Heinrich Zschokke
Der Freihof von Aarau
Heinrich Zschokke

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31.
Die Mordnacht.

Der folgende Morgen verstrich ihnen hier in kriegerischer Geschäftigkeit, Dolche, Schwerter, Armbrüste, Büchsen wurden in Stand gesetzt; Koller, Harnische, Pickelhauben geputzt; die Pferde untersucht; die Mannschaft truppweise gemustert. Nur die Vornehmeren wußten, wohin es gehen werde; die meisten Übrigen rieten zwischen Zurzach und Schaffhausen. Ein Eilbote, der den Absagebrief der Falkensteine nach Bern trug, war schon den Abend zuvor dahin gegangen. Nachmittags setzten sich die Rotten der Kriegsleute in Bewegung; es waren ihrer fünf- bis sechshundert, alle zu Pferde. Sie ritten in weitgedehntem Zuge langsam und paarweise zwischen dem Gebirge und dem Rheinufer aufwärts, bis das Blitzen ihrer Waffen dem neugierigen Blicke der Nachschauenden zwischen Gebüschen und Wäldern, jenseits der Thalschlucht von Sulz, entschwand. Dann wendeten sich die reisigen Scharen in das Innere des zweiten Gebirgseinschnittes, welcher, ihnen zur Rechten, hinter einem Vorhang von Tannen und Buchen verborgen lag. Einen wilden Bergstrom entlang, zogen sie an den armen Hütten von Mettau und Gansingen vorüber, und nach einigen Stunden zur Höhe des Gebirges. Von hier, auf kaum gebahnten Pfaden, die Pferde am Zügel leitend, wanderten sie bei nächtlicher Zeit durch das felsige Mönthal hernieder. Ehe sie noch zu den wenigen zerstreuten Hütten daselbst gelangten, befahl Thomas von Falkenstein, Halt zu machen und die Führer der einzelnen Haufen zu versammeln.

»Jetzt ist es an der Zeit, edle Herren,« sprach er, »den tapfern Leuten, die Euch folgen, das Geheimnis unseres Unternehmens aufzudecken. In wenigen Stunden beginnen die Feindseligkeiten. Brugg soll den Reigen führen, die aargauischen Städte müssen der Reihe nach folgen. Gefahren haben wir diese Nacht nicht zu bestehen, sondern nur zu überrumpeln und gute Beute zu machen, im Falle es uns gelingt, unverraten die Stadt zu erreichen. Was wir erbeuten, wird auf die Schiffe gebracht und die Aar hinab zum Rhein und nach Laufenburg geschafft. Dort wird geteilt. Graf Görg von Sulz soll sich, während die Übrigen ins Thor eindringen, der Schiffe am Aarufer versichern und sie bemannen. Jörg von Knöringen, Hug von Hegnau und Fritz vom Haus, versperrt mit Euren Leuten alsbald die Ausgänge der Stadt, damit kein Vogel aus dem Nest entwische. Bentelin von Hemmenhofen, Max von Ems, Balthasar von Blumenegg, Ihr werdet die Vornehmsten, besonders die Ratsherren und Schultheißen, aus den Betten holen, im österreichischen Hause zusammenbringen und bewachen; Schneiderhans wird Euch führen. Er kennt jedes Haus, jeden Durchgang, jeden Mann und wird ihrer keinen übersehen. Als er vor einigen Jahren durch lose Streiche das Bürgerrecht der Stadt verwirkt hatte, sprachen sie einmütig seine Verbannung aus. Nun hat er Lust, statt Gnadenstimmen zu sammeln, Gnadenstöße zu geben. Ihr dürfet Vertrauen haben, denn Hans von Rechberg, Thüring von Hallwyl, die Herren von Baldegg bilden mit mir die Vorhut, die Übrigen sollen indes in der Entfernung von einigen hundert Schritten folgen. Sind wir erst einmal in der Stadt, werde ich allen zur Hülfe sein.«

Während er diese und andere Befehle gab, hatten sich die Haufen auf der Bergwiese nach und nach näher zusammen gedrängt, ihn zu hören. Plötzlich drehten sich alle Köpfe nach der Seite und ein Murmeln der Verwunderung oder Furcht durchlief die Menge. Man sah, im ungewissen Zwielicht, jemanden, wie es schien, einen vornehmen Herrn, mit ehrerbietigem Gefolge, vom Berg herab an der Außenseite der Versammlung mit langsamen Schritten hinreiten. Die Person war in einen weiten Mantel gehüllt und trug einen Hut, wie ihn angesehene Priester oder Bischöfe zu tragen pflegen. Unter denen, die ihm paarweise folgten, erkannte man deutlich einige Leute, welche in die Ehrenfarben von Basel gekleidet waren.

»Still!« rief der Freiherr mit gedämpfter Stimme. »Sehet Ihr nicht, daß es der Herr von Rechberg ist, welcher uns diese Nacht als Bischof von Basel begleiten und unser frommes Werk segnen muß? Vermeidet alles Geräusch! Keiner lache, keiner plaudere oder huste. Wir müssen auf Katzenpfoten ans Thor schleichen.«

Darauf begab er sich zum vermeintlichen Bischof und ritt langsam an seiner Seite voraus. Ihm folgten die beiden Herren von Baldegg; diesen die Träger der Ehrenfarben von Basel; diesen wieder, als Boten, Schreiber und Diener, einige andere Paare, alles in Mänteln. In einiger Ferne folgte schweigend der lange Zug der Übrigen. Dumpf dröhnte der Huf der Rosse durch die Wiesen und Dorfschaften, deren Bewohner schliefen. Was in den Häusern noch wachte und die beweglichen schwarzen Reihen so vieler Reisigen fast lautlos vorüber ziehen sah, schwieg voll Furcht und Entsetzen und ahnte böse Ereignisse für das Land. Ein einziger Mann von herzhaftem Sinn meinte, er müsse die Stadt warnen, und eilte, als der Zug, der kein Ende zu nehmen schien, an ihm vorüber war, auf Seitenwegen davon, heimlich der Stadt zu. Als er aber, unter der kurzen Steig, von der Wiese in den Fahrweg treten mußte, erblickte er die Vordersten schon in der Nähe, weshalb er die Schnelligkeit seines Laufes verdoppelte. Der Schall seiner Schritte verriet ihn, und die Eile gen Brugg machte ihn verdächtig. Falkenstein und Rechberg sprengten ihm nach und riefen: »Steh!« als sie ihn schon zwischen den Pferden hatten.

