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»Krancke Leut haisser natur bedörffen würtz und saltz nit vil wann jr gebrechen meret sich davon. Erkenstu dein natur / so erkennstu auch was wider dein natur ist/ darnach bereydt dein essen,« lehrt schier shakespearisch die deutsche Kuchenmaysterei von 1531, und Carême läßt die Kochkunst in drei Teile zerfallen: in die Zubereitung der Speisen, in die Untersuchung ihrer Grundbestandteile und in die Wiedergutmachung ihrer Schädigung sozusagen. Fast jedes ältere Kochbuch enthält eine Anzahl von Rezepten zur Kräftigung von Kindbetterinnen, Alten und Kranken, aber nur wenige direkte Heilgerichte, wie das der Weckerin und das des Medikus Gualdernin Ryff, beide aus den letzten Dezennien des 16. Jahrhunderts.
Beiden gemeinsam ist eine große Vorliebe für die Mandel als Basis der mannigfachsten Heilmittel.
Frau Anna Weckerin war die selig nachgelassene Wittib eines berühmten Arztes, ihr Buch ist durch ihre Tochter Katarina, ebenfalls die Frau eines Mediziners, des Professors Taurelli, in Amberg 1597 herausgebracht worden und berechtigt den Untertitel, daß es »mit Fleiß« beschrieben sei.
»Man muß bei allen Artzneyen dahin sehen/« sagt die Weckerin, »daz nicht eines vertrieben / Unnd ein anders verursacht werde.« Ihrer Ansicht nach ist z. B. das Weiße vom Ei nicht verdaulich »und macht faul Geblüt«. Eine große Rolle spielt das Purgieren und sein Gegenteil. »Wo große Verstopfung ist / so seud Kallbfleisch, die Füß oder Knoden seynd am besten / dann von wegen ihrer Schlipffrigkeit lindern sie / heilen und füren aus / darumb sie auch in Brust und Lungensucht nützlich seynd.« Aber die Pflege des Gemüts dünkt sie mindestens ebenso wichtig, wie die des Leibes. Sie steht nicht auf dem Standpunkt Ryffs, daß »wir von Gott von Wege unser missetat heim gesucht werde mit kranckheit, mancherlei zufäll vnnd gebrechen angefochten und beleydiget werden«, sondern wünscht Kranke aufzuheitern. Deshalb soll man ihr Breischüsslein bunt bestreuen, »denn die Krancken werden etwan lustig, wenn sie etwas seltzams sehen«. Man soll ihnen auch ein Gelüst nicht grob abschlagen. Und wenn sie »sawer, sawer!« rufen, dieweil ihnen der Arzt Wein und Essig verbot, soll man einige Tropfen Vitriol (gemeint ist wohl Schwefelblüte) zusetzen. Auch sei das gut für die Würmer bei den Kindern. Zu den zahlreichen Laxiermitteln – sie wurden ja auch vor jeder seelischen Reinigung, jedem bedeutsamen Unternehmen angewendet – will ich bei Gelegenheit des Ryffschen Apothekerbuches reden. Für alle Gegenmittel ist Mandelmilch die Basis. Sonderbar ist folgende Vorschrift: »Etwan erfordert es die Not, daß man Wasser mit Gold oder Stahl stehlet.« Ja, bei einem Rezept kommt sogar noch gestoßene »Perllein« und Goldplättchen als heilkräftiger Zusatz vor. Gegen Brustseuche wird der Mandelmilch Anis, Fenchel, Weinbeer, Feigen, Süßholz, Brustbeer, Violsyrup und Rosenhonig zugesetzt. Heute noch beliebte Hustenmittel. Weißer Mohnsamen und Lattichsamen sollen Schlaf bringen. Ziegenmilch, besonders in gebundenem Zustand, wird große Heilkraft zugeschrieben, nirgends aber fehlt die Mandel. Neben diesen Medizinen finden sich auch eigentliche Kochrezepte, wie folgendes »köstlich Brot für die Kranken«: Trockenes Brot soll gerieben werden, mit Rosenwasser und Eidotter verrührt und beiseit gestellt, bis die Krumen die Flüssigkeit aufgesogen haben und »dick wie Straubenteig sind«. Zucker, Anis, Coriander wird beigemischt und der Teig in Weckenform gebacken. Ein Fleischgericht soll man aus gekochtem, passiertem Fleisch herstellen, das mit in Brühe geweichtem Brot, Mandeln, Zwiebeln, Meerdreubel (Johannisbeeren) in Wein oder Wasser nochmals aufgekocht wird und mit etwas heißem Schmalz, »da geschwellen sie schön«. Ein besonders für Kranke bereitetes Apfelmus ist so: die Äpfel werden in Schmalz gekocht, mit Ingwer, Zimmet, geriebenem Brot oder Eiern. Auch Saffran und heißen Wein mag man daran tun, samt Weinbeerlein und Ingwer, »damit sie den Magen nit beschweren oder bleen«.
