat die Schwiegertochter, ihren Sohn an der Hand, städtisch und elegant gekleidet, in einem Anzug, von dem Stepan Michailowitsch einmal gesagt hatte, er stehe ihr am besten, in das Zimmer des Schwiegervaters. Mein Großvater war tief gerührt. »Siehe da! das kranke Schwiegertöchterchen ist trotz ihrer Unpäßlichkeit aufgestanden, hat sich angezogen und ist gekommen, um mich Alten zu erheitern!« sagte er zärtlich. Die Schwiegermutter und die Schwägerinnen, die alle die junge Frau nicht leiden mochten, schlugen die Augen nieder und bissen sich in die Lippen, während diese heiter und ehrerbietig die Freundlichkeiten ihres Schwiegervaters erwiderte und ihren übelwollenden Verwandten triumphierende Blicke zuwarf … Doch genug von den dunklen Seiten im Charakter meines Großvaters; ich will euch lieber einen seiner guten, heiteren Tage beschreiben, von denen ich viel gehört habe.

Ein guter Tag Stepan Michailowitschs

Es war gegen Ende Juni, und die Hitze war schon beträchtlich. Nach einer schwülen Nacht hatte um die Morgendämmerung ein frischer Ostwind zu wehen begonnen, der immer nachläßt, sobald die Sonne die Luft erwärmt. Mit dem ersten Sonnenstrahle war mein Großvater erwacht. Es war ihm zu heiß geworden, um länger in der engen Kammer hinter dem Bettvorhange aus Hausleinewand zu schlafen, wenn auch das altmodische Fenster so hoch als möglich hinaufgeschoben war. Ohne den Bettvorhang hätten ihn nämlich die bösen Mücken geplagt und ihm keinen Augenblick ruhigen Schlafes gegönnt. In ganzen Schwärmen kamen die geflügelten Musikanten herbeigeflogen, steckten ihre langen Stachel durch die dünne Scheidewand hindurch und summten vom Abend bis zum Morgen ihre zudringlichen Lieder. Wie sonderbar es auch klingt, so muß ich doch gestehen, daß mir der feine Sopran und sogar der Stich der Mücken besonders lieb ist. Das erinnert mich an den glühenden Sommer mit seinen wundervollen schlaflosen Nächten, mit dem Gesang der Nachtigallen im grünen Ufergebüsch des Buguruslan; ich denke dabei an jenes sehnsüchtige Klopfen meines jungen Herzens, an jene unendlich süße Wehmut, für die ich jetzt gern den Rest meines erlöschenden Lebens dahin gäbe … Mein Großvater war erwacht, wischte mit heißer Hand den Schweiß von der hochgewölbten Stirne, steckte den Kopf aus dem Vorhange hervor und lachte laut auf. Seine beiden Leibdiener Wanka Masan und Nikanor Tanaitschenok schnarchten um die Wette, in den possierlichsten Stellungen auf dem Boden gelagert. »Was die Hundesöhne schnarchen können!« sagte mein Großvater und lächelte wieder. Stepan Michailowitsch war ein rätselhafter Mensch. Nach einem so energischen Wort konnte man einen Hieb des Weidenstockes erwarten, der immer an seinem Bett stand, oder einen Fußstoß oder gar eine Begrüßung mit dem Stuhle; aber mein Großvater hatte beim Erwachen gelacht und war damit für den ganzen Tag in gute Laune gekommen. Er stand geräuschlos auf, bekreuzte sich ein paarmal, steckte seine nackten Füße in die fuchsigen Lederpantoffeln und ging im bloßen Hemde aus Hausleinewand (bessere gab ihm seine Frau nicht) auf die Freitreppe hinaus, wo ihn die feuchte Morgenkühle angenehm anwehte. Ich habe eben gesagt, daß Arina Wasiljewna ihrem Manne keine feine Leinewand zu Hemden gab, und der Leser wird mit Recht einwenden, daß dies den Charakteren der beiden Eheleute widerspricht. Aber ich kann nichts dafür; die Sache verhielt sich einmal so. Hier, wie überall, triumphierte doch am Ende der Wille der Frau über den Willen des Mannes! Vielfach geprügelt wegen der groben Wäsche, fuhr meine Großmutter dennoch fort, ihrem Gemahle nur solche zu geben, bis er sich endlich daran gewöhnte. Mein Großvater griff einmal zu einem letzten, verzweifelten Mittel. Er nahm ein Beil und zerhackte