Heinrich Zschokke
Der Freihof von Aarau
Heinrich Zschokke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4.
Die Begutte.

Es hatte aufgehört zu regnen. Hin und wieder zerteilte sich das einförmige Grau des Himmels und ließ das reinste Blau sichtbar werden. Einzelne Buchfinken, diese fröhlichen Herolde des Frühlings, sangen in den Zweigen des Gebüsches ihre heitern Triller, die erwidernd aus der Ferne zurückgesungen wurden,

Während die Reisenden zwischen den hohen Ufern der geschwollenen Aar hinüberschwammen, beobachteten sie, mit sich selbst beschäftigt, gegenseitiges Schweigen. Der Lollhard hielt den Esel, auf dessen Sattel die daneben stehende Begutte ihre gefalteten Hände und Arme ruhen ließ und ihr verhülltes Antlitz niedersenkte. Herr Gangolf warf den vom Regen schweren Mantel ab, befestigte ihn auf dem Rücken seines Pferdes und stand dann, einen Fuß über den andern geschlagen, in Gedanken vertieft, an sein treues Tier gelehnt.

Er dachte noch an die letzten Worte des Herrn von Baldegg, die ihn sehr beunruhigten, weil ihr Sinn ihm kein Rätsel bleiben konnte. Marquard nämlich war dem reichen und mächtigen Geschlecht der Freiherren von Falkenstein verwandt und galt bei ihnen viel, wegen des Altertums seines Hauses; wegen geleisteter Freundschaftsdienste; wegen der Gleichheit seiner Gesinnungen mit den ihrigen und wegen seines aufgeweckten Wesens. Aber auch Ritter Gangolf Trüllerey war nahe daran, in die Verwandtschaft der Falkensteine zu treten, denn die reizende Ursula, Tochter des Herrn Hans von Falkenstein, war seine anverlobte Braut und die Vermählungsfeierlichkeit auf die Zeit festgesetzt, wo der Friede zwischen Zürich und Österreich einerseits und den Eidgenossen andererseits besiegelt sein würde. Gangolf hätte vielleicht auf die Hand der reichsten Erbin im Aargau keinen Anspruch wagen dürfen, da ihn, obschon altadeligen Herkommens, weder der Glanz seines Geschlechts, noch der Reichtum seines Hauses besonders begünstigten, aber die besondere Huld des Markgrafen Wilhelm von Hochberg, welcher für seinen Liebling selber Brautwerber beim Freiherrn von Falkenstein gewesen war, als auch die Neigung des Fräuleins, hatten alle Hindernisse besiegt. Der junge Mann liebte die schöne Braut mit aller Zärtlichkeit, welche ihre Anmut verdiente und die seinem warmen Blute natürlich war. Wiewohl diese Verbindung ursprünglich weniger das Werk der Liebe, als das des Markgrafen von Hochberg gewesen sein mochte, hatten die Herzen doch nachher gern gebilligt, was Klugheit und persönliche Vorliebe des kaiserlichen Statthalters der vordern Lande mit dem Vater der Braut, Hansen von Falkenstein, festgestellt.

Diese Verhältnisse dürfen dem Leser nicht unbekannt sein, um sich Gangolfs stilles und finsteres Benehmen, seit seinem Zusammentreffen mit dem Herrn von Baldegg, zu erklären. Schon die erste Botschaft, welche er von demselben vernahm, daß sich zu Baden alle Friedensunterhandlungen zwischen Zürich und den Eidgenossen zerschlagen hätten, vernichtete einen großen Teil seiner Hoffnungen. Mit der Gewißheit vom nahen Wiederausbruche des Krieges hatte er auch die Gewißheit von dem längeren Aufschube seiner Vermählung. Eine Aussicht, wie diese, ist nichts weniger als angenehm für einen Bräutigam, der in seinen Träumen die Geliebte schon hundertmal, als Neuvermählte, in die väterliche Burg eingeführt hat. Nun lagen noch blutige Schlachtfelder, kühne Stürme auf die Mauern fester Schlösser, Schlingen und Netze eifersüchtiger Nebenbuhler und zahllose Möglichkeiten von Trennung durch Gewalt oder Untreue zwischen ihm und dem Traualtar.

Die Fähre landete unterdessen am andern Ufer der Aar, unter den Hütten der Stilli. Gangolf warf den Schiffsleuten den Fährlohn hin für sich und die Begharden. Der alte Lollhard bemerkte diese Freigebigkeit, verbeugte sich und sagte: »Edler Herr! Ihr habt mir und meiner Tochter schon mehr als Fährgeld erspart; Gott lohne Eure Großmut!« Am Ufer hob derselbe dann die verhüllte Tochter auf den Sattel des Esels, auf welchem sie bequem und sicher saß. Der Alte ging mit langem Stabe neben dem Tiere her. Gangolf ritt langsam mit ihnen, den vom Ufer emporsteigenden Weg zum Dorfe hinauf, die Straße gen Brugg. Der Himmel erheiterte sich vollends und bald kamen sie unter den Felsen unweit der Kirche von Rain vorüber. Als der Lollhard bemerkte, daß Herr Gangolf den Lauf seines mutigen Pferdes nur zurückhielt, um sie zu begleiten, sprach er: »Wenn ich glauben darf, daß Ihr unsertwegen zögert, so bitte ich, lasset dem Roß die Zügel fahren; Veronika und ich reisen in Gottes sicherm Geleit!«

»Wenn Ihr mich nicht vorher verlasset, so verlasse ich Euch nicht bis zur Stadt,« antwortete Gangolf kurz, und verfolgte seinen bisherigen langsamen Schritt.

