Heinrich Zschokke
Der Freihof von Aarau
Heinrich Zschokke

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29.
Panischer Schrecken.

Sie leerten noch einmal die Becher und sagten dann den hohen Silberkannen Lebewohl. Schon während der lange dauernden Mahlzeit hatten die meisten, wenn sie, um ihre Eßlust zu vermehren oder des besseren Verdauens wegen in kurzen Zwischenräumen die Tafel verließen, ihre kostbaren Kleider mit schlechteren von Leder oder Zwillich vertauscht, ihre Waffen gewählt und andere Verrichtungen zum nächtlichen Blutwerk getroffen. Als sie aus der Burgpforte hinaus über die Brücke gekommen waren, richtete jeder das Auge auf die bedrohte Stadt, ob er über derselben schon eine Röte, eine leuchtende Dampfsäule oder fliegende Funken gewahre. Von Zeit zu Zeit flammte ostwärts ein blasses, fernes Wetterleuchten auf. Es zuckte dabei jedem bange in der Brust, aus Furcht, zu spät zu kommen, und die Schritte verlängerten sich jedesmal.

»Nur gemach!« sagte Freiherr Thomas halblaut zu den Gefährten. »Noch ist es kaum um die zehnte Stunde. Zu Mitternacht stehen wir noch zeitig genug auf dem Gieshübel, denn die Stadt soll im Schlafe begraben sein, ehe das Feurio der Wächter und der Sturm der Glocken ertönt. Meine Brenner verstehen ihr Handwerk und kennen meinen Willen. Darauf verlasset Euch.«

Nun ging der Zug wieder ruhiger längs der ernstrauschenden Aar hin, über deren finsteres Wellenspiel der Schein entzündeter Wetterwolken zuweilen ein plötzliches Licht ergoß. Dann wandte sich der Weg vom Ufer ab, nordwärts durch niedrige, kahle Hügel. Voran gingen, den Fußpfad zeigend, einige Falkensteinische Knechte mit Streitkolben; andere folgten den Rittern als Nachhut, sie trugen kleine Fäßchen Pulver. Alles bewegte sich in tiefer Stille fort, einer dem andern auf dem schmalen Wege nachschreitend. Die da redeten, flüsterten leise. Es wurde immer dunkler; die Sterne erloschen. Nur hin und wieder schimmerte aus der Entfernung her von den Fenstern der Dörfer oder einsamen Hütten der Landleute ein rötliches Licht. Das Geräusch der Wellen des Flusses verlor sich und nur das Wetterleuchten kehrte öfter und blendender wieder. Die Luft war still und lau; nur daß mitunter ein kalter Windstoß ungestüm durch Hügel und Gebüsche über das Thal hinfuhr. Der Ritter von Hegnau, welcher unmittelbar vor Thomas von Falkenstein ging, wandte sich um und sagte: »Freiherr, ich fürchte, uns ereilt ein Gewitter. Mich dünkt, ich höre aus weiter Ferne zuweilen Donner. Wir haben eine böse Nacht getroffen.«

»Im Gegenteil, Herr Hug!« antwortete Thomas. »Uns kann nichts erwünschter kommen als ein tüchtiges Gewitter. Der Wald giebt Schutz gegen den Regen, und sieht man die Feuersbrunst von Aarau, dann wird sie dem Blitzstrahl zugeschrieben. So ist mir's recht. Einen Morgengruß, wie ich dem Gangolf bringen will, müssen alle Heiligen begünstigen.«

»Falkenstein!« rief in der Nähe eine heisere Stimme. »Wahre Dich, Falkenstein! Meide den Freihof von Aarau!«

Der Freiherr fuhr zusammen. Hug von Hegnau sah sich um und fragte: »Wer redet mit Euch?«

»Habt Ihr etwas gehört?« antwortete Thomas und strengte die Augen an, durch die Dunkelheit um sich zu sehen. »Ich meinte, der Wind pfeife im Gesträuch.«

»Nein! Die Stimme schien vom Berge über uns zu kommen,« sagte Hug. »Mir scheint es hier nicht geheuer.«

Indessen waren sie durch Hohlwege von den Höhen herabgestiegen und sahen beim weißgelben Wetterschein den Anfang einer weiten Wiesenfläche, die sich rechts ins Unermeßliche auszudehnen schien. Sie gingen am Fuße der Vorberge entlang in der Richtung gegen die Schlucht, aus welcher das Dorf Erlisbach seine vordersten Hütten sehen läßt. Um jeder menschlichen Wohnung auszuweichen, wählten die Führer auf Geheiß ihres Herrn den Weg durch die sumpfigen Wiesen. Die Windstöße wurden anhaltender und heftiger, die Erlen und Weiden längs dem Bache beugten sich seufzend. Die Stimme des Donners sprach lauter in den Bergen und das Leuchten des Gewitters kehrte seltener wieder, aber es war stärker. Mau erkannte dazwischen im fernen Hintergrunde schon deutlich die weißgrauen Mauern der Stadt. Der Zug, der auf schmalem Stege über den Bach sich fortbewegte, stockte etwas und jeder tappte, während die Hinterleute warten mußten, langsam hinüber, als zwischen diesen abermals die heisere Stimme rief: »Falkenstein, wahre Dich! Meide den Freihof von Aarau!«

Die am Stege Beisammenstehenden wandten die Gesichter, obgleich die Dunkelheit nichts erkennen ließ.

