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XVII.

Pitscheider fungierte für die Zeit der Erkrankung und Dienstverhinderung Egon Rothenburgs als Amtsleiter und stellvertretender Chef und hatte Arbeit genug, denn die Regulierung der Hilfsaktion für die Abbrändler in Windisch-Matrey verlangt vollste dienstliche Hingebung, rasche Dispositionen sind nötig, zudem mußten mehrfache Dienstreisen zur Brandstätte gemacht werden. Aus einer Zuschrift der Statthalterei ersah der Kommissär, daß die Oberbehörde den Vorschlag Rothenburgs, eine Ortsverlegung anzustreben, aufgegriffen habe und zu genehmigen bereit sei, sofern der Vorschlag auf Grund vorzunehmender Verhandlungen mit den interessierten Parteien mit Details versehen sein werde. In der Zuschrift hieß es weiter, daß Gesuche um Baubewilligung vorerst zurückgehalten, die ganze Angelegenheit vom Bezirkshauptmann nach seiner Wiederherstellung geleitet werden möge.

Pitscheider pfiff durch die Zähne, als er diese Zuschrift durchlas; in seinem Kopf entstanden Gedanken, die sich auf die Möglichkeit vereinigten, den Plan zu vereiteln durch Verhetzung der Abbrändler. Das kann leicht geschehen; fällt das Projekt, so erscheint der Hauptmann blamiert vor der Oberbehörde, und eine Diskreditierung ersehnt Pitscheider für den Grafen heißer denn je.

Einer der Lienzer Gendarmen meldete sich beim Amtsleiter zum Rapport und ward angeschnauzt: »Können Sie nicht warten, bis Sie vorgelassen werden?«

Der Gendarm stotterte: »Ich bitt' um Verzeihung, es war niemand vor der Thür und auf der Thür steht: ›Nicht anklopfen!‹«

»Was wollen Sie?«

»Gehorsamst zu melden: Der Wasenmeister hält gegen das Verbot ein Schwein. Auf Vorhalt erwiderte derselbe, er hätte vom Herrn Grafen die Erlaubnis dazu erhalten.«

»Unsinn! Das strenge Verbot besteht schon seit vielen Jahren! Es kann niemand, ausgenommen nur das Ministerium, eine Abänderung genehmigen!«

»Ich bringe den Wasenmeister zur Anzeige!«

»Gut! Holen Sie den Mann, ich will sofort mit ihm sprechen!«

»Zu Befehl!«

Nach Abgang des Gendarmen schlug Pitscheider im Repertorium der Verwaltungsgesetzkunde nach und hatte schnell, was er suchte: Erlaß des Staatsministeriums des Innern No.8823 vom 10. Mai 1866: »Dem Wasenmeister ist das Halten von Schweinen unbedingt verboten.«

Pitscheiders Augen funkelten. Ist gewiß nicht anzunehmen, daß der Hauptmann, der von dieser Bestimmung zweifellos Kenntnis haben muß, das Verbot aufgehoben habe, die Gelegenheit ist günstig, das Gegenteil in einem Bericht an die Oberbehörde zu behaupten, und Graf Rothenburg wird eine hübsche Nase bekommen.

Eine Stunde später war der Wasenmeister verhört mit dem Resultat, daß sich die Behauptung einer Erlaubnis ad hoc als leere Ausrede erwies. Pitscheider genierte das nicht, flugs ward über den Vorfall ein Protokoll aufgesetzt und an die Statthalterei abgeschickt.

Vergnügt ob des dem ahnungslosen Chef gespielten Streiches fuhr der Kommissär dann auf Kommission nach Matrey und hetzte dort in aller Stille, aber mit um so besseren Erfolgen gegen den Plan einer Ortsverlegung.

Mählich ward es Sommer.

Egon hatte sich erholt, desgleichen Ida, doch war es ihm nicht vergönnt, das Mädchen auf den vom Arzt nun gestatteten Spaziergängen zu sehen. Heiß sehnte sich Egon danach, Ida danken zu können für die aufopfernde, ihm erwiesene Pflege. Wohl hatte er wiederholt Franz geschickt und nach dem Befinden des Fräuleins fragen lassen, doch die Berichte klangen kühl aus dem Munde des Dieners, streng objektiv.

Auf den Ausfahrten war es Egon auch nicht gegönnt, des Mädchens ansichtig zu werden. Er wußte nur, daß auch Ida auf, und in Rekonvalescenz sei.

Ein Brief versetzte eines Tages den Hauptmann in große Erregung, Egon möchte aufjubeln, am liebsten sogleich zu Ida eilen und ihr mitteilen, daß der trennende Schatten nun weicht.

Stephan Pejacsevits schrieb, daß sich der Vorfall im Hause Rothenburg in völlig genügender Weise thatsächlich als Scherz, den sich Nissi mit einem der jungen Beamten Egons erlaubte, aufgeklärt habe, weshalb von Scheidung keine Rede sein könne. Zugleich nehme Stephan alle Anwürfe zurück und ersuche den Schwager, jenes Schreiben, das im Affekt verfaßt worden, als nicht geschrieben betrachten zu wollen.

Egon ist es, als sei ein Stein von seiner Brust gefallen; die Familienehre ist intakt, offen kann er wieder blicken in jedermanns Auge. Über das Aufleben, die Munterkeit und Hoffnungsfreude Egons freute sich der alte Onkel aufrichtig, setzte aber alles auf das Conto der Wiedergenesung, bis der Neffe die Sprache auf das Kapitel »Nissi und Treßhof« brachte und der Genugthuung Ausdruck gab, daß gottlob diese Affaire gut ausgegangen sei.

Botho ließ sich den Fall erklären und gab schließlich zu, daß man die Lösung dieses Konfliktes nur begrüßen könne. Der Onkel hütete sich, zu sagen, was er dachte, daß nämlich wie bei Berufung der kleinen Hohenberg er auch verantwortlich gewesen sei für die verunglückte Mission Nissis. Botho war daher herzlich froh, daß die Damen fort sind, hoffentlich auf das Nichtmehrkommen, und im stillen gelobte sich der alte Herr, die Finger von solchen Citationen zu lassen.

