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Im Halblicht der Bibliothekstreppe von St. Germain-en-Laye steht ein gotischer Grabstein. Auf ihm liegt zwischen seinen beiden Frauen ein Gewappneter, dessen Schild sechs Rosen und drei – Kochtöpfe zeigt. Und unter ihm ruhten einst in der Priorei zu Notre-Dame d'Hennemont die sterblichen Reste von Guillaume Tirel, genannt Taillevent. Der aber war im 14. Jahrhundert ein hochmögender Ecuyer de cuisine und Verfasser des ersten erhaltenen französischen Kochbuches, des berühmten »Viandier«.
Taillevent begann seine nahrungsfreundliche Laufbahn als Küchenjunge der Königin Johanna von Evreux, setzte sie als Bratenwender unter Philipp von Valois fort, um »Officier de bouche« Karls V. zu werden und als Obermundkoch Karls VI. zu sterben. So manches seiner Rezepte ist in die gleichzeitigen englischen Kochbücher übergegangen, so manches gehört auch heute noch zum eisernen Bestand der Kochkunst, wie die Bereitung des »Coulis«, einer Bratenglasur aus Kalbsfußgelee, oder der gebundenen Suppen, die man »Potaiges Lyans« nannte.
Beschränkt sich Sieur Taillevent auf die Wiedergabe von wohlschmeckenden Leistungen, so gehört sein italienischer Kollege Scappi schon zu den Kochästheten. Seine »Arte del Cucinare« erschien 1610 bei Alessandro Vecchi in Venedig. Scappi hatte einen Adoptivsohn, den kleinen Giovanni, den er zur Zierde seines Standes heranbilden wollte. An ihn richtet er eine Reihe von allgemein-menschlichen Wahrsprüchen auf der Basis des Kochherds. Ein Koch müsse wie ein geschickter Architekt seine Wunderwerke auf solider Grundlage aufführen. Er müsse das »Wesen der Materialien« beherrschen, um frei über sie schalten zu können. Müsse nüchtern sein, um sich das Feingefühl der Zunge, bescheiden, um sich das Feingefühl des Herzens zu erhalten. Er müsse sich ferner die Elemente seines Hantierens selbst zu beschaffen verstehen: vom ersten Herdstein bis zur letzten Tranchiergabel. Aus den gewissenhaften Aufzählungen Scappis, denen saubere Zeichnungen beigegeben sind, sehen wir die herrschaftliche Küche zu Ende des Mittelalters sich aufbauen. Sehen wir die Spieße, Roste, Dreifüße, die Blasebälge und Fleischhaken, die Löffel mit neckischen Schnäuzchen und die Siebe wie Aeroplane. Dem »Reisegeschirr« ist eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es bestand aus einer Reihe tiefer Schüsseln, ähnlich unseren Auflaufformen, die oben mittels einer Schutzdecke geschlossen und, an Spießen aufgereiht; von zwei bis drei Mann getragen wurden.
Über sein eigenes Gehalt bewahrt Meister Scappi Stillschweigen. Seinen Gehilfen billigte er in Naturalien für den Tag zu: 3 Pfund Brot, 2 Becher Wein, 1½ Pfund Fleisch oder Fisch usw. Ihm selbst gehörten sowohl die »Belohnungen« zufriedener Gäste, als auch alle Abfälle, die Häute, Füße, Hälse, Köpfe der Vierfüßler und das Gefieder des Geflügels. Das war nicht zu verachten, denn man kaufte damals nur lebendes oder rohes Material und Gewürze. Die Einzelbearbeitung geschah im Hause. Da wurde der Speck geräuchert, der Honig geklärt, die Wurst gestopft, die Pastete gebacken. Die Zer- und Verteilung der Großvorräte war eine der wichtigsten Aufgaben des Oberkochs. So leitet Scappi seine »Kunst zu kochen« mit einer förmlichen Naturgeschichte alles Eßbaren ein und mit einer Anleitung, das Material auf seinen Zustand hin zu prüfen.
Weitere Abhandlungen gelten der Feinbäckerei, der Kranken- und Rekonvaleszentenkost nebst der Zubereitung zahlreicher erfrischender Getränke. Über die Kunst, ein weiches Ei zu kochen, gibt es zwanzig Vorschriften. Philosophische Bemerkungen würzen die Ingwersaucen, und weise Betrachtungen folgen dem Ziegengekröse in das geröstete Einetz. Auf jeder Seite glaubt man den cuoco-gentiluomo zu sehen, wie er im verbrämten Mantel durch die brückenreichen Straßen Venedigs wandelte, wie er an der Riva de' Schiavoni von Gemüsebarken das Frischeste einhandelte, oder Boten bis nach dem Karstgebirge sandte, um auf Wildbret zu fahnden, das es im Apennin nicht gab.
