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VIII.

Das Diplomatenkunststück, den Tochtermann in spe, alias »Steuerschraube« auszuhorchen, ob ihn eine Bierpreiserhöhung zu einer höheren Steuereinschätzung Piffraders veranlassen würde, war dem Bäckermeister Zoderer gut gelungen, und die Äußerung des Steuerinspektors hatte dahin gelautet, daß eine Lohnerhöhung ganz wohl den Bieraufschlag rechtfertigen könne, wenn beides im angemessenen Verhältnis stünde. Von einer Steuererhöhung würde Umgang genommen werden.

Vom Ergebnis dieses Interviews wurde Piffrader verständigt, der nun wagen konnte, »auffi« zu fahren. Schon der nächste Morgen brachte der Lienzer Bevölkerung die überraschende und nichts weniger denn angenehme Neuigkeit, daß das Halbliter edlen Gerstensaftes von nun an acht Kreuzer kostet, statt der bisherigen sieben.

Beim Frühschoppen ging die Schimpferei los, und allseitig wurde in den Schankstuben des Bräuhauses nach Piffrader geforscht, welchem man die Meinung über eine solch unerhörte Konsumbesteuerung sagen wollte. Doch Piffrader hatte der Tapferkeit klügeren Teil gewählt und blieb unsichtbar. Sein Kalkül erwies sich indessen vollständig richtig. Die Leute schimpften, doch tranken und zahlten sie, und das ist dem klugen Piffrader die Hauptsache. Schon am Abend erschien der Bräuer allgewohnt in den Gasträumen, zuckte die Achseln, so der eine oder der andere Zecher zu jammern begann, und verwies auf die enormen Kosten, welche ihm durch die Lohnbewegung geworden seien. Der Strike selbst war durch Bewilligung der Arbeiterforderungen sofort beendet worden; man muß nun durch die Bierkreuzer möglichst rasch und ausgiebig die abgerungene Ausgabe wett zu machen suchen.

Am ruhigsten nahmen die Kostknaben die Preissteigerung entgegen; es fielen lediglich einige Bemerkungen, die Stammtischler ließen sich statt Gerstensaft tirolischen Rötel geben mit der Erklärung, daß die Zeche am nächsten Monatsersten werde beglichen werden.

Eine gewisse Bangigkeit befiel den Bräuer am nächsten Tage, als zum Dämmerschoppen die gefürchtete Steuerschraube, der Steuerinspektor Gritz von der Bezirkshauptmannschaft, in der »Altdeutschen« erschien und eine »Halbe« zu acht Kreuzern recht spöttischen Tones verlangte.

Piffrader stand in der Nähe dieses maliziösen und gefürchteten Gastes und wußte im Augenblick nicht, wie er sich diesem Manne gegenüber verhalten solle. Blitzartig tauchte der Gedanke auf, bei der Steuerschraube eine Ausnahme zu machen durch Bewilligung des alten Preises, doch kann man dem Manne dieses Benefizium nicht in Gegenwart anderer Gäste anbieten aus Gründen der Konsequenzen.

Gritz wandte sich an den Bräuer: »Nun, teuerster Herr Piffrader, wie kalkuliert sich Ihre ingeniöse neueste Schöpfung? Rechnen wir einmal ...!«

»Nur das nicht, Herr Inspektor!« stammelte erschrocken der Bräuer, »Sie haben als Beamter keine Ahnung, welche Spesen erwachsen, bis ein Tropfen Bier fertig ist und zum Ausschank gelangt!«

»So, meinen Sie?! Ich denke, man kann Ihnen frei aus dem Kopf nachrechnen, daß ein Gewinn herausspringt, selbst dann noch, wenn die Lohnerhöhung statt dreißig deren fünfzig Kreuzer pro Tag und Kopf betragen würde!«

»Wer's glaubt!«

»Ich glaube schon, bin sogar davon überzeugt! Werde mir mal das Vergnügen machen und Ihnen etwas nachrechnen!«

»Aber ich bitt' Ihnen, Herr Inspektor! Sie wissen, wie pünktlich ich bin und noch niemals habe ich protestiert gegen Ihre Einschätzungen!«

»Das ischt eben ein schlagender Beweis gegen Sie selbst! Ein Beweis weiter, daß es höchste Zeit meinerseits war, Ihre Steuerleistung hinaufzurücken!«

»Jessas, na! Mir wär's genug! Wenn Sie selle Gedanken haben, da verzicht' ich lieber auf den Bierkreuzer! Jawohl, so ein Steuermensch ischt ja unersättlich und giebt im Leben keine Ruh' mehr!«

»Bravo! Das läßt sich hören! Runter mit dem Plakat der Preiserhöhung!« jubelte der Stammtisch.