Die Amtsübernahme stand für den nächsten Tag bevor. Egon hatte noch vierundzwanzig Stunden freie Zeit. Zum Spaziergang durch das sonnigwohlige Gelände begleitete Botho den Neffen und hinter Schloß Bruck im stillen Wald begann Egon den Oheim zu bitten, es möge nun nach Überwindung so vieler Hindernisse die Situation geklärt werden.

Botho schielte nach Egons ernst gewordenem Antlitz, unsicher fragte der alte Herr: »Wie meinst Du das, Egon?«

»Seien wir offen, lieber Onkel! Meine Neigung für Fräulein Ida kennst Du und hast nicht verfehlt, taktisch und diplomatisch derselben entgegenzuarbeiten.«

»Aber Egon!«

»Bitte Onkel, wir müssen ins reine kommen! Nissi hast Du kommen lassen in der Erwartung, daß die adelige Schwester mir den Gedanken an eine Verbindung mit einer bürgerlichen Dame auf irgend eine passende oder auch unpassende Weise austreiben werde. Den Erfolg dürfte Graf Botho Rothenburg kaum einen positiven nennen, dagegen dürfen wir Gott danken, daß die Affaire Nissi-Treßhof ohne skandalöse Trennung der Ehe Pejacsevits' ein erträgliches Ende gefunden hat.«

»Laß' doch –«

»Ich glaube es gerne, daß dem Arrangeur der Mißerfolg unangenehm ist. Ich spreche aber über diese Angelegenheit, um den Beweis zu liefern, daß ich das Spiel vollständig durchschaute. Daß ich mit der kleinen Hohenberg verbandelt werden sollte, ist wohl auch nicht ohne Deine Zustimmung entriert worden.«

Hastig warf Botho ein: »Auf diese Idee ist zuerst Nissi verfallen!«

»Das ist gleichgültig! Du hast zweifelsohne zugestimmt. Weshalb Du die Hohenberg so schnell nach Wien zurückgebracht hast, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung.«

»Du wirst unangenehm, lieber Egon! Ich denke, wir kehren um. Es fröstelt einem im Waldesschatten!«

»Gut, gehen wir wieder in die Sonne. Vielleicht erwärmt sich mein verehrter Herr Onkel dann für den Gedanken, auf so viele Fehlschüsse einen Treffer zu setzen.«

»Du meinst doch nicht –«

Egon blieb stehen und blickte dem Grafen innig ins Auge, weich klangen seine Worte: »Lieber Onkel, Du bist mir allezeit ein Vater und Freund zugleich gewesen! Hilf mir zu meinem Lebensglück! Wirf die Vorurteile über Bord und gieb mir die Erlaubnis, Ida heiraten zu dürfen!«

Der alte Herr trippelte in Verlegenheit hin und her, die Situation ist ihm heillos unangenehm! »Ich weiß wirklich nicht! Und dann der schreckliche Mensch, ich schaudere bei dem Gedanken, diesen Piffrader als gewissermaßen Verwandten betrachten zu müssen!«

»Hättest Du vielleicht die Affaire Pejacsevits weniger schauderhaft gefunden?«

»Hör' auf, Du quälst mich!«

»Meine Herzensqual läßt Dich aber kalt!«

»Nicht doch, Egon! Ich fühle warm und herzlich für Dich und werde, so lange ich lebe, für Dich eintreten. Aber mit jenem Bräuer verkehren zu müssen, schrecklich!«

»Ein Zwang besteht nicht. Wir können uns ja versetzen lassen, und den Piffrader, der übrigens nicht so schrecklich ist, wie Du ihn hinstellst, sind wir dann los. Ich heirate ja nur die liebe, gute Ida, meine Pflegerin!«

»Da haben wir es ja! Ich hätte diese Pflege ablehnen sollen.«

»Und damit hättest Du ein edles Frauenherz aufs tiefste verletzt! Nein, nein, dazu ist der ritterliche Rothenburg senior nicht fähig, deshalb hast Du auch die Einwilligung gegeben. Sprich das einzige mich beglückende Wort, Onkel! Ich bitte Dich innigst darum!«

»Gott, was will ich machen!«

»Herzinnigsten Dank, Onkel!« jubelte Egon und drückte Botho die Hand so fest, daß der alte Herr einen Wehruf ausstieß. »Nun aber zu Ida und Piffrader!« rief Egon.

»Na, dann los! Mich dispensierst Du wohl von solchem Canossagang!«

»Für heute ja! Tausend Dank, Onkel! Ich eile, mir mein Glück zu holen!« Und fort war Egon.

Graf Botho hatte hinreichend Gelegenheit, über sein diplomatisches Pech auf dem Heimweg nachzudenken.

Egon bog in die Hauptgasse ein, die zum Bräuhause führte, als ihn ein Zuruf zum Stillstehen veranlaßte.

Zoderer stand eben im Hauseingang und rief dem Grafen zu: »Herr Bezirkshauptmann! Mit Verlaub, auf ein Wort, haben S' die Ehr'!«

So eilig es Egon hatte und die Verzögerung unangenehm empfand, die Höflichkeit veranlaßte ihn, dem Mann Gehör zu geben. »Sie wünschen?«

»Herr Graf! Verlauben S' gütigst, ich möcht' gratulieren, daß Sie wieder wohlauf sind und die saggrische Krankheit gut überstanden haben!«

»Danke Ihnen herzlich, Herr Zoderer!«

»Keine Ursach', Herr Graf! Wissen S', wir Bürger haben schon recht Mitleid g'habt, Sie haben sich soviel brav und wacker g'halten beim Brand und Ihner Unglück mit der Krankheit ischt uns zu Herzen 'gangen. Jawohl, einen so guten Hauptmann findet man nicht überall auf der Straßen!«

»Danke für Ihre gute Meinung! Ich habe nur meine Pflicht gethan!«

»Schon wohl! Und etwas mehr auch! Aber weil ich Ihnen grad' so schön da hab', dürfte ich etwas vorbringen?«

»Bitte, aber kurz, ich bin etwas pressiert!«

»Gleich werden wir's haben! Herr Graf Hauptmann, gelten S', Sie kennen den Piffrader?«

Egon horchte auf und nickte.

»Sehen S', der Mann ischt Abgeordneter und macht im Landtag dumme Sachen!«

»Aber bitte, das geht doch mich nichts an!« wehrte Egon ab.

