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1. Kapitel

Friedrich XV., Herzog von Weißenfels, hatte seine Regierungsgeschäfte für heute erledigt, das heißt, er hatte seine schwungvolle Namensunterschrift unter ein halbes Dutzend Dokumente gesetzt und lehnte sich nun mit einem Gähnen in den bequemen Sessel vor seinem Schreibtisch zurück, das vielleicht unfürstlich, aber menschlich durchaus berechtigt war. Er durfte sich das gestatten, weil er sich allein in seinem Arbeitszimmer befand; er richtete dabei die Frage an das Schicksal, was er nun machen solle. Die durch seine Person vereinigten Herzogtümer von Weißenfels älterer und jüngerer Linie bezeichneten auf der Landkarte Deutschlands einen Flecken, den man bequem mit einem Fünfpfennigstück zudecken konnte; mithin war das »Regieren« derselben eine Arbeit, die sich im Maximalfalle über die Dauer einer Stunde pro Tag beim besten Willen nicht ausdehnen konnte. Die Residenzstadt mit ihrem imposanten Schlosse war ein kleines, verträumtes Nest, in dem das gesamte Militärkontingent des Landes in der Stärke eines ›Leib-Regimentes‹ Infanterie sein denkbar Möglichstes tat, um etwas Leben hineinzubringen. Der Hofstaat beschränkte sich auf wenige Hofchargen; die Empfänge im Schlosse waren Ereignisse, die sich unter dem Titel von zwei oder drei Hofbällen im Winter und ebensoviel Hofgartenkonzerten im Sommer in weiser Beschränkung abspielten. Man konnte also nicht behaupten, daß der Herzog und seine Gemahlin unter der Last ihrer Pflichten hätten zusammenbrechen müssen.

Friedrich XV., ein junger Mann, gähnte nochmals, daß Fafner, der Lindwurm in der Neidhöhle, ein Waisenknabe dagegen war, streckte seine langen Beine länger aus und murmelte:

»Was tun, spricht Zeus? Hm – tja! – reiten? Wenn man nur nicht immer diesen langweiligen, steifleinenen Adjutanten mitnehmen müßte! Verdirbt einem die ganze Landschaft, der Mensch – – was? Schon gleich fünf Uhr? Na, da wird man erst mal bei Elisabethchen 'ne Tasse Tee pietschen und sich dabei mit der schönen Theo 'n bißchen raufen.«

»Elisabethchen« aber war die reizende junge Gemahlin des Herzogs, und die »schöne Theo«, ihre Freundin, Gräfin Theodora Zimburg, die eben auf Besuch anwesend war. Wenn der Herzog mit dem Epitheton ornans »schön« eine gewisse Bewunderung ausdrückte, so darf man daraus beileibe keine falschen Schlüsse ziehen; denn er meinte das ganz im platonischen und harmlosen Freundschaftssinne. Friedrich XV. hatte seine Gemahlin aus reiner Liebe geheiratet. Er hatte sie auf einem Hoffeste in Berlin gesehen und ohne zu ahnen wer sie war, sich sofort sterblich in sie verliebt. »Die oder keine!« hatte er sich beim Anblick der anmutigen jungen Dame im Gefolge der Kaiserin gelobt, und – »sie und keine andere« wurde seine Frau. Die Verbindung mit ihr als der Erbin der jüngeren Linie Weißenfels war zwar von seiner, der älteren Linie, schon diplomatisch stark angestrebt, aber von ihm, als der Hauptperson, durch passive Resistenz abgelehnt worden. Als er sich ihr vorstellen ließ und dabei erfuhr, daß sie die gemiedene Erbin der jüngeren Linie war, die eben ihren ersten Flug in die Welt wagte, erleichterte das zwar nicht ganz unwesentlich sein fürstliches Gewissen, aber im großen und ganzen war es ohne Einfluß auf seine Gefühle. Da sie zum Glück rückhaltlos von der jungen Erbin erwidert wurden, so stand der Wiedervereinigung der seit ein paar Jahrhunderten getrennten Linien durchaus nichts mehr im Wege, und es wurde eine glänzende Hochzeit auf dem Weißenfels, der Stammburg des alten Geschlechtes, gefeiert.