Ein anderer »queux gentilhomme« ist außer durch seine Braten auch durch die Literatur berühmt geworden, die seinen Tod gebührend verherrlichte. Ich meine den großen Vatel, den Leibkoch Ludwigs XIV., der seinen ruhmreichen Tagen selbst ein melancholisches Ziel setzte. Madame de Sévigné hat ihm in ihren Briefen an Madame de Grignan ein stimmungsvolles Blatt gewidmet. Es war – o Schande! – selbst diesem Unvergleichlichen passiert, daß zwei Braten für den Tisch der Königskavaliere mißraten waren. Die folgende Nacht brachte der Ärmste schlaflos zu, und froh begrüßte er den Morgen, der neue Vorräte bringen sollte, die Scharte auszuwetzen. Da geschah es, daß von allen Boten, die stets für ihn nach frischem Seefisch unterwegs waren, nur einer mit magerer Ausbeute wiederkehrte. Eine Hoftafel ohne Seefische! Im Innersten verwundet ging Vatel in sein Kämmerlein und rannte sich einen Bratspieß – nein, doch nicht! – einen Kavalierdegen in das Herz. Die echte Tragik dieses Kochkünstlers aus Leidenschaft überstimmt das Groteske der ganzen Angelegenheit. »Die Größe seiner Seele,« bemerkt sein Kollege Carême zu dem traurigen Ereignis, »hatte ihm die Würde seiner Sendung gelehrt ...«
Antonin Carême selbst ist der reinste Typus des »Edelkochs«, wie ihn nur ein preziöses Zeitalter hervorbringen kann. Carême war der Nachkomme eines berühmten Kochs des Vatikans, dem Leo X. für die Erfindung einer köstlichen Fastensuppe die Unsterblichkeit verbrieft und den Namen »Jean de Carême«, d. h. »Von den Fasten«, verliehen haben soll. Schon aus Traditionsempfinden also legte Antonin Carême seinen besonderen Stolz in die Bereitung der »mageren« Kost. Ein Schüler Richauts, des »gepriesenen Brühenfertigers« des Hauses Condé, wirkte er als Koch und später als gastronomischer Schriftsteller im zweiten Viertel des vorigen Jahrhunderts. Sein patriotisches Gemüt hielt keine Entfernung von den Kochtöpfen der Lichtstadt aus. Er lehnte die lockendsten Auslandsanerbietungen ab und kehrte aus dem Dienst des Königs von England nach wenigen Wochen wieder heim: vor lauter Heimweh. Böse Zungen meinten, die englische Küche sei ihm »trop bourgeois« gewesen. Er fand denn auch im Hause Rothschild den wahrhaft königlichen Dienst, mit einem Ministergehalt verbunden, das seinem Patriotismus entsprach.
Lady Morgan schildert in der zweiten Folge ihrer Pariser Erinnerungen höchst ergötzlich ein solches Diner bei Rothschild, dessen Ereignis sie mit der größten Spannung erwartete, um Carêmes willen. »Das Ansagen zur Tafel konnte ich nicht anhören, ohne einigermaßen ergriffen zu sein ...« In dem eleganten, einzeln im Park gelegenen Speisepavillon des Rothschildschen Schlößchens im Bois de Boulogne nahmen die Gäste an einer ausschließlich mit feinstem Porzellan geschmückten Tafel Platz, die bereits den Geschmack des großen Mannes (nicht etwa Rothschilds, sondern Carêmes) verriet. Hier traf die schon erwähnte Art des Lobes der Lady Morgan zu, nämlich, »daß der Charakter des Essens der Jahreszeit angemessen war, seinem Zeitpunkt, dem Geist und dem Wesen des jetzigen Tages entsprach, und daß jegliches Gericht sein eigentümlich natürliches Aroma bot«. In der Tat ist es im wesentlichen Carêmes Verdienst, mit der »gewürzten und verdufteten Küche« der Vergangenheit gebrochen zu haben. Nach dem Kaffee wurde Herr Carême den Gästen von genügender Bedeutung vorgestellt. »Er war ein wohlerzogener Mann, durchaus frei von Pedanterie; als wir uns gegenseitig über unser beider Werke einige Artigkeiten gesagt hatten, verbeugte er sich, um in seine Kutsche zu steigen,« schreibt Lady Morgan.