»Wohin so behend, Landsmann?« fragte ihn der Landgraf.

»Gen Brugg,« erwiderte atemlos der Mann. »Um tausend Gottes willen lasset mich, ich habe ein Kindchen in Todesnöten daheim.«

»Du bist doch nicht aus der Stadt,« sagte Falkenstein. »Wie heißest Du?«

»Hans Geißberg heiße ich, gestrenger Herr von Falkenstein,« erwiderte der Bauer, »und gehe in den Arzneiladen.« Damit that er, um zu entkommen, einen gewaltigen Sprung vor die Pferde; Hans von Rechberg sprengte ihm nach. »Weg mit ihm. Der kennt uns!« rief der Landgraf. Bald darauf hörte man einen durchdringenden Schrei und es wurde still. Als die Vorhut zur kurzen Steig kam, sah man den Leichnam des Mannes am Wege liegen. Die Pferde gingen in weitem Bogen scheu daran vorüber.

Es war eben Mitternacht vorbei, als aus den dunkeln Nebeln des Aarstroms die Stadttürme und Mauern von Brugg, wie wachsende Schatten, hervorstiegen. Ihre verworren erscheinenden Umrisse gestalteten sich, je näher man kam, immer bestimmter. Der Landgraf hieß nun diejenigen, welche die Farben der Stadt Basel trugen, als Vorreiter voraustraben und an die Pforte des Aarthores pochen. Sie gehorchten und klopften, da alles im ersten tiefen Schlafe lag. Endlich rief die Stimme des Wächters vom Turm des Thores herab: »Wer kommt und lärmt drunten bei später Nachtzeit?«

»He, Gevatter, kennst Du Falkenstein nicht?« antwortete der Landgraf. »Der Herr von Basel ist hier; mache auf! Wir bringen den Frieden und eilen nach Zürich in das Lager unserer Herren von Bern. Auf, auf! Wir eilen; Gevatter, auf!«

»Gottes Wunder!« schrie der Wächter mit fröhlicher Stimme. »Hätte ich also doch nicht geträumt? Allsogleich, gnädiger Herr Gevatter, allsogleich wird aufgethan. Gottes Wunder, nur um ein kleines Geduld!«

Nach einer Weile rasselten die großen Schlüssel am Schloß der Pforte; die schweren Riegel kreischten, als sie zurückgezogen wurden, und die Thorflügel gingen knarrend aus einander. Der Wächter trat ehrfurchtsvoll und mit tiefer Verbeugung auf die Aarbrücke hervor, dem Freiherrn entgegen. Zwei Knechte, in den Farben von Basel, ritten an ihm vorbei, dann der für den Bischof Gehaltene, begleitet von den Baldeggern und dem Gefolge; weiterhin, den Seitenweg hinab, schallte es vom Trabe vieler Rosse, und bewegten sich so viele Schatten im dunkeln, wie von einem ganzem Heere. Das däuchte dem ehrlichen Thorwächter nicht geheuer, und er sprach zu dem Herrn von Falkenstein: »Gnädiger Herr Gevatter, ist ihrer wohl viel für eine Botschaft; darf nicht alle ohne Erlaubnis einlassen. Ich wills recht schnell dem Schultheißen melden.«

Mit diesen Worten wandte er sich, um rasch das Thor zu schließen, doch der Falkenstein zückte plötzlich sein Schwert, und das Haupt des Wächters flog in die Aar. Nun kam die volle Harst hinterher, und drang brüllend und jodelnd, mit entsetzlichem Getöse, den steilen Straßenrain durchs Thor aufwärts in die Stadt, in die Gassen links und rechts. Durch das verworrene Geschrei der Rasenden donnerte der dumpfe Ton der Stöße gegen verschlossene Thüren, brachen zerschlagene Vorläden und Fenster krachend zusammen und fielen Büchsenschüsse. In diesem höllischen Getümmel erwachte die ganze Stadt und bald sah man allerorten erleuchtete Fenster. Keiner von allen den aus dem ruhigen Schlummer geschreckten Bewohnern der Stadt konnte begreifen, was geschehen sei? Einige glaubten, es wäre eine Feuersbrunst ausgebrochen, und wollten zum Löschen eilen; andere, der jüngste Tag breche herein, und wollten zur Kirche gehen; noch andere, die Stadt sei von den wütenden Armagnaken überrumpelt, und sie rannten nach Waffen oder suchten Schlupfwinkel auf Estrichen oder in Kellern. Bleich und bebend liefen viele durch die Gassen, halbbekleidet oder wie sie aus den Betten gesprungen waren, die einen zu den Nachbarn, die andern zu den Stadtthoren; viele rannten zum Rathause und wo jeder am ehesten Zuflucht zu finden glaubte. Die Adeligen aber hatten indessen alle Ausgänge verrammelt und gesperrt, sodaß keiner entschlüpfen konnte. Wer ihnen in Verzweiflung widerstand, wurde niedergestochen. Man sah den greisen Schultheiß Effinger von Kriegsknechten fast unbekleidet über die Gassen geschleppt zum Herzoghause am Kirchhofe. Dorthin wurden die übrigen Räte und Häupter der Stadt geführt. Die anderen Plünderer trugen geraubte Waffen zu den Schiffen, sowie Silbergeschirr, Truhen und Kisten, den Sparpfennig der Kinder, den Notheller der Alten, der fleißigen Hausfrauen Gespinnst und Gewebe, vieler Jahre Arbeit und Frucht, der Stadt Kleinode, Banner, Siegel und Briefe über Freiheiten und Gerechtigkeiten, selbst die eisernen Thorketten, als müsse nichts zurückbleiben als das nackte Gemäuer und die Ziegel auf den Dächern. Thomas von Falkenstein rannte geschäftig die Straßen auf und ab und ermunterte seine Helfer und Helfershelfer.