»Oho!« rief Freiherr Thomas. »Sehet Euch vor am Bach und treibet mit mir nicht Narretei, Ihr Herren! Mir macht der Schalk unter Euch kein Grauen, wer er auch sei.«

»War das einer der Unsrigen?« sagte der Graf von Sulz. »Ich wollte meine arme Seele verwetten, die Worte seien vom Bache unten heraufgesprochen worden. Laßt uns hinschauen. bis es wetterleuchtet.«

»Wir haben die nämlichen Worte schon einmal an den Hügeln gehört,« versetzte Hugo von Hegenau. »Es kann nicht weit von Mitternacht sein. Dergleichen ist mir nie begegnet.«

»Schweiget mit diesen Possen!« rief lachend der Freiherr. »Ihr sollet mich nicht irre machen. Einer von Euch spielt zur Unzeit den Schalksnarren, um uns heimzujagen. Wer lieber ins warme Federbett verlangt, oder Trüllereys Jüngstes Gericht zu sehen fürchtet, kehre ungestört um und lasse uns andere gewähren.«

»Ganz richtig scheint mir die Sache nicht,« murmelte Hug vor sich hin, und ging mit kurzen Schritten über den Steg des Baches.

Die letzten folgten ihm in tiefer Stille. Einer nach dem andern schritten sie durch die Erlen- und Weidengebüsche, welche einen unebenen Boden voller Sand und Wasserpfützen bedeckten, bis sie nach geraumer Zeit einen grasbewachsenen Rain hinaufsteigen konnten zum Fuß des Hungerberges. Da legte sich der Wind, aber es begannen große Tropfen zu fallen. Hastig kletterte die Gesellschaft den Berg hinauf, dessen untern Teil der Fleiß der Stadtbewohner schon häufig mit Weinreben bepflanzt hatte. Je näher man dem finstern Walde kam, der den breiten Rücken des Berges bekleidete, desto reichlicher fielen die Tropfen des Regens, der nach jedem Wetterstrahle, in kurzen Schauern, doch dichter niederrauschte. Unter den ersten Tannen blieb man endlich stehen, um nach dem schnellen steigen wieder Atem zu sammeln. Man erkannte im weißlichen Schein des Blitzes deutlich die Stadt, mit den Türmen an ihren Thoren und Kirchen; links ragte im Wetterschein die alte Burg der Luternaus empor; rechts glänzten die weißen Klostermauern der Schwestern von Schännis; im Vordergrunde war der breite, hohe Turm von Rore deutlich zu sehen. Drüben in der Pfarrkirche schlug es drei Viertel.

»Im Turm Rore brennt kein Licht mehr, alles ist finster,« sagte ein Ritter. »Dem Trüllerey träumts fürwahr nicht, daß wir ihm bei Sturm und Wetter einen Besuch machen wollen.«

»Hei!« rief Freiherr Thomas. »Er wird die Augen aufreißen, wenn ich ihm den Johannissegen beim Scheine von zehntausend Fackeln gebe. Nur ein Stündchen Geduld, Ihr Herren, und laßt Euch die Langeweile nicht verdrießen.«

»Wahre Dich, Falkenstein! Schone den Freihof von Aarau!« rief plötzlich die wohlbekannte Stimme wieder.

Ein Blitzstrahl fuhr im weiten Zickzack jenseits der Stadt über den waldigen Gönhard. In der augenblicklichen Erhellung sahen einige Ritter ein finstere unerklärliche Gestalt, deren Gewand, wie Fittige, im Sturme flatterte, über Falkensteins Haupt hinschweben. Er stand an die Wand eines Sandsteinfelsens gelehnt. Tiefe Dunkelheit erfüllte die Gegend.

»Habt Ihrs gesehen?« fragten sich mehrere Herren leise unter einander.

»Falkenstein habt Ihrs gehört?« fragten die andern.

»Gott wolle uns gnädig sein mit allen seinen Heiligen!« rief Jörg von Knöringen.

Ein starker Donner rollte mit dumpfem Dröhnen durch die Berge.

»Wer war nun das?« fragte Hug von Hegnau, der die Gestalt über den Felsen ebenfalls wahrgenommen hatte. »Das ist keiner der Unsrigen gewesen.«

»Und wenns der Beelzebub selber wäre,« rief der Freiherr, »diese Nacht soll der Trüllerey an mich glauben lernen. Vorwärts, Ihr Herren, zum Gieshübel, daß wir, der Brücke nahe, allsogleich bei der Hand sind!«