auf der Schwelle seines Zimmers sämtliche Hemden aus grober Leinewand, der Wehklagen meiner Großmutter ungeachtet, die ihn anflehte, sie zu prügeln, aber nur sein eigenes Gut zu schonen. Aber auch dieses Mittel half nichts. Von neuem kam grobe Wäsche zum Vorschein, und der Alte unterwarf sich … Doch ich muß um Verzeihung bitten: meinen Leser von der Wäsche meines Großvaters unterhaltend, bin ich ganz von der Schilderung seines guten Tages abgekommen. Ohne jemanden aus der Ruhe zu stören, suchte er selbst eine Filzdecke aus dem Verschlage hervor, breitete sie wie einen Teppich auf der obersten Stufe der Freitreppe aus und setzte sich hin, um, wie er es gewohnt war, den Sonnenaufgang zu erwarten. Vor Sonnenaufgang wird es einem immer ganz besonders wohl zumute. Das Behagen meines Großvaters steigerte sich aber noch bei dem Anblick seines Hofes, der schon damals mit allen wirtschaftlichen Gebäuden wohl ausgestattet war. Freilich war der Hofraum nicht eingefriedigt, und das Vieh aus den Bauernhöfen, wenn es sich zu einer Herde sammelte, um zur Weide getrieben zu werden, kam zum Besuch herein, wie es auch an jenem Morgen und jeden Abend der Fall war. Einige schmutzige Schweine rieben sich an derselben Freitreppe, auf der mein Großvater saß, und verzehrten grunzend die Krebsschalen und andere Speisereste, die ganz unbefangen dicht neben der Freitreppe hinausgeworfen wurden. Auch Kühe und Schafe kamen der Türe nahe und ließen natürlich unreine Spuren ihres Besuches zurück. Aber das alles störte meinen Großvater nicht im mindesten; es freute ihn im Gegenteile, das gesunde Vieh zu sehen, das von der Wohlhabenheit seiner Bauern zeugte. Doch bald verjagte das laute Knallen einer Hirtenpeitsche die frühen Gäste. Das Hofgesinde begann sich zu regen. Der kräftige Stallknecht Spiridon, den man bis in sein höchstes Alter Spirka nannte, führte, einen nach dem andern, zwei rotscheckige und einen schwarzbraunen Hengst hervor, band sie an einen Pfahl, putzte sie und ließ sie an einer langen Leine herumlaufen, wobei mein Großvater an den Formen und dem Wuchse der edlen Tiere sein Wohlgefallen hatte und in Gedanken die schöne Pferderasse vor sich sah, die er von ihnen zu ziehen gedachte; was ihm in der Folge auch vortrefflich gelang. Auch die alte Schaffnerin war erwacht, die im Souterrain zu schlafen pflegte, stieg zum Buguruslan hinunter, um sich zu waschen, seufzte und ächzte, wie es ihre unveränderliche Gewohnheit war, verrichtete, gen Osten schauend, ihr Gebet und schickte sich an, Töpfe und Geschirre zu scheuern, zu spülen und zu waschen. Fröhlich kreisten in den Lüften zwitschernd die Schwalben. Hell schlugen auf den Feldern die Wachteln; in der Luft ertönten die Lieder der Lerchen; heiser, mit angestrengter Stimme, schrien im Gebüsch die Wachtelkönige; das Pfeifen der Wasserhühner und das Meckern und Schnalzen der Bekassinen klang von dem nahen Sumpf herauf; die Spottvögel ahmten den Gesang der Nachtigallen in den Pausen nach. Strahlend erschien die Sonne über dem Berge … Es rauchten die Bauernhäuser, und die graublauen Rauchsäulen bogen sich im Winde wie aufgezogene Flaggen auf einer Reihe von Flußfahrzeugen; die Bauern zogen ins Feld hinaus. Mein Großvater bekam Lust, sich mit kaltem Wasser zu waschen und seinen Tee zu trinken. Er weckte seine immer noch in ihrer unschönen Positur schnarchenden Diener. Erschrocken sprangen sie auf; aber Stepan Michailowitschs fröhliche Stimme beruhigte sie bald: »Masan, Waschwasser! Tanaitschenok, wecke Aksiutka und die Herrin und mach Tee!