»Rüstig, rüstig!« rief er. »Die Stadt soll uns in dieser Nacht den ganzen Kriegszug bezahlen und ein paar Schlösser dazu. Leeret die Säcke, feget Kasten und Schrein, Werkstatt und Krambude; lasset die Dirnen in Frieden, und wer ein Liebes hat, führe es mit sich von hinnen.«

»Vetter Thomas,« sagte Marquard von Baldegg, der zu ihm stieß, »das ist des Teufels Hochzeit hier. Sind wir nun einmal am Werk, soll's auch etwas geben, davon die Welt spricht. Hundertundsiebzig Stück Silbergeschirr liegen in den Schiffen, ich ließ sie zählen; sieben Geldfäßchen und ein paar Dutzend Säcke voller Münze daneben. Die Berner mögen erfahren, daß sie noch nicht Meister sind, wenn's darauf ankommt, ein volles Nest auszuleeren. Aber Vetter, hörst Du nichts! Es klingt und läutet mir schon seit einer Stunde in den Ohren, straf' mich Gott, als schlügen die Dörfer im ganzen Aargau an die Sturmglocke. Hörst Du nichts?«

»Mag sein! Laß sie stürmen,« antwortete der Freiherr. »Wir sind ihr böses Wetter, das sie mit den Glocken nicht bannen. Wir machen hier reine Bahn und lassen den Bernern das Nachschauen. Es gönnte mancher den stolzen Bruggern, daß wir sie pflücken. Komm', Vetter, ins Herzogenhaus. Schon graut der Tag. Nun will ich unserm Fehdebrief an die Eidgenossen das rote Siegel anhängen. Kennst Du die beiden da hinter mir? Sie sollen Arbeit haben.«

»Dein Scharfrichter und sein Gesell? Ich verstehe Dich,« sagte Marquard. »Mir gilt's gleich. Liegt schon ein Dutzend Spießbürger erstochen auf der Straße, mag der löbliche Stadtrat nachwandern. Könnte ich das ganze Nest aus dem Boden reißen und in der Aar ersäufen, es würde sobald kein anderes wieder wachsen.«

Sie begaben sich durch ein Seitengäßchen über den Kirchhof zum österreichischen Hause, dessen Fenster hell erleuchtet und wo drinnen großes Getöse war. Hans von Rechberg trat hier den Kommenden entgegen; Marquard aber ergriff ihn beim Arm, führte ihn ins Haus zurück und sagte lachend: »Kommt mit uns, Herr Bischof von Basel! Verrichtet Euer geistliches Werk nach Gebühr. Wer soll Schultheiß und Rat absolvieren, wenn Ihr fehlt? Ihr habt das Schwert des heiligen Petrus lange genug geführt, jetzt machet vom Schlüsselamt Gebrauch. Öffnet uns den Aufenthaltsort unserer Gefangenen. Wir wollen ihnen den kürzesten Weg in Abrahams Schoß zeigen.«

Rechberg ging mit ihnen und ein ganzer Haufen von Kriegsleuten schloß sich ihnen an. Sie traten in einen geräumigen, altertümlich geschmückten Saal, von in Wand- und Hängeleuchtern befindlichen zahllosen, kaum erst angezündeten Kerzen erhellt, die zu einem großen Fest und Mahle, vielleicht zur Feier des nahe geglaubten Friedens, bestimmt gewesen sein mochten. Jetzt warfen sie, statt auf eine buntfröhliche Menge heiterer Gäste, ihren Glanz auf entsetzensvolle und entsetzenerregende Gesichter. Beim Eingang standen längs der Wand in ungeordneten Reihen die Edelleute, welche durch Neugier, Schadenfreude oder Blutgier herbeigelockt worden waren; alle in kriegerischer Tracht, halb und ganz geharnischt, in Helmen, Sturmkappen, Panzerhemden, goldgestickten Langröcken und Büffelwämmsern. Einige trugen entblößte Schwerter, andere Streitkolben und Äxte; anderen waren die Kleider von angespritztem Blut besudelt. In allen diesen finstern, bärtigen Gesichtern malten sich auf verschiedene Weise die Leidenschaften, deren Raub sie in diesem Augenblick geworden waren. Die Augen der einen stierten, lechzend vor Mordlust, zu den Gefangenen hinüber; die Geberden anderer verzogen sich zum schadenfrohen, spöttischen Lachen über die halbnackten Gestalten und jammervollen Stellungen derselben. Die Gefangenen auf der entgegengesetzten Saalseite, die achtbarsten Männer des Rates und der Stadt, standen, kaum bekleidet. wie man sie aus den Betten gerissen hatte, ängstlich in einen Winkel zusammengedrängt; einige still betend, oder zusammenschlotternd im Frost der Todesangst, andere wie von ihrem furchtbaren Schicksal betäubt und schon gefühllos, oder um das Los ihrer Hinterlassenen und der unglücklichen Vaterstadt voll männlichen Schmerzes und voll tiefen, schlecht verhehlten Ingrimmes. Nur der mitten unter ihnen befindliche Schultheiß Effinger hatte noch die ruhige Haltung und Würde, mit welcher er an der Spitze des Rates zu stehen gewohnt war,

»Ihr scheint noch wohlgemut, Schultheiß Effinger, Herr zu Urgiz!« rief der Freiherr spöttisch.

Da wandte sich der Schultheiß mit stolzem Ernst zu ihm und sprach: »Thomas von Falkenstein, was habe ich mit Euch zu schaffen?«

»Bei meiner armen Seele! Ich sollte meinen, mehr als Euch lieb wäre,« entgegnete der Freiherr. »Oder Euer alter Kopf hat vergessen, daß ich Euch und Eure ganze Stadt im Sack habe.«

»Gottvergessener Mann!« rief der Greis mit mächtiger Stimme, und die Flamme des edlen Zorns erhöhte das Rot seines Gesichtes. »Möget Ihr Euch der ehrlosesten That rühmen, die je von zuchtlosen Gesellen in der Christenheit vollbracht ist.«

»Schultheiß, es ist Krieg, und durch Kriegslist, die noch keinem Ehrenmann verarget worden, bin ich Euer Herr, und nach Kriegsrecht will ich mit Euch verfahren, Eure Eidgenossen müssen noch mehr als Euch und Euer Städtlein daran wenden, um den Mordtag bei Greifensee zu sühnen.«

»Greifensee ist in ehrlicher, offener Fehde von den Eidgenossen belagert und berannt worden,« erwiderte Schultheiß Effinger, »und hat sich nach schwerem Streite den Siegern auf Gnade und Ungnade ergeben müssen. Ihr aber, Thomas von Falkenstein, überfallet uns feig und diebisch in der Nacht, mitten im Frieden, ohne Absage, überfallet nicht Eure Feinde, sondern Eure treuen Mitbürger und stoßet meuchelmörderisch Eurer Mutter Bern, die Euch gesäugt und gepflegt hat, Euch und Euern Bruder, das Schwert in die Brust.«

»Schweig!« fuhr ihn der Freiherr donnernd an.