Herzogin Elisabeth hatte ihre Erziehung in einer klösterlichen, sehr gründlich betriebenen Anstalt genossen und sich dort eng an eine Mitschülerin, die schon genannte Gräfin Theodora Zimburg, angeschlossen, die Tochter eines Generals, welcher außer seinem Gehalt wenig oder nichts besaß, aber es doch ermöglicht hatte, seinem einzigen Kinde eine gediegene und treffliche Erziehung in jener Anstalt zuteil werden zu lassen. Die beiden Freundinnen verloren fast gleichzeitig ihre Väter, wodurch Prinzeß Elisabeth Herzogin von Weißenfels jüngerer Linie und Gräfin Theo eine recht arme Waise wurde, die eine steinreiche Pate zu sich nahm, um ihr nicht lange darauf ihr ganzes Vermögen zu hinterlassen.

Nachdem Herzog Friedrich XV. also zu dem erleuchteten Entschlusse gekommen war, sich zu einem Spazierritt durch eine Tasse Tee bei seiner Gemahlin zu stärken, läutete er, übergab dem wartenden Kabinettssekretär die unterzeichneten Dokumente, und nachdem er sich im Spiegel überzeugt hatte, daß der Scheitel seines welligen Haares nichts von seiner Schönheit eingebüßt hatte, begab er sich nach den Privatgemächern der Herzogin und liebäugelte unterwegs noch ein wenig mit seiner Miniaturensammlung, die jedem Museum zur Zierde gereicht hätte, denn jeder Mensch hat zum mindesten ein Steckenpferd. Herzog Friedrichs Liebhaberei waren die Miniaturgemälde. Die reichlich gefüllten und wohlgeordneten Kästen bewiesen, daß er den Sport mit Geschmack und Verständnis betrieb. Erfrischt und immer wieder neu begeistert von dem Anblick seiner Schätze, durcheilte er sodann rasch die übrigen Räume seiner Privatwohnung. Das Vorzimmer seiner Gemahlin betretend, winkte er dem Lakaien vom Dienst ab, durchkreuzte ein paar Empfangszimmer und öffnete, ohne zu klopfen, die Tür zum Privatissimum der Herzogin, die tatsächlich allein mit ihrer Freundin vor einem reichlich besetzten Teetisch saß, bei seinem Erscheinen aber mit dem Ausruf aufsprang: »Friedel, du? Na, das ist doch mal ein gescheiter Einfall von dir!«, ihm ungeniert um den Hals fiel und ihm gleichzeitig ein Stück Kuchen, das sie gerade in der Hand hielt, in den Mund stopfte.

»Mmm!« machte der Herzog, wider Willen kauend, indem er sich den Magen strich und dann der lachend daneben sitzenden Gräfin Zimburg die Hand gab. »Hat unser Koch das zuwege gebracht?«

»Hat er, so unglaublich es scheinen mag«, nickte die Herzogin vergnügt. »Theo hat ihm das Rezept gegeben und ich den Befehl, es zu machen. Aber der Gute ist wie Mephisto: Ich mußte es dreimal sagen. Unser Hofkoch ist fürchterlich bockbeinig, lieber Friedel!«

»Ist er, mein Herzel«, bestätigte Friedrich XV., und seufzend setzte er hinzu: »Seitdem ich dieses schöne Land regiere, wünsche ich mir Knackwürste mit Meerrettich, aber gekriegt habe ich sie noch nicht, und Seine Hoheit der Erbprinz ist schon über ein Jahr alt.«

»Vielleicht ist der Herr Leibkoch der Meinung, daß Knackwürste für die Tafel Eurer Hoheit eine zu gemeine Speise sind«, bemerkte Theo lachend. »Ich werde Hoheit ein Postpaket dieser Delikatesse nebst einer Stange Meerrettich schicken.«

»Gräfin, Sie sind ein Engel! Aber, bitte, unter meiner höchsteigenen Adresse, sonst sehe ich doch nichts davon!« rief der Herzog mit Begeisterung. »Indes«, setzte er hinzu, den Kuchenteller zu sich heranziehend, »wir sind doch gottlob mal hier unter uns, und da wär's wirklich nett, wenn Sie die »Hoheit« schießen lassen und mich bei meinem ehrlichen Namen nennen wollten, wie wir's doch ausgemacht haben, nicht?«

»Gewiß, ich habe nur Angst, daß ich mich vor dem Hofstaat mal verplappern könnte. Die Gesichter möchte ich sehen, wenn ich Sie ›Friedel‹ nennen würde!« lachte Gräfin Theo, und das herzogliche Paar versicherte, daß sie das auch gern möchte. »Meine beschleunigte Abreise wäre die nächste Nummer des Programms!« setzte sie hinzu.