« Es war nicht nötig, den Befehl zu wiederholen. Schon lief der unbeholfene Masan, den glänzenden kupfernen Wasserkrug in der Hand, über Hals und Kopf nach der Quelle. Schon weckte der flinke Tanaitschenok die häßliche junge Magd Aksiutka, die, das ganz auf die Seite geglittene Kopftuch zurechtrückend, auch ihre alte beleibte Herrin aus dem Schlafe zu rütteln eilte. In einigen Minuten war das ganze Haus auf den Füßen, und alle wußten schon, daß der alte Herr heute bei guter Laune sei. Nach einer Viertelstunde stand schon auf der Freitreppe ein Tisch mit einem weißen, zu Hause gefertigten Tischtuche bedeckt, mit dem kochenden Teekessel darauf, um den Aksiutka geschäftig war; und die alte Herrin Arina Wasiljewna begrüßte ihren Gemahl nicht seufzend und ächzend, wie es manchmal ratsamer war, sondern erkundigte sich mit lauter und heiterer Stimme nach seiner Gesundheit und fragte, ob er wohl geschlafen und was er geträumt habe. Freundlich begrüßte mein Großvater seine Gemahlin und nannte sie Arischa. Er küßte ihr niemals die Hand, gab ihr aber manchmal die seinige als Zeichen besonderer Gunst zu küssen. Arina Wasiljewna blühte bei diesem Gruße ordentlich auf und schien sogar jünger zu werden. Ihre Unbeholfenheit und Korpulenz waren nicht mehr zu merken. Behende brachte sie einen Schemel herbei und setzte sich zu meinem Großvater auf die Freitreppe, was sie nie zu tun wagte, wenn dieser sie nicht besonders freundlich begrüßt hatte. »Wollen wir zusammen Tee trinken, Arischa,« sagte Stepan Michailowitsch, »ehe es heiß wird? Die Nacht ist zwar schwül gewesen; ich habe aber so fest geschlafen, daß ich mich keines Traumes entsinnen kann. Und du?« Eine solche Frage war eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit, und meine Großmutter beeilte sich zu erwidern, daß in den Nächten, wo Stepan Michailowitsch wohl ruhe, sie auch immer gut schlafe; Tanja Koseform für Tatjana. (Anmerkung des Übersetzers H. R.) aber habe eine sehr unruhige Nacht zugebracht. Tanja war die jüngste Tochter, und der Alte liebte sie mehr als die anderen, wie das oft der Fall ist. Er wurde unruhig und verbot, Tatjana zu wecken, damit sie gehörig ausschlafen könne. Nun hatte man Tatjana bereits gleichzeitig mit ihren Schwestern Alexandra und Jelisaweta geweckt, und sie war schon angekleidet; man wagte es aber dem Vater nicht zu sagen. Tanja kleidete sich in aller Eile wieder aus, schlüpfte noch einmal in ihr Bett, ließ die Fensterläden schließen und blieb ein paar Stunden lang im Dunkeln liegen, obgleich sie nicht wieder einschlafen konnte; mein Großvater aber meinte, sie habe heute ordentlich ausgeschlafen. Der einzige Sohn, der damals neun Jahre alt war, wurde niemals früh geweckt. Die älteren Schwestern zögerten nicht zu erscheinen; Stepan Michailowitsch gab ihnen freundlich die Hand zu küssen und nannte die eine Leksania, die andere Lisynka. Beide waren gescheite Mädchen. Alexandra vereinte mit einem schlauen Verstande die lebhafte Erregbarkeit ihres Vaters, hatte aber nichts von seinen guten Eigenschaften. Meine Großmutter war eine ganz beschränkte Person, die von ihren Töchtern gänzlich beherrscht wurde; wenn sie einmal wagte, ihren Mann zu hintergehen, so geschah es immer auf Anstiften der Töchter; sie tat es aber so ungeschickt, daß es ihr fast immer mißlang. Der Alte kannte sie recht gut; er wußte auch, daß seine Töchter keine Gelegenheit versäumten, um ihm etwas vorzulügen. Nur aus Trägheit, oder wenn er bei guter Laune war, ließ er sie in dem Wahne, als durchschaue er ihre Ränke nicht. Beim ersten Zornesausbruch aber sagte er ihnen alles schonungslos heraus, in den derbsten Ausdrücken, prügelte sie auch gelegentlich durch. Die Mädchen aber, als wahre Evatöchter, verloren deshalb den Mut nicht; die Stunde des Zornes verging, das Gesicht ihres Vaters heiterte sich auf, und sie gingen sogleich wieder an die Ausführung ihrer listigen Pläne, die ihnen nicht selten auch gelangen.

