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XII.

Wenn bei Rothenburgs die üppigschöne Gräfin Pejacsevits den Mittelpunkt bildete, um den sich alles drehte, so wurde doch auch der achtzehnjährigen Komtesse Franzi Hohenberg alle gebührende Aufmerksamkeit erwiesen. Ein maifrisches, blondes Mädchen, etwas backfischlich noch, meist stumm infolge vieler Ermahnungen, um eine gewisse Albernheit möglichst zu verdecken.

Innerlich sträubte sich Agnes selbst dagegen, den stattlich schönen Bruder mit diesem stumpfnäsigen Gänschen zu verheiraten; aber die dumme Franzi bekommt eine bedeutende Mitgift, ist aus altem Adelsgeschlecht, eine brillante Partie. Egon muß reich heiraten, es geht nicht anders; er wird sich die junge Gemahlin entweder ziehen oder –. Mitten in solchem Gedankengange biß Agnes sich auf die Lippe. Was die Gräfin da denkt und Egon zumutet, ist im »oder« vom eigenen Gatten in die Praxis übertragen worden, und Agnes ist doch wahrlich ein anderes, begehrenswerteres Wesen als die Franzi Hohenberg.

Im Verkehr mit der Komtesse zeigte sich Egon als vollendeter Kavalier, immer ausgesucht höflich, aufmerksam, aber kühl, aalglatt. Kein Blick verriet irgend ein wärmeres Empfinden.

Franzi hingegen begann nach den ersten Tagen, in welchen sie die Scheu verlor, aufzutauen, froh, dem Bann und Zwang einer unerbittlich strengen Mutter entronnen zu sein. Die Andeutungen knapp vor der Abreise nach Lienz hatte Franzi im Freudentaumel schier nicht verstanden, die Erinnerung daran kehrte aber zurück, wenn Egon neben dem Mädchen plaudernd stand, und manch scheuer und stillhoffender Blick galt dem Grafen. Wie hatte die Mutter doch nur gesagt? Es war eine Bemerkung, die auf das Heiraten sich bezog. Heiraten – den Grafen Egon, dazu wäre Franzi jeden Augenblick bereit, doch Rothenburg sieht nicht danach aus, als brenne ein solcher Wunsch in seinem Herzen. Franzi ertappte sich auf dem Vergleich, als sei Egon ein lebendiger Eiszapfen mit einem wunderschönen Schnurrbart. Den Verkehr mit Männern von Rang hat sich das junge Mädchen wesentlich anders vorgestellt, von der geträumten Glückseligkeit des Angebetet- und Umschwärmtwerdens spürt Franzi nicht das mindeste, eher eine frostige Enttäuschung. Sonst wäre es soweit ganz nett; der alte Graf ist die Liebenswürdigkeit und Aufmerksamkeit selbst, Gräfin Nissi sehr lieb, wenn freilich offenkundig excentrisch, mit Neigungen, die das ungemessene Erstaunen des Backfischleins erregen und darum nicht völlig verstanden werden. Das hübscheste jedoch ist, daß Mama mit den ewigen Predigten nicht in diesem Kreise ist.

So war denn Franzi dankbar für jedes freundliche Wort, und hoffte das Beste von der Zukunft, worunter der Moment, da ein Mann von heißer Liebe spricht, sich befindet.

Die Anwesenheit Franzis nahm Egon als etwas Unvermeidliches hin und verriet mit keiner Miene, daß ihm der Zuwachs unangenehm sei. Doch dachte er an eine gesellschaftliche Entlastung seiner Person durch Beiziehung seiner Konzeptspraktikanten, wobei er sich erinnerte, den Baron Treßhof um Einstellung seiner Besuche gebeten zu haben. Diese Thatsache wirkte nun fatal und mußte aus der Welt geschafft werden.

In der Kanzlei ließ Rothenburg den jungen Baron zu sich bitten und eröffnete Treßhof, daß jenes Verbot lediglich in der Hitze erfolgt und hiermit wieder aufgehoben sei; es habe sich damals um die peinliche Affaire der Besuchsablehnungen, verbunden mit brüskierendem Klavierspiel, gehandelt, und Treßhof sei eigentlich der unschuldige Teil gewesen.