Die Führer betraten den Wald. Wie die Brandung des Meeres sauste der Sturm durch die hohen Tannen. Durch die nassen Zweige des Unterholzes, immer bergan, bis der Bergrücken erstiegen war, bahnten die Knechte den Weg. Nach langem, vergeblichem Suchen wurde endlich der Fußweg entdeckt, welcher, der größeren Nähe wegen, von den Leuten von Erlisbach über den Berg und den Gieshübel zur Stadt gewählt zu werden pflegte, wenn sie ihre ländlichen Waren dahin zu Markte trugen. Auf der Höhe, am Ausgang des Waldes, unter breiten Eichen, machten die Ritter halt. Sie konnten von hier die gegenüberliegende Stadt und unter sich die schmalen, langen Brücken über den Strom bei jedem Leuchten genau erkennen. Die Glocken schlugen zwölf Uhr Mitternacht. Der Regen schien nachzulassen, und das Gewitter, obwohl noch in der Nähe, doch vorübergezogen zu sein. Allgemein wurde ein tiefes Stillschweigen beobachtet, indem alle aufmerksam zur stillen Stadt hinüber sahen und horchten. Dann und wann schritt Freiherr Thomas ungeduldig hinaus in die Gesträuche des sumpfigen Vorsprunges des Gieshübels. Es war ihm, als müsse in den Gassen jeden Augenblick ein heller Fleck, eine langsam aufsteigende Rauch- oder Feuersäule sichtbar werden. Jeder Blitz durchfuhr sein Innerstes mit frohem Schauder und täuschte ihn doch nur. Er triefte vom Regen, doch trat er nicht unter die schützenden Baumzweige. Seine Gestalt, wenn sie vom Wetterstrahl hell beleuchtet war, seine düster-ehernen Gesichtszüge, durch scharfe Schatten schneidend gehoben, der stiere Blick seiner hervortretenden Augen hatten etwas Furchtbares. Er glich dem Würgengel, der des Augenblicks harret, da ihm eine Stadt zufallen sollte. Plötzlich wandte er sich zu seinen Gefährten, die unter den Bäumen zerstreut saßen oder umherstanden, und rief:

»Ei, verflucht! Was thut sich da auf? Giebts Lärmen in der Stadt? Ich sehe einige erhellte Fenster, wenn ich nicht irre. Das ist in der Herberge ›Zum Löwen‹. Man wird wach!«

Die Ritter sprangen bei diesen Worten auf und starrten durch die Finsternis hin; alle horchten mit zurückgehaltenem Atem durch das einförmige Tröpfeln des Gewitterregens. Plötzlich flammte ein gewaltiger Blitz, welcher Tageshelle verbreitete. Der Boden ringsum schien in Feuer zu stehen und jedes Blatt der Gesträuche zu brennen. Ein zermalmender, betäubender Donnerschlag erdröhnte, so daß die Erde zitterte. Finsternis und Todesstille folgte. Man hörte den Fall eines schweren Körpers gegen die Erde.

»Jesus, Maria und Joseph! Wir sind verloren. Hilfe, Verrat! Mordio!« schrie der Junker Jörg von Knöringen, der am Boden liegend mit einem Fremden zu ringen schien.

Mit vor Entsetzen gesträubtem Haar und atemlos stand die Mannschaft umher. Man hörte jemand durch den Wald eilen und den aus der Ferne herüberdringenden Ruf der Knechte. »Rette sich, wer kann!« Im Nu stäubte alles auseinander und davon; Thomas von Falkenstein mit den andern, ohne Halt, ohne Rast, besinnungslos. Die eilenden Schritte der Fliehenden wurden zur unaufhaltbaren Flucht, als das Wehgeschrei des Junkers Jörg noch einmal hinter ihnen durch den öden Wald erklang. Abergläubischer Schrecken, heillose, panische Furcht hatte jeden ergriffen.

Keiner von allen litt und aus schrecklicherer Ursache solches Grausen und Entsetzen, als der unglückliche Jörg von Knöringen. Erschüttert durch den letzten Blitz und Donner, war er noch nicht zu sich selbst gekommen, als über seinem Haupte ein Getöse entstand, unter welchem er sich zu Boden geschlagen fühlte. Er war nicht lange im Irrtum geblieben, daß der Wetterstrahl die Eiche über ihm niedergeworfen habe, denn er hatte sich von einem lebendigen Wesen umfaßt gefühlt, welches er seinerseits in der ersten Bestürzung selbst fest gepackt hatte, um sich an etwas zu halten. So lag er nach seinem Hilfegeschrei halb bewußtlos da, während seine Begleiter davongerannt waren.

»Goldsöhnchen, laß ab von mir,« sagte endlich die wohlbekannte heisere Stimme, »ich fiel im Schrecken vom Ast der Eiche.«

Herr Jörg erstarrte fast, als er jene furchtbare Stimme, die ihm schon unterwegs das Herz zusammengezogen hatte, dicht an seinem Ohre hörte; noch mehr aber, als das Leuchten eines Blitzes ihn ein altes, häßliches, schwarzhaariges Weibergesicht erkennen ließ, welches mit gebogener spitzer Nase sich unmittelbar über ihm befand. Da stieß er einen schrecklichen Angstschrei aus.

»Schatz, lasse von mir ab. Ich thue Dir kein Leid, Schatz!« flüsterte die Stimme des Weibes.