Nachdem er seinen Tee getrunken und mit seiner Familie genugsam über alles mögliche geplaudert hatte, schickte mein Großvater sich an, ins Feld zu fahren. Schon längst hatte er Masan den Befehl gegeben, anspannen zu lassen, und der alte braune Wallach stand schon vor der Freitreppe, an einen bequemen Bauernwagen angeschirrt. Der Stallknecht Spiridon saß als Kutscher vorn, aufs einfachste gekleidet, nämlich bloß im Hemde, barfuß, um den Leib einen rotwollenen Gurt, an dem ein Schlüssel und ein kupferner Kamm hingen. Das vorige Mal war Spiridon zu einer solchen Expedition sogar ohne Hut ausgefahren; aber der Großvater hatte ihn deswegen gescholten, und diesmal hatte er eine Art Mütze auf dem Kopfe, aus breiten Lindenbaststreifen zusammengeflochten. Mein Großvater lachte sehr, als er den wunderlichen Kopfputz erblickte, zog seinen Feldrock aus ungebleichter Hausleinewand an, setzte seine Mütze auf, breitete noch aus Vorsicht vor etwaigem Regen einen Überrock auf den Sitz und stieg in den Wagen. Spiridon hatte ebenfalls seinen Alltagsrock untergelegt, der von gewöhnlichem Bauerntuche, aber hochrot mit Krapp gefärbt war, welcher in großer Menge auf unseren Feldern wuchs. Diese rote Farbe war bei den Leuten meines Großvaters so gebräuchlich, daß die Nachbarn dem Bagrowschen Gesinde den Spitznamen »Rötlinge« gegeben hatten. Ich erinnere mich, diesen Spitznamen noch fünfzehn Jahre nach des Großvaters Tode selbst gehört zu haben. In den Feldern war Stepan Michailowitsch mit allem zufrieden. Er besah sich den verblühenden Roggen, der manneshoch wie eine feste Wand dastand. Ein leichter Wind wehte, und bläuliche Wellen glitten über die Ähren hin, bald heller, bald dunkler in der Sonne schillernd. Es war eine Freude für einen Landwirt, ein solches Feld anzusehen. Mein Großvater besuchte auch den jungen Hafer, den Dinkel und die übrigen Sommersaaten. Dann ging es aufs Brachfeld, und mein Großvater ließ sich auf dem durchgepflügten Boden in allen Richtungen umherfahren. Es war seine gewöhnliche Methode, um zu prüfen, ob der Acker gut gepflügt sei. Jede unaufgelockerte Erdscholle, jeder Punkt, den der Pflug nicht berührt hatte, gab dem beweglichen Wagen einen starken Stoß, und wenn mein Großvater nicht bei Laune war, so steckte er an solchen Punkten ein Stäbchen in den Boden, schickte auf der Stelle nach dem Verwalter, wenn er diesen nicht bei sich hatte, und hielt sofort über ihn Gericht. Dieses Mal ging alles vortrefflich. Wenn auch der Wagen einmal auf Erdklumpen stieß, so merkte doch Stepan Michailowitsch nichts davon oder wollte nichts davon merken. Er warf auch einen Blick auf seine schönen Steppenwiesen und hatte sein Wohlgefallen an dem hohen, üppigen Grase, das nach ein paar Tagen gemäht werden mußte. Er verweilte auch auf den Feldern seiner Bauern, um selbst zu sehen, bei wem das Getreide gut stehe, und bei wem schlecht, besah und prüfte auch ihre Brachfelder, merkte sich alles und vergaß nichts. Als er über ein unbenutztes Feldstück fuhr und reifende Erdbeeren erblickte, ließ er halten und pflückte mit Hilfe Masans einen großen Strauß prächtiger Beeren, den er für seine Arischa mitnahm. Der Hitze ungeachtet dehnte er seine Fahrt beinahe bis zum Mittag aus. Kaum hatte man vom Hause aus den Wagen meines Großvaters erblickt, als schon das Essen auf dem Tische dampfte und die ganze Familie den Vater auf der Freitreppe erwartete. »Nun, Arischa,« sagte fröhlich mein Großvater, »was beschert uns Gott dieses Jahr für eine Ernte! Groß ist die Gnade des Herrn! Da hast du auch ein paar Erdbeeren.« Meine Großmutter strahlte vor Freude. »Die Beeren sind schon zur Hälfte reif,« fuhr er fort; »morgen muß man anfangen, sie einzusammeln.