»Jessas, eine salle Schlamassel hab' ich meiner Lebtag nit durchgemacht!«

Gritz lachte aus vollem Halse: »Gut, also Sie nehmen den Bierkreuzer zurück?«

»Ich bitt', Herr Inspektor, lassen Sie mich dann in Ruh'?«

»Einstweilen schon, es liegt ohne Bierkreuzer kein Anlaß zur Fatierungsrevision vor!«

Piffrader rief mit erhobener Stimme: »Gut! Es bleibt beim alten Preis, sieben Kreuzer für den Halbliter Bier!« und ohne der Bravorufe am Stammtische weiter zu achten, schritt der Bräuer in die Schankstube, um auch dort die Zurücknahme der Erhöhung öffentlich zu verkünden.

Allenthalben herrschte Jubel über das völlig unerwartet gekommene Ereignis.

Am Stammtisch drangen einige Herren, voran der lustige Zillerthaler, in Gritz, doch zu sagen, ob ihm eine höhere Steuereinschätzung Piffraders wirklich Ernst gewesen sei.

Lachend erwiderte der Steuerinspektor: »Keine Idee, wenigstens in den nächsten Monaten noch nicht; man muß doch den Mann zuerst aus der Bierpreiserhöhung Nutzen ziehen lassen, dann erst kann man ihm nachrechnen und das Plus zur Fatierung ziehen. Ich wollte Piffrader nur einschüchtern und das scheint mir völlig gelungen zu sein!«

Diese Äußerung verursachte den hellsten Jubel am Stammtisch, die Beamten freuten sich unbändig, daß der stets protzige Bräuer einmal gehörig hereingefallen ist und gleichzeitig die allseitig erwünschte Belassung beim altgewohnten Preise erzielt wurde.

Wie dann Piffrader wieder in die »Altdeutsche« kam, änderte man sofort das Gesprächsthema, damit der Bräuer ja nichts merken konnte.

Lienz aber hatte Diskussionsstoff auf Wochen hinaus. In vier Familien speciell spielte diese Bierpreiserhöhung und Zurücknahme keine Rolle, dafür bewegte die Gemüter in diesen Kreisen die brennend gewordene Frage, wann und wie der Gegenbesuch bei der vornehmen ungarischen Gräfin zur Ausführung gelangen sollte.

Wie überall üblich, erklärte jede der von Agnes überfallenen Frauen, absolut nichts zum Anziehen zu haben, keine irgendwie zum Gegenbesuch bei einer so hochstehenden Dame geeignete Toilette zu besitzen.

Zur Verzweiflung der Ehegatten beharrten die rebellisch gewordenen Frauen darauf, den Gegenbesuch nur in Seide abstatten zu können und verlangten daher Geld und nochmals Geld. Alle vier in Lienz aufzutreibenden Störnäherinnen wurden belegt, Briefe wurden nach Innsbruck und Klagenfurt geschickt. Die Bürgermeisterin bestellte sich den Seidenstoff gar von Wien, und wenige Tage darauf ging die Schneiderei los, das Probieren, Ändern, Wiederaufstecken und wie diese unabwendbaren Dinge zum Schrecken der Ehemänner heißen.

In der »Rose« trafen sich einige der von solchem Schicksal heimgesuchten Ehegatten und ihre Jeremiade über das viele geopferte Geld war ebenso rührend wie ihr Zorn groß auf die Gräfin, welche ihnen die böse Suppe eingebrockt. Ja, sogar Revanchegedanken wurden geäußert und besprochen, es fiel aber den Herren nichts Passendes ein, keiner wußte, wie man auf feinere Art der übermütigen Gräfin einen Schabernack spielen könnte.

Bei dieser Gelegenheit bedauerte man den armen Bezirkshauptmann, der, wenngleich die Gräfin seine Schwester ist, doch sicherlich schwer unter solchem Besuche leiden müsse, denn die Gräfin habe unzweifelhaft den Teufel im Leibe. Aber, das gaben die Leidensgenossen willig zu, bildschön und rassig sei sie, die ungarische Gräfin, gefährlich schön.