Die Haare seines Hauptes schienen ihm lebendig zu werden, und alle Muskeln seines Leibes wurden von der Verzweiflung mit übernatürlicher Gewalt angespannt. Mit wahrer Riesenkraft schleuderte er das Gespenst, welches ihn wie ein Alp drückte, von sich. Er sprang vom Boden auf, drehte sich windschnell dreimal herum, und eilte so schnell ihm die Beine dienen mochten waldeinwärts. Zum Glück blieb er auf dem oben erwähnten Fußwege, der ihn dem Dorfe zuführte. Mehr als zehnmal entglitt er auf dem schlüpfrigen Thonboden, und er schrieb jeden Sturz zur Erde der Hexe zu, die ihm durch das Gebüsch nachzurasseln schien. So oft er aufstand, verdoppelte die Angst seine Kräfte zum Laufen und brachte ihn endlich, als nach dem vorübergegangenen Gewitter die Sterne durch die durchbrochenen Wolken leuchteten, glücklich zur Burg nach Gösgen. Hier fand er die sämtlichen Bewohner auf den Beinen. Fluchend, keuchend, oder nachsinnend, wie sie nacheinander angelangt waren, saßen die Helden des Abenteuers zerstreut im großem Saale. Jörg von Knöringen erschien als der Letzte. Da man ihn schon für ermordet gehalten hatte, wandten alle mit fröhlichem Erstaunen ihre Augen zu ihm, aber erschöpft warf er sich auf den ersten besten Lehnsessel, streckte die kotigen Füße von sich und seufzte: »Nun ist's mit mir aus!«

Herr Hans von Rechberg, welcher mit seinen Begleitern ebenfalls zugegen war, hatte, wie er und seine Leute erzählten, sobald sie an dem jenseitigen Ufer der Aar gelandet waren, schon Nachrichten vom Mißlingen des Planes empfangen. Wie sie sagten, sei ein starker Kerl, der ihre Bestimmung gekannt, und einer der beiden ausgesandten Zigeuner gewesen sein müsse, atemlos zu ihnen gelaufen. Sobald man ihn auf seine Fragen: ob die Herren aus dem Schlosse kämen und ins Oberholz wollten, ob die andern schon zum Gieshübel wären? bejahend geantwortet, hätten sie von ihm vernommen, daß in dieser Nacht nichts aus dem Vorhaben werden könne. Sein Kamerad sei, als er sich im Zwielicht allzu keck dem Oberthor genähert, um in die Gassen zu schleichen, von den Stadtknechten plötzlich festgehalten und, statt nach Gewohnheit fortgejagt zu werden, ins Gefängnis geschleppt worden. Doch Rechberg und die Seinigen hätten sich damit nicht begnügt, sondern den Gauner aufgemuntert, nochmals mit ihnen umzukehren, auf irgend eine Weise in die Stadt zu gelangen zu suchen und in irgend einer Scheune einen brennenden Schwefelfaden anzulegen. Gern oder ungern wäre der Schelm bis zum Kreuz an der Mühle von Wöschnau mit ihnen gegangen, dort aber bei der Bergschlucht, aus welcher der Bach vom Thale Roggenhausen hervorfließt, plötzlich unsichtbar geworden. Die Ritter hätten darauf angesichts der Stadt in Unentschlossenheit lange beratschlagt, endlich aber, als das Gewitter und der Regen heftiger zu werden gedroht, den Rückzug nach Gösgen angetreten.

Nicht so bestimmte Auskunft konnten ihrerseits Falkensteins Begleiter von dem Vorfalle auf dem Gieshübel geben. Die Einen derselben behaupteten steif und fest, daß unter Donner und Blitz das wütende Heer durch den Wald über ihre Köpfe hinweg gefahren sei. Sie hätten den wilden Jäger, seine höllischen Gefährten und die feurigen Hunde deutlich erkannt. Andere wollten ein Erdbeben gespürt haben, als wenn der Boden des Gieshübels eingesunken und ein Teil des Waldes krachend zusammengebrochen wäre. Wieder andere schworen, Falkenstein's Entwurf sei den Aarauern verraten, der ganze Wald voll bewaffneter Bürger und Gangolf Trüllerey an der Spitze derselben gewesen. Dieser letzteren Meinung schien sich Landgraf Thomas selbst zuzuneigen.

Als nun Jörg von Knöringen, welchem Hans von Rechberg zur Herzstärkung eine ganze Kanne Wein eingeschüttet, wieder Atem gewonnen hatte, richteten alle zugleich ihre Fragen an ihn. Er war der letzte auf dem Platz geblieben; sein Jammergeschrei war mehrmals durch den ganzen Wald gedrungen. Deshalb konnte er allein Auskunft geben.