« Mit diesen Worten trat er in das Vorzimmer. Der Geruch der warmen Kohlsuppe drang ihm aus dem Saale entgegen. »Ah, schon alles fertig,« sagte mein Großvater noch freundlicher; »schönen Dank!« und ohne nach seinem Zimmer hinanzugehen, begab er sich geradeswegs in den Saal und setzte sich an den Tisch. Ich muß hinzufügen, daß mein Großvater unbedingt forderte, daß, zu welcher Stunde er auch vom Felde heimkehre, das Essen auf dem Tische stand. Und wehe, wenn man auf seine Rückkehr nicht aufgepaßt und das Mittagessen nicht rechtzeitig aufgetragen hatte! Eine solche Versäumnis hatte schon öfters traurige Folgen gehabt. Aber an diesem glückseligen Tage ging alles glatt; kein störender Vorfall trübte meines Großvaters glückliche Stimmung. Ein rüstiger Knecht, Nikolka Rusan, stellte sich hinter den Alten und jagte mit einem langen Birkenzweige die Fliegen von ihm weg. Mein Großvater verzehrte die heiße Kohlsuppe, die ein echter Russe auch in der glühendsten Hitze gern hat, mit einem Holzlöffel, da er an einem silbernen Löffel sich die Lippen zu verbrennen fürchtete; dann kam eine Batwinja Suppe aus roten Rüben und Küchenkräutern. mit Eis, mit wachsgelbem, gesalzenem Stör und geschälten Krebsen, und andere leichte Gerichte derselben Art. Dazu wurde Hausbier und Kwaß Ein säuerliches Getränk aus Schwarzbrot mit Malz. (Anmerkungen des Übersetzers H. R.), ebenfalls mit Eis, getrunken. Das Mahl verging sehr lustig. Alle sprachen laut durcheinander, lachten und scherzten. Mitunter aber gab es auch Tage, wo das Mittagessen in dumpfem Schweigen und in der Erwartung eines Gewitters verging. Alle Jungen und Mädchen des Hofes wußten, daß der alte Herr gutgelaunt sei, und drängten sich in den Saal, um etwas vom Mahle zu erhaschen. Mein Großvater teilte ihnen freigebig mit, da doch fünfmal soviel Essen da war, als man verzehren konnte. Gleich nach Mittag ging er zur Ruhe. Man jagte die Fliegen aus dem Bettzelte hinaus, schloß es über meinem Großvater und steckte die Ränder des Vorhanges ringsherum unter das Unterbett. Bald verkündigte ein lautes Schnarchen, daß der Herr des Hauses in tiefen Schlaf versunken sei. Alles verteilte sich; ein jedes ging seinerseits zur Ruhe. Masan und Tanaitschenok streckten sich auf dem Boden des Vorzimmers vor der Tür meines Großvaters aus, nachdem sie vorher, soviel sie nur vermochten, von den Resten des Mittagsmahls verschlungen hatten. Sie hatten schon am Vormittag geschlafen, schliefen aber auch jetzt sofort wieder ein; jedoch die Schwüle und die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster auf sie fielen, weckten sie bald wieder auf. Der Schlaf in der Hitze hatte sie durstig gemacht; sie spürten große Lust, ihre ausgetrockneten Kehlen mit dem eiskalten Biere der Herrschaft zu erfrischen, und die frechen Schelme ersannen dazu folgendes Mittel. Durch die halbgeschlossene Tür langten sie aus des Großvaters Zimmer seinen Schlafrock und seine Nachtmütze hervor, die dicht am Eingange auf einem Stuhle lagen. Tanaitschenok zog das Kostüm des Herrn an und setzte sich auf die Freitreppe, während Masan mit einem Kruge nach dem Keller eilte, die Schaffnerin weckte, die, wie alles im Hause, in tiefem Schlafe lag, und ungestüm Bier mit Eis für den schon erwachten Herrn forderte. Da die Schaffnerin daran zweifelte, daß der Herr schon erwacht sei, zeigte ihr Masan seinen Freund Tanaitschenok, der im Schlafrocke und mit der Nachtmütze auf der Freitreppe saß. Der Krug wurde mit Bier gefüllt, Eis wurde hineingelegt, und hurtig lief Masan mit seiner Beute davon. Der Krug Bier wurde brüderlich geteilt, Schlafrock und Nachtmütze an Ort und Stelle gelegt. Es dauerte noch eine gute Stunde, bis der Herr endlich erwachte. Noch heiterer als am Morgen sprang mein Großvater auf, und sein erstes Wort war: »Kaltes Bier!