Die Erklärung schloß mit der Einladung, den Verkehr, besonders mit den Damen, wieder aufzunehmen. »Neu ist Komtesse Franzi Hohenberg in unserem Kreise, die ich Ihrer besonderen Aufmerksamkeit empfehle. Sagen Sie Trentini, ich würde auch ihn gerne beim Thee sehen!«

Wer war froher und vergnügter denn Treßhof? Nun lacht die Sonne wieder und an der Seite der schönen Gräfin sollen es lustige Tage werden. Für die zugewachsene Komtesse interessiert sich der Baron wenig.

Der von Treßhof verständigte Trentini vollführte einen Freudentanz, wobei er das Tintenfaß umwarf und einige Schriftstücke unbrauchbar machte. Die Perspektive auf kostenloses Sattessen, vielleicht Parlieren in der Muttersprache, auf Verkehr in aristokratischem Kreise beglückt den jungen Welschen in hohem Maße.

Schon beim nächsten Theeabend vollzog sich eine gewisse Interessengruppierung; Treßhof flatterte wie ein verliebter Tauber auf die berückende, fesche Gräfin zu, und Trentini, anfangs etwas scheu, fing Feuer, als Franzi, freilich in holprigem Italienisch, für seine Ansprache dankte und sich fürder der Sprache des sonnigen Südens bediente, offenbar bestrebt, dem Welschen damit eine Freude zu bereiten.

Egon lächelte zufrieden; sein Kalkül erweist sich als richtig, Franzi ist beschäftigt; mit Botho ist an und für sich gut auskommen, wenn man eines seiner Lieblingsthemata anschlägt und den alten Onkel dann ausschließlich reden läßt.

Auf die Frage, wie es in Innsbruck gewesen, schnappte Botho augenblicklich ein und erzählte abermals mit epischer Breite, was in Umrissen Egon bereits bekannt war. So konnte der Hauptmann für ein Weilchen seinen eigenen Gedanken nachhängen und an Ida denken.

Eine Bemerkung Treßhofs bezüglich der nun beginnenden Saison für Hausbälle brachte eine allgemeine Diskussion in Fluß, an welcher sich sogleich mit aller Lebhaftigkeit Gräfin Agnes beteiligte.

Egon witterte Unheil und versuchte vorzubeugen: »Du irrst, liebe Nissi, unter ›Hausball‹ ist hier zu Lande kein Ball im eigenen Hause zu verstehen, sondern ein Arrangement im Hause des jeweiligen Wirtes, wozu die Fleisch- und Brotlieferanten und so weiter zum Erscheinen und Zechemachen moralisch gezwungen sind, soferne sie die Lieferungen nicht verlieren wollen. Die Sache ist eigentlich ein unmoralischer Zwang, entsprungen der unersättlichen Profitgier vieler Wirte!«

Spitz warf Agnes ein: »Und wohl auch der Bräuer!«

Graf Botho schien indes einem Hausball im wirklichen Sinne des Wortes geneigt zu sein, indem er sprach: »Nun, da wir lieben Damenbesuch haben, könnte man diese Angelegenheit ja ins Auge fassen. Ein paar Musikanten, etwa ein Sextett von einer Regierungskapelle aus Klagenfurt oder Innsbruck, kaltes Büffelt, einige Herren mehr ...«

»Aber Onkel, wo sollten wir den Raum zum Tanzen hernehmen?« fragte Egon.

»Das ist die geringste Sorge!« rief Agnes lebhaft, »wir räumen einfach weg, was uns hindert. Ich bin für einen Hausball, tanzen möchte ich, und da aus gewissen undiskutierbaren Gründen meine Beteiligung an anderen Bällen in Lienz ausgeschlossen ist, soll mir die Gelegenheit im eigenen Hause, Pardon, im Hause des gestrengen Herrn Bezirkshauptmanns hochwillkommen sein.«

Egon gab den Widerstand auf und verbeugte sich zustimmend. Freudig bewegt zeigte sich Franzi und schob ihrem Kavalier Trentini einen wahren Berg von kaltem Aufschnitt zu. »Sie tanzen mit mir, ja, Herr von Trentini?«

»Mit Wonne, Contessa carissima!« erwiderte der junge Welsche leuchtenden Auges und schob sogleich eine vollgefüllte Gabel in den Mund.

Nach lebhafter Debatte einigte man sich auf einen bestimmten Abend, und erörterte dann die Frage, wer etwa noch zugezogen werden könnte.