»Schon wohl auch! Dem Bezirkshauptmann kann es nicht gleichgültig sein, wenn der Abgeordnete des Bezirks grad' das Gegenteil von dem thut, was der Bezirk braucht.«

»Darüber zu befinden, ist Sache der Wähler!«

»Ganz richtig. Sehen S', Herr Graf, bei einem Haar wär' uns die Iselthalstraße ins Wasser g'fallen, so dumm hat der Piffrader geredet in Innsbruck. Gott sei Dank, hat eine kleine Majorität dafür gestimmt. Wir werden aber jetzt mit unserem Abgeordneten abrechnen, was man so sagt in Tirol: ›raiten‹. Und da wollen wir morgen eine Wählerversammlung abhalten und den Piffrader auffordern, sein Mandat niederzulegen. Es muß ein anderer in den Landtag als Abgeordneter. Ich mein', der richtige Mann wären Sie, Herr Graf!«

»Was fällt Ihnen ein! Ich bin Beamter, kann eine Wahl gar nicht annehmen. Der Hauptmann gehört in seinen Amtsbezirk, nicht in den Landtag. Und was Ihre Versammlung betrifft, so kann ich heute gar nichts bestimmen, denn ich bin heute noch im Krankheitsurlaub und übernehme erst morgen das Amt. Sie müssen die Anmeldung daher beim Amtsleiter in der Bezirkshauptmannschaft erstatten, und das sogleich, denn sonst kann die Erlaubnis für morgen nicht mehr erteilt werden. Im übrigen möchte ich Ihnen persönlich nahelegen, verstehen Sie, persönlich, nicht amtlich, eine so tiefgehende, einschneidende Angelegenheit, wie es die Aufforderung zur Mandatsniederlegung ist, doch ja reiflich zu überlegen. Eine solche Aufforderung ist identisch mit einem eklatanten Mißtrauensvotum, das, wenn nicht begründet, ohne Beweiserbringung einer tiefverletzenden Ehrenkränkung gleichkommt. Sie haben doch vorher sich mit den Wählern ins Benehmen gesetzt?«

Zoderer schüttelte den Kopf: »Nein, Herr Hauptmann, sall hab' ich mir gleich nur gedenkt und das weitere werd' ich den Manndern morgen auseinandersetzen.«

»Ohne Vorherbesprechung erscheint mir ein solches Vorgehen nicht opportun, Sie müssen doch vorher wissen, ob die übrigen Wähler gleicher Anschauung sind.«

»Mein Nachbar meinte schon auch wie Sie, Herr Graf! Aber ich will mit dem Piffrader abraiten!«

Egon konnte den Gedanken nicht abweisen, daß der Mann einen Privathaß gegen Piffrader hege, er fragte daher nach dem Motiv zu solch feindlicher Haltung.

»Das will ich Ihnen gleich auseinandersetzen! Sie sind ein Graf, verstehen also vom Semmelmachen nichts. Das ischt keine Schand', Sie brauchen nit rot zu werden. Wenn Sie aber kein Graf, überhaupt nix wären, sondern ein bürgerlicher Bäckermeister, können S' Ihnen das vorstellen?«

Egon fügte sich ins Unvermeidliche und nickte.

»Also gut! Sie sind jetzt ein Bäckermeister und müssen davon die Familie erhalten. Wenn nun so ein Tropf wie der reiche Piffrader sich im Landtag blamiert und den Bäckermeister, der ihm das unter die Nase reibt als Wähler, einen Loabltoag heißt: giebt salle Beleidigung nicht das Recht, den Knallprotzen aufzufordern, das Mandat niederzulegen?«

Egon unterdrückte den Lachreiz und sprach: »Nein, das Recht haben Sie dazu nicht! Ob der gebrauchte Ausdruck eine Beleidigung ist, kann ich als Nichtfachmann nicht beurteilen. Fühlen Sie sich beleidigt, so können Sie vor dem kompetenten Bezirksgericht klagen. Aber auf keinen Fall ist ein Vorgehen, wie Sie es in politicis beabsichtigten, opportun, persönlich möchte ich Ihnen davon abraten. Ich habe übrigens den Bericht über jene Landtagsverhandlung nachträglich gelesen. Was Piffrader gethan, thaten andere in unbegreiflicher Verkennung der wohlwollenden Absicht des Statthalters auch, das liegt in den beklagenswerten Verhältnissen unseres Landes und wird so rasch nicht zu bessern, nicht zu ändern sein. Einem Manne ob der Haltung im Landtag auf solche Weise zu Leib zu rücken, ist nicht nötig und nicht nobel. Das Straßengesetz, eine der wichtigsten Angelegenheiten Tirols seit vielen Jahren und auf Jahre hinaus, ist unter Dach und damit eine große That gethan. – Nun aber muß ich fort! Guten Tag, Herr Zoderer!«

»Ich dank', Herr Graf! Also dann lassen wir's gut sein!«

Egon begab sich zu Piffrader in das erste Stockwerk und bat eine ihm in den Weg gekommene Zimmerin, Herrn Piffrader zu sagen, der Herr Bezirkshauptmann wünsche ihn zu sprechen.

Bald darauf polterte der Bräuer herbei, grüßte und bat den Besucher in das Gutzimmer der Privatwohnung einzutreten.

Das Gemach war möbliert im Geschmack der Biedermayerzeit, alles altväterisch, doch wohnlich, durch Blattpflanzenarrangement und sonstigen Schmuck von sorgender Frauenhand wohlig gestaltet.