Für innere Geschwüre soll man ein – – ungelegtes Ei nehmen, es mit Hühnerbrühe, fett und ungesalzen, eventuell mit Ziegenschmalz zubereiten. Abgesehen davon, daß ich noch nie bei einer Ziege Schmalz entdeckt habe, ziehen wir es vor, uns nicht um ungelegte Eier zu bekümmern. Ich traute aber meinen Augen kaum, als ich auf folgende Vorschrift stieß: »Ein gewaltig ding für alte / schwache / abnemende Leute.« Da hieß es nämlich, man solle eine Amme, »die gesundes Leibes seye, ein wenig purgiren, dann vier bis sechs Tage gut füttern, wie eine Kindbetterin und einige Tage absaugen lassen. Darnach lasse sie das Kind oder Altes säugen« und von der Muttermilch Brei kochen. Die »Säugerin« soll bei guter Stimmung gehalten werden und nicht überarbeitet, keinem Manne soll sie beywohnen, sondern keusch sein. –
Beim Herrn Medikus Ryff überwiegt der ärztliche Rat. Bei Nasenbluten soll man Rosenwasser mit Nachtschatten oder Seeblumenwasser hochziehen. Nach heftigem Unwillen Trüncklein aus sauren Granatäpfeln (Zitronen), Quittensaft, Agrest (Sauerwein) genießen. Bei Bauchfluß ist der Saft von Myrtillen (Blaubeeren), Johannestreubel, unreifen Weinbeeren zu empfehlen – zusammenziehende Säfte. Dazu esse man zweimal gekochte Linsen mit Endivien, Lattich, Hirse oder Gerste. Bei Tiefschlaf halte man dem Patienten Brot mit Essig unter die Nase. Bei Schlaflosigkeit tut ein Fußbad aus Steinklee, Kamillen, Mohnhäuptern Wunder. Man kann davon auch auf die Stirn legen oder ihn mit Sirup trinken. Gegen belegte Zunge und Mundfäule empfiehlt er Kürbiskern mit Rosenhonig oder Süßholz mit Stärkemehl. Für Schwindsüchtige »Salsen mit Agrest, Gerstenwasser und Milch«, sowie gezuckerte Kürbis, Pinien und Mandelkerne, ja selbst »Marzepan«. Melancholische sollen Salate süß oder sauer essen, Hopfensprossen mit Essig, Olivenöl und Salz, aber beileib keinen Borasch noch Ochsenzunge oder Lactic. Dagegen scheint es munterer zu machen, wenn sie Marzipan aus Oliven mit Aloeholz und Hühnermark erhalten, gut gezuckert. Wer die fallende Sucht hat, darf nichts Grobes essen, auch kein Fleisch von großen Tieren. Während Bockleber heilt, kann der bloße Geruch von Ziegenfleisch schon einen Anfall heraufbeschwören.
Daß Leute mit Podagra nur magere Kost und keine hitzenden Getränke genießen dürfen, lehren unsere Ärzte heute noch, auch daß sie nur kleine, d. h. leichte Fische erhalten. Befremdender wirkt die Vorschrift, daß sie ihre Mahlzeiten rasch hintereinander zu sich nehmen sollen und nicht mit ungebührlichem Geschwätz lange hinziehen. Sollte die mageren Bissen auch gute Rede schon zu sehr würzen, oder traut der erfahrene Arzt ihrer Mäßigung bei fortgesetzter Verführung nicht?
Als Hauptkur aber beschreibt Ryff ein sonderbares Verfahren – es scheint schon damals viele Podagristen gegeben zu haben, was für die Güte der Weine spricht. Die Überschrift lautet »So im Holtze liegen«. Zunächst spricht er von der großen Kraft des Guaiacum (Terebinthe), die er nicht näher zu beschreiben brauche, da jedermann sie kenne. Sie heile die »bösen Krankheiten der Franzosen« und viele andere. Dies ist die einzige Erwähnung der Syphilis, die sich vorfindet. Das Zimmer, in dem die Kur stattfindet, soll »zur Lufterneuerung« mit gutem Holz geheizt werden, der Boden mit Kamille, Krauseminze, Weideblättern und Reblaub bestreut. Von dem Holz wird ein Aufguß hergestellt, indem es fein gehobelt und unter allerhand überflüssigen Vorsichtsmaßregeln aufgebrüht wird. Eine Art Brunnenkur, mit Diät verbunden, Bettruhe und mäßiger Bewegung, ganz in der Art unserer heutigen Karlsbader Kuren. Die Früchte der Terebinthe wurden als Purgiermittel gebraucht.
Medicus Ryff hat es sich nicht nehmen lassen, seinem Neuw Kochbuch von 1580 noch ein »Confectbuch und Haußapothek« anzuhängen, das 1583 ebenfalls in Frankfurt am Main erschienen ist. Die Apotheken ersetzten dazumal auch die Bars und die Parfümerieläden, wie es heute noch in kleinen italienischen Städten Sitte ist, wo die ernste Männerwelt des Örtchens nach Feierabend sich in der kühlen sauberen Apotheke trifft, um bei einem vom Padrone selbst gebrauten Schnäpschen zu kannegießern. Neben den zahllosen Latwergen – unter denen sich auch ein spezieller für »arme Leut« befindet – gibt es da kandierte Kräuter und Früchte, Dessertweine und Wohlgerüche, »Gut Gräuch und Geruch von Amber, Bisam« usw., und schließlich eine große Auswahl von gebrannten Wassern, die wohl auch Gesunden trefflich bekommen sein dürften. Darunter besondere Arten für Phlegmatiker, Choleriker und Melancholiker.
Und wenn man ein Leben lang dieser leckeren Apothekerei zugesprochen hatte und auch die Terebinthe nichts mehr half, dann griff man endlich zu der berühmten Podagrasalbe, die aus Haselnußöl, Pomeranzenkern, Fuchs (?), Euphorbie, Gummi, Styrei, Loröl (Lorbeer) und Oleum philosophorum (?) bestand, das »weiss geäder im hirn stärcket und bekräftiget«. Half auch das nichts, dann tröstete man sich, daß gerade das Zipperlein eine gottgesandte Zuchtrute war und ließ sich fleißig aus dem Kranckenkochbüchlein beköstigen ...