Agnes, die in ihrer Menschenkenntnis recht wohl wußte, daß ihre Besuche eine fürchterliche Aufregung erzeugt haben werden, kümmerte sich um die Folgen der Visiten nicht weiter, sie hatte sich – les extrêmes se touchent – auf das Briefschreiben geworfen. Wessen Adresse ihr just einfiel, wurde mit einer Epistel beglückt und beschworen, recht bald und ausführlich zu antworten. Auch Onkel Botho kam an die Reihe und die an ihn gerichteten Zeilen lauteten:

 

»Lieber Onkel und Freund!

Während Du hoffentlich recht vergnügt der Auffrischung von Jugenderinnerungen mit Deinem Freunde lebst, habe ich nicht verfehlt, in Deinem Sinn und Auftrag der bewußten Angelegenheit nachzuforschen. Zu Deiner Beruhigung kann ich Dir mitteilen, daß ich schon aus flüchtigstem Verkehr mit dem ›Engel‹, nebenbei bemerkt ein Gänschen vom Lande, die Überzeugung von der absoluten Harmlosigkeit der ganzen Sache gewonnen habe. Zu irgend welchem Echauffement ist nicht der geringste Anlaß vorhanden. Wenn Egon nach solchem Subjekt schmachtet, ist es wahrlich nicht einmal ein Flirten zu nennen, eine lächerliche Gefühlsduselei, deren ›Blödigkeit‹ der ›Verliebte‹ mählich wohl selber einsehen und ihr ein wohlthätig Ende bereiten wird. Das Mädchen, Landkonfekt gewöhnlichster Sorte, für gefährlich in seinen Aspirationen zu halten, erscheint einfach lächerlich. Nicht der Rede wert.

Was ich Dir hingegen submissest vorschlagen möchte, wäre eher die Berufung irgend einer standesgemäßen Partie hierher und zwar noch für die Zeit meiner Anwesenheit in diesem ›göttlichen‹ Lienz. Ich denke da an die Franzi Hohenberg, zwar ein arg junges und albernes Ding, doch leidlich hübsch, mit Hoffnung auf passablen Auswuchs, aus bester Familie und reich dotiert, was für Egon immer in Betracht zu ziehen ist. Es soll eine Einladung aber von Dir ausgehen. Erscheint Dir mein Vorschlag beachtenswert und bist Du zur Ausführung bereit, so schreibe an die alte Hohenberg und bemerke, daß ich die dumme Franzi von Wien holen werde; ich muß nämlich in Toilettenangelegenheiten ohnehin nach Wien fahren. Verständige mich gefälligst von Deinem Beschluß.

Wie immer

Deine Agnes.«

 

Mit diesem sofort zur Post geschickten Brief war die Lust am Schreiben erschöpft. Die schöne Gräfin langweilte sich und war ratlos, was beginnen. Bis zum Souper sind zwei lange Stunden, die mit irgend etwas ausgefüllt werden müssen. Agnes dachte an Egon und verwarf den Gedanken sofort wieder; der Bruder wird unverbesserlich bei seinen Akten sitzen und vor Mahlzeitbeginn sicherlich nicht heraufkommen. Doch den Baron könnte man citieren, er dürfte die öde Kanzlei noch nicht verlassen haben.

Flink kritzelte die Gräfin einige Zeilen auf das kronengeschmückte Billet, schloß den Umschlag und schickte die Zofe hinunter.

Und eine Viertelstunde später saß Treßhof im behaglichen Salon, leuchtend vor Freude über die Citation zur feschen Gräfin ... »Gnädigste haben befohlen!«

»Traurig genug, daß man Sie citieren muß, einer verlassenen Frau gebotene Aufmerksamkeit zu weihen!« sprach Agnes.