Indessen die träge Fortsetzung der Reise wurde selbst dem jungen Ritter ein wenig langweilig; es wurde ihm auch das fruchtlose Brüten über seine Grillen zuwider. Sich zu zerstreuen, warf er den Blick links, auf die weite Gegend hin, jenseits der Aar, auf die spiegelnden Wellen der Limmat und der Reuß, die beide aus fernen, weitgetrennten Quellen der Alpen sich hier zusammenfinden, um ihr Leben in dem des mächtigen Aarstroms aufzulösen. Dann, um seine Begleiter, die er bisher keines Blickes gewürdigt hatte, kennen zu lernen, wandte er den Kopf auf die andere Seite.

Mehr als der Alte, welcher mit gesenktem Haupte rasch vorwärts schritt und die Lippen bewegte, als wenn er still für sich betete, zog die Begutte seine Aufmerksamkeit auf sich, eben darum vielleicht, weil ihre Verhüllung seine Neugier mehr erregte. Sie saß, gegen ihn gerichtet, quer auf dem Sattel, den einen Fuß im eisernen Steigbügel, den andern frei hängen lassend. So viel unter dem Saum des faltenreichen Gewandes von den Füßen sichtbar wurde, ließ sich die niedliche Form derselben und ein noch sehr jugendliches Alter der frommen Reiterin ahnen. Damit schien auch die blendende Weiße und die Feinheit des Kinnes übereinzustimmen, in welchem ein zartes Grübchen unverkennbar blieb. Gangolf, welcher keinen andern Zeitvertreib hatte, verwandte kein Auge von dem Grübchen in diesem Schneehügel und bedauerte beinahe heimlich, daß seine Braut des kleinen Reizes entbehre. Da das Kleid dicht unterm Kinn zusammengeheftet war, so blieb der Weide seiner Augen nur ein kleiner Spielraum. Nichtsdestoweniger richtete er von Zeit zu Zeit den Blick dahin, in der Hoffnung, durch eine vielleicht vom Luftzuge veranlaßte günstige Bewegung des herabhängenden Tuches fernere Entdeckungen zu machen und die Lippen seiner verschleierten Begleiterin zu erblicken. Aber die Luft blieb still, und unbeweglich der Vorhang.

Schon einige Male hatte er sich vorgenommen, die stumme Reiterin anzusprechen; aber immer wieder, er selbst wußte nicht warum, hielt er seine Worte zurück. Plötzlich wandte sich die Begutte mit dem Kopf nach der entgegengesetzten Seite, wo der Lollhard auf der unebenen, durchweichten Landstraße trockene Stellen für seine Schritte suchte.

»Du bist müde, Vater; laß mich absteigen und ruhe Du!«

Sie hielt wirklich den Esel an, um abzusteigen; aber Gangolf war im gleichen Augenblick schon vom Pferde und führte sein Roß dem Alten zu.

»Nehmt meinen Platz ein,« sagte er zu dem Lollhard, »denn wer, wie ich, den ganzen Tag auf dem Gaul sitzt, findet Erholung, wenn er sich seiner Beine einmal wieder bedienen kann.«

Der Lollhard, welcher seine Müdigkeit nicht verleugnete, zeigte bei Gangolfs Antrage keineswegs jene Verlegenheit, die der Niedrige gewöhnlich bei der Herablassung und Güte empfindet, mit welcher ihn der Große überrascht, sondern nur ein freundliches Erstaunen über diesen Beweis von Leutseligkeit, die damals eben nicht zu den Tugenden der stolzen Ritterschaft gehörte. Er dankte, schwang sich ohne Mühe aufs Pferd, und seine Haltung und sein Anstand verrieten, daß er hier nicht an ungewohnter Stelle sei.

Gangolf ging nun zwischen beiden. So oft es ihm der Weg gestattete, warf er den Blick seitwärts, um aus seinem veränderten und günstigen Standpunkte unter der Kopfbedeckung der Jungfrau die Form des Mundes zu entdecken, der vorhin mit so vielem Wohllaut geredet hatte.