Das entscheidende Wort mußte Egon in seiner Eigenschaft als Amtschef eingeräumt werden, und so wurde bestimmt, daß der Forstkommissär und der Steuerinspektor eingeladen werden sollen. Botho fragte: »Und welche Damen noch außer unseren Grazien?«

»Huhuhu!« lachte Agnes.

»So, na dann lieber nicht!« meinte Botho.

Wenige Tage darauf wurden die Vorbereitungen zum Hausball bei Rothenburg begonnen; Agnes leitete das Ganze. Die Diener mußten zunächst den Saal »erweitern«, Möbel wegschleppen, das Büffett in einem anstoßenden Gemach aufstellen. Mit Franzi schmückte die Gräfin die Appartements durch Blattpflanzen und Festons; das Arrangement gedieh prächtig.

Zur Festsetzung der Tanzordnung zog Agnes den Baron Treßhof bei, dem der Hauptmann gleich den übrigen Beamten den Nachmittag dienstfrei gegeben hatte. Franzi blieb unsichtbar, Toiletteangelegenheiten beschäftigten das Mädchen auf das eifrigste.

Die Diener waren von Agnes zur Besorgung der Weinfrage weggeschickt, und Ilka mußte die Robe zum Ball bereitstellen. Graf Botho begnügte sich, den Füchsen Bewegung zu machen.

Im Salon herrschte Dämmerung, das Tageslicht verschwand, das Kaminfeuer warf rötliche Strahlen über das spiegelblanke Parkett. An den Kaminsims gelehnt, stand Agnes hochaufgerichtet, und ihre Finger bewegten sich nervös, bald ein Strecken, dann ein Schließen, vergleichbar mit der Beweglichkeit von Katzenpfoten, wenn die Katze erwartungsvoll auf die Maus lauert und sich im Vorgefühl des baldigen Fanges der Behaglichkeit hingiebt. Leise sprach die berückende Frau: »Nun, welche Wünsche haben Sie?«

Treßhof trat einen Schritt näher; im Blick die entzückende Gestalt der Gräfin umfangend, flüsterte er: »Wünsche – es giebt nur einen hohen Wunsch!«

»Pardon, Baron! Ich meine bezüglich der Tanzkarte, die wir natürlich nicht haben!« erwiderte kühl Agnes, und dabei glitten die Spitzen ihrer Finger vergnüglich über die Spitze des Daumens hin und her.

»Wenn ich bitten dürfte, ich möchte jede Piece mit Gnädigster tanzen ...«

»Wo denken Sie hin! Das geht doch nicht, würde und müßte auffallen! Vorsicht in allem!«

Treßhof griff nach der Rechten der Gräfin, hauchte einen Kuß darauf und hielt das Händchen dann fest.

»Nun? Warum so feierlich? Sie wollen doch nicht um mich anhalten? Ich bin schon versorgt und wie!«

»Leider! Das letzte Wort bewegt meine Seele so schmerzlich!«

»Kann es mir denken!«

»Aber gewiß, Gnädigste! Glauben Sie mir! Zu Ihren Füßen will ich mich werfen und schwören ...«

»Was wollen Sie schwören?« lachte leise die Gräfin.

»Beschwören möchte ich Sie, mir zu sagen, ob ich Ihnen gleichgültig bin!«

»Würde ich Sie dann gebeten haben, mir zu assistieren?«

»So darf ich hoffen?« flüsterte erregt der junge Baron.

»Was hoffen Sie?«

»Ihre Gnade und Gunst!« stammelte Treßhof und versuchte den Arm um der Gräfin Taille zu legen.

»Bitte, Sie vergessen sich!«

Erschrocken trat Treßhof zurück.

Ein leises Lachen lockte den Verdutzten wieder an, doch blieb Treßhof unsicher, dieses Weib ist rätselhaft.

»Zwei Tänze will ich Ihnen gewähren, um Sie das Glück ahnen zu lassen, mich in Ihren Armen zu halten!«

»Gräfin! Warum nicht mehr?«

»Weil andere Herren auch berücksichtigt werden müssen!«

»So gelte ich nicht mehr als andere?«

»Doch! Sie lieben mich ja?«

»Heiß, innig, mit aller Glut, deren das junge Herz eines ...«

»Konzeptspraktikanten fähig ist!«

Treßhof zuckte zusammen.

Agnes trat vom Kamin weg, legte die Hand auf des Barons Schulter, blickte ihm fascinierend in die flackernden Augen und murmelte: »Thor!«

Treßhof erschauerte, Fieberhitze jagte durch den erregten Körper, im Taumel hob er die Arme, umfaßte das schöne Weib und küßte Agnes auf die Lippen.