Treßhof schluckte vor Erregung, der Blick aus Agnes' Feueraugen verursachte ihm Herzklopfen. Fast heiser klang es: »Aber ich bitte, gnädigste Gräfin, mein Leben weihe ich mit Wonne und lege meine Wenigkeit zu Ihren Füßen. Nur bitte ich, in Gnaden ein ganz klein wenig berücksichtigen zu wollen, daß ein Konzeptspraktikant die Amtsstunden einhalten muß, immer, auch wenn in der Kanzlei vielleicht nicht immer gearbeitet wird. Präsenz ist oberstes Gebot!«

»Was kümmert mich Ihr Amt! Mein Bruder wird wohl Ein- und Nachsicht haben!«

»Graf Rothenburg ist die Pünktlichkeit selbst und sieht streng darauf ...«

»Lassen Sie mich doch mit Fachsimpelei in Ruhe! Ich habe Sie gebeten, mir eine Stunde auf angenehme Weise Gesellschaft zu leisten. Oder zieht es Sie mehr in eine qualmige Wirtsstube? Der Geschmack junger Herren ist allerdings sehr verschieden!«

»Aber Gnädigste, wie können Sie nur dergleichen denken? Das Verweilendürfen an Ihrer Seite, dieselbe Luft atmen mit der Königin ...«

»Halt, Baron, werden Sie um Himmels willen nicht fade, lieber keck, nur nicht phrasenhaft und bürgerlich!«

Treßhof gab es einen Ruck, fast hätte er gerufen: »Alle Wetter!«

»Worüber können Sie plaudern? Apropos, sind Sie verliebt?«

»Ich?«

»Da außer Ihnen niemand im Salon ist, dürfte meine Frage an Sie gerichtet sein,« spottete Agnes, bereute die Bemerkung aber sofort, als Treßhof erwiderte:

»Gewiß, Gnädigste! Wie der Samum der Wüste so heiß und brennend schlagen meine Gefühle dem herrlichsten Weibe entgegen, das meine Augen je erblickt!«

»Baron, wohin verirren Sie sich; ich bin verheiratet!«

»Unglücklich, ich ahne es!« wagte, immer kecker werdend, der junge Baron zu sagen.

»Was Sie nicht alles ahnen! Sie fühlen wohl den Beruf in sich, schlecht verheiratete Frauen zu trösten, was?«

Der Spott wirkte auf Treßhof abkühlend. »Dazu fehlt hier wohl jede Gelegenheit.«

»Stimmt, lieber Baron! Ich bin auch nicht willens, mich trösten zu lassen!«

»Also sind Gnädigste doch ...?«

Die schöne Katze seufzte verführerisch.

»Ich gebe mein Leben freudig hin, möchte es Ihrem Dienste weihen!« beteuerte Treßhof.

»Danke, die Kanzleipräsenz geht vor, immer!«

Treßhof hatte zu wenig Erfahrung, um dieses Locken und Zurückstoßen deuten zu können, ihm ward bald schwül, bald frostig, er begann sich unsicher zu fühlen und der Gedanke ward immer deutlicher, daß er die begonnene Blamage unter keinen Umständen vergrößern dürfe mit Rücksicht auf den Chef.

Agnes spottete unter verführerischem Augenaufschlag: »Und wann hat der Herr Praktikant des Morgens anzutreten? Frühmorgens, wenn die Hähne krähen, was?«

»Danke, das wäre denn doch zu viel verlangt, selbst vom verehrten Chef, der das Muster von einem gewissenhaften Verwaltungsbeamten ist.«

»So, so! Schade, daß mein Bruder solche Anerkennung eines Untergebenen nicht hören kann!«

Treßhof nagte an der Unterlippe.

»Apropos, wie finden Sie die Tochter des Bräuers Piffrader?«

»Fräulein Ida? Gute Partie für mittellosen Bewerber. Doch nicht mein Geschmack!« log der Baron und schmachtete die bezaubernde Gräfin an.

»Wer bewirbt sich eigentlich um diesen ›Engel‹?«

»So ziemlich jeder ledige Beamte im Städtchen!« rutschte es Treßhof heraus.

»So?«

»Die Anwesenden immer ausgenommen!«

»Na, eine besondere Ausnahme wird Baron Treßhof auch nicht sein!« lachte Agnes und drohte allerliebst mit dem Finger.

»Mein alter Herr lehrte mich, es sei eine Dummheit, gegen den Strom schwimmen zu wollen, ergo ...«

»Schwimmen Sie eben mit!«

»Was soll ich allein machen? Kennen Gnädigste vielleicht die Portefeuilleverhältnisse eines Kaiserlich Königlichen Konzeptspraktikanten?«

»Huhuhu!«

»Ganz richtig, sind sehr huhuhu! Im Schwarm der Bewunderer bin selbstverständlich auch ich, doch aus anderen, sozusagen praktischen Gründen.«

»Praktische Gründe? Bitte, erklären Sie mir das!«

»Die praktischen Gründe wurzeln – nein, es geht nicht. Das kann ich Gnädigster doch nicht auseinandersetzen!«

»Muß man dabei rot werden?« lachte übermütig Agnes.