Der Lollhard seinerseits, nun er der Beschwerlichkeit des Fußwanderns überhoben war, überließ sich wohlgemut der Betrachtung der umherliegenden Gegend. Er warf noch einmal den Blick auf den Punkt zurück, wo die Gewässer der Aar, Limmat und Reuß zusammenfallen und sprach: »So löset sich mir das Rätsel, weswillen die Burg der Freudenau in so unbequemer Lage, so hart an die Aar, hingebaut worden sein mag: es galt dem Erbauer, Meister der Überfahrt zu sein, die nirgends als da stattfinden konnte, wo der Strom fast unbeweglich zwischen unveränderlichen Ufern breit und ruhig dahingleitet, nachdem er Reuß und Limmat in sich aufgenommen. Welch großes, herrliches Schauspiel gewähret diese Landschaft. Blicke auf, Veronika, und siehe die ewige Herrlichkeit Gottes!«

Veronika hatte das Tuch von ihrem Antlitz zurückgeschlagen und ließ die hellen, trunkenen Augen durch die Umgegend schweifen. Sie öffnete endlich die rosigen Lippen und sagte: »Welch eine unendliche Schönheit! Sieh' doch diesen Glanz in den Nebeln, dies Goldgrün unter den finstern Wäldern! Es ist das Lächeln eines Weinenden.« Und indem sie dies sagte, merkte sie selber nicht, daß die Rührung des Entzückens ihre blauen Augen mit einer Thräne schmückte. Gangolf verstand nichts von allem, was sie sonst noch zu ihrem Vater sagte. Ihre ersten Worte allein klangen ihm in der Seele fort: Welch eine unendliche Schönheit inmitten der winterlichen Natur!

Bei der Langsamkeit, mit welcher man die Reise fortsetzte, trat die Nacht ein, ehe die Stadt erreicht war. Während das geschlossene Thor der Ringmauer geöffnet wurde, stieg der Lollhard auf der Brücke vom Pferde und leitete es in die Stadt, die steile Straße hinauf, bis an das Thor der Herberge. Hier hob Gangolf die Begutte, deren Antlitz wieder vom Tuche bedeckt war, mit ritterlicher Höflichkeit vom Sattel des Esels. »Der Himmel lohne Euch, edler Herr, was Ihr uns armen Leuten heut gethan!« sagte sie mit halblauter Stimme. Auch der Lollhard kam herbei, seine Erkenntlichkeitsbezeugungen zu wiederholen. Gangolf aber wünschte beiden gute Ruhe und folgte schnell den Knechten, die ihm, mit brennenden Kerzen leuchtend, ins Haus voranschritten.

5.
Der Schultheiß von Brugg.

Der junge Rittersmann erwachte am andern Morgen später als er selbst gewollt, und kleidete sich mit größerer Sorgfalt, um vor den Augen der Braut nicht mißfällig zu erscheinen. Sein Barett umwehten weiß und rot gekräuselte Federn; das Wamms, mit Goldstickerei an den Nähten, war um Hals, Brust und am Saum der faltenreichen Schöße mit kostbarem Pelzwerk verbrämt. Selbst die Ränder der weiten Stulpen an den Stiefeln, die nur bis zur halben Wade reichten, sah man mit Goldschnur besetzt. Das große Schwert hing an der Hüfte, nicht nur vom Leibgürtel, sondern auch vom breiten Gehäng über die Achsel gehalten, sowohl des besseren Aussehens wegen, als auch, daß die lange Klinge bequemer zu tragen sei.

Von den Wirtsleuten, die ihn, als er sich zum Schultheißen begeben wollte, ehrerbietig zur Hausthür begleiteten, vernahm er, daß die Begharden bei Anbruch des Tages wieder abgereist wären. Da gedachte er, nicht ohne stille Bewunderung, der schönen Reisegefährtin, doch bald war diese vergessen, als er nach wenigen Schritten das Haus des Schultheißen Ludwig Effinger erreichte, wo er Ursula von Falkenstein, seine Braut, zu finden erwartete.

Der Schultheiß, ein achtbarer Greis, saß im halbdunkeln Zimmer und las emsig und so gedankenvoll in einem vor ihm aufgeschlagenen dicken Buche, daß er sich nach dem Eintretenden nicht umsah. Den Tisch vor ihm, welchen viele Schriften und Pergamentbriefe mit großen daranhängenden Siegeln bedeckten, so wie ihn selbst, beleuchtete der durch die runden Scheiben des kleinen Fensters fallende Sonnenstrahl. Er war ein ehrwürdiger, frisch aussehender alter Herr, den das Gewicht der Jahre nicht beugen zu können schien. Über sein volles, rötliches Gesicht scheitelte sich das schneeweiße Haupthaar zu beiden Seiten, bis auf die Achseln, wo das einfache, schwarze Kleid von einem breiten, gefalteten Kragen aus den feinsten Linnen bedeckt war. Sobald der Schultheiß den Gast erkannte, erhob er sich freundlich, hieß ihn mit treuherzigem Händedruck willkommen, fragte um Wohlbefinden, um woher? und wohin? und befahl, zur Thür hinausrufend, daß man Erfrischungen bringe.