»Ihr, Thomas, habt mir nicht zu gebieten,« versetzte mit ruhiger Hoheit der biedere Alte. »Ich bin der Schultheiß dieser Stadt, zu der Ihr meineidig geschworen habet. Meine Stimme ist die Stimme dieser Stadt, die Euch Gutes erwiesen hat, und die Ihr dafür ausraubet; in deren fromme Wohnungen Ihr Jammer und Verderben bringet, nachdem Ihr noch vor drei Tagen der Verkündiger des gottgefälligen Friedenswerkes gewesen seid.«

»Zündet Fackeln an, führet sie alle hinaus!« schrie der Freiherr mit fürchterlicher Stimme. »Alle, alle! Leget ihnen die Köpfe vor die Füße!«

»Irret Euch nicht, Thomas von Falkenstein!« sagte der Schultheiß. »Ihr meinet, die Toten müßten schweigen, aber ihre Zungen reden lauter als die der Lebendigen. Mich alten Mann härmet der Verlust des Lebens nicht. Glanz, Freude und Wohlstand meiner Stadt sind dahin. Meine teuren Brüder sind meuchlings erschlagen, darum hat mein Heimatsrecht hienieden den Wert verloren. Lasset mich's droben suchen. Vor meines Gottes heiligem Thron will ich für die Witwen und Waisen von Brugg beten, deren Vater ich hier nicht mehr bin. Droben darf ich ihr Engel sein.« Er sprach diese Worte mit Wehmut, mit zitternder Stimme.

»Zündet Fackeln an!« schrie Falkenstein von neuem. »Führet die Menschen auf den Kirchhof und thut sie ab!«

Da trat Hans von Rechberg zum Freiherrn und sagte mit ernster Miene: »Was haben Dir die Biederleute Übels gethan? Sie sind wehrlos in unsere Hände gefallen; wir haben kein Recht an ihrem Blute. Dahin hat mein Sinn nicht gestanden. Ich habe Dir zu einem Mummenschanz und Fastnachtsspiel geholfen, nicht aber zu solch einer mörderischen That.«

Ein plötzlicher Lärmen von draußen unterbrach die Rede des Ritters. Mehrere Kriegsleute drängten sich durch die Thür des Saales herein und schrieen: »Machet Euch auf, Ihr Herren! Auf! Es brennt in allen Straßen lichterloh, in allen Dörfern stürmt's. Von Aarau und von Lenzburg her, von Villnachern und von Habsburg wird unzähliges Volk im Anzug gesehen.«

»Hölle und Teufel!« schrie Marquard von Baldegg. »Das ist nicht möglich. Die Thore sind gesperrt; wer konnte hinaus und das Land erwecken?«

»Es müssen sich Leute an Seilen über die Mauern gelassen haben,« riefen andere Stimmen dazwischen.

»Wer hat Euch geheißen, Feuer anzulegen?« schrie Hans von Rechberg aufgebracht.

»Zu den Schiffen, zu den Schiffen! Habt Acht auf die Beute!« brüllten mehrere.

»Ruhig, ruhig!« donnerte Thomas von Falkenstein. »Alle, die Ihr hier seid, führet die Gefangenen aus der Stadt.«

Seine Stimme entschied. Man umringe die Bürger, stieß sie fort und der Freiherr verließ das Haus. Eine schreckliche Helligkeit wurde hinter der Kirche sichtbar, über deren Turm sich stoßweise gelbe Rauchwolken weg drängten. Als er durch die enge Quergasse geschritten war, sah er mit Entsetzen zwischen beiden Thoren an vier, fünf Orten Flammen aus den Fenstern und Dächern schlagen. »Daß die Pestilenz in den verfluchten Leib der Mordbrenner fahre!« schrie er, ballte die Fäuste und sah sich um, die Thäter zu suchen. Hinter ihm stand der Scharfrichter und dessen Knecht, als sein treues Gefolge. »Mir nicht von der Seite, Ihr sollt noch Arbeit haben!« rief er ihnen zu und ging weiter. Erschütterndes Zetergeschrei der Einwohner erscholl in allen Gassen. Männer, Kinder, alte Leute, Kranke und Gesunde stürzten aus den Häusern hervor, durch die Straßen, gegen die verschlossenen Stadtthore und wieder zurück, um andere Ausgänge zu suchen. Mit dem Flammengeprassel und den dicken Rauchwirbeln links und rechts mehrte sich das Durcheinanderrennen, Wehklagen, Heulen und Fluchen des verzweifelten Volkes. Falkenstein selbst stand eine Weile vom Entsetzen ergriffen, unbeweglich da und starrte ohne Entschluß in den Gräuel der Verwüstung hinein. Plötzlich that er einen gewaltigen Sprung zur Seite und fuhr mit der Wut eines Raubtieres einem jungen Kerl ins Genick, der mit Gepäck beladen daher kam. Es war einer der Zigeuner, die er gegen Aarau ausgeschickt hatte.

»Hund, Dich habe ich!« schrie der Freiherr mit zusammengebissenen Zähnen. »Dich habe ich! Bin Dir schuldig für Aarau. In die Hölle, Du Aas, in die Hölle mit Dir!«

Der Zigeuner stieß aus der halb zusammengewürgten Kehle einen gräßlichen, gellenden Schrei, und versuchte sich loszuringen. Der Freiherr aber hielt ihn mit eiserner Gewalt und schrie dem Scharfrichter und dessen Knecht zu: »Nun, Ihr Galgenschwengel, was zögert Ihr? Auf! An den Brunnenpfahl hier, ziehet ihn aus, laßt ihn zappeln!«

Kaum war das Wort von ihm gesprochen, als die beiden das Schlachtopfer mit wunderbarer Behendigkeit zu Boden gerissen, ihm die Füße gebunden, das Seil um den Hals geworfen, und ihn an der Brunnensäule emporgehoben hatten. Im zweiten Augenblick hing der Elende entseelt da.