»Hol' Euch der Teufel,« rief er, »daß Ihr mich im Stiche gelassen habt! Verwünscht seien Eure Wälder hier zu Lande, von deren Bäumen die Hexen wie faule Äpfel fallen! Hätte sich St. Georg, mein gewaltiger Schutzpatron, nicht meiner armen Seele angenommen – ewig sei er gepriesen! – die verdammte Hexe, möge sie im allertiefsten Schwefelpfuhl der Hölle brennen, wahrhaftig, sie würde mich ohne Rettung erwürgt haben! Ich konnte unter ihrer bleiernen Last keinen Finger regen, während sie mir ihre spitzen Satanskrallen schon zolltief, glaub' ich, in den Hals geschlagen hatte.«

Wiewohl Junker Jörg von Knöringen nach diesem Eingang seine Balgerei mit der Höllenbraut in ausführlicher Breite erzählte, mußte die ganze Geschichte durch den Aufschluß, welchen er geben wollte, nur noch rätselhafter werden. Nach langem Streiten, in welchem sich, unterstützt durch die Zauberkraft der gefüllten Becher, die lustige Laune der Meisten wieder herstellte, sagte Marquard von Baldegg: »Edle Herren und Freunde! Wir wollen jedem unter uns überlassen, von der dummen Teufelei zu halten, was ihm beliebt. Nur achte ich ratsam, nicht allzu laut davon zu reden, sintemal man uns tapfer auslachen würde. Denn es will mich bedünken, wir alle haben in tüchtigen Hasensprüngen, jeder so lang er die Beine strecken konnte, den Reißaus genommen, und, ohne eigentlich zu wissen warum, Fersengeld bezahlt. Und das ist der wahrhafte Grund, deswillen ich glauben muß, Belial und Beelzebub seien selber im Spiele gewesen, um so frommen und freudigen Rittersleuten, als wir zu sein uns rühmen dürfen, einen Streich zu spielen. Denn, straf' mich Gott, ohne Wunder und übernatürliche Dinge wären keinem von uns die Absätze unter den Stiefeln lang, der Atem kurz, die Schritte weit und das Herz im Leibe enger geworden.«

Die Gesellschaft stimmte den weisen Ansichten des Junkers gern bei und kam zum eigenen Troste darin überein, daß die Aarauer von dem ihnen gegoltenen Anschlage nichts gewittert haben könnten; auch daß der von ihnen eingefangene Gauner seines eigenen Genicks wegen, über seine Aufträge reinen Mund halten müsse. Man setzte sich zur Morgensuppe, deren mit Wohlgeruch aussteigende Dampfwolken schon vom ersten Morgenrot gefärbt wurden, während die Knechte alle Rosse gesattelt und reisefertig halten mußten. Je unglücklicher die Unternehmung gegen Aarau ausgefallen war, umsomehr versprach man sich von dem Entwurf auf Brugg.

30.
Eine Umfahrt von zwei Tagen.

Nur der Landgraf Thomas blieb von allen seinen Freunden allein der, welchen die Verheißungen der Zukunft nicht so leicht über den Verlust trösten konnten, welchen die Gegenwart ihm brachte. Ein Stolz, der sich von dem unabwendbaren Mißgeschicke nicht beugen, ein halsstarriger Trotz, der auch der Macht aller Verhängnisse nicht weichen wollte, schien der Erbfehler seines Geschlechtes und in ihm fast zur Ungeheuerlichkeit ausgeartet zu sein. Je mehr sich die übrigen nach und nach zufrieden gaben, desto mehr schien seine geheime Wut zu schwellen. Er hob die geballten Fäuste und murmelte einen neuen Schwur zwischen den Zähnen, daß er alle seine Schlösser und sein Leben daran setzen wolle, bis Aarau und der Turm seines Todfeindes ausgebrannter Staub wären.

»Wir sind,« rief er, »von den falschen, feigen Hunden, den Zigeunern, im Stich gelassen, sonst wäre heute alles schon abgethan; wir hätten den Königsstein besetzt; wir hätten den Duckmäuser Gangolf lebendig gefangen und gebraten. Aber, aber . . .« Hier aber unterbrach sich der Freiherr mit einem innigen, geheimnisvollen Lachen des Grimms, indem sich seine Fäuste krampfhaft ballten und seine Augen emporstarrten . . . aber er wird gezüchtigt werden! Eine Rache, wie ich sie für ihn ausbrüte . . . . Ja, daß ich sein Schlangennest ausbrenne, Spaß ist's! . . aber . . . sein Herz soll langsam unter Höllenleiden verbluten, wenn ich . . . Ja, vor seinen Augen will ich, wenn . . .«

Der Freiherr schwieg. Er schien etwas Gräßliches in Absicht zu haben und sich nur darum zu unterbrechen, weil, während er geredet hatte, sich seiner Einbildung noch gräßlichere Pläne aufdrängten, vor denen sich nicht sein Herz entsetzte, sondern seine Seele nur Zweifel quälten, ob sie ausführbar wären.