»Ihr trefft zur glücklichen Stunde ein, lieber Herr und Freund,« sagte er, »denn Jungfrau Ursula ist in unserer Stadt. Zwar hat sie mir das Leid angethan, nicht vor meinem Hause abzusteigen, doch wird sie heute mit uns zu Mittag speisen, und Ihr, versteht sich, seid von Herzen eingeladen.«

Nun erfuhr Gangolf, daß seine liebenswürdige Verlobte nur noch zwei Tage in der Stadt verweilen, dann zu ihrem Vater, Hans von Falkenstein, nach Seckingen reisen werde, daß sie, einige weibliche Bediente ungerechnet, einen Ritter Bentelin von Hemmenhofen und einen lustigen Gesellen von Waldshut, Namens Isenhofer, zur Begleitung habe, der kurzweilige Verse mache, aber ein Erzfeind der Eidgenossen sei.

»Dieser Isenhofer gefällt mir nicht!« sagte der Schultheiß. »Er ist ein Witzjäger, ohne Verstand. ein unbesonnener Schwindelkopf, der zu nichts rechtem taugt und da gern Feuer anbläst, wo er löschen sollte. Ich wollte, die Herren von Falkenstein duldeten ihn nicht um sich. Er regt gegen die Schweizer auf, wohin er kommt; das wäre jetzt am wenigsten nötig, wo die Zusammenkunft in Baden einen so üblen Ausgang genommen hat.«

Während eine Magd auf silbernem Teller in vergoldeten Bechern Malvasier, auch geröstete Brotschnitte und Backwerk aller Art zum Frühstück auftrug, wurde die letztberührte Begebenheit, das Anrücken der Armagnaken, die Stärke und Absicht des französischen Heeres, der Anspruch Friedrichs auf sein Recht im Aargau und andere Ereignisse dieser Tage besprochen. Lieber wäre der Bräutigam seiner Sehnsucht gefolgt und zur Verlobten hingeeilt, hätte ihn nicht der Schultheiß in ein Gespräch verflochten, welches seine ganze Aufmerksamkeit fesselte.

»Ich war erst unlängst im Freihof zu Aarau,« sagte der Schultheiß, »um mit Euerm Herrn Vater und seinen Freunden im dortigen Stadtrate vorläufige Abrede über das Verhalten unserer Städte beim Wiederausbruch des Krieges zu nehmen. Aber ich darfs Euch nicht verhehlen, ich erkannte Herrn Rüdiger, Euern Vater, meinen alten Freund, kaum wieder. Von Landessachen war nicht mit ihm zu plaudern. Ihr werdet ihn sehr verändert finden, lieber Herr und Freund, da Ihr ihn seit Eurer Reise zum König von Frankreich nicht gesehen habt.«

»Mein Vater?« sagte Gangolf bestürzt.

»Er ist hingeschwunden zu einem Schatten,« fuhr der Schultheiß fort: »Es scheint, ein unheilbarer Trübsinn verfinstert sein Gemüt und zehrt den Rest seiner Kräfte auf. Er teilt sich andern wenig mit, spricht viel für sich selber, ist oft ganze Tage im obern Gemach des Turmes Rore verschlossen, ja oft ganze Nächte, und man liest die Gleichgültigkeit, mit der er alle Vorgänge ansieht, in seinen Augen.«

»Ihr machet mich bange!« rief Gangolf. »Was ist ihm begegnet?«

»Eine schleichende Krankheit,« erwiderte der Schultheiß, »die ihren Sitz in der Leber hat, sagt der Arzt. Was weiß ich's? Gar nahe Gefahr ist wohl nicht da, doch solltet Ihr Euch auf alles bereit halten. Darum ist mirs lieb, Euch zu sprechen; denn ich meine, Ihr solltet bei Eurem Vater verbleiben und nicht weiter mit dem österreichischen Adel und im Dienste des Markgrafen umherziehen.«

»Herr Schultheiß,« versetzte der junge Ritter, »Euch ist wohl bekannt, daß unser Haus durch mancherlei Schicksal von seinem alten Wohlstande gekommen ist. Ich bin ein junger Gesell, zum Kriegshandwerk geboren und erzogen, und muß meinem Glück unter fürstlichen Fahnen und an großen Höfen nachjagen. Sitze ich daheim, im alten Turme von Rore, fragt niemand nach mir. Kaiserliche und königliche Gnadenbriefe wirft man keinem zum Fenster herein und die Göttin Fortuna ist aller Welt zu lieb, als daß sie im Freihof zu Aarau Schutz suchen müßte.«

»Ihr wollet Euch jedoch erinnern, Herr und Freund,« sprach Herr Effinger, »daß der Thurm Rore mit Zinsen, Zehenden und Gefällen ein Lehen der Stadt Bern ist, welches sie, kraft obrigkeitlicher und lehensherrlicher Macht, Euch entziehen könnte, so Ihr es mit den Österreichern und feindlich gegen sie hieltet. Es scheint mir, man solle die Taube nicht aus der Hand fliegen lassen, bevor die Wildgans geschossen ist. Wenn Ihr nun den Freihof verlöret?«

»Mir will der Markgraf von Hochberg wohl,« antwortete Gangolf; »er steht beim Kaiser in hohem Ansehen. Auch wird mich Hans von Falkenstein nicht fallen lassen, dessen Tochtermann ich werde.«