Egon nahm Platz, ebenso Piffrader, der anhub: »Herr Graf haben die Ehre, mich zu besuchen, ich danke und freue mich, daß Sie wieder wohlauf sind. Hoffentlich halten Sie Ihnen aber jetzt, das Kranksein ischt eine üble Sach', ich hab's gespürt bei meiner Idele.«

»Ich danke Ihnen herzlichst für Ihre freundliche Anteilnahme, und zugleich möchte ich auch Fräulein Ida innigsten Dank sagen für die in so liebenswürdiger Weise bethätigte aufopfernde Pflege, die mir in jener schrecklichen Zeit erwiesen worden ist!«

»Nicht mit meiner Genehmigung, das können S' Ihnen denken! Ich war dazumalen im Landtag in Innsbruck, sonst hätt' ich dem Madele die verrückten Gedanken schon ausgetrieben. Ischt decht ganz aus der Weis', ein junges Madel geht krankenpflegen ins Haus von einem ledigen Mann! Na, sie thut es kein zweites Mal, dafür ischt gesorgt. Aber den Leuten kann ich den Mund nicht zubinden, das ischt es, was mich giftet! Wir müssen uns durchhecheln lassen, alles wegen Ihnen und der Dummheit des Madels. Ich kann mir daher nicht gut denken, was Sie sonst noch bei mir wollen, Herr Graf? Auf sind Sie, wieder gesund, das ischt recht und freut mich, schon auch deswegen, weil Sie so wacker und mutig beim Brandunglück waren, ein ganzer Mann! Aber damit sind wir fertig, wer's glaubt!«

»Herr Piffrader! Seit ich das Glück hatte, Ihr Fräulein Tochter kennen zu lernen, hege ich nur den einen Wunsch, Fräulein Ida zur geliebten Frau zu bekommen ...«

»Oha, wer's glaubt!«

»Gewiß, Herr Piffrader! Schwierigkeiten gewisser Art waren zu überwinden ...«

»Bitte, die Sprüch' kenn' ich schon vom Landtag her. Sie wollen jetzt nur die Sitation ausnützen ...«

»Herr Piffrader, ich will auf Ihre Zwischenbemerkungen nicht reagieren, ich bitte Sie thatsächlich und herzlich um die Hand Ihrer Tochter und kann dieser ehrlichen Werbung beifügen, daß nunmehr auch mein Onkel Graf Botho Rothenburg zu diesem Ehebund seine Zustimmung erteilt hat.«

Piffrader erhob sich und sprach: »Das ischt sehr schön vom alten Herrn Grafen! Der alte Herr mag Einfluß auf Ihre Verhältnisse haben, auf die meinen hat er keinen Einfluß. Wenn er jetzt mag, ich mag nit! Ihr Antrag ist mir eine Ehr', aber ich laß' meine Tochter nit aus Mitleid, nit aus Dankbarkeit, überhaupt von keinem Adeligen und von einem Beamten schon gar nicht heiraten!«

Sich erhebend, bleich im Gesicht, stand Egon vor dem kleinen Bräuer, der mit den dicken Fingern auf die Tischplatte trommelte.

»Herr Piffrader! Seien Sie nicht grausam! Ihr Nein vernichtet eines ehrlichen Mannes Hoffnung und Lebensglück!«

»Wer's glaubt! Sie finden leicht eine andere, die noblichter ischt und mehr Mitgift hat wie mein Idele!«

»Ich verzichte auf jede Mitgift! Ich liebe Ida um ihrer selbst willen aufrichtig und herzinniglich und so wahr mir Gott helfe, ich will Ida ein guter Gatte und Schützer sein immerdar!«

»Sehr schön gesagt, Herr Graf, wirklich schön! Aber ich mag vorderhand nit und dabei bleibt es, wer's glaubt! Es wär' vielleicht was anderes gewesen, wenn der alte Graf nit mögen hätt', dann hätt' ich vielleicht ja gesagt; von wegen der gesunden Oppasition sag' ich aber jetzt nein und solange – warten Sie einen Augenblick, damit mir was Gescheites einfallt – haben wir schon, wer's glaubt – also solange Sie mit der verrückten Idee betreffs der Ortsverlegung in Matrey nicht das Unglaubliche und Unmögliche durchsetzen, daß nämlich die Leut' in Matrey wirklich vom Bach wegziehen und Ihren Vorschlag annehmen, so lange sag' ich nein!«

»Sie wissen von meinem Vorschlag!« rief erstaunt Egon aus.

»Ich bin Abgeordneter, daher weiß ich alles, genau wie die Polizei!«

»Ja, aber mein Bericht ist doch sekret an die Statthalterei gegangen, wie kommen Sie zu solcher Kenntnis?«

Piffrader nahm eine Pose wie ein Feldherr ein und rief: »Erstens ischt in den Kalauern (Couloirs) der Landstube davon gemunkelt worden, es wird also decht wohl einer von der Statthalterei davon was gewispelt haben, und dann war ja zweitens und drittens der Kommissär zu den Vorerhebungen bereits einige Male in Matrey. Kein Wunder daher, wenn man davon auch in Lienz weiß.«

»So so! Sie, Herr Abgeordneter, scheinen also dem Plan nicht sympathisch gegenüber zu stehen?«

»Nein! Das ischt erstens Unsinn und zweitens ganz und gar aussichtslos. Und was ich gesagt hab', dabei bleibt es. In Matrey zur rechten Zeit sehen wir uns wieder. Ich komm' ganz gewiß zur Protokollierung; das muß ich mitmachen, Herr Graf, ich dank' für Ihren Antrag, ich hab' die Ehr'!«

Nach solcher Zurückweisung konnte Egon nicht ersuchen, mit Ida sprechen zu dürfen, er bat daher, es möge Piffrader seinen heißen Dank dem Fräulein übermitteln und verließ nach steifer Verabschiedung das Haus.

Botho las den Mißerfolg von Egons Antlitz, als Onkel und Neffe sich im Salon der Dienstwohnung trafen, und unangenehm berührt, fragte Botho: »Der Mann wird doch nicht beleidigend geworden sein?«

»Das nicht! Man darf auch nicht jedes Wort der Gebirgler auf die Goldwage legen, es ist oft nicht so schlimm gemeint, als es rauh klingt. Aber –«

»Die Abweisung ist perfekt?«

»Zur Zeit ja! Piffrader ist ein Starrkopf; weil Du einwilligtest, mag nun er nicht!«

»Ist der Mann verrückt?«

»O nein, bloß starrsinnig! Piffrader knüpft an seine Einwilligung die Bedingung meines Erfolges in der Frage der Matreyer Ortsverlegung.«

»Und zweifelst Du an diesem Erfolg?« fragte Botho.