Ein Moment nur, dann stieß die Gräfin Treßhof zurück. »Was wagen Sie?!«

»Verzeihung, ich mußte thun, wozu das Herz mich gezwungen!«

»Was kümmert mich Ihr Herz!«

»Gräfin, Sie sind grausam!«

»Glauben Sie denn, ich werde mich zu Ihrer Geliebten erniedrigen?!«

»O Gott! Was habe ich gethan?!«

»Rasch, stecken Sie die Lampe an, wir sind kompromittiert, wenn uns in dieser Dunkelheit jemand überrascht. Schnell!«

Im Salon war es so finster geworden, daß kein Gegenstand mehr zu erkennen war. Treßhof vermochte sich nicht zu orientieren, ein Schritt – und sein Arm streifte die Gräfin. Plötzlich fühlte er sich umschlungen, geküßt und weggestoßen.

»Schnell Licht!« rief heiser vor Erregung Agnes.

Betäubt, fassungslos, zitternd suchte Treßhof nach Feuerzeug, das er im Billettäschchen bei sich zu tragen pflegte. In seiner grenzenlosen Verwirrung fand er das Zündholzschächtelchen nicht gleich. Ein knisterndes Rauschen des Seidenkleides, die Gräfin schwebte hinweg und riß die Salonthür auf. Mattes Licht strömte vom Korridor herein.

»Ilka, Licht!« befahl Agnes schrillen Tones und schritt hinaus.

Bevor die Zofe erschien, hatte Treßhof fluchtartig das Weite gesucht.

Gegen neun Uhr waren die Gäste in den von hellen Lichtstrahlen durchfluteten Räumen versammelt, Agnes in einer Prachtrobe, schöner den je, machte die Honneurs, etwas verschüchtert stand Franzi, in Weiß mit roten Bändern hübsch gekleidet, beim Grafen Botho und schielte nach ihrem ersehnten, welschen Ritter.

Man hielt Cercle, das Sextett begann die Polonaise zu spielen, und Agnes lachte auf, zwei Damen zu sechs Herren, das ist zu drollig. »Plaudern wir weiter!« rief sie und zog den Forstkommissär ins Gespräch.

Franzi hüpfte zu Trentini und schritt emsig plaudernd nach dem Takt durch den Salon.

Botho hatte Treßhof zum Partner; Egon unterhielt sich mit Gritz, dem ersichtlich nicht recht wohl in diesem Kreise war und der aufatmete, als der Hauptmann auf ein dienstliches Thema überging. »Bitte, Herr Inspektor, ziehen wir uns in eine Ecke zurück, wo wir ein paar Worte ungestört sprechen können!«

Von einem Vorhang halb verdeckt, standen die Herren am Fenster, und Egon sprach: »Vor wenigen Stunden war ein Mann Namens Gargitter bei mir, der in Verzweiflung meine Hilfe erflehte. Sie wissen jedenfalls mehr von der Sache selbst als ich, Sie sind ja Fachmann. Ich habe das Empfinden, daß wir, immer das Gesetz im Auge, einen Mann doch nicht ins Unglück treiben sollen. Und bis dat, qui cito dat! Verzeihen Sie, daß ich auf neutralem Boden diese Sache zur Sprache bringe, ich möchte dem Mann womöglich die Qual kürzen, ihm schon morgen früh Bescheid geben!«

Für einen Augenblick gab sich die »Steuerschraube« dem Wonnegefühl hin, in dieser Angelegenheit gewissermaßen über dem Chef zu stehen und Autorität zu sein, der sich, so der Fachmann darauf besteht, der Hauptmann fügen muß. Die Gelegenheit ist außerdem günstig insofern, als Gritz, dem der Fall Gargitter mählich unangenehm geworden, durch Intervention des Chefs eine goldene Brücke zum Rückzug erhält, ohne die Brücke selbst schlagen zu müssen. Zur Konzession einer Strafaufhebung wäre Gritz an sich geneigt; er möchte sich aber doch dazu bitten lassen, wasmaßen der Fall ja so selten ist, daß ein Steuerinspektor vom Bezirkshauptmann um dergleichen gebeten wird. So that Gritz denn, als habe die Sache Bedenken, er betonte die völlig richtige Beurteilung, die Strafe sei gesetzlich zulässig, der Vollzug unanfechtbar.