»Lieber Herr und Freund,« entgegnete kopfschüttelnd der Schultheiß, »vertrauet heutigen Tages nicht auf Fürstenschwur und Edelmannswort, denn beide sind mit Luft auf Luft geschrieben. Freiherr Hans braucht für sein Wohlleben mehr, als er vielleicht am Ende selbst besitzt. Schon hat er Farnsburg verpfändet; fragt in Seckingen, wo er mit der Hagenbach lustige Tage gelebt, ob von dem Gelde noch etwas übrig sei? – Auch Österreich, welches den Aargau feierlich abgetreten hat, spricht wieder von Rechten darauf. Ihr spielet ein verwegenes Spiel, lieber Herr, dafür Euch die einen schlecht lohnen und die andern übel danken werden.«

»Wird Bern unparteiisch zwischen Zürich und den Eidgenossen bleiben?« fragte Gangolf.

»Dort liegt des Schultheißen von Erlach Brief; er zweifelt.«

»So müssen Adel und Städte mit uns zusammenhalten und den Ausgang ruhig erwarten!« rief Gangolf.

»Ihr träumet,« entgegnete der Schultheiß, »Pech und Wasser halten besser zusammen, als Adel und Bürger. Dem Adel jucken die Fäuste; er möchte lieber heute als morgen den Tanz beginnen.«

»Um sich von der Hoheit der Stadt Bern zu lösen. Ich verdenk's ihm nicht,« sagte Herr Trüllerey. »Es scheint ihm anständiger, Vasall eines großen Königs, als eines hochmütigen Reichsstädtchens zu sein. Der Adel kann unter dem Machtgebote von Handwerkszünften nicht gedeihen; er muß an den Höfen der Fürsten in Verdienst und Glanz blühen, oder verderben. Aber laufen denn unsere Aargauer Städte unter Bern nicht ebenfalls Gefahr?«

»Und was folgert Ihr daraus, Herr Gangolf?« fragte der Schultheiß ernst.

»Das,« erwiderte jener lebhaft, »wofür ich mein alles in die Schanze schlagen möchte. Warum kann der Aargau kein unabhängiger, freier Stand sein, mit den übrigen Eidgenossen in gleicher Würde, des Hauses Österreich oder Berns Rechte vorbehalten? Heute stehen wir wieder, wie vor dreißig Jahren, als Bern unser schönes Land überrumpelte, besetzte und zur Beute machte, zwischen Österreich und dem Schweizerland. Was damals ungeschehen blieb, ist heute nachzuholen.«

»Genau, lieber Herr, stehen wir noch wie damals,« sagte Effinger, »als Städte und Edelleute gen Sursee ritten und nicht eins werden konnten. Der Adel will herrschen und großthun, glaubt sich dazu geboren und mag mit den Stadtbürgern nicht gemeinsames Werk haben. Unsere Städte aber befeinden sich ebenfalls thörichter Weise selbst unter einander. Es fehlt am besten Kitt unter uns, der heißt zu deutsch: Gemeinsinn, Patriotismus. Darum erlagen wir vor dreißig Jahren. Heute wäre dasselbe Beginnen eitel und noch dazu sträflicher; wir wären Aufrührer, weil wir uns selber, und nicht durch fremde Gewalt, von der rechtmäßigen Obrigkeit löseten. Und wir haben unseren gnädigen Herren von Bern Huldigung geleistet!«

»Huldigung?« rief Gangolf mit Aufwallung. »Ja, als wir, die wir vor dreißig Jahren wehrlos waren, überfallen und übermannt wurden. So auch muß der Sklave huldigen, wenn ein neuer Herr ihn kauft. Aarau wollte schon damals widerstehen oder untergehen: es war noch Mut und Geist in dieser Gemeinde. Die Bürgerschaft unterwarf sich freilich, als sie, von Bern und Solothurn schwer bedrängt, innerhalb ihrer zerfallenden Mauern ohne Trost und Hilfe gelassen wurde. Gewalt aber ist kein Recht, sondern Gewalt, Herr Schultheiß, und gezwungener Eid kein frei geschlossener Vertrag.«

Das Gespräch dieser beiden Männer, welches sich schon mit bittern Empfindungen zu mischen begann, wurde noch zu guter Zeit unterbrochen. Des Schultheißen Sohn, Herr Balthasar, und dessen junge Frau traten herein, den Gast und Freund zu begrüßen. Ihre redselige Höflichkeit nötigte ihn, so vielen Erkundigungen und Fragen Genüge zu leisten, daß es unmöglich wurde, den zerrissenen Faden der vorigen Unterhaltung wieder anzuknüpfen. In des Schultheißen Brust indessen blieb infolge derselben ein Anfang argwöhnischer Unzufriedenheit gegen den Herrn von Trüllerey zurück, und in diesem ein geheimer Ärger über des Schultheißen Unempfindlichkeit für des Aargaus unabhängige Stellung. Nach einiger Zeit und sobald sich ein schicklicher Augenblick dazu darbot, benutzte ihn der junge Mann, sich zu entfernen, um seine Braut aufzusuchen und zum Gastmahl im Effinger'schen Hause abzuholen.