»Du bist auf gutem Wege,« sagte Rechberg. »So freust Du mich.«

»Du machst der Worte zu viel, Vetter! Das allein habe ich wider Dich« rief der Herr von Baldegg. »Die Sonne geht auf, die Pferde stehen gesattelt. Fort, fort! Ich fürchte, Brugg läuft uns davon wie Aarau. Wenn ich eine einzige Waffenthat gesehen habe, will ich der Worte so viel hören, als Du zu reden Lust hast.«

Der Freiherr sammelte sich, bat seine edlen Genossen um eine nur kurze Frist und verließ sie. Er nahm weder von seiner Gemahlin, noch von seiner Nichte Abschied, sondern erteilte dem Schloßvogt verschiedene geheime Befehle und hatte noch eine lange Unterredung mit dem Lollhard. Dann ging er mit heiteren Mienen, als sei ihm etwas wider Erwarten wohlgelungen, auf den Burgplatz, wo Ritter und Knechte mit den Pferden schon längst versammelt standen und seiner harrten. Sobald er kam, schwangen sich die Herren in die Sättel; die Knechte folgten. Auch der Freiherr, dem der Schloßvogt mit entblößtem Haupte in großer Ehrerbietung den Steigriemen hielt, saß auf. »Rudi!« rief er dem Vogt zu, »es kann Dir nicht fehlen. Die Lockpfeife habe ich Dir gegeben. Fängst Du die Wachtel, so melde es unverzüglich. Ein Geschenk halte ich Dir bereit, wie Du noch keins empfangen hast.« Hierauf sprengte er zu den vordersten Reitern, worauf sich der ganze Zug in Bewegung setzte. Den Schluß machte, in ziemlicher Entfernung von den übrigen, Meister Hämmerli, der Scharfrichter von Falkenstein, mit zwei Knechten.

Anmutsvoll leuchtete der Morgen durch die von den Gewittern der letzten Nacht erfrischte Luft. Um die Bergspitzen des Jura schwebten halbdurchsichtige Wölkchen wie vergoldete Schleier. Jedes Blatt, jeder Halm trug seinen Regentropfen wie einen funkelnden Diamant. Durch die stundenweiten Ebenen des Aarthales zog sich ein breiter Nebelstreifen, den Lauf des Flusses bezeichnend und verhüllend. Und als die Sonne über den Zinnen von Lenzburgs und Aaraus Türmen emporstieg, schien Leben in die Nebel zu kommen, die sich über dem Fluß im Goldlicht zusammenrollten, erhoben und der Tageskönigin entgegenschwangen, ihr gleichsam ihre Huldigung darzubringen. Der anfangs etwas lärmende Zug der Reisigen wurde auf dem rauhen Wege durch die Waldhügel gegen den Benkenberg hin nach und nach ruhiger. Man hörte nur das Geklirre der Waffen und unter dem unsichern Schritt der Pferde das Gerassel der Steine, die der Regen von den Höhen in die Wege niedergeschwemmt hatte. Falkenstein allein murmelte Flüche, wenn er zufällig durch die rechts sich öffnenden Schluchten oder von den freien Hügeln aus die Stadt Aarau erblickte und den grauen Turm Rore sah, der, stolz in seiner Pracht, ihn zu höhnen schien. Ganz andere Empfindungen wurden, wie es schien, in seiner wilden Brust herrschend, als er zwischen den hohen Felsen der Geißflue und Wasserflue, vom Rücken des steilen Benken aus, noch einmal die Augen zurückwandte nach den einsamen Gebäuden auf der Hard. Das Harte in seinen Gesichtszügen schwand und sowohl sein Blick, als ein halbunterdrückter Seufzer verkündeten eine Art schwermütiger Sehnsucht.

Der Weg wendete sich, auf der Mitternachtsseite des Gebirges im Schatten der Gebüsche, neben einem rauschenden Bache, an den ärmlichen Hütten des Oberhofs vorbei, zum Thale der Wölflinswyl. Dann erschloß sich die lachende Landschaft des Frickgau, in deren Hintergrunde, jenseits des Rheines, der Schwarzwald seine dunklen Gebirgsmassen wie einen blauen Vorhang auseinanderbreitete. Je näher die Ritter gen Laufenburg kamen, desto fröhlicher wurde ihr Gemüt in der Hoffnung des Wiedersehens einer zahlreichen und lustigen Gesellschaft, die sie für die Mühseligkeiten und die Not der letzten Nacht schadlos halten sollte, und in Erwartung der kriegerischen Abenteuer, die ihnen für diese Tage vorbehalten waren.

Unter fröhlicher Unterhaltung zogen sie durch die finstern, weiten Waldungen längs dem Rhein hin, bis sie nahe vor sich die Stadt Laufenburg und dicht vor derselben, auf dem felsigen Hügel, das weitläufige Schloß mit den starken Türmen und hohen Mauerzinnen erblickten. Hier schwiegen alle, weil der Anschlag auf Brugg den Nichteingeweihten ein Geheimnis bleiben sollte. Das Städtchen, wie das Schloß Laufenburg, war mit allerlei Kriegsvolk besetzt. Noch sah man an den frischen Ausbesserungen der Stadtmauer, welchen Schaden das grobe Geschoß der Berner und Baseler angerichtet, die sie mit ihren Schlachthaufen ein Jahr vorher belagert hatten.

Die Ritter wurden in der Burg, wo Thüring von Hallwyl, Hans von Falkenstein und andere ihrer schon langst geharret hatten, mit Jubel empfangen. Alle brannten in wilder Ungeduld, den Krieg wider die Eidgenossen ihrerseits zu beginnen. Ritter Burkhard Münch hatte neue Botschaft aus dem Elsaß gesandt, dahin lautend, daß der Dauphin mit den Franzosen auf dem Wege gegen die Schweizergrenzen wäre, um die Stadt Zürich von ihren Belagerern zu entsetzen.