»Du kannst Dir denken, Onkel, daß ich solchen Erfolg erhoffe, hängt ja doch mein Lebensglück davon ab, indem Piffrader dann einwilligen wird. Soweit ich aber das Landvolk im Gebirge kennen gelernt habe, kann höchstens ein teilweiser Erfolg erwartet werden. Alle Leute unter einen Hut zu bringen, ist hier zu Lande wie ja wohl auch anderswo ausgeschlossen, wie sich aber Piffrader zu einem nur partiellen Erfolg stellen wird, das kann ich nicht einmal vermuten!«

»Das sind ja ›nette‹ Aussichten! Du hättest Dich besser nicht – verlieben sollen!«

Tags darauf übernahm Egon wieder die Amtsführung und zwar zu so früher Stunde, daß er selbst die Post, den ganzen Einlauf in die Hände bekam. Gleich das erste Schreiben, welches Egon öffnete, war ein Schriftstück der Statthalterei, worin der Hauptmann aufgefordert ist, sich zu dem Dienstschreiben, gezeichnet Pitscheider, zu äußern, beziehungsweise den Kommissär für die handgreifliche Denunziation zur Rechenschaft zu ziehen. Des weiteren möge die Verhandlung wegen der Ortsverlegung in Matrey sogleich begonnen und ein mit allen Details versehener Bericht an die Oberbehörde eingesendet werden.

Egon las die Denunziation wegen Verfehlens gegen die Ministerialverordnung nur flüchtig und legte sie behufs späterer Erledigung zur Seite. Dann verteilte der Hauptmann den Einlauf spartenweise an seine Beamten und befahl den Wagen zur sofortigen Fahrt nach Matrey.

Ist die Angelegenheit der Ortsverlegung dienstlich dringlich, so drängt die Hoffnung auf einen doch vielleicht möglichen Erfolg zu rascher That.

Das Nötigste an Reiseutensilien war rasch gepackt, ebenso das dienstliche Material beschafft, und so fuhr Egon, von Botho begleitet, in sausender Eile durch das Iselthal den Tauern entgegen, deren schneeige Gipfel alsbald in Erscheinung traten und wunderbar im Sonnenschein erglänzten, so hehr und rein.

Egon ging das Herz auf im Anblick der stolzen, schönen Berge und in seligen Gedanken erinnerte er sich an die sich nun bald jährende schöne Zeit, da er auf dem Gipfel des Venedigers gestanden und im Gschlöß Hold-Idchen kennen und lieben gelernt. Wird das Tauernglück ihm werden wie einst den Suchern nach dem Tauerngold?

Wie Egon war auch der alte Onkel still und nachdenklich geworden im Anblick der gewaltigen Bergriesen; die Hochlandsnatur übte ihren Zauber aus; sie bringt den Menschen zum Schweigen.

Als der Wagen sich dem Schuttmeer Matreys näherte, jammerte Botho, von herzlichem Mitleid ergriffen, ob der fürchterlichen Heimsuchung, die den Marktflecken betroffen, und gelobte, mit einem großen Betrag dem Unglück steuern helfen zu wollen.

Egon fühlte das Naß seiner Augen beim Anblick der ungeheuren Brandstatt, fünfundsechzig Häuser liegen in Schutt und Asche, ungezählt die Scheunen und Hütten, die in Rauch aufgegangen.

Trotz des Elends zeigten sich die Matreyer erfreut, ihren Bezirkschef begrüßen zu können, der bei der Katastrophe so heldenmütig eingegriffen und dann gelobt hatte, alles zur Notlinderung aufzubieten.

Von den Abbrändlern ist ein Teil in den vom Feuer verschont gebliebenen Häusern, auch außerhalb des geschlossenen Marktes, untergebracht, für den Rest hatten hilfreiche Leute Holzbaracken gebaut.

Egon schritt sogleich zur dringendsten Amtshandlung, indem er die Bürger und Eigentümer der niedergebrannten Häuser berief und ihnen den Plan zum Wiederaufbau an anderer Stelle, entfernt vom ewig drohenden Wildbach, erörterte, unter dem Beifügen, daß der Staat eine namhafte Subvention gewähre sowohl zum Aufbau der Häuser als auch zur Unterstützung der dreihundertsiebzig obdachlosen Abbrändler mit Bargeld durch sechs Monate. Die Leute horchten auf, verhielten sich aber vorerst unschlüssig; nur einige Interessenten wünschten zunächst zu erfahren, wo der neue Ort erbaut werden sollte.

Der Bezirkshauptmann bezeichnete als geeignetsten Ort die Fläche am Fuße des Glanzberges, doch stünde morgen die Begutachtung seitens der fachtechnischen Kommission zu erwarten. Einmal in der Diskussion wurden auch gegnerische Stimmen laut, man schlug andere Stellen vor, und namentlich die Wirte ereiferten sich gegen das Projekt überhaupt, bis auf einen, der nur still vor sich hinlächelte.

Egon wurde gebeten, zu sagen, wie hoch sich die Summe einer Barentschädigung, vom Zuschuß zum Aufbau abgesehen, belaufen würde, und die natürlich nur unter Vorbehalt der oberbehördlichen Genehmigung genannte Summe bezifferte sich circa auf sechstausendsiebenhundert Gulden. Flink wurde ausgerechnet, wieviel pro Kopf erwachse; die Situation schien dem Projekt eine günstige werden zu wollen. Egon ließ durch Handhebung provisorisch abstimmen, und zu seiner Überraschung ergab sich eine einhellige Annahme des Planes, so sehr auch zwei Wirte vorher dagegen gesprochen hatten.

Damit war die erste Verhandlung zu Ende, und Egon suchte für sich und Botho Quartier für die Nacht.

Gegen Mittag des nächsten Tages traf die technische Kommission, ergänzt durch Herren vom Baudepartement aus Innsbruck, ein, die sogleich ans Werk ging und fleißig arbeitete. Kurz darauf kam zu allseitiger freudiger Überraschung der Statthalter Graf Kueffstein angefahren, der seiner Fürsorge durch persönliches Erscheinen Ausdruck geben und thatkräftig eingreifen wollte.

Herzlich begrüßte der Landeschef die Rothenburgs und wünschte Egon völlige Wiederherstellung unter anerkennenden Worten für die den Matreyern erwiesene Hilfe.

Sowohl die Türkenbrüder als die Einwohnerschaft guckten, als der elegante Statthalter jede Erfrischung ablehnte und sogleich, ohne Rücksicht auf Toilette und die feinen Stadtschuhe, gleich einem Maurer mit den Kommissionsherren durch Schutt und Asche schritt, überall hinging, alles besichtigte und sich unermüdlich Vortrag erstatten ließ.