»Der Erzähler schon.«

»Na, dann los! Die Sache interessiert mich!«

»Ist aber nichts weniger denn interessant. Doch zu Befehl! Die praktischen Erwägungen wurzeln in dem bei unsereinem stereotypen embarras de richesse, ergo ...«

»... benützt man den Flirt zum –!«

»Ganz richtig, Gnädigste!«

»Köstlich! Der ›Verehrer aus Pumperwägungen‹. Na und der Engelvater?«

»Ist Gott sei Dank bei allen sonstigen üblen Eigenschaften ein Prachtexemplar eines gutmütig nachsichtigen Menschen, verbunden mit Einsicht.«

»Ja, wenn aber alles bei Piffrader pumpt, muß da der Mann nicht eine üble Meinung von der Beamtenschaft bekommen?«

»Die hat er schon von früher gehabt!«

»Prachtvoll! Also es wird flott gepumpt und après nous le déluge! Hat sich denn mein Bruder in diese Wirtschaft noch nicht gemischt?«

»Gott sei Dank, nein! Das wäre schrecklich!«

Agnes wußte nun, was zu erfahren sie gewünscht; die üble Meinung Piffraders über die Beamtenwelt paßt vortrefflich zur Bedeutungslosigkeit seiner Tochter. Ein ironisches Lächeln lag auf den Lippen der üppigen Frau, das zu besagen schien: Wie dumm sind doch die Männer in gewissen Jahren! So ein Stürmer glaubt Wunder was zu erreichen und läßt sich sogar Indiskretionen über seine Finanzverhältnisse entlocken. Den Baron verliebt zu machen bis ins Stadium des Überschnappens schien Agnes zum Zeitvertreib entschlossen zu sein, als sie plötzlich leise zu sprechen begann: »Baron, ich fürchte, wir werden gestört! Still!« Aufhorchend beugte Agnes sich vor, der Lampenschirm bestrahlte die formschöne, volle Büste.

»Nur jetzt keine Besucher!« flüsterte hingerissen Treßhof.

»Still, es kommt jemand! Können Sie morgen um diese Stunde wieder kommen?«

»Mit Freuden, ich bin ...«

Franz trat ein und überreichte ein Telegramm an Gräfin Pejacsevits, das Agnes uneröffnet ließ. Auf einen Wink entfernte sich der Lakai. Aufstehend sprach die Gräfin: »Wir sind nun keine Minute mehr vor Störung sicher, ich glaube, mein Bruder wird jeden Augenblick aus der Kanzlei kommen. Also auf Wiedersehen morgen, lieber Baron! Sie müssen meinen Kavalier spielen, es hilft Ihnen nichts! Apropos, gehen Konzeptspraktikanten auch auf Kommissionen nach auswärts?« Ein durchdringender, lodernder Blick begleitete diese Frage und brachte Treßhof in Verwirrung.

»Also au revoir!« Agnes reichte Treßhof die schmale, ringgeschmückte Rechte, auf welche der verliebte junge Baron einen heißen Kuß hauchte. Wie berauscht von soviel Gunst einer herrlich schönen Frau taumelte Treßhof aus dem Salon.

Agnes lachte spöttisch auf und griff nach dem Telegramm, das den Wortlaut hatte:

»Erbitte Nachricht, wann Heimkehr. Stephan.«

Zornig zerknüllte Agnes die Depesche und warf sie dann in das Feuer des Ofens. »Jetzt, da ich mich zu amüsieren beginne und Chancen vorhanden sind, Egon unter die Haube zu bringen, soll ich auf das langweilige Schloß zurück? Nein! Die Sehnsucht wird nicht von Bedeutung sein, und etwas Eifersucht schadet gar nichts!« flüsterte Agnes.

Der Sonntag brachte steife Kälte und klares Wetter, wie geschaffen zu einer Schlittenpartie, welche Egon der Schwester während des gemeinsamen Frühstückes vorschlug. Doch Agnes schien keine Lust dazu zu haben und entschuldigte sich mit dem Hinweis, daß dringliche Briefe zu schreiben seien.