»Ich bezweifle das keinen Augenblick und weiß ja, daß ich mich hierin voll und ganz auf meinen fachtechnischen Beirat verlassen kann und muß. Aber hart und überstreng scheint mir die ausgesprochene Strafe doch zu sein. Könnten wir nicht eine Minderung eintreten lassen?«

»Im Dienstweg wird nichts anderes übrigbleiben, als die höhere Instanz entscheiden zu lassen.«

»Gewiß! Da aber die Strafe für vollstreckbar ausgesprochen ist, muß der Mann bei Pfändungsgefahr sofort bezahlen, der Termin läuft morgen ab. Der Mann ist ruiniert. Ich mische mich nicht gerne ein und respektiere jeden Fachmann in seiner Sparte, in diesem Falle möchte ich Sie aber doch um Ihr Einverständnis zur Zurückziehung der erstinstanziell verfügten Strafe bitten, verstehen Sie wohl, im Sinne der Humanität. Der Staat wird nicht zu Grunde gehen, doch eine Menschenexistenz wird gerettet. Was meinen Sie?«

»Wenn Herr Graf, Sie haben ja das Aktenstück als verantwortlicher Amtschef unterzeichnet, das Odium einer Strafzurückziehung auf sich nehmen wollen, ich habe nichts dagegen und bin bereit, den Fall neuerdings zu verbescheiden. Eine kleine Strafe werden wir aber verfügen müssen, denn sonst geht der Respekt vor der Behörde völlig verloren.«

»Gut, machen wir! Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zustimmung und werde den Mann morgen früh sofort citieren. Doch nun wollen wir ein Glas Wein trinken zu unserem Wohle! Nochmals meinen Dank!«

»Bitte sehr, es freut mich, Ihnen, Herr Graf, gefällig sein zu können!«

Graf Egon ging ans Büffett. Gritz blieb noch ein Weilchen und rieb sich vergnügt die Hände.

Besser hätte es gar nicht gehen können, vergaloppiert hat sich die »Schraube«, Gritz ist zu hitzig dreingefahren, die Strafe mit Rückwirkung auf dreißig Jahre ist drakonisch, der Rückzug sehr angenehm; Gritz kann jetzt eine Aussöhnung mit Zoderer anstreben und die Schuld und Verantwortung bequem auf die Schultern des Bezirkshauptmanns schieben. Seelenvergnügt ob dieser Wendung kehrte Gritz zu der Gruppe plaudernder Herren zurück.

Eine Polka tanzte Agnes mit Treßhof und dann einen Walzer mit dem Forstkommissär, dessen Kopf vor Freude und Glückseligkeit erglühte, und den allzeit lustigen Rothenburg zum Witzeln reizte.

Als Trentini mit Franzi an ihm und Gritz vorübertanzte, spottete Botho laut, doch jovial: »Holz weg!« und wollte bersten vor Lachen, als Trentini mitten im Tanze abbrach, Franzi in den Arm nahm und, zum Grafen tretend, fragte:

» Prego, signor il Conte, wer wie was belieben ›olz‹?«

»Schon gut, Trentini! Tanzen Sie nur weiter, avanti!« schluchzte Botho und wischte sich die Lachthränen aus den Augen.

Wer dem Tanzvergnügen nicht huldigte, fand reichliche Entschädigung am Büffett, wo Franz fleißig Mumm und Heidsieck offerierte.

Trentini hatte eifrigste Konversation mit Franzi gepflogen, gleich ihm bekam auch die Komtesse einen roten Kopf, doch nicht vom Tanzen. Dann noch ein Tuscheln, ein Kämpfen gegen Scheu und Angst, es schien, als wollte Franzi den feurigen Welschen am Ärmel zurückhalten, doch Trentini entschlüpfte und fahndete nach Graf Rothenburg, der sich in das improvisierte Rauchzimmer zurückgezogen hatte und eine Importhavanna qualmte.

Als der junge Welsche schluckend vor Aufregung zu ihm trat, den Klapphut wie einen Kreisel drehend, da spottete Botho: »Ei der Tausend! Sie wollen doch nicht fahnenflüchtig, den Damen untreu werden? Ein dolce far niente bei der Cigarre ist nicht angezeigt für einen jungen Mann, verstanden?«

»Ick nit wollen fumare, signor il Conte! Ick wollen mit Ihnen subito sprecken!« stammelte Trentini.