Die anstrengende Arbeit erstreckte sich bis zur späten Abendstunde, dann wurde noch eine Konferenz beim Obertürken abgehalten, in welcher zunächst in groben Umrissen die Details festgestellt und vom Statthalter gutgeheißen wurden.

Man schätzte, daß rund achtundsiebzigtausend Gulden Staatszuschuß nötig werden, um Matrey am Fuße des Glanzberges neu erstehen zu lassen.

Ein flüchtig eingenommener Imbiß folgte der Beratung, dann bat der Statthalter Egon um seine Begleitung eine Strecke weit voraus, der Wagen solle nachkommen.

Langsam die Straße ins Iselthal hinauswandernd, gab Graf Kueffstein dem Hauptmann bekannt, daß gegen den seit einiger Zeit verdächtig gewordenen Kommissär Pitscheider eine Disciplinaruntersuchung eingeleitet worden sei; es mögen seitens der Lienzer Hauptmannschaft alle Vorfälle seither und was sich in der nächsten Zeit etwa noch ergebe, amtlich angemeldet werden. »Sie müssen doch schon gemerkt haben, daß der Mann intrigiert und sogar vor gefälschten Berichten nicht zurückschreckt?« meinte Graf Kueffstein.

»Nein, Excellenz! Nur gestern entnahm ich dem Schreiben hoher Statthalterei, daß ich etwas Gesetzwidriges genehmigt haben sollte. Ich glaube wohl nicht besonders betonen zu müssen, daß dem nicht so ist. Auftragsgemäß werde ich den Fall in concreto prüfen.«

»Gut! Seien Sie nur nicht gar zu nachsichtig. Es scheint mir etwas nicht in Ordnung zu sein, mir deucht, es intrigiert der Kommissär gegen Sie, lieber Graf. Die Beschwerde damals von der Hand Pitscheiders, kürzlich der einer Denunziation auf ein Haar gleichende gefälschte Bericht – es muß etwas dazwischen liegen. Also forschen Sie nach und erstatten Sie mir baldigen Bericht! Und führen Sie den Matreyer Plan möglichst gut durch. Meine Unterstützung haben Sie, und meines Wohlwollens brauche ich Sie nicht erst zu versichern. Nun Gott befohlen, lieber Rothenburg! Glück auf!«

Kueffstein reichte dem Bezirkshauptmann die Hand, stieg in den Wagen und fuhr durch das nachtverhüllte Iselthal hinaus nach Lienz.

Egon mühte sich in Gedanken ab, zu ergründen, wie er dem Kommissär Anlaß zu Haß und Feindschaft gegeben haben könnte, und kehrte nach Matrey zurück.

Eine Woche verging unter anstrengenden Verhandlungen und der Ausarbeitung von Entwürfen. Die Kommission hatte endlich alle Details zu Papier gebracht und konnte alles weitere dem Bezirkshauptmann zur entgültigen Annahme seitens der Interessenten überlassen. So reiste die Kommission ab. Egon mußte sich allein abmühen, die Abbrändler zu überzeugen, daß man nur ihr Bestes wolle. Zu diesem Behufe ließ der Hauptmann die Leute einzeln auf sein Zimmer kommen, erörterte jedes einzelne Detail ad hoc, und fragte, ob der Mann seine Unterschrift zu dem bevorstehenden Einwilligungsprotokoll geben werde.

Zur Verblüffung Egons ergaben sich jetzt starre Weigerungen, die sich auf unermüdliches Forschen, Fragen, Ermahnen zu dem Geständnis erweiterten, daß ja doch nichts aus der Sache werden könne.

Egon ließ nicht locker und verhörte weiter, mit dem Resultat, daß die Leute zugestanden, der Kommissär habe erklärt, es sei alles Unsinn, denn die Regierung werde schließlich doch nichts bewilligen. Ja, einer gab zu, gehört zu haben, daß der Kommissär gesagt habe, der Hauptmann möchte sich mit der Ortsverlegung bloß wichtig machen, und die Matreyer sollten die Kosten bezahlen.

 

  Gulden
Kosten zum Grunderwerb auf neuer Ortsfläche 21 155
Kosten der Kommunikationen 14 650
Kosten der Ansiedelungsfundamente 25 200
Kosten für Verköstigung des auswärts untergebrachten Viehes 3 750
Kosten für Viehbaracken 2 000
Kosten zur Barunterstützung an dreihundertsiebzig Obdachlose 6 660
  ________
zusammen rund 78 000

 

Das ging dem seelenguten Egon denn doch über die Hutschnur, doch ließ er sich die zornige Erregung keineswegs anmerken, setzte ein Protokoll auf, das von den Ohrenzeugen unterschrieben werden mußte. Die Leute zögerten zwar, doch die energische Haltung des Hauptmanns zwang zur Unterschrift, nicht zum wenigsten auch die Äußerung, daß die Leute schamlos aufgehetzt und angelogen worden seien.

Es dauerte keine zwei Tage, da war die Kunde davon allen Matreyern bekannt und veranlaßte einen Umschwung der Anschauungen.

Das Protokoll, eine mühsame Arbeit, die Egon mehrere Tage kostete, war endlich fertig; die Postulate lauteten:

Der Bezirkshauptmann schritt nun zur definitiven Einvernehmung, die einen Tag aufreibendster Mühe und Arbeit verschlang, zum Abend aber das schöne Resultat ergab, daß von fünfundsechzig abgebrannten Hausbesitzern fünfundfünfzig Parteien sich bedingungslos für die Ortsverlegung erklärten und das Protokoll unterschrieben; vier Parteien sind mit der Verlegung im Prinzip einverstanden, fürchten aber, selbst im Falle einer mäßigen Unterstützung, nicht in der Lage zu sein, ihre Häuser neu aufzubauen, während ihre finanziellen Verhältnisse es ihnen doch andererseits gestatten würden, die durch den Brand nicht bis auf den Grund zerstörten Häuser wieder in stand zu setzen; drei Parteien bauen überhaupt nicht mehr; zwei Parteien haben ihre Häuser außerhalb des geschlossenen Marktes und wollen ihre Stätten an alter Stelle errichten. Entschiedener Gegner blieb der Türkenwirt, der gegen die Ortsverlegung lebhaft protestierte und die Unterschrift verweigerte.