Egon zuckte die Achseln. »Nach Belieben! Hat Onkel Botho noch nichts von sich hören lassen?«

»Doch! Er amüsiert sich in Innsbruck, mehr weiß ich nicht.«

»Das gönne ich ihm von Herzen! Was ich übrigens noch bemerken wollte, liebe Nissi: mutmaßlich dürften die von Dir meuchlings überfallenen Damen am heutigen Sonntag den Gegenbesuch abstatten, ich möchte nicht unterlassen, Dich darauf aufmerksam zu machen.«

»Sehr gütig, doch nicht nötig! Ich bin stets in einer Toilette, welche salonfähig ist.«

»Pardon, Nissi! Nicht in diesem Sinne meinte ich; es ist hier zu Lande eben üblich, an Sonntagen Besuche zu absolvieren.«

»Danke für freundliche Verständigung! Ich bin aber noch nicht völlig schlüssig, ob ich nicht heute nach Wien fahre.«

»Wie? Du willst so plötzlich nach Wien?«

»Möglich, ich bin, wie gesagt, noch nicht ganz entschlossen. Jedenfalls wirst Du verständigt.«

»Ja aber –!«

»Um Erlaubnis hat die Gräfin Pejacsevits doch nicht zu bitten!«

»Nein, nein! Ich bin nur überrascht! Du kommst doch ...«

»... nicht mehr zurück! willst Du sagen, Bruder, nicht?«

»Aber Nissi, ich bitte Dich!«

»Schon gut! Jeder thut nach seinem Belieben. Mir gefällt es übrigens so gut in dem Städtchen, daß ich wahrscheinlich auch über den Fasching hier bleiben werde. Die Bälle in Lienz mitzumachen verlockt mich nicht wenig.«

»Ach, du lieber Himmel! Aus Dir wird wohl kein Sterblicher klug!« sprach Egon, grüßte höflich wie immer und begab sich in die Kanzlei.

Gleich darauf schellte Agnes nach der Zofe und befahl der sofort erschienenen Ilka einen Koffer für achttägigen Aufenthalt in Wien zu packen. »Ich fahre mit dem Nachtschnellzug! Sollten Besuche kommen, sagst Du, ich sei nicht zu sprechen.«

»Sehr wohl, gnädige Frau Gräfin!«

Im Boudoir überlas Agnes noch einmal das Schreiben Bothos, welches dem Plan, Franzi Hohenberg kommen zu lassen, vollkommen beistimmte. Eine Depesche an die alte Hohenberg war schnell aufgesetzt und ebenso rasch vom Diener zum Telegraphenamte befördert.

Dann ließ sich die Gräfin von Ilka ankleiden. Um elf Uhr wurde Treßhof vorgelassen.

»Lieber Baron!« schmeichelte Agnes, »ich habe eine besondere Auszeichnung für Sie!«

»Teuerste Gräfin, befehlen Sie, ich gehorche!«

»Wollen Sie das Ehrenamt meines Reisemarschalls übernehmen?«

Bestürzt rief Treßhof: »Gnädigste wollen uns verlassen?«

»Nur auf acht Tage; ich muß nach Wien! Sie begleiten mich –«

»Gräfin, ich – ich – soll – darf–!« ächzte der junge Baron vor Überraschung.

»Nur den Kopf nicht verlieren, Treßhof! Sie begleiten mich im heutigen Nachtschnellzug bis Villach, und fahren mit dem Gegenzug zurück, Sie sind dann zum Amtsbeginn wieder in Lienz. Hier händige ich Ihnen das Reisegeld ein, bitte besorgen Sie die Billets, ja?!«

Treßhof ward es wirr im Kopf; er steckte das Couvert ein und stammelte etwas über Glück und Seligkeit, wobei aber seine Gedanken doch wider Willen sich zur stillen Frage konzentrierten, was wohl der Chef zu diesem Abstecher sagen werde.

»Also abgemacht, der Schnellzug fährt einige Minuten vor neun Uhr abends von hier weg. Um jedes Aufsehen zu vermeiden, steigen Sie zwar in denselben Wagen, doch zweiter Klasse ein. Wir benützen den Korridorwagen Bozen-Wien. Sobald der Zug aus dem Bahnhof ist, kommen Sie in mein Coupé erster Klasse. Sie lösen also zwei Billets erster Klasse, das meine nach Wien, das andere nach Villach.«

Agnes wartete auf Antwort, doch Treßhof schwieg. Deutlich hörte man die Korridorklingel ertönen; Stimmen wurden laut, dann fiel die Thür ins Schloß.