« Die Diener erschraken. Tanaitschenok lief zur Schaffnerin hin, die gleich erriet, wo der erste Krug Bier geblieben sei. Sie füllte das Gefäß wieder, kam aber mit zur Freitreppe, auf der nunmehr der wirkliche Herr, in seinen Schlafrock gehüllt, saß. Gleich bei den ersten Worten war der Betrug enthüllt, und zitternd vor Angst warfen sich Masan und Tanaitschenok ihrem Gebieter zu Füßen. Was aber tat mein Großvater? Er lachte laut auf, ließ Arischa und die Töchter holen und erzählte ihnen unter fortwährendem Gelächter den Streich seiner Diener. Die armen Teufel atmeten wieder auf, und einer von ihnen wagte es sogar, zu lächeln. Stepan Michailowitsch bemerkte es und wäre beinahe in Zorn geraten; aber der ganze heitere Tag hatte ihn so glücklich gestimmt, daß die Falten auf seiner Stirn augenblicklich wieder verschwanden und er nur mit strenger Miene sagte: »Diesmal mag es euch verziehen sein; aber ein andermal …«; es war nicht nötig, den Satz zu vollenden.

Man muß sich freilich wundern, daß die Diener eines so jähzornigen und im Jähzorn so grausamen Herrn sich zu einem so frechen Streiche entschließen konnten. Jedoch habe ich in meinem Leben oft Gelegenheit gehabt zu bemerken, daß gerade die strengsten Herren die mutwilligsten Diener hatten. Der eben erzählte Vorfall war nicht der einzige derartige, der im Hause meines Großvaters passierte. Derselbe Wanka Masan geriet eines Tages, als er das Zimmer seines Herrn ausfegte, in Versuchung, sich auf dessen weichem Bette auszuruhen, legte sich hin und schlief ein. Mein Großvater ertappte ihn in diesem Zustande und – lachte nur darüber! Freilich versetzte er ihm einen derben Hieb mit seinem Weidenstock. Das war aber nur zum Scherze und der Überraschung wegen. Übrigens passierte es meinem Großvater, daß man ihm noch schlimmere Streiche spielte. So geschah es, daß man in seiner Abwesenheit seine vierzehnjährige Kusine P. I. Bagrowa, eine reiche Waise, die er in seinem Hause wohnen ließ und innig liebte, einem scheußlich lasterhaften Menschen zur Frau gab, den er nicht leiden konnte. Freilich war die Sache von den Verwandten der Waise eingeleitet worden, aber unter Arina Wasiljewnas Mitwissen und unter Mitwirkung ihrer Töchter. Jedoch werde ich diese traurige Geschichte später erzählen und wende mich jetzt zu dem guten Tage meines Großvaters zurück.

Er war gegen fünf Uhr nachmittags erwacht und bekam nach dem kalten Biere bald Lust, seinen Tee zu trinken. Er war nämlich der Meinung, daß ein heißes Getränk in der Hitze erfrische. Vorläufig nahm er jedoch ein Bad in dem kühlen Buguruslan, der dicht beim Hause vorbeifloß. Bei seiner Rückkehr fand er seine ganze Familie um den Teetisch versammelt, der im Schatten des Hauses aufgestellt war, darauf den siedenden Teekessel und daneben Aksiutka. Nachdem er von seinem beliebten Transpirationsmittel, das er mit dicker, braunhäutiger Sahne versetzte, nach Herzenslust genossen hatte, schlug mein Großvater der ganzen Gesellschaft eine Spazierfahrt nach der Mühle vor. Natürlich stimmten alle freudig bei, und meine beiden Tanten Alexandra und Tatjana, die sehr gern angelten, nahmen ihr Angelgerät mit. In einem Augenblicke waren zwei große Wagen angespannt. In den ersten setzten sich der Großvater und die Großmutter; zwischen sich nahmen sie ihr einziges Söhnchen, den kostbaren Erben ihres altadeligen Geschlechtes. In dem anderen Wagen fanden meine drei Tanten und der Bursche Nikolka Rusan Platz, den