»Der Gelbfink pfeift nicht wieder,« sagte Meister Hämmerli lachend.

Ein armes Weib, welches hastig und ängstlich vorüberging, erblickte nicht sobald den Erhenkten am Brunnenstock, als sie zurückprallte, dann noch einmal hinzutrat und einen lauten Schrei ausstieß. Sie starrte alle Umstehenden an; als sie aber den Freiherrn gewahr wurde, sprang sie blitzschnell davon. Diese Person war niemand anders, als die alte Zigeunerin Ilsel, die mit unbegreiflicher Geschwindigkeit verschwand und, dem Brunnen gegenüber, auf einer ziemlich hohen Mauer wieder zum Vorschein kam Diese Mauer verband zwei Häuser, aus welchen in diesem Augenblick die Feuersbrunst hervorbrach. Mit kreischender Stimme schrie die Alte unverständliche Worte, indem sie ihre Arme gegen den Leichnam des Erhenkten ausstreckte. Meister Hämmerli und sein Gesell lachten aus vollem Halse über die wunderlichen Geberdungen des Weibes auf der Mauer; auch der Freiherr sah dahin und erkannte die Alte. Wie sie da droben stand, glich sie einer Erscheinung, die dem Abgrund der Hölle entstiegen zu sein schien. In scharfen Umrissen zeichnete sich ihre abenteuerliche Gestalt mit den hin und her flatternden Lumpen auf dem blendenden Hintergrunde der Flammen. Wie lebendige Schlangen um ein Medusenhaupt, so flogen die zottigen Haare ihres Kopfes im Winde hoch auf. Über ihr wölbten sich blasse Rauchsäulen zu einer breiten, dichten Wolke zusammen, aus welcher ein glimmender Feuerregen herniedersank.

»Vermaledeite Hexenbrut! Muß ich Dich hier erblicken!« schrie ihr der Freiherr zu. »Giebt's keine Armbrust, keine Büchse hier? Schießt sogleich Belials Großmutter herunter!« Er rannte einem Unsinnigen gleich, erst im Kreise umher, dann zur Mauer hin, als wollte er sie erklettern oder niederwerfen.

»Mörder! Mörder!« kreischte die Ägypterin. »Meines armen Jungen Mörder! Verflucht seiest Du sieben Mal, Falkenstein! Sieben Mal für jeden Augenblick aller Stunden, welche die Welt steht! Dich zwicke mit Krämpfen die böse Gicht; das Fieber dörre Dir das Mark im Gebein und statt des Schlafes fasse Dich die fallende Sucht! Ich will Dich verfolgen und Dich quälen, wie Aussatz und Pestilenz das Land Pharaos, wie Hornisse den eiternden Gaul! Du sollst unter den Verwünschungen Deiner Freunde leben, und unter dem Hohngelächter Deiner Feinde sterben. Dein Haus soll untergehen und Dein Geschlecht verderben, wie ein Otternnest, von dem niemand weiß, wohin es gekommen ist. Deine Schlösser sollen Rabensteine werden und ihre zerrissenen Türme wie schwarze Brand- und Schandsäulen in die Höhe steigen. Mörder, Mörder! Im Tode sollst Du Deine Geburt verfluchen! Fahre hin! Fahre hin!«

Mit diesen Worten wandte sich die Zigeunerin zurück. Sie schien sich in den Abgrund der Flammen zu stürzen, welche hinter ihr aufflackerten. Von oben herab flog in demselben Augenblick ein brennender Balken dampfend und knisternd auf die Straße, hart neben Falkenstein nieder. Er stand wie betäubt, wie am Abgrund der Hölle. In der Wut hatte er anfangs versucht, das Weib auf der Mauer mit Steinwürfen zu zerschmettern; doch mußte er, ohne Rache nehmen zu können, die Flüche der Ägypterin aus der unerreichbaren Höhe anhören, während ringsum die Gluten brausten, die lodernden Dachgiebel krachend zusammenfielen, die Mauern in der Hitze des Feuers barsten, und nah und fern tausend Rufe des Jammers der Menschen laut wurden. Ihn selbst ergriff in diesem Augenblicke eine Angst, wie er in seinem Leben noch nie gefühlt. Ohne zu wissen, wohin, lief er, der nahenden Gefahr des Todes im Feuer zu entkommen, und befand sich bald beim oberen Thore, wohin er nicht gewollt hatte. Hier umdrängte ihn plötzlich eine Menge erbärmlicher Gestalten von Kindern und Weibern. Das herzzerreißende Geschrei der einen, das klägliche Flehen und Winseln der andern, die Totenfarbe auf allen Gesichtern erschütterte ihn. Er glaubte am Tage des Jüngsten Gerichtes unter lebendig gewordenen Leichnamen zu stehen. Eine betagte Frau, auf dem zitternden Arm ein nacktes, weinendes Kind tragend, schien ihn zu erkennen. Sie warf sich ihm zu Füßen und umfaßte seine Kniee, indem sie um Barmherzigkeit und Rettung schrie. Da warf er ihr den Schlüssel des obern Thores zu, den er bei sich trug, und sprach: »Nimm hin, Du Tier und schließe das Thor auf, daß ihr nicht verbrennet.«

Während die Haufen durch die Pforte ins freie Feld und unter die Linden jenseits der Ringmauern hinausdrängten, andere hingegen wieder in die Stadt zurückliefen, die noch Fehlenden auf den Gassen zusammenzurufen, begab sich der Freiherr mit großen und eilenden Schritten nach dem untern Thore, wo jenseits der Aar die Reisigen sich bei ihren Pferden zum Abzuge sammelten.

Schon war es heller Tag. Die weite schöne Landschaft prangte in ihrem sommerlichen Morgenschmuck, Jeder Hügel glich einem Blumenaltar, jede Wiese einem grünen, bunt durchwirkten Sammetteppich. Aber inmitten der prachtvollen Umgebung stieg die breite, riesenhafte Rauchsäule der brennenden Stadt zum Himmel empor, und das schwermütige Tönen der Sturmglocken in den nahen und entlegenen Dorfschaften scholl wie die Klage des gesamten Landes um den Untergang des geliebten Brugg.