Ilka meldete, daß die Doktorin Besuch machen wollte und sehr bedauert habe.

»Gut, ich bin, wie gesagt, für niemand zu Hause!«

Um den fischblütig gewordenen Baron etwas aufzutauen, bat Agnes um Treßhofs Klavierbegleitung, und alsbald erklang der Flügel und übertönte die noch dreimal von Besucherinnen gezogene Korridorklingel.

Krampfhaft beteuerte Ilka auftragsgemäß die Abwesenheit der Gräfin, wiewohl das Klavierspiel das Gegenteil nur zu laut und deutlich verriet.

Die Bürgermeisterin gestattete sich eine darauf zielende Bemerkung, worauf die Zofe in ihrer Bedrängnis schlankweg die Wahrheit sagte: »Die Gräfin empfängt heute nicht!«

»So? Aber vier Händ' hat sie decht nicht! Also hat sie einen Begleiter drinnen! Gut, ich werde mir das schon merken! Schöne Zuständ' das bei den feinen Leuten! 'pfehl mich!« Und wütend rauschte die tief beleidigte Bürgermeisterin hinab im neuen Seidenkleid. Genau dasselbe Schauspiel erlebte die Frau des Bezirksrichters, die in ihrem grenzenlosen Ärger sogleich die im ersten Stockwerk befindliche Kanzlei ihres Gatten aufsuchte und dem Gemahl den erlebten Affront brühwarm erzählte.

Der Richter schien nun zur Ausübung größtmöglicher Toleranz geneigt, doch wurmte ihn die Abweisung der Gattin aus dem Grunde, weil die rücksichtslose Gräfin offenbar zum Hohn das Klavier bearbeitete. So schickte denn der Richter die Gemahlin heim und ging in die Kanzlei des Bezirkshauptmanns behufs einer Auseinandersetzung. Selbstverständlich meldete Wörgötter den Gerichtsvorstand sofort, die Bauern mußten warten.

Ahnungslos begrüßte ihn Egon mit gewohnter Liebenswürdigkeit, wich aber zurück, als dieser die dargebotene Rechte ignorierte, den Stuhl ablehnte und gemessen zu sprechen begann: »Herr Graf, wie es bezüglich der Visiten in aristokratischen Kreisen gehalten wird, weiß ich nicht, kümmere mich auch nicht darum. Bei uns bürgerlichen Leuten ischt es indes nicht üblich, daß man Besuch macht, den Gegenbesuch aber unter verletzenden Umständen ablehnt!«

»Ich verstehe wirklich nicht!« beteuerte Egon.

»Sie werden mich gleich verstehen, Herr Graf! Meine Frau, gewiß keine adelige, aber eine anständige und gebildete Frau, hat vor wenigen Minuten der Gräfin Pejacsevits den Gegenbesuch abstatten wollen, ischt jedoch abgewiesen worden. Gleichwohl paukte Ihre Schwester vierhändig Klavier, sie ist also zu Hause gewesen, die Zofe hat es eingestanden und gesagt, daß die Gräfin überhaupt nicht empfange. Ein solches Verhalten ischt in meinen Augen nichts weniger als nobel, ich empfinde das als Rücksichtslosigkeit, als Affront und beeile mich, Sie davon in Kenntnis zu setzen, mit dem Ersuchen um Remedur. Die Gräfin braucht übrigens auf eine Wiederholung des Besuches meiner Frau nicht zu rechnen, einmal und nicht wieder!«

Peinlich berührt, versicherte Egon, daß er solch unbegreifliches Verhalten aufrichtig bedaure und Rücksprache mit seiner Schwester pflegen werde.