man mitnahm, um für die jungen Damen Regenwürmer zu suchen und sie an die Angeln zu stecken. Auf der Mühle gab man der Großmutter eine Bank, und sie setzte sich im Schatten des Mühlgebäudes dicht an den Staukasten, während ihre jüngeren Töchter in der Nähe angelten. Die ältere aber, Jelisaweta Stepanowna, ging, teils ihrem Vater zu Gefallen, teils aus eigener Neigung zur Wirtschaft, mit Stepan Michailowitsch mit, der das Mahl- und Stampfwerk besichtigen wollte. Der kleine Sohn sah bald den angelnden Schwestern zu (ihm selbst erlaubte man noch nicht in tiefem Wasser zu angeln), bald spielte er in der Nähe der Mutter, die ihn nicht aus den Augen ließ, aus Furcht, daß das Kind ins Wasser fallen könnte. Beide Mühlsteine waren bei der Arbeit; auf dem einen wurde Weizen für die herrschaftliche Küche geschält, auf dem anderen fremder Roggen gemahlen. Die Stampfmühle stampfte Hirse. Mein Großvater war in allen Zweigen der Landwirtschaft sachkundig. Er verstand sich sehr wohl auf die Einrichtung der Mühlen und erklärte seiner aufmerksamen und verständigen Tochter alle Einzelheiten des Mechanismus. Er merkte augenblicklich alle Mängel im Räderwerk und die Fehler in der Stellung der Mühlsteine. Den einen ließ er um eine halbe Kerbe senken, und es kam viel feineres Mehl zum Vorschein, womit der Eigentümer des Kornes sehr zufrieden war. Beim anderen Mahlgange merkte er am Geräusche, daß eine Spille am Treibrade sich abgerieben hatte; er ließ das Wasser absperren, der Müller Boltunenok sprang hinunter, besah und betastete das Rad und sagte: »Du hast recht, Väterchen Stepan Michaklowitsch; die eine Spille ist ein wenig abgerieben.« – »Hm, ein wenig!« erwiderte mein Großvater, ohne übrigens zu zürnen; »hätte ich heute nicht zugesehen, so wäre das Rad in der Nacht entzweigegangen.« – »Bitte um Verzeihung, Stepan Michailowitsch, es ist mir entgangen.« – »Nun, es mag dir verziehen sein; gib nur schnell ein neues Rad her; im alten aber muß eine neue Spille eingesetzt werden; die muß aber weder stärker noch schwächer als die übrigen sein, das ist die Hauptsache.« Sogleich brachte man ein neues Rad, das schon früher versucht und angepaßt worden war, fügte es an der Stelle des früheren ein, schmierte es, wo es nötig war, mit Teer, gab dem Wasser nicht plötzlich, sondern allmählich freien Lauf, wie mein Großvater es ausdrücklich befohlen hatte, und summend begann der Mühlstein wieder zu mahlen, ohne Geklapper und Unterbrechungen. Dann ging mein Großvater mit seiner Tochter in die Stampfmühle, griff eine Handvoll gestampfter Hirse heraus, legte sie auf die flache Hand, blies darauf und sagte zu dem mordwinischen Gehilfen, den er kannte: »Paß auf, Nachbar Wasili! Siehst du, kein ungestampftes Korn ist mehr zu finden. Wenn du nicht mit dem Stampfen aufhörst, wird die Hirse weniger.« Wasili probierte es und überzeugte sich, daß mein Großvater recht habe. Er bedankte sich, verbeugte sich oder nickte vielmehr nur und lief hin, das Wasser abzusperren. Von da aus ging mein Großvater mit seiner Schülerin auf den Hühnerhof, wo er alles in der besten Ordnung fand. Gänse, Enten, Hühner und Truthühner waren in Masse vorhanden, und alles gedieh unter der Aufsicht der alten Hühnerfrau und ihrer Enkelin. Als Zeichen besonderer Huld gab der Großvater beiden die Hand zu küssen und verordnete, daß man ihnen außer der gewöhnlichen Mehlration monatlich zwanzig Pfund Weizenmehl zu Kuchen verabreiche. Heiter kehrte Stepan Michailowitsch zu Arina Wasiljewna zurück; mit allem war er zufrieden: die Mühle arbeitete vortrefflich, seine Tochter war ein verständiges Mädchen und die alte Tatjana eine sorgsame Hühnerfrau.