»Vorwärts, vorwärts! Bindet die Schiffe los!« schrie Falkenstein, als er zu den Seinigen kam. »Es ist hohe Zeit für uns, denn das obere Stadtthor ist offen; der Landsturm ziehet schon vom Aargau herunter. Wir können ins Handgemenge kommen, ehe wir's glauben, und von Umiken her im Rücken angefallen werden.«

Rechberg war bei den Schiffen, wo er das Einpacken des ungeheuern Raubes ordnete, der noch am Ufer aufgehäuft lag und in den Fahrzeugen kaum den nötigen Raum fand. Als er alles angeordnet und diejenigen, welche zum Schutze der Beute zurückbleiben mußten, auf die Schiffe verteilt hatte, kam er zurück, als sich der ganze Zug eben gegen das Gebirge in Bewegung gesetzt hatte. Mit düstern, verstörten Mienen ritt Thomas von Falkenstein voran. einige seiner Vertrauten schweigend neben ihm. In dumpfer Stille folgte die geharnischte Vorhut, gleich einem Leichenzuge. Dann kamen die armen Gefangenen, zu Fuß gehend, die Hände auf den Rücken gebunden und rings von Bewaffneten bewacht. Einer der vor ihnen her reitenden Edelleute trug zum Spott das Banner ihrer Stadt. Es war von feinstem Seidenzwillich, darauf das alte Wappen, zwei schwarze Türme mit einer offenen Brücke.

»Herr Schultheiß!« rief der Edelmann, der die Fahne trug und wandte sich mit halbem Leibe auf seinem Rosse zu den Gefangenen um – es war Herr Bentelin von Hemmenhofen. »Das muß sich fürwahr seltsam mit uns treffen. Gedenket Ihr noch des Tages, da ich bei Euch zu Tisch saß und warnte, Ihr solltet's nicht mit Bern und den Eidgenossen halten? Gelt, ich hatte Recht? Ihr aber habet mir damals trotzigerweise widersprochen und gesagt: Es ist leichter, daß unsere Brückentürme an den Bötzberg hinauftanzen, als daß wir von Treu' und Glauben lassen. Gottes Blut! Wer hätte gedacht, daß es so erfüllt werden würde? Schaut her, Herr Schultheiß, wie Euer Banner und Eure Brückentürme bergan tanzen. Ich denke doch, Ihr Herren Brugger, Euer Glaube an die Eidgenossen sei nun wankend geworden.«

Der greise Effinger erhob mit stolzem Unwillen das Antlitz und sprach: »Mögen unsere alten Türme über die Jurafelsen tanzen, unsere Treue tanzt ihnen nach. Überhebet Euch Eures nächtlichen Schelmenstückes nicht zu früh, die Ihr unsere Gastfreunde gewesen seid. Jeder Tag hat seinen Abend, der Himmel seinen rächenden Allmachtsarm und das Gebirge der Eidgenossen noch seine Schweizer.«

»Oho!« rief Bentelin lachend. »Über ein Kleines wird man die Schweizer aus dem letzten Loche pfeifen hören. Mit Stumpf und Stiel muß das Freiheitswesen ausgerottet werden uns der Adel wieder Herr sein in allen Ländern.«

»Das träumte dem Teufel auch, als er samt den gefallenen Engeln den Himmel stürmte, aber Meister wurde er doch nicht,« entgegnete der Schultheiß. »Ihr stoßet viel eher die Sonne vom Firmament, als das Gefühl des ewigen Rechtes aus der Menschenbrust.«

Hier schwieg Herr Effinger. Einer der Kriegsgesellen stieß ihn roherweise vorwärts, gleichwie auch die anderen Gefangenen zum schnelleren Schritt angetrieben wurden. Die Schreckensnacht jedoch hatte die Kräfte der Gefangenen erschöpft. Oft brachen die Kniee zusammen und manche sanken ohnmächtig auf den Rasen an der Landstraße nieder. Hierdurch kam der Zug verschiedene Male ins Stocken. Als er bis in die unbewohnte Gegend der Krepsi gelangt war, ließ Falkenstein halten, bis die Übrigen nachgekommen und wieder versammelt waren. Er fluchte vor Ungeduld und schrie sie an, den Schritt zu verdoppeln. Als die Gefangenen matt und keuchend auf die Wiese traten, rief er: »In die Hölle mit Euch Krüppeln! Ihr hättet wohl Lust, mich zu hindern, heute mein Nachtlager in Laufenburg zu nehmen? Ich will Euch das Eurige zur Stunde geben. Voran, Schultheiß Effinger, Herr von Urgiz; Euch ziemt's, den Reihen anzuführen, und der edle Rat mit den Pfahl- und Spießbürgern folge nach Standesgebühr. Knieet nieder, verrichtet Euern letzten Stoßseufzer insgesamt und schicket Euch zum ewigen Schlafe an. He, Hämmerli! Vor mit den Knechten! Entblöße die Hälse und ziehe das Schwert!«

»Ich bin Deines Erbarmens von Herzen froh,« sagte mit starker Stimme Schultheiß Effinger. »Den Dank für das Verräterstück, böser Wicht, bringe ich Dir in jenem Leben.« Er sprach's und fiel mit beiden Knieen sogleich auf die Erde.

Wie dies Hans von Rechberg sah, der in einiger Entfernung mit den Baldeggern sich unterhielt, sprengte er zum Landgrafen hin und rief: »Was hast Du vor, Thomas? Dürstet Dich zum zweiten Male nach dem Blut dieser unschuldigen Männer?«

»Wäre hier nicht ebenso gut mähen, Rechberg, als auf der Wiese bei Greifensee?« antwortete der Freiherr.

»Falkenstein!« rief Rechberg mit Abscheu. »Du hast Mordes genug an den biederen Leuten begangen. Hättest Du mir vorhergesagt, wie Du zu Brugg Dein Spiel treiben wollest, Du hättest mich nimmer mit Dir dorthin gebracht.«

Der Freiherr runzelte die Stirn.

»Laß den Schächern das nackte Leben,« sagte Graf Jörg von Sulz zu ihm. »Kannst sie den Armagnaken zu Knechten in ferne Länder verkaufen.«

Indem sah man einen Reiter mit verhängtem Zügel längs dem Eichenwalde von Brugg her heranjagen. Nach einigen Minuten und sobald er näher kam, rief er schon von weitem: »Aufgebrochen! Was säumt Ihr? Aufgebrochen!« Es war einer von denen, die zur Hut der Schiffe zurückgeblieben waren.