Genügsam und bedürfnislos wie allezeit, feierte Egon mit dem Onkel seinen Sieg bei Brunnenwasser mit einem Viertel Rötele, und zum Ave kroch der todmüde Hauptmann ins Hühnerfederbett in der ärmlichen Bauernstube.

Fest blies der Tauernwind herab, ein goldener Sonnentag brach an, zu verherrlichen den Tag des Herrn.

In Matrey herrschte lebhafte Bewegung; das Gelingen des Planes, die Zusicherung der Staatshilfe, die allen offenkundig gewordene Aufopferung des Bezirkshauptmanns für die als gut erkannte Sache und Rettung Matreys, das alles, einmal erfaßt, rüttelte die Leute gewaltig auf, und mancher Abbrändler guckte bereits erwartungsvoll die nach Lienz führende Straße entlang, ob nicht schon jemand mit dem staatlichen Subventionsgeld herankomme.

Egon wollte nur noch vom Pfarrer sich verabschieden und machte im Widum kurzen Besuch.

Botho stand unter den lebhaft debattierenden Leuten und händigte dem Bürgermeister seine ganze Barschaft mit dem Bemerken ein, daß eine weitere Gabe im Wege der Bezirkshauptmannschaft nachfolgen werde. Konstantin Opel dankte in beweglichen Worten und brachte ein Hoch auf Graf Botho Rothenburg aus, in welches jung und alt freudig einstimmte.

Ein Wagen rasselt heran, Piffrader mit Tochter kommt nach Matrey, und nicht wenig von solcher Ovation überrascht, hält der Bräuer die dampfenden Rosse an, und eben will er gnädig für die Huldigung vom Bock des Wagens aus danken, da erblickte er mitten im Menschenknäuel den alten Grafen.

»Oha! Da hätt' ich mich decht schier blamiert!« meinte Piffrader zu Ida, die beim Erkennen Bothos jäh errötete, und fuhr nun langsam zum provisorischen Stall des Rautenwirtshauses, wo die Pferde untergebracht wurden.

Der Anblick des in Schutt liegenden Ortes bewegte auch Idas Herz tief, und selbst der wenig zart veranlagte Piffrader meinte: »Hätt mir nit gedenkt, daß es so wüscht hier ausschaut!«

Von der großen Hilfsaktion, der Zustimmung der Bevölkerung Matreys bis auf den einen Wirt erhielt der Bräuer rasch Kenntnis und verdutzt blickte er auf die Leute, welche nach seiner Meinung übergeschnappt sein müssen.

Zu Ida gewendet, meinte Piffrader: »Madele, jetzt steht die Welt nimmer lang! Die Leut' ziehen vom Bach weg, wo sie ihren Grund und Boden haben! Wer das geglaubt hätt'?!«

Ida erwiderte: »Ich finde die Idee sehr begreiflich und gut! Der Bezirkshauptmann hat schon im Herbst vorigen Jahres von der notwendigen Verlegung gesprochen, und mich freut es, daß er die Sache durchgesetzt hat!«

Unsicher blickte Piffrader die Tochter an und sprach: »Dich freut es? So, so! Hast wohl gar von der Geschichte was gewußt?«

»Nicht mehr als alle anderen Leute in Lienz; es war ja allenthalben bekannt, daß der Herr Graf solchen Antrag in Innsbruck gestellt hat. Es wird den Leuten gewiß eine Wohlthat werden!«

»Madele, Du redest wie ein Buch!« staunte der Vater.

Man war auf dem Besichtigungsgange zu Botho gelangt, der schnell aus dem Kreise der ihn umgebenden Abbrändler trat und Fräulein Ida freundlich begrüßte, dann auch Piffrader die Hand reichte, der in seiner geraden Art herausplatzte: »Na, Herr Graf, Sie haben wohl auch mitgeholfen?«

»Wozu meinen Sie?«

»Na, zu der unglaublichen Thatsach', daß die Leut' ihren Grund und Boden fahren lassen und wegziehen!«

»Nein, Herr Piffrader, das ist ausschließlich Sache meines Neffen, des Bezirkshauptmanns, gewesen, und wahrlich keine kleine Arbeit. Aber gesiegt hat er, das ist die Hauptsache!«

»So, ganz allein hat der Hauptmann das durchgesetzt! Na, der muß einen guten Blasbalg haben, wer's glaubt!«

Ida wandte ein: »Aber, Vaterle!«

Vom Widum, der nicht eingestürzt war, doch schweren Schaden gelitten hatte, kam Egon mit der Aktenmappe unterm Arm heran und schier wollte er seinen Augen nicht trauen, als er Ida mit Piffrader im Gespräch mit dem Onkel erblickte. Ein Frohgefühl belebte Egon, ein Hoffen, eine wahre Seligkeit.

Alles machte Platz, der Hauptmann wurde abermals herzlichst begrüßt. Egon trat zur Gruppe, grüßte Ida ebenso höflich als herzinnig, ein Blick brachte das zarte Mädchen zum Erglühen.

Piffrader platzte heraus: »Herr Graf! Als Parlamentär hab' ich vieles erlebt und durchgemacht, dös aber hätt' ich nit gedenkt! Sie haben etwas erreicht, was ich für unmöglich gehalten hab'! Mein Sprichwort: ›wer's glaubt‹, laßt mich diesmal im Stich!«

Egon erwiderte lächelnd: »Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Anerkennung, ich muß aber jedes Verdienst an dem erfreulichen Ereignis ablehnen, denn das Verdienst hat nur der Herr Statthalter, welcher meinen Vorschlag aufgegriffen und die Mittel aus Staatsfonds bewilligt hat. Im übrigen glaube ich Land und Leute doch inzwischen soweit kennen gelernt zu haben, um sagen zu können: Die Schlacht ist mit Erzielung der Unterschriften noch nicht gewonnen!«

»Wieso?« fragte verwundert Piffrader.