»Ach, und ich habe mir solche Mühe – vergebens! – gegeben, dich ganz hier festzuhalten!« jammerte die Herzogin. »Da hätte man doch mal eine Seele, mit der man ungeniert schwatzen und lachen könnte!«

»Wenn ich wüßte, unter welchem Titel wir Sie hier festhalten könnten, ich würde ihn durch allerhöchste Verfügung umgehend schaffen. Ich weiß es aber nicht«, sagte der Herzog.

»Vielleicht als Palastdame«, schlug die Herzogin vor. »Das wäre zwar hier eine neue Charge –«

»Worüber die Hühner des ganzen Landes Lachkrämpfe kriegen würden«, fiel die Gräfin Theo lustig ein.

»Nun, was das betrifft: Ich habe vorhin durch meine Unterschrift den Posten eines Oberhofmarschalls geschaffen, über den man sich bei den großen Höfen auch nicht schlecht lustig machen wird«, meinte der Herzog. »Das wäre dann in einem! Aber ich bin auch Ihrer Ansicht, Gräfin: Elisabeth hat viel mehr von Ihnen, wenn Sie von Zeit zu Zeit als Gast zu ihr kommen. Das ist ein unbestreitbarer Titel für einen intimen Verkehr und Ihre Selbständigkeit würde überdies durch jede mit den Haaren herbeigezogene Charge leiden. Ich bilde mir nämlich ein, für Sie wäre jede Abhängigkeit einfach unmöglich.«

Gräfin Theo lachte zwar zu dieser Behauptung, aber sie seufzte auch ein wenig hinterher, und dieses Gemisch von Gefühlen machte sie nicht minder anziehend, als sie es ohnedem sonst schon war. Wenn der Herzog sie bei sich »die schöne Theo« genannt hatte, so hatte er wirklich kaum zu viel gesagt. Ihre Bewegungen waren von jener natürlichen Anmut, die kein Tanzlehrer der ganzen Welt eindrillen kann. Von vollendeter Schönheit waren ihre großen, grauen Augen, mit den goldenen Lichtern darin in ihrer Umrahmung tiefdunkler Wimpern und Brauen, und dem frischen, freien und fröhlichen Ausdruck; und wenn Gräfin Theo lachte und dabei die schönsten weißen Zähne zeigte, dann war sie einfach unwiderstehlich.

»Ja«, gab sie nach jenem kleinen Seufzer zu, »ja, ich bekenne gern, daß die Selbständigkeit etwas sehr Schönes ist. Und doch – hätte mich nach Vaters Tode die Pate nicht zu sich genommen und zu ihrer Erbin gemacht, so wäre ich jetzt auch ein Glied in der langen Kette abhängiger Wesen. Elisabeth, du erinnerst dich gewiß noch an unsere Mitschülerin, die niedliche kleine Anna von Ried? Wir nannten sie scherzweise ›das Lumperl‹, weil sie so arg brav war. Der ist's recht schlecht gegangen, denn ihr Vormund hat ihr ganzes Vermögen verspekuliert, und nun schlägt sie sich tapfer als Sprachlehrerin durch. Eine Hilfe nimmt sie nicht an, – sie ist stolz wie Luzifer. Ich habe vor, sie aufzusuchen, wenn ich von hier abreise.«

»Oh, dann grüße das liebe Lumperl recht herzlich von mir!« sagte die Herzogin warm. »Könnte man denn wirklich gar nichts für sie tun?«

Der Herzog meinte nachdenklich: »Ihnen, Gräfin, möchte ich Energie keineswegs abstreiten – im Gegenteil, ich glaube, Sie haben davon mehr als genug. Aber Sie in einer abhängigen Stellung – nein, das wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Keine drei Tage hielten Sie darin aus. Entweder würden Sie Ihrem Brotherrn den Stuhl vor die Tür setzen, oder –«

»Oder ich würde an die Luft gesetzt werden!« vollendete Theo halb lachend, halb empört. »Ich danke Euer Hoheit untertänigst für Ihre gute Meinung, aber ich – ich wette dagegen!«

»Sie haben gut wetten, da Sie nach menschlicher Berechnung nie in eine solche Lage kommen werden«, versetzte der Herzog lachend.

»Man kann nie wissen, wie die Feste fallen«, entgegnete Theo leise. »Die arme Anna von Ried war auch ein sehr wohlhabendes Mädchen, und wenn mir zum Glück ja kein unredlicher Vormund mein Vermögen verpretzeln kann, weil die Pate mich beim Antritt ihrer Erbschaft schon mit zwanzig Jahren mündig erklären ließ, so gibt es doch noch viele andere Fälle, bei denen man sein Geld verlieren kann. Gesetzt, es ginge mir so und ich käme in die Lage unserer Freundin, dann würde ich es genau so machen wie sie.« »Keine Spur! Dann kämst du zu uns!« rief die Herzogin lebhaft.

»Ob zu dir oder zu jemand anderem, bliebe sich gleich. Nach der gütigen Meinung deines Herrn Gemahls würde ich dann entweder von ihm – nach drei Tagen schon – oder sonst von wem hinausgeworfen werden, falls ich nicht vorher schon davonliefe!« – Der Herzog wollte sich vor Lachen ausschütten.

»Ich würde die Perle meiner Sammlung, das Miniatur der Jane Seymour von Holbein, gegen einen faulen Apfel wetten, daß die Herrlichkeit bald ein Ende hätte.«

»Und ich wette dagegen mein Miniatur der Ahne Amöne Zimburg von Schöpfer, um das mich Hoheit unverhohlen beneiden!« gab Theo rot vor Entrüstung zurück.

»Ach ja, den ›Schöpfer‹ hätte ich freilich gern«, erklärte der Herzog begeistert. »Schade, daß diese Wette nichts ist wie ein schöner Traum.«

»Hoheit sind wirklich ein Gemütsmensch!« meinte Theo, wider Willen lachend.

»Ja nun, wenn man einem Sammler den Mund auch so wässerig macht!« entschuldigte sich der Herzog. »Das kommt mir vor, als wenn man einem Hunde eine Wurst so hoch vorhält, wie er nicht springen kann. Elegant ist der Vergleich zwar nicht. Warum müssen wir uns eigentlich immer raufen, Gräfin?«

Die Herzogin fiel vergnügt ein: »Du sagst aber auch immer Dinge, Friedel, die meine arme Theo einfach zu heller Wut reizen müssen.«

»Na, Wut ist ja etwas zu viel gesagt«, lachte Theo, indem sie mit Behagen in ein Stück Kuchen biß.

»Solange dieser Zustand appetitreizend wirkt, ist er ja noch ganz gesund«, neckte der Herzog, indem er sich erhob. »Nachdem wir also unser tägliches Pensum erledigt haben, muß ich mich jetzt empfehlen; denn ich will noch einen ergiebigen Spazierritt machen. Also, nichts für ungut, Gräfin! Ja, fast hätte ich's vergessen, Sie zu fragen, ob der Graf Leo Zimburg ein naher Verwandter von Ihnen ist.«

»Er ist nur ein Namensvetter«, erwiderte Theo. »Die beiden Zimburger Linien sind schon seit Olims Zeiten ganz voneinander getrennt, – verfeindet, muß man sagen, und ein wahrer Lindwurm von einem Prozeß hat das zuwege gebracht. Der ist gewissermaßen zum Familienerbstück geworden, das ich dem Namen nach mit übernommen habe; von unserer Seite aus ist er aber während der letzten Generation wegen Mangel an Mitteln schlafen gegangen. Ich kenne die Existenz des Grafen Leo nur aus dem Gothaischen Almanach, – persönlich bin ich ihm nie begegnet. Warum fragten Hoheit?«

»Nur einer Notiz wegen, die ich kürzlich in der Zeitung fand und dir, Elisabeth, immer mitzuteilen vergaß«, erklärte der Herzog. Die Ruine Zimburg, der Stammsitz dieses Geschlechtes, liegt nämlich in der Nachbarschaft von Schloß Weißenfels, der Wiege unseres gemeinsamen Hauses, wie du weißt, und zu ihren Füßen Schloß Amönenhof, der frühere Besitz von Leo Zimburg. Er hat ihn an einen Großindustriellen, den ›Stahlkönig‹ Reudnitz, verkauft.«

»Ist es möglich?« rief die Herzogin überrascht. »Wieder einmal ein alter Familienbesitz, der in die Hände eines Neureichen gefallen ist. Wie schade! Ich erinnere mich sehr gut des alten Grafen, der ja eine Zeitlang Staatsminister von Weißenfels jüngere Linie war; ich weiß auch, daß die Rede davon war, daß es um die Finanzen des Amönenhofes nicht sonderlich gut stünde, weil Graf Leo, der Sohn des Ministers, viel verbraucht haben soll. Es tut mir leid, daß es zum Verkauf des Besitzes gekommen ist. Was mag aus Graf Leo geworden sein?«

»Er hat den Abschied genommen. Mehr weiß ich auch nicht«, erwiderte der Herzog. »Ich habe ihn in Berlin natürlich kennengelernt; er war ein netter Mensch – im besten Sinne. Näher bin ich ihm nicht getreten; er stand ja bei einem anderen Regiment. Ja, es tut mir leid, daß er, wie so viele andere, auch verkrachen mußte. Daß die Nachricht vom Amönenhof dich interessieren würde, wußte ich, Elisabeth. Ich erinnere mich übrigens auch des reizenden Schlosses am See. So, und nun aber muß ich mich wirklich empfehlen. Auf Wiedersehen!«

»Und was fangen wir jetzt an?« fragte die Herzogin, als sie mit ihrer Freundin wieder allein war. »Laß mal sehen – in – hm – ja, in einer Viertelstunde muß ich eine Abordnung von Damen empfangen, die mich um die Übernahme des Protektorats eines Wohltätigkeitsbasars bitten will. Ich habe nichts weiter dabei zu tun, als die fein säuberlich auswendig gelernte Ansprache der Präsidentin anzuhören und ein paar Worte zu erwidern; die Sache ist also nur ein kurzer Schmerz. Man nennt das ›regieren‹, Theo, mein Schatz! Ist diese Pflicht erledigt, dann könnten wir uns auch einen Happen frischer Luft gönnen und eine kleine Ausfahrt machen, wenn's dir recht ist.«

»Sehr recht ist mir's«, erklärte Theo bereitwilligst. »Soll ich mich jetzt zurückziehen?«

»Bewahre, – das hat Zeit, bis die Korona mir gemeldet wird. Eigentlich drückt mich nämlich eine – nun ja, eine etwas indiskrete Frage, die ich gerade an dich richten wollte, als Friedel herein platzte.«

»Immer heraus damit; unter Freundinnen gibt es doch keine indiskreten Fragen«, ermunterte Theo lächelnd.

»Nun, ich weiß nicht –«, meinte die Herzogin zögernd. »Es gibt Dinge, in die man sich das Hineintappen besser versagen sollte. Indes – kurz und gut: Irgendein kleines Vögelchen hat mir zugezwitschert: ›Eine Jungfrau, reich und schön, will nicht allein durchs Leben gehn'‹, unter dem Hinweis, daß der dazu nötige andere Teil schon keine bloße Schattengestalt mehr ist.«

»Wenn man auf das alles hören wollte, was einem die bekanntlich sehr schwatzhaften ›kleinen Vögelchen‹ vorzwitschern, dann müßte man viel Zeit übrig haben«, fiel Theo abweisend ein, und weil sie dabei nicht rot, sondern blaß wurde, so zog die kluge Herzogin ihre Schlüsse daraus.

»Schade!« meinte sie enttäuscht. »Denn siehst du, liebes Herz, weil ich selbst doch so glücklich geworden bin, so wünsche ich dir so von ganzem Herzen das gleiche. Und man sagt, daß Baron Bergfried als Diplomat eine große Zukunft vor sich habe, daß er ein hervorragend kluger Mann ist und eine äußerst anziehende Persönlichkeit dazu.«

»Das alles ist nicht zu leugnen, aber – –« gab Theo zögernd zu. »Nun, ich will dir reinen Wein einschenken. Ich habe Baron Bergfried im Hause meiner Pate kennengelernt, wo er mich entschieden, sogar auffällig, ausgezeichnet hat; aber irgendein entscheidendes Wort hat er nie gesprochen. Die Pate erzählte mir, daß er nicht ganz mittellos ist, jedoch eben nur so viel hat, um sich damit in seiner diplomatischen Laufbahn zu halten; er hingegen wußte, daß ich ein armes Mädchen war, und mochte wohl auch gehört haben, daß die Pate ihren Reichtum einer Stiftung hinterlassen würde, was sie auch selbst überall erzählt hat, ehe ich zu ihr kam. Kein Mensch, ich am allerwenigsten, konnte vermuten, daß sie mich zu ihrer Universalerbin einsetzen würde. Als das aber bekannt wurde, trug Baron Bergfried mir seine Hand an, und ich – das ist wohl die Schattenseite des Reichtums –, ich wurde mißtrauisch und gab ihm einen Korb. Er hat das aber nicht für endgültig angesehen; denn unlängst erst hat er seinen Antrag wiederholt, und – ja, das ist eben alles.«

»Doch nicht so ganz, Liebste«, sagte die Herzogin mit einem leisen Lächeln. »Erstens fehlt dabei doch noch der Schluß, und dann drängt sich mir die Frage auf, wie es um dein eigenes Herz steht – – Liebst du ihn?«

»Das ist's ja eben – ich weiß es nicht!« erklärte Theo offen. »Ich will es unumwunden eingestehen, daß er mir sehr imponiert hat – sowohl durch seine universale Bildung und nicht gewöhnliches Wissen, als auch durch seine schöne, vornehme Erscheinung. Hätte er mich vor dem Tode der Pate gefragt, so würde ich ohne Bedenken ›ja‹ gesagt haben. Aber dieses in mir erwachte Mißtrauen hält allen seinen glänzenden Eigenschaften nun das Gegengewicht. Wenn ich ihn sehe, wenn ich mit ihm spreche, dann neigt das Zünglein der Waage ihm zu; aber es war sicherlich kein kluger Diplomatenzug, daß er mir beide Anträge schriftlich gemacht hat; denn ist er mir aus den Augen, dann schnellt er in der Waagschale meiner Gefühle federleicht empor, und die andere zieht das Mißtrauen, daß es mein Geld ist, um das er wirbt, bleischwer herab. Und ich weiß auch nicht, ob er aufrichtig ist.«

»Also hast du ihm wieder einen Korb gegeben?« fragte die Herzogin nach einer kleinen Pause.

»N–nein, noch nicht«, erwiderte Theo zögernd. »Ich habe mir Bedenkzeit ausgebeten, und er hat sich dareingefügt. Eine Frist ist nicht ausgemacht, – die hat er mir offen lassen müssen. Ach«, setzte sie mit einer Bewegung der Ungeduld hinzu, »ich wollte, ich könnte ihn auf die Probe stellen, wie er's meint. Aber wie soll ich denn das anfangen? Die Zeiten sind vorbei, wo die Ritterfräulein ihren Freiern die Aufgabe stellten, um schmale Burgmauern zu reiten, mit Drachen zu kämpfen und andere gefährliche Liebesbeweise verlangten. Mir fällt rein gar nichts ein, was man als Ersatz dafür ansehen könnte. Und ich weiß auch selbst wahrhaftig nicht, ob ich mir's wünschen möchte, daß er eine solche Probe besteht – es ist zum Davonlaufen!«

Ein leises Klopfen unterbrach hier das Gespräch; das der Herzogin viel interessanter war als die Meldung, daß die Damen im Salon versammelt seien; mit einem herzlichen: »Auf Wiedersehen denn in einer halben Stunde!« trennten sie sich von ihrer Freundin, um ihren Pflichten als Landesmutter zu genügen.


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