6.
Die Braut.

Sein Herz schlug bange und freudig, als er die enge Treppe einer bäuerlichen Wohnung zu den Zimmern der Geliebten hinaufstieg. Er hoffte sie zu überraschen. Schon hörte er im Geist ihren Ausruf, sah ihre Bestürzung, fühlte ihre Umarmung und war eingedenk eines jeden schönen Wortes, was er zu sagen haben würde. Indessen geschieht es oft, daß die Wirklichkeit etwas ganz anderes bringt, als worauf wir uns vorbereiteten.

Eine der Kammerfrauen trat ihm auf einem schmalen Gange entgegen, das Zimmer der Gebieterin zu öffnen. Aus demselben trat im gleichen Augenblick ein reichgekleideter, junger Rittersmann, der sich mit ehrerbietiger Freundlichkeit vom Fräulein beurlaubte, welches, über dessen Achseln wegsehend, errötend den ankommenden Bräutigam erblickte. Ohne sich durch die Gefühle, die sie nicht verbergen konnte, in den äußeren Gebräuchen des Anstandes stören zu lassen, entließ sie mit gleicher Huld und Würde den Abgehenden, wie sie den Ankommenden in ihr Gemach zu treten bat. Hier küßte dieser stumm und bewegt erst ihre zarte Hand, dann schloß er mit Ungestüm die schlanke Gestalt der Verlobten an sein pochendes Herz. Sie aber wandte lächelnd das Gesicht seitwärts, daß seine Lippen nur ihre Wangen berührten, und sagte:

»Warum so spät, mein edler Junker?«

»Und warum so kalt, mein edles Fräulein?« erwiderte er, ihren Ton nachahmend, indem er sie fester an sich zog und dabei doch verwundert ansah, daß sie ihm den Kuß beim Wiedersehen versagte.

»Wie doch die Männer in allem immer nur sich selbst wiederfinden,« entgegnete sie. »Aber setzen wir uns!«

»Nicht eher, angebetete Ursi, bis mir Dein Mund den Kuß des Willkommens gegeben hat.«

Sie bot die Lippen mit halbem Sträuben dar, dann führte er sie zum Lehnsessel und wählte seinen Platz ihr gegenüber. Nun mußte er von seiner Ankunft in Brugg, von seinem Besuche im Hause des alten Schultheißen, wo er sie zu finden gehofft, dann von seinem Aufenthalt in Frankreich und am Hoflager des Königs, von den schönen Frauen in Paris, von ihrer jetzigen Kleidertracht und Lebensweise erzählen. Seinen Beteuerungen, daß von allen jenen verführerischen Schönen keine auf sein Herz Eindruck habe machen können, begegnete der Unglaube ihres eifersüchtigen Zweifelns mit tausend Einwendungen. Doch am schwersten war ihm der Vorwurf zu beseitigen, daß er während eines langen Vierteljahres keine Stunde und keine Gelegenheit gefunden, der Braut einen Brief zu senden. Gangolf kannte die Neigung seiner Verlobten zum verliebten Argwohn, die launenhafte Heftigkeit ihrer Leidenschaft; doch hielt er die Rede für scherzende Neckerei, bis eine Thräne ihrer dunklen Augen den Ernst derselben verkündete.

»Nein, Gangolf, nein!« rief sie und erglühte vor Stolz und Unwillen. »Ihr seid den Männern gewöhnlichen Schlages gleich; verantwortet Euch nicht. Ein Weib zu täuschen im liebenden Glauben scheint Euch ein leichtes, verzeihliches Werk. Diesmal seid Ihr der Betrogene! Nicht was Ihr saget, nein, was Ihr verschwieget, klagt Euch an. Es ist genug! – Ich begehre kein Herz, das ich mit Bettlerinnen zu teilen verdammt wäre. Oder begleitete Euch nicht die Treulosigkeit bis zu den Schwellen meiner Wohnung? Nun wißt Ihr, daß ich Euch kenne! Sehr schön, sagt man übrigens, sehr schön soll die Begutte sein, mit der Ihr noch die letzte Nacht in der Herberge fröhlich zusammen waret. Wohl! Haltet diese züchtige Vermummte aus Frankreich fest. Ich beneide Euch und die Buhlerin nicht. Ihr hattet Unrecht, sie in so großer Frühe, sobald Ihr meine Anwesenheit in dieser Stadt erfahren hattet, fortzuschicken. Ihr thatet übel, Euch Zwang aufzulegen.«