»Nun, das sollte einem so erfahrenen Parlamentarier wie Sie, Herr Piffrader, doch bekannt sein, daß verschiedene Personen trotz geleisteter Unterschriften hinterdrein noch umfallen werden. Das steht nach meiner Auffassung sicher zu erwarten!«

Piffrader holte tief Atem, dann hub er an: »Mein Sprichwort leg' ich jetzund ab. Das glaube ich selber. Jetzt muß ich sagen: Herr Graf, jetzt gefallen Sie mir, Sie sind mein Mann! Das mit dem Umfallen ischt wie die Oppasition gegen alles Neue unsere Eigenart im Gebirg, darauf sind wir stolz! Weil Sie, Herr Graf, aber mit solcher unserer Eigenschaft rechnen, unsere Eigenart gewissermaßen reschpektieren, das gewinnt Ihnen unsere vollste Achtung und Verehrung. Sie sind anders als wie die Tintenschlecker und sonstigen Beamten, welche die Welt von der Kanzlei aus betrachten und vom Schreibtisch weg behandeln wollen. Reschpekt, Herr Graf! Ob Sie wollen oder nit: da ischt meine Hand, ich nehm' alles zurück! Sie sind ein Ehrenmann durch und durch, wir sind stolz auf einen solchen Bezirkshauptmann!«

»Vater, Du –!« stammelte in Erregung Ida und Thränen schossen in des Mädchens Augen.

»So bin ich schon, jawohl! Sein Unrecht muß der Mensch einsehen, wenn er einen Charakter hat!«

»Sehr erfreulich!« fügte Botho bei und erzielte damit, daß Piffrader die Stirn runzelte und rief: »Was Sie damit sagen wollen, weiß ich nit, wenn S' mich aber frozzeln wollen, dürfen Sie's nur sagen!«

»Vaterle, ich bitt' Dich!« ächzte Ida erschreckt.

Piffrader gröhlte: »Jawohl! Ich sag' ehrlich meine Meinung, und das Zurücknehmen eines Unrechts ischt keine Schand'! Wenn S' mich aber giftig machen, alter Herr, dann können S' was erleben! Wissen Sie, warum ich den sonst sehr ehrenvollen Antrag abgewiesen hab'? Weil Sie ja gesagt haben! Unsereins hat auch seinen eigenen Schädel, jawohl, dick und hart, Gott sei Dank!«

Egon litt unter diesen Erörterungen und befürchtete einen Zwist im letzten hoffnungsreichen Augenblick, er wollte begütigen und bat, doch angesichts der Leute jeglichen Auftritt vermeiden zu wollen.

Das versöhnte Piffrader, er drückte Egon die Hand und meinte: »Seien S' nur wieder gut, Herr Bezirkshauptmann, es ischt nit so schlimm gemeint. Ein Dickschädl und Streithansl bin ich einmal und kann mich nit ändern! Wir machen halt einen Vergleich miteinander: Sie haben also recht gehabt und gesiegt, ich hab' ein klein bissel auch recht, weil decht einige nicht unterschrieben haben. Wenn S' also mögen, Sie wissen schon, was ich meine, hier meine Hand, es ischt mir eine große Ehr' und Freud'! Gelt, Idele, einen besseren – Kameraden findest Du nit, heißt es im Liedel!«

Piffrader reichte Egon die Hand, zwinkerte zur erglühenden Tochter hin und wischte sich dann mit der Linken eine Thräne der Rührung aus dem Auge.

Ida umarmte den Vater schluchzend.

»Jesses, Madele, führ' decht kein Theater auf vor die Leut'!« wehrte Piffrader ab.

Egon im Übermaß der auf ihn einstürmenden Glückseligkeit drückte Piffrader die Hand und dankte herzinniglich, worauf er Ida tief in die Augen blickte und auf ihr Händchen einen Kuß drückte.

»Das weitere zu Hause, Kinder!« sprach Piffrader und wandte sich zu Botho, den er bat, ihn auf einige Schritte zu begleiten. Außer Gehörweite apostrophierte der Bräuer den Grafen:: »Hören Sie mir einen Augenblick zu! Sie mögen mich nit, das weiß ich und mach' mir weiter auch gar nix d'raus! Wir zwei heiraten auch nicht zusammen, und es wird jeder, mein' ich, seinen eigenen Weg gehen. Daß der junge Herr Graf mein Idele gern hat und meinem Madel ein braver Mann sein wird, sall weiß ich und glaub' ich! Ihnen aber frag' ich: Wollen Sie gutwillig ja sagen oder nit?«

»Selbstverständlich!«

»Was?«

»Ich kann doch dem Lebensglück meines Neffen nicht länger hinderlich sein?«

»So haben Sie gegen die Bürgerliche nix einzuwenden?«

»In Gottesnamen, nein!«

»Gut! Das freut mich! Warum haben Sie aber vorhin so gethan, als wollten Sie dagegen reden?«

»Na, Verehrtester, etwas Opposition ist doch eine hübsche Sache und im Zustand der gekränkten Leberwurst sind Sie köstlich zu beschauen!«

»Da haben Sie recht, Oppasition ist eine schöne Sach'. Also wir fahren aftn heim und feiern Verlobung. Ischt es Ihnen recht?«

»Ja, alter Schwede!«

»Na, Ihnen zwickt die Jugend auch nimmer!«

Die alten Herren lachten und drückten im vollsten Einvernehmen sich die Hände.

Das Brautpaar fuhr im ersten Wagen, Piffrader und Botho im zweiten Wagen hinterdrein.

Als der Venediger unter dem letzten Strahl der sinkenden Sonne erglühte, fanden sich die Lippen des glücklichen Paares zu schnellem, beseligendem Verlobungskuß. –

In der Bezirkshauptmannschaft gab es die nächste Zeit mehrfache Veränderungen. Onkel Botho leistete Unglaubliches in neuen Arrangements zum bevorstehenden Einzug der Gräfin Ida Rothenburg.

In den Kanzleien hingegen hatten die Beamten Diskussionsstoff auf Wochen hinaus, denn der entlarvte Intrigant Pitscheider ist strafweise versetzt worden in ein welsches Nest, Trentini wurde zur leichteren Erlernung der deutschen Sprache nach Kufstein transferiert, wo es bekanntlich sehr wenig junge Komtesseln giebt, und Treßhof mußte den Osten mit dem Westen vertauschen.

Ersatz traf bald ein, Herren, die große Verehrung für ihren Chef bereits mitbrachten, denn die Kunde von der Matreyer Aktion Egons war in den ganzen Beamtenkörper Tirols gedrungen.

Gritz heiratete Hedwig Zoderer ohne Steuererhöhung, und kurz darauf feierten glückliche Hochzeit Ida und der Bezirkshauptmann.

 

Ende.

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