»Das kann nicht schaden, sagen Sie nur der Gräfin ordentlich die Meinung und dem Baron auch!«

»Wie meinen Sie?«

»Na, es pfeifen ja die Spatzen am Dach, daß der Baron Treßhof mehr am Klavier bei der Gräfin als in der Kanzlei sitzt!«

»Herr Bezirksrichter! Ich bin selbstverständlich bereit, Ihnen für den Affront Satisfaktion zu verschaffen. Ob und mit wem Gräfin Pejacsevits Klavier spielt, bleibt indes reine Privatsache! Und die Verdächtigung einer Pflichtverletzung, Dienstvernachlässigung eines meiner Beamten muß ich so lange zurückweisen, als das Motiv lediglich Ärger ist!«

»So, meinen Sie? Möglich, daß man in einer großen Stadt dergleichen anders auffaßt, bei uns hat man andere, moralischere Ansichten!«

»Herr, Sie werden beleidigend!«

»Das ischt nicht meine Absicht, aber wie ich denken andere Leute auch. Wir können aus den Verhältnissen nicht heraus!«

»Ich glaube intakt in jeder Beziehung zu sein!«

»Ansichtssache!«

»Ich verbitte mir jeden, auch den geringsten Zweifel!«

»Und ich sage Ihnen, Ihren Verkehr neulich mit der Bräuerstochter habe ich vom Fenster meiner Privatwohnung beobachtet. Wenn Sie gar so hoch zu Roß sitzen, wäre es gut, den Verkehr mit einer gerichtlich vorbestraften Person, sei sie noch so hübsch, zu unterlassen!«

Egon zuckte zusammen wie unter einem wuchtigen Peitschenhieb, in höchster Bestürzung, mit einem brennenden Schmerz in der Brust, rief er ächzend: »Fräulein Ida – vorbestraft? Das ist unmöglich!«

»Bitte sehr, jene Verhandlung habe ich selbst geleitet und was ich weiß, lasse ich mir nicht abstreiten, auch nicht von einem Grafen. Habe die Ehre!«

Fassungslos taumelte Egon zum nächsten Fauteuil und schlug die Hände vor das brennende Antlitz. Ein wilder Schmerz tobte in der erregten Brust, Egon stöhnte.

Triumphierend ging der Richter hinaus.

Da kein Zeichen zum Vorlassen der harrenden Parteien erfolgte, steckte Wörgötter vorsichtig den Kopf herein, mit einem Blick verstand der Amtsdiener, daß die Situation, in der sich der Chef befand, nicht geeignet sei, Parteien abzufertigen.

»Mannder!« sagte Wörgötter zu den Bauern, »heut ischt's nix mehr, der Hauptmann ischt krank worden. Kommt morgen wieder!«

Und gehorsam, mitleidig entfernten sich die Leute.

Eine Weile rang Egon nach Ruhe, bis er Herr über seine Gefühle, über den herben Schmerz wurde. Ida vorbestraft, dieses liebe, herzige Geschöpf, so hold und rein, gerichtlich vorbestraft!

Und jenes kurze Zusammensein am Feldrain ist von mißgünstigen Augen beobachtet, wahrscheinlich im übelsten Sinn gedeutet worden! Weiß der Himmel, was über Ida und ihn selbst im Städtchen geredet worden ist und wird! Und zu alledem noch der Affront, den Agnes heraufbeschworen durch ihren Übermut! Der Gedanke an Nissi gab Egon die Manneskraft und Energie wieder; hochaufgerafft, mit ernster Miene und einem Etwas in den Augen, das nichts Gutes kündet, schritt der Graf aus der Kanzlei zur Treppe, auf welcher eben Treßhof sich befand, der ob des Aussehens seines Chefs nicht wenig erschrak.

Egon stellte den Baron: »Sie kommen von meiner Schwester! Ich muß bitten, Ihre Besuche einzustellen, die Gründe dürften Ihnen bekannt sein. Guten Tag!«

Treßhof bekam einen brennroten Kopf und stolperte in arger Verlegenheit die Treppe hinunter.

Das Diner nahm Graf Rothenburg allein ein; Agnes hatte sich unter Verzicht in ihr Boudoir zurückgezogen, wo ihr nach kurzer Zeit ein Billetdoux überreicht wurde, dessen Inhalt den vollen Zorn der enttäuschten Gräfin erregte. Das Billet war von Treßhof, der unter Beifügung des Reisegeldes schrieb, daß ihm die Begegnung mit dem Chef wie das Verbot weiterer Besuche einen Ausflug ohne speciellen Urlaub nicht rätlich erscheinen lasse.

»Memme!« zischte Agnes und warf den Brief ins Kaminfeuer. »Und Egon muß jetzt die dumme Franzi heiraten, Strafe muß sein!«

Am Abend reiste die Gräfin rachedürstend nach Wien ab.


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