In der Ruhe des Bewußtseins seiner Unschuld konnte der junge Ritter sich anfangs des Erstaunens, nachher des Lächelns nicht erwehren. Mit wenigen Worten hoffte er ihren Argwohn zu beseitigen; aber so oft er zu reden begann, unterbrach sie seine Rechtfertigung, ehe dieselbe vollendet war, mit Widerlegungen, und ihre Widerlegungen mit neuen Vorwürfen. Zuletzt erkor er jenes glückliche Mittel, welches manchem Ehemann bei der keifenden Hausehre zu statten kommt, nämlich schweigend den Sturm über sich hinbrausen zu lassen. Während des regsamen Spieles ihres Züngleins betrachtete er mit Wohlgefallen die Jungfrau, die selbst der Zorn nur weiblicher und reizender machte. Ihr feuriger Blick wurde glänzender, das feine Rot ihrer Wangen noch höher. Die schwarzen Augenbrauen, welche sich, wie vom Schmerz des verwundeten Gemüts, über der länglichen, sanft gebogenen Nase zusammenzogen, bildeten dort eine leichte Falte und eine Schwellung der weißen Stirnhaut, die zugleich trotzigen Eigensinn und innigen Kummer bezeichneten. Ihr dunkles Haar, über der Stirn von einem mit Perlen reich besetzten, diademartigen Goldkamme gehalten, wallte um Schläfe und Ohren in einzelnen geringeltem Locken. Das halbdurchsichtige, vielgefaltete Gewebe, welches, wie ein Nebel, ihren Busen umwölkte, und hinter dem langen, griechischen Nacken im köstlichen Spitzenkragen halbmondförmig bis zur Mitte des Hinterkopfes emporstieg, verriet, auf- und niederwallend, die Bewegung im Innersten ihrer Brust. Gangolf glaubte in Ursula's ganzem Wesen niemals etwas Zauberhafteres gesehen zu haben, als in diesem Augenblick. Wirklich verlor er in der Lust des Schauens so vollkommen alle Aufmerksamkeit des Hörens, daß er in Verlegenheit geriet, als Ursula wiederholt in ihn drang, ihre letzte Frage, die er nicht gehört hatte, zu beantworten. Erst schien seine stumme Ruhe alle ihre eifersüchtigen Vermutungen zu bestätigen; dann, da er um Wiederholung der Frage bat, seine Unachtsamkeit ihren weiblichen Stolz noch mehr zu empören. Sie erhob sich schnell von ihrem Sitz und rief mit einem Blick der Verachtung:

»So ist denn selbst meine Gegenwart nicht vermögend, Eure Gedanken für einen Augenblick von jener feilen Dirne abzuziehen, die Ihr Euch zulegtet. Eilet doch lieber zu der Begutte, die nicht weit sein kann; ich halte Euch nicht. Die Bettlerin mag allerdings besser zum Ritter ohne Land und zum verfallenen Turm Rore passen, als eine Erbtochter des Hauses Falkenstein, die Urenkelin alter Grafen.«

Die stolze, schneidende Stimme, dieser unerwartete Vorhalt seiner Armut weckten aber plötzlich den edeln Trotz, welchen jeder Mann empfindet, wenn das Weib spüren läßt, daß Liebe bei ungleichem Reichtum und niederer Abstammung nur Gnadensache sei. Er sprang finstern Blickes auf. Wohl kannte er in dem reizenden, jugendlichen Geschöpf jene wandelbaren Launen, jenen kindischen Eigensinn eines im Elternhause verzogenen Lieblings, aber daß die Braut, im leidenschaftlichen Rausche des Unwillens, sich ihrer höheren Herkunft und ihres Reichtums bewußt blieb, daß sie ungroßmütig dessen erwähnen konnte. um ihn zu demütigen, als Braut schon, dem Bräutigam gegenüber, das erschütterte ihn.

»Fräulein,« sagte er mit halbunterdrückter, doch schreckerregender Stimme, indem er ihr mit Hoheit entgegentrat, »Ihr habt mich nie geliebt. Solches hättet Ihr nie gesprochen, wenn jemals eine Faser Eures Herzens freundlich für mich geschlagen hätte. Der böse Geist ist unerwartet, aber zur rechten Stunde, aus dem Engel des Lichts hervorgetreten. Wir sind geschieden.«

Sie entsetzte sich bei diesen Worten, indem sie sein starres, bleiches, schönes Gesicht erblickte. Sie bereute, obgleich selbst noch halb im Zorn, die unvorsichtig ausgestoßene Rede.

»Geschieden?« sagte sie leise und finster. »Wir sind's, wenn's Euch beliebt.«

Aber ihr Herz zitterte, wenn sie sein edles, leichenhaftes Antlitz erblickte.