»Was giebts?« fragten alle und drängten sich um ihn zusammen.

»Zuletzt, Ihr Herren,« rief der Ritter, »behalten wir nur die schlechte Ehre, Mordbrenner zu sein, und der Teufel reißt uns die ganze Beute wieder aus den Zähnen. Die Trüllerey, die Luternau, Sägisser und der ganze Landsturm vom Aargau dringen durch die brennende Stadt heran.«

»He, die Trüllerey? Ist der Gangolf dabei?« brüllte der Freiherr von Falkenstein mit der Geberde eines Besessenen.

»Ich sah ihn selbst; er ist allen voran. Mir setzte er nach, aber sein lahmer Gaul blieb tausend Schritte hinter meinem Pferde zurück,« sagte der Reiter.

»Schwert aus der Scheide!« schrie der Freiherr mit so schrecklicher Stimme, daß der weite Wald davon hallte. »Wir müssen alle zurück, es gilt unsere Beute und Ehre.«

»Halt! rief der Ritter. »Wir sind zu schwach und rennen gewissem Verderben in den Rachen. Die ganze Grafschaft Lenzburg ist im Anzuge. Hinter Brugg, auf den Rütinen, erscheint alles schwarz von bewaffnetem Volk. Sie stellen uns zwanzig Leute gegen einen. Die Unsrigen flüchten, so gut sie können, in die Schiffe.«

»Keine Unbesonnenheit, Falkenstein!« sagte der Herr von Rechberg. »Wir wollen den Spaß nicht allzu teuer bezahlen. Ziehe mit der Harst und den Gefangenen über den Berg; ich kehre mit einigen Rotten der Nachhut nach Brugg um, daß den Schiffen geholfen werde, oder daß ich unsern Rückzug ins Frickthal schütze. Vor Nacht bin ich wieder bei Dir.«

Der Landgraf, welcher vor Grimm mit den Zähnen knirschte, als alle Ritter, trotz seines Wütens, dem Rate Rechbergs beipflichteten, mußte dem Willen der Menge nachgeben und den Weg gegen die Berge fortsetzen. Rechberg aber, mit etwa Fünfzigen aus der Nachhut, wandte sich gegen die Stadt zurück. Mit großer Behutsamkeit nahte er derselben, sich so viel als möglich in den Gebüschen haltend, bis er zur letzten Höhe kam, wo er rechts unter seinen Füßen die eingeäscherten Wohnungen von Brugg noch rauchen, links den Landungsplatz der Schiffe übersah. Die Ufer wimmelten von bewaffnetem Volke; unter demselben mehrere Ritter zu Pferde, welche sehr beschäftigt schienen, Anordnungen zu machen. In der Ferne schwammen einige wohlbemannte, mit Beute beladene Schiffe den Strom der Aar langsam hinab; es mochten die letzten sein, denen die Abfahrt gelungen war. Einige kleinere Fahrzeuge, die man bei der Flucht im Stich gelassen und aus welchen der Raub wieder ans Land getragen wurde, lagen noch am Ufer.

Obwohl Rechberg seine Leute hinter Gebüschen vorsichtig versteckt hielt und nur mit Wenigen vorgetreten war, schien er doch bald entdeckt worden zu sein; denn er sah, wie die bewaffneten Haufen am Ufer plötzlich auseinander gingen, einer derselben abwärts in der Richtung gegen die Stilli, ein anderer gegen die Stadt, ein dritter in gerader Richtung nach der Anhöhe zog, auf welcher er selbst stand. Ein Rittersmann führte den letzten Haufen, der kaum zwanzig Bewaffnete stark sein mochte, bis zum Fuße des Hügels. Da sprang der Führer vom Pferde, zog das Schwert und kletterte an der Spitze der Übrigen rasch hinauf. Rechberg erkannte ihn, schwang sich aufs Roß und rief lachend: »Setzt Euch meinetwegen nicht außer Atem, Herr Gangolf Trüllerey! Wir sehen einander schon zu gelegener Zeit. Eilet lieber jetzt und helfet den Bruggern löschen.«

»Ja, ja, mit Eurem meineidigen Blute, Herr von Rechberg!« schrie ihm Herr Gangolf zu. »Wenn Ihr anders ein so tapferer Mann, als ein guter Mordbrenner seid, werdet Ihr mich stehenden Fußes erwarten.«

»Ich hätte die beste Lust, Euer ungewaschenes Maul zu . . .« Hier wurde Rechberg von einem seiner Leute durch die Anzeige unterbrochen, daß sich hinter ihnen eine starke Schar Aargauer bewege.

»Auf Wiedersehen!« rief Herr von Rechberg dem Gegner zu, wandte sein Pferd und verschwand eiligst vom Hügel.

Gangolf erreichte atemlos, doch zu spät, die Höhe. Rechbergs Reiter waren schon weit dahin gejagt, unerreichbar für die verschiedenen Haufen Fußvolks, die im vollen Lauf und von allen Seiten auf diesen Punkt kampflustig zusammenströmten. Nichtsdestoweniger machte sich noch ein großer Teil auf, um die Flüchtlinge bis zum Rücken des Gebirges zu verfolgen. Gangolfs und der übrigen Aufmerksamkeit wurde indessen durch das laute und verworrene Geschrei einer Menge Volkes nach jener Richtung gelenkt, wo sie auf der Landstraße von der Stilli nach Brugg drei Reiter umringten und entwaffnen wollten. Gangolf eilte herab, warf sich auf sein Pferd und drängte sich durch den wogenden, lärmenden Schwarm zum Mittelpunkte desselben, in dem Augenblicke, wo man die Reisigen von den Pferden riß und das Gebrüll der wilden Haufen ertönte: »Nieder mit den Falkensteinen! Nieder mit den Mordbrennern!«

Gangolf erschrak. Er erkannte seinen betagten Vater, dessen treuen Diener Hemman und den Meister Isenhofer von Waldshut. Er brach sich Bahn zu ihnen und rief. »Laßt diese Ehrenmänner unangetastet. Der dort ist mein Vater!« Damit sprang er vom Sattel, half Herrn Rüdiger vom Erdboden auf und hob ihn mit Freude und Ehrerbietung wieder aufs Pferd. Der Kreis der Bauern erweiterte sich, indem sie zurücktraten, Isenhofer streckte dem Junker freundlich die Hand entgegen, und der alte Hemman dankte dem Sohne seines Gebieters tausendmal für die Rettung.