Die gierige Rivalität auf allen Gebieten des Lebensgenießens hatte auch das »Département des marmites« ergriffen. Die Konkurrenz des Auslands wurde oft durch große Opfer, aber meist siegreich durch Paris überboten. Kurz vor der Ära Rothschild-Carême herrschte eine grimmige Fehde um die »erhabenste« Tafel zwischen dem Prinzen von Talleyrand und dem Herzog von Cambacérés. Letzterer hatte als Koch einen Freund Carêmes, Grand-Manche mit Namen. Cambacérés stand augenscheinlich der traditionellen Verschwendungssucht seiner Dienstboten feindlich gegenüber. Grand-Manche beschuldigte ihn, übriggebliebene unberührte Schüsseln zu einem neuen »aufgewärmten« Menü zusammengestellt und übersandte Delikatessen hinter Schloß und Riegel – »überlagert« zu haben. Nachdem die kaiserliche Pracht zerstoben war, nahm die Schäbigkeit dieses eines so großen Kochs unwürdigen Herrn noch zu. Es kam ein Tag, an dem er es »wagte«, sich zu einer Pastete Bouletten zu bestellen, ganz gemeine Bouletten. Ah, wie kamen da die weißen Mützen vom Faubourg St. Germain bis zu den Tuilerien ins Wackeln, wie viele Löffel wurden empört geschwungen, wie viele Rosträte »von Genie und Würde« bedauerten den entehrten Grand-Manche! ...
Viel besser war Boucher daran, der für den Tisch des Fürsten Talleyrand Diners von achtundvierzig Gängen anzurichten hatte! Das war wahrlich der Haushalt eines Grand-Seigneurs, in dem der Koch nur das Beste in die Finger bekam und für seine Leistungen »avait la confiance du noble Amphytrion«.
Ein Getreuer der kaiserlichen Bratpfanne war Dunan, der im Hause Condé kochenderweise die Kreise der Politik betrat. Und wie der Armee des großen Condé, so folgte er auch den napoleonischen Adlern ins Feld. Die Internierung Napoleons auf Elba warf ihn auf die Straße; seine Rückkehr rief auch Dunan wieder auf seinen Posten, von dem ihn erst die Katastrophe von St. Helena entfernte. Gerade Dunan hat viele Anekdoten über den Kaiser als Esser in Umlauf gesetzt: über seinen kulinarischen Eigensinn, seinen Jähzorn, seine große Leutseligkeit. »Wenn ich auch nicht die Waffen fürs Vaterland führte,« ruft er pathetisch, »so diente ich ihm doch, indem ich mit aller Kraft zur Gesundheit des großen Mannes beitrug, auf dem Frankreichs Schicksal ruhte!« In der Tat stand sein Name unter den ersten, denen Napoleon vor Moskau ein Ehrenzeichen zugedacht hatte. Die Ereignisse haben es ihm nicht mehr gegönnt.
Aus den verschiedenen leckerhaft-poetischen Jahrbüchern, wie z. B. Grimod de la Reynières »Almanach des Gourmands et des Belles«, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Aufnahme kamen, lernt man noch eine ganze Reihe von illustren Köchen kennen; sei's daß sie in Privatdiensten standen, sei's daß sie Restaurants hielten. Rouget und Véry gehören zu letzteren; auch Baleine, auf den zahlreiche lukullische – Verse gemacht wurden und der die Bouillonwürfel erfand und für die französische Marine lieferte. Zu ersteren zählt Prévost, der in Diensten des Marquis von Brancas stand, und von dem es heißt: »que seule la Révolution lui avait renversé la marmite«.
Während also in Frankreich der Ruhm von Bratenfürsten gesungen wurde, blieb Deutschland still. Bekannt ist höchstens der Koch Friedrichs des Großen, und der war ein Franzose, Mr. Noël. Er galt als großer Saucenkünstler, bevorzugte aber gleich seinem Herrn das Pikante. Friedrich revanchierte sich wohl auch einmal mit der Feder für den Kochlöffel und dichtete seinen verdienten Koch in Odenform an.
Heute ißt man sozusagen anonym. Der Privatkoch wird nicht mehr zitiert. Die bekannten Restaurateure sind selten selbst Köche, sondern meist Kaufleute oder aus dem Kellnerstande hervorgegangen. Mit einer ausschließlich auf praktische Ziele gerichteten Daseinsform ist ein gut Teil des Personenkultus auch bei den Tafelfreuden verloren gegangen, und wir fänden heute schwer einen Brillat-Savarin, der sich zu dem Ausspruch verstiege: »La découverte d'un mets nouveau fait plus pour le bonheur du genre humain, que la découverte d'une étoile ...«