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8. Speisen, die man nicht mehr ißt.

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Auf keinem Gebiet wird so viel kombiniert und so wenig erfunden, wie auf dem kulinarischen. Selbst die Entdeckung Amerikas hat – außer der Kartoffel – wenige dem Altertum völlig unbekannte Gerichte gebracht. Desto mehr Speisen fallen jedoch der Vergessenheit anheim: sei's, daß ihre Elemente aus dem Naturhaushalt verschwinden, sei's, daß der Geschmack sich gewandelt hat oder der Preis allzu sehr gestiegen ist.

Auf einer kulinarischen Forschungsreise durch die Jahrhunderte habe ich so manches gefunden, was heute unseren Abscheu erregen würde, so manches auch, das uns die Lippen spitzen läßt; manches wieder, das man jetzt auf keiner Karte mehr findet.

Bei diesem historischen Streifzug kommt vor allem der famose Apicius zu Ehren, der im alten Rom die Ästhetik des Pfannenstiels beherrschte. Er empfiehlt als »große Pièce« – den Strauß. Man mag den raren Vogel aus Numidien gebracht haben, und er wird wohl ein bißchen zäh gewesen sein, genau so wie der Kranich, der Flamingo und die verschiedenen Papageisorten, die man mit den Federn abbrühte, um sie dann vorsichtig durch die Gurgel auszunehmen und mit allerhand Würzen, wie Dattelkernen, Sellerie, Nägelein und Coriander, Asantwurzeln, Cypergras und Saturei allmählich zu dämpfen. Apicius lehrte auch Schweinekeule in Feigen wickeln und Schnecken mit Milch mästen. Wildschwein ließ er in Seewasser kochen, und Hasen mit Eicheln, Nüssen und Mandeln füllen. Dazu trank man die Falernersorten Cancium und Faustianum, oder »Vappa«, einen an der Luft neutralisierten Säuerling. Wem süß zumute sein wollte, der wählte das parfümierte Massicum oder das dicklich schwere Gauranum.

Die hohe Schule der Gaumenkultur im Mittelalter wurden die Klöster. Frommes Nachdenken regte zu allerhand Versuchen an, und auch an Zeit fehlte es nicht. Das »Dreihundertjährige deutsche Klosterkochbuch«, das erst kürzlich in einer vermauerten Nische gelegentlich eines Klosterabbruches in Leipzig gefunden wurde, eröffnet interessante Einblicke in die klösterlichen Küchengeheimnisse. Dazumal gab's noch Auerochsen und Elen in Weinsod, gab's Pfauen, im vollen Schmuck ihrer Federn gebraten, die durch oft genetzte Tücher während der Drehungen am Spieß geschützt wurden. Zu Shakespeares Zeit – das wissen wir aus »Hamlet« – war Kaviar als Delikatesse schon bekannt. Die Leipziger Brüder zu St. Pauli aber verstanden Hechtrogen, gewürzt und mit Rosinen gemengt abzubacken, was sicher recht pikant gemundet haben muß. Ihre »Rosinken« taten sie an alles, an Rehpüree, an Bärenschinken und Biberschwanz. Es war die Zeit, da jeder Schlemmer eine gebeizte Zunge hatte und ein gut Gericht auch tüchtig brennen mußte. Den durch Bertram, Myrtenbeeren, Pfeffer und Safran gereizten Schlund mußte dann ein »Schwebend Gallart« besänftigen: Fleisch oder Fischgélée, das durch »ein gerecht Schäflin«, d. h. ein feines Sieb getrieben und in phantastische Formen gestürzt wurde. Es lag im Geschmack der Zeit, wenn als sinnige Zutat empfohlen wird, in die Vertiefung der Schüssel lebende Gründlinge in Wasser zu setzen. Leider sagt der Bruder Küchenmeister nicht, ob sie nach japanischer Art bei Tisch geangelt und roh geschluckt wurden. Dagegen beschreibt er mit schmatzender Umständlichkeit ein prächtiges Schaugericht, so beim Verlöbnis des Junkers Rudolf von Nehrhoff bereitet worden sei, und bei dem die Hühner »mit hochgedrehten Köpfen« und völlig vergoldet aufgetragen wurden.

Die Gélées beherrschten hundert Jahre lang jede Tafel; sie müssen unserer heutigen »Mousse«, einem recht wabbeligen Zwischengericht aus feinstem Geflügel- oder Schinkenbrei geglichen haben. Das Nürnberger »Küchenmaysteray-Buch« von 1531 nennt solches »Galradt« von gepreßtem Schweinskopf »ein höfliches Essen« und weiß sonderbare »Salse« dazu aus Agrest, Raute, Ampfer, Knoblauch, Zymetplüt und Bumeranzen!

Das bereits erwähnte Vergolden der Schaugerichte geschah mittels Bestreichens durch Honigwasser und Schaumgold. Aber es genügte nicht allein, silberne Rehlein und goldene Schwäne, heilige George aus Mandelteig und Schlachtszenen aus Tragant zu haben: man wollte Farben sehen. Eine »geschachzabelte« Torte stellte man z. B. fünffeldig her, indem man die geschlagenen Eier mit Safran, Petersilie, Kornblumen, Rosen und brauner Butter tönte, und das »Osnabrücker historische Kochbuch« erwähnt ein »blaues Mohs«, eine Reiscreme aus frischen Kornblumen gewonnen.

In der erfahrenen Gegenwart stellt uns die Küchenchemie eine ganze Skala Farbenextrakte zur Verfügung, aber nur noch der Kleinstadtkonditor macht Gebrauch davon, wenn er giftgrünes Pistazieneis als Sockel unter die Germania aus Vanille stellt. In früheren Jahrhunderten wurde viel stärker und häufiger gesüßt als heute; Zucker war ein Luxusgewürz wie Safran; auch das Sauersüße war beliebt. Eine Würzburger Pergamenthandschrift aus dem XIV. Jahrhundert verrät, wie man einen »Agras« (Aigredoux) aus Weinbeeren herstellte, der gar gut zu »scheffinem«, »hueneren« und »vischen« gepaßt haben soll. Das gleiche Pergament höhnt allzu feine Zungen, indem es ihnen »ein gut lecker Köstlein« aus Stichlingsmagen und Mückenfüßen, aus Meisenbeinen und Lovinkenzungen anrät, bei dem man lange ohne Sorgen leben könne. Einen ähnlichen Scherz macht sich der große Koch La Varenne, indem er ein wundervolles Gebäck aus Butter, Salz, Pfeffer und – – Ofenruß vorschlägt.

Wilden Geschmack verrät der sonst so kultivierte Taillevent, wenn er Schwan, Reiher, Trappen, Wildgänse, Rohrdommeln und Seeraben seinem Kochtopf einverleibt. Der Pimperuan (der Sparusaal der Alten) wird so wenig geschont wie der Delphin oder der Hundskopf. Beim Walfisch bemerkt Taillevent, daß er »in Scheiben geschnitten« mit Erbsen gereicht werden muß. Für einen Walfisch im ganzen hätte das vorhandene Schüsselmaterial wohl kaum gereicht, und ich habe den guten Viandier du Roy im Verdacht, daß er nicht die Walfischscheiben, sondern überhaupt – aufgeschnitten hat.

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