Landgraf Thomas, nachdem er sich im Schlosse erquickt und die letzte Abrede genommen hatte, säumte nicht, saß mit den beiden Baldeggern und einigen Knechten rasch zu Pferde, und ritt noch denselben Tag über Waldshut nach Zurzach.

In der Frühe des andern Morgens brachen die Ritter auf nach Brugg. Das Geläute der Sonntagsglocken erscholl auf allen Dörfern. Auf den Landstraßen und Fußwegen und durch die Felder wandelten die frommen Bäuerinnen von entlegenen Höfen und Weilern der fernen Pfarrkirche zu; alle waren festlich geputzt, und trugen einen Blumenstrauß und Rosenkranz sittsam in den vor sich zusammengefalteten Händen. Mit nicht gar sonntäglichen Gedanken musterten die Ritter die Gestalten der ländlichen Schönen, die mit ehrerbietiger Verneigung und niedergesenkten Augen grüßend an ihnen vorbeigingen; dann aber, von Neugier gefesselt, in einiger Entfernung hinter ihnen stehen blieben, den Herren nachsahen, und, wenn diese den Kopf wandten, mit lautem Gelächter davon sprangen.

Glücklicher wie gewöhnlich, trafen die Reisenden, als sie nach einigen Stunden zur Stilli an die Aar gelangten, den Fährmann am rechten Ufer, so daß sie sogleich überschiffen konnten. Es war noch nicht Mittag, als sie der Stadt ansichtig wurden. Falkensteins Unmut schien sich, je näher sie kamen, zu legen. Seine Seele wurde von dem Gedanken an das gemeinschaftliche Unternehmen erfüllt, dessen Ausführung unmittelbar bevorstand. Marquard jauchzte. »Wäre ich achtundvierzig Stunden älter,« rief er, »ich söffe mir ein Räuschchen. Ihr Brugger sollt mit schweren Zinsen zurückzahlen, was mir Eure gnädigen Herren und Obern von Bern am Schenkenberg gestohlen haben! Führe Du das Wort zu Brugg, Vetter Thomas, denn mir kocht die Galle, wenn ich mit Spießbürgern zu schaffen habe, deren Banner ich bisher demütig folgen mußte. Zudem, will's Dir ehrlich gestehen, mit der Degenklinge kann ich reden, Finten machen und beweisen: mit meiner Zunge komme ich nicht fort. Zum Staatsmann tauge ich so wenig, als der Rabe zum Chorsingen; kann nicht die Katzen streicheln, nicht jemanden in's Gesicht lügen, oder vorn lecken und hinten kratzen.«

Der Thorwächter der Stadt grüßte auf der Brücke die einziehenden Ritter, indem er die Pelzkappe abzog und sich ehrerbietig so tief verbeugte, daß seine Stirn fast den Fuß des Freiherrn von Falkenstein im Steigbügel berührte. »Glückseligen, guten Morgen, gnädige und wohlgestrenge Herrn!« sagte er. »Schon so früh auf dem Wege am heiligen Sonntag? Schon weit her? möchte ich fragen, wenn's mir geziemte, gnädiger Herr Gevatter!«

»Du bist ein kluger Bursche, Gevattersmann,« antwortete Falkenstein, der dem Thorwart vor einigen Jahren ein Kind aus der Taufe gehoben hatte, »d'rum magst Du's wohl wissen. Wir kommen aus dem Lager von Zürich und reiten gen Basel zum Bischof. Es ist nahe daran, daß der Frieden mit den Eidgenossen abgeschlossen werden soll.«

»Gott im hohen Himmelsthrone sei gelobt und gepriesen!« rief der Thorwächter und tanzte, die Pelzmütze zwischen den gefalteten Händen, in lustigen Bockssprüngen neben den Rittern her. »Frieden also? Keiner Seele verrate ich ein sterbendes Wörtchen. Also richtig? Gnädiger Herr Gevatter, das ist eine Freudenbotschaft, wie wir in Brugg lange keine vernahmen. Ich will vom Turm blasen, wenn das heilige Friedenswerk vollendet ist; mit allen himmlischen Heerscharen will ich um die Wette blasen; Gott gebe Euch tausend Glück und Segen auf den Weg, gnädiger Herr Gevatter!«