»Ohne Eure Dazwischenkunft,« sagte Isenhofer, »hätten uns diese harthörigen Biedermänner in bester Absicht zerrissen. Mochten wir auch aus Leibeskräften wie Herolde schreien und unsere Namen verkünden: die Kerle schrieen tausendmal ärger, als wären sie Kehle von oben bis unten.«

Die Anführer des Landvolks entschuldigten den Irrtum ihrer Leute mit vielen höflichen Worten, die man ihnen gern erließ. Die Ritter verließen das Gewühl und begaben sich seitwärts der Stadt, am Wege von Umiken, in den Schatten hoher Nußbäume. Hier berichtete Gangolf seinem Vater und dem Dichter, so viel ihm selbst von der Mordnacht zu Brugg und deren Urhebern bekannt war, und erfuhr zugleich, daß sein Vater, in Begleitung Isenhofers, auf dem Wege nach Aarau begriffen sei, wo er in den nächsten Tagen einen alten Bekannten zuversichtlich erwarte. Nachdem man sich gegenseitig von allem, was jedem am meisten am Herzen lag, vorläufige Mitteilung gemacht hatte, ritt Herr Rüdiger mit seinen Begleitern, auf Rat seines Sohnes, am linken Ufer des Stromes zum Dörfchen Umiken voraus, weil in diesem Augenblick schwer durch die Stadt zu kommen war, wo die Menge zu Hilfe geeilter Menschen mit Löschen und Aufräumen beschäftigt war. Gangolf verhieß ihnen nachzukommen, sobald er nähere Erkundigungen über die traurige Begebenheit eingezogen und mancherlei Abreden mit vertrauten und wackeren Männern genommen haben würde, um die durch Falkenstein verübten Greuel zu rächen.

Welche angenehmen Gefühle das überraschende Begegnen seines Vaters und dessen unerwartete Heimkehr zum Turm Rore in ihm auch erregt haben mochten, so vergaß er doch bald alles wieder über das große und rührende Schauspiel, welches sich ihm darbot, als er zur unglückseligen Stadt zurückkam. Der ganze Aargau war in edelmütiger Bewegung für dieselbe. Man sah, so wie in der Nähe auch in weiter Ferne, an allen Landstraßen und Wegen einzelne Menschen, Lasttiere, Wagen mit schnell gesammelten Unterstützungen für die Hilfsbedürftigen herbeieilen. Es kamen Fuhren von Mehl, schon gebackenen Broten und allerlei trockenen Früchten und anderen Lebensmitteln, einige mit Wein beladen, wieder andere hochaufgetürmt mit Kleidern für jedes Geschlecht und jedes Alter befrachtet, als hätten sich ganze Dorfschaften entblößt, um hier die Nackten zu kleiden. Die Botschaft vom Unglück war durch Läufer fast ebenso schnell von Dorf zu Dorf verbreitet worden, als durch die aufgestiegene Flammensäule.

Man bemerkte es, das Volk war in einer heftigen, sehr gereizten Stimmung. Es kostete Gangolf, der durch die Haufen umherging und bald diesen, bald jenen anredete, nicht geringe Mühe, sich verständlich zu machen und für sein Vorhaben eine hinreichende Zahl entschlossener Männer zu finden. »Wer setzt mit mir das Leben daran,« rief er, »für Brugg an dem Falkenstein und seinen Gesellen Rache zu nehmen?« Mehrmals erhielt er von den mißtrauischen Rotten die Antwort: »Wir können es daran setzen ohne Euch, Junker! Wir sind Manns genug, die Edelleute mit den Kolben zu treffen, ohne Euren Rat. Ihr seid ein adeliger Herr, nehmt's nicht übel; Raben hacken einander die Augen nicht aus, wie das Sprüchwort sagt.« Doch andere, die ihn näher kannten, schlossen sich ihm an und nahmen die Redlichkeit seiner Gesinnung gegen die Trotzreden der übrigen in Schutz. Der Durst nach Rache quälte sie alle in gleichem Maße. Es stellten sich einige hundert Mann aus den Grafschaften Lenzburg und Baden, welche mit Spießen, Büchsen und Armbrüsten bewaffnet waren, unter seinen Befehl. Sie verhießen, des andere Tages sich bei Aarau zu sammeln und ihm zu folgen, wohin er sie führen würde.

Als diese in ihre Dorfschaften zurückkehrten, um ihre Vorbereitungen zur Kriegsfahrt zu treffen, verließ auch Gangolf die große, grausige Brandstätte, suchte seinen Vater und den Meister Isenhofer zu Umiken auf und ritt mit ihnen nach Aarau. Den weiten Bogen, in welchem der unebene Weg sich längs dem Gebirge von Villnachern und Schinznach bis nach Veltheims Wäldern herumzieht, verkürzten Gespräche über die Vorfälle des Tages, über Herrn Rüdigers Reise und die Erwartung von der Ankunft seines geheimnisvollen Gastes, sowie über die einförmige Erzählung dessen, was im Freihofe, was in der Stadt, während Herrn Rüdigers Abwesenheit, sich zugetragen hatte. Sobald indessen dieser Stoff erschöpft war, verfiel der Alte wieder in sein gewohntes finsteres Schweigen. Auch Gangolf verstummte und wurde bald verdrießlicher, als sein schwermütiger Vater. Er dachte an Veronika, die mit ihrem Vater und der Bäuerin von der Hard verschwunden war, und von welchen er, alles Nachforschens ungeachtet, seither keine Spur entdeckt hatte. Die Hütte stand leer. Niemand in der Gegend wußte etwas von dem Verbleib der Einsiedler zu sagen. Es gingen Gerüchte um, von der Abergläubigkeit und Ketzerei des Lollhard und von den Schrecken, welche die göttliche Rache in der Gewitternacht verbreitet hatte.

Die Reisenden zogen, ohne weitere Abenteuer, während der Abenddämmerung, durch die dunkle Waldung Auensteins zum felsigen Biberstein am Fuße der Gisliflue, und längs dem Ufer der ihnen entgegenrauschenden Aar in die Pforten des Freihofs ein.


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