»Alle Wetter! Und subito parlare! Ich bin baff!«

» O signor il Conte werden noch mehr baffen!«

»Was?«

»Ick kommen Lei bitten um la Contessa Franzi

Dem überraschten Graf fiel die Cigarre aus der Hand: »Sie wollen um Franzi Hohenberg anhalten? Herr, sind Sie des Teufels? Die Komtesse hab' ich für meinen – na, das geht Sie nichts an! Heiliger Gott, hat man so was schon erlebt? Nein, da hört sich alles auf! Das ist die größte Dummheit, die ich je gemacht! Hören Sie, Trentini! Tanzen Sie mit Franzi nach Herzenslust, trinken Sie Sekt zur Beruhigung oder Abtötung Ihrer Nerven so viel Sie wollen, aber den Gedanken an Franzi Hohenberg schlagen Sie sich gefälligst subito aus dem Kopf!«

» Ma prego, la Contessa sein einverstanden, sposa mia

»Jetzt wird es mir zu dumm! Mit Ihren Heiratsgedanken warten Sie gefälligst, bis Sie Bezirkshauptmann oder Statthalter sind. Kein Wort weiter, mein Herr!«

An dem Ernst der Zurückweisung konnte Trentini nicht zweifeln, wenngleich er nicht jedes Wort verstanden hatte. Wie ein begossener Pudel schlich er mit einer wahren Leichenbittermiene in den Salon zurück.

Botho hob die verlöschte Cigarre auf, legte sie in die Aschenschale und murmelte: »Da hab' ich was Schönes angerichtet! Will mit Franzi als Köder Egon angeln und derweil schnappt der junge Welsche auf die Angel. Nun bleibt nichts anderes übrig, als die Hohenberg sofort zu ihrer Mutter zurückzuschicken. Das fehlte mir noch, ein verliebtes Mädel zu bewachen! Sofort retour, es geht nicht anders! Werde sie selber nach Wien bringen!«

Graf Botho trat in den Salon. Im selben Augenblick ertönte auf der Straße Hörnerruf, vom Turme wimmerten die Glocken.

Bestürzt riß Egon ein Fenster auf und rief hinunter: »Was ist los?«

»Feuer in Matrey! Großfeuer! Der ganze Ort brennt!«

»Heiliger Gott, der ganze Ort!« sprach Egon, schloß das Fenster und bat hastig um Entschuldigung.

»Die Pflicht ruft mich nach Matrey!« Zu Franz gewendet, befahl Egon kurz und bestimmt: »Sofort meinen Pelz, Johann soll die Fuchsen anspannen, ich fahre in einer Viertelstunde ab!«

Agnes meinte: »Aber Egon, Du wirst Dir den Tod holen auf einer Nachtfahrt! Brennt der Ort, so kannst Du doch nichts mehr ändern!«

»Bitte, kein Wort weiter! Ich kenne meine Pflicht und werde sie erfüllen! Entschuldigen die Herrschaften!«

Mit Egon entfernten sich nach kurzer Verabschiedung Gritz und der Forstkommissär, Trentini schlich hinterdrein, froh, dem alten Grafen aus den Augen gehen zu können. Treßhof verhielt sich noch ein Weilchen, ging aber dann auch. Die Musiker wurden fortgeschickt. Der Hausball hatte ein jähes Ende gefunden.

Bewegt und lärmend ging es im Hause Piffraders zu; der Bräuer zeterte, weil seine Pferde nicht schnell genug vor die Landspritze und den Wagen mit der Schubleiter der Lienzer Feuerwehr gespannt wurden. Feuerwehrleute kamen herangesprungen und kletterten auf Spritze und Wagen.

Egon stand im Hof und wartete auf das Anschirren der Fuchsen vor den von Piffrader erbetenen Schlitten.

Die Fackeln auf der Spritze beleuchteten das Getriebe, ihr Schein schreckte die Fuchsen, die kaum zu halten waren.

Einen Blick warf Egon auf die Fenster des ersten Stockwerkes, im Fackelschein erblickte er an einem Fenster Ida und auf seinen stummen Gruß nickte das Mädchen wehmütig.

»Herr Graf, bitte!« rief Piffrader, dem es imponierte, daß der Hauptmann vor dieser Nachtfahrt nicht zurückschreckte.

Jörgel fuhr vor, Egon stieg ein und scharf zogen die nervös gewordenen Fuchsen an.

Hinterdrein rasselten die Wagen und Spritzen.


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