Sie ritten in das Städtchen, den schroffen Rain hinauf, zur Herberge, wo sie ihr Mittagsmahl bestellten. Während es bereitet wurde, gingen sie durch die Stadt, wo sie leutselig mit den ihnen wohlbekannten Bürgern redeten, die vor den Häusern im Sonntagsgewand umherstanden und sich gegenseitig um Neuigkeiten befragten. Das Erscheinen der drei adeligen Mitbürger und die wichtige Miene, mit der sie von ihrer eiligen Sendung nach Basel redeten, um zur Abschließung des Friedens den Bischof dort abzuholen und in's Feldlager der Eidgenossen zu geleiten, erfüllte Alle mit Glauben und Freude. Mit nicht so großer Zuversicht empfing der greise Schultheiß Ludwig Effinger die Neuigkeit, als der Landgraf, nebst den beiden Brüdern von Baldegg, ihm den Ehrenbesuch abstattete. »Möge Gott mit allen seinen Heiligen den rechtschaffenen Männern beistehen, die am Frieden arbeiten,« sagte er, »allein ich zweifle, daß es heute damit ernstlicher gemeint sei, denn bisher. Zürich ist vom Schweizerbunde abgefallen. Seine Helfer aus Winterthur, der Adel aus Thurgau, der römische König, welcher das heilige Reich wider uns in Harnisch zu bringen sucht, der König von Frankreich, welcher Eroberungen machen will, finden an der Eintracht der Schweizer und bei der Rückkehr Zürichs zur Eidgenossenschaft keinen Vorteil. Warum sollten sie den Frieden wünschen? Die Schweizer würden ihn täglich anbieten, wenn das abtrünnige Zürich dem Bunde mit Österreich entsagte. Man will den Frieden nicht. Frankreich und Österreich lassen nicht von der Schweiz, bis entweder ihre Heeresmacht in unsern Thälern begraben liegt, oder ihre gegenseitige Eifersucht sich gegen einander bewaffnet. Man will keine Freiheit in Europa dulden. Man fürchtet die Nachahmung unsers Beispiels seitens der seufzenden Völker. Wir leben im Anfang eines tausendjährigen Krieges, eines Krieges auf Leben und Tod. Es handelt sich um Freiheit oder Knechtschaft des ganzen menschlichen Geschlechtes. Das Haus Österreich will den Feuerbrand nicht so nahe vor seiner Thür haben. Ihr wisset, wie schon die Tiroler sagen: »wir wollen Schweizer werden,« und das vergißt uns Österreich nie.«

»Ich hätte nicht gemeint, Herr Schultheiß,« sagte Hans von Baldegg, »daß jemals die Zunge eines Effinger so laut gegen das erlauchte Erzhaus eifern könne«

»Meine Voreltern,« versetzte der Greis, »haben dem Hause Habsburg mit Eifer und Treue gedient. Mein eigener Vater ist vor sechszig Jahren mit dem Herzoge vor Sempach gefallen und seitdem hat Österreich seine Rechte an uns aufgegeben. Heute diene ich mit Effingerscher Treue meinen gnädigen Herren zu Bern und den Eidgenossen. Ich hoffe, der gesamte Adel im Aargau kennt keine andere Ehre, als seine beschworene Pflicht.«

»Beschworene Pflicht?« rief Marquard. »Straf' mich Gott, ich meine, der Adel ist wohl so frei, als die Stadt Bern, und Bern selbst ist noch Kaiser und Reich angehörig, gleichwie jeder Edelmann.

»Still, Vetter!« rief Thomas von Falkenstein dazwischen. »Davon ist hier nicht die Rede. Unsere Sache ist's nicht, den Streit, sondern den Frieden zu erneuern. Wir, Herr Schultheiß, wollen Freunde bleiben. Heute ziehen wir nach Basel. Vielleicht treffen wir den Bischof schon unterwegs an. Veranstaltet, auf mein Ehrenwort vertrauend, was der großen Friedensfeier würdig ist. Wir, als Eure Mitbürger, wollen Eure Gäste sein.«

Damit beurlaubten sich die Ritter, um das Mittagsmahl in ihrer Herberge zu genießen, welches sie von der Gastfreiheit des Schultheißen anzunehmen, abgelehnt hatten. Als sie in der Herberge schon zu Tische saßen, öffneten sich die Thüren, und der Großweibel in Mantel und Stab, gefolgt vom Kleinweibel und den Stadtdienern, trat herein. Die Letztern hielten in glänzenden Silberkannen den Ehrenwein, welchen sie im Auftrag von Schultheiß und Rat der Stadt Brugg überbrachten. In einer wohlgesetzten, zierlichen Rede bat der Großweibel die edeln und gestrengen Herren, namens des löblichen Rates und gesamter Bürgerschaft, diesen geringen Beweis der Hochachtung gnädig aufnehmen zu wollen, welchen sie, als Mitbürger und Mitarbeiter am heiligen Friedenswerk, so wohl verdient hätten. Der Landgraf dankte im Namen seiner Reisegefährten freundlich und brachte den Weibeln zu Ehren des Rates den ersten Trunk aus, welche sich darauf mit tiefen Verbeugungen wieder entfernten. Die Ritter schienen zu fühlen, daß diese Ehren- und Freundschaftsbezeigungen ihnen jetzt gerade am wenigsten gebührten. Sie tranken schweigend den edeln Rebensaft, den ihnen gastgefällig eine Stadt darbot, über deren Untergang sie brüteten. Auch verließen sie dieselbe eilfertig, sobald ihre Pferde bereit standen, und begaben sich über den Bötzberg zurück in den Frickgau. Mit der beginnenden Nacht trafen sie wieder bei ihren Genossen in Laufenburg ein.


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