Die Hitze war längst vorüber; durch die Nähe des Wassers wurde die eintretende Abendkühle noch vermehrt; eine lange Staubwolke bewegte sich den Weg entlang und näherte sich dem Dorfe; immer hörbarer erscholl daraus das Brüllen und Blöken der Herde; die Sonne sank hinter die Berge. Auf dem Damme stehend, weidete sich Stepan Michailowitsch an dem Anblicke des Teiches, der wie ein klarer Spiegel sich regungslos zwischen seinen flachen Ufern ausbreitete. Jeden Augenblick tauchte ein spielender Fisch aus der Wasserfläche hervor, aber der Großvater war kein Liebhaber vom Fischfange.

»Es ist Zeit, Arischa, daß wir nach Hause fahren; der Verwalter wird wohl schon auf mich warten,« sagte er. Da die jüngeren Töchter sahen, daß er bei guter Laune war, baten sie um Erlaubnis, noch ein wenig am Wasser bleiben zu dürfen, indem sie sagten, daß die Fische bei Sonnenuntergang am besten bissen, und daß sie in einer halben Stunde zu Fuße nach Hause kommen wollten. Der Großvater willigte ein und fuhr in seinem Wagen mit der Großmutter nach Hause, während Jelisaweta Stepanowna mit dem kleinen Bruder den anderen Wagen einnahm. Stepan Michailowitsch hatte sich nicht geirrt: an der Tür erwartete ihn der Verwalter, und er war nicht allein. Ein paar Bauern und Weiber waren mitgekommen. Der Verwalter hatte den Großvater schon vorher gesprochen, wußte, daß er bei guter Laune war, und hatte es den Bauern mitgeteilt. Einige unter ihnen, die ihrem Herrn ein besonderes Anliegen vorzubringen hatten, ergriffen diese günstige Gelegenheit und gingen alle befriedigt von dannen: der Großvater ließ einem Bauer Korn geben, obgleich dieser eine alte Schuld noch nicht bezahlt hatte, die er eigentlich hätte bezahlen können; einem anderen erlaubte er, seinen Sohn zu verheiraten, ohne bis auf den Herbst Der Herbst ist die gewöhnliche Zeit der Bauernhochzeiten. (Anmerkung des Übersetzers S. R.) zu warten, und noch obendrein mit einem anderen Mädchen, als er selbst früher befohlen hatte; einer Soldatenwitwe, die er ihres schlechten Betragens wegen aus dem Dorfe hatte ausweisen wollen, erlaubte er weiter bei ihrem Vater zu wohnen usw. Noch mehr: er ließ jeden der Anwesenden einen großen silbernen Becher voll starken Hausbranntweins austrinken. Kurz und bündig gab der Großvater dem Verwalter die nötigen auf die Wirtschaft bezüglichen Befehle und eilte ins Speisezimmer, wo das Abendessen ihn erwartete. Das Abendessen unterschied sich nur wenig vom Mittagessen, und wahrscheinlich wurde da noch stärker gegessen, weil es nicht mehr so heiß war. Nach dem Abendessen, als er seiner Familie Gute Nacht gesagt hatte, setzte sich Stepan Michailowitsch, wie es seine Gewohnheit war, im bloßen Hemde noch eine halbe Stunde auf die Freitreppe, um sich zu erfrischen. Dieses Mal plauderte und scherzte er etwas länger als gewöhnlich mit seinen Dienstboten. Er forderte Masan und Tanaitschenok auf, ihre Kräfte gegeneinander im Ringen und Faustkampf zu versuchen, und verstand es, sie gegeneinander so aufzuhetzen, daß sie in ein ganz ernsthaftes Handgemenge gerieten und sogar einander in die Haare fuhren. Aber mein Großvater, der des Schauspiels schon satt war, brachte sie durch ein streng gesprochenes Wort wieder zur Besinnung und auseinander.

Die kurze herrliche Sommernacht umfing die ganze Natur. Noch glühte die Abendröte, um, ohne zu erlöschen, bald in die Morgenröte überzugehen. Dunkler und dunkler wurde das Himmelszelt, heller und heller funkelten die Sterne, lauter und lauter wurde das Geschrei der Nachtvögel, als rückten sie ihre Ruheplätze näher an die Wohnungen der Menschen heran. Näher und näher klapperte und stampfte die Mühle in der nebligen Dämmerung … Mein Großvater stand von seiner Freitreppe auf, blickte zum Sternenhimmel, bekreuzte sich ein paarmal, legte sich, auf die Schwüle des Zimmers und auf die heißen Federn nicht achtend, zu Bette und ließ den Vorhang über sich schließen.


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