»Ich habe Euch geliebt,« fuhr er fort, »Euch allein, uneingedenk Eures Namens und Eures Gutes. Wäre ich ein Königsohn, ich würde Kronen zu Euren Füßen gelegt haben, und wenn ich Euch in Lumpen, unter dem Dache einer Zigeunerhütte, gefunden hätte. Gold wie Lumpen sind Staub; nicht das zog mein Herz zu Euch. Ich habe Euch geliebt: jetzt nicht mehr!«

Sie erblaßte und ihrem Auge entfiel eine Thräne. Sie selber wußte nicht, wie ihr geschah, was in ihrem Innern vorging, doch faßte sie sich und sprach halb weinend, halb versöhnt lächelnd: »Nachdem mein gestrenger Herr selber nicht leugnen konnte, daß eine elende Dirne mir mein teuerstes Herz geraubt, muß ich noch darum Vorwürfe bekommen, als wäre ich die Sünderin. Redet doch, und mein leichtgläubiges Herz glaubt Euren Worten schon, ehe Ihr sie ausgesprochen habt. Also die Begutte war nicht ein Schönheitswunder? Dachte ich's doch! Eine Bettlerin und Schönheit erster Art? Saget doch, sie sei häßlich gewesen! Nicht so? Der Lollhard war auf der Landstraße erkrankt, daß Ihr ihn aus Barmherzigkeit auf Euer Pferd geladen? Es ist Lüge, daß Ihr das feile Mädchen auf Eure eigene Herberge führtet; daß Ihr es in die Arme schlosset und vor der Thür des Wirtshauses selber vom Sattel hobet. Redet doch, meine Überzeugungen von Eurer Unschuld fliegen Eurer Erklärung auf halbem Wege entgegen!«

»Ihr wollt meiner spotten, Fräulein! Man hat Euch, merke ich, von der Art meiner gestrigen Ankunft und meiner seltsamen Begleitung treu und ungetreu berichtet,« sagte Herr Trüllerey mit dem vorigen Tone. Und nun erzählte er die Geschichte seines Abenteuers, das rohe Betragen des Baldegger, – alles bis zum letzten Augenblick, mit der unbefangensten Offenheit. Er pries selbst die rührende Anmut der frommen Veronika, aber beteuerte, daß sein Herz auch gegenüber einer größeren Schönheit unverwundbar geblieben sein würde; sein Gedanke, seine Sehnsucht wäre nur die Verlobte gewesen. Er sprach mit dem Stolz beleidigter Unschuld, mit dem Schmerz seiner mutwillig verhöhnten Liebe, mit dem Gefühl seines bessern Wertes. Der Ausdruck der Redlichkeit in seinen schönen Gesichtszügen, jedoch auch der festen Entschlossenheit in seinen Blicken, bezauberten zugleich und erschreckten die Braut. Alles, was ihn jemals in ihren Augen liebenswürdig gemacht hatte, ließ ihn jetzt noch liebenswürdiger erscheinen. Die Erinnerung seliger Stunden erwachte. Statt des Zornes brannte ein zärtliches Feuer in den träumerischen Blicken, mit denen sie an ihm hing. Ihr Wesen und Lieben schien wieder in Glut aufzuleben, während sie aus der einem Toten ähnlichen Ruhe seines Äußern ahnte, ihr sterbe ein Herz ab, das ihr eigener Hochmut gebrochen habe.

»Oh!« rief sie endlich mit weicher, zitternder Stimme, »ich kenne mich selbst nicht mehr und muß mich hassen, weil ich zu sehr liebe!« Sie schlang ihre beiden Arme um seinen Nacken, schluchzte laut an seiner Brust und rief: »O Du göttlicher Bösewicht! Was hast Du aus mir gemacht?« Und ihre heißen Lippen hingen an den seinigen, als wollte sie die von ihr weichende Seele des Bräutigams in sich hinein trinken.

Es schien eine Zeitlang, als dulde er nur ihre Liebkosungen. Der warme Hauch ihres Atems, das Brennen ihrer Lippen, die stille Glut der Blicke jedoch, welche, voll süßen Rausches, in seinen Blicken untergingen, äußerten bald ihre unbesiegbare, Seele und Sinne überwältigende Macht. Er zog sie an sein Herz und sprach mit einem Seufzer. »O warum bist Du nicht so arm wie schön!«

»Was willst Du, Gangolf?« erwiderte sie schmeichelnd. »Bin ich nicht eigentlich die Gabe, die sich Dir giebt, und alles andere nur zufällige Mitgabe, die Du in den Kauf erhältst?«

»Verflucht sei jeder Heller, den ich von Deiner Mitgift berühre,« rief er wieder heftiger, »und Unsegen bringe auf die väterliche Burg Rore, was aus Deinem Gut sie schmücken will«

Sie strafte mit sanften Fingerschlägen seinen Mund, wand sich lächelnd aus seinem Arm und sagte: »Die Mitgift Deiner Braut, nun Du sie zum Übel machst, wird im Freihof von Aarau wenigstens eine Zufluchtsstätte finden, wie jeder arme Sünder, der dort seine Hand an das heilige Gestein legt. Aber . . . .,« hier trat sie vor den Spiegel, hauchte in ihr Taschentuch und drückte es auf die Augen, um die Spur der Thränen zu vernichten – »aber es ist genug gezankt, junger Herr! Nun führt mich zum Schultheißen. Seid freundlich und artig und vergesset!«

»Fräulein,« sagte er, mit sich verdüsternden Mienen auf die blitzenden Diamantringe an ihren Fingern blickend, »warum mußtet Ihr mir etwas anthun, was ich zu vergessen haben würde